Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität

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Inhaltlicher Fokus

Der Blick auf die Förderung der fremdsprachlichen Kompetenzen sollte verdeutlichen, wie wir uns an Longs Konzept des focus on form (Long 1991) uorientieren und von der ersten Unterrichtsstunde auf die Inhalte das Hauptaugenmerk legen. Auch wenn sich die inhaltliche Gestaltung entsprechend der sprachlichen und fachlichen Entwicklung der Studierenden verändert, so zielen doch die Planungen auf allen Niveaustufen des Intensivprogramms darauf, Lernräume zu schaffen, in denen die akademische Neugier gefördert wird und die kritische Auseinandersetzung mit sozialen, politischen und juristischen Fragen im Zentrum steht.1

Gerade in den ersten Lernmonaten geht es dabei um Gegenstände, die sich auch in jedem kommunikativen Lehrwerk finden, etwa das Thematisieren der eigenen Person und des unmittelbaren Lebensumfelds. Die grundlegende Idee des gesamten Programms liegt jedoch darin, solche Themen möglichst mehrperspektivisch anzugehen, zur Auseinandersetzung mit dem Gewohnten anzuregen und dabei, soweit möglich, auch wissenschaftliche Betrachtungsweisen einzubeziehen. Das Ziel sind somit eher disziplinbezogene Inhalte als disziplindeterminierte Inhalte, wie Widdwson (2010) diesen Unterschied begrifflich markiert. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass wir uns in den ersten Wochen des Unterrichts nicht nur damit beschäftigen, wer wir sind oder welche Hobbys wir pflegen. Es werden zugleich auch die gesellschaftlichen Rollen thematisiert, die unser Handeln und Fühlen in bestimmten Situationen beeinflussen. Aus der unterschiedlichen Wahrnehmung von Rollen wie „ältester Sohn/älteste Tochter“, „Studentin/ Student“, „Frau/Mann“ oder „Japanerin/ Japaner“ ergeben sich bereits in den ersten Unterrichtsstunden Anknüpfungspunkte für jene Differenzerfahrungen, in denen Bonnet/Breitbach (2013:28) das besondere Bildungspotenzial fach- und sprachintegrierten Unterrichts sehen.


Studienjahr (Niveaustufen) Leitbegriffe Beispiel für thematische Schwerpunkte
1. Studienjahr (A0- A1/2) Identität personale Identität und soziale Rollen Dinge und Identität Beziehungen zu Menschen Beziehungen zu Orten
2.Studienjahr (A1/2- B1) Generation Lebensziele, Lebenswege und gesellschaftliches Engagement „Erwachsen werden“ in Deutschland und Japan Geschlechterbeziehungen
3./4. Studienjahr (B1- B2/C1) Gesellschaft (Recht und Gerechtigkeit) Politische Kultur Rechtskultur und Gerechtigkeit Migration und Integration Demografischer Wandel und Bevölkerungspolitik Widerstand, Protest und gesellschaftliche Umbrüche Geschichts- und Identitätspolitik

Tab. 2.2:

Thematische Gestaltung des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio (pro Studienjahr ca. 60 UE à 90min)

Wie Tab. 2.2 verdeutlicht, bezieht sich die inhaltliche Planung im ersten Studienjahr schwerpunktmäßig auf die verschiedenen Facetten von Identität, integriert in den folgen Studienjahren aber mehr und mehr gesellschaftspolitische und juristische Aspekte (siehe dazu auch Kap. 2.5.3). So entfaltet sich im zweiten Studienjahr die thematische Gestaltung anhand des Leitbegriffs „Generation“. Daher kommen beispielsweise die Entwicklungsaufgaben zur Diskussion, die junge Menschen beim Hineinwachsen in eine Gesellschaft bewältigen müssen. In den letzten beiden Studienjahren stehen mit Leitbegriffen wie „Soziale Gerechtigkeit“, „Politische Kultur“ oder „Demografischer Wandel“ die Fachinhalte im Vordergrund. Sie werden jeweils über ein gesamtes Semester oder auch Studienjahr hinweg bearbeitet.

Das Bestreben, die politische Bildung der Studierenden umfassend zu fördern, schlägt sich in der Konzeption der oberen Niveaustufen am deutlichsten nieder. Dass es seinen Ausdruck aber ebenso in den Kursen auf Grundstufenniveau findet, möchte ich an zwei Beispielen illustrieren. Diese sind nicht zuletzt auch deshalb von besonderem Interesse, weil die entsprechenden Unterrichtssequenzen eine wichtige Datengrundlage für die vorliegenden Studie bilden.

Zwei Beispiele

Die beiden Sequenzen, die ich im Folgenden kurz beschreiben möchte, spiegeln die inhaltlichen Gestaltungsprinzipien im Unterricht des ersten Studienjahres wider. Sie wurden in zwei unterschiedlichen Lerngruppen nach 7-8 Lernmonaten behandelt und sind beide eingebettet in einen größeren Themenkomplex, der sich über das gesamte zweite Semester erstreckt und sich der Frage widmet, wie unsere Identität geprägt wird durch die Dinge, die uns umgeben und mit denen wir uns umgeben.

In der ersten Sequenz setzen sich die Studierenden mit dem Begriff Wohlstand auseinander. Sie untersuchen beispielsweise anhand des Glücksatlas der Deutschen Post die Faktoren für die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit der Menschen mit ihrem Leben in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Sie entwickeln anschließend eigene Parameter für den Wohlstand eines Landes und recherchieren Informationen dazu. Auf dieser Grundlage vergleichen sie dann die Situation in Deutschland und Japan. Das auf diese Weise entstehende, vielschichtige Bild von Wohlstand bietet schließlich den Anknüpfungspunkt, um das Bruttoinlandsprodukt als gängiges Maß zu hinterfragen und sich gemeinsam in alternative Modelle von Wohlstandsindikatoren einzuarbeiten.

Die zweite Unterrichtssequenz hat einen juristischen Schwerpunkt. Sie nimmt ihren Ausgang an dem vom Grundgesetz geforderten Schutz der Würde des Menschen. Gemeinsam wird zunächst rekonstruiert, wie sich dieser in Institutionen und Gesetzen widerspiegelt. Als ein konkretes Beispiel kommen dann die gesetzlichen Vorgaben zum Pfänden ins Spiel. Dieses Gesetz ist aus zwei Gründen von besonderem Belang für die Zielgruppe. Zum einen wurde das entsprechende Regelwerk in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts direkt aus dem Deutschen übersetzt. Es bietet sich daher an, diesen Übertragungsprozess zu beleuchten: An welchen Stellen wurde beispielsweise der Text variiert, um den kulturellen Besonderheiten Rechnung zu tragen? Zum anderen ist die Frage, welche Dinge einer Person gepfändet werden dürfen und welche nicht, ein ergiebiger Unterrichtsgegenstand für politische Bildung, weil sich das Gesetz über die vielen Jahrzehnte seines Bestehens hinweg beständig den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen musste. So reflektiert es kulturelle und technologische Veränderungen ebenso wie sich wandelnde ethische Urteile.

2.4.5 Umsetzung

In den bisherigen Ausführungen kam immer wieder das große Potenzial zur Sprache, das dem fach- und sprachintegrierten Unterricht im Hinblick auf die Förderung einer ganzen Reihe von Kompetenzen beigemessen wird. Auch auf empirische Erkenntnisse, die solche Hoffnungen zumindest teilweise rechtfertigen, konnte verwiesen werden. Gleichwohl besteht kein Anlass für überzogene Erwartungen. Didaktische Konzepte, so überzeugend und faszinierend sie auch wirken mögen, gewinnen ihre Kontur erst in der praktischen Umsetzung – und der unterrichtliche Alltag kann sich dabei zuweilen als äußerst widerspenstig erweisen. Für dieses Problem bietet auch der fach- und sprachintegrierte Unterricht durchaus Anschauungsmaterial.

Betrachtet man beispielsweise nur das Ausmaß, in dem sich bilinguale Zweige in den europäischen Schulsystemen seit den 1990er Jahren verbreiteten konnten, scheinen die oben erwähnten institutionellen Beharrungskräfte längst bezwungen. Blickt man hingegen in die unterrichtliche Praxis, bietet sich ein deutlich anderes Bild. Dort zeigt sich, was unweigerlich passiert, wenn hohe Erwartungen auf nicht weniger hohe Hürden treffen: das erhoffte Lernpotenzial schrumpft beträchtlich. So wird der bilinguale Unterricht entgegen aller theoretischen Entwürfe als stoff- und lehrerzentriert (Bonnett/Breitbach 2013:190) oder transmissionsorientiert (Coyle 2007:548) beschrieben. Empirische Untersuchungen illustrieren, wie durch die Gestaltung der Interaktion die Räume für selbstständiges Denken und Argumentieren verengt und Aushandlungsprozesse unter den Lernenden verhindert werden (Nikula et al. 2013:73ff; Dalton-Puffer 2007:253ff; Llinares et al. 2012:76). Es dominiert der triadische Dialog, also die beständige Abfolge von Impulsen der Lehrperson, auf die einzelnen Lernende mit eher wenig komplexen Äußerungen reagieren (auch IRE- bzw. IRF-Sequenz, recitation script, tryadic structur; Walsh 2011:17).

Ein „schlecht gemachtes fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch“ (Leisen 2015:132) beschneidet jedoch die Möglichkeiten des fach- und sprachintegrierten Unterrichts erheblich. Das ist vor allem auf die doppelte Herausforderung zurückzuführen, der sich die Lernenden gegenübersehen. Ihnen begegnen in solchen unterrichtlichen Settings fortwährend fachliche Konzepte in der Fremdsprache, die sie sich auch in der Muttersprache erst erschließen müssen. Und gerade diese Konzeptentwicklung kann durch ein diskursives Miteinander im Klassenraum unterstützt werden (vgl. Leisen 2015). Dafür müssen die Lernenden jedoch vielfältige Möglichkeiten erhalten, ihre Vorstellungen und ihr Vorwissen einzubringen, Hypothesen zu formulieren, ihre Ideen zu vergleichen oder zu hinterfragen und gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Ein solcher Prozess der Bedeutungsaushandlung gilt daher als Motor der Kompetenzentwicklung in fach- und sprachintegrierten Unterrichtssettings (Donato 2016; Palmer/Ballinger/Peter 2014; siehe auch Kap. 2.6).

 

Die Planung fach- und sprachintegrierten Unterrichts darf sich demnach nicht darauf beschränken, relevante Inhalte auszuwählen und kohärent aneinander zu reihen. So wesentlich dieser erste Schritt auch ist: eine nicht weniger große Sorgfalt sollte in einem zweiten Schritt der Frage gelten, wie sich diese Inhalte in Verbindung mit Aktivitäten und Interaktionsformen zu herausfordernden Lernsituationen arrangieren lassen. Erst die Verbindung von substanziellen Themen mit angemessenen Aktivitäten ermöglicht es den Lernenden, mit der Fremdsprache zu experimentieren, Neues zu entdecken und nicht zuletzt: sinnvoll zu interagieren. Meine Ausführungen zur Unterrichtskonzeption haben an dieser Stelle daher nur eine Zwischenstation erreicht und richten sich den beiden folgenden Abschnitten auf die Gestaltung von Aufgaben und Interaktion.

2.5 Unterrichtskonzeption II: Die Aufgaben

“I find it impossible to imagine how one could have a contend-based course without tasks, because one has to do something with the content.” (Nunan 2017:130)

Auch das einleitende Zitat für diesen Abschnitt ist nur scheinbar trivial. Aus der Perspektive der Unterrichtspraxis betrachtet formuliert Nunan tatsächlich wohl nicht viel mehr als eine Binsenweisheit. Dass er es dennoch für notwendig erachtet, in einer aktuellen Publikation zum fach- und sprachintegrierten Unterricht auf die symbiotische Beziehung von Inhalten und Lernaktivitäten zu verweisen, wirft daher vor allem ein Licht auf die akademischen Diskussionen. Nunan thematisiert eine der zentralen Bruchlinien, von denen die Fremdsprachendidaktik durchzogen wird. Sie trennt zwei Forschungsbereiche voneinander, die eigentlich eng verbunden sein sollten. Da sind auf der einen Seite die Forschungen, die sich mit der inhaltlichen Dimension des Fremdsprachenunterrichts beschäftigen und denen sich Kap. 2.4 widmete. Auf der anderen Seite der Bruchlinie hat sich die empirische Aufgabenforschung eingerichtet.

Eine entscheidende Ursache für diese Aufspaltung liegt zweifellos in der zu eng gefassten Vorstellung davon, was eine Aufgabe im Fremdsprachenunterricht eigentlich leisten sollte. So definieren Samuda/Bygate (2008:67) sie als eine Herausforderung, die die sprachliche Entwicklung der Lernenden fördere. Weshalb ein solches, weit verbreitetes Verständnis von Aufgaben, das die inhaltliche Dimension ausklammert, zu kurzsichtig ist, möchte ich in diesem Abschnitt eingehender darstellen.

2.5.1 Probleme der Aufgabenforschung

Kritik an der aus unterrichtspraktischer Sicht kontraproduktiven Trennung von Aufgaben und Inhalten wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten in vielfältiger Form geäußert. So verwies beispielsweise Snow, eine frühe Exponentin des Content-based Language Teaching, auf diese Problematik als sie bemängelte, dass die Methoden eine häufig vernachlässigte Komponente in inhaltsbasierten Programmen darstellten (Snow 1993:44). Und auch van Lier (z.B. 1996:205) mahnte in seinen Arbeiten an, Inhalte und Aufgaben als Einheit zu betrachten, weil nur so vermieden werden könne, dass ein an Inhalten orientierter Unterricht in Transmissionsprozesse abgleite.

In pädagogisch ausgerichteten Publikationen zum aufgabenbasierten Ansatz finden sich gleichfalls immer wieder Stimmen, die vor einseitiger Betonung entweder der inhaltlichen oder der methodischen Dimension warnen (z.B. Nunan 2009; Rösler 2006). Und gerade im deutschen Sprachraum lassen sich rückblickend vielfältige Initiativen ausmachen, die dem Auseinanderdriften der beiden Diskussionsstränge entgegenarbeiteten: etwa die Überlegungen von Piepho (2003) zu einer Szenariendidaktik oder Legutkes Anstöße zur Integration der Projektidee in die Fremdsprachendidaktik (Legukte/Thomas 2001; Legutke 2006, siehe auch Beckett 2005).

Weshalb die getrennte Betrachtung von Inhalten und Aktivitäten aus der Perspektive der Praxis so bedenklich erscheint, lässt sich gerade am Beispiel des Projektunterrichts sehr gut veranschaulichen. Natürlich blieb auch dieses Thema nicht frei von einseitigen Betrachtungen. So werden Projekte zuweilen auf die Abfolge bestimmter methodischer Schritte reduziert (vgl. die Kritik in Schart 2003:74). In der konkreten Planung und Durchführung eines Projekts zeigt sich jedoch, dass es eines flexiblen Zusammenspiels von Inhalten und Vorgehensweisen bedarf. Nicht jedes Thema lässt sich auf die gleiche Art und Weise erkunden bzw. bearbeiten und für jede Lerngruppe wiederum sind andere Aktivitäten in unterschiedlicher Anordnung zielführend. Solche Entscheidungen vor Ort kompetent zu treffen, macht den Kern des Lehrberufs aus.

In der empirischen Forschungspraxis hingegen wird Unterricht weitaus weniger komplex konzipiert. Diese Reduzierung auf ausgewählte Aspekte ist zumeist auch unerlässlich, um das unübersichtliche Geschehen in Lehr- und Lernprozessen überhaupt systematisch erfassen zu können. Im Fall der Aufgabenforschung hat diese Herangehensweise jedoch leider dazu geführt, dass sich auch trotz der vielfältigen Forschungsaktivitäten der letzten Jahre keine unterrichtsrelevanten Erkenntnisse zur Planung von Unterricht ergeben haben. Ein Problem, das besonders augenfällig wird an der Selbstverständlichkeit, mit der die empirische Forschung auf sogenannte Spot-the-difference-Aufgaben setzt.

Dabei handelt es sich um eine Aktivität, bei der zwei Lernende Bilder erhalten, die nur in wenigen Details voneinander abweichen. Die Herausforderung besteht darin, dem Gegenüber diese Unterschiede zu erklären. Dass auf diesem Wege interessante Daten über den mündlichen Sprachgebrauch der Lernenden produziert werden, liegt auf der Hand. Als Lehrperson fragt man sich jedoch, wie sich eine solche Aufgabenstellung überhaupt sinnvoll in einen Unterrichtsablauf integrieren lässt. Mit einiger didaktischer Fantasie findet man natürlich eine Reihe inhaltlicher Kontexte, bei denen es pädagogischen Sinn ergibt, Unterschiede auf Bildern zu suchen, etwa wenn sich eine Lerngruppe anhand verschiedener historischer Fotos mit stadtplanerischem Wandel beschäftigt. Auch als spielerischer Impuls bietet sich dieser Aufgabentyp an. Die pädagogisch vertretbare Frequenz und damit ihre Bedeutung entspricht jedoch bei weitem nicht der Aufmerksamkeit, die diese Aufgabenform in der Forschung erfährt (vgl. auch Lyster 2007:74).

Dass auch einflussreiche Vertreter dieser Forschungsrichtung wie Ellis (2018) und Skehan (2016) inzwischen eher ernüchternde Analysen zur Aussagekraft bisheriger empirischer Erkenntnisse vorlegen, kann daher nicht verwundern. All die Jahre intensiver Betrachtung einzelner Faktoren der Aufgabenbewältigung haben letztlich nicht dazu geführt, dass wir heute auf ihrer Grundlage sagen könnten, wie ein aufgabenbasierter Syllabus für einen mehrwöchigen Kurs oder auch nur eine 90minütige Unterrichtseinheit aussehen sollte. Was passiert, wenn Forschungen im pädagogischen Bereich die ökologische Validität zu weit aus den Augen verlieren, lässt sich an diesem Beispiel daher besonders eindrücklich studieren.

Die Aufgabenforschung konzentrierte sich bislang auf zu eng begrenzte Ausschnitte von Unterrichtspraxis, untersuchte beispielsweise in quasi-experimentellen Settings die Auswirkungen von Planungszeiten oder von unterschiedlichen Komplexitätsgraden einer Aufgabe auf die (oft) mündliche Sprachproduktion. Man gewinnt beim Lesen solcher Studien unweigerlich den Eindruck, als vollziehe sich die Aufgabenbearbeitung in einem gleichsam luftleeren Raum und beim Fremdsprachenunterricht ginge es ausschließlich um Lernziele, die sich aus linguistischer Perspektive beschreiben lassen. Ein umfassenderes Verständnis der Einbindung von Aufgaben in einen konkreten pädagogischen Kontext mit Lehrenden, Lernenden und sonstigen Interessengruppen, lokalen Bedingungen und vielschichtigen Lernzielen bleibt bei dieser Form von Forschung unerreichbar.

Eine Trendwende zeichnet sich seit einigen Jahren zumindest im Hinblick auf die Rolle von Lehrenden und Lernenden ab. Ihr schenkt die empirische Aufgabenforschung zunehmend größere Beachtung.1 Der Zusammenhang von Aufgaben und Inhalten hingegen muss nach wie vor als unterbelichtet gelten. Die vorliegende Studie versteht sich daher als ein Beitrag, diese von vielen Seiten kritisierte Forschungslücke (Ellis 2018; Kumaravadivelu 2007; Samuda/Bygate 2008:258) anzugehen. Unsere Untersuchung wird verdeutlichen, weshalb sich die Aufgabenforschung durch die Vernachlässigung der Inhalte bislang einen wichtigen Zugang zu praxisrelevanten Erkenntnissen verbaute.

2.5.2 Prinzipien aufgabenbasierten Lehrens und Lernens

Vom aufgabenbasierten Ansatz – und das verbindet ihn mit den oben beschriebenen Überlegungen zur Integration von Fach und Sprache – geht ein wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung der kommunikativen Didaktik aus. Deren rasanter Aufstieg zum Standardmodell des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen seit den 1980er Jahren war nur möglich, indem sie in der unterrichtlichen Praxis sehr flexibel gehandhabt und nicht selten an ihren innovativsten Ideen gestutzt wurde. Der im akademischen Betrieb zurecht als Paradigmenwechsel empfundene Übergang zum kommunikativen Unterricht gestaltete sich daher in den Klassenräumen wohl eher als ein geschmeidiger und auch langwieriger Veränderungsprozess. Somit ist die gewisse Konturlosigkeit des Konzepts, die wir heute beklagen, eigentlich die Voraussetzung seines so umfänglichen Erfolgs. Zugleich bieten sich dadurch zahlreiche Ansatzpunkte, das Profil der kommunikativen Didaktik zu schärfen. Und während sich in diesem Bemühen der fach- und sprachintegrierte Ansatz auf die Inhalte konzentriert, lenkt der aufgabenbasierte Ansatz das Augenmerk auf die methodische Gestaltung.

Die kommunikative Fremdsprachendidaktik muss sich in der Unterrichtspraxis mit der bis heute weit verbreiteten Vorstellung arrangieren, dass sich fremdsprachliches Lernen als linearer Prozess vollziehe, bei dem sich in den Köpfen der Lernenden diskrete Komponenten von Sprache nach und nach zu einem vollständigen Ganzen fügen. Eine Annahme, aus der weitreichende Konsequenzen für das Konzipieren von Unterricht erwachsen: Um die Fremdsprache einer Planung zugänglich zu machen, wird sie zunächst in kleinere Einheiten zerlegt. Derart isolierte sprachliche Phänomene, seien sie nun formaler oder funktionaler Natur, können dann in eine bestimmte Reihenfolge (Progression) gebracht und anschließend mit Hilfe von verschiedenen Texten und Arbeitsaufträgen zu einer Lernumgebung arrangiert werden. Ellis/Shintani (2014:50) merken sehr treffend an, dass bei dieser Sichtweise die Fremdsprache selbst im Zentrum stehe und nicht das Fremdsprachenlernen.

Anhand einer vorab entwickelten Progression sollen die Lernenden die fremde Sprache in immer differenzierterer Weise kennen und darauf aufbauend auch verwenden lernen. Dabei stehen sie vor der Herausforderung, die Synthese der zuvor isoliert geübten sprachlichen Einzelteile zu erbringen, weshalb man auch von einem synthetischen Ansatz spricht (Nunan 2009:11). Folgerichtig enthält ein typisches Unterrichtsdesign den Dreischritt von der Präsentation (neuer) sprachlicher Elemente, über das Einüben dieser Elemente bis hin zu ihrer selbstständigen Produktion.

Den Ideen der kommunikativen Didaktik öffnen sich dieses Unterrichtsmodell vor allem in der dritten Phase, in der die Lernenden zum – mehr oder weniger – selbstbestimmten Gebrauch der Fremdsprache angehalten werden. Die negativen Folgen dieses eher dürftigen Rückgriffs auf die Möglichkeiten, die der kommunikative Ansatz eigentlich bietet, wurden vielfach beschrieben. Sie zeigen sich etwa in der mangelnden Aktivität und Kreativität der Lernenden oder der fehlenden Relevanz der Interaktionen (z.B. Legutke/Thomas 1991:7ff).

Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis man sich daran machte, die kommunikative Didaktik konsequenter zu denken und umzusetzen und der aufgabenbasierte Ansatz gehört sicher zu den prominentesten Beispielen dieser Bewegung. Er bricht mit dem soeben umrissenen Modell von Unterricht und setzt ihm ein vollkommen anderes Verständnis von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen entgegen. Der Fokus der Unterrichtsplanung liegt dabei nicht auf den formalen oder funktionalen Aspekten der Fremdsprache, sondern auf ihrer selbstbestimmten und kreativen Anwendung. Die Lernenden sollen der Fremdsprache von Beginn an in möglichst komplexer Form begegnen, eingebettet in einen bestimmten kommunikativen Kontext und verbunden mit Handlungsabsichten.

 

Im Unterschied zu einem Unterrichtskonzept, das formalen oder funktionalen Progressionen folgt, sehen sich hier also die Lernenden mit der Herausforderung konfrontiert, eigene Lernwege zu erschließen, indem sie die Fremdsprache analysieren und deren Regelmäßigkeiten und Konventionen verstehen. Nunan (2009:11) beschreibt diesen Prozess als analytischen Ansatz des Fremdsprachenlernens. Übungssequenzen, bei denen ausgewählte sprachliche Elemente in isolierter Form trainiert werden, spielen bei der Planung des Unterrichts eine untergeordnete oder – wie im hier untersuchten Unterricht – keine Rolle. Denn es entspricht der Zielsetzung von Aufgaben, dass sie die Aufmerksamkeit der Lernenden vor allem auf die Bedeutung sprachlicher Äußerungen lenken. Sie sollen animiert werden, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren, um die Aufgabe zu bewältigen. Ein einheitlicher Lernprozess aller Teilnehmenden eines Unterrichts, wie er beispielsweise mit einer grammatischen Progression angestrebt wird, ist somit nicht intendiert.

Da der aufgabenbasierte Unterricht auf bekannte und bewährte Vorgehensweisen setzt, wäre es ein Missverständnis, ihn als eine neue Methode des Fremdsprachenunterrichts zu begreifen. Dass die Lernenden beispielsweise angeregt werden, Informationen aus komplexen Zusammenhängen zu extrahieren, in andere Textformen umzuformen oder sie neu zu anzuordnen, gehört zum traditionellen Inventar von fremdsprachendidaktischen Aufgabenstellungen. Das Neue oder Innovative der Aufgabenbasierung ergibt sich daher nicht aus den Unterrichtstechniken, sondern aus den Prinzipien, nach denen diese arrangiert werden. Diese lassen sich in wenigen Punkten zusammenfassen (vgl. Long 2016:7, Ellis 2018:175, Nunan 2009:35, Samuda/Bygate 2008:69; Samuda 2015; Willis/Willis 2007:34):

1 Die Triebkraft des Unterrichts bilden Aufgabenstellungen, also offen gestaltete Impulse, die zu einem kreativen, selbstständigen und zielgerichteten Gebrauch der Fremdsprache anregen.

2 Das Unterrichtsgeschehen wird von Lückenaktivitäten (gap activities) geprägt. Das sich aus der Heterogenität von Meinungen, Ideen, Argumentationen oder Lösungsansätzen ergebende Potenzial für den Austausch und das Lernen wird planvoll genutzt.

3 Der Unterricht zielt auf die Verknüpfung von Sprachgebrauch und Sprachlernen. Die „intuitiven Heuristiken“ (Kumaravadivelu 1994:32) der Lernenden werden aktiviert. Systematische Sprachbetrachtungen erfolgen immer eingebunden in einen inhaltlichen Kontext und sind nachgeordnet (focus on form).

4 Die individuellen Lernwege der Lernenden werden respektiert und gefördert. Sie erhalten vielfältige Möglichkeiten, ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Kompetenzen einzubringen und weiterzuentwickeln.

5 Zugleich wird das Potenzial kooperativen Lernens intensiv genutzt. Es werden permanent Räume geschaffen, in denen die Lernanlässe von den Lernenden selbst ausgehen und sich Aushandlungsprozesse unter den Beteiligten vollziehen können.

6 Die Materialien zeichnen sich durch reichhaltigen, elaborierten und anspruchsvollen sprachlichen Input aus.

Wie man auf der Grundlage solcher Prinzipien zu einem Kurskonzept gelangt, möchte ich im folgenden Abschnitt thematisieren.