Kirchliches Begräbnis trotz Euthanasie?

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Dass in solchen Fällen mitunter die von Kardinal Schönborn angesprochene Hilf- und Ratlosigkeit der Seelsorger und pastoralen Mitarbeiter13 über das richtige und der Situation angemessene pastorale Handeln auftreten und sich auch aufgrund medialer Verbreitung auf andere übertragen, soll an folgenden zwei Fallbeispielen veranschaulicht werden:

Fallbeispiel Krijn (2002)

Die 74-jährige niederländische Toos Krijn (1927-2002) entschied sich im Februar 2002 nach starken unerträglichen Schmerzen wegen einer langjährigen Multiple Sklerose-Erkrankung für die in den Niederlanden straffreie Lebensbeendigung durch bewusste Herbeiführung des Todes. Daraufhin wurden ihr in ihrer Pfarrei Herz Jesu (Eindhoven, Bistum ‘s-Herzogenbosch/Den Bosch), in der sie über mehrere Jahrzehnte sehr aktiv war und ehrenamtlich gewirkt hatte, sowohl durch den Pfarrer Bartholomé van Oudheusden als auch den Pfarrvikar Caspar Maria Rutz das kirchliche Begräbnis und die Feier eines Requiems verweigert, da ihre Handlung der Lehre der Kirche widersprochen habe.14 Diese Entscheidung ist beim Ehemann, den Angehörigen der Verstorbenen und den Gläubigen der Pfarrei sowie der gesamten Diözese auf Unverständnis gestoßen. Im Gegensatz zu den beiden bereits genannten Geistlichen erklärte sich der emeritierte Pastor C. Ruijs aus der Eindhovener Nachbarpfarrei St. Trudo bereit, das kirchliche Begräbnis zu feiern.15 Da der Fall von Toos Krijn fortwährend auch über die niederländischen Grenzen hinaus das Interesse der medialen Öffentlichkeit erregte, gab der damalige Diözesanbischof von ‘s-Hertogenbosch/Den Bosch Antoon Hurkmans eine Stellungnahme ab, in der er die Vorgehensweise der beiden Pfarreipriester billigte. Gleichzeitig betonte er, dass auch Pastor Ruijs nicht falsch gehandelt hätte.16 Bischof Hurkmans gab zwar an, dass die Kirche die Entscheidung jedes einzelnen für aktive Euthanasie respektiere, verlangte aber im Umkehrschluss ebenso, dass auch der Standpunkt der Kirche respektiert werde, demgemäß jede Zuwiderhandlung gegen die Unantastbarkeit des Leben zu verurteilen sei.17

Die Unsicherheit im Umgang mit lebensbeendenden Handlungen zeigt sich im Fall Krijn sowohl auf der Pfarr- als auch Diözesanebene. Einerseits wurden nach Sichtung desselben Sachverhalts durch drei verschiedene Priester über Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses gegensätzliche Entscheidungen getroffen, andererseits hätten nach Ansicht des Diözesanbischofs alle drei agierenden Priester nicht falsch gehandelt, sodass er ihnen wenigstens kein unrechtmäßiges und rechtswidriges Handeln attestierte.

Während im Fall Krijn zumindest die vollzogene Handlung der bewusst herbeigeführten Lebensbeendigung klar ersichtlich war, sodass eher die pastorale Vorgehensweise der Seelsorger zur Disposition stand, verdeutlicht das nachfolgende Fallbeispiel aus der Diözese Rom aus dem Jahr 2006, welche Konsequenzen unterschiedliche Interpretationen von medizinischen Handlungen oder Unterlassungen am Lebensende nach sich ziehen können. Nachdem das Vikariat der Diözese Rom den Abbruch von künstlicher Beatmung und Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr als „Realeuthanasie“ interpretierte und die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses verkündete, erhoben sich weltweit kritische Stimmen. Diese richteten sich zunächst gegen die Verweigerung des Begräbnisses, in einem nachfolgenden Schritt aber gegen deren Begründung, die in der fehlerhaften Interpretation der vollzogenen medizinischen Handlung durch die kirchliche Autorität ausgemacht wurde.18

Fallbeispiel Welby (2006)

Der Italiener Piergiorgio Welby (1945-2006) wendete sich im Dezember 2006 nach 40-jährigem Leiden an progressiver Muskeldystrophie (Muskelschwund) und nahezu vollständiger Lähmung an den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Giorgio Napolitano und bat um die Abschaltung seiner lebenserhaltenden Beatmungsgeräte sowie die Einstellung der künstlichen Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Der daraufhin vollzogene Behandlungsabbruch führte dazu, dass Welby an den Symptomen seiner irreversiblen Krankheit starb. Diese Maßnahme aber, die in vielen westlichen Staaten als Ausdruck des persönlichen Selbstbestimmungsrechtes des Patienten akzeptiert und rechtlich legitimiert ist, wurde seitens des Vikariats von Rom als intendierte Herbeiführung des Todes interpretiert und ein kirchliches Begräbnis verweigert. Aufgrund der breitgefächerten Kritik an der kirchlichen Handlungsweise19 erklärte das Vikariat von Rom, dass Welby seinen Sterbewunsch bis zuletzt öffentlich und unmissverständlich wiederholt habe. Anders als bei Suizidanten, bei denen das Fehlen des vollen Bewusstseins und der bewussten Zustimmung präsumiert werden könne, habe sich Welby bewusst der kirchlichen Lehre widersetzt, worin die rechtliche Grundlage der Begräbnisverweigerung zu sehen sei.20 Der damalige Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz Kardinal Camillo Ruini verteidigte die kirchliche Interpretation der Handlung und die rechtmäßige Konsequenz der Begräbnisverweigerung, weil unter diesen Umständen „eine andere Entscheidung für die Kirche unmöglich und widersprüchlich gewesen [wäre], denn das hätte eine Haltung legitimiert, die gegen das Gesetz Gottes gerichtet ist“21.

Das Vikariat von Rom wurde für seine Interpretation des Behandlungsabbruchs als bewusste und intendierte Herbeiführung des Todes stark kritisiert. Dieser sei keine „keine Euthanasie [gewesen], sondern eine Sterbebegleitung wie sie der Patient ausdrücklich gewollt hat.“22

Die angeführten Fallbeispiele verdeutlichen die Komplexität und Brisanz, die der Forschungsfrage der vorliegenden Studie zu eigen sind. Noch bevor der Seelsorger sich die Frage nach der Möglichkeit der Feier oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses stellen kann, muss er den konkreten Sachverhalt und die vollzogene medizinische Handlung am Lebensende wahrnehmen und analysieren. Dies erfordert von ihm eine Bewertung der medizinischen Handlung in der Hermeneutik des lehramtlich-normativen Maßstabs, dessen Horizont von bewusster Herbeiführung des Todes durch eine Handlung oder Unterlassung bis hin zur zulässigen palliativmedizinischen Sterbebegleitung zur Vermeidung überstrapazierender Lebensverlängerung reicht. Erschwert wird dieses Unterfangen durch die kircheneigene Terminologie zur Unterscheidung und sittlichen Beurteilung der medizinischen Handlungen am Lebensende, die sich durch divergierende Differenzierungskriterien von der in Politik und Gesellschaft gebräuchlichen Terminologie absetzt.

Bevor der Seelsorger also über den moralischen Gehalt einer medizinischen Handlung urteilen kann, muss er

- die vollzogene medizinische Intervention am Lebensende eines schwerkranken Patienten nach staatlich-medizinischen Kategorien wahrnehmen,

- dem staatlichen bzw. gesellschaftlichen Begriffs- und Beurteilungsraster entheben und

- in die kirchliche Terminologie, d. h. in den Deutungs- und Interpretationskontext des kirchlichen Lehramtes transferieren.

Erst mit diesem hermeneutischen Zugang kann die Evaluation des moralischen Gehalts der vollzogenen Handlung unter Beurteilung ihrer Natur und der Intention des einwilligenden Verstorbenen erfolgen und gelingen. Dieser Prozess muss zeitlich gesehen noch vor der Betrachtung und Anwendung der kanonischen Normen zur Begräbnisverweigerung geschehen. Erst wenn zweifellos sicher ist, dass die vollzogene Handlung in die Kategorie ethisch unzulässig einzustufen ist, kann der nächste Schritt im Entscheidungsprozess gegangen werden.

Wünschen die Angehörigen des Verstorbenen trotz verurteilenswürdiger Handlung im konkreten Fall die Feier eines kirchlichen Begräbnisses, dann wird das eingangs nachgezeichnete Spannungsverhältnis zwischen der abstrakten kirchlichen Lehre bezüglich bestimmter Handlungen am Lebensende und der gelebten Wirklichkeit im konkreten Sachverhalt deutlich. In Reaktion auf diese Diskrepanz muss der Seelsorger in der Ausübung seines pastoralen Dienstes zwar die kirchliche Lehre verkündigen, aber ebenso auf die konkreten Wünsche und Ängste der Gläubigen eingehen und eine der entsprechenden Situation angemessene Seelsorge gestalten.23 Die liturgische Begräbnisfeier dabei als Instrument zur Annahme der kirchlichen Lehre seitens der Gläubigen zweckzuentfremden, ist nicht zulässig und rechtswidrig. Mit Blick auf den kirchlichen Sendungsauftrag, das Recht des Verstorbenen auf ein kirchliches Begräbnis sowie das kirchliche Begräbnisrecht als solchem ist der Seelsorger im konkreten Sachverhalt gefordert, die kirchliche Lehre und sein pastorales Handeln in eine kongruente Verbindung zu bringen. Um die von Kardinal Schönborn angesprochenen Handlungsextreme Rigorismus oder Laxismus im Sinne einer ethisch, theologisch und rechtlich verantworteten pastoralen Handlungsweise zu vermeiden, bedarf der Seelsorger daher grundsätzlich fundierte Kenntnisse über

- die psychologischen Implikationen von schwerer, irreversibler Krankheit,

- die Lehre der Kirche bezüglich Euthanasie, der Anwendung therapeutischer schmerzlindernder Mittel sowie

- das theologische Proprium des kirchlichen Begräbnisses zur Abwägung der verschiedenen möglichen Feierformen und -gestalten.

Während diese Aspekte losgelöst vom konkreten Kontext betrachtet und eruiert werden können, steht der Seelsorger zusätzlich noch vor der Aufgabe, den sich ihm darbietenden Sachverhalt in seiner Gänze zu erfassen und zu formulieren.24 Vor allem die Formulierung des Sachverhalts stellt eine große Herausforderung dar, weil in ihr bereits theologische, rechtliche sowie humanwissenschaftliche Implikationen zum Ausdruck kommen, die für den Ausgang der Entscheidung von hoher Relevanz sind. Beispielsweise muss der Seelsorger nach der psychischen Verfassung des Verstorbenen und den Auswirkungen seiner schweren, unheilbaren Krankheit, der Angst vor einem qualvollen und einsamen Tod sowie der Erfahrung unerträglicher Schmerzen auf die Entscheidungsfreiheit fragen. Dafür muss er den lebens- und krankheitsgeschichtlichen Kontext des Verstorbenen kennen und vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Humanwissenschaften, vorzugsweise der Psychologie und Suizidologie, reflektieren. Zudem ist für die Gewissensbildung des Verstorbenen das staatliche Recht nicht unerheblich, da es dem Verstorbenen suggerieren könnte, entsprechende lebensverkürzende Handlungen, die von der Kirche verurteilt werden, seien ethisch vertretbar und könnten rechtmäßig angewandt werden. Erst in der Sichtung aller den Sachverhalt tangierenden Umstände und unter Beachtung der kirchlichen Rechtsprinzipien wie beispielsweise der Epikie und aequitas canonica kann eine sowohl der kirchlichen Lehre als auch dem Leben des Verstorbenen angemessene Entscheidung über Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses getroffen werden.

 

Aus den vorgebrachten Überlegungen über die Anforderungen an den Seelsorger ergeben sich mit Blick auf die Forschungsfrage für eine ekklesiologischkanonistische Aufarbeitung der Thematik folgende Unterfragen: Mit welcher Terminologie arbeitet das kirchliche Lehramt und welche medizinischen Handlungen werden darunter subsumiert? Nach welchen Kriterien werden sie differenziert? Welche medizinischen Handlungen gelten als ethisch zulässig und welche nicht? Welche Bedeutung wird der Intention beigemessen, die mit dem Vollzug einer bestimmten Handlung verfolgt wird? Gibt es Interpretationshilfen für Seelsorger, über subjektiv empfundene und geformte Intentionen zu urteilen, um Rückschlüsse auf die subjektive Zurechenbarkeit einer Handlung zu ziehen?

Mit Blick auf die erbetene Sakramentalie des kirchlichen Begräbnisses und der theologisch-ekklesiologischen Relevanz ihrer Feier ist nachzugehen: Was bedeutet es theologisch wie ekklesiologisch, ein kirchliches Begräbnis für einen Verstorbenen zu feiern? Was ist sein theologisches Proprium und welchen Heilscharakter hat es inne? Was wird in seiner Feiergestalt und seinen essentiellen Elementen zum Ausdruck gebracht und gibt es mögliche Abstufungen der liturgischen Feiergestalt?

Ferner ist zu fragen, wie der kirchliche Gesetzgeber das kirchliche Begräbnis durch rechtliche Normen strukturiert hat: Wer hat ein Recht auf das kirchliche Begräbnis und wem kommt die Pflicht zu, dieses zu feiern? In welcher Beziehung stehen Recht und Pflicht und wie werden sie hergeleitet? Wie wird die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses theologisch und rechtlich begründet und welche Auswirkungen hat das Reueempfinden des Verstorbenen? Ist ein Zeichen der Reue im Kontext von bewusster Herbeiführung des Todes oder des Sterbenlassens durch Behandlungsabbruch bzw. -verzicht überhaupt denkbar? Wie könnte ein solches Zeichen aussehen? Wem kommt die Pflicht zu, die Sündhaftigkeit der vollzogenen Handlung nachzuweisen?

Schließlich ist mit Blick auf die Anwendung des Rechts folgenden Fragen nachzugehen: Welche Relevanz kommt der psychischen Verfassung des schwerkranken Patienten zu? Kann dessen Freiheit derart eingeschränkt sein, dass die vollzogene Handlung oder Einwilligung in die Herbeiführung des Todes nicht subjektiv zurechenbar war? Welche Erkenntnisse aus dem Bereich der Humanwissenschaften, besonders der Psychologie und Suizidologie können für die Betrachtung und Bewertung der konkreten psychischen Situation des schwerkranken Patienten mit Blick auf dessen Willens-, Entscheidungs- und sogar Handlungsfreiheit fruchtbar gemacht werden? Können historisch gewachsene Erkenntnisse aus dem kirchlichen Umgang mit Suizidanten auf den zu hinterfragenden Sachverhalt appliziert werden? Arbeitet der Gesetzgeber auf Basis solcher humanwissenschaftlicher Erkenntnisse eventuell mit Präsumtionen, die von vollständigem oder eingeschränktem Vernunftgebrauch ausgehen, um auf diese Weise Rechtssicherheit und Handlungsfähigkeit zu generieren? Was ist zu tun, wenn Rechts- oder Tatsachenzweifel auftreten? Existiert diesbezüglich ein auf Tradition beruhender Kriterienkatalog für weiteres Vorgehen? Nach welchen Rechtsinstitutionen und -prinzipien kann in der Rechtsanwendung der göttlichen Barmherzigkeit Wirkungskraft verschafft werden? Sind Dissimulation, Dispens und Aequitas canonica zu berücksichtigende Rechtsmittel?

Diesen Fragen ist im Rahmen der vorliegenden Studie nachzugehen. Es kann durchaus sein, dass sie nicht vollständig oder nicht zufriedenstellend beantwortet werden, weil eine vollumfassende Antwort zuvor weiterer Forschungen in anderen Wissenschaftsbereichen bedarf.

1.2. Forschungsstand

Der Forschungsfrage einer möglichen Feier des kirchlichen Begräbnisses nach Vollzug von Euthanasie und ethisch unzulässigen medizinischen Handlungen am Lebensende wurden zuvor weder eine wissenschaftliche Monographie noch andere Publikationen gewidmet. Allenfalls fand die Thematik in der Kommentierung des kirchlichen Begräbnisrechts einen mehr oder weniger rudimentären Anriss. Der italienische Kanonist Adolfo Zambon beschrieb zumindest 2002 die Fragestellung eines kirchlichen Begräbnisses nach Euthanasie im Kontext eines Aufsatzes über schwierige pastorale Situationen, ging aber nicht detailliert auf die kontextuellen Rechte und Pflichten der Betroffenen bzw. Beteiligten, die Bedingungen des konkreten Sachverhalts sowie die theologischen, ekklesiologischen und psychologischen Implikationen der Rechtsanwendung ein.25 Ein Jahr zuvor stellte der amerikanische Kanonist Robert Barry die Frage, ob vernunftbegabten Suizidanten, die sich aus Protest gegen das Verbot der Selbsttötung, aus politischen Gründen oder aber zum Beweis der vom kirchlichen Lehramt unabhängigen moralischen Gültigkeit des Freitods selbst töteten, ein kirchliches Begräbnis zu gewähren oder verweigern ist. Explizit grenzte er seine Untersuchung von der Frage nach einem kirchlichen Begräbnis nach Suizid als Flucht vor schwerer Krankheit ab.26 Entfernt ist zudem auf die Arbeit des US-amerikanischen Kanonisten John B. Doherty zu verweisen, der 2002 die Rechtsanwendung des kanonischen Straftatbestandes der Tötung (homicidium) auf den Sachverhalt des Abbruchs bzw. Verzichts von künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr hinterfragte, um die Kirche in ihrer Rolle als Schützerin des Lebens zu stärken. Dabei engte er den wissenschaftlichen Fokus vor allem auf jene Gläubigen ein, die dem Wunsch eines Patenten nach Behandlungsabbruch bzw. -verzicht nachkamen und umsetzten. Die kirchenrechtlichen Konsequenzen für jene aber, die den Wunsch nach Abbruch oder Verzicht künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr äußerten und in die entsprechende Handlung bzw. Unterlassung einwilligten, wurden nicht reflektiert.27

Neben der existierenden Forschungslücke, die hinsichtlich der Fragestellung der deutsch- und fremdsprachigen Kanonistik zu attestieren ist, muss zudem darauf hingewiesen werden, dass auch auf Seiten der kirchlichen Autorität eine breite Reflexion der rechtlichen Konsequenzen von ethisch unzulässigen medizinischen Interventionen am Lebensende fehlt. Auf Ebene der Bischofskonferenz haben lediglich die niederländischen Bischöfe im Jahr 2005 dieser Thematik eine umfassende Handreichung zur pastoralen Sorge rund um die Bitte nach Euthanasie und Beihilfe zum Suizid28 gewidmet.29 Eine Analyse der pastoralen Handreichung mittels kanonistischer Methode ist bisher nicht erfolgt.30

Auch wenn die vorliegende kirchenrechtliche Studie mit der zugrunde liegenden Fragestellung in der Kanonistik wissenschaftliches „Neuland“ betreten hat, konnten Erkenntnisse, die für die Bearbeitung der Fragestellung notwendig sind, aus entsprechenden Studien zu terminologischen, medizinischen, moraltheologischen, lehramtlichen, liturgiewissenschaftlichen sowie kanonistischen Aspekten von Euthanasie, medizinischen Handlungen am Lebensende, der Situation von schwerkranken und sterbenden Patienten sowie des kirchlichen Begräbnisses gesichtet und rezipiert werden. Sowohl für die Bestimmung der vom Lehramt verwendeten Terminologie in Abgrenzung zu den in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gängigen Begriffen31 als auch für die Analyse der kirchlichen Lehre über die Unantastbarkeit menschlichen Lebens und der Verurteilung von Euthanasie und anderer medizinischer Interventionen am Lebensende stehen Dokumente des kirchlichen Lehramts und eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien in Moraltheologie und Ethik32 zur Verfügung, auf die in angemessener Weise zurückgegriffen wurde.

Für die Reflexion von Theologie und Ekklesiologie des kirchlichen Begräbnisses konnten sowohl kirchliche Dokumente33 als auch liturgiewissenschaftliche Studien rezipiert werden.34 Der profunden Analyse des jeweils zeitgenössischen kirchlichen Umgangs mit Suizidanten vor allem mit Blick das kirchliche Begräbnisrecht und dessen Applikation halfen rechtsgeschichtliche Untersuchungen. Sie unterstützten die Differenzierung der vom jeweiligen Zeitgeist gefärbten theologischen wie rechtlichen Gründe für eine Begräbnisverweigerung, die Klärung des gewandelten theologischen wie ekklesiologischen Verständnisses des kirchlichen Begräbnisses mit Blick auf dessen eschatologische Implikationen als auch die Ursachenforschung der historisch bedingten Interpretationen einer freiheitlichen Entscheidung für Selbsttötung seitens der katholischen Kirche.35 Dadurch offenbarten sich erhebliche Differenzen zwischen der kirchlichen Gesetzgebung über Gewährung und Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses nach Selbsttötung und der Anwendung der rechtlichen Normen im konkreten Einzelfall. Die zur Hilfe genommenen Rechtsquellen wie Konzilstexte, Bußbücher und Rituale sowie die kanonistischen Kommentare wurden vorwiegend in Form von Sekundärliteratur und nicht als Primärliteratur verwendet, sofern dies nicht explizit angegeben ist.36 Diese Vorgehensweise erschließt sich vor dem Hintergrund, dass kein Quellenkommentar an sich oder eine historisch-kritische Einordnung hinsichtlich des jeweils zeitgenössischen theologischen wie rechtlichen Verständnisses intendiert war, sondern die historischen Quellen als hermeneutischen Schlüssel zur Interpretation heutiger theologischer Aussagen und rechtlicher Normen herangezogen wurden.

Für die Rechtsinterpretation des kodikarischen Begräbnisrechts, gegeben im Codex Iuris Canonici von 1917 (=CIC/1917) und Codex Iuris Canonici von 1983 (=CIC/1983), wurde auf einschlägige Kommentare37 sowie wissenschaftliche Publikationen38 zurückgegriffen. Für die Frage nach der subjektiven Zurechenbarkeit der Einwilligung in Euthanasie und andere medizinische Interventionen am Lebensende und der daraus womöglich folgenden subjektiven Schuld des Verstorbenen wurden neben medizinischer und moraltheologischer Fachliteratur über Freiheitsentscheidungen im Kontext von schwerer Krankheit39 auch quantitativ-empirische Studien der Suizidologie herangezogen und deren Erkenntnisse über die Situation der schweren Krankheit sowie implizierte Zwänge, Furcht und Ängste aufgegriffen, reflektiert und wissenschaftlich eingeordnet.40 Mit Blick auf die Applikation des Rechts, insbesondere auf die Rechtsmittel der Barmherzigkeit, Dispens, Dissimulation und aequitas canonica, die alle der Förderung des Seelenheiles (salus animarum) dienen, und hinsichtlich der Bedeutung der Formulierung des konkreten Sachverhalts und deren theologischen Implikationen fand sich eine breitgefächerte kirchenrechtliche Literatur.41

In Anbetracht der Tatsache, dass sich die vorliegende Studie einem Forschungsgebiet aus nahezu unbehandelter Perspektive nähert, kann es nicht Ziel der Arbeit sein, die Thematik vollumfassend und abschließend zu erschließen und alle offenen Fragen zu beantworten, sondern einen ersten, weitere Fragen und Forschungsbereiche aufwerfenden Beitrag zu leisten. Es gilt zunächst, theologische wie kanonistische Wissenschaft und kirchliche Praxis für die Komplexität der Problemstellung zu sensibilisieren, die Relevanz dieses Themenkomplexes zu begründen und beteiligte Personen sprach- und handlungsfähig zu machen. Es soll zudem deutlich werden, dass eine theologisch-ethisch und kirchenrechtlich verantwortbare Ausübung von pastoraler Seelsorge nach dem Vollzug von Euthanasie und anderen medizinischen Handlungen nur im Dialog sowohl der innertheologischen Disziplinen als auch mit den juristischen und humanwissenschaftlichen Wissenschaften gelingen kann.42

 

1.3. Methodik und Gliederung der Arbeit

Fragen im Bereich des Heiligungsdienstes (munus sanctificandi) bewegen die katholische Kirche in ihrem innersten Wesen, da sie sich selbst in ihrer vorrangigen Aufgabe als Vermittlerin des Heils im Auftrag Christi versteht. Damit sie aber als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1) auch wahrgenommen und verstanden wird, ist sie selbst gefordert, bei den Menschen zu sein und für sie zu wirken, sowie ihre Probleme und Nöte zu kennen, um mit pastoraler Sorge angemessen darauf reagieren und die kirchliche Lehre adäquat verkündigen zu können. Kirche ist daher gefordert, sich den Zeichen, Problemen und Fragen der Zeit43 zu stellen und trotz eventueller Verfehlungen – vor allem in solch speziellen Situationen wie schwerer Krankheit im Angesicht des nahenden Sterbens – ihren Sendungsauftrag mit seelsorglichem Wirken zu füllen. Die grundsätzliche Herangehensweise an einen solchen problembeladenen Sachverhalt muss geprägt sein von einem Suchen und Verkünden der Wahrheit in Verbindung mit einer Hermeneutik der göttlichen Barmherzigkeit und der Sendung Jesu zu allen Menschen, auch den Sündern.

Dies erfordert für die vorliegende Studie zunächst einen anthropologischen Zugang, der den aufgrund von Euthanasie oder anderen ethisch unzulässigen Handlungen verstorbenen schwerkranken Gläubigen mit seiner ganz konkreten krankheitsbedingten lebensgeschichtlichen Situation sowie dessen Angehörige mit ihrer Trauer und der Verarbeitung ihres Verlustes in den Mittelpunkt rückt und der Frage nachgeht, wie für diese angemessen Seelsorge zu gestalten ist. Ferner bedarf es eines lösungsorientierten Ansatzes, mit dem die in der Praxis auftretenden Probleme wahrgenommen, zur sachlichen Analyse ihres speziellen Kontextes abstrahiert, alle zu ihrer Klärung notwendigen Aspekte reflektiert und im Sinne einer synthetischen Zusammenschau zu einem Ergebnis bzw. zu einer Lösung zusammengebracht werden. Für diese Ausrichtung der vorliegenden Studie bedarf es einer kanonistischen Methodik, die die Erkenntnisse aus Theologie, Moraltheologie und Psychologie sowohl für die Interpretation als auch für die Anwendung des Rechts aufbereitet und als dessen Hermeneutik versteht. Eine ausschließliche Interpretation der Gesetze würde der Komplexität und Brisanz der Fragestellung nicht im Ansatz gerecht werden und erscheint daher als unzureichend. Die grundsätzlich offen formulierte Fragestellung erlaubt dabei ein ergebnisoffenes wissenschaftliches Arbeiten, wodurch der Druck, ein im Vorfeld gesetztes Ziel erreichen zu müssen, vermieden wurde.

Dennoch erhält die ergebnisoffene Herangehensweise durch das dem Verfasser eigene Verständnis des kirchlichen Rechts als Instrument der kirchlichen Autorität zur Förderung des Seelenheils, der Verkündigung der christlichen Botschaft und der kirchlichen Sendung einen ersten Perspektivfilter. Als theologisch-praktische Disziplin muss vor allem in der Anwendung des Rechts die Transferleistung zur Umsetzung von theoretischen Konzepten und Ansätzen zur Seelsorgeausübung in eine mit dem Glauben und der Lehre der Kirche zu vereinbarende Praxis und eine angemessene pastorale Gestalt zum Tragen kommen. Ein zweiter Perspektivfilter liegt in dem Verständnis, dass kirchenrechtliche Normen oftmals der Übersetzung theologischdoktrineller Erkenntnisse und Einsichten in die Rechtssprache dienen und deswegen auch in deren Licht interpretiert und angewendet werden müssen.44 Während die Theologie durch kontinuierliche Reflexion versucht, den Glauben zu verstehen (fides quaerens intellectum), intendiert das kirchliche Recht, der Gemeinschaft eine Struktur und Ordnung zu geben, damit diese gemäß der theologischen Erkenntnisse leben und handeln kann (fides quaerens actionem).45 Inhalt der theologischen Reflexion und später der rechtlich-strukturellen Umsetzung sind jene Güter, die seitens der Kirche für das Wachsen in Gottes Gnade, den Aufbau des Reiches Gottes auf Erden und letztlich für das Heil der Seele als gut und wertvoll erachtet werden.46 Da die Werte gewissermaßen auch die Ziele kirchlichen Handelns gemäß ihrem eigenen heilsmittlerischen Auftrag darstellen, schafft die Kirche mithilfe der rechtlichen Normen Strukturen, um die Erlösung des Menschen zu unterstützen.47 Die wissenschaftliche Theologie als reflektierende Akquise von Erkenntnissen über den Glauben, das kirchliche Recht als Gewährleistung eines Lebens gemäß dieser Einsichten verstehend, existiert zwischen Theologie und kirchlichem Recht ein enges organisches Verhältnis, sodass theologische Änderung entsprechende rechtliche Reformen bedingen.48 Das hier angedeutete Verständnis des Verhältnisses zwischen Theologie und kanonischem Recht, respektive der Lehren des II. Vatikanischen Konzils und des Codex Iuris Canonici von 1983 drückte Papst Johannes Paul II. (1920-2005, Papst: 1978-2005) in der Apostolischen Konstitution Sacrae disciplinae leges zur Promulgation des überarbeiteten CIC/1983 folgendermaßen aus. Der Codex müsse als „großes Bemühen aufgefaßt werden, eben diese Lehre, nämlich die konziliare Ekklesiologie, in die kanonische Sprache zu übersetzen.“49

Für die vorliegende Studie bedeutet dies beispielsweise, dass die Frage nach dem Recht auf ein kirchliches Begräbnis und dessen Verweigerung nicht allein im Licht der kirchlichen Normen beantwortet werden kann und darf. Sowohl das Recht auf das kirchliche Begräbnis als auch dessen Verweigerung sind nicht primär juridische, sondern theologische Sachverhalte, die der Gesetzgeber rezipiert und mit Normen ausgestaltet hat: Getaufte haben ein Recht auf ein kirchliches Begräbnis aufgrund ihrer Taufe, lediglich die rechtlichen Konsequenzen der Taufe hat der kirchliche Gesetzgeber normiert; die Begräbnisverweigerung ist die rechtlich normierte Konsequenz einer verborgenen theologisch-ekklesiologischen Spannung zwischen dem Vollzug einer objektiv wahrzunehmenden und subjektiv zurechenbaren sündhaften Handlung einerseits und dem Vollzug einer liturgischen Feier andererseits, in der die volle Gemeinschaft des Individuums mit Gott und der Kirche erneuert und vergegenwärtigt werden soll.

Daher erfordert die ausgewählte Methodik, die Komplexität der theologischen Problematik, die im Vollzug von Euthanasie und anderen, den Tod herbeiführenden medizinischen Handlungen für schwerkranke Menschen und der zeitgleich geäußerten Bitte um die Feier eines kirchlichen Begräbnisses begründet liegt, mit ihren Eigenheiten und Spezifika zu erfassen und die für die Fragestellung bedeutsamen Aspekte für die wissenschaftliche Reflexion zu sondieren. Diese wurden in der

- konkreten Situation schwerkranker Menschen mit ihren psychologischen Implikationen,

- im kirchlich-lehramtlichen Verständnis von Euthanasie und anderen medizinischen Handlungen am Lebensende sowie

- der theologisch-liturgischen Deutung des kirchlichen Begräbnisses

ausgemacht. Da sie die Grundlage für die anschließende Interpretation des kirchlichen Rechts bilden, bedarf es zu ihrer detaillierten Betrachtung lediglich einer deskriptiv-kritischen Methode, die die Thematik darstellt, ihre Problemfelder aufzeigt und eventuelle Erkenntnisse für die nachfolgende Rechtsinterpretation aufbereitet.

Im Rahmen dieser Rechtsinterpretation wurde zunächst mittels einer chronologisch-historischen Vorgehensweise eruiert, welche Erkenntnisse aus der Rechtstradition und der kirchlicher Historie als Interpretationszugänge und -kontexte verwendet werden können, um die derzeit geltenden Normen und deren Genese besser zu verstehen und ihre derzeitige Konzeption gegebenenfalls zu kritisieren. Anschließend wird zur Interpretation des kodikarischen Rechts eine systematisch-deduktive Methode verwendet, die einerseits Recht und Pflicht zur Feier des kirchlichen Begräbnisses im Horizont von Recht auf Empfang und Pflicht zu Spendung der geistlichen Güter der Kirche betrachtet, andererseits zunächst die allgemeinen Normen der Begräbnisverweigerung dargestellt, bevor abschließend auf die konkrete Fragestellung eingegangen wird.