Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele

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I.1.D.d. Wunder und Visionen

Für die Güte der Apophtegmenüberlieferung spricht, so W. Bousset, daß das Wunder und vor allem die breitgesponnene Wundererzählung eine geringe Rolle spielt.136 Daß der vollendete Mönch, der Abbas, Wunder wirken kann, ist feststehende Überzeugung, doch halten sich diese meist in bescheidenen Grenzen. Die Dämonenaustreibung137 spielt dabei eine wichtige Rolle und war das Gebiet, auf dem sich die Wunderkraft der Mönche besonders zeigte.

Auf dem Hintergrund dessen, daß der Sprachgebrauch bezüglich der Dämonen oft nicht zwischen Gedanken, Leidenschaften, Bedürfnissen, Eigenwillen und Dämonen unterscheidet, kann man davon ausgehen, daß ein Großteil dieser Berichte eigentlich unter das Kapitel des heilenden und wirkmächtigen Heilswortes fällt.

Ähnliches läßt sich über die Visionen sagen. Fairy von Lilienfeld faßt diese Beobachtung mit folgenden Worten zusammen: „Übrigens sind die Apophthegmata voll von tiefem Mißtrauen gegenüber Visionen und Erscheinungen aller Art, die zunächst grundsätzlich im Verdacht stehen, vom Teufel und seinen Dämonen veranstaltete Trugbilder138 zu sein.“139 Auch die Dämonen selbst bleiben normalerweise unsichtbar, was wiederum für die Nüchternheit der Apophthegmata spricht.140

Natürlich, und hier gilt ähnliches wie beim Wunder, wurden dem geisterfüllten Mönch, dem Pneumatiker, grundsätzlich auch visionäre Fähigkeiten zugesprochen. Er kann den Menschen ins Herz schauen, er weiß um verborgene Zusammenhänge und wird entrückt, um die Geheimnisse des Himmels und der Hölle zu schauen. So gibt es natürlich in den Apophthegmata Berichte von Visionen, doch sind die Väter sehr zurückhaltend, müssen lange gebeten werden, damit sie überhaupt davon berichten, und wenn sie es tun, dann mit knappen Worten.141 In Ephraem 1 (Apo 213) heißt es: „Als Altvater Ephraem noch ein Knabe war, hatte er einen Traum oder ein Gesicht...“142, hier wird deutlich ausgesprochen, daß die Berichte nicht zwischen Traum und Gesicht unterscheiden. Auch Johannes Kolobos 14 (Apo 329) spricht von einer Ekstase eines anonymen Alten, von der Abbas Johannes erzählt, wobei die Form eher an eine Gleichniserzählung erinnert.

Die visionäre Fähigkeit ist eher eine Gabe, die bezogen ist auf die geistliche Unterweisung, einerseits in der Herzenserkenntnis und andererseits in der Vermittlung von Einsichten und geistlichen Erkenntnissen.

I.1.D.e. Verschriftlichung, Redaktion und Wirkungsgeschichte

Die Apophthegmata sind die verschriftlichte Form einer geistlichen Unterweisung, die ursprünglich mündlich vorgetragen und wohl auch zunächst über längere Zeit mündlich überliefert worden ist. Die mündliche Form ist durch die Betonung des Logions weitestgehend beibehalten. Die einzelnen Stücke stehen zumeist für sich und sind in sich abgeschlossen. K. Heussi will „an nicht wenigen Stellen“ eine Sachordnung durchschimmern sehen, kann dann aber nur immer zwei oder drei Stücke zu kleinen Sacheinheiten zusammenbinden143, was nicht sehr überzeugt. Die alphabetische Ordnung stammt vom Redaktor.144

Die ursprünglich mündliche Überlieferung dürfte zum ganz großen Teil koptisch gewesen sein, denn die Mehrzahl der sketischen Mönche waren „koptisch145 sprechende Angehörige der einfachen Landbevölkerung.“146

Die Verschriftlichung allerdings erfolgte im Griechischen, auch wenn man u.U. kleinere koptische Sammlungen annehmen kann. Die Sammlung ist nach dem griechischen Alphabet angelegt, auch die Einteilung der Sachkapitel dürfte griechischem Denken entsprungen sein.147

Wie die Vorrede des Redaktors verdeutlicht, ist das primäre Interesse die Unterweisung derer, „die bestrebt sind, nach der himmlischen Lebensweise zu leben und einen Weg zu beschreiten, der zum Königreich der Himmel führt.“148 Da die heiligen Väter bestrebt gewesen seien, ihr Leben im Verborgenen zu führen und nichts um der Schau willen zu tun, sei es unmöglich, dieses tugendhafte Leben genau zu beschreiben. Weniges sei dennoch überliefert worden, das aufgezeichnet wurde, „nicht, um jenen Männern zu Gefallen zu sein, sondern, um damit die Späteren zur Nacheiferung anzuregen.“149 K. Heussi greift dies auf und weist nach, daß „die Überlieferung sich nicht aus irgendeinem historischen oder biographischen, sondern rein aus asketisch-lehrhaftem Interesse bildete. ... Dieser Sachverhalt ist sehr aufschlußreich. Er läßt erkennen, daß das leitende Interesse, das bei der Bildung der Tradition wirksam war, am Sachlichen haftete, an der vorbildlichen Askese, und daß die Personen zunächst lediglich zur Verdeutlichung der Sache dienten.“150 Von daher ist nicht verwunderlich, wenn sich aus den Apophthegmata meist keine Viten der Mönchväter rekonstruieren lassen. Die Namen wären zum größten Teil austauschbar und zeigen nur rudimentäre typische Charakterzüge einzelner Gestalten.151 Was die Apophthegmata als Geschichtsquelle liefern, so W. Bousset, ist das Bild des sketischen anachoretischen Mönchslebens, das noch ganz wenig Vermittlung mit dem koinobitischen Ideal eingegangen war.152 K. Heussi sieht das differenzierter. Er listet die verschiedenen Orte außerhalb der Sketis auf und formuliert am Ende seiner Untersuchung: „Man gewinnt den Eindruck, daß die Apophtegmen nicht ausschließlich, aber doch ganz überwiegend sketischen Stoff bieten, zugleich aber, daß ein sehr lebhafter Verkehr unter den ägyptischen Anachoreten bestand, so daß man - mit der nötigen Vorsicht - die Apophtegmen als Quelle für das ägyptische Anachoretentum dieser Zeit überhaupt verwenden kann.“153 Die Sammlung verbreitete sich schnell, wurde in den Klöstern vorgelesen, von den späteren Autoritäten zitiert und in verschiedenen Klöstern auch angereichert und durch neue Sprüche eweitert, so daß eine lebendige Überlieferungsgeschichte zu verzeichnen ist. Nicht nur im sketischen Mönchtum, sondern auch darüber hinaus wurden die Apophthegmata an Wert und Bedeutung neben die Hl. Schrift, manchmal sogar darüber gestellt.154 „Die Apophthegmata finden sich, wenigstens bruchstückweise, in allen alten Sprachen wieder: ein Beweis ihrer erstaunlichen Ausbreitung und des unvergleichlichen Wertes dieser Dokumente für die Geschichte der mönchischen Frömmigkeit des 4. und 5. Jahrhunderts. Sie sind mehr als irgend ein anderes Buch gelesen worden.“155 Diese Quellenlage und Einschätzung berechtigt uns, in dieser Arbeit, die Apophthegmata Patrum als Hauptquelle für die Beschreibung und Charakterisierung der Geistlichen Begleitung in der Zeit des Anachoretentums zu benutzen.156 Wie gezeigt handelt es sich bei den Apophthegmata Patrum um ein „Florilegium“, eine Blütenlese von Episoden, Sprüchen etc. verschiedenster Väter und Mütter, „Momentbilder des Mönchlebens“157 über einen längeren Zeitraum in einem geographisch eingrenzbaren Gebiet. Diese literarische Konzeption macht es nicht möglich, ein theoretisches Konzept des Mönchtums der Sketis schlechthin zu entwickeln. Dies geht auch nicht für einzelne Väter, da entweder das Material zu dünn ist oder wie im Fall des Abbas Poimen, das Material wohl reichen würde, seine Überlieferung aber im Sinne der sicheren Urheberschaft des Poimen für die unter seinem Namen überlieferten Geschichten zumindest hinterfragbar, wenn nicht zweifelhaft ist. Daraus folgt, daß sich einige Grundlinien ziehen lassen, sehr wohl aber auch gegenläufige Tendenzen festzustellen sind und sich für die eine oder andere Beobachtung sehr schnell das genaue Gegenteil finden läßt. Doch lassen sich diese gegenläufigen Tendenzen nicht gegeneinander ausspielen, sondern sie müssen nebeneinander stehenbleiben, da es garnicht Anliegen der Apophthegmata ist, eine Theorie158 aus einem Guß vorzustellen, sondern Geschichten zu erzählen und so das Bild der Väter und Mütter der Sketis in seiner Buntheit und manchmal widersprüchlichen Pluralität plastisch werden zu lassen. „Da es kein ausdrückliches Interesse an Instruktionsmethoden und auch keine Ausbildung gab, zeigt sich das personale charismatische Wesen der Meister-Schüler-Beziehung nur in der großen Vielfalt von konkreten Geschichten, die in den Spruchsammlungen auf uns gekommen sind; ihre Spiritualität ist so verschieden und mannigfaltig wie die Persönlichkeiten der Meister159.“160

So sind die folgenden Kapitel jeweils als der Versuch zu verstehen, verschiedene Beobachtungen in Auseinandersetzung hauptsächlich mit den Apophthegmata zu formulieren und aus ihnen in einer gewissen Systematisierung einen Eindruck von der Geistlichen Begleitung im alten anachoretischen Mönchtum zu gewinnen. Dieser Eindruck läßt sich aufgrund der literarischen Struktur der Quelle nicht als abstraktes theoretisches Konzept formulieren, sondern als Systematisierung von Einzelbegegnungen, Erfahrungen und Geschichten. Dies ist also eher der Versuch, in einer Art Collagentechnik ein Bild der Geistlichen Begleitung entstehen zu lassen, das in sich richtig ist, da sich alle Einzelteile belegen lassen, das gleichzeitig aber nicht glatt und homogen ist, sondern Verwerfungen, Brüche und Gegensätzlichkeiten aufweist. So gab es schlußendlich die Geistliche Begleitung der Wüstenväter überhaupt nicht, sondern es gab Geistliche Begleiter, in deren Handeln oder besser in deren Haltung sich Linien einer Begleitung finden lassen, die man mit Einschränkungen als typisch bezeichnen kann.

I.1.E. Evagrios Pontikos und Johannes Cassian

Neben den Apophthegmata Patrum sollen vor allem noch zwei Autoren an verschiedenen Stellen kommentierend hinzugezogen werden, Evagrius Pontikus und Johannes Cassian, die K. Leech als Lehrer der und Führer in die Spiritualität der Wüste bezeichnet.161 Ihr Bezug zu den Anachoreten und ihre Bedeutung im Rahmen dieser Arbeit soll noch kurz aufgezeigt werden.

 

I.1.E.a. Evagrios Pontikos

Evagrios, um 345 im pontischen Ibora als Sohn eines Chorbischofs geboren, war zunächst Schüler Basileios’ des Großen (+ 379), dann Diakon Gregors von Nazianz während dessen kurzer Zeit in Konstantinopel (379-381), schließlich Mönch in den sogenannten Kellia (383-399) als Schüler der beiden Makarioi.

Den entscheidenden intellektuellen Impuls zu dieser Bekehrung empfing Evagrios nach seinem eigenen Zeugnis von Gregor von Nazianz, dem „Gefäß der Erwählung“ und „Mund Christi“, wie er seinen Lehrer ehrfürchtig nennt, und zwar während der kaum zwei Jahre, die er bei ihm in Konstantinopel verbrachte.

Nach dem Weggang Gregors (Mai 381) hatte Evagrios eine existentielle Krise durchzustehen. Palladios, der enge Vertraute und Schüler des Evagrios während seiner Wüstenzeit, hat die Begebenheit in aller Ausführlichkeit überliefert. Evagrios hatte eine Affäre mit einer Frau aus vornehmen Kreisen. Palladios schildert, wie durch ein Traumgesicht die „Ausführung der Tat“ gerade noch verhindert wurde. Wie es auch gewesen sein mag, Evagrios muß jedenfalls Konstantinopel verlassen. Palladios berichtet: „Und so brachte er all seine Habe auf ein Schiff und ging nach Jerusalem. Dort wurde er von der seligen Melania aus Rom aufgenommen. Und wiederum verstockte der Teufel sein Herz, wie er das Herz des Pharao verstockt hatte, und da Evagrios noch jung war und in üppig blühendem Alter stand, kam ihm der Zweifel; er konnte sich nicht entschließen, doch sagte er niemandem ein Wort davon. So wechselte er von neuem seine Kleider, und eitle Ruhmsucht ließ ihn bis in seine Redeweise erschlaffen. Aber Gott, der das Verderben von uns allen abhält, schlug ihn mit einem Fieberanfall und einer langen Krankheit; in sechs Monaten ließ er seinen armseligen Leib, durch den er (auf seinem Weg) gehindert wurde, zu gänzlicher Abzehrung kommen. Da die Ärzte ratlos waren und kein Mittel zur Heilung fanden, sprach die selige Melania zu ihm: ‘Mein Sohn, deine lang dauernde Krankheit gefällt mir nicht. Sage mir, wie es um deinen Sinn steht, denn diese deine Krankheit ist nicht ohne Gott!“ Da gestand er ihr alles. Sie aber sprach zu ihm: „Gib mir auf den Herrn dein Wort, daß du an deinem Vorsatz zu einem mönchischen Leben festhalten willst! Und wenn ich auch eine Sünderin bin, so wiII ich für dich beten, daß dir noch Lebenszeit gewährt wird.’ Evagrios stimmte zu, und er genas innerhalb weniger Tage. Er stand auf, wurde von ihr selbst umgekleidet, verließ das Land und ging nach Ägypten auf den Berg der Nitria.“162

Der Aufenthalt in Jerusalem währte nur einige Monate. Evagrius begibt sich wahrscheinlich 383 nach Ägypten, um ein Leben als Mönch zu führen. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in der Nitria zog er sich in die Kellia in der nitrischen Wüste zurück, wo er bis zu seinem Tod 399 blieb.163

Neben den beiden Makarioi (Macarius der Alexandriner (+ 393) und Macarius der Ägypter (+ 390) hatte Evagrius Kontakt zu Ammonius, mit dem er sich anfreundete. Beide waren mit dem Werk des Origenes vertraut. Die gebildeten Mönche der Kellia schlossen sich den beiden an; die so entstandene Gemeinschaft wurde der „Kreis von Ammonius und Evagrius“ oder nur der „Kreis von Evagrius“ genannt, später dann „Origensten“. Ihre Ideen und Hinwendung zur allegorischen Exegese erschienen der Mehrheit der sketischen Mönche verdächtig. Der alexandrinische Patriarch Theophilus, zunächst Anhänger der sog. Origenisten, wendet sich 399 gegen sie und vertreibt sie aus der Kellia. Evagrios entgeht dieser Verfolgung durch seinen vorzeitigen Tod. Hieronymus verurteilte vor allem die Lehre von der Apatheia in scharfem und verächtlichem Ton und beklagte, daß die Schriften durch Rufinus ins Lateinische übertragen und so im Okzident verbreitet würden.164

Auf dem 5. ökumenischen Konzil von Konstantinopel (553) wird Origenes verurteilt.165 Evagrius erscheint nicht in den Canones des Konzils, wird aber in den Fragmenta erwähnt, wo von „... blasphemiae Didymi, Evagrii & Theodori ...“166 die Rede ist. Seine Verurteilung geschieht erst 649 auf der Synode im Lateran, wo er in Kanon 18 unter anderem zusammen mit Origenes und Didymus genannt wird.167

Evagrios wird mit 7 Apophthegmata im Alphabeticon zitiert (Apo 227-233) und kommt noch einmal als Zeuge für das Wort eines anonymen Altvaters in Rosweydes Sammlung vor (V, 4, 14)(Apo 998). Die gesammelten Sprüche des Evagrios bezeugen eine gewisse Hochschätzung der asketischen Übungen der Mönche und die Warnung vor Tod und dem Endgericht:

„Denke allezeit an deinen Ausgang und vergiß nie des ewigen Gerichtes, so wird deine Seele ohne Verfehlung sein.“ (Evagrios 4)(Apo 230)

Evagrios lebte als Gebildeter unter Mönchen, von denen die meisten analphabetische, ägyptische Bauern waren. Diese machten ihm durchaus klar, daß seine Gelehrsamkeit vielleicht dort, wo er herkam, von Bedeutung sei, hier aber sei er ein Fremder.

„Einmal war in einer gewissen Angelegenheit eine Versammlung in der Kellia, bei der der Altvater Evagrios das Wort führte. Der Priester sprach zu ihm: ‘Wir wissen, Vater, daß du, wenn du in deinem Land geblieben wärest, jetzt dort Bischof wärest und Herr über viele. Nun aber sitzest du hier und bist nur ein Fremdling.’ Er aber besann sich und ließ sich nicht stören. Er schüttelte das Haupt und sagte: ‘Richtig, Vater. Aber ich habe nur einmal gesprochen, für eine weitere Rede habe ich nichts hinzuzufügen168.“ (Evagrios 7)(Apo 233)

Die Geschichte wurde in den Apophthegmata wohl überliefert als Zeugnis der Demut des Altvaters Evagrios angesichts der Provokation. Sie zeigt aber dennoch etwas von der Spannung zwischen Gelehrsamkeit und einfachem, mönchischem Leben. A. und C. Guillaumont betonen, daß damit dem belesenen Evagrios deutlich gemacht werden sollte, daß alle Philosophie und Weisheit, die er in seinen Büchern findet nichts bedeuten im Vergleich mit den Tugenden, die die Ägypter in ihrer einfachen Askese erreichen.169 Dies scheint doch eine sehr weitgehende Interpretation des beschriebenen Konflikts zu sein, vor allem auch deshalb, weil Evagrios gerade dieses einfache mönchische Leben gewählt hatte, dessen Hochschätzung seinerseits gerade im Apophthegma vorher bezeugt wird:

„Einer von den Vätern sprach: Eine besonders einfache (trockene) und (nicht) unregelmäßige Lebensweise, verbunden mit Liebe, führt den Mönch schneller in den Hafen der Leidenschaftslosigkeit.“ (Evagrios 6)(Apo 232)

Allerdings, und das ist die wirklich herausragende Leistung des Evagrios, unterwirft er das Mönchsein einer theologischen Deutung. Diese läßt ihn ohne Zweifel aus der Schar der Altväter herausragen.170 In der systematischen Zusammenfassung und geistigen Durchdringung des Erfahrungswissens der ersten Mönchsgenerationen erweist sich Evagrios als Meister des geistlichen Lebens, der nach dem Urteil L. Bouyers „das erste vollständige System christlicher Spiritualität“171 erstellt hat.

Was die literarische Form betrifft, so schreibt W. Bousset: Evagrios „hat fast seiner ganzen literarischen Hinterlassenschaft ... die Form der Apophthegmen-Literatur aufgeprägt.“172 Dies gilt auch für seine Werke Praktikos und Gnostikos, die er jeweils mit einer Sammlung eigener Apophthegmen versieht. Dies sind, so stellt J. Driscoll fest, die ältesten Beispiele dieses literarischen Genres. Ob Evagrios der erste christliche Autor war, der solche Sammlungen erstellte, muß offen bleiben, zu den Ersten gehörte er aber auf jeden Fall.173 Die Apophthegmata Patrum machen deutlich, daß dieses Lehren in Sprüchen und kurzen Geschichten die Art des Lehrens bei den Wüstenvätern charakterisiert, und Evagrios zeigt in seiner Schrift „Ad monachos“, daß er ein Meister dieser Art des Lehrens ist.174

Seine Theorie über das monastische Leben legte Evagrius in folgenden Werken dar: Rerum monachalium rationes, Tractatus ad Eulogium, mehreren Sentenzensammlungen und zwei kurzen, nur auf syrisch erhaltenen Abhandlungen, den Protrepticus und Pareneticus. Die Beschreibung der Gedanken (Logismoi) und seine Achtlasterlehre entfaltet Evagrios in den Werken: Practicus, De malignis cogitationibus und De octo vitiosis cogitationibus sowie im Antirrheticus. Hier erweist sich Evagrios als Sammler von Erfahrungen des Mönchtums und als ausgezeichneter Beobachter innerer Vorgänge und psychologischer Zusammenhänge im Menschen. Viele seiner Schriften sind aufgrund der Verurteilung nicht mehr im griechischen Original überliefert, sondern liegen nur in anderen orientalischen Sprachen vor. Die Schriften, die griechisch erhalten sind, wurden unter anderem Namen, meist dem von Nilus v. Ancyra, überliefert.

I.1.E.b. Johannes Cassian

Johannes Cassian gehört zu den bedeutendsten und wegweisenden Lehrmeistern des abendländischen Mönchtums. Seine Biographie ist bis heute nicht in allen Fragen geklärt.

Cassian wurde um 360 in der Dobrudscha als Kind reicher, christlicher Eltern geboren. Latein war seine Muttersprache, und gediegene Schulbildung erschloß ihm das antike Bildungsgut. Auch Griechisch hat er später gelernt. Mit seinem Freund Germanus zog er nach seinen Studien nach Bethlehem, um sich dort ins monastische Leben einführen zu lassen. Möglicherweise waren auch hier Taufe und Bekehrung zum klösterlichen Leben zusammengefallen, wie so oft im Leben bekannter Christen des 4. und 5. Jahrhunderts. Cassian muß mit Germanus um 380 in ein Kloster in Bethlehem eingetreten sein, das in der Nähe der Geburtsgrotte lag, in dem sie nur wenige Jahre blieben. Der positive Ruf des ägyptischen Anachoretentums zog die jungen Mönche in die Ferne. Die Kommunität von Bethlehem ließ die beiden schließlich ziehen, versicherte sich aber ihrer Rückkehr durch ein Versprechen, das Germanus und Cassian in der Grotte von Bethlehem ablegten (Conl. 17, 2-5). Daraufhin folgten Wanderjahre durch die ägyptischen Mönchssiedlungen, um den Altmeistern des ägyptischen Mönchstum zu begegnen. Sicher läßt sich ihr Aufenthalt in der Anachoretensiedlung des Abbas Pinufius in der Gegend von Panephysis (Nildelta) ausmachen, ebenso unter den Mönchen von Kellia und der Sketis, wo sie sich den Anachoreten unter Abbas Paphnutius angeschlossen haben. Nach Conl. 17 haben sich die beiden zunächst sieben Jahre in Ägypten aufgehalten. Auf Drängen der Brüder in Bethlehem sind sie dann zurückgekehrt, jedoch nur, um sich von ihrem Versprechen entbinden zu lassen und dann für immer nach Ägypten zu gehen.

Gegen Ende des 4. Jahrhunderts kam es zu Spannungen zwischen den Mönchen, die sich um das geistige Erbe des großen Origenes kristallisierten. Der allmächtige Patriarch Theophilus von Alexandrien griff in den Streit ein, verurteilte die Werke des Origenes und begann, origenistische Mönche zu verfolgen. Diese verließen ihre ägyptischen Siedlungen und flohen nach Palästina oder Konstantinopel, wo sie bei Johannes Chrysostomus Schutz fanden. Diesen Flüchtlingen schlossen sich auch Cassian und Germanus an. In der Reichshauptstadt wurde Cassian zum Diakon geweiht, Germanus zum Priester. Im Jahre 405 erscheinen beide als Anwälte des Chrysostomus in Rom bei Papst Innozenz I.. Danach müssen sich die Wege der beiden getrennt haben. Auch Cassians Lebensgang während der nächsten Jahre ist nur schwer zu rekonstruieren. Nach verbreiteterer Meinung soll Cassian in Rom geblieben, hier vielleicht Priester geworden und auch von hier aus nach Marseille gezogen sein. Er kam bald nach 410 in Marseille zu Ruhe und Seßhaftigkeit. In diesem damals verhältnismäßig befriedeten Reichsgebiet sollte Johannes Cassian seine letzten Lebensjahre verbringen und seine für das frühe Mönchturn des Abendlandes entscheidende Arbeit leisten. Sein frühester „Biograph“, Gennadius von Marseille, teilt mit, Cassian habe in Marseille zwei Klöster gegründet, das eine für Mönche, das andere für Nonnen (De vir. ill. 61). Das Mönchskloster lag bei der Kirche St. Viktor, die Cassian vom Bischof Proculus erhalten hatte, wahrscheinlich auf Empfehlung des aus dem Osten wieder heimgekehrten Bischofs Lazarus, der später auch in der St.-ViktorsKirche begraben wurde.

Mit seinem Einzug in Marseille schloß sich Cassian der monastischen Bewegung in der Provence an - leider schreibt er über sein eigenes Kloster nichts; es wird jedoch anzunehmen sein, daß er seine Mönche nach jenem asketischen Programm formte, das er in seinen späteren Schriften entworfen hat. Die programmatischen Lehrschriften verfaßte er jedoch auf Bitten anderer Klostergründer, die damit dem südgallischen Mönchtum feste Form und sicheren Bestand geben wollten. Zwischen 4I9-426 schrieb er auf Bitten des Bischofs Kastor von Apt175 als eine Art Regel für ein von Kastor gegründetes Kloster sein Werk „De institutionibus coenobiorum et de octo principalium vitiorum remediis libri XII“. Fast gleichzeitig schrieb er ebenfalls auf dessen Anregung hin sein zweites Werk „Conlationes Patrum XXIV“ (zwischen 419-429); den ersten Teil widmete er dessen Bruder Leontius, Bischof von Fréjus, und dem Mönch Helladius (Conl. praef.); den zweiten Teil widmete er dem Abt Honorat von Lérins und dem Mönch Eucherius in diesem bekannten Inselkloster (Conl. 11 praef.) und den dritten Teil schließlich vier weiteren südgallischen Äbten (Conl. 18 praef.). Die Widmungsliste verrät Cassians Ansehen in den monastischen Kreisen Südgalliens. Seine hohe Autorität beruhte auf seiner bekannten Erfahrung des östlichen Mönchtums und auf seiner eigenen monastischen Aktivität innerhalb des Mönchtums der Provence. Neben diesen beiden Hauptschriften griff er in die christologischen Streitfragen seiner Zeit mit der Schrift „De incarnatione Domini contra Nestorium libri VII“ (etwa 428-431) ein. Um 435 ist Johannes Cassian in Marseille gestorben und wurde in der Krypta von St. Viktor begraben.

 

Maß und Norm allen monastischen Verhaltens ist für Cassian das Vorbild der östlichen Mönche, vorab der ägyptischen, in zweiter Linie der aus Palästina und Mesopotamien. Cassian will aus eigenem Erfahren und Erleben berichten. Dabei muß beachtet werden, daß der Verfasser bei der Niederschrift bereits mehr als zwanzig Jahre das östliche Mönchsland verlassen hatte und längst nicht in allen Klöstern und Mönchssiedlungen des Ostens gewesen war. Vieles kannte er nur vom Hörensagen. Entscheidend und prägend für seine Niederschrift war der Auftrag, eine Ordnung für das südgallische Mönchtum zu verfassen. Cassian hat dazu eine eindeutige Meinung: „Ich glaube nämlich nicht, daß eine Neugründung hier im Westen etwas Vernünftigeres und Besseres finden könnte als jene Bestimmungen, nach denen seit den ersten Tagen der Apostelpredigt von heiligen und geistlichen Vätern Klöster gegründet wurden, die bis auf unsere Zeit Bestand haben.“ (De inst. praef. 8). Auch wenn Cassian äußerlich ins Gewand des historischen Berichterstatters schlüpft, steht und arbeitet er unter dem Diktat der Gegenwart.

In der Vorrede zu seiner Schrift „Institutiones coenobiorum“ berichtet Cassian seinem Adressaten Bischof Kastor von seinem Aufenthalt in Ägypten:

„3. In einem Gebiet ohne Klöster willst du die Lebensweise der Orientalen und besonders der Ägypter einführen. Obgleich du selbst in aller Tugend und Wissenschaft vollkommen bist und alle geistlichen Reichtümer besitzt, so daß all denen, die nach der Vollkommenheit streben, nicht nur dein Wort, sondern auch dein Leben allein vollauf als Beispiel genügt, hast du doch mich unberedten, im Ausdruck hilflosen und ungebildeten Mann aufgefordert, daß ich etliches aus der Armut meines Geistes beitrage, um deinen Wunsch zu erfüllen. Du möchtest, daß ich die Lebensweise der Klöster, die wir in Ägypten und Palästina kennenlernen konnten und wie sie uns von den Vätern übergeben wurde, in hilflosem Stil niederschreibe: Anmut des Stils suchst du ja nicht, obgleich du dich darauf vorzüglich verstehst. Du willst das einfache Leben der Heiligen in einfacher Weise für die Brüder im neuen Kloster dargelegt haben.

4. Sosehr mich nun in bestimmtem Maß dein frommes eindringliches Verlangen drängt, dir zu willfahren, so setzen mich doch die vielfältigen Beschwernisse und Schwierigkeiten in Angst, wenn ich dir gehorchen will. Erstens sind die Verdienste meines Lebens nicht so großartig, daß ich mir zutrauen dürfte, solch schwierige, verborgene und heilige Dinge im rechten Sinn zu erfassen. Zweitens können wir uns nicht mehr an all das vollständig erinnern, was wir damals zu tun versucht, gelernt und ihnen abgeschaut haben, als wir in unserer Jugendzeit unter ihnen gelebt haben und durch ihre täglichen Ermahnungen und ihr Beispiel angespornt wurden. Lange Jahre schon sind wir von ihrer Gemeinschaft und der Nachahmung ihres Lebenswandels getrennt. Das wiegt hier besonders schwer, da man das Wesen dieser Lebensart nicht durch fruchtlose Betrachtung noch durch lehrhafte Unterweisung weitergeben, lernen oder im Gedächtnis behalten kann.

5. Das Ganze besteht nämlich allein in der Erfahrung und im Leben. Nur der Erfahrene kann es weitergeben. Begriffen und erkannt werden kann es auch nur von dem, der mit gleichem Eifer und gleicher Anstrengung sich darum bemüht. Wird schließlich die Erfahrung nicht durch andauernde Unterredung mit geistlichen Männern ständig besprochen und vertieft, dann entschwindet sie wiederum rasch dem sorglosen Geist. Drittens können wir uns im besonderen nicht mehr so erinnern, wie die Sache es verdient, sondern eben nur entsprechend unserer jetzigen Verfassung; überdies kann unser ungeschickter Stil das auch nicht angemessen ausdrücken.

Es kommt noch hinzu, daß über dieses Thema große und durch ihren Stil und ihr Wissen ausgezeichnete Männer schon viele Bücher geschrieben haben. Ich verweise nur auf die hl. Basilius, Hieronymus und einige andere. Der erste hat auf Drängen der Brüder verschiedene Regeln des Mönchslebens erklärt und Fragen nicht nur geschickt beantwortet, sondern seine Ausführungen auch reich mit Zeugnissen aus den göttlichen Schriften belegt-. Der zweite hat nicht nur Schriften, die er selbst verfaßte, veröffentlicht; er hat vielmehr griechisch geschriebene ins Lateinische übersetzt.“176

In den „Collationes Patrum“, seinem zweiten Werk für Bischof Kastor177, geht es weiter um die Beschreibung des Mönchtums, jetzt aber auf höherem Niveau oder, um Cassians Bild des geistlichen Schulungsweges zu gebrauchen, es geht immer mehr von außen nach innen. Die literarische Form ist die Unterredung (Collatio) der beiden Freunde Cassian und Germanus mit einigen Berühmtheiten unter den ägyptischen Einsiedlern. Doch erinnern die Texte mehr an Lehrvorträge als an einen Dialog, denn Germanus und Cassian unterbrechen den Redefluß der Väter nur gelegentlich mit Fragen oder Einwürfen. Cassian hat dabei nicht diese Unterweisungen protokolliert, sondern, wie in der Vorrede zu den „Institutiones“ erwähnt, erst Jahrzehnte später aufgeschrieben, was er von den Vätern in Ägypten gelernt hat. So muß davon ausgegangen werden, daß die Institutiones und Collationes von Cassian selbst stammen, auch wenn sie von der Spiritualität der ägyptischen Mönche angestoßen, beeinflußt und durchdrungen sind.

Die Collationes erschienen in drei Lieferungen. Die erste umfaßte zehn Unterredungen mit berühmten Eremiten der sketischen Wüste, bei denen die Freunde während ihres zweiten Ägyptenaufenthaltes in die Schule gegangen waren.178

Cassian schildert von seiner elften Collatio an nicht mehr das Leben der Mönche in der Sketis, sondern wendet sich dem Nildelta mit den Städtchen Panephysis, Thennesus und Diolkos zu. In dieser Gegend spielte offensichtlich bereits zu seiner Zeit das Koinobion die Hauptrolle.179 Die Entscheidung für das Anachoretentum gegen das Koinobitenwesen ist in den sketischen Kreisen, denen die Apophtegmenliteratur entstammt, eindeutig.

Anders steht es mit der Auffassung, die Cassian vor allem in den Büchern XVIII und XIX seiner Collationes vorträgt. Hier werden zwar die Anachoreten neben den Koinobiten durchaus anerkannt. Es wird das Anachoretentum höher eingeschätzt, während die Sarabaitae unbedingt verworfen werden. Aber die Grundlage der ganzen Beurteilung ist doch das geregelte Koinobitenwesen. Die Anachoreten sind danach aus dem Koinobion hervorgegangen.180 Das Koinobion ist die Vorstufe des Anachoretenwesens, die nicht übersprungen werden darf. Mit Geistesangst und Kleinmut sind oft die behaftet, „welche sich mit voreiligem Verlangen in das einsame Leben begaben, ehe sie im Kloster vollkommen geschult und ihre früheren Laster ausgebrannt waren.“181