Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität

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2.4 Unterrichtskonzeption I: Die Inhalte

“Why should not the lesson on physics or history be employed as the theme of a lesson in German or French?” (Gouin, zitiert nach Kelly 1976:289)

Aus heutiger Sicht wirkt Gouins Überlegung sicher wenig spektakulär, gehört es doch zum Alltag an vielen deutschen Schulen, Geschichte auf Französisch zu lehren und lernen oder Biologie auf Englisch. Das Interessante an ihr ist daher vor allem der Entstehungskontext, denn der französische Pädagoge brachte sie bereits im Jahr 1880 zu Papier. Es musste also noch ein ganzes Jahrhundert vergehen, bis diese im Grunde schlichte und auch plausible didaktische Idee in nennenswertem Umfang die unterrichtliche Praxis erreichte. Der fach- und sprachintegrierte Unterricht kann somit als ein markantes Beispiel dafür gelten, welche Beharrungskräfte innovativen Konzepten zuweilen im Bildungssystem entgegentreten. Im Zusammenhang mit seiner Umsetzung in unterrichtliches Handeln werde ich weiter unten noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen, denn das Ringen mit solchen Widerständen scheint in diesem Fall immer noch anzuhalten.

Weltweit findet man heute eine große Diversität an Unterrichtsmodellen auf allen Stufen des Bildungssystems, die praktische Antworten auf die von Gouin aufgeworfene Frage liefern: Sie kombinieren das Erlernen einer Fremdsprache mit dem Erwerb von Wissen und Fähigkeiten auf Fachgebieten wie Mathematik, Erdkunde oder Sport. Im Kern geht es ihnen also darum, die Synergieeffekte zu nutzen, die sich aus der Integration von fachlichen und sprachlichen Lernprozessen ergeben.

2.4.1 Begriffliche Vielfalt

Dieser gemeinsame Grundgedanke gerät jedoch leicht aus dem Blickfeld angesichts der Vielzahl an Begriffen, die sich in den letzten Jahrzehnten im Umfeld dieses didaktischen Ansatzes herausgebildet haben. Das führte uns als Forschungsteam zu der Frage, welche der Bezeichnungen für den von uns untersuchten Kontext eigentlich geeignet wären. Wir konnten uns – dem europäischen Sprachgebrauch folgend – für das Label CLIL (Content and Language Integrated Learning) entscheiden oder aber für die im nordamerikanischen Diskurs dominierenden Begriffe CBI (Content-Based Instruction) bzw. CBLT (Content-Based Language Teaching). Auch die Akronyme LAC (Language Across the Curriculum; Grenfell 2002), SCLT (Sustained Content Language Teaching; Murphy/Stoller 2011), EMI (English Medium Instruction; (Macaro 2018), EAP (English for Academic Purposes, Chazal 2014), TBLI (Theme-Based Language Instruction, James 2006) oder ICLHE (Integrated Content and Language in Higher Education; Schmidt-Unterberg 2018) boten sich als alternative Möglichkeiten an. Von vornherein ausschließen konnten wir eigentlich nur die im deutschen Sprachraum weit verbreitete Bezeichnung bilingualer Unterricht oder Sachfachunterricht (Hallet/Königs 2013) bzw. das englischsprachige Pendant Bilingual Education (Mehisto 2012). Sie werden für den tertiären Bildungsbereich nicht verwendet und stellen daher die Besonderheiten des fach- und sprachintegrierten Unterrichts bis zur Sekundarstufe heraus, etwa die Bindung an die nationalen bzw. regionalen Lehrpläne, die klare Zuordnung zum Fachunterricht oder die Leitung durch muttersprachliche Fachlehrende (siehe Dalton-Puffer 2017:155).

Diese begriffliche Vielfalt bei den fach- und sprachintegrierten Konzepten ist weit mehr als das Resultat einer zu ehrgeizigen akademischen Profilbildung. Sie ergibt sich vor allem aus den sehr unterschiedlichen Konstellationen, unter denen diese Form von Unterricht entworfen und durchgeführt wird. Nehmen wir als Beispiele den bilingualen Geschichtsunterricht an einer deutschen Realschule und einen Deutschkurs für angehende Pflegekräfte, die sich am Goethe Institut in Hanoi auf eine zukünftige Tätigkeit in Deutschland vorbereiten. Zumindest bei flüchtiger Betrachtung trennt die beiden Lehr- und Lernsituationen mehr voneinander als sie verbindet. Und man braucht mit den Unterschieden nicht bis ins Detail vertraut zu sein, um zu verstehen, dass die konkrete Gestaltung fach- und sprachintegrierter Kursangebote von zahlreichen Faktoren geprägt wird, von sprachenpolitischen Entscheidungen beispielsweise, von der Einbindung in Institutionen mit ihren Bildungszielen, curricularen Richtlinien oder personellen Ressourcen und nicht zuletzt von den Erwartungen und Einstellungen der Beteiligten. Und dennoch handelt es sich in beiden Fällen letztlich nur um Spielarten des fach- und sprachintegrierten Ansatzes.

Die Vielgestaltigkeit ist dem Phänomen somit inhärent und eine beständig anwachsende Zahl an Akronymen erscheint mir kein geeignetes Mittel zu sein, um sie begrifflich zu fassen. Löst man sich hingegen von den Details und betrachtet die Heterogenität der Konzepte aus einiger Distanz, dann stößt man auf einen Aspekt, der sich als wesentliches Kriterium der Unterscheidung anbietet. Es ist die Frage, ob die Lehr- und Lernprozesse eher aus der Perspektive eines Sachfachs entworfen werden oder eher von fremdsprachendidaktischen Überlegungen geprägt sind. Der Bereich des fach- und sprachintegrierten Unterrichts entfaltet sich also entlang eines Kontinuums. Den Extrempunkt auf der einen Seite bilden fachdominierte Konzepte wie etwa die auf Englisch gehaltenen Fachvorlesungen an deutschen Universitäten. Das Ende des Kontinuums auf der anderen Seite markieren fremdsprachendidaktisch geprägte Programme wie beispielsweise themenbasierte Kursangebote (Brinton/Snow 2017:8; Cameron 2010:180ff; Lyster 2017:87). Dalton-Puffer (2017:154) schlägt vor, diese Extrempunkte mit den Bezeichnungen hard CLIL-type und soft CLIL-type zu versehen.

Ein solches Kontinuum wird natürlich die von Smit (2015:92) kritisierte zunehmende Verwässerung der Begrifflichkeiten nicht eindämmen können. Gleichwohl halte ich es für ein sehr hilfreiches gedankliches Konstrukt. Denn es ermöglicht nicht nur eine erste Orientierung in diesem unübersichtlichen Bereich, sondern es eignet sich in seiner Flexibilität auch als ein heuristisches Instrument, um Programme, Kurse oder einzelne Unterrichtsstunden zu charakterisieren. So lässt sich vor dieser Folie erklären, weshalb sich die Zuordnung des hier untersuchten Kurses zu einem der eingangs genannten Begriffe so problematisch gestaltet: das sich über vier Studienjahre erstreckende Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Keio Universität Tokio deckt ein relativ breites Spektrum des Kontinuums ab. Mit dem Übergang von einer Niveaustufe in die nächste verschiebt sich zugleich der Schwerpunkt kontinuierlich von einem eher fremdsprachendidaktisch angelegten Angebot hin zu einem fachlich orientierten. Dabei kann aber auch die Position der einzelnen Kurse durchaus variieren, wie ich weiter unten am Beispiel des Grundstufenunterrichts aufzeigen werde. Angesichts dieser Unbestimmtheit haben wir uns dafür entschieden, den Gegenstand dieser Studie sehr allgemein als fach- und sprachintegrierten Unterricht zu bezeichnen. Aber auch CLIL – als ein Oberbegriff verstanden und nicht als Synonym für bilingualen Unterricht (Coyle 2007:545) – halten wir für eine geeignetes Label, um dieses Projekt in der derzeitigen Fachdiskussion zu verorten.

Solche Bemühungen um begriffliche Klärung sind natürlich nur dann ergiebig, wenn sie in einem nächsten Schritt dazu führen, die Ebene der konkreten Gestaltung von Unterricht zu thematisieren. Bevor ich mich eingehend dieser Aufgabe zuwende, möchte ich jedoch zurückblicken auf die Ursachen des gewachsenen Bewusstseins für die inhaltliche Dimension des Fremdsprachenunterrichts.

2.4.2 Inhaltliche Relevanz

Eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen sach- und fachintegrierter Lehr- und Lernprozesse setzte erst in den 1980er und 1990er Jahren ein1. Im Hinblick auf das Schulsystem in europäischen Ländern waren dafür die länderübergreifenden sprachenpolitischen Initiativen ein ausschlaggebender Faktor. Ein weiterer wichtiger Impuls für diese Entwicklung ging jedoch auch von den Problemen aus, die sich in der Praxis des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts abzeichneten. Gemeint ist hier vor allem die Tendenz, die Auswahl und die Gestaltung von Texten und Aktivitäten vorrangig an sprachlichen Lernzielen bzw. der Förderung einzelner sprachlicher Fertigkeiten zu orientieren und damit die Inhalte zu vernachlässigen oder sogar zu trivialisieren (vgl. Legutke/Thomas 1991:15; Pennycook 1990:13).

Die Folgen lassen sich bis heute an vielen Lehrwerken ablesen, die oft ein buntes Sammelsurium an mehr oder weniger beziehungslos aneinandergereihten und eher oberflächlich aufbereiteten Themen enthalten2. Auf diese Weise erhöhen sich zwar die Chancen, ein breites Spektrum an Interessen der Lernenden abzudecken, doch der inhaltliche Tiefgang leidet. Beispielsweise wird das Potenzial, das jeder Gegenstand bietet, um die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven anzustoßen und damit Differenzerfahrungen zu ermöglichen, tendenziell nicht ausgeschöpft. Die dezidierte Kritik an dieser Schwachstelle kommunikativ ausgerichteter Settings setzte bereits in den 1980er Jahren ein, sie wurde in der Folgezeit vor allem von Überlegungen zum literarischen und interkulturellen Lernpotenzial des Fremdsprachenunterrichts vorangetrieben (z.B. Bredella/Legutke 1985; Hunfeld 1990; Kramsch 1993) und hat bis heute nichts an Überzeugungskraft eingebüßt (vgl. Byram/Wagner 2018).

Zweifellos lassen sich – diese Kritik beiseiteschiebend – viele gute Gründe dafür finden, den Fremdsprachenunterricht auf das Training sprachlicher Fertigkeiten für den alltäglichen Gebrauch zu konzentrieren, wie es im Deutschunterricht an japanischen Universitäten überwiegend der Fall ist (vgl. JGG-Komitee 2013:32). Das bedeutet jedoch, die Möglichkeiten der kommunikativen Didaktik auf einen engen Ausschnitt zu begrenzen. Der fach- und sprachinte­grierte Ansatz ruft in Erinnerung, dass diese ihre Legitimität aus der Relevanz der Interaktion im Klassenraum gewinnt. Es geht nicht in erster Linie darum, die fremde Sprache einzuüben oder ihren Gebrauch zu imitieren. Die Lernenden sollen sie vielmehr als ein Instrument erleben, das ihnen neue Sicht- und Denkweisen erschließt, das ihnen hilft, ihr Selbstverständnis weiterzuentwickeln und das es ihnen nicht zuletzt ermöglicht, gemeinsam mit anderen zu handeln. Thematische Beliebigkeit und Belanglosigkeit tragen dazu bei, diese Basis der kommunikativen Fremdsprachendidaktik zu untergraben (vgl. auch Grenfell 2002:26; Stoller/Grabe 2017).

 

Der fach- und sprachintegrierte Ansatz stellt somit keinen Gegenentwurf zur kommunikativen Fremdsprachendidaktik dar, sondern eine ihrer Varianten. Konsequent wird die Schlüsselfunktion, die den Inhalten bei der Entwicklung fremdsprachlicher Diskursfähigkeit zukommt in den Fokus gerückt, ohne zugleich ein bestimmtes methodisches Vorgehen nahezulegen (Brinton/Snow 2017:15). Fach- und sprachintegriertes Unterrichten gründet auf der Annahme, dass Fremdsprachen in einem institutionellen Kontext gerade dann effektiv gelernt werden können, wenn sie als Werkzeug dienen, um an der Bewältigung inhaltlicher Fragestellungen zu arbeiten. Die Energiequelle des Unterrichts wird also im kognitiven Engagement der Lernenden mit den Inhalten gesehen. Es geht um die Verknüpfung von anspruchsvollen Denkprozessen mit einer auf akademisches Niveau abzielenden sprachlichen Entwicklung (Llinares/Morton 2010; Llinares et al. 2012:47). Formale Syllabi oder die isolierte Förderung einzelner fremdsprachlicher Fertigkeiten haben daher in diesem Ansatz nur am Rande Platz.

Der große Vorteil des fach- und sprachintegrierten Unterrichts wird darin gesehen, dass die Lernenden der fremden Sprache, ihren Formen und Funktionen, in vielfältigen Verwendungssituationen und Textsorten begegnen, immer eingebunden in einen thematischen Zusammenhang. Das, so die Hoffnung, führe zu nachhaltigeren Sprachlernprozessen und einem authentischeren Sprachgebrauch. Nicht zuletzt setzt man auf die motivierenden Effekte, die von einer Beschäftigung mit als relevant und herausfordernd empfundenen Inhalten ausgehen (Brinton/Snow 2017:4).

2.4.3 Empirische Erkenntnisse

Empirische Forschungen kamen in den zurückliegenden Jahren tatsächlich immer wieder zu dem Ergebnis, dass Lernende in fach- und sprachintegrierten Settings größere fremdsprachliche Lernfortschritte erreichen als Lernende in eher konventionellen kommunikativen Unterrichtsdesigns. Diese Tendenz zeigt sich etwa bei den rezeptiven Fertigkeiten und der lexikalischen Kompetenz. Auch die Diskurskompetenz entwickelt sich besser, was sich unter anderem an der Flüssigkeit und Komplexität der Äußerungen ablesen lässt, an den strategischen Fähigkeiten der Lernenden, aber auch an ihrer Selbstsicherheit beim Gebrauch der Fremdsprache (Dalton-Puffer 2011; Lasagabaster 2010; Lyster 2007:6f).

Sehr deutlich treten diese Effekte beispielsweise in der DESI-Studie zu Tage. „Die Ergebnisse der Untersuchungen zum bilingualen Sachfachunterricht Englisch in DESI belegen erstmalig in einer großen Stichprobe, dass das Konzept von bilingualem Sachfachunterricht die mit ihm verbundenen Hoffnungen umfassend erfüllt.“, wie Nold (2008:457) die Erkenntnisse zusammenfasst. Die betreffenden Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse waren hinsichtlich des sprachlichen Niveaus in Englisch ihren Altersgenossen um mindestens ein Schuljahr voraus.

Eine Garantie für das Gelingen inhaltsbasierter Unterrichtskonzepte geht mit solchen Ergebnissen natürlich nicht einher, denn sie sind immer an die besonderen lokalen Kontexte gebunden. So kann sich etwa der bilinguale Sachfachunterricht in der Sekundarstufe auch auf die Kompetenzen stützen, die zeitgleich im regulären Fremdsprachenunterricht gefördert werden bzw. sich dort zuvor herausgebildet haben. Und die positiven Resultate in Vergleichsstudien sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass sich vor allem die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler von bilingualen Zweigen angezogen fühlen (Dalton-Puffer 2011:186). Auch die positiven Effekte auf die Motivation der Lernenden in fach- und sprachintegrierten Programmen, wie sie von Lyster (2017) beschrieben werden, ergeben sich nicht unmittelbar aus der Verbindung von Fach und Sprache, sondern erfordern weitere förderliche Bedingungen. So lässt sich aus der Studie von Merino/Lasagabaster (2018) lernen, wie die motivierende Wirkung von Programmen mit ihrer Intensität zusammenhängen kann.

Zum Gesamtbild gehören somit auch die Erkenntnisse, die auf die Schwachstellen fach- und sprachintegrierter Unterrichtskonzepte hinweisen und die unter bestimmten Bedingungen ausschlaggebend für deren Erfolg – oder eben auch Misserfolg sein können. Auf einen dieser problematischen Punkte verweist die Frage, wie es Lernenden gelingt, sich eine fremde Sprache anzueignen, ohne deren Systematik zu reflektieren.

Zunächst ging man bei diesem Ansatz im Sinne der Input-Hypothese (Krashen 1981) tatsächlich davon aus, dass sich die positiven Effekte auf die fremdsprachlichen Kompetenzen gleichsam en passant einstellen würden. Empirische Befunde legen jedoch eine differenziertere Sicht auf die Rolle formaler Aspekte des Spracherwerbs nahe oder wie Lightbown (2014:129) es formuliert: „Lan­guage aquisition does not take care of itself.“ Als konkrete Beispiele wird dabei gerne auf Immersionsprogramme verwiesen, bei denen sich immer wieder herausstellte, dass für die Lernenden höhere Niveaustufen grammatischer Kompetenz kaum zu erreichen sind (vgl. Ellis/Shintani 2014:16).

Um die Lernenden auch bei der Entwicklung der formalen Korrektheit ihres Sprachgebrauchs zu unterstützen, so der momentane Forschungsstand, sollten inhaltsbasierte Unterrichtsdesigns Phasen vorsehen, in denen über sprachliche Formen und Funktionen gezielt nachgedacht wird. Und diese sind vor allem dann notwendig, wenn die Lernenden – im Unterschied zum bilingualen Sachfachunterricht an deutschen Schulen – keine begleitenden Fremdsprachenkurse besuchen. Lyster (2007/2017) plädiert daher für einen counterbalanced approach, ein Modell fach- und sprachintegrierten Unterrichts, der ausreichend Raum lässt für formale und funktionale Sprachbetrachtung. Auch wenn der Schwerpunkt auf den inhaltlichen Lernprozessen liegt, wird der Unterricht so gestaltet, dass die Aufmerksamkeit der Lernenden immer wieder darauf gelenkt wird, welche Rolle sprachlichen Strukturen bei der Realisierung von Handlungsabsichten und bei der Bedeutungskonstitution zukommt.

2.4.4 Gestaltungsprinzipien

Dieses Prinzip der Ausgewogenheit von Inhalt und Form wird auch in dem Kursangebot verfolgt, mit dem sich die vorliegende Studie befasst. Wie ich in Kap. 2.3 bereits schilderte, ist der Grundstufenunterricht Bestandteil eines umfassenderen Programms, in dem die Studierenden über vier Studienjahre hinweg fach- und sprachintegriert lernen können. Mit den voranschreitenden fremdsprachlichen Kompetenzen der Teilnehmenden verändert sich auf den verschiedenen Niveaustufen des Programms auch das Verhältnis zwischen Fachinhalten und Fremdsprache. Auf dem oben beschrieben Kontinuum wandert es gleichsam von einem eher fremdsprachlich orientierten Konzept zu einem fachbasierten. Oder um es mit den Begriffen von Dalton-Puffer (2017:154) zu beschreiben: von einer softeren Variante fach- und sprachintegrierten Unterrichts zu einer härteren.

Obwohl der Einsatz von Materialien, die sich an den Studienfächern Politik und Jura orientieren, im Laufe der letzten Jahre zu einem immer früheren Zeitpunkt erfolgte, ist der Unterricht gerade in den ersten Lernmonaten noch relativ stark von fremdsprachendidaktischen Überlegungen geprägt. Die Studierenden werden also nicht bereits in den ersten Wochen mit komplexen politischen oder juristischen Fragestellungen konfrontiert. Der Schwerpunkt liegt zunächst darauf, sich mit einer neuen Sprache und zugleich mit einer neuen Art des Fremdsprachenlernens vertraut zu machen (siehe dazu auch Kap. 2.7 und 2.8). Gleichwohl ist der Unterricht aber von Beginn an thematisch ausgerichtet und orientiert sich an den curricularen Prinzipien des Programms. Es geht also von der ersten Unterrichtsstunde an darum, neben den fremdsprachlichen Kompetenzen auch jene Kompetenzen zu fördern, die einer Hochschulbildung angemessenen sind (siehe Kap. 2.3).

Es wäre an dieser Stelle zu raumgreifend, das Konzept des gesamten Programms oder auch nur des ersten Studienjahres detailliert auszuführen. In weiteren Publikationen sind dazu umfassende Beschreibungen zu finden (Schart 2008, 2010; Schart et al. 2010; siehe auch die Projekt-Homepage). Um den Ansatz nachvollziehbar zu machen, möchte ich jedoch zumindest in groben Zügen darlegen, wie der von Lyster (2007) geforderte counterbalanced approach in unserem Fall umgesetzt wird.

Da der Unterricht auf eine Steuerung durch einen formalen oder funktionalen Syllabus verzichtet und auch das isolierte Üben einzelner sprachlicher Phänomene ausspart, stellt sich als erstes die Frage, wie die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die sprachlichen Aspekte gerichtet wird.

Sprachlicher Fokus

Die von uns praktizierten Vorgehensweisen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Da sind zum einen die ungeplanten Prozeduren, die sich spontan aus der Beschäftigung mit den Inhalten ergeben. Sie werden in der Analyse der unterrichtlichen Interaktion in Kap. 4 ausführlicher betrachtet. Zum anderen setzen wir eine Reihe von Techniken geplant ein, um Sprachlernprozesse zu unterstützten. Das zeigt sich zunächst an der Textauswahl und -gestaltung.

Die Mehrzahl der Texte wird so bearbeitet, dass die Lernenden durch Anzahl und Schwierigkeitsgrad der enthaltenen sprachlichen Strukturen nicht entmutigt werden und sich in einer überschaubaren Zeit die Inhalte erschließen können. Es werden daher eher selten Texte in ihrer Originalform verwendet. Den Einsatz authentischer Texte, die einige Autorinnen und Autoren als wesentliches Merkmal fach- und sprachintegrierten Unterrichts betrachten (z.B. Stryker/Leaver 1997), sehe ich also eher kritisch. Die Leidenschaftlichkeit, mit der zuweilen die Authentizität von Materialien eingefordert wird, ist eine – durchaus verständliche – Überreaktion auf ungelenk konstruierte Dialoge und Sachtexte, wie man sie bis heute in Lehrwerken findet (vgl. die Kritik bei Kramsch 1993:177). Ob aber ein Text in originalgetreuer oder adaptierter Form im Unterricht eingesetzt wird, ist von zweitrangiger Bedeutung. Entscheidend muss sein, ob er dabei hilft, die gewünschten Lernprozesse anzuregen. Und adaptierte Texte können diese Funktion gerade auf den unteren Niveaustufen oftmals besser erfüllen.

Long (2015:251) argumentiert in diesem Sinn, wenn er das besondere Potenzial elaborierter Texte hervorhebt. Die Bearbeitung originaler Texte muss keineswegs zu inhaltlich weniger anspruchsvollem Material führen. Es geht nicht um Vereinfachung, sondern um die Integration von Redundanzen, sprachlichen Regularitäten, Paraphrasen, Wiederholungen oder expliziten Signalen, die das Verständnis der Niveaustufe entsprechend erleichtern. „Amplify, don‘t simplify“ lautet die griffige Formel, in der Walqui/van Lier (2010:39) diesen Denkansatz fassen. Ein Text kann also durch die Bearbeitung an Komplexität gewinnen, aber für Lernende dennoch zugänglicher werden. Und gerade wenn das gelingt, kann man von einem authentischen Lerntext sprechen. Letztlich wird daher die Lehrperson erst durch die gezielten Eingriffe in das Original ihrer pädagogischen Verantwortung gerecht (van Lier 1996:128; Widdowson 1990/ 2010).

Festzuhalten bleibt, dass die Vorbereitung von Materialien, die den Lernenden die Begegnung mit realistischen Beispielen des Sprachgebrauchs ermöglichen, ohne sie zu überfordern, eine sehr anspruchsvolle, zeitaufwändige Phase bei der Konzipierung fach- und sprachintegrierten Unterrichts darstellt (siehe auch Long 2015:249).

Um das Verständnis der Lernenden für das Zusammenspiel von sprachlicher Struktur und Funktion zu unterstützen, spielen neben diesen elaborierten Texten aber auch die Aufgabenstellungen eine wichtige Rolle. Sie sind häufig so gestaltet, dass sich für ihre Bewältigung bestimmte sprachliche Formen anbieten. Die Lernenden erhalten dadurch eine Orientierung, sollen aber zugleich nie in ihrer Kreativität beim Gebrauch sprachlicher Mittel übermäßig eingeengt werden.1

 

Ein weiteres wichtiges Element der geplanten Maßnahmen für die Unterstützung des sprachlichen Lernens sind schließlich auch die von den Studierenden selbst gestalteten Reflexionsphasen, die regelmäßig stattfinden. Jeweils zwei Studierende führen Protokoll über die vier Unterrichtseinheiten einer Woche. Aus ihren Notizen zur Interaktion im Unterricht, zum Tafelbild und aus dem Lernmaterial wählen sie sich sprachliche Phänomene aus, die sie für interessant halten oder noch nicht verstanden haben. Sie untersuchen diese zunächst selbstständig, stellen sie dann auf der Lernplattform zur Diskussion und besprechen sie abschließend im Plenum mit der gesamten Lerngruppe, wobei sich die Lehrperson im Hintergrund hält und nur bei Schwierigkeiten oder Missverständnissen eingreift. Diese Reflexionsphasen werden allerdings auf Japanisch durchgeführt und sind daher kein Teil der Interaktionsdaten, die in dieser Studie analysiert werden.