Verändere dein Bewusstsein

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1971 erklärte Richard Nixon den gescheiterten Psychologie-Professor Timothy Leary «zum gefährlichsten Mann in Amerika». Psychedelika nährten die Gegenkultur, und die Gegenkultur untergrub die Kampfbereitschaft der jungen Amerikaner. Die Nixon-Regierung versuchte die Gegenkultur zu schwächen, indem sie deren neurochemische Infrastruktur angriff.

War die Zerschlagung der Psychedelik-Forschung unvermeidlich? Viele der Forscher, die ich interviewt habe, meinen, sie wäre zu verhindern gewesen, wenn die Drogen nicht die vier Wände der Labore verlassen hätten – ein Ereignis, für das die meisten, ob zu Recht oder zu Unrecht, die «Mätzchen», das «Fehlverhalten» und den «Bekehrungseifer» von Timothy Leary verantwortlich machen.

Stanislav Grof glaubt, dass die Psychedelika «das dionysische Element» im Amerika der 1960er Jahre entfesselten und eine Bedrohung für die puritanischen Werte des Landes darstellten, die abgewehrt werden musste. (Er sagte mir, er glaube auch, dass das Gleiche wieder passieren könnte.) Roland Griffiths verweist darauf, dass unsere Kultur nicht die erste sei, die sich von Psychedelika bedroht fühle: R. Gordon Wasson musste die Magic Mushrooms in Mexiko deshalb wiederentdecken, weil die Spanier sie einst als gefährliche Instrumente des Heidentums betrachtet und sehr erfolgreich bekämpft hatten.

«Das zeigt, wie widerstrebend sich Kulturen den Veränderungen aussetzen, die derartige Substanzen hervorrufen können», sagte er bei unserem ersten Treffen. «Die unmittelbare mystische Erfahrung hat eine solche Macht, dass sie für bestehende hierarchische Strukturen bedrohlich sein kann.»

Mitte der siebziger Jahre waren die LSD-Versuche in Spring Grove, die zumeist vom Staat finanziert wurden, in Annapolis zu einem heißen Eisen geworden. 1975 enthüllte die Rockefeller Commission im Rahmen einer Untersuchung gegen die CIA, dass von der Agency auch in Fort Detrick in Maryland LSD-Experimente durchgeführt worden waren, und zwar als Teil eines Projekts zur Gedankenkontrolle namens MK-Ultra. (Ein internes Memo, das die Kommission veröffentlichte, legte das Ziel der Agency präzise dar: «Können wir Kontrolle über einen Menschen gewinnen, bis zu dem Punkt, dass er gegen seinen Willen und sogar in Widerspruch zu grundlegenden Naturgesetzen wie dem Selbsterhaltungstrieb unseren Anordnungen Folge leistet?»29) Es wurde aufgedeckt, dass die CIA Regierungsangestellten und Zivilisten ohne deren Wissen LSD verabreicht hatte; mindestens eine Person warums Leben gekommen. Die Nachricht, dass die Steuerzahler Marylands auch Forschung mit LSD unterstützten, blähte sich schnell zu einem Skandal auf, und der Druck, die Psychedelik-Forschung in Spring Grove einzustellen, wurde unbezwingbar.

«Ziemlich bald waren nur noch ich und zwei Sekretärinnen da», erinnert sich Richards. «Und dann war es vorbei.»

Heute staunt Roland Griffiths, der wieder an die Forschung von Spring Grove angeknüpft hat, dass die vielversprechende erste Welle der Psychedelik-Forschung aus Gründen endete, die nichts mit Wissenschaft zu tun hatten. «Am Ende dämonisierten wir diese Substanzen. Fällt Ihnen noch ein anderes Wissenschaftsgebiet ein, das für so gefährlich und verpönt gehalten wurde, dass man für Jahrzehnte jegliche Forschung einstellte? Das ist in der modernen Wissenschaft beispiellos.» Was vielleicht auch für die schiere Summe wissenschaftlicher Erkenntnisse gilt, die einfach ausgelöscht wurden.

1998 entwarfen Griffiths, Jesse und Richards eine Pilotstudie, die lose auf dem Karfreitagsexperiment beruhte. «Es war keine psychotherapeutische Studie», erklärt Richards. «Die Studie sollte ermitteln, ob Psilocybin eine transzendentale Erfahrung auslösen kann. Dass wir die Genehmigung erhielten, es gesunden Normalen zu verabreichen, haben wir dem großen Respekt vor Roland an der Hopkins University und in Washington zu verdanken.» 1999 wurde der Plan genehmigt, aber erst nachdem er fünf verschiedene Ausschüsse an der Hopkins University, bei der Arzneimittelzulassungsbehörde und bei der Drogenbehörde durchlaufen hatte. (Viele von Griffiths‘ Kollegen sahen den Antrag skeptisch, weil sie befürchteten, die Psychedelik-Forschung könnte die Bundesmittel gefährden; einer sagte mir, «im Fachbereich Psychiatrie und der größeren Einrichtung gibt es Leute, die die Arbeit infrage stellen, weil diese Wirkstoffgruppe seit den 1960er Jahren viel Ballast mit sich herumschleppt».)

«Wir vertrauten darauf, dass die Leute in all diesen Ausschüssen gute Wissenschaftler waren», erzählte mir Richards. «Und mit etwas Glück hatten vielleicht ein paar von ihnen am College Pilze ausprobiert!» Roland Griffiths wurde Projektleiter, Bill Richards klinischer Leiter, und Bob Jesse agierte weiter hinter den Kulissen.

«Ich kann mich noch lebhaft an die erste Sitzung erinnern, die ich nach der zweiundzwanzigjährigen Unterbrechung leitete», erinnerte sich Richards. Wir beide saßen im Sitzungsraum an der Hopkins University; ich auf dem Sofa, auf dem die Versuchspersonen bei ihrer Reise lagen, und Richards in dem Sessel, aus dem er seit 1999 mehr als hundert Psilocybin-Reisen angeleitet hat. Mit seinem Plüschsofa, den spirituell anmutenden Gemälden an den Wänden, der Buddha-Skulptur auf einem Beistelltisch, den Regalen, auf denen sich ein riesiger steinerner Pilz und verschiedene überkonfessionelle spirituelle Gegenstände befinden, und dem kleinen Kelch, in dem die Versuchspersonen ihre Tablette entgegennehmen, gleicht der Raum eher einem Arbeits- oder Wohnzimmer als einem Labor.

«Auf diesem Sofa, auf dem Sie sitzen, lag jemand, dem die Tränen übers Gesicht liefen, und ich dachte, wie wunderschön und bedeutungsvoll diese Erfahrung ist. Wie heilig. Wie konnte das je gesetzwidrig sein? Das ist, als würden wir gotische Kathedralen, Museen oder Sonnenuntergänge als gesetzwidrig erklären! Ich habe wirklich nicht gewusst, ob ich das noch erleben würde. Und schauen Sie, wo wir jetzt stehen: Die Arbeit an der Hopkins University läuft inzwischen seit fünfzehn Jahren – schon fünf Jahre länger als in Spring Grove.»

Von 1999 an erschienen in Wochenzeitungen der Region um Baltimore und Washington, D.C., seltsame, aber faszinierende Anzeigen unter der Überschrift: «Interesse am spirituellen Leben?»

Die universitäre Forschung mit Entheogenen (grob gesagt Gott-evozierende Substanzen wie Peyote und halluzinogene Pilze) ist zurück. Das Forschungsfeld beinhaltet Pharmakologie, Psychologie, Kreativitätsförderung und Spiritualität. Um zu prüfen, ob Sie an vertraulichen Entheogen-Forschungsprojekten teilnehmen können, rufen Sie unter der gebührenfreien Nummer 1-888-585-8870 an. www.csp.org.

Nur wenig später verabreichten Bill Richards und Mary Cosimano, eine Sozialarbeiterin und Schulberaterin, die Richards bei den Psychedelik-Sitzungen unterstützen sollte, einem Amerikaner die erste legale Dosis Psilocybin seit zweiundzwanzig Jahren. Seither hat das Hopkins-Team mehr als dreihundert Psilocybin-Sitzungen durchgeführt und arbeitet dabei in verschiedenen Gruppen, zu denen gesunde Normale, langzeitige und unerfahrene Meditierer, Krebspatienten, Raucher, die ihre Gewohnheit aufgeben wollen, und theologische Fachkräfte gehören. Ich war neugierig, von all diesen Gruppen die Probandenperspektive der Erfahrung kennenzulernen, vor allem aber die der gesunden Normalen, einerseits, weil sie Teilnehmer einer Studie waren, die sich als historisch bedeutend erweisen würde, und andererseits, weil ich dachte, sie würden, nun ja, mir am ähnlichsten sein. Wie ist es, eine behördlich genehmigte, professionell begleitete, äußerst behagliche dosisintensive Psilocybin-Erfahrung zu haben?

Doch die Versuchspersonen waren nicht genau wie ich, denn damals hätte ich nach der Überschrift «Interesse am spirituellen Leben?» wohl nicht mehr weitergelesen. In der ursprünglichen Gruppe befanden sich keine nüchternen Atheisten, und die Interviews mit fast einem Dutzend Teilnehmern legten nahe, dass viele, wenn nicht alle, mit mehr oder weniger starker spiritueller Orientierung in die Studie gingen. Da waren eine energetische Heilerin, ein Mann, der in der Eisenhans-Bewegung aktiv war, ein ehemaliger Franziskanermönch und eine Kräuterkundlerin. Außerdem ein Physiker, der sich für Zen, und ein Philosophieprofessor, der sich für Theologie interessierte. Roland Griffiths räumte ein: «Wir waren an einer spirituellen Wirkung interessiert und haben die Situation anfangs [dahingehend] beeinflusst.»

Abgesehen davon war Griffiths bei der Planung der Studie sehr bemüht, «Erwartungseffekte» zu berücksichtigen. Teilweise war das seiner Skepsis geschuldet, dass eine Droge die gleiche mystische Erfahrung auslösen könnte, wie er sie beim Meditieren hatte: «All das war für Bill die Wahrheit und für mich nur eine Hypothese. Deshalb mussten wir Bills Voreingenommenheit berücksichtigen.» Alle Probanden waren «halluzinogen-naiv», hatten also keine Ahnung, wie sich Psilocybin anfühlte, und weder sie noch ihre Beobachter wussten in den Sitzungen, ob sie Psilocybin oder ein Placebo erhielten und ob das Placebo eine Zuckerpille oder eine von sechs verschiedenen psychoaktiven Drogen war. In Wirklichkeit war das Placebo Ritalin, und wie sich herausstellte, lagen die Beobachter bei der Einschätzung, was für eine Pille ein Proband erhalten hatte, in mehr als einem Viertel der Fälle falsch.

Noch Jahre nach ihren Erfahrungen bei den Versuchen erinnerten sich die Teilnehmer, mit denen ich sprach, in allen Einzelheiten und sehr ausführlich; die Interviews dauerten Stunden. Diese Leute hatten etwas Wichtiges zu erzählen; in mehreren Fällen waren es die bedeutendsten Erfahrungen ihres Lebens, und sie genossen die Gelegenheit, alles sehr ausführlich noch einmal zu durchleben, gleichgültig ob im persönlichen Kontakt, über Skype oder am Telefon. Die Teilnehmer wurden auch kurz nach dem Versuch aufgefordert, einen Bericht über ihre Erfahrungen zu verfassen, und alle, die ich interviewte, stellten mir diese Berichte, von denen viele eine seltsame, faszinierende Lektüre waren, bereitwillig zur Verfügung.

 

Viele der Probanden berichteten von anfänglicher Angst und Sorge, bevor sie sich der Erfahrung überließen – wozu die Betreuer sie ermunterten. Die Betreuer arbeiteten dabei mit einer Liste von «Fluganweisungen», die Bill Richards auf der Grundlage von Hunderten psychedelischer Reisen, die er angeleitet hatte, vorbereitet hatte. Die Anleiter gehen diese Anweisungen mit den Versuchspersonen während der achtstündigen Vorbereitung durch, die alle Beteiligten vor Beginn der Reise erhalten.

In den Fluganweisungen wird den Anleitern empfohlen, gebetsmühlenhafte Aufforderungen zu benutzen wie «Vertraue der Flugbahn» und «Hab Vertrauen, lass los, sei offen». Manche Anleiter zitieren gern John Lennon: «Turn off your mind, relax and float downstream» [«Schalte dein Denken ab, entspann dich und lass dich treiben»].

Man sagt den Probanden, dass sie «den Tod/die Transzendenz des eigenen Ichs oder Alltags-Ichs» erleben könnten, darauf folge aber «stets die Wiedergeburt/Wiederkehr in die normative Welt von Raum und Zeit. Der sicherste Weg, in die Normalität zurückzukehren, ist, sein Ich den auftretenden Erfahrungen bedingungslos zu überlassen.» Die Anleiter sollen den Teilnehmern ins Gedächtnis rufen, dass sie nicht alleingelassen werden und sich während der Reise keine Sorgen um ihren Körper machen müssen, da die Anleiter sie im Auge behalten. Sollten sie das Gefühl haben, «zu sterben, zu zerfließen, sich aufzulösen, zu explodieren, verrückt zu werden etc. – nur zu». Die Versuchspersonen werden gefragt: «Wenn Sie eine Tür sehen, was machen Sie dann? Wenn Sie eine Treppe sehen, was machen Sie?» Die richtigen Antworten lauten natürlich «sie öffnen» und «sie hinaufsteigen».

Die sorgfältige Vorbereitung hat zur Folge, dass sich ein gewisser Erwartungseffekt wahrscheinlich nicht vermeiden lässt. Schließlich machen die Forscher ihre Probanden darauf aufmerksam, dass sie eine bedeutende Erfahrung haben könnten, die Tod und Wiedergeburt umfasst und das Potenzial für Veränderung hat. «Es wäre unverantwortlich, die Teilnehmer nicht auf diese Möglichkeit hinzuweisen», sagte Griffiths, als ich ihn fragte, ob die Versuchspersonen auf eine bestimmte Art von Erfahrung «eingestimmt» würden. Einer von ihnen – der Physiker – erzählte mir, der «Mystical Experience Questionnaire», den er nach jeder Sitzung ausfüllte, habe auch Erwartungen geweckt: «Ich sehne mich danach, etwas zu erleben wie das, worauf im Fragebogen angespielt wird», schrieb er nach einer enttäuschenden Sitzung – möglicherweise auf Placebo. «Wo alles lebendig und miteinander verbunden ist, wo man der Leere begegnet oder einer Verkörperung von Gottheiten und so was.» In dieser und manch anderer Hinsicht scheint mir die Psilocybin-Erfahrung an der Hopkins University nicht nur ein Produkt dieser wirkungsvollen Substanz zu sein, sondern auch auf der Vorbereitung und den Erwartungen des Probanden zu beruhen, auf der Qualität und Weltsicht der Betreuer, auf Bill Richards‘ Fluganweisungen, der Ausstattung des Zimmers, der begünstigt durch die Schlafmaske und die Musik nach innen gerichteten Konzentration (und der Musik selbst, die für meine Ohren größtenteils ziemlich religiös klingt) und, auch wenn sie das nicht gern hören würden, auf dem Denken der Entwickler der Experimente.

Die schiere Beeinflussbarkeit von Psychedelika ist eine ihrer bestimmenden Eigenschaften, deshalb ist es in gewissem Sinne kein Wunder, dass so viele aus der ersten Teilnehmergruppe an der Hopkins University starke mystische Erfahrungen hatten: Das Experiment wurde von drei Männern entwickelt, die an mystischen Bewusstseinszuständen äußerst interessiert waren. (Zugleich ist es kein Wunder, dass die europäischen Forscher, die ich interviewte, bei ihren Versuchspersonen nicht annähernd so viele Beispiele für mystische Erfahrung sahen wie die Amerikaner bei ihren.) Doch trotz all der Einstimmung bleibt die Tatsache, dass die Leute, die ein Placebo erhielten, keine solchen Erfahrungen hatten, wie sie mir ein Proband nach dem anderen als die wichtigste und bedeutendste seines Lebens schilderte.

Kurz nachdem die Versuchsperson ihre Pille aus dem kleinen Kelch nimmt, noch bevor sie irgendeine Wirkung verspürt, kommt gewöhnlich Roland Griffiths in den Sitzungsraum, um ihr eine gute Reise zu wünschen. Griffiths benutzt oft eine spezielle Metapher, die viele der Probanden, mit denen ich sprach, tief beeindruckt hat. «Sehen Sie sich als einen Astronauten, der ins Weltall geschossen wurde», erinnert sich Richard Boothby an seine Worte. Boothby ist Philosophieprofessor und war Anfang fünfzig, als er sich für das Experiment an der Hopkins University meldete. «Sie fliegen weit hinaus, um all das zu sehen und mit dem, worauf Sie stoßen, in Beziehung zu treten. Aber Sie können sich sicher sein, dass wir hier sind und alles im Auge behalten. Betrachten Sie uns als Bodenkontrolle. Wir haben alles im Griff.»

Für den Astronauten kann der Abschuss ins All, das Beben beim Start und die Anstrengung beim Verlassen des irdischen Gravitationsfelds schmerzlich – ja sogar beängstigend – sein. Mehrere Probanden schildern, wie sie versuchten, sich festzuklammern, als sie spürten, wie sich ihr Selbstempfinden rapide auflöste. Brian Turner, ein damals vierundvierzigjähriger Physiker, der für eine Militärfirma arbeitete (und Geheimnisträger war), formulierte es folgendermaßen:

Ich spürte, wie sich mein Körper von den Füßen her auflöste, bis alles verschwunden war außer der linken Seite meines Kinns. Das war wirklich unangenehm; es waren nur noch ein paar Zähne übrig und der untere Teil meines Kinns.

Ich wusste, wenn das verschwände, wäre ich nicht mehr da. Plötzlich fiel mir ein, dass man mir gesagt hatte, wenn ich etwas Furcht Einflößendem begegnen würde, sollte ich darauf zugehen. Also überwand ich die Angst vorm Sterben und wurde neugierig auf das, was ablief. Ich versuchte nicht mehr, dem Sterben zu entgehen. Statt vor der Erfahrung zurückzuschrecken, begann ich sie zu befragen. Und damit löste sich die ganze Situation in ein angenehmes Gefühl des Schwebens auf, und ich verwandelte mich eine Zeit lang in die Musik.

Bald darauf befand er sich «in einer großen Höhle, in der all meine früheren Beziehungen als Eiszapfen herabhingen; der Junge, der im zweiten Schuljahr neben mir saß, Highschool-Freunde, meine erste Freundin, alle waren da, von Eis umhüllt. Das war toll. Ich dachte der Reihe nach an jeden von ihnen, erinnerte mich an jede Einzelheit unserer Beziehung. Es war ein Rückblick – auf den Verlauf meines Lebens. All diese Leute hatten mich zu dem gemacht, was ich war.»

Amy Charnay, eine Ernährungswissenschaftlerin und Kräuterkundlerin in den Dreißigern, kam nach einer Krise zur Hopkins University. Sie war eine passionierte Läuferin und hatte Forstökologie studiert, als sie von einem Baum stürzte und sich den Knöchel brach, was sowohl ihre Lauf- als auch ihre Forstwirtschaftskarriere beendete. In den ersten Augenblicken ihrer Reise wurde Amy von Wogen aus Schuldgefühlen und Angst überwältigt.

«Das Bild, das ich sah, war aus dem 19. Jahrhundert, und ich befand mich auf einem Podium. Zwei Leute, die neben mir standen, legten eine Schlinge um meinen Hals, während eine Menschenmenge zuschaute und lauthals meinen Tod forderte. Ich war voller Schuldgefühle, hatte einfach Angst. Ich war in einem Höllenreich. Und ich erinnere mich, dass Bill fragte: ‹Was ist los?›

‹Ich habe große Schuldgefühle.› Bill erwiderte: ‹Das ist eine sehr häufige menschliche Erfahrung›, und damit löste sich das ganze Bild vom Gehängtwerden in Pixel auf, verschwand einfach und wurde von diesem gigantischen Gefühl von Freiheit und Verbundenheit abgelöst. Das war unglaublich. Ich sah, wenn ich ein Gefühl benennen und zulassen, es jemandem gestehen kann, dann lässt es mich los. Jetzt, wo ich etwas älter und klüger bin, schaffe ich das selbst.»

Etwas später saß Charnay auf dem Rücken eines Vogels und flog um die Welt und durch die Zeit. «Mir war klar, dass mein Körper auf dem Sofa lag, aber ich verließ ihn und erlebte all das hautnah. Ich befand mich in einem Trommelkreis bei irgendeinem Eingeborenenstamm, und ich wurde geheilt, war aber auch die Heilerin. Das war eine sehr tiefgründige Erfahrung. Da ich nicht die traditionelle Herkunft [einer Heilerin] habe, kam ich mir immer wie eine Hochstaplerin vor, die Pflanzenheilkunde betreibt, aber plötzlich erkannte ich, dass ich verbunden war mit den Pflanzen und mit den Menschen, die Pflanzen verwenden, sei es für Rituale, Psychedelika oder Salat!»

Bei einer späteren Sitzung nahm Charnay wieder Verbindung zu einem Jugendfreund auf, der mit neunzehn bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. «Plötzlich lebte ein Stück von Phil in meiner linken Schulter. So was hab ich noch nie erlebt, aber es war ganz real. Ich weiß nicht, warum er gelb ist und in meiner linken Schulter lebt – was bedeutet das überhaupt? –, aber es ist mir egal. Er ist wieder bei mir.» Solche Wiederverbindungen mit Toten sind nicht ungewöhnlich. Richard Boothby, dessen dreiundzwanzigjähriger Sohn ein Jahr vorher nach langer Drogensucht Selbstmord begangen hatte, sagte mir: «Oliver war mir auf einmal näher als je zuvor.»

Wie ungeheuer wichtig es ist, sich der Erfahrung zu überlassen, egal wie beängstigend oder bizarr sie auch sein mag, wird in den Vorbereitungssitzungen stets betont und spielt bei den Reisen vieler Leute und noch darüber hinaus eine große Rolle. Richard Boothby, der Philosoph, nahm sich den Rat zu Herzen und stellte fest, dass er den Gedanken als eine Art Werkzeug benutzen konnte, um die Erfahrung in Echtzeit zu gestalten. Er schrieb:

Ich merkte schon früh, dass die Wirkung der Droge erstaunlich auf meine eigene subjektive Bestimmung reagiert. Wenn ich mich, als Reaktion auf die steigende Intensität der ganzen Erfahrung, vor Angst verkrampfe, scheint sich die ganze Szene irgendwie zusammenzuziehen. Aber wenn ich mich dann bewusst zu entspannen versuche, mich auf die Erfahrung einlasse, ist die Wirkung dramatisch. Der bereits riesige Raum, in dem ich mich offenbar befinde, klafft plötzlich noch weiter auf, und die Formen, die vor meinen Augen wallen, scheinen in neuen, noch ausgefalleneren Mustern zu explodieren. Immer wieder hatte ich das überwältigende Gefühl von Unendlichkeit, die von einer weiteren Unendlichkeit vervielfacht wurde. Als meine Frau mich nach Hause fuhr, witzelte ich, ich hätte das Gefühl gehabt, mehrfach ins Arschloch Gottes gesogen worden zu sein.

Boothby hatte anscheinend eine ganz klassische mystische Erfahrung, doch er könnte der Erste in der langen Reihe westlicher Mystiker sein, der durch diese spezielle Öffnung in das göttliche Reich gelangte.

In den Tiefen dieses Deliriums hatte ich das Gefühl, dass ich entweder im Sterben lag oder, höchst bizarr, bereits tot war. Alle Punkte der sicheren Anbindung an einen verlässlichen Realitätssinn waren verschwunden. Warum nicht glauben, dass ich tot bin? Und wenn das Sterben ist, dachte ich, dann soll es so sein. Wie kann ich dazu Nein sagen?

In diesem Moment, in der größten Erfahrungstiefe, spürte ich, wie all meine elementaren Gegensatzkategorien – Träumen und Wachsein, Leben und Tod, innen und außen, ich und das andere – in sich zusammenstürzten … Die Wirklichkeit schien zusammenzuklappen, in einer Art ekstatischen Katastrophe der Logik zu implodieren. Doch mitten in diesem halluzinatorischen Wirbelsturm hatte ich eine bizarre Erfahrung von außerordentlicher Erhabenheit.

Und ich weiß noch, wie ich mir immer wieder sagte: ‹Nichts ist wichtig, nichts ist mehr wichtig. Ich sehe, worauf es ankommt!

Gar nichts ist wichtig.›

Und dann war es vorbei.

In den letzten Stunden hat sich die Wirklichkeit dann langsam, mühelos wieder zusammengefügt. Synchron mit einer tief beeindruckenden Chormusik hatte ich das unglaublich ergreifende Gefühl triumphalen Erwachens, als würde nach einer langen, qualvollen Nacht ein neuer Tag anbrechen.

Zur selben Zeit, als ich Richard Boothby und die anderen Probanden interviewte, las ich in der Hoffnung, Orientierung zu finden, William James‘ Beschreibung mystischen Bewusstseins in Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Und tatsächlich half mir vieles von dem, was James zu sagen hatte, mich in der Flut von Wörtern und Bildern, die ich sammelte, zurechtzufinden. James leitete seine Erörterung mystischer Bewusstseinszustände mit dem Geständnis ein: «Meine eigene Konstitution schließt mich von ihrem Genuss fast vollständig aus.»30 Fast vollständig: Was James über mystische Zustände wusste, hatte er nicht nur aus seiner Lektüre zusammengetragen, sondern auch anhand eigener Experimente mit Drogen, darunter auch Lachgas.

 

Statt zu versuchen, etwas so schwer Fassbares wie eine mystische Erfahrung zu definieren, nennt James vier «Merkmale», an denen wir sie erkennen können. Das erste und seiner Meinung nach «handfesteste» ist Unaussprechbarkeit: «Der Betroffene erklärt sofort, daß ihm der Ausdruck fehlt, daß er über den Inhalt seiner Erfahrung verbal nicht angemessen berichten kann.»31 Mit Ausnahme von Boothby verzweifelten alle Versuchspersonen, mit denen ich sprach, irgendwann daran, die ganze Wucht ihrer Erfahrungen zu vermitteln, obwohl sie es bereitwillig versuchten. «Man muss dabei gewesen sein», hieß es immer wieder.

Die noetische Qualität ist James‘ zweites Merkmal: «Mystische Zustände [sind] für die, die sie erfahren, anscheinend auch Erkenntniszustände … Es handelt sich um Erleuchtungen, Offenbarungen, die bedeutungsvoll und wichtig erscheinen … und in der Regel haben sie einen merkwürdigen Nachgeschmack von besonderer Autorität.»32

Für alle Probanden, die ich interviewt habe, brachte die Erfahrung mehr Antworten als Fragen hervor, und seltsamerweise – denn es ist und bleibt eine Drogenerfahrung – hatten diese Antworten etwas erstaunlich Handfestes und Dauerhaftes. John Hayes, ein Psychotherapeut in den Fünfzigern, der eine der ersten Versuchspersonen an der Hopkins University war,

hatte den Eindruck, als würden Geheimnisse offenbart, und doch kam mir alles vertraut vor, eher so, als würde ich an etwas erinnert, das ich schon wusste. Ich hatte das Gefühl, in Dimensionen der Existenz eingeweiht zu werden, von denen die meisten Menschen nichts wissen, und das ausgeprägte Gefühl, dass der Tod eine Illusion ist, in dem Sinne, dass er eine Tür ist, durch die wir eine andere Ebene der Existenz betreten, dass wir einer Ewigkeit entstammen, in die wir zurückkehren werden.

Das stimmt wohl, aber für jemanden, der eine mystische Erfahrung hat, nimmt so eine Erkenntnis die Wucht einer Offenbarung an.

Viele der charakteristischen Erkenntnisse, die man während einer psychedelischen Reise gewinnt, schweben zwischen Tiefgründigkeit und völliger Banalität. Boothby, ein Intellektueller mit einem hoch entwickelten Sinn für Ironie, rang damit, die tiefen Wahrheiten über das Wesen unserer Menschlichkeit, das ihm bei seinen Psilocybin-Reisen offenbart wurde, in Worte zu fassen.

Manchmal waren mir diese Wahrheiten fast peinlich, als würden sie eine kosmische Vision des Triumphs der Liebe zum Ausdruck bringen, die man spöttisch mit den Plattitüden von Glückwunschkarten verbindet. Dennoch finde ich die grundlegenden Erkenntnisse, die mir während der Sitzung gewährt wurden, noch größtenteils überzeugend.

Wie lautet die überzeugende Erkenntnis des Philosophieprofessors?

Die Liebe überwindet alles.

James geht kurz auf die Banalität dieser mystischen Erkenntnisse ein: «das Gefühl […], das einen gelegentlich überkommt, wenn man die Bedeutung einer Maxime oder einer Formel plötzlich tief empfindet. ‹Ich habe das mein Leben lang gehört›, stellen wir fest, ‹aber erst jetzt verstehe ich, was damit eigentlich gemeint war.›»33 Die mystische Reise scheint eine Weiterbildung im Offensichtlichen zu sein. Doch nach der Erfahrung verstehen die Leute diese Plattitüden auf eine neue Art; was man vorher nur wusste, spürt man jetzt, und es bekommt das Gewicht einer tief verwurzelten Überzeugung. Und meistens handelt diese Überzeugung von der großen Bedeutung der Liebe.

Karin Sokel, eine Lebensberaterin und energetische Heilerin in den Vierzigern, schilderte eine Erfahrung, «die alles veränderte und mich völlig öffnete». Auf dem Höhepunkt ihrer Reise hatte sie eine Begegnung mit einem Gott, der sich «Ich Bin» nannte. In seiner Gegenwart, erinnert sie sich, «explodierte jedes einzelne meiner Chakren. Und da war so ein Licht, es war das reine Licht der Liebe und Göttlichkeit, es war bei mir, und es bedurfte keiner Worte. Ich war in der Gegenwart dieser absoluten reinen göttlichen Liebe, und in einer Energieexplosion verschmolz ich damit … Schon wenn ich davon spreche, laden sich meine Finger elektrisch auf. Die Energie durchdrang mich. Ich weiß jetzt, dass der Kern unseres Seins die Liebe ist. Auf dem Höhepunkt der Erfahrung hielt ich buchstäblich Osama bin Ladens Gesicht, blickte ihm in die Augen, spürte reine Liebe von ihm und schenkte ihm reine Liebe. Der Kern ist nicht das Böse, sondern die Liebe. Dieselbe Erfahrung hatte ich mit Hitler und dann jemandem aus Nordkorea. Deshalb glaube ich, dass wir göttlich sind. Das ist nicht verstandesmäßig, das ist inneres Wissen.»

Ich fragte Sokel, was sie so sicher mache, dass es kein Traum oder eine drogenbedingte Fantasie war – eine Hypothese, die ihrem noetischen Empfinden nicht gewachsen war: «Das war kein Traum. Das war so real wie unser Gespräch. Ohne die direkte Erfahrung hätte auch ich es nicht verstanden. Aber jetzt ist es fest in meinem Gehirn verdrahtet, sodass ich mich damit verbinden kann und es oft tue.»

Diesen letzten Punkt berührt James in seiner Erörterung des dritten Merkmals mystischen Bewusstseins, der «Flüchtigkeit». Denn auch wenn der mystische Zustand nicht lange aufrechterhalten werden kann, bleiben seine Spuren bestehen und treten wieder auf, «und mit jedem Wiederauftreten kann das Gefühl einer kontinuierlichen Entwicklung an innerem Reichtum und Bedeutung verbunden sein».34

Das vierte und letzte Merkmal in James‘ Typologie ist die wesentliche «Passivität» der mystischen Erfahrung. «Der Mystiker [hat] das Gefühl, sein eigener Wille sei außer Kraft gesetzt, und fühlt sich manchmal sogar von einer höheren Macht ergriffen und gehalten.»35 Der Eindruck, sich zeitweilig einer höheren Macht überlassen zu haben, gibt der Person oft das Gefühl, als hätte er oder sie sich dauerhaft verändert.

Bei den meisten Versuchspersonen, die ich interviewte, lagen die Psilocybin-Reisen zehn, fünfzehn Jahre zurück, und dennoch spürten sie die Wirkung noch deutlich, in manchen Fällen sogar tagtäglich. «Psilocybin hat mein Mitgefühl und meine Dankbarkeit auf eine Art geweckt, wie ich es noch nie erlebt habe», sagte eine Psychologin, die nicht namentlich genannt werden will, als ich sie nach nachhaltigen Auswirkungen fragte. «Vertrauen, Loslassen, Offenheit und Sein waren für mich die wichtigsten Kriterien der Erfahrung. Jetzt weiß ich all das, statt nur daran zu glauben.» Sie hatte Bill Richards‘ Fluganweisungen in ein Handbuch des Lebens verwandelt.

Richard Boothby machte es ähnlich und erhob seine Erkenntnis übers Loslassen zur Ethik:

Bei meiner Sitzung wurde die Kunst der Entspannung selbst zur Grundlage einer gewaltigen Offenbarung, da ich plötzlich das Gefühl hatte, dass etwas im Geiste dieser Entspannung, etwas im Erreichen einer perfekten, arglosen und liebevollen Offenheit des Geistes, der Kern und Zweck des Lebens ist. Unsere Aufgabe im Leben besteht genau darin, Ängste und Erwartungen loszulassen, dem Versuch, sich dem Eindruck der Gegenwart völlig hinzugeben.

Bei John Hayes, dem Psychotherapeuten, wurde «der Sinn fürs Konkrete destabilisiert» und durch die Überzeugung ersetzt, «dass eine Realität außerhalb der Realität gewöhnlicher Wahrnehmungen existiert. Sie setzte meine Kosmologie davon in Kenntnis – dass es eine Welt jenseits von dieser gibt.» Hayes empfiehlt die Erfahrung besonders Leuten mittleren Alters, denen, wie C. G. Jung meinte, die Erfahrung des Numinosen helfen kann, die zweite Hälfte ihres Lebens zu bewältigen. Hayes fügte hinzu: »Jungen Leuten würde ich es nicht empfehlen.»