Im Geheimnis geborgen

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2.2 Beten – sich selbst und die Welt immer ehrlicher wahr-nehmen. Erkenntnistheorie des Gebets

»Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt« (Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus 5.6). Mit diesem Satz umreißt Ludwig Wittgenstein eine wichtige Einsicht: Was wir nicht in Worte fassen können, bleibt uns Menschen unfassbar. Wir können es nicht begreifen. Das gilt für Sprachhandlungen aller Art. Auch für das Beten. Beten als Sprechen hat eine Potenz der Welteröffnung – was treffend ins Gebet genommen wird, erschließt sich dem Betenden. Beten als Sprechen hat aber auch eine Potenz der Weltverschließung – denn wo Gebetsformulierungen der Wirklichkeit nicht angemessen sind, wo sie die eigene Lebens- und Glaubenserfahrung nicht treffen, blockieren sie den Zugang zur Wirklichkeit. Diese Welteröffnung oder Welterschließung ist dabei keine rein intellektuelle Frage, wie Anselm Grün 1979 in seinem Büchlein »Gebet und Selbsterkenntnis« betont. Vielmehr führe Erkenntnis zur Heilung. Denn einerseits zwinge und helfe das Gebet zur Selbsterkenntnis im Sinne einer kritischen Diagnose. Es zwinge zur Selbsterkenntnis, weil der Mensch nur beten könne, wenn er sich selbst ehrlich wahr-nehme; und es helfe zur Selbsterkenntnis, weil es von jeglicher Selbstbespiegelung befreie, indem es (etwa im Lesen eines Psalms) die Außenperspektive Dritter einnehmen lasse. Andererseits führe das Gebet zur Heilung, zur Therapie des Selbst – durch positive Gedanken, die Hoffnung, Zuversicht und Bestärkung wecken.

So recht Grün mit seiner Verbindung von Erkenntnis und Heilung, Diagnose und Therapie hat, so einseitig ist seine optimistische Einschätzung, das Gebet werde automatisch Erkenntnis und Heilung schenken. Diese Aussage wird man doch eher als Appell denn als Feststellung lesen müssen. Umso mehr stellt sich dann aber die Frage: Was sind die Kriterien dafür, dass das Gebet tatsächlich Welt öffnet und nicht verschließt, dass es erkennen lässt und heilt und nicht blind und krank macht?

In einer ersten groben Annäherung ließe sich vielleicht sagen: Gebet muss echter Dialog sein, Hören und Reden umfassen. Wer beim Gebet Monologe führt, wird kaum zu Erkenntnis und Heilung gelangen. Wiederum sei betont, dass dieses Hören auch dann möglich wäre, wenn es Gott nicht gäbe. Denn jedes Gebet enthält überindividuelle Elemente, die von außen kommen – Floskeln und Schlüsselbegriffe aus der eigenen religiösen Tradition; Bibelverse oder Anspielungen auf solche; auswendig gelernte Gebete; überkommene Gesten und Rituale usw. All das sind Elemente, die ein Gegenüber repräsentieren und Erfahrungen Unbeteiligter ins Spiel bringen, auf die Betende hören können. Schon psychologisch betrachtet ist damit ein Gebet potenziell mehr als ein Selbstgespräch (das nämlich, wenn es wirklich ein Selbstgespräch ist, all diese Repräsentationen der Tradition nicht oder höchstens in Spuren enthält).

Die entscheidende Aufgabe des Betenden wird es aber bleiben, diese Repräsentationen eines gemeinschaftlichen Gegenübers auch wahrzunehmen und zu verinnerlichen. Beten ermöglicht das Hinhören, erzwingt es aber nicht. Das betont Karl Rahner bereits 1949 in seiner großartigen Abhandlung über das Gebet. Beten, so Rahner, kann auch von der Selbsterkenntnis wegführen. Der Mensch kann durch Beten vor sich selbst fliehen, er kann die Tiefen seines Herzens verschütten, auch als treuer und braver Christ. Denn der äußerlich vollzogene Glaube kann eine Fassade sein, die das Eigentliche verbirgt. Gebetsfloskeln können den Blick auf die Wirklichkeit des eigenen Lebens verstellen. Eine völlige Verobjektivierung des Gebets im schematischen Absolvieren vorformulierter Gebete blockiert den Blick auf die subjektive, ureigene Lebenswirklichkeit. Ziel des Betens ist es jedoch, »den verborgenen Zustand seines Herzens wie im Spiegel an[zu]blicken« (Karl Rahner 1949, 12). Der Mensch braucht einen (objektiven) Spiegel, und der kann im überlieferten Gebetsschatz der Tradition gesehen werden. Zugleich muss er sein (subjektives) Innerstes, sein Herz vor diesem Spiegel öffnen – sonst wird er darin nichts erkennen. Rahner ruft deshalb zur steten Selbstkritik und Gewissenserforschung auf: Bin ich im Gebet wirklich bei mir und meinen innersten Regungen? Bete ich in diesem Sinne wirklich offen und ehrlich?

Auf die gegenteilige Versuchung macht Andreas Knapp (2005) aufmerksam: Wer sich im Gebet krampfhaft festhält, wer sich auf seine eigenen Probleme und Gedanken fixiert, landet entweder in egozentrischer Selbstsucht und narzisstischer Selbstübersteigerung oder in panischer Selbstflucht, tiefem Selbsthass und zerstörerischer Selbstverneinung. Beides verbaut den Weg zu einer realistischen und nüchternen Wahrnehmung der Welt und des eigenen Lebens. Den Schlüssel im Umgang mit dieser Versuchung sieht Knapp darin, sich selbst als Geheimnis anzunehmen und sich auf diese Weise loszulassen, um sich zu gewinnen (Mk 8,35). Es geht um einen Akt der Gelassenheit und der inneren Freiheit. Und dieser Akt wird leichter im Angesicht eines (vorgestellten oder realen!) Du vollzogen, dem sich der betende Mensch anvertraut, und noch leichter vor dem Du des christlichen Gottes, weil dieser in Jesus von Nazaret selbst das Geheimnis eines menschlichen Lebens angenommen hat. Ein wahrhaft befreiendes Gebet ist nach Knapp (in Orientierung an Ignatius von Loyola, EB 234, s.u. Kap. 4.3) dann ein Akt der Selbstübereignung, des liebenden Sich-Anvertrauens an das Leben. Die Liebe wird zum entscheidenden Kriterium guten Betens – jene Liebe, die der Beter empfangen hat, und jene, die er verschenkt.

Die beiden von Rahner und Knapp geschilderten Versuchungen können gut komplementär gelesen werden: Als Flucht in den Objektivismus und als Flucht in den Subjektivismus. Dabei ist die erste Versuchung, die Rahner schildert, eher die der 50er und 60er Jahre des 20. Jh. und sehr »konservativer« ChristInnen heute, die zweite Versuchung, die Knapp beschreibt, eher die des beginnenden 21. Jh. und sehr »progressiver« ChristInnen heute. Zusammengenommen plädieren beide für eine ausgewogene Balance von Objektivität und Subjektivität im Beten und vor allem für deren fruchtbare Verbindung. Denn nur so kann der Glaubende »den verborgenen Zustand seines Herzens wie im Spiegel anblicken« (Karl Rahner 1949, 12).

Von seiner ursprünglichen Intention her ist Gebet die liebende Begegnung mit der Wirklichkeit: Es ermöglicht deren Schmecken und Verkosten von innen her (»sentir y gustar internamente«, Ignatius von Loyola, EB 2), so dass uns in ihr Neues, Überraschendes aufgeht und Zukunftsperspektiven zeigt. Denn die Wirklichkeit ist für den Glaubenden das primäre Evangelium – noch vor jenem, das von Jesus von Nazaret erzählt. Beten ist rechtes Wahr-Nehmen und so gesehen ein Grundvollzug des Menschseins, eine »therapeutische Meditation« (Vincent Brümmer 1985). Und das gilt – ich wiederhole es nochmals – unabhängig davon, ob es Gott gibt oder nicht. Dass die »Technik« oder »Übung« des Betens einem Gelingen des menschlichen Lebens förderlich sein kann, kann auch ein Atheist verstehen.

3 Allerdings hält Schaeffler Austins Unterscheidung von vier Sprechaktklassen (s.u. Kap. 5.1) für nicht auf das Gebet anwendbar, weil er dieses zunächst nur als Kommunikation mit Gott versteht (Richard Schaeffler 1988, 18f). Gott aber braucht weder informiert noch motiviert werden – er ist es immer schon, denn er ist allwissend und allgütig.

3. Mit Gott reden?

Beten als Sich-Hineinstellen in das Geheimnis des anderen (Dogmatik des Gebets)

»Was weiß ich schon von dir?«, fragt der Liedermacher Reinhard Mey in einem seiner älteren Lieder (Reinhard Mey 1979, CD Keine ruhige Minute). Er kennt die Gewohnheiten, Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen seiner Frau außerordentlich genau und kann sie minutiös beschreiben – voll Liebe und Zuneigung –, und doch ist ihm bewusst, dass er nur eine leise Ahnung darüber hat, was in ihrem Innersten vorgeht und sich in ihrem Herzen abspielt. Es scheint paradox und ist doch ein Grundgesetz liebender Erkenntnis: Je mehr man mit einem anderen Menschen vertraut ist, je mehr man ihn kennt und von ihm weiß, umso klarer ist man sich auch des bleibenden, ja wachsenden Geheimnisses bewusst, das dieser Mensch in sich trägt. Liebende Erkenntnis beseitigt das Geheimnis des anderen nicht, sondern nimmt es ehrfurchtsvoll an als ein Geschenk.

Was Mey über die zwischenmenschliche Beziehung zu seiner Frau sagt, gilt auch für die Beziehung glaubender Menschen zu Gott: Sie ahnen ihn, sie spüren manche seiner »Eigenschaften«, aber sie durchschauen ihn nicht, sondern wissen, wie viel ihnen verborgen bleibt: Wenn schon der Mensch ein unauslotbares Geheimnis ist, um wie viel mehr dann Gott!

Bisher hatten wir uns der philosophisch-anthropologischen Frage gewidmet, was das Gebet über den betenden Menschen aussagt. Jetzt kommen wir zur eigentlich theologisch-dogmatischen Frage, was das Gebet über Gott sagt, von dem wir glauben, dass es ihn gibt. Und da dies eine Abhandlung christlicher Theologie ist, wird material nur das christliche Gebet untersucht – in den formalen Kategorien christlicher Theologie. Naturgemäß werden andere Religionen in ihren Theologien andere Ergebnisse präsentieren. Daher wird die Perspektive am Schluss des Kapitels religionswissenschaftlich geweitet und für den interreligiösen Dialog geöffnet. Es könnte sich zeigen, dass gerade das christliche, trinitarisch geprägte Beten beachtliche Brücken zu den Gebetserfahrungen anderer Religionen ermöglicht.

 

3.1 Das bergende Geheimnis »du« nennen (Gotteslehre)

Gott ist und bleibt ein Geheimnis, ja das Geheimnis des menschlichen Lebens und der Welt. Das soll und muss im christlichen Gebet stets deutlich werden. Er ist kein »dingfest« zu machender Gott, dem wir vorschreiben könnten, was er zu tun oder zu lassen hat oder von dem wir exakt sagen könnten, wo er in den Lauf der Welt eingegriffen und was er damit beabsichtigt und bewirkt hat. Denn täten wir das, wäre er nicht mehr Gott, sondern ein menschengemachter Götze, ein selbstgeschnitztes Bild und ein Produkt unserer Phantasie. Das Gebet wäre dann tatsächlich reine Selbstbespiegelung, pures Reden ohne zu hören.

Es gehört daher zu den größten spirituellen Herausforderungen, im Gebet dem wahren, d.h. dem geheimnisvollen Gott standzuhalten (Karl Rahner 1949, 20) und ihn nicht mit unseren Gedanken über ihn oder unseren Vorstellungen von ihm zu verwechseln (Karl Rahner 1949, 46). Es gilt, das Geheimnis Geheimnis sein zu lassen, es zu respektieren. Genau das ist die Haltung, die die spirituelle Tradition klassisch als »Ehrfurcht« beschreibt. Ehrfurcht umfasst eine Scheu, eine große Vorsicht, nicht zu weit zu gehen in der Annäherung an den Unbegreifbaren, eine Selbstzurückhaltung im Bewusstsein der Versuchung, sich Gottes bemächtigen zu wollen.

Diese Zurückhaltung fasst die Bibel im Bilderverbot zusammen (Ex 20,4; vgl. Dtn 5,8): »Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.« Wohlgemerkt geht es dabei nicht nur um das Verbot, sich von Gott ein Bild zu machen. Vielmehr wird dieselbe Ehrfurcht auch vor jedem Geschöpf gefordert – von keinem soll ein Bild gemacht werden, das das Geschöpf als Ding und als Besitz erscheinen lässt. Jedes Geschöpf birgt sein Geheimnis in sich – und das sollen wir ihm belassen und respektieren.

Nun hat das Christentum im Unterschied zu Judentum und Islam das Bilderverbot im Kontext der »Heidenmission« sehr schnell aufgegeben und diese offenere Linie gegen alle wiederkehrenden Bilderstürme der Kirchengeschichte durchgehalten. Das lässt sich durchaus rechtfertigen – man kann Bilder mit der gebotenen Scheu und Ehrfurcht vor den dargestellten Personen oder Geschöpfen behandeln. Und doch steckt im Bilderverbot des Alten Testaments die urmenschliche Erfahrung, dass Bilder zur Verdinglichung der dargestellten Individuen verführen. Wer Bilder zulässt wie das Christentum, muss also doppelt vorsichtig sein, sich nicht des Geheimnisses von Gott und seinen Geschöpfen zu bemächtigen.

»Deus semper maior« – »Gott ist immer größer« (Ignatius von Loyola) als all unsere Vorstellungen von bzw. Gedanken über ihn. Ja mehr noch: Gott ist »der ganz Andere« (Karl Barth), der Fremde und manchmal auch Unheimliche, der Erschreckende und Bedrohliche. Eine Fülle von Geschichten erzählt die Bibel, die das untermauern und belegen. Es muss also im Gebet darum gehen, seine Abgründe zu erspüren und auszuhalten – und seine Größe zu erahnen und vor ihr zu erschauern.

Es gehört zu den Erfahrungen des Gebets, dass Gott Schweigen ist (Karl Rahner 1949, 20). Er begegnet den Betenden als sich entziehender, sich verbergender, sich immer und immer weiter zurücknehmender. Und so gehört es zu den schwersten, aber auch wichtigsten Gebetserfahrungen, dass Gott manchmal in unendliche Ferne zu rücken scheint.

Ohne das eben Gesagte zu relativieren oder gar zu negieren, gilt aber im Kontext des christlichen Glaubens immer eine zweite Wahrheit – als spannungsgeladener Kontrapunkt zur ersten: Gott ist der Gegenwärtige, der »Ich-bin-da« (Ex 3,15), der sich Schenkende. Diese Selbstgabe und Selbstmitteilung Gottes hebt seine Geheimnishaftigkeit ebenso wenig auf wie die Selbstgabe eines Menschen dessen Geheimnis mindert. Im Gegenteil: Gott schenkt sich als Verborgener und wird durch den Akt des Sich-Schenkens noch mehr ein Verborgener. Die Liebe, in der Betende Gott aufnehmen, löscht das Geheimnis Gottes nicht aus, sondern respektiert und schützt es und lässt es noch größer erscheinen.

So ist Gott im christlichen Verständnis nicht nur der Fremde, Unbegreifliche, sondern zugleich und als solcher ein vertrautes Gegenüber. ChristInnen dürfen Gott mit »du« anreden (noch vorab zu der Frage in Kap. 4, wie dieses »du« recht verstanden werden kann): »Zu ihm spricht unser Herz. Was sagt es eigentlich? … Dieses Herz sagt sich selbst. Und darum kann eigentlich kein Mensch sagen, was es spricht, denn ein Herz kann man nicht in Worte umsetzen. Es sagt zu seinem Gott: Du!« (Karl Rahner 1949, 22). Das »du« ist genau besehen das wichtigste, was Betende Gott zu sagen haben. Noch vor einem Namen und einer Erzählung (s.o. Kap. 2) schafft dieses »du« eine Beziehung größtmöglicher Nähe und tiefsten Vertrauens.

Wenn der Mensch in Glaube und Gebet Gott als das nahe, bergende und liebende Geheimnis annimmt, dann begreift er ihn als Grund des Geheimnisses seiner eigenen Person. Gott wird für ihn zum »interior intimo meo« – zu dem, der »innerlicher als das Innerste« ist (Augustinus, Confessiones 3, 11). »Und er hat nicht mehr in sich selbst seinen Mittelpunkt, sondern in Gott, drüben und doch erst so ganz in sich, weil Er uns ja innerlicher ist als wir uns selbst« (Karl Rahner 1949, 22).

Wenn also Gott das nahe, liebende und sich schenkende Geheimnis ist, dann ist das Gebet die vertrauensvolle Selbstübergabe an dieses nahe, bergende Geheimnis. Es ist Ausdruck der Liebe. Es ist Hingabe.

3.2 »O Gott, komm mir zu Hilfe!« Sich das (innere) Beten schenken lassen (Gnadentheologie/Pneumatologie)

Wenn Beten ein Ausdruck der Liebe ist, dann gilt für das Beten wie für die Liebe: Man kann sie bzw. es nicht »machen«. Kein Mensch kann sich zwingen, jemand anderen zu lieben. Er kann sich zwingen, ihn gerecht zu behandeln, er kann sich ebenso zwingen, ihm Gutes zu tun. Aber Liebe ist eine innere Haltung, die keinem Willensbeschluss folgt – sie kann nur geschehen. Deswegen rechnet die christliche Spiritualität die Liebe zusammen mit Glaube und Hoffnung zu den theologischen, d.h. gottgegebenen Tugenden. Es ist Gnade, wenn ein Mensch glauben, hoffen und lieben kann. Es wird ihm geschenkt.

Ebenso ist es eine Gnade, wenn ein Mensch im Vollsinn des Wortes beten kann. Natürlich: Die Worte kann er auf Grund eines eigenen Willensentschlusses mit seinen Lippen und seiner Zunge formen. Die Knie kann er ebenfalls aus eigenem Entschluss beugen (Karl Rahner 1949, 24). Aber ob sein Herz betet, ob der Betende sich fallen lassen kann in das Du des Anderen, das hängt nicht von ihm allein ab (Karl Rahner 1949, 23). Das ist Gnade. Denn der äußere Vollzug von Formeln und Körperhaltungen ist nur eine Vorbereitung auf das innere Geschehen. Der Mensch bereitet den Weg, aber dann betet Gott in ihm. So formuliert es schon Paulus im Römerbrief (Röm 8,26f): »So nimmt sich der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein.«

Das ist eine starke Behauptung, die die christliche Gnadentheologie und Pneumatologie auf die Spitze treibt: Der Heilige Geist betet in uns (Karl Rahner 1949, 28–43). Wo Menschen sich im Gebet tatsächlich ganz loslassen und sich dem schweigenden und liebenden Geheimnis anvertrauen, da handeln sie nicht mehr selber. Da geben sie das Heft des Handelns aus der Hand und überlassen sich einem anderen: Gott in der »dritten Person«, als Heiliger Geist4. Das aktive, »diskursive« Beten geht über in ein passives, »nicht-diskursives« Beten.

Hier gelangt der menschliche Verstand an seine Grenze: Im Gebet ist Gott das Gegenüber, das Du des Betenden, und zugleich dessen eigene innerste Mitte. Glaube an den Heiligen Geist bedeutet damit glauben, dass Gott »nicht bloß als das befreiende Du in uns ist, sondern auch als jener, der auf unserer Seite steht, wenn wir zu ihm hinüberschauen und hinüberrufen …« (Karl Rahner 1949, 36). Gott selbst liebt, glaubt, hofft in uns; Gott selbst betet in uns. »Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete!« (Huub Oosterhuis 1964, »Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr«, Gotteslob Nr. 621, s.u. Kap. 8.5).

Diese Erfahrung, dass wir nicht mehr selber steuern, kontrollieren und machen, sondern uns überlassen und von außen gut und liebevoll gesteuert werden, ist genau das, was die griechische Philosophie als »Eros« bezeichnet. Eros meint hier keineswegs sexuelle Erregung (wenngleich auch in dieser die Erfahrung von Eros möglich ist!), sondern das Sich-ziehen-Lassen vom Guten und Schönen, das Sich-Vergessen und Ganz-Hingeben. Im Eros sind Raum und Zeit vergessen – nur die Gegenwart ist wahrnehmbar. Das macht Momente des Eros so großartig. Denn es ist für den Menschen inmitten all seiner Sorgen und Mühen eine wunderbare Erfahrung zu spüren: Da geschieht etwas mit mir, ich kann mich ganz fallen lassen, und es ist gut!

Der Heilige Geist ist der Eros Gottes. Wer betet, wird von ihm ergriffen und geführt. Seine Worte kommen nicht mehr aus dem Verstand, sind nicht mehr bewusst gesteuert, ja vielleicht braucht er überhaupt keine Worte mehr. Er gibt sich nur noch hin. Er wird vom Geist durchhaucht und gleichsam »beatmet«. Das hebräische Wort für den Geist Gottes heißt ruach – Hauch, Atem. Es ist weiblich und drückt damit womöglich besser die Zärtlichkeit aus, die im Angerührtwerden durch den Geist liegt. Anders als die feministische Theologie plädiere ich aber gegen die exklusive Attribuierung des Geistes als weibliches Prinzip Gottes. Gott als Heiliger Geist ist Eros und ruach, männlich und weiblich.

3.3 In Christus den »Vater« sehen (Christologie)

Das christliche Beten sagt etwas über Gott als Schöpfer (den wir meist »Vater« nennen, aber ebenso »Mutter« nennen können – vgl. Jes 49,14f; 66,13; vgl. auch die Ansprache von Johannes Paul I. am 10.9.78 beim Angelus) und über Gott als Heiligen Geist (den wir männlich Geist und weiblich ruach nennen können). Aber was sagt christliches Beten über Jesus Christus? Das ist die wohl schwierigste und komplexeste der drei Fragen. Ich möchte sie entlang der christologischen Unterscheidungen in zwei (natürlich immer miteinander verbundene) Teile gliedern:

Was sagt christliches Beten über den Menschen Jesus von Nazaret? Was sagt christliches Beten über Gott als in Jesus Christus Mensch Gewordenen bzw. über Jesus als Christus, als Gott »in Person«?

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