Luise und Leopold

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Eine attraktive Adresse

Montreux ist zu dieser Zeit eine der angesagtesten Adressen für Europas Neu- und Altreiche. Hier stieg einst Reformpädagoge Jean-Jacques Rousseau ab oder der romantisch dichtende Lord Byron. Entsprechend der zahlungskräftigen Klientel entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts unzählige Grandhotels, Hotels, Pensionen und Sanatorien für Lungenkranke; die bekanntesten Etablissements sind das «Montreux Palace», das «Continental», das «Grand Hotel» in Territet und das «Palace» in Caux. In Letzterem logierte 1898 Kaiserin Elisabeth von Habsburg-Österreich, die Frau von Kaiser Franz Joseph, mit der sich Leopold immer gut verstanden hatte. Auch sie markierte immer mal wieder Distanz zum Hof und mokierte sich über die «qualvolle Schaustellung». Nach ihrem Tod in Genf setzte eine unglaubliche Mystifizierung ihres eigentlich unglücklichen Lebens ein. (Noch heute findet sich in Montreux-Territet ein Denkmal von Elisabeth; sie sitzt in der Pose einer Dichterin mit einem Buch in der Hand.)

Angesichts des Bekanntheitsgrads von Montreux, Territet und Caux kann man sich gut vorstellen, dass sich Leopold und Wilhelmine in Montreux mit bekannten Wiener Persönlichkeiten treffen, die damals regelmässig dort verkehren, beispielsweise dem bekannten Stararchitekten und Vorreiter der Moderne, Adolf Loos, der gerade zu dieser Zeit für den vermögenden Wiener Physiologen und Naturforscher Prof. Theodor Beer die Villa Karma («La Maladaire») in Clarens bei Montreux plant und baut. In Forschung und Literatur hat bisher keine Beachtung gefunden, dass Loos und Beer Kindern sexuell zugetan waren. Beer wurde zwar vom Vorwurf der Schändung freigesprochen, aber 1905 wegen Homophilie verurteilt; Loos wurde der «Verführung zur Unzucht» schuldig gesprochen, nachdem er sich mit Mädchen unsittlich vergnügt hatte.

So wie Loos und Beer mit ihrer Sexualität und in ihren Berufen nicht stromlinienförmig durchs Leben gehen, suchen auch Leopold und Wilhelmine ihren eigenen Weg. Sie befassen sich mit den neuen Möglichkeiten und ihrer offenen Zukunft.

Dagegen fühlt sich Luise seit der Abreise ihres Bruders und seiner Geliebten in Genf einsam und etwas allein gelassen, trotz der Anwesenheit Girons. Luise und ihr André räumen eines der vier Hotelzimmer und wohnen nun in drei Räumen; sie vermisst den Luxus einer Kronprinzessin am königlichen Hofe und hat Sehnsucht nach ihren fünf Kindern, zudem macht sich das sechste Kind in ihrem Bauch immer mehr bemerkbar.

Das «Continental» in Montreux: Hier kommt Leopold mit Wilhelmine unter.

Deshalb tut es ihr gut, dass sie zwei Mal Besuch bekommt: Am 28. Dezember reist die ehemalige Kammerdienerin Hanny Grissmann aus Freiburg im Breisgau an; die befreundete Frau hat derart Mitleid mit Luise, dass sie ihr Geld und Hilfe anbietet – die Kammerfrau will ihrer ehemaligen Dame helfen; so sehr haben die letzten Ereignisse die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. An Silvester bekommt Luise Besuch von einer «Frau Müller», die in Wahrheit ihre Freundin Anna Bamberger ist, eine Pianistin aus Mainz. Doch auch diese Zerstreuung vermag Luises traurige Stimmung nur wenig aufzuhellen, sie fühlt sich gemäss eigenem Bekunden «elend und traurig».

In der Zwischenzeit haben ihre Rechtsanwälte weiterverhandelt. Sie haben erwirkt, dass sie jährlich eine Rente von 30 000 Mark erhält. Luise freut sich über die ansehnliche Summe. Etwas vorschnell anerkennt sie deshalb am 9. Januar 1903 die Klage ihres Ehegatten Friedrich August: Mit ihrer Unterschrift beeidet sie schriftlich, «daher hiermit dem Stande, dem Titel und dem Wappen einer Kronprinzessin von Sachsen» zu entsagen; zudem verzichtet sie auf weitere Ansprüche finanzieller Art, beispielsweise auch auf die in die Ehe eingebrachten Güter, also ihre Mitgift. Als Zeugen des verhängnisvollen Zugeständnisses fungieren um 14.35 Uhr der Besitzer des Hotel d’Angleterre, August Reichert, sowie Kriminalinspektor Arthur Schwarz, der sie in den letzten Wochen auf Schritt und Tritt begleitet hat. Was genau diese eidesstattliche Erklärung bedeutet, zum Beispiel in Bezug auf das Sorgerecht für ihre Kinder, ahnt sie nicht – oder sie verdrängt es. Später wird sie es bereuen.

Der Chemnitzer Zeitung legt sie die Beweggründe für ihre Unterschrift dar: «Was ich getan habe, das musste ich tun!» Sie meint damit den Ehebruch und fährt weiter: «Ich weiss, dass ich den Sachsen eine herbe Enttäuschung bereitet habe. Ich weiss, dass mich das Volk dort, wie ich bin, geliebt hätte. Ich weiss, dass ich viel Gutes hätte stiften können, und die Sachsen wissen auch, was sie von mir als Königin zu erwarten hatten. Aber es sollte nicht sein! […] Ich will nichts als meine Liebe leben und mein Glück in aller Stille, in aller Verborgenheit und in aller Einfachheit geniessen.»

Luise agiert geschickt: Mit solchen Aussagen nimmt sie sich zurück und schmeichelt der sächsischen Bevölkerung, bei der sie nach wie vor beliebt ist. Dagegen hat es ihr Schwiegervater, König Georg, in der Öffentlichkeit schwer: Er sitzt erst seit dem 19. Juni 1902 auf dem Thron, den er von seinem verstorbenen und beliebten Bruder Albert übernommen hat. In Dresden hatte man damals erwartet, dass der 70-jährige Georg zugunsten seines Sohnes Friedrich August auf den Thron verzichten würde, so wie es frühere Könige Sachsens auch schon getan hatten. Doch Georg hat auf der Thronbesteigung beharrt und gilt in der Folge als sehr unpopulär; bei seinen Auftritten wirkt er militärisch steif und schroff, er bietet keine Visionen ausser strenge Kirchenregeln. Er selbst sagt zu seiner Regierungszeit, dass er «zu spät» an die Macht gekommen sei. Luise mochte ihren Schwiegervater nie, sie nennt ihn in ihren Memoiren «intolerant wie bigott, geistig beschränkt und engherzig».

Seine Intoleranz stellt König Georg von Sachsen unter Beweis, als er sich weiterhin daran ergötzt, sich an der gefallenen Schwiegertochter zu rächen. Am 13. Januar 1903 verfügt er ganz offiziell den Ausschluss Luises aus dem sächsischen Königshaus. Sie darf sich fortan nicht mehr Kronprinzessin von Sachsen nennen. Sie ist also auf ihren Titel zurückgeworfen, den sie seit ihrer Geburt trägt: Erzherzogin von Österreich-Toskana.

Eine Adlige ohne Namen

Auch Kaiser Franz Joseph ist seit dem gescheiterten Vermittlungsversuch im Dezember mehr als nur verärgert; er will unter allen Umständen verhindern, dass seine Skandalverwandte wieder vermehrt mit dem Kaiserhaus in Verbindung gebracht wird. Er weist seinen Aussenminister, Agenor Graf Goluchowski, an, Luise das Führen von Habsburger Ehrentiteln zu verbieten und sie per sofort aus dem genealogischen Verzeichnis der Kaiserdynastie zu streichen; dieser Graf, des Kaisers Mann fürs Grobe, hatte zuvor schon Leopold eine schroffe Abfuhr erteilt.

Franz Josephs Wut auf Luise muss wirklich gross sein, denn ihr Ausschluss aus dem Hause Habsburg ist der erste in der jahrhundertelangen Geschichte. Noch nie wurde ein Mitglied des österreichischen Kaiserhauses einseitig ausgeschlossen. Die Wiener Montags-Post nennt es «die schärfste Strafe», die der Kaiser verhängen könne. Der Graf überbringt die schlechte Nachricht. Luise verliert damit ihren Familiennamen. Und alle ihre Titel. Sie ist keine Kronprinzessin von Sachsen mehr. Und auch keine Erzherzogin von Österreich.

Sie hat ihren Mädchennamen eingebüsst.

Und den Familiennamen.

Sie heisst einfach nur noch «Luise».

Die Zürcherische Freitagszeitung bringt es auf den Punkt: «Sie ist nichts mehr, nichts als ein armes, flüchtiges Weib.»

Nach diesem Rummel und der folgenreichen Abnabelung lechzt Luise nach einer Veränderung. Sie entscheidet sich, mit ihrem Geliebten André Giron die Stadt Genf heimlich zu verlassen. Luise und Giron packen am Samstag, den 18. Januar, ihre Koffer, die ein Genfer Camionneur im Morgengrauen abholt und der gleichzeitig die Fahrkarten für die Eisenbahn besorgt hat. Denn Luise und André wollen ohne Aufsehen nach Menton reisen, in diesen Kurort an der Côte d’Azur, der wie Montreux zu dieser Zeit bei der Hautevolee ganz Europas besonders beliebt ist. Sie flüchten, wie Zeitungen zu Recht titeln, bereits das zweite Mal in fünf Wochen.

Um unbemerkt den Reportern zu entkommen, verlassen Luise und Giron das Hotel d’Angleterre am Morgen um 6.55 Uhr durch eine Hintertür, nachdem sie mehr als einen Monat dort gewohnt haben. Zuvor hat Luise dem Hoteldirektor August Reichert zum Abschied eine prachtvolle Krawattennadel geschenkt, besetzt mit Perlen und Diamanten; der Maître d’Hôtel hat einen prächtigen Goldstift erhalten und das Personal grosszügiges Trinkgeld.

Auf Umwegen gehen Luise und ihr Geliebter zu Fuss zum Bahnhof und besteigen dort die Eisenbahn, die um 7.40 Uhr in Richtung Lyon losdampft. Damit sensationslüsterne Leute nichts mitkriegen, ziehen die beiden Reisenden sofort die Vorhänge ihres Coupéfensters.

Doch die Mühe ist vergebens, denn auf den Zugperrons in Genf, Lyon, Marseille und schliesslich in Menton stehen die Reporter bereits bereit, um die letzten Neuigkeiten über das Skandalpaar aufzuschnappen. Etwas enttäuscht kann der Reporter aus Lyon lediglich berichten, dass der Zug pünktlich um zehn Uhr eingetroffen sei: «Einige Agenten der Lyoner Sicherheitspolizei überwachten den Bahnhof. Das Publikum wurde indessen durch nichts aufmerksam auf die Persönlichkeiten der Reisenden gemacht.»

Das illustre Paar bleibt im Schlafwagen, den die Bahnleute in Lyon und Marseille umkoppeln. Am nächsten Morgen, um elf Uhr, treffen Luise und André in Menton ein und beziehen ein Zimmer im Hotel des Anglais. Mitgekommen ist auch die 26-jährige Luise Meyer, ein Kammermädchen aus dem Kanton Bern, das zuvor im Hotel d’Angleterre gearbeitet hat. Luise und Giron wollen bis Ende Februar bleiben.

 

Die welsche Zeitung La Liberté spricht von Luise und ihrem Geliebten als «Faulenzern»: «Wir können uns nur gratulieren, dass unser Land nicht mehr Schauplatz ihres Skandals ist.» Ins gleiche Horn stösst die Gazette du Valais: «Die Anwesenheit dieses vorgegebenen Paars mit ihren zahllosen Interviews war ein fortwährender Skandal. Der Bundesrat und die Genfer Regierung können aufatmen.»

Auch in Menton stellen die Fotografen dem illustren Paar nach und verbreiten die Bilder in Windeseile; weil die damaligen Kameras noch keine Paparazzibilder liefern können, kommen die Illustratoren zum Zug, welche Luise und Giron zum Beispiel in der Kutsche zeichnen. Die Zeitungskommentatoren staunen, dass die beiden ausgerechnet in Menton abgestiegen sind – nämlich dort, wo jeweils auch König Georg von Sachsen, der Widersacher Luises, sich aufzuhalten pflege und bereits erwartet werde. Doch der Aufenthalt an der Côte d’Azur hält noch ganz anderes bereit.

Auf Schritt und Tritt von Reportern verfolgt: Luise mit Giron in Menton.

Eine Überraschung folgt der nächsten

Die Zeit in Menton entwickelt sich nämlich für die erholungsbedürftigen Luise und Giron ganz anders als erwartet. An jeder Strassenecke lauert ein Reporter, der kompromittierende Situationen in Text und Bild einfangen will. Die Zeitungsleute berichten, wie und wann sie auf dem Quai spazieren, wo sie dinieren, wie lange sie Kutsche fahren und wen sie treffen. Aber auf einem Foto, das die beiden auf der Strasse in Menton zeigt, wirken sie wie ein gewöhnliches Ehepaar.

Beide mit Hut.

Und in dunklen Kleidern.

Sie mit dem Schirm in der Rechten.

Er mit dem Spazierstock in der Linken.

Sie halten Hand. Wie zwei Frischverliebte – und als ob sie gegenüber dem Fotografen ihre Liebe zelebrieren wollten.

Wildfremde Leute erkennen das prominente Liebespaar auf der Strasse, rempeln oder pöbeln es an. Von solchen Erlebnissen schockiert, verbunkern sich Luise und ihr Galan für zwei Tage im Hotel. Einem Reporter sagt Giron: «Wir werden nach einem anderen Ort suchen und nach Amerika reisen, sobald die Scheidung abgeschlossen ist.»

Daraufhin machen die beiden einen Ausflug nach Sanremo: Sie sehen sich die Stadt an und besuchen die Villa de Murisier, die sie mieten wollen. Doch der Prinzessin wird es plötzlich unbehaglich – es sei daran erinnert, dass sie immerhin im fünften Monat schwanger ist.

Auch ein weiterer Trip fällt nicht aus wie erhofft. Giron überredet Luise zu einem Ausflug nach Monaco, ins Spielcasino von Monte Carlo. Sie ziehen von Roulettetisch zu Roulettetisch, und Giron setzt jedes Mal einen Louisdor auf die Nummer 31; er verliert, gewinnt, verliert. Luise als seine aufsehenerregende Begleiterin trägt eine schicke Robe aus hellblauer Seide, ein pelzgefüttertes Cape und dazu einen blauen Federhut. So erkennen andere Casinobesucherinnen und -besucher das illustre Paar sofort, das daraufhin wenig schmeichelhafte Bemerkungen über sich ergehen lassen muss.

Damit nicht genug: Luise und ihr Begleiter geraten ins Fadenkreuz der örtlichen Polizei, die auftaucht und sie bittet, sich auszuweisen. Das ist der Kronprinzessin in ihren 32 Lebensjahren noch nie widerfahren: dass sie sich wie eine dahergelaufene Bürgerin ausweisen muss! Hinzu kommt, dass sie gar keine Ausweispapiere hat. Deshalb wird verfügt, dass sie den Spielsaal sofort zu verlassen habe. Immerhin weist ihr die Polizei den Weg durch eine Nebentüre, damit das Aufsehen nicht zu gross ist. Lokale Amtspersonen setzen die einstige Kronprinzessin vor die Türe eines öffentlichen Lokals – ein neuer Eklat ist perfekt, den die Zeitungen wieder genüsslich breittreten.

Zurück im Hotel in Menton, taucht auch dort die Polizei auf. Denn Luise und André Giron haben sich im Hotel unter dem französischen Allerweltsnamen «Herr und Frau Herard» eingetragen, was in mehrerlei Hinsicht falsch ist: Erstens heissen sie anders, und zweitens sind sie nicht verheiratet.

Die Ereignisse überschlagen sich. Während sie mit der französischen Polizei noch den Streit wegen der fehlenden Ausweispapiere austragen, erhält Luise eine Depesche aus Dresden, wonach ihr zweitältester Sohn ernsthaft erkrankt sei: Friedrich Christian, genannt «Tia», zehn Jahre alt, leide an Typhus, dieser damals meistens tödlich verlaufenden Infektionskrankheit. Als dann auch noch ein Abgesandter des Papstes bei Luise vorspricht und sie eindringlich beschwört, die Affäre mit Giron zu beenden und ihrem kranken Sohn beizustehen, wird ihr alles zu viel. Sie knickt ein und will sofort nach Genf zurückkehren, um dann nach Dresden weiterzureisen. Deshalb bricht sie den bis Ende Februar geplanten Aufenthalt in Menton ab und reist am 4. Februar mit Giron zurück nach Genf.

Dort unternehmen ihre Rechtsanwälte, Adrien Lachenal und Felix Zehme, alles Menschenmögliche, damit Luise unverzüglich zu ihrem kranken Sohn nach Sachsen fahren kann. Dass gleichzeitig englische Zeitungen das Gerücht verbreiten, wonach Luise und Giron dem Katholizismus abschwören wollen, um die reformierte Religion anzunehmen und so eine baldige Heirat zu vereinfachen, verärgert die Royals in Dresden und Wien abermals und trägt nicht zu guter Stimmung bei, ganz im Gegenteil.

Die Rechtsanwälte führen intensive Gespräche mit Luise und André Giron: Wenn Luise ihre Kinder wiedersehen wolle, müsse sie sich wohl von Giron trennen. Luise entscheidet sich schliesslich für die Kinder und gegen den Liebhaber: Sie trennt sich schweren Herzens von André Giron. Die verhängnisvolle Liebesbeziehung scheint zu Ende zu gehen.

Nach einem angeblich sehr heftigen und sehr lauten Wortwechsel, wie Hotelangestellte berichten, verlässt Giron das «d’Angleterre» und reist mit dem Schnellzug in Richtung Paris/Brüssel ab. Luise will mit der Trennung von Giron den Weg ebnen für eine einvernehmliche Übereinkunft mit ihrem Ehegatten Friedrich August. Sie gibt sich diesbezüglich sehr optimistisch.

Luises Gesuch, zum kranken Sohn nach Dresden reisen zu dürfen, gelangt über ihre Anwälte in den Sachsenpalast. Dort bespricht Thronfolger Friedrich August es mit seinem Vater, König Georg, sowie mit den Ministern Sachsens. Die Ant-wort, die bald darauf per Telegramm nach Genf gelangt, lautet knapp und klar: «Seine königliche Hoheit lehnt die Erfüllung der gestellten Bitte definitiv und unter allen Umständen ab.» Damit nicht genug: Falls Luise es dennoch wagen sollte, nach Dresden zu fahren, werde die sächsische Polizei sie schon an der Grenze abfangen und inhaftieren. Etwas anderes stehe ihr auch nicht zu, denn sie habe am 9. Januar den Ehebruch schriftlich anerkannt.

Ein politischer Zündstoff

Der Hof in Sachsen will unter keinen Umständen die gefallene Kronprinzessin bei sich wissen, auch wenn Luise eine baldige Abreise in Aussicht stellt. Der eigentlich private Ehebruch hat nämlich in der Zwischenzeit eine politische Dimension erhalten: Der König von Sachsen, unbeliebt beim Volk, befürchtet ernsthaft und nicht ohne Grund einen Volksaufstand gegen sich.

Denn der Unmut gegen den König ist gross in der Bevölkerung: Nur schon das Gerücht, Luise sei in der Nacht von Freitag auf Samstag nach Sachsen gekommen, reichte für die Entfachung turbulenter Demonstrationen in Dresden: Das Volk hat seine Kronprinzessin nicht vergessen.

Dazu passt, dass Friedrich August das Hofpersonal barsch angewiesen hat, alle Zeitungen und Zeitschriften von Luises Kindern «sorgfältigst fernzuhalten». Dieser Befehl erfolgt deshalb, weil der älteste Sohn, Prinz Georg, in den Zeitungen Nachrichten über das Schicksal seiner Mutter gesucht habe. Der Prinz soll sehr niedergeschlagen sein und zu allen Darstellungen, die man ihm gab, nur ungläubig den Kopf geschüttelt haben.

Auch Luise wirkt nach der Absage aus Dresden niedergeschlagen, mehr noch: Sie ist am Boden zerstört – sie hat ihren Liebhaber fortgeschickt, um zu den Kindern zu gelangen, was der Hof ihr nun doch verwehrt. Sie fühlt sich allein gelassen und hilflos. Sie hat bereits alle Vorbereitungen für die Reise nach Dresden an das Krankenlager des Kindes getroffen, und ihre Anwälte können sie nur mit grösster Mühe davon abbringen, dorthin zu reisen. Sie selbst berichtet später über diese aufregenden Tage: «Die fortwährende Anstrengung und mein Gesundheitszustand liessen mich fühlen, dass ich am Ende meiner Kraft angelangt war und ein nervöser Zusammenbruch unvermeidlich sei.»

Ärztliche Hilfe scheint dringend angesagt. Auf Anraten ihrer Rechtsanwälte zeigt sich Luise damit einverstanden, ein Erholungsheim aufzusuchen. Sie raten ihr zu «La Metairie» in Nyon, diesem lang gestreckten Gebäudekomplex in Sanatoriumsweiss, einer eigentümlichen Mischung aus Hotel-, Schlossund Fabrikarchitektur, direkt in der Nähe des Genfersees und umgeben von einem baumreichen, grossen Park. Ihr Bruder Leopold Wölfling reist eigens von Montreux an und begleitet sie am düsteren Sonntagmorgen des 6. Februar 1903 auf dem Weg dorthin, ebenso wie ihre Anwälte, Adrien Lachenal und Felix Zehme, sowie der renommierte Chef der Genfer Frauenklinik, Dr. Alcide Jentzer. Als der Tross um 9.15 Uhr in Nyon eintrifft, steht ein nicht minder ehrwürdiges Empfangskomitee bereit, nämlich Direktor Prof. Dr. Johannes Martin zusammen mit dem Psychiater Prof. Dr. Auguste Forel, ergänzt um eine Pflegerin. Luise meint, es handle sich bei der «Metairie» um ein gewöhnliches Erholungsheim.

Wie ein Hotel.

Vielleicht etwas abgeschotteter.

Doch es ist eine psychiatrische Anstalt.

Damals unverblümt «Irrenhaus» genannt.

Und Forel gilt als einer der bekanntesten Psychiater der damaligen Schweiz, er leitete zuvor die Psychiatrische Klinik Zürich, das «Burghölzli». Er soll die gefallene Prinzessin eingehend untersuchen.

Zuerst muss Luise die Freiwilligkeit des Eintritts schriftlich beeiden. Ihr persönlicher Rechtsanwalt Lachenal hat ein spezielles Dokument vorbereitet; darin steht, dass Luise nicht nur freiwillig gekommen und eingetreten sei, sondern auch jederzeit die «Metairie» wieder verlassen könne, wenn sie dies wünsche.

Luise unterzeichnet schliesslich das massgeschneiderte Schreiben und erhält daraufhin eine Pflegerin in Spitalkleidung als Begleiterin zur Seite gestellt. Angetrieben von ihrer natürlichen Neugierde geht Luise durch die Gänge der Gebäude, da «erschreckten mich laute, durchdringende Schreie, die aus dem Zimmer gegenüber zu kommen schienen». Auf ihre Frage, was dort geschehe, meint die Pflegerin gleichgültig: «Dieser Lärm? Oh, das ist nur ein polnischer Graf, der seit 35 Jahren hier ist.»

Als Luise zudem sieht, dass alle Fenster vergittert sind, zum Essen weder Gabel noch Messer gereicht werden und nachts in den Gängen Schreie zu hören sind, dämmert ihr allmählich, dass sie in einer veritablen Irrenanstalt gelandet ist: «Ich dachte, diese Entdeckung würde mich töten. Hier war ich nun an dem Ort, den ich am meisten auf der Welt fürchtete! Aus Angst vor diesem hatte ich meinen Ruf geopfert. Diese letzte Ironie des Schicksals war zu viel für meine abgespannten Nerven. […] Ich wünschte zu sterben, so trostlos, verlassen und einsam fühlte ich mich.»

Diese Beschreibung scheint teilweise ihrem Hang zur Dramatik geschuldet. Denn Luise geniesst eine Sonderbehandlung, sie bewohnt im weitläufigen Park eine separate Villa mit vier Zimmern, hat eine eigene Pflegerin, und ihre Kammerfrau steht ihr noch immer zur Verfügung – sie hat einen deutlich besseren Status als eine gewöhnliche Patientin. Zwar meckert sie, ganz die verwöhnte Kronprinzessin, über die Qualität des Essens – «schlecht gekochte, unappetitliche Speisen, deren Anblick mich ekelte».

Sie lässt sich ein Kruzifix und einen Betschemel bringen, was sogar den Weg in eine Wiener Zeitung findet, die dazu schreibt: «Woraus auf den Beginn der reuigen Einkehr zu schliessen ist.» Die ärztliche Betreuung von Luise übernimmt nicht irgendein Assistenzarzt, sondern der 55-jährige Auguste Forel, eine anerkannte Kapazität seines Fachgebiets. Rechtsanwalt Lachenal hofft sehr darauf, dass der Psychiater eine Unzurechnungsfähigkeit diagnostiziert. Das könnte er dann vor Gericht zu ihrer Entlastung vorbringen.

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