Freie und faire Wahlen?

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Wählen nur mit Staatsbürgerschaft?

Das Recht auf Teilnahme an Wahlen ist zwar in internationalen Menschenrechtsabkommen verankert, bleibt dort aber, wie bereits erwähnt wurde, als einziges Recht ausdrücklich auf die Ausübung im eigenen Land bzw. an die Staatsbürgerschaft gebunden. Demzufolge ist es mit internationalen Menschenrechtsabkommen völkerrechtlich vereinbar, wenn die Staaten, wie üblich, das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft koppeln. Dies trifft allerdings nicht zu, wenn das Staatsbürgerrecht nicht menschenrechtskonform ausgestaltet ist. In dem ehemals von freigelassenen Sklaven gegründeten Staat Liberia gewährt die Verfassung beispielsweise nur jenen Personen per Geburt oder Einbürgerung die Staatsbürgerschaft (und damit das Wahlrecht), „[…] who are Negro or of Negro descent“. Einem beachtlichen Teil der im Land geborenen Menschen, die diese Bedingung nicht erfüllen, wird somit das Wahlrecht verwehrt. Eine ähnliche Regelung findet sich in der Verfassung von Sierra Leone.

Ebenso problematisch ist, wenn nur Männer, aber nicht Frauen ihre Staatsbürgerschaft an ihren Ehepartner weitergeben können, wie dies etwa in Nepal der Fall ist, oder die Staatsbürgerschaft, wie in Myanmar, daran geknüpft wird, dass beide Elternteile Staatsangehörige waren oder sind. Zu beanstanden ist ferner, wenn Personen, die zwei Staatsbürgerschaften haben, nicht wählen dürfen, wie dies etwa in Gambia und einigen weiteren afrikanischen Staaten geregelt ist. In Europa schreibt die Europäische Konvention über die Staatsangehörigkeit vor, dass Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit über dieselben Rechte verfügen wie andere Inländer. Portugals Wahlgesetz regelt beispielsweise ausdrücklich, dass portugiesische Staatsangehörige mit einer zweiten Staatsbürgerschaft nicht ihr Wahlrecht einbüßen. Allerdings gibt es in Deutschland eine Debatte darüber, ob dann diese Personen bevorteilt werden.65 Weiterhin sollte nach einer etwaigen Einbürgerung auch umgehend das Wahlrecht gewährt werden. Selbst in dem demokratisch regierten Costa Rica geschieht dies laut Verfassung erst zehn Jahre nach Erlangen der Staatsbürgerschaft.

Unabhängig von den mitunter problematischen Voraussetzungen der Staatsbürgerschaft66 gilt, dass nicht alle im Land lebenden Menschen, sondern für gewöhnlich nur Staatsangehörige das Recht eingeräumt bekommen, auf nationaler Ebene zu wählen. Nur in einigen europäischen Staaten dürfen aus historischen und politischen Gründen auch ansässige Nichtstaatsangehörige bei nationalen Parlamentswahlen zur Wahl gehen: In Irland trifft dies auf ansässige Briten und in Großbritannien auf dort wohnende Iren und Commonwealth-Angehörige zu. Letztere genießen auch in einigen Staaten der englischsprachigen Karibik das aktive (nicht aber das passive) Wahlrecht. Darüber hinaus dürfen ansässige ausländische Staatsangehörige beispielsweise seit 1975 in Neuseeland nach einem Jahr ständigen Aufenthalts wählen, was dort einigen Autorinnen und Autoren zufolge zu einer „uniquely inclusive political community“67 geführt habe. In Chile und Ecuador können im Land wohnhafte Nichtstaatsangehörige nach fünf Jahren, in Malawi nach sieben Jahren und in Uruguay nach 15 Jahren das aktive Wahlrecht für nationale Wahlen erlangen. In Luxemburg wurde im Juni 2015 hingegen ein Referendum über die Frage, ob alle Einwohner des Lands unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit nach zehn Jahren Aufenthalt das Wahlrecht auch bei nationalen Wahlen erhalten sollten, abschlägig entschieden.

Ansonsten räumen die Staaten Nichtstaatsangehörigen allenfalls bei subnationalen Wahlen das Wahlrecht ein.68 In Lateinamerika ist dies etwa, verbunden mit bestimmten Residenzpflichten, in Bolivien, Paraguay und Venezuela der Fall. Innerhalb der Staaten der Europäischen Union (EU) genießen ansässige EU-Ausländerinnen und EU-Ausländer bereits aufgrund des geltenden EU-Rechts sowohl das Europawahlrecht als auch das kommunale Wahlrecht. Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger, sogenannte Drittstaatsangehörige, dürfen ab einer bestimmten Mindestaufenthaltsdauer im Land beispielsweise in Schweden, Dänemark, Island, Finnland und Norwegen, den Niederlanden, der Republik Irland sowie inzwischen auch in Belgien, Estland und Luxemburg an lokalen und/oder regionalen Wahlen teilnehmen. Deutschland hingegen gehört zu den Nachzüglern, wo selbst das kommunale Wahlrecht – trotz gegenteiliger Forderungen vieler Integrationsbeiräte, Migrantinnen- und Migrantenorganisationen und einer entsprechenden Konvention des Europarats69 – bis heute an die Staats- bzw. Unionsbürgerschaft gekoppelt bleibt.

Dahinter stehen nicht nur politische, sondern auch verfassungsrechtliche Gründe. Einer einfachgesetzlichen Einführung des Ausländerwahlrechts hat 1990 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – und daran anknüpfend 2014 etwa auch der Staatsgerichtshof Bremen – einen Riegel vorgeschoben.70 Das Staatsvolk, als Träger der in Wahlen ausgeübten Staatsgewalt (nach Art. 20 Abs. 2 GG), umfasst laut BVerfG nur deutsche Staatsangehörige und die ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen. Folglich sei es verfassungsrechtlich verboten, solchen Personen die Teilhabe an der Staatsgewalt zu ermöglichen, die nicht zum deutschen Staatsvolk gehören. Über das Homogenitätsgebot (Art. 28 Abs. 2 GG) gelte dies auch für die Länder, Kreise und Gemeinden. Geht man – wie das BVerfG und die herrschende Rechtsmeinung – davon aus, dass für die Einführung des Ausländerwahlrechts das Grundgesetz geändert werden müsste, stellt sich zudem die Frage, ob eine solche Änderung nach Maßgabe der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) zulässig wäre. Hierzu gibt es eine verfassungsrechtliche Kontroverse.71 Da jedoch bereits EU-Staatsangehörigen per Grundgesetzänderung das europäische und kommunale Wahlrecht eingeräumt wurde, um EU-Recht umzusetzen, lässt sich argumentieren, dass eine Erweiterung des Wahlrechts auch für Drittstaatsangehörige nicht in den änderungsfesten Bereich des Grundgesetzes fällt.72 Aber selbst wenn eine diesbezügliche Reform möglich wäre, bedürfte es für eine Grundgesetzänderung einer verfassungsändernden politischen Mehrheit im Bundestag, die nur sehr schwer zu erlangen wäre. Gleichwohl wird der Vorschlag, das Wahlrecht von der Staatsangehörigkeit zu entkoppeln, politisch wie akademisch weiterhin diskutiert. Befürworter können dabei das demokratisch plausible Argument vorbringen, dass alle Einwohner eines Lands per Wahl die staatliche Herrschaft legitimieren sollten, der sie unterworfen sind.

Weltweit ist eine allgemeine „Wohnbürgerschaft“ mit Wahlrecht indes noch nicht in Sicht. Solange aber das Wahlrecht für nationale oder subnationale Wahlen auf Staatsangehörige beschränkt bleibt, ist die – mehr oder minder restriktiv gehandhabte – Einbürgerung Voraussetzung für die Wahlteilnahme auf nationaler Ebene. Verglichen mit einer erweiterten Wahlberechtigung für Ausländerinnen und Ausländer, sieht Andreas Funke in einem Erwerb der Staatsangehörigkeit in Deutschland sogar den Vorteil, das Nichtstaatsangehörige nach der Einbürgerung nicht nur Zugang zu Wahlen, sondern auch zu öffentlichen Ämtern, d. h. zu Stellen in der Verwaltung und Rechtsprechung, erhalten würden. Damit betrachtet er das Wahlrecht nicht isoliert, sondern sieht es als Bestandteil eines umfassenden Komplexes von Staatsbürgerschaftsrechten an, die letztlich zusammengehören. Funke weist darauf hin, dass das „Einbürgerungspotenzial“ in Deutschland kaum ausgeschöpft werde: Der Anteil der Einbürgerungen an der Zahl der einbürgerungsfähigen Personen sei gering.73 Dies wiederum lässt erahnen, dass es für viele Menschen offenbar ein großer persönlicher Schritt ist, eine neue Staatsangehörigkeit anzunehmen, zumal, wenn sie dann die alte abgeben müssen. Die Notwendigkeit, bei der Einbürgerung die bisherige Staatsangehörigkeit abzugeben, stellt eines der zentralen Einbürgerungshindernisse dar, wie Umfragen zeigen.74 Begreift man das Wahlrecht als Mittel der Integration, dann könnte es im Sinne einer politischen Sozialisation indes auch auf die Einbürgerung vorbereiten.75

Eine besondere Problemlage ergibt sich für jene Bevölkerungsgruppen, die in postsowjetischen Staaten wie Estland und Lettland nach der Unabhängigkeit nicht automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten haben und ohne Einbürgerung nicht über das aktive wie passive Wahlrecht bei den Parlamentswahlen verfüg(t)en. In Estland ist zwar in den vergangenen 25 Jahren der Anteil solcher „Personen ohne festgelegte Staatsbürgerschaft“ von 32 % auf 6 % gesunken, umfasste bei den Parlamentswahlen 2019 aber immerhin noch rund 75.000 Personen, denen das aktive wie passive Wahlrecht verwehrt blieb.76 Sie gehörten zumeist der russischen Minderheit an, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmacht. In Lettland, mit einem ähnlichen großen Bevölkerungsanteil der russischen Minderheit, belief sich die Zahl solcher „Nichtstaatsbürger“ im Jahr 2018 noch auf knapp 229.000 Personen, also 11 % der Bevölkerung, davon etwa 227.000 im Wahlalter.77 Das Problem betrifft darüber hinaus all jene Millionen Personen weltweit, die – aus unterschiedlichen Gründen – unter nationalen Gesetzen keine Staatsbürgerschaft eines Lands besitzen.

Wahlrecht für im Ausland ansässige Staatsangehörige?

Wohl für jedes Land der Welt gilt, dass es Staatsangehörige gibt, die dauerhaft im Ausland leben. Soll auch diesen das Wahlrecht gewährt werden? Wie viel Verbundenheit und Vertrautheit mit dem politischen Gemeinwesen ist einzufordern, damit im Ausland ansässige Staatsangehörige an der politischen Willensbildung in ihrem „Heimatstaat“ teilhaben? Immerhin treffen sie mit der Wahl eine Entscheidung, von der sie im Ausland nicht unmittelbar betroffen sind. Solche Überlegungen waren maßgeblich dafür, dass in Deutschland und vielen anderen westlichen Demokratien lange Zeit das Wahlrecht oder dessen Ausübung an die Auflage geknüpft war, dass die Staatsangehörigen im Wahlgebiet wohnhaft waren. Unter anderem im Streitfall Hilbe v. Liechtenstein bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass das residence requirement mit dem Recht auf freie Wahlen, wie es in Art. 3 des ersten Protokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist, vereinbar sei. Hieran orientieren sich auch der Code of Good Practice in Electoral Matters des Europarats und die Wahlstandards von OSZE/ODIHR. Problematisch ist allerdings, wenn solche Wohnauflagen unverhältnismäßig lang ausfallen. So kritisierte beispielsweise ODIHR das Wahlgesetz Montenegros, demzufolge Wahlberechtigte die letzten 24 Monaten vor den Wahlen im Land wohnen müssen.

 

Trotz des Fehlens eines entsprechenden internationalen Wahlstandards räumen ohnehin inzwischen die meisten Staaten Europas, ebenso wie viele Länder außerhalb Europas, ihren im Ausland lebenden Staatsangehörigen das Wahlrecht ein, wenn auch gelegentlich mit Einschränkungen oder zeitlich limitiert, wie etwa in Kanada für einen Zeitraum von fünf Jahren und in Großbritannien von 15 Jahren nach Wegzug. Der Entzug des dortigen Wahlrechts nach 15 Jahren wurde vom EGMR nicht als eine Verletzung des Rechts auf freie Wahlen angesehen.78 Zum gleichen Ergebnis kam der EGMR im Falle der jahrzehntelangen Nichtumsetzung einer Verfassungsvorgabe in Griechenland, die ein Auslandswahlrecht vorsieht.79 Erst 2019 wurde im Ausland ansässigen griechischen Staatsangehörigen (sofern sie zwei der vergangenen 35 Jahre in Griechenland gelebt hatten) das Auslandswahlrecht eingeräumt. Nur wenige Jahre zuvor hatte Ungarn auf Initiative Orbáns das Auslandswahlrecht eingeführt, von dem dann die Regierungspartei Fidesz bei den Wahlen 2014 massiv profitierte und rund 95 % der Stimmen der etwa 380.000 wählenden Ungarn im Ausland erhielt. 2015 folgte Rumänien mit einer entsprechenden Gesetzesreform. Bei den dortigen Parlamentswahlen von 2016 waren rund 609.000 rumänische Staatsangehörige im Ausland im Wahlregister eingeschrieben. Nur noch wenige Mitgliedstaaten des Europarats enthalten ihren im Ausland lebenden Staatsangehörigen das Wahlrecht vor bzw. beschränken es auf bestimmte Personengruppen (z. B. Armenien, Irland, Malta) oder gewähren es nur jenen, die sich zeitweilig im Ausland aufhalten (z. B. Dänemark, Liechtenstein, Nordmazedonien, Serbien).

In Lateinamerika wuchs die Zahl der Staaten, die im Ausland ansässigen Staatsangehörigen das Wahlrecht gewähren, zwischen 1990 und 2019 von drei auf 16 Länder an.80 Vorreiter war dort Kolumbien 1961 (erstmals angewandt 1962); Guatemala führte als vorläufig letztes Land der Region das Auslandswahlrecht bei nationalen Wahlen im Jahr 2016 ein; 2019 kam es dort erstmals zur Anwendung. Zu den Ausnahmen zählen Nicaragua sowie Uruguay, wo ein entsprechendes Referendum im Jahr 2009 scheiterte. In der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten besteht das Auslandswahlrecht für Präsidentschaftswahlen (und Referenden), während es für Parlamentswahlen schon seltener ist. Auch in Afrika gewährt mehr als die Hälfte der dortigen Staaten ihren Staatsangehörigen, die im Ausland leben oder sich dort aufhalten, zumindest formal das Wahlrecht für die Präsidentschafts- und/oder Parlamentswahlen.81 Doch wäre jeweils zu prüfen, inwieweit wahlorganisatorisch gewährleistet wird, dass diese ihr Wahlrecht tatsächlich ausüben können. Trotz entsprechender gesetzlicher Regelungen (und eines eigenen Wahlkreises für Wählerinnen und Wähler im Ausland) fand beispielsweise bei den 2017er Wahlen in Angola keine out of country-Wahl statt. Insgesamt weist die Datenbank von International IDEA 125 Staaten und abhängige Gebiete aus, in denen das Auslandswahlrecht für Parlamentswahlen besteht. Für Präsidentschaftswahlen sind es – bei einer geringeren Zahl an Ländern, die direkte Präsidentschaftswahlen durchführen – immerhin noch 88 Länder.82 Allerdings werden in der Liste auch einzelne Länder angeführt, die das Wahlrecht grundsätzlich an eine permanent residency binden, aber Ausnahmen für bestimmte Personengruppen vorsehen.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurde der Grundsatz der Sesshaftigkeit schon früh durchbrochen, indem bereits die ersten Wahlgesetze jenen Angehörigen des öffentlichen Diensts das Wahlrecht verliehen, die auf Anordnung ihres „Dienstherrn“ im Ausland lebten. Nutznießer davon waren etwa Beschäftigte des Auswärtigen Diensts oder Personal der Bundeswehr und der Bundespolizei im Ausland (samt den Angehörigen ihres Hausstands). Im Jahr 2008 wich die Sonderregelung einer allgemeinen Norm für „Auslandsdeutsche“, die – nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 – im Jahr 2013 nochmals grundlegend überarbeitet wurde. Wahlberechtigt sind demnach heute alle im Ausland lebenden Deutschen, die (bei Erfüllung der übrigen Wahlrechtsvoraussetzungen) nach Vollendung des 14. Lebensjahrs mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung innegehabt oder sich dort „sonst gewöhnlich aufgehalten“ haben, wobei dieser Aufenthalt nicht länger als 25 Jahre zurückliegen darf (§ 12 (2) 1 BWahlG). Ein zusätzlicher Auffangtatbestand ermöglicht es auch solchen Personen zu wählen, die diese Bedingungen nicht erfüllen, aber „aus anderen Gründen persönlich oder unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind“ (§ 12 (2) 2 BWahlG). Davon können neben Staatsbediensteten gegebenenfalls deutsche Grenzpendler oder deutsche Beschäftigte nutznießen, die beispielsweise dauerhaft in deutschen Bildungsinstitutionen im Ausland arbeiten und seit Jahrzehnten nicht mehr in Deutschland wohnhaft sind.83

Voraussetzung für die Gewährung des Auslandswahlrechts bleibt indes, dass die Integrität der Stimmabgabe und -auszählung garantiert werden kann. Unzulängliche Kontrollmechanismen dazu stoßen international immer wieder auf Kritik. Auch variieren je nach Land die konkreten Bestimmungen des Auslandswahlrechts, etwa bezüglich der Registrierung und der Stimmabgabe, die vielfach persönlich erfolgen muss, zumeist in den diplomatischen Vertretungen. In Lateinamerika war Mexiko das erste Land, das mittels einer Wahlgesetzreform im Jahr 2005 die Briefwahl für im Ausland ansässige Staatsangehörige einführte, wie sie auch bei uns angewandt wird.

Auch nutzen viele im Ausland ansässige Staatsangehörige nicht die Möglichkeit, sich zu registrieren und zu wählen. In der Ukraine beispielsweise nahmen nur rund 2 % der Staatsangehörigen im Ausland an den Parlamentswahlen von 2019 teil.

Unterschiedlich geregelt ist schließlich auch die Zuordnung der Stimmen bei Parlamentswahlen zu etwaigen Wahlkreisen. In jenen lateinamerikanischen Staaten, welche bei Parlamentswahlen das Wählen im Ausland zulassen, bestehen ebenso wie etwa in Portugal, Kroatien, Guinea-Bissau und neuerdings im Libanon eigene Auslandswahlkreise bzw. reservierte Sitze für die Wahl im Ausland. In anderen Staaten wiederum werden die Stimmen inländischen Wahlkreisen zugeordnet, etwa jenem der Hauptstadt (wie in Lettland), auf Grundlage des früheren Wohnsitzes (wie in Deutschland) oder willkürlich (ohne Wahlkreisbezug) per Los (wie in Russland). Die Zuordnung zu Wahlkreisen entfällt in Ländern, die im nationalen Wahlkreis wählen lassen oder in denen die Auslandswahlberechtigten nur an Präsidentschafts-, nicht aber an Parlamentswahlen teilnehmen dürfen. Letzteres mag darin begründet sein, dass die Verhältniswahl in Lateinamerika vorwiegend in Wahlkreisen durchgeführt wird, zu denen die Auslandswahlberechtigten möglicherweise keinen Bezug mehr haben, doch so ganz überzeugen die für nationale Wahlen unterschiedlichen Wahlrechtsregeln nicht.

Zu jung zum Wählen? Das Wahlalter

Gemeinhin anerkannt sind Altersvoraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts. Dahinter steht die Vorstellung, dass Menschen einer bestimmten „Verstandes- und Lebensreife“84 bedürfen, um ihr Wahlrecht selbstbestimmt und verantwortungsvoll zu nutzen. Trotz aller entwicklungspsychologischer Erkenntnisse ist die Festsetzung eines Mindestalters für das aktive Wahlrecht jedoch letztlich willkürlich, ebenso wie das Alter der Volljährigkeit, an dem sich zumeist das aktive Wahlalter orientiert. Streng genommen müsste es immer wieder daraufhin geprüft werden, ob es der Entwicklungsreife und der Lebenssituation junger Menschen entspricht.

Viele lateinamerikanische Staaten senkten schon früh das aktive Wahlalter auf 18 Jahre.85 In Deutschland wurde das Mindestwahlalter im Jahr 1970 von 21 Jahren auf 18 Jahre verringert und kam 1972 erstmals bei Bundestagswahlen zur Anwendung. Japan rang sich erst 2015 durch, das Mindestwahlalter auf 18 Jahre (zuvor 20 Jahre) festzulegen. 18 Jahre sind zurzeit internationaler Standard für nationale Wahlen, auch wenn in einigen wenigen Ländern, vorwiegend in Asien, das Wahlalter für das aktive Wahlrecht noch höher liegt. Dies können 19 Jahre (z. B. Südkorea), 20 Jahre (z. B. Taiwan) oder gar 21 Jahre (z. B. Malaysia, Singapur) sein.

In einigen asiatischen Ländern liegt es aber auch niedriger: In Indonesien und Timor-Leste müssen Wahlberechtigte nur 17 Jahre alt sein. Auch in Griechenland senkte die Regierung Tsipras (2015 – 2019) das Wahlalter von 18 auf 17 Jahre. In Österreich (seit 2007) und Malta (seit 2018) liegt das Mindestalter bei nationalen Wahlen sogar nur bei 16 Jahren, ebenso wie in Nicaragua, Brasilien, Ecuador und Argentinien (wobei eingebürgerte Staatsangehörige Argentiniens allerdings 18 Jahre alt sein müssen). Hinter der Senkung des Mindestalters stehen, wie in Nicaragua, mitunter politische Motive. Die in den 1980er Jahren regierenden Sandinisten, die 1979 den Diktator Somoza gestürzt hatten, rekrutierten ihre Anhängerschaft gerade aus der mobilisierten Jugend. Als sie im Jahr 1984, inmitten des von den USA initiierten und finanzierten Contra-Kriegs gegen die Sandinisten, den Präsidenten wie das Parlament wählen ließen, erklärten sie sinngemäß: Wer kämpfen könne, der solle auch wählen dürfen. Kurioserweise spielte ein ähnliches Argument im Jahr 1971, also mitten im Vietnam-Krieg, auch bei der Senkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre in den USA eine Rolle.

In Indonesien findet sich aus heutiger Sicht eine weitere Besonderheit: Verheiratete Personen genießen unabhängig vom allgemeinen Mindestalter von 17 Jahren das Wahlrecht. In der Dominikanischen Republik müssen Verheiratete ebenfalls nicht das allgemeine Mindestalter von 18 Jahren erreichen, sondern erhalten schon zuvor die vollen Staatsbürgerrechte und damit das Wahlrecht. Auch in einigen anderen lateinamerikanischen Staaten wurde ehedem beim Wahlalter zwischen unverheirateten und verheirateten Personen (z. B. Mexiko bis 1969) oder Frauen (z. B. El Salvador bis 1950) ein Unterschied gemacht, in Bolivien noch bis zur Verfassungsreform von 1994. Bis dahin lag das dortige Mindestwahlalter von Ledigen bei 21 Jahren und von Verheirateten bei 18 Jahren. Eine ähnliche Abstufung findet sich sogar in Europa, nämlich in Ungarn, wo bereits in den 1920er Jahren Männer mit 24 Jahren, Frauen aber erst mit 30 Jahren wählen durften.86 Dort liegt heute das allgemeine Mindestwahlalter bei 18 Jahren, für Verheiratete aber nur bei 16 Jahren. Hinter solchen Unterscheidungen steht nicht nur ein traditionelles Familienbild, sondern auch die Überlegung, dass Menschen, die Verantwortung für eine Familie übernehmen, auch wählen können sollen. Doch widerspricht es internationalen Standards, das Wahlalter vom Personenstand abhängig zu machen.

In Deutschland senkte Niedersachsen als erstes Bundesland 1996 das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre. Es folgten: Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein (beide 1998), Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen (beide 1999), Berlin (2005), Bremen (2007), Brandenburg (2011) sowie Hamburg (2013). In Bremen (seit 2011), Brandenburg (seit 2012), Hamburg und Schleswig-Holstein (beide seit 2013) gilt das verringerte Wahlalter sogar für Landtagswahlen.87 In Hessen machte die damalige Regierung unter Roland Koch eine entsprechende Reform Ende der 1990er Jahre wieder rückgängig. Für die Bundestagswahlen hingegen blieben entsprechende Initiativen im Bundestag bislang erfolglos. Ein jüngerer Antrag von Bündnis 90/Die Grünen88 knüpfte an die UN-Kinderrechtskonvention an und sah in der Senkung des Wahlalters auf allen politischen Ebenen ein wichtiges Element, damit Jugendliche ihre Interessen selbstständig verträten. Dies schärfe zugleich den Sinn für Gemeinwohl, stärke den Zusammenhalt und den Generationendialog und fördere Integration und Gerechtigkeit. Auch in ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2017 hatten Bündnis 90/Die Grünen, ebenso wie Die Linke und die SPD, die Senkung des Wahlalters auf 16 aufgenommen. Das Wahlprogramm der Piratenpartei sah sogar eine Senkung auf 14 Jahre vor. CDU, CSU und FDP hingegen halten an dem bisherigen Wahlalter für die Bundestagswahlen fest. Gesetzesanträge zur Änderung der Wahlaltersgrenze auf 16 Jahre im Grundgesetz und Bundeswahlgesetz fanden in der 19. Wahlperiode im Bundestag keine Mehrheit.89

 

Kein Erfolg beschieden war (und ist) übrigens auch den überfraktionellen Anträgen für ein „Wahlrecht von Geburt an“, wonach die Eltern die Stimme für ihre Kinder treuhänderisch abgeben sollen.90 In der Wissenschaft wird über das „Wahlrecht von Geburt an“ bzw. über ein Familienwahlrecht seit Jahren intensiv diskutiert.91 Ein solches „Vertreterwahlrecht“ ist jedoch mit dem geltenden Verfassungsrecht wohl nicht vereinbar, da es gegen die Prinzipien der Zählwertgleichheit der Stimmen (one person, one vote) sowie der „Höchstpersönlichkeit“ der Wahl verstößt.

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