Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

2.2.7 Lernprozesse als Untersuchungsgegenstand

Im Verlauf der bisherigen Darstellung habe ich bereits darauf hingewiesen, dass der Fremdsprachenunterricht – wie jede andere Form institutionalisierten Lehrens und Lernens – als ein von den Beteiligten gestalteter sozialer Prozess gedeutet werden kann und auch sollte. Die Relevanz einer solchen ökologischen Perspektive auf das Geschehen in Klassenräumen wird bereits seit den 1980er Jahren diskutiert und von Autoren wie (Block 2003), Breen (1985), Firth/Wagner (1997, 2007) Holliday/Cooke (1983), van Lier (1997), oder Tudor (2003) überzeugend dargestellt. Gleichwohl bilden empirische Studien, die sich konsequent diesem Ansatz verschreiben, nach wie vor eine Minderheit (Benson 2019:62). Das liegt vor allem an der starken Konkurrenz der psycholinguistisch orientierten Tradition, die mit ihren Themensetzungen und Vorgehensweisen die empirische Fremdsprachenforschung in den letzten Jahrzehnten dominierte. Sie lenkt das Forschungsinteresse eher auf die kognitiven Aspekte des Lernens, was wiederum mit der weit verbreiteten Vorstellung korrespondiert, dass sich Lernprozesse ausschließlich in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler abspielten.

Dieser Fokus auf das Lernen als kognitiven Vorgang hat die Fremdsprachenforschung fraglos ein großes Stück vorangebracht. So wurde das Bewusstsein für die Bedeutung empirischer Untersuchungsdesigns geschärft und die Erkenntnisse konnten auch zur Weiterentwicklung didaktischer Konzepte beitragen, beispielsweise im Bereich der Aufgabengestaltung (vgl. Ellis 2018:256f; siehe dazu auch Kap. 2.5). Zugleich beflügelt die psycholinguistisch geprägten Perspektive mit ihrem grundlegenden Konzept des generalisierbaren Lerners (vgl. die Kritik bei Benson 2019:66) aber auch unrealistische Vorstellungen von den Möglichkeiten akademischer Forschung. Sie hält die in der Fremdsprachenforschung verbreitete die Annahme am Leben, Unterricht ließe sich kontextunabhängig und mit wissenschaftlich begründeten Methoden als ein potentiell vorhersehbarer und damit detailliert planbarer Prozess konzipieren.

Weshalb die Erwartungen an eine solche „Erzeugungsdidaktik“ (Arnold/Gómez Tutor 2007:178) unerfüllt bleiben müssen, wird deutlich, wenn man sich aus ökologischer Perspektive dem Fremdsprachenunterricht nähert. Die Lernenden können dann nicht mehr nur als typische Exemplare einer umfassenderen Population oder als Probanden gesehen werden. Sie sind zugleich Individuen, die in einem jeweils besonderen kulturellen, historischen oder politisch-ökonomischen Umfeld agieren. Das lernende Subjekt wird demnach in deutlicher Abgrenzung zur kognitiv orientierten Fremdsprachenforschung gedeutet. In beiden Fällen richtet sich zwar der Blick auf einzelne Lernende, aber aus ökologischer Perspektive werden diese nicht auf ihre mentalen Vorgänge reduziert. Benson schlägt deshalb vor, diesen Unterschied begrifflich deutlich zu fassen und er grenzt lernerzentrierte Ansätze von personenzentrierten Ansätzen ab.

Ob die Fremdsprachenforschung, wie Benson (2019) weiterhin argumentiert, tatsächlich gerade einen Epochenwechsel durchlebt, bei dem erstere durch letztere verdrängt werden, sehe ich als eine Prognose, die eher von der Hoffnung getragen wird als von nüchterner Analyse. Auffällig ist jedoch, dass der von Block (2003) nachgezeichnete social turn in den zurückliegenden Jahren viel Bewegung ins Forschungsfeld gebracht hat. Unter der Bezeichnung „soziokulturelle Ansätze“ ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die zu einem besseren Verständnis des komplexen Gegenstands Fremdsprachenunterricht beiträgt.

Die soziokulturellen Ansätze finden ihre theoretische Verankerung in den entwicklungspsychologischen Arbeiten von Wygotsky und Leontjev oder in den philosophischen Schriften Bachtins zum sozialen Charakter von Sprache. Die Bedeutung dieser argumentativen Verbindungslinien wurde bereits vielfach und ausführlich beschrieben (Lantolf et al. 2015; Zuengler/Miller 2006) und soll daher an dieser Stelle nicht vertieft werden. Für die vorliegende Studie sind die soziokulturellen Ansätze vor allem deshalb so inspirierend, weil sie die Rolle der Lerngruppe als eine miteinander und voneinander lernende Gemeinschaft betonen und damit die sozialen Aspekte des Lernens und der Wissensgenerierung ins Zentrum der Betrachtung rücken. Individuelle Entwicklungen werden als das Ergebnis einer Interaktion von Individuen mit ihrer kulturell geformten Umwelt gedeutet (siehe dazu auch Sloman/Fernbach 2017:107ff). Sprache ist folglich weitaus mehr als ein Input, der Lern- oder Denkprozesse auslöst. Vielmehr muss sie als eine Ressource gesehen werden, die es den Individuen ermöglicht, aktiv an einer Gruppe teilzuhaben. Mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht ergibt sich daraus die Konsequenz, dass sich das Erlernen der Fremdsprache und ihre Verwendung nicht trennscharf voneinander scheiden lassen: „Learning is about mediated participation”, wie Lantolf/Pavlenko (2001:148) es beschreiben. Und auch bei Freeman (2016:36) findet sich dieser Gedanke:

“The conventional view that content is language with a social dimension needs to be recast. In the language classroom, the content is social processes, which have a language dimension. The social processes are fundamental to the classroom as a classroom; the new language fits into that ecology.”

Wichtig bei diesem Forschungsansatz ist, dass die Lernenden weder als „informationsverarbeitende Maschinen“1 noch als „defizitäre Versionen eines idealisierten, monolingualen Experten in Linguistik“2 gesehen werden. Sie sind aktiv und gemeinsam mit anderen an der Konstruktion von Wissen beteiligt. Das Ziel der Forschung besteht deshalb auch nicht darin, universelle Regeln des Fremdsprachenerwerbs zu formulieren, sondern die Bedingungen zu verstehen, die in einem konkreten Kontext das Lernen beeinflussen.

Vor dem Hintergrund der weiter oben erwähnten kognitiv geprägten Traditionen in der Forschung und auch in der schulischen Praxis muss die Vorstellung natürlich zunächst befremdlich wirken, das Lernen könne sich gleichsam zwischen den an einem Unterricht beteiligten Personen vollziehen, in ihrer Interaktion, dem gemeinsamen Ringen um Verstehen und dem Suchen nach Erklärungen und Lösungen. Und so ist die soziokulturelle Sicht bis heute weit davon entfernt als ein gleichwertiges Pendant zur kognitiven Perspektive anerkannt zu werden. Das mag auch an den Konsequenzen liegen, die sich aus ihr zwangsläufig ergeben. Unterricht müsste folgerichtig als eine „Ermöglichungsdidaktik“ (Arnold/Gómez Tutor 2007:178) gedacht werden, eine Abkehr von kleinschrittiger, eng führender Planung hin zum Schaffen von vielfältigen Lerngelegenheiten und Herausforderungen.3 Und Forschung müsste sich mehr auf den Facettenreichtum lokaler Kontexte einlassen, der Versuchung widerstehen, Komplexität vorschnell zu reduzieren und vor allem die Scheu vor idiosynkratischen Erkenntnissen überwinden.

Wer sich als Forscherin oder Forscher intensiv den Lernprozessen in einer einzelnen Lerngruppe widmet und dabei beispielsweise die Herausbildung eines Beziehungsgeflechts detailliert nachvollzieht, kommt sicher nicht zu Erkenntnissen, die sich ohne weiteres auf das gesamte Bildungssystem übertragen lassen, nicht einmal Aussagen über das Geschehen in der Parallelklasse sind wahrscheinlich. Und dennoch bringen sie die Forschung voran, denn sie machen greifbar, was es konkret bedeutet, wenn wir von der Vielfalt der Einflussfaktoren auf Lehr- und Lernprozesse in Institutionen sprechen.

Annahmen allgemeinerer Art lassen sich überhaupt erst dann treffen, wenn wir tiefere Einsichten in dieses komplexe Gebilde aus individuellen Entscheidungen, Kontextbedingungen, persönlichen Charakteristika und Unterrichtsaktivitäten sowie deren Zusammenspiel mit Einflussgrößen wie persönlicher Erfahrung, Motivation, Inspiration oder Konventionen erlangen. Die Güte einer solchen Studie lässt sich also nicht an der externen Validität der Ergebnisse festmachen. Sie zeigt sich vielmehr darin, ob es gelingt, deren Zustandekommen nachvollziehbar darzustellen und sie verständlich zu beschreiben. Das schafft die Voraussetzung für die Transferabilität (Lincoln/Guba 2009:40)4 von Erkenntnissen. Larsen-Freeman (2018) fordert daher in ihrem Ausblick auf künftige Fremdsprachenforschung zurecht mehr Arbeiten, die der Tendenz zur Reduktion von Komplexität widerstehen und sich stattdessen darauf einlassen, die Lehr- und Lernprozesse in einem konkreten Kontext ganzheitlich zu erfassen.

2.2.8 Überblick zum Forschungsprojekt

Wenn im vorangegangenen Abschnitt der Schwerpunkt auf den soziokulturellen Ansatz gelegt wurde, so lässt sich das zum einen mit seiner randständigen Position innerhalb der empirischen Fremdsprachenforschung begründen, die eine ausführlichere Darstellung notwendig erscheinen lässt. Vor allem ergibt sich diese besondere Aufmerksamkeit aber aus der zentralen Bedeutung der soziokulturellen Perspektive für das vorliegende Forschungsprojekt.

Abb. 2.1 veranschaulicht, welche Schwerpunkte die vier Teilstudien bei der Datenanalyse wählen. Den oben beschriebenen Prämissen des soziokulturellen Ansatzes folgen dabei drei der Teilprojekte. Dass die kognitive Perspektive nur bei der Untersuchung zur Lernersprache in Kap. 6 im Zentrum steht, soll jedoch ihren Wert nicht schmälern. Erst die Integration auch dieser Perspektive verleiht der Gesamtstudie ihren Charakter als ein multiperspektivisches Forschungsprojekt.

Dieses Kapitel stellte dar, wie mehrere forschungsmethodische Grenzgänge in ein Konzept für das Gesamtprojekt mündeten. Fragen zur Forschungsmethodologie, insbesondere zum Rollenverständnis und zu den Gütekriterien, kamen dabei bereits mehrfach zur Sprache. Weitere, die Anlage der einzelnen Teilstudien betreffende Aspekte werden in den entsprechenden Kapiteln ausgeführt. Zuvor möchte ich jedoch das unterrichtliche Umfeld ins Blickfeld rücken, denn auch dort zeichnet sich eine Reihe von Grenzgängen ab, deren Darstellung für das Verständnis der vorliegenden Studie von ausschlaggebender Bedeutung ist.

 

Abb. 2.1:

Überblick über das gesamte Forschungsprojekt

2.3 Forschungskontext
2.3.1 Genese des Programms

Alle empirischen Daten, die in diese Studie eingeflossen sind, entstammen dem Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio und damit einem Studienangebot, das seine Legitimität und sein Selbstverständnis aus einer Grenzüberschreitung ableitet. Denn als es die verantwortlichen Programmgestalter in den frühen 1990er Jahren entwarfen, ließen sie sich vor allem von der Idee leiten, einen Lernort zu schaffen, an dem akademische Disziplinen in bislang ungewohnter Weise verknüpft werden (vgl. Sambe 1996). Um die innovative Kraft dieses Konzepts zu verstehen, ist es hilfreich, einen kurzen Blick auf die Rolle der Deutschausbildung im japanischen Universitätssystem zu werfen.

Die Möglichkeit, im Rahmen des Bildungssystems eine zweite Fremdsprache zu erlernen, eröffnet sich vielen jungen Japanerinnen und Japanern erst dann, wenn sie mit einem Hochschulstudium beginnen. Und so finden mehr als 93 Prozent des Deutschunterrichts in Japan an den Hochschulen statt (JGG-Komitee 2013:19)1, entweder in Sprachenzentren oder in speziellen Fremdsprachenprogrammen der einzelnen Fakultäten. In beiden Fällen wird Deutsch jedoch von Lehrenden unterrichtet, die sich eigentlich als Germanisten verstehen (vgl. Schart/Ohta 2018). Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Konzeption der Curricula bzw. die Gestaltung des Unterrichts, denn die Lehrenden legen ihren Schwerpunkt auf die Vermittlung systematischen Sprachwissens oder sie wählen für ihre Veranstaltungen im Rahmen der Deutschausbildung literatur- und kulturwissenschaftliche Themen, und das ganz unabhängig davon, welchem Fachbereich die Studierenden angehören. Der Deutschunterricht wird also im Sinne eines Studium Generale als Teil der Allgemeinbildung betrachtet, die gerade in den ersten beiden Studienjahren an japanischen Universitäten eine bedeutsame Stellung einnimmt.

Das Konzept für ein neu zu errichtendes Intensivprogramm an der Juristischen Fakultät der Keio Universität brach Anfang der 1990er Jahre mit dieser Tradition und griff stattdessen eine nahe liegende Idee auf: Man wollte den Studierenden Lernräume bieten, in denen sie sich mit Themen auseinandersetzen können, die ihnen auch in ihrem Hauptfach – Jura oder Politikwissenschaft – begegneten. Nur sollte das im Medium der Fremdsprache Deutsch geschehen und aus der Perspektive des deutschsprachigen Raumes. Man setzte also auf die Synergieeffekte, die sich aus der Verbindung von fremdsprachlichen und inhaltlichen Lernprozessen ergeben, wobei dieses Konzept in den ersten Jahren seiner Umsetzung jedoch kaum mit unterrichtsmethodischen Überlegungen unterfüttert wurde. Auch die sich zeitlich parallel vollziehenden Entwicklungen in der Fremdsprachendidaktik wie etwa aufgaben- oder inhaltsbasierte Ansätze (siehe Kap.2.4 und 2.5) blieben unberücksichtigt. Und nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass in der Phase der Aufbauarbeit die Ressourcen fehlten, um die Lehr- und Lernprozesse systematisch zu untersuchen. Es konnte daher über mehrere Jahre hinweg nicht aufgezeigt werden, inwieweit sich das Innovative des Programms über die gefühlte und erhoffte Evidenz hinaus zugleich auch in Erfolgen niederschlägt. Das änderte sich im zweiten und dritten Jahrzehnt seines Bestehens mit einer Reihe von empirischen Studien, auf die ich weiter unten noch eingehen werde und deren Kulminationspunkt die vorliegende Arbeit bildet.

2.3.2 Programmstruktur

Am Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio können Studierende der Fachbereiche Jura und Politikwissenschaft über die gesamte Dauer ihres vierjährigen Bachelor-Studiums hinweg teilnehmen. Die meisten Lernenden beginnen das Programm ohne Vorkenntnisse der deutschen Sprache und sie belegen im Normalfall vier Semesterwochenstunden (à 90 Minuten). Die besonderen Merkmale dieses Studienangebots ergeben sich demnach aus seiner Intensität, der Kontinuität und der bereits erwähnten Verknüpfung von fremdsprachlichem und fachlichem Lernen.

Allerdings weist das Programm keine einheitliche Struktur auf. Die Gründe dafür liegen in den Entwicklungsprozessen, die dieses Studienangebot in den 25 Jahren seines Bestehens durchlaufen hat. Personelle Veränderungen haben in der Gestaltung ebenso ihre Spuren hinterlassen wie die Erkenntnisse aus Evaluationen oder Impulse aus der fremdsprachdidaktischen Forschung. Zum Verständnis der Ergebnisse in diesem Band ist es nicht notwendig, alle Modifikationen nachzuzeichnen, die die ursprüngliche Konzeption des Programms erfahren hat. Eine für dieses Forschungsprojekt entscheidende Tendenz des letzten Jahrzehnts muss ich jedoch hervorheben, denn sie bildet den Ansatzpunkt für die vorliegende Studie.

In den 1990er Jahren gingen die verantwortlichen Programmgestalter noch davon aus, dass die Integration von Fach und Sprache erst auf der Grundlage solider fremdsprachlicher Kompetenzen möglich und sinnvoll sei. Sie blieb daher vor allem den Kursen für die Studierenden des 3. und 4. Studienjahres vorbehalten. Als Folge einer umfassenden Evaluation des Programms und mehrerer empirischer Unterrichtsstudien (siehe dazu Kap. 2.8) wurde dieser Ansatz jedoch zumindest teilweise revidiert. Inzwischen arbeitet ein Großteil der Kurse im 2. Studienjahr themenbasiert. Für dieses Forschungsprojekt ist jedoch entscheidend, dass auch eine der beiden Grundstufenkurse seit mehreren Jahren auf eine möglichst frühzeitige Integration fachlicher Aspekte in den fremdsprachlichen Lernprozess zielt. Und die Frage, was diese Veränderung des Programms für die Lernenden und auch die Lehrenden bedeutet, bildet den Rahmen für die vier Teilprojekte dieser Studie.

Abb. 2.2 bietet einen Überblick über die derzeitige Struktur des Programms. Ins Auge fällt dabei unter anderem der unterschiedliche Charakter der beiden Grundstufenkurse GA und GB. Hinter der abweichenden Verteilung der Lernzeit auf die beiden Lehrenden verbirgt sich eine grundlegend andere Idee von Fremdsprachenunterricht. Während im Grundstufenkurs GA der Schwerpunkt des Unterrichts darauf liegt, den Studierenden systematisches Wissen über die Funktionsprinzipien und Strukturen der deutschen Sprache zu vermitteln, arbeitet der Grundstufenkurs GB konsequent fach- und sprachintegriert (siehe dazu Kap. 2.4 – 2.6). An den beiden Kursen lässt sich studieren, wie sich bestimmte Vorstellungen über die Natur von Sprache und fremdsprachlichen Lernprozessen in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts niederschlagen (vgl. Kap. 2.2.7): Während der Kurs GA eher ein Beispiel für eine kognitive Herangehensweise darstellt, werden im Kurs B die soziokulturellen Aspekte des Unterrichts betont.

Diese Gegensätze erzeugen zwangsläufig ein Spannungsfeld, das sich bislang für die Weiterentwicklung des Intensivprogramms als äußerst produktiv erwiesen hat. Es regt dazu an, Routinen und vermeintliche Gewissheiten über angemessene Wege des Lehrens und Lernens beständig zu hinterfragen, es belebt die didaktischen Diskussionen innerhalb des Programms und nicht zuletzt kristallisieren sich immer wieder neue Fragestellungen heraus, an denen empirische Forschungsprojekte ihren Ausgang nehmen. Diese Studie ist dafür nur eines von vielen Beispielen aus den vergangenen 15 Jahren.

Abb. 2.2 verdeutlicht, wie vielfältig die Fragen sind, die sich aus der Struktur des Intensivprogramms ergeben: Welche Lernwege nehmen beispielsweise Studierende, die über die verschiedenen Zugangswege in das Programm gelangten? Was motiviert Teilnehmende, das Programm über vier Jahre hinweg zu durchlaufen und welche Gründe führen zu vorzeitigen Abbrüchen? Was zeichnet die Lehr- und Lernprozesse in einzelnen Kursen aus und welche niveaustufenübergreifenden Merkmale prägen das Programm? Diese Aufzählung ließe sich noch durch zahlreiche weitere Fragen ergänzen und es liegt auf der Hand, dass wir für diese Studie eine Auswahl treffen mussten. Wir werden unseren Fokus daher auf das Geschehen im Grundstufenkurs GB richten und dessen Einbindung in das Gesamtprogramm nur dann thematisieren, wenn es zu einem besseren Verständnis der Datenanalyse sowie der Interpretation der Ergebnisse beiträgt.

Abb. 2.2:

Struktur des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio (L1=Japanisch, L2=Deutsch)

2.3.3 Curriculum

Diese Studie untersucht einen Grundstufenkurs, in dem der Schwerpunkt auf der Integration von fremdsprachlichem und fachlichem Lernen liegt, in dem die Studierenden sich mit herausfordernden Aufgaben auseinandersetzen und zu kollaborativem Lernen ermutigt werden sollen. Bevor ich ausführlicher auf dieses Konzept eingehen kann, möchte ich zunächst darstellen, wie es sich zu den Bildungszielen jener Institution verhält, in die das Intensivprogramm für Deutschlandstudien eingebettet ist.

Die Juristische Fakultät der Keio Universität fasst ihren Bildungsauftrag in wenigen Sätzen zusammen1. Es handelt sich um Formulierungen, die zunächst einmal wenig überraschend wirken, weil sie einem allgemeinen Anspruch an universitäre Bildung in demokratisch gefassten Gesellschaften entsprechen: So sollen die Studierenden im unabhängigen, kreativen und kritisch Denken geschult werden. Die Veranstaltungen in der Juristischen Fakultät sollen ihnen dabei helfen, Selbstwertgefühl, Verantwortungsgefühl, Kooperationsbereitschaft und Führungsqualitäten zu entwickeln. Vor allem sieht die Fakultät ein wichtiges Ziel darin, die Fähigkeit herauszubilden, gesellschaftliche Prozesse aus fachlicher Perspektive analysieren und bewerten zu können. Und nicht zuletzt geht es ihr darum, jungen Menschen internationale Perspektiven zu öffnen, weshalb die fremdsprachlichen Anteile im Studienprogramm auch einen maßgeblichen Raum einnehmen.

Auf welche Weise diese Bildungsziele in der Gestaltung von Lehrveranstaltungen einfließen, bleibt allerdings offen und damit der Interpretation der Lehrenden überlassen. Das Intensivprogramm für Deutschlandstudien ging daher einen Schritt weiter und fächerte die curricularen Zielsetzungen der Fakultät in einzelne Kompetenzbereiche auf. Diese sollen in den Kursen auf allen Niveaustufen berücksichtig werden (siehe Sambe 1996; Schart 2010). Die folgende Aufzählung fasst diese Überlegungen zusammen.

 Fremdsprachliche Kompetenzen in allen vier Fertigkeiten (z.B. kontext­angemessene, kommunikative Kompetenz in Wort und Schrift)

 Fachkompetenz/ politische Bildung (z.B. fachspezifisches Beschreiben, Erklären und Analysieren von Ereignissen, Prozessen und Strukturen)

 Studienkompetenz (z.B. Informationen finden, bewerten, verarbeiten und darstellen; kritisches Denken und Problemlösefähigkeiten)

 Methodenkompetenz (z.B. Lern- und Arbeitstechniken; Präsentationstechniken)

 Interkulturelle Kompetenz (z.B. Mediationskompetenz und Diskurskompetenz im Austausch zwischen Japan und Deutschland)

 Selbstkompetenz (z.B. Kreativität, Initiative, Ausdauer, Selbstwertgefühl)

 Sozialkompetenz (z.B. Teamfähigkeit, Konflikt- und Kritikfähigkeit)

Auch aus dieser etwas detaillierteren Auflistung von sprachlichen, fachlichen und generischen Kompetenzen lässt sich noch nicht unmittelbar auf einzelne methodische Arrangements schließen. Der damit umrissene curriculare Rahmen ist beispielsweise weit genug, um dem oben beschriebenen Spannungsverhältnis zwischen einem kognitiven und einem soziokulturell orientierten Zugang zu Sprache und Fremdsprachenlernen Raum zu geben. Zugleich schließt er jedoch eine Reihe von in Japan weit verbreiteten Unterrichtskonzeptionen für den Deutschunterricht aus, etwa eine Konzentration auf alltagssprachliche oder touristische Themen oder eine Beschränkung auf das kontextlose Erlernen von fremdsprachlichen Strukturen.

Offen legt dieser curriculare Rahmen aber zugleich, wie hoch die Anschlussfähigkeit einerseits zu Konzeptionen fach- und sprachintegrierten Fremdsprachenlernens ist (vgl. Bonnet/Breidbach 2013; Coyle et al. 2010:27), andererseits zu aufgabenbasierten Arrangements (Ellis 2018; Long 2015, 2016). Diese Verbindungslinien nachzeichnend möchte ich in den folgenden Abschnitten schrittweise das Konzept des hier untersuchten Grundstufenkurses herausarbeiten.