Verfassungsprozessrecht

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|9|B. Gerichtsverfassung
I. Grundgesetzliche Anforderungen

27Die Gerichtsverfassung, d.h. der Aufbau und die Organisation des BVerfG, ist im Grundgesetz nicht abschließend geregelt. Es enthält nur einige diesbezügliche Grundsätze, deren Ausführung im Einzelnen es dem Bundesgesetzgeber überlässt (auch → Rn. 2f.). Als für diese Gesetzgebung verbindliche verfassungsrechtliche Vorgaben sind insbesondere die folgenden zu erwähnen:

 Art. 92 GG schreibt im Zusammenhang seiner beiden Halbsätze vor, dass das BVerfG mit Richtern besetzt sein muss, weil seine Tätigkeit zu der den Richtern anvertrauten rechtsprechenden Gewalt zählt.

 Art. 94 Abs. 1 Satz 1 GG schreibt vor, dass dem Gericht Bundesrichter und andere Mitglieder angehören sollen; nachdem sämtliche Mitglieder des BVerfG nach Art. 92 GG Richter zu sein haben, ist dies dahingehend zu verstehen, dass ein Teil der Mitglieder dieses Organs schon zum Zeitpunkt der Bestellung zu den Bundesrichtern, d.h. den Richtern an den anderen Bundesgerichten (Art. 95, 96 GG), gehört haben muss.

 Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG legt zum einen fest, dass die Mitglieder des BVerfG durch Wahl bestellt werden müssen; zum anderen wird für die Wahl im Sinne der bundesstaatlichen Parität bei der Besetzung dieses Organs vorgeschrieben, dass der Bundestag und der Bundesrat (als Mitwirkungsorgan der Länder) je die Hälfte der Mitglieder des BVerfG zu wählen haben.

 Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG enthält eine Vorschrift über die sog. Inkompatibilität (Unvereinbarkeit) der Stellung als Mitglied des BVerfG mit anderen Funktionen; namentlich dürfen die Mitglieder des BVerfG weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes (also insbesondere: dem Landesparlament bzw. der Landesregierung) angehören.

28Im Übrigen erteilt Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG dem Bundesgesetzgeber den ausdrücklichen Auftrag, insbesondere die Verfassung des BVerfG zu regeln.

|10|II. Gesetzliche Ausformung der Gerichtsverfassung
1. BVerfG als Ganzes

29Das BVerfG als Ganzes wird in seiner verfassungsrechtlich vorgezeichneten Rechtsstellung in § 1 Abs. 1 BVerfGG als ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes beschrieben. Das Gesetz bestätigt damit die aufgrund der verfassungsrechtlichen Befugnisse anzunehmende Qualität des BVerfG als Verfassungsorgan und unterstreicht zugleich seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit, die dem gerade wegen seiner weitreichenden Kompetenzen hier besonders bedeutsamen Grundsatz der Gewaltenteilung Rechnung trägt. § 1 Abs. 2 BVerfGG, der Karlsruhe zum Sitz des BVerfG bestimmt, kann im Sinne einer auch räumlichen Bekräftigung dieser Selbständigkeit verstanden werden. § 1 Abs. 3 BVerfGG erkennt nachträglich die Geschäftsordnungsautonomie an, die das BVerfG schon vorher aufgrund seiner Stellung als Verfassungsorgan in Anspruch genommen hatte (auch → Rn. 8).

2. Zwei Senate

30Nach § 2 Abs. 1 BVerfGG besteht das BVerfG aus zwei Senaten. Wegen dieser Aufgliederung wird es gelegentlich auch als „Zwillingsgericht“ bezeichnet. Die Untergliederung in zwei Senate erlaubt es, die Arbeitsbelastung des Gerichts auf mehrere Schultern zu verteilen, ohne die Zahl der Richter in einem einzelnen Spruchkörper untunlich zu erhöhen. Andererseits begründet die Aufteilung in zwei Senate die Notwendigkeit, Aufgaben und Tätigkeit der beiden Senate zu koordinieren.

31In erster Linie geschieht dies durch die Aufteilung der Zuständigkeiten auf die beiden Senate, die in § 14 BVerfGG eine detaillierte, gleichwohl noch nicht abschließende Regelung gefunden hat. Dabei ist die grundsätzliche Aufgabenteilung in der Weise vorgenommen, dass der Erste Senat über Grundrechtsfragen entscheidet, während der Zweite Senat für das organisatorische Verfassungsrecht einschließlich des Wahlrechts zuständig ist. Diese Grundkonzeption der Zuständigkeitsverteilung ist in der Wirklichkeit undurchführbar geworden, weil vor allem durch die sehr hohe Zahl von Verfassungsbeschwerden die grundrechtsbezogenen Verfahren eine weitaus größere Arbeitsbelastung für das Gericht bedeuten als die zum Staatsorganisationsrecht. Diesem Umstand trägt § 14 Abs. 4 BVerfGG dadurch Rechnung, dass das Plenum des BVerfG (→ Rn. 40ff.) ermächtigt wird, die Zuständigkeit der Senate abweichend von den gesetzlichen Grundsätzen zu regeln, wenn dies infolge einer nicht nur vorübergehenden Überlastung eines Senats unabweislich ist. Von dieser Ermächtigung ist seit langem in der Weise Gebrauch gemacht worden, dass dem Zweiten Senat bestimmte Teile der Aufgaben des Ersten Senats übertragen worden sind. Die jedenfalls heute doch recht komplizierte Aufgabenverteilung bringt Abgrenzungsprobleme mit sich, für die § 14 Abs. 5 BVerfGG Vorsorge trifft. Danach entscheidet, wenn zweifelhaft ist, welcher Senat für ein Verfahren zuständig ist, darüber ein besonderer, aus beiden Senaten paritätisch besetzter Ausschuss. Für |11|den Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Senaten über Rechtsfragen ist die Entscheidung durch das Plenum vorgesehen (→ Rn. 41ff.).

32Die beiden Senate sind die Spruchkörper, die – mit wenigen Ausnahmen – alle dem BVerfG übertragenen Entscheidungen zu treffen haben. Sie sind damit die zentral bedeutsamen Untergliederungen des Gerichts. Die Zusammensetzung der Senate ist in § 2 Abs. 2 und 3 BVerfGG geregelt. Danach besteht jeder Senat aus acht Richtern, von denen jeweils drei aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes (Art. 95 Abs. 1 GG) gewählt sein müssen. Um die anteilige Berücksichtigung des spezifisch richterlichen Elements, das den Art. 94 Abs. 1 Satz 1 GG ausformt, auch der Sache nach gegen denkbare Umgehungen zu sichern, sieht § 2 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG vor, dass diese Richter wenigstens drei Jahre an einem obersten Gerichtshof des Bundes tätig gewesen sein sollen.

33Den Vorsitz führen in ihrem jeweiligen Senat der Präsident des BVerfG und der Vizepräsident (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Sie werden in dieser Funktion von dem dienstältesten bzw. lebensältesten Richter des Senats vertreten.

34Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kann ein Senat Beschlüsse nur fassen, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Bei fehlender Beschlussfähigkeit werden in Verfahren von besonderer Dringlichkeit so viele Richter des anderen Senats durch das Los als Vertreter bestimmt, dass die Beschlussfähigkeit erreicht wird.

35Entscheidungen des Senats werden nach § 15 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG grundsätzlich mit der Mehrheit der an der Entscheidung mitwirkenden Mitglieder des Senats getroffen. Von dieser Grundregel formuliert das Gesetz zwei Ausnahmen. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG können in den strafprozessähnlichen Verfahren gemäß § 13 Nr. 1, 2, 4 und 9 BVerfGG dem Antragsgegner nachteilige Entscheidungen nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der acht Mitglieder des Senats, d.h. von mindestens sechs Senatsmitgliedern, getroffen werden.

Beispiel: Aus diesem Grunde ist die Einstellung des Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD durch den Zweiten Senat im Jahr 2003 mit den Stimmen von nur drei seiner Mitglieder gegenüber vier gegenteiligen Voten erfolgt (BVerfGE 107, 339 [356ff.]).

36Als weitere Ausnahme von der Mehrheitsregel sieht § 15 Abs. 4 Satz 3 BVerfGG vor, dass bei Stimmengleichheit im Senat ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden kann, und zwar unabhängig davon, ob der Antrag auf die Feststellung eines solchen Verstoßes oder auf seine Verneinung gerichtet war. Für Entscheidungen mit abweichendem Inhalt bleibt es demgegenüber bei der grundsätzlichen Mehrheitsregel, so dass in diesen Fällen bei Stimmengleichheit der jeweils gestellte Antrag abgelehnt ist. Mangels klar ausgerichteter Anträge hilft dies allerdings in einigen Verfahren nicht weiter (→ Rn. 270); insoweit bleibt die Lösung problematisch.

37Eine besondere Rolle für die praktische Arbeit der Senate spielen die im Gesetz nur in einzelnen Zusammenhängen (§ 15a Abs. 2, § 23 Abs. 2, 3, § 97c Abs. 2, § 97d Abs. 1 BVerfGG) erwähnten Berichterstatter. Dabei handelt es sich um Richter, die für das jeweilige Verfahren in besonderer Weise verantwortlich sind; ihnen obliegt insbesondere die allgemeine Förderung des Verfahrens (§ 22 Abs. 3 GOBVerfG) |12|und die Vorlage eines schriftlichen Votums für die vom Senat zu treffende Entscheidung (§ 23 GOBVerfG).

3. Kammern

38Für die Erledigung der zahlreichen Vorlagebeschlüsse nach § 80 BVerfGG und vor allem der Verfassungsbeschwerden berufen die Senate jeweils für die Dauer eines Geschäftsjahres mehrere Kammern, die aus je drei Richtern bestehen und in ihrer Zusammensetzung nicht länger als drei Jahre unverändert bleiben (§ 15a Abs. 1 BVerfGG). Die Kammern entscheiden im Rahmen ihrer Befugnisse in den Verfahren, die einem ihrer Mitglieder als Berichterstatter zugeteilt sind (§ 40 Abs. 1 Satz 1 GOBVerfG) – ein Zusammenhang, der in § 15a Abs. 2 BVerfGG nur angedeutet ist.

4. Beschwerdekammer

39Zur Entscheidung über die 2011 eingeführte Verzögerungsbeschwerde (→ Rn. 630) ist nach § 97c Abs. 1 BVerfGG die Beschwerdekammer berufen, in die das Plenum zwei Richter aus jedem Senat für eine Regelamtszeit von zwei Jahren beruft.

5. Plenum

40Von den weiteren Gliederungen des BVerfG ist vor allem das Plenum von Bedeutung, in dem alle Richter des BVerfG zusammenwirken. Das Plenum ist im BVerfGG nur im Zusammenhang mit einzelnen Zuständigkeiten angesprochen; einige nähere Bestimmungen treffen die §§ 1–3 GOBVerfG. Abgesehen von der schon erwähnten Regelung der Geschäftsverteilung gemäß § 14 Abs. 4 BVerfGG (→ Rn. 31) sind dem Plenum die Entscheidungen übertragen, die das BVerfG im Zusammenhang mit der Versetzung eines dienstunfähigen Richters des BVerfG in den Ruhestand oder mit seiner Entlassung zu treffen hat (vgl. § 105 BVerfGG).

 

41Eine für den Inhalt der Judikatur des BVerfG zentrale, wenngleich in der Praxis selten relevant gewordene Entscheidungskompetenz des Plenums ergibt sich aus § 16 Abs. 1 BVerfGG. Diese Bestimmung dient dem Zweck, Divergenzen zwischen der Judikatur der beiden Senate des „Zwillingsgerichts“ zu vermeiden, positiv ausgedrückt, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung des BVerfG zu sichern. Dieses den Vorbildern anderer Prozessordnungen entsprechende Zwischenverfahren, das in §§ 48f. GOBVerfG näher ausgestaltet ist, ist dann durchzuführen, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will. Die fragliche Rechtsauffassung muss für die Entscheidungen beider Senate von tragender Bedeutung sein bzw. gewesen sein (auch → Rn. 497f.); Unterschiedlichkeiten der Rechtsprechung, die sich nur in obiter dicta, d.h. in beiläufigen Bemerkungen der Entscheidungen, finden, bleiben unberücksichtigt. Ob die Voraussetzungen für eine Vorlage gegeben sind, entscheidet allein der jeweils vorlagepflichtige Senat.

|13|Hinweis: Den Versuch des Zweiten Senats, in einem spektakulären Fall („Kind als Schaden“) den Ersten Senat zu einer Vorlage zu veranlassen (BVerfGE 96, 409ff.), hat dieser dementsprechend zurückgewiesen (BVerfGE 96, 375 [403ff.]).

42Das Plenarverfahren unterbleibt, wenn der Senat, von dessen Rechtsauffassung der andere Senat abweichen will, auf Anfrage erklärt, dass er an seiner Rechtsauffassung nicht festhält (§ 48 Abs. 2 GOBVerfG). Nach der Entscheidung des Plenums hat der Senat, der das Plenum angerufen hat, bei der Entscheidung in seinem Ausgangsverfahren die Rechtsauffassung des Plenums zu Grunde zu legen; eine erneute Anrufung des Plenums wegen derselben Rechtsfrage in späteren Verfahren ist nicht ausgeschlossen (zur vergleichbaren Divergenzvorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG → Rn. 501).

43Die wenigen einschlägigen Verfahren betrafen die Frage, wie politische Parteien vor dem BVerfG die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status geltend zu machen haben (BVerfGE 4, 27), die Auslegung des (zwischenzeitlich aufgehobenen) § 554b Abs. 1 ZPO (BVerfGE 54, 277), die Bedeutung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bei überbesetzten Spruchkörpern (BVerfGE 95, 322), das Fehlen fachgerichtlicher Abhilfemöglichkeiten bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs (BVerfGE 107, 395) und Kompetenzfragen im Zusammenhang mit dem Streitkräfteeinsatz im Inland (BVerfGE 132, 1ff.). Ferner ist hinzuweisen auf die bereits erwähnte unterbliebene Vorlage des Ersten Senats der Frage, ob es von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) verboten ist, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen (→ Rn. 41).

6. Weitere besondere Organteile des BVerfG

44Als weitere Organteile des BVerfG mit besonderen Befugnissen kennt das BVerfGG den Präsidenten des BVerfG und den Vizepräsidenten, die zu den Richtern des BVerfG zählen und verschiedenen Senaten angehören müssen. Sie werden nach Maßgabe der §§ 9, 10 BVerfGG abwechselnd vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. Wie erwähnt (→ Rn. 33), führen beide den Vorsitz in ihrem jeweiligen Senat. Darüber hinaus hat der Präsident des BVerfG die typischen Aufgaben eines Behördenleiters, zu denen insbesondere die Außenvertretung des Gerichts, die Ausübung des Hausrechts und die Leitung der Verwaltung des Gerichts gehören. Der Vizepräsident ist an erster Stelle zur Vertretung des Präsidenten berufen.

7. Richter des BVerfG

45Alle Spruchkörper und sonstigen Untergliederungen des BVerfG sind mit dessen Mitgliedern, den Richtern des BVerfG, besetzt. Die Rechtsstellung dieser Richter wird im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben (→ Rn. 3) durch Bestimmungen des BVerfGG näher ausgeformt.

|14|a) Bestellung der Richter

46Besondere Bedeutung kommt – wie entsprechend bei allen Verfassungsorganen – der Frage zu, unter welchen Voraussetzungen eine Person die Stellung eines Richters des BVerfG erlangt. Unmittelbar geschieht dies nach § 10 BVerfGG dadurch, dass der Bundespräsident die Gewählten ernennt.

47Die entscheidende Voraussetzung hierfür ist die in Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG vorgeschriebene Wahl. Die verfassungsrechtliche Vorgabe, dass die Mitglieder des BVerfG je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden sollen, setzt § 5 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG dahin um, dass die Richter jedes Senats je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Gleichzeitig muss aber die Vorgabe des § 2 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG berücksichtigt werden, wonach drei Richter jedes Senats aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes gewählt werden müssen. Da sich diese ungerade Zahl nicht gleichmäßig auf Bundestag und Bundesrat verteilen lässt, musste in § 5 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG eine recht komplizierte Regelung getroffen werden, um den angestrebten Proporz richterlicher Mitglieder und die Hälftigkeit der Wahl durch beide obersten Bundesorgane sicherzustellen.

48Die Durchführung der Wahl ist für Bundestag und Bundesrat getrennt geregelt. Dabei ist für beide Organe gleichermaßen vorgesehen, dass die Wahl mit 2/3-Mehrheit zu erfolgen hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5, § 7 BVerfGG). Das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit soll sicherstellen, dass nicht eine zufällige Mehrheit die Gelegenheit zur Besetzung der Positionen der Richter des BVerfG in politisch einseitiger Weise ausnutzt. Idealerweise würde die Notwendigkeit einer qualifizierten Mehrheit sich dahingehend auswirken, dass nur solche Personen gewählt würden, von deren optimaler Eignung für diese Aufgabe das jeweilige Wahlorgan mit großer Mehrheit überzeugt ist. Die Schwierigkeiten, insoweit zu einer einmütigen Einschätzung zu kommen, führen allerdings in der Praxis eher dazu, dass zwischen den maßgeblichen politischen Kräften Absprachen über eine Besetzung der Richterstellen nach Maßgabe eines parteipolitischen Proporzes stattfinden. Trotz dieser Probleme kann auf das qualifizierte Mehrheitserfordernis kaum verzichtet werden.

49Auch verfassungsrechtlich problematisch war die ursprünglich in § 6 BVerfGG a.F. getroffene Regelung über die Wahl der vom Bundestag zu berufenden Richter. Für diese sah § 6 Abs. 1 BVerfGG vor, dass sie „in indirekter Wahl gewählt“ werden. Dazu wählte der Bundestag gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nach den Regeln der Verhältniswahl einen Wahlausschuss für die Richter des BVerfG, der aus zwölf Mitgliedern des Bundestages besteht. Dieser Wahlausschuss nahm bis 2015 die Wahl der Richter des BVerfG vor, wozu mindestens acht der zwölf Stimmen erforderlich waren. Nach jahrzehntelangem Schweigen hat BVerfGE 131, 230 (234ff.) diese Regelung als verfassungsgemäß qualifiziert; die Begründung mit dem Umstand, dass trotz der verbreiteten Kritik keine korrigierende Verfassungsänderung erfolgt war, ist allerdings kaum überzeugend.

50Kurze Zeit nach der Senatsentscheidung hat der Gesetzgeber aufgrund eines interfraktionellen Gesetzentwurfs unter Hinweis auf die andauernde Kritik im Schrifttum das Wahlverfahren reformiert. Der neue § 6 Abs. 1 BVerfGG von 2015 |15|sieht nun die Wahl der Richter des BVerfG durch den Bundestag (im Plenum) vor; diese sei „jedenfalls verfassungspolitisch […] vorzugswürdig“ (BT-Dr. 18/2737, Begründung A.I., S. 4). Die Wahl ist ohne Aussprache mit verdeckten Stimmzetteln durchzuführen. Erforderlich ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestags. Der Wahlausschuss bleibt unverändert bestehen; die Wahl erfolgt auf seinen mit mindestens acht Stimmen zu beschließenden Vorschlag hin (§ 6 Abs. 1, 5 BVerfGG).

51§§ 7a, 8 BVerfGG treffen gewisse Vorkehrungen dafür, dass die erforderlichen Wahlen der Richter des BVerfG auch realisiert werden können, was nicht zuletzt wegen der Erfordernisse der qualifizierten Mehrheit keineswegs selbstverständlich ist. Bemerkenswert ist dabei die Regelung, dass im Falle solcher Schwierigkeiten ein Vorschlag des Plenums des BVerfG einzuholen ist, der freilich keine Einschränkung der wählbaren Personen zur Folge hat.

52Neben der Wahl bestehen nur wenige persönliche Voraussetzungen für die Bestellung zum Richter des BVerfG. Namentlich müssen die Richter das 40. Lebensjahr vollendet haben, zum Bundestag wählbar sein und ihre Bereitschaft, Mitglied des BVerfG zu werden, erklärt haben (§ 3 Abs. 1 BVerfGG). Außerdem müssen sie nach § 3 Abs. 2 BVerfGG die Befähigung zum Richteramt besitzen und dürfen nach § 4 Abs. 2 BVerfGG nicht bereits Richter des BVerfG sein oder gewesen sein.

53Hinsichtlich der Inkompatibilität mit der Zugehörigkeit zu Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und entsprechenden Landesorganen gemäß Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG (→ Rn. 27) enthält § 3 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG eine Lösung dahingehend, dass die Ernennung zum Richter des BVerfG das Ausscheiden aus solchen Organen zur Folge hat. Eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Inkompatibilität mit dem Amt des Bundespräsidenten, die sich aus Art. 55 Abs. 2 GG ergibt, enthält das BVerfGG nicht. Eine Lösung müsste hier durch Rücktritt bzw. Entlassung aus einer der beiden Stellungen gefunden werden.

Hinweis: Die Wahl eines amtierenden Bundespräsidenten zum Mitglied des BVerfG ist wenig wahrscheinlich. Demgegenüber hat sich der umgekehrte Fall bei der Wahl des Präsidenten des BVerfG Roman Herzog am 23.5.1994 zum Bundespräsidenten bereits zugetragen.

b) Beendigung des Richteramtes

54Die Beendigung des Amts eines Richters des BVerfG tritt nach § 4 Abs. 1 BVerfGG entweder durch Ablauf der zwölfjährigen Amtszeit oder durch Erreichen der Altersgrenze ein, die nach § 4 Abs. 3 BVerfGG mit der Vollendung des 68. Lebensjahres erreicht ist. Auf Antrag sind Richter unter den Voraussetzungen des § 98 Abs. 3 BVerfGG auch früher in den Ruhestand zu versetzen. Um Probleme mit der Beschlussfähigkeit bei Ausscheiden eines Richters infolge von Verzögerungen bei der Ernennung des Nachfolgers zu vermeiden, sieht § 4 Abs. 4 BVerfGG, auf den § 98 Abs. 4 BVerfGG verweist, vor, dass die ausgeschiedenen Richter ihre Amtsgeschäfte nach Ablauf der Amtszeit zunächst fortführen.

55Abgesehen von diesen regelmäßigen Fällen des Ausscheidens besteht die Möglichkeit der Entlassung eines Richter durch den Bundespräsidenten, die von dem Richter jederzeit mit bindender Wirkung beantragt werden kann (§ 12 Satz 1 und 2 BVerfGG). Zudem ist eine Entlassung mit Ermächtigung des BVerfG nach § 105 |16|Abs. 1 BVerfGG bei erheblichen Pflichtverletzungen des Richters ebenso zulässig wie eine Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit; über die Einleitung dieses Verfahrens und die Erteilung der Ermächtigung entscheidet das Plenum des BVerfG.