Verändere dein Bewusstsein

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Mithilfe dieser «Größen» und seiner eigenen Lektüre begann Jesse den großen Fundus der früheren Psychedelik-Forschung zutage zu fördern, der der Wissenschaft größtenteils verlorengegangen war. Er fand heraus, dass es vor 1965 mehr als eintausend wissenschaftliche Arbeiten über psychedelische Drogentherapie mit mehr als vierzigtausend Forschungsthemen gegeben hatte.22 Von den fünfziger Jahren bis Anfang der siebziger Jahre hatte man psychedelische Substanzen zur Behandlung verschiedener Leiden benutzt – darunter Alkoholismus, Depressionen, Zwangsneurosen und Angst am Ende des Lebens –, oft mit beeindruckenden Ergebnissen. Doch nur wenige der Studien waren nach heutigen Maßstäben gut kontrolliert, und manche wurden durch die Begeisterung der beteiligten Forscher beeinträchtigt.

Von noch größerem Interesse war für Bob Jesse die frühe Forschung, die das Potenzial untersuchte, das Psychedelika für einen Bereich hatten, den er, markant formuliert, als «Besserung Gesunder» bezeichnete. Es hatte Studien zu künstlerischer und wissenschaftlicher Kreativität und Spiritualität bei «gesunden Normalen» gegeben. Die berühmteste war das Karfreitags- oder Marsh-Chapel-Experiment, 1962 von Walter Pahnke durchgeführt, einem Psychiater und Theologen, der unter Timothy Leary in Harvard an seiner Dissertation arbeitete.23 In seinem Doppelblindexperiment wurde zwanzig Theologiestudenten während eines Karfreitagsgottesdienstes in der Marsh Chapel auf dem Campus der Boston University eine mit weißem Pulver gefüllte Kapsel verabreicht, von denen zehn Psilocybin enthielten und zehn ein «aktives Placebo» waren – in diesem Fall Niacin, das ein Kribbeln hervorruft. Acht von den zehn Studenten, die Psilocybin erhalten hatten, berichteten von einer eindringlichen mystischen Erfahrung, während es in der Kontrollgruppe nur einer war. (Es war nicht schwierig, die beiden Gruppen auseinanderzuhalten, was den Doppelblindversuch eigentlich entwertete: Die Placebo-Probanden saßen ruhig auf ihrer Bank, während die anderen sich hinlegten oder in der Kirche umherspazierten und etwas wie «Gott ist überall» oder «Oh, welche Herrlichkeit!» vor sich hin murmelten.) Pahnke kam zu dem Schluss, dass die Erfahrungen derjenigen, die das Psilocybin erhalten hatten, von klassischen, in der Literatur geschilderten mystischen Erfahrungen «kaum zu unterscheiden, wenn nicht gar identisch mit ihnen» waren. Huston Smith stimmte zu. «Bis zum Karfreitagsexperiment», sagte er 1996 in einem Interview, «war ich Gott noch nie persönlich begegnet».24

1986 führte Rick Doblin eine Folgestudie zum Karfreitagsexperiment durch, bei der er fast alle Theologiestudenten, denen in der Marsh Chapel Psilocybin verabreicht worden war, ausfindig machte und interviewte.25 Die meisten berichteten, die Erfahrung habe ihr Leben und ihre Arbeit tiefgehend und dauerhaft verändert. Doch er fand schwere Mängel in dem von Pahnke veröffentlichten Bericht: So hatte Pahnke es versäumt zu erwähnen, dass mehrere Probanden im Verlauf des Experiments mit akuter Angst zu kämpfen hatten. Einer musste, nachdem er in der Überzeugung, er sei dazu auserwählt, die Ankunft des Messias zu verkünden, aus der Kirche geflüchtet und die Commonwealth Avenue entlanggelaufen war, festgehalten werden und bekam das starke Neuroleptikum Thorazin gespritzt.

In dieser und einer zweiten Begutachtung eines weiteren von Timothy Leary begleiteten Experiments zur Rückfälligkeit im Concord State Prison hatte Doblin beunruhigende Fragen zur Qualität der im Harvard Psilocybin Project durchgeführten Forschung aufgeworfen, die darauf hindeuteten, dass die Begeisterung der Experimentatoren die berichteten Ergebnisse negativ beeinflusst hatte.26 Sollte diese Forschung wiederbelebt und ernst genommen werden, schloss Jesse, musste sie mit entschieden größerer Genauigkeit und Objektivität durchgeführt werden. Dennoch waren die Ergebnisse des Karfreitagsexperiments äußerst anregend und, wie Bob Jesse und Roland Griffiths schon bald feststellen sollten, den Versuch wert, sie zu reproduzieren.

Die frühen neunziger Jahre verbrachte Bob Jesse damit, das verloren gegangene Wissen über Psychedelika auszugraben, als die offizielle Forschung gestoppt wurde und die inoffizielle in den Untergrund ging. Dabei ähnelte er jenen Renaissance-Gelehrten, die die verlorene Welt klassischen Denkens in einer Handvoll in Klöstern gehorteten Manuskripten wiederentdeckten. Doch war in diesem Fall wesentlich weniger Zeit verstrichen und das Wissen noch in wissenschaftlichen Arbeiten in Bibliotheken und Datenbanken zugänglich, die man nur durchsuchen musste, oder erhalten in den Köpfen von Leuten wie James Fadiman, Myron Stolaroff und Willis Harman (ein weiterer Ingenieur aus der Bay Area, der sich in einen Psychedelik-Forscher verwandelt hatte), die noch am Leben waren und die man nur danach fragen musste. Aber wenn es heute einen Ort gibt, der dem mittelalterlichen Kloster entspricht, wo die Welt des klassischen Denkens vor dem Vergessen bewahrt wurde, einen Ort, an dem die flackernde Flamme psychedelischen Wissens während der dunklen Zeiten beharrlich am Leben gehalten wurde, dann ist das Esalen, das legendäre spirituelle Zentrum in Big Sur, Kalifornien.

Das Esalen Institute, auf einer Klippe über dem Pazifik thronend, als würde es sich gerade noch an den Kontinent klammern, wurde 1962 gegründet, war seither ein Gravitationszentrum für das sogenannte «Human Potential Movement» in Amerika und fungierte als inoffizielle Hauptstadt des New Age. Hier wurden im Lauf der Zeit zahlreiche therapeutische und spirituelle Mittel und Wege entwickelt und gelehrt, darunter auch das therapeutische und spirituelle Potenzial von Psychedelika. Seit 1973 arbeitete der ausgewanderte tschechische Psychiater Stanislav Grof, einer der Wegbereiter der LSD-unterstützten Psychotherapie, als Gastwissenschaftler in Esalen, hatte jedoch bereits zuvor dort jahrelang Workshops veranstaltet. Grof, der schon Tausende von LSD-Sitzungen geleitet hat, sagte einmal voraus, Psychedelika «könnten für die Psychiatrie das Gleiche sein, was das Mikroskop für die Biologie oder das Teleskop für die Astronomie ist. Diese Instrumente ermöglichen es, wichtige Prozesse zu studieren, die man unter normalen Umständen nicht direkt beobachten kann.»27 Hunderte kamen nach Esalen, um durch dieses Mikroskop zu schauen, oft in Workshops, die Grof für Psychotherapeuten veranstaltete, die Psychedelika in ihre praktische Arbeit einbinden wollten. Viele, wenn nicht die meisten der Therapeuten und spirituellen Führer, die diese Arbeit heute im Verborgenen leisten, haben ihre Fertigkeiten zu Füßen von Stan Grof im Großen Haus in Esalen erworben.

Ob diese Arbeit dort nach dem LSD-Verbot fortgeführt wurde, ist ungewiss, es wäre allerdings nicht überraschend: Der Ort thront so weit draußen am Rand des Kontinents, dass man das Gefühl haben kann, dem Zugriff der Bundespolizei entzogen zu sein. Doch zumindest offiziell wurden die Workshops nach dem LSD-Verbot eingestellt. Stattdessen unterrichtete Grof etwas, das sich holotropes Atmen nannte, eine Technik, die durch tiefes, schnelles und rhythmisches, gewöhnlich von lautem Trommeln begleitetes Atmen ohne Drogen einen psychedelischen Bewusstseinszustand erzeugte. Doch Esalens Rolle in der Geschichte der Psychedelika endete nicht mit ihrem Verbot. Esalen wurde der Ort, an dem man zusammenkam, um Kampagnen zu planen, in der Hoffnung, diese Substanzen, ob als Ergänzung zur Therapie oder als Mittel spiritueller Entwicklung, wieder in die Kultur einführen zu können.

Im Januar 1994 gelang es Bob Jesse, zu einem dieser Treffen in Esalen eingeladen zu werden. Als er nach einem freitäglichen Abendessen bei den Shulgins beim Geschirrspülen half, erfuhr er, dass sich eine Gruppe von Therapeuten und Wissenschaftlern in Big Sur versammeln würde, um über die Chance zu sprechen, die Psychedelik-Forschung wiederaufleben zu lassen. Es gab Anzeichen, dass sich die Tür, die Washington, D.C., Ende der 1960er Jahre zugeschlagen hatte, wieder öffnen könnte, und sei es nur einen Spaltbreit: Curtis Wright, ein neuer Verwaltungsbeamter in der Arzneimittelzulassungsbehörde (und, wie es der Zufall wollte, ein ehemaliger Student Roland Griffiths‘ an der Hopkins University), hatte signalisiert, dass Forschungsprotokolle für Psychedelika genauso behandelt würden wie alle anderen – beurteilt nach ihren Leistungen. Um diese neue Offenheit zu testen, hatte ein Psychiater an der University of New Mexico namens Rick Strassman die Genehmigung zur Untersuchung der physiologischen Auswirkungen von Dimethyltryptamin beantragt, einer starken, in vielen Pflanzen vorkommenden psychedelischen Substanz, und sie auch erhalten. Dieser kleine Test führte zum ersten behördlich genehmigten Experiment mit einer psychedelischen Substanz seit den 1970er Jahren – im Rückblick ein einschneidendes Ereignis.

Etwa zur selben Zeit hatten Rick Doblin und Charles Grob, ein Psychiater an der UCLA, von der Regierung die Genehmigung für den ersten Menschenversuch mit MDMA erhalten. (Grob ist einer der ersten Psychiater, der für die Wiedereinführung von Psychedelika in der Psychotherapie plädierte; später leitete er den ersten neuzeitlichen Versuch mit Psilocybin an Krebspatienten.28) Ein Jahr vor dem Treffen in Esalen (an dem Grob und Doblin beide teilnahmen) gründete David Nichols, ein Chemiker und Pharmakologe der Purdue University, das Heffter Research Institute – benannt nach dem deutschen Chemiker, der 1897 als Erster Meskalin isolierte –, mit dem damals noch unrealistischen Ziel, seriöse Psychedelik-Wissenschaft zu finanzieren. (Seitdem hat das Institut viele der heutigen Versuche mit Psilocybin gefördert.) Also keimten Anfang der 1990er Jahre vereinzelte Zeichen der Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Psychedelik-Forschung. Die kleine Community, die diesen Traum in den dunklen Zeiten aufrechterhalten hatte, begann sich zaghaft im Stillen zu organisieren.

 

Obwohl Jesse noch ein Neuling in der Community und weder Wissenschaftler noch Therapeut war, bat er, an dem Treffen in Esalen teilnehmen zu dürfen, und bot an, sich nützlich zu machen und notfalls auch Wassergläser nachzufüllen. Den größten Teil der Zeit beanspruchten Gespräche über die potenzielle medizinische Anwendung von Psychedelika und den Bedarf an Grundlagenforschung in den Neurowissenschaften. Jesse war enttäuscht, dass man dem spirituellen Potenzial der Substanzen so wenig Aufmerksamkeit widmete. Als er das Treffen verließ, dachte er: «Okay, es gibt Handlungsspielraum. Ich hatte gehofft, einer der Leute würde den Ball aufnehmen, aber sie waren mit dem anderen Ball beschäftigt. Also beschloss ich, mich bei Oracle beurlauben zu lassen.» Innerhalb eines Jahres gründete Jesse den Council on Spiritual Practices, und nach zwei Jahren, im Januar 1996, veranstaltete der Council in Esalen sein eigenes Treffen, mit dem Ziel, in der Kampagne zur Wiederbelebung von Psychedelika eine zweite Front zu eröffnen.

Passenderweise fand das Treffen im Maslow-Saal in Esalen statt, benannt nach dem Psychologen, dessen Schriften zur Hierarchie menschlicher Bedürfnisse die Bedeutung von «Grenzerfahrungen» in der Selbstverwirklichung hervorhoben. Die meisten der fünfzehn Teilnehmer waren «psychedelische Größen», Therapeuten und Forscher wie James Fadiman, Willis Harman und Mark Kleiman, außerdem ein Experte für Drogenpolitik an der Kennedy School (der dort Rick Doblins Doktorvater war) sowie Leute aus dem religiösen Bereich wie Huston Smith, Bruder David Steindl-Rast und Jeffrey Bronfman, der Leiter der UDV-Kirche in Amerika (und Erbe des Seagram-Firmenvermögens). Doch Jesse entschied sich klugerweise, auch einen Außenstehenden einzuladen: Charles «Bob» Schuster, der unter Ronald Reagan und George H. W. Bush als Direktor der Nationalen Drogenbehörde gearbeitet hatte. Jesse kannte Schuster nicht besonders gut; sie hatten mal auf einer Tagung kurz miteinander gesprochen. Doch Jesse hatte nach der Begegnung gedacht, Schuster könnte einer Einladung aufgeschlossen gegenüberstehen.

Der genaue Grund, warum Bob Schuster – einer der führenden Leute im akademischen Establishment, das den Krieg gegen Drogen unterstützte – für die Idee offen sein sollte, nach Esalen zu kommen, um über das spirituelle Potenzial von Psychedelika zu diskutieren, war ein Rätsel, zumindest bis sich mir die Gelegenheit bot, mit seiner Witwe Chris-Ellyn Johanson zu sprechen. Johanson, die ebenfalls Drogenforscherin ist, zeichnete das Bild eines Mannes mit außergewöhnlich vielseitigen Interessen und großer Neugier.

«Bob war exzessiv in seiner Weltoffenheit», sagte sie lachend. «Er redete mit jedem.» Wie viele Leute im Umfeld der Drogenbehörde wusste Schuster gut, dass Psychedelika nur schlecht zum Profil eines Suchtstoffes passten; Tiere, die das selbst entscheiden können, nehmen ein Psychedelikum kein zweites Mal, und die klassischen Psychedelika haben einen auffallend geringen Giftgehalt. Ich fragte Johanson, ob Schuster selbst einmal eins genommen habe; Roland Griffiths hatte mir gesagt, er halte es für möglich. («Bob war Jazzmusiker», erzählte Griffiths, «deshalb wäre ich nicht überrascht.») Doch Johanson verneinte. «Er war daran interessiert», sagte sie, «aber ich glaube, er war zu ängstlich. Wir waren Martini-Trinker.» Ich fragte, ob er ein spiritueller Mensch war. «Eigentlich nicht, aber ich glaube, er wäre es gern gewesen.»

Jesse, der sich nicht ganz sicher war, was Schuster von dem Treffen halten würde, arrangierte, dass sich Jim Fadiman mit ihm das Zimmer teilte, und beauftragte den Psychologen, ihn unter die Lupe zu nehmen. «Am nächsten Morgen kam Jim in aller Frühe zu mir und sagte: ‹Bob, Auftrag ausgeführt. Da hast du einen tollen Menschen gefunden.›»

Seiner Frau zufolge genoss Schuster die Zeit in Esalen. Er nahm an einem Trommelworkshop teil, den Jesse in die Wege geleitet hatte – das gehört in Esalen einfach dazu –, und war erstaunt zu entdecken, wie leicht er in Trance verfiel. Doch Schuster leistete auch wichtige Beiträge zu den Diskussionen der Gruppe. Er warnte Jesse davor, mit MDMA zu arbeiten, weil er glaubte, es sei giftig fürs Gehirn, und weil es inzwischen den üblen Ruf genoss, eine Klubdroge zu sein. Und er wies darauf hin, dass Psilocybin ein viel besserer Kandidat für die Forschung sei als LSD, vor allem aus politischen Gründen: Da viel weniger Leute davon gehört hatten, schleppte es nicht den politischen und kulturellen Ballast von LSD mit sich herum.

Am Ende des Treffens hatte sich die Esalen-Gruppe auf eine kurze Liste von Zielen geeinigt, von denen manche bescheiden waren – der Entwurf eines Moralkodex für spirituelle Führer – und andere ehrgeiziger: «redliche, unanfechtbare Forschung zu betreiben, in einer Institution mit untadeligen Forschern» und idealerweise «nicht unter dem Deckmantel klinischer Behandlung».

«Wir waren nicht sicher, ob das möglich ist», erzählte Jesse, aber er und seine Kollegen glaubten, «es wäre ein großer Fehler, wenn es bei medizinischen Zwecken bliebe». Warum ein Fehler? Weil Bob Jesse nicht so sehr an den psychischen Problemen der Menschen interessiert war, sondern an ihrem spirituellen Wohlergehen – indem er Entheogene für die Besserung Gesunder einsetzte.

Kurz nach dem Treffen in Esalen leistete Schuster einen Beitrag, der sich als sein wichtigster erweisen sollte: Er erzählte Bob Jesse von seinem alten Freund Roland Griffiths, den er als genau «den untadeligen Forscher» beschrieb, den Jesse suchte, und als «Wissenschaftler ersten Ranges».

«Allem, was Roland mal angefangen hat, hat er sich völlig verschrieben», erinnert sich Jesse an Schusters Worte, «auch seiner Meditation. Wir finden, das hat ihn verändert.» Griffiths hatte Schuster von seiner wachsenden Unzufriedenheit mit der Wissenschaft und seinem immer tieferen Interesse an den «großen Fragen» erzählt, die sich bei seiner Meditation ergaben. Also rief Schuster Griffiths an, berichtete ihm von dem interessanten jungen Mann, den er gerade in Esalen kennengelernt habe, erklärte, dass sie sich beide für Spiritualität interessierten, und schlug vor, sie sollten sich treffen. Nach kurzem E-Mail-Verkehr flog Jesse nach Baltimore, um in der Cafeteria des Bayview Medical Campus mit Griffiths zu essen, woraufhin eine Reihe von Gesprächen und Treffen folgte, die schließlich an der Johns Hopkins University zu ihrer Zusammenarbeit bei der Studie von 2006 über Psilocybin und mystische Erfahrung führten.

Doch es fehlte noch ein Puzzleteil: ein weiteres Mitglied des wissenschaftlichen Teams. Die meisten Drogenversuche, die Griffiths bisher durchgeführt hatte, waren an Pavianen und anderen nichtmenschlichen Primaten vorgenommen worden; er hatte viel weniger klinische Erfahrung in der Arbeit mit Menschen und begriff, dass ein erfahrener Therapeut an dem Projekt teilnehmen musste – ein «führender Kliniker», wie er es formulierte. Wie es der Zufall wollte, hatte Bob Jesse ein paar Jahre zuvor auf einer Psychedelik-Tagung einen Psychologen kennengelernt, der nicht nur den Anforderungen entsprach, sondern auch in Baltimore lebte. Und ein noch größerer Zufall war, dass dieser Psychologe, der Bill Richards hieß, vermutlich mehr Erfahrung in der Anleitung psychedelischer Reisen in den 1960er und 1970er Jahren hatte als jeder andere, außer vielleicht Stan Grof (mit dem er schon zusammengearbeitet hatte). Bill Richards war es, der im Frühling 1977 im Maryland Psychiatric Research Center in Spring Grove einem Amerikaner die allerletzte legale Dosis Psilocybin verabreicht hatte. Seither hatte er in seinem Haus in einem grünen Viertel Baltimores namens Windsor Hills konventionellere Psychotherapie betrieben und geduldig darauf gewartet, dass der Staat einlenkte und er wieder mit Psychedelika arbeiten konnte.

«Wenn man das Gesamtbild im Blick hat», sagte er, als wir uns zum ersten Mal in seinem Büro trafen, «dann gibt es diese Drogen schon mindestens fünftausend Jahre, und sie wurden oft bekämpft und tauchten wieder auf, das hier ist also nur ein weiterer Zyklus. Aber der Pilz wächst immer noch, und irgendwann musste diese Arbeit wieder erlaubt werden. Das habe ich zumindest gehofft.» Als ihn Bob Jesse 1998 anrief und er sich kurz darauf mit Roland Griffiths traf, konnte er sein Glück kaum fassen. «Es war aufregend.»

Bill Richards, ein außergewöhnlich aufgeweckter Mann in den Siebzigern, bildet eine Brücke zwischen den beiden Zeitabschnitten der Psychedelik-Therapie. Walter Pahnke war bei seiner Hochzeit Trauzeuge; er arbeitete in Spring Grove eng mit Stan Grof zusammen und besuchte Timothy Leary in Millbrook, New York, wo dieser nach seiner Verbannung aus Harvard gelandet war. Auch wenn Richards den Mittleren Westen, wo er 1940 geboren wurde, vor einem halben Jahrhundert verließ, hat er die Sprechweise des ländlichen Michigan beibehalten. Inzwischen trägt er einen weißen Spitzbart, hat ein ansteckendes gackerndes Lachen und beendet viele seiner Sätze mit einem gut gelaunten, kräftigen «weißte?».

Richards, der sowohl einen Doktor in Psychologie als auch in Religionswissenschaft hat, hatte 1963 seine erste psychedelische Erfahrung als Theologiestudent in Yale. Er studierte damals in Deutschland, an der Göttinger Universität, und fühlte sich vom Fachbereich Psychiatrie angezogen, wo er von einem Forschungsprojekt mit einer Droge namens Psilocybin erfuhr.

«Ich hatte keine Ahnung, was das war, aber zwei Freunde von mir hatten daran teilgenommen und interessante Erfahrungen gemacht.» Einer der beiden, dessen Vater im Krieg umgekommen war, war ins Kindesalter zurückgefallen und saß auf dem Schoß seines Vaters. Der andere hatte Halluzinationen von SS-Leuten, die in den Straßen marschierten. «Ich hatte noch nie eine nennenswerte Halluzination gehabt», sagte Richards kichernd, «und wollte einen Einblick in meine Kindheit bekommen. Damals betrachtete ich meinen Geist als psychologisches Labor, deshalb beschloss ich, freiwillig teilzunehmen.

Das war noch bevor man die Bedeutung von Set und Setting begriff. Man führte mich in einen Kellerraum, gab mir eine Spritze und ließ mich allein.» Die beste Voraussetzung für einen Horrortrip, doch Richards erlebte genau das Gegenteil. «Ich hatte das Gefühl, in eine unglaublich detailreiche Bilderwelt einzutauchen, die wie islamische Architektur aussah, mit arabischer Schrift, über die ich nichts wusste. Und dann verwandelte ich mich irgendwie in diese verschlungenen Muster und verlor meine gewohnte Identität. Und ich kann bloß sagen, dass sich der ewige Glanz mystischen Bewusstseins offenbarte. Mein Bewusstsein war überflutet von Liebe, Schönheit und Frieden, weit über alles hinaus, was ich je gekannt oder für möglich gehalten hatte. ‹Ehrfurcht›, ‹Herrlichkeit› und ‹Dankbarkeit› waren die einzigen Worte, die noch Gültigkeit besaßen.»

Die Schilderungen derartiger Erfahrungen klingen stets ein bisschen dürftig, zumindest im Vergleich zu der emotionalen Wucht, die vermittelt werden soll; für ein lebensveränderndes Ereignis wirken die Worte geradezu läppisch. Als ich das Richards sagte, musste er lächeln. «Sie müssen sich einen Höhlenmenschen vorstellen, der mitten nach Manhattan versetzt wurde. Er sieht Busse, Mobiltelefone, Wolkenkratzer, Flugzeuge. Und dann zappen Sie ihn in seine Höhle zurück. Was erzählt er über seine Erfahrung? ‹Es war groß, es war eindrucksvoll, es war laut.› Er hat nicht den Wortschatz, um ‹Wolkenkratzer›, ‹Aufzug›, ‹Mobiltelefon› zu sagen. Vielleicht spürt er, dass die Szene irgendeine Aussagekraft oder Ordnung hatte. Doch wir brauchen Wörter dafür, die es noch nicht gibt. Wir haben fünf Buntstifte, brauchen aber fünfzigtausend verschiedene Farbtöne.»

Mitten in seiner Reise kam einer der Fachärzte vorbei, um nach Richards zu sehen, und bat ihn, sich aufzusetzen, damit er seine Reflexe testen konnte. Als der Arzt mit seinem Gummihämmerchen auf seine Patellasehne klopfte, empfand Richards, wie er sich erinnert, «Mitleid mit der noch in den Kinderschuhen steckenden Wissenschaft. Die Forscher hatten keine Ahnung, was in meiner inneren Erfahrungswelt vor sich ging, sie wussten nichts von ihrer unaussprechlichen Schönheit oder ihrer potenziellen Bedeutsamkeit für uns alle.» Ein paar Tage nach der Erfahrung kehrte Richards in das Labor zurück und fragte: «Was für eine Droge haben Sie mir gegeben? Wie schreibt man das? Und der Rest meines Lebens besteht aus Fußnoten dazu!»

Aber nachdem in der Folge mehrere Psilocybin-Sitzungen keine mystische Erfahrung auslösten, fragte sich Richards, ob er den ersten Trip vielleicht überhöht hatte. Etwas später kam Walter Pahnke kurz nach seiner Doktorarbeit bei Timothy Leary in Harvard an die Universität, und die beiden wurden Freunde. (Es war Richards, der Pahnke während eines gemeinsamen Deutschlandaufenthalts zu dessen erstem psychedelischen Trip verhalf; offenbar hatte er in Harvard weder LSD noch Psilocybin genommen, weil er dachte, das könne die Objektivität des Karfreitagsexperiments beeinträchtigen.) Pahnke schlug vor, Richards solle es noch mal versuchen, diesmal aber in einem Raum mit gedämpfter Beleuchtung, Pflanzen und Musik und mit einer höheren Dosis. Wieder hatte Richards «eine unglaublich tiefgehende Erfahrung. Ich begriff, dass ich den ersten Trip nicht überhöht, sondern achtzig Prozent davon vergessen hatte. Ich habe nie an der Stichhaltigkeit dieser Erfahrungen gezweifelt. Das war das Reich mystischen Bewusstseins, von dem Shankara sprach, von dem Plotin schrieb, von dem Johannes vom Kreuz und Meister Eckhart schrieben. Es ist auch das, wovon Maslow mit seinen ‹Grenzerfahrungen› sprach – obwohl Abe dazu keine Drogen brauchte.» Richards studierte später an der Brandeis University unter Maslow Psychologie. «Abe war der geborene jüdische Mystiker. Er konnte sich einfach hinten in den Garten legen und eine mystische Erfahrung haben. Psychedelika sind für diejenigen von uns da, die nicht von Natur aus so begabt sind.»

 

Richards gewann aus diesen ersten psychedelischen Erkundungen drei unerschütterliche Überzeugungen. Die erste lautet, dass die Erfahrung des Heiligen, von der sowohl die großen Mystiker als auch Leute auf dosisintensiven psychedelischen Reisen berichten, die gleiche Erfahrung und «real» ist – d. h. nicht bloß eine Ausgeburt der Fantasie.

«Wer tief oder weit genug in sein Bewusstsein vordringt, stößt auf das Heilige. Das ist nichts, was wir erzeugen, sondern etwas, das irgendwo darauf wartet, entdeckt zu werden. Und das passiert zuverlässig Ungläubigen genauso wie Gläubigen.» Die zweite lautet, dass diese Erfahrungen mystischen Bewusstseins, ob ausgelöst durch Drogen oder etwas anderes, aller Wahrscheinlichkeit nach die Hauptgrundlage von Religion darstellen. (Nicht zuletzt deshalb findet Richards, dass Psychedelika für Theologiestudenten zur Ausbildung gehören sollten.) Und die dritte, dass das Bewusstsein eine Eigenschaft des Universums und nicht des Gehirns ist. In dieser Frage hält er es mit dem französischen Philosophen Henri Bergson, der den menschlichen Geist als eine Art Funkempfänger auffasst, der sich auf Energiefrequenzen und außerhalb seiner selbst existierende Informationen einschwingen kann. «Wenn man die Blondine finden will, die letzte Nacht die Nachrichten moderiert hat», erklärte Richards in Analogie dazu, «sucht man sie nicht im Fernsehgerät.» Der Fernseher ist, genau wie das menschliche Gehirn, zwar vonnöten, reicht aber nicht aus.

Nachdem Richards sein Aufbaustudium beendet hatte, nahm er Ende der 1960er Jahre eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Spring Grove State Hospital in der Nähe von Baltimore an, wo sich im Stillen, weit entfernt von dem Lärm und grellen Glanz, der Timothy Leary umgab, eine äußerst unwahrscheinliche, den Fakten zuwiderlaufende Geschichte der Psychedelik-Forschung abspielte. Es handelt sich hier um einen Fall, wo die Kraft der Leary-Erzählung die überlieferte Geschichte verbogen hat, sodass viele von uns glauben, vor Learys Ankunft in Harvard habe es dort keine seriöse Psychedelik-Forschung gegeben und nach seiner Entlassung gar keine mehr. Doch bis zu dem Tag im Jahr 1977, an dem Bill Richards seiner letzten Versuchsperson Psilocybin verabreichte, betrieb Spring Grove aktiv (und ohne große Kontroverse) eine ehrgeizige Psychedelik-Forschung – vieles davon gefördert vom National Institute of Mental Health – mit Schizophrenen, Alkoholikern und anderen Suchtkranken, Krebspatienten, die mit Ängsten kämpften, sowie theologischen und psychologischen Fachkräften und Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen. Von Anfang der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre erhielten mehrere Hundert Patienten und Probanden in Spring Grove psychedelische Therapien. In vielen Fällen erzielten die Forscher in gut konzipierten Studien sehr gute Ergebnisse, die regelmäßig in von Fachkollegen geprüften und begutachteten Zeitschriften wie dem Journal of the American Medical Association (JAMA) oder The Archives of General Psychiatry veröffentlicht wurden. (Roland Griffiths ist der Meinung, ein Großteil dieser Forschung sei «fragwürdig», Richards dagegen sagte: «Diese Studien waren nicht so schlecht, wie Roland unterstellt.») Es ist bemerkenswert, wie viel von der Arbeit, die heute an der Hopkins University, der NYU und andernorts verrichtet wird, in Spring Grove vorweggenommen wurde; es ist in der Tat kaum ein gegenwärtiges Experiment mit Psychedelika zu finden, das in den 1960er und 1970er Jahren nicht schon in Maryland durchgeführt wurde.

Zumindest am Anfang erhielt die psychedelische Arbeit in Spring Grove viel öffentliche Unterstützung. 1965 zeigte CBS News einen begeisterten einstündigen «Sonderbericht» über die Arbeit der Klinik mit Alkoholikern, der den Titel LSD: The Spring Grove Experiment trug. Die Reaktionen auf die Sendung waren so positiv, dass das Parlament Marylands auf dem Campus des Spring Grove State Hospital eine mehrere Millionen Dollar teure Forschungseinrichtung namens Maryland Psychiatric Research Center einrichtete. Stan Grof, Walter Pahnke und Bill Richards wurden als Leiter eingestellt, zusammen mit Dutzenden weiterer Therapeuten, Psychiater, Pharmakologen und Betreuungspersonal. Ähnlich schwer zu glauben ist, was Richards erzählte: «Jedes Mal, wenn wir jemanden einstellten, haben wir mit ihm als Teil der Ausbildung für die spätere Arbeit ein paar LSD-Sitzungen durchgeführt. Dazu waren wir bevollmächtigt! Wie sollte man sonst nachempfinden können, was im Kopf des Patienten vorging? Ich wünschte, wir könnten das an der Hopkins tun.»

Die Tatsache, dass ein derart ehrgeiziges Forschungsprogramm in Spring Grove bis Mitte der siebziger Jahre fortgeführt werden konnte, deutet darauf hin, dass die Geschichte von der Unterdrückung der Psychedelik-Forschung etwas komplizierter ist als allgemein angenommen. Obwohl es stimmt, dass einige Forschungsprojekte – wie Jim Fadimans Kreativitätsexperimente in Palo Alto – von Washington verboten wurden, durften andere Projekte mit langfristiger Förderung fortgeführt werden, bis das Geld zur Neige ging – was irgendwann auch eintrat. Statt die gesamte Forschung zu stoppen, wie es viele in der psychedelischen Community heute vermuten, erschwerte die Regierung lediglich das Genehmigungsverfahren, und die Finanzierung versiegte allmählich. Im Lauf der Zeit mussten die Forscher feststellen, dass sie es zusätzlich zu all den bürokratischen und finanziellen Hürden auch noch mit «dem Lächerlichkeitsfaktor» zu tun hatten: Wie würden die Kollegen reagieren, wenn man ihnen erzählte, dass man Experimente mit LSD durchführte? Mitte der 1970er Jahre hatten sich Psychedelika in eine wissenschaftliche Peinlichkeit verwandelt – nicht weil sie ein Misserfolg waren, sondern weil man sie mit der Gegenkultur und mit in Ungnade gefallenen Wissenschaftlern wie Timothy Leary verband.

Doch die Psychedelik-Forschung in Spring Grove Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre hatte nichts Peinliches. Damals schien sie die Zukunft zu sein. «Wir dachten, wir betreten unglaubliches Neuland in der Psychiatrie», erinnert sich Richards. «Wir saßen am Konferenztisch und diskutierten, wie wir die Hunderte, wenn nicht Tausende von Therapeuten ausbilden würden, die für diese Arbeit gebraucht wurden. (Und sehen Sie, heute führen wir wieder das gleiche Gespräch!) Es gab internationale Tagungen über Psychedelik-Forschung, und wir hatten überall in Europa Kollegen, die einer ähnlichen Arbeit nachgingen. Die Fachrichtung wuchs rasend schnell. Aber am Ende waren die gesellschaftlichen Kräfte stärker als wir.»