Mord am Viktualienmarkt

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4

»Max wollte pünktlich zum Abendessen hier sein und mir danach hinter dem Tresen helfen«, sagte Monika zu ihrer Freundin Anneliese, während sie die Tür zu ihrer kleinen Kneipe aufsperrte. Sie waren in den Isarauen spazieren gewesen, und um 18 Uhr ging, wie an jedem Wochentag, das Geschäft los. »Und jetzt klebt er sicher wieder mit Franzi an irgendeinem Bierausschank in der Stadt fest. Immer dasselbe.«

»Und wenn schon«, erwiderte Anneliese. »Du kennst doch die Männer. Sobald sie zwei Halbe zu viel haben, kommen sie ins Ratschen und Herumblödeln, und alles andere ist vergessen.«

Die platinblonde Anneliese Rothmüller war Monikas älteste und beste Freundin. Blond und schwarz passt immer gut, scherzten die zwei gerne, wenn sie zusammen ausgingen oder gemeinsam eine Urlaubsreise unternahmen.

»Aber die Arbeit hier macht sich nicht von selbst. Bei dem heftigen Föhn ist der Biergarten heute bestimmt rappelvoll.« Obwohl sie ihr Lokal über alles liebte, graute Monika fast schon vor dem abendlichen Ansturm der Gäste, der bei dem heutigen warmen Wetter von ihr allein wohl kaum zu bewältigen war. Morgen und am Sonntag würde sich das besser verteilen, weil sie da schon mittags aufmachte. Aber heute war ihr voller Einsatz gefragt.

»Und wie immer bei Föhn wird die Hälfte deiner Gäste total grantig und daneben sein«, meinte Anneliese. »Das wird ein Spaß.«

»Das darfst du annehmen.« Monika nickte.

»Ich helfe dir.« Anneliese holte sich eine der weißen Schürzen, die hinter dem dunklen Holztresen hingen, vom Haken.

»Musst du aber nicht, Annie. Genieß doch lieber deinen wohlverdienten Eheruhestand.«

»Wer rastet, der rostet.«

Annelieses Mann hatte sie wegen einer Jüngeren verlassen, ihr aber dank ihres hervorragenden Anwalts ein riesiges Haus in bester Lage sowie jede Menge Bargeld überlassen müssen. Arbeiten musste sie in den nächsten 100 Jahren garantiert nicht mehr, um ihren Lebensstandard zu halten. Aber nur alleine zu Hause zu sitzen war einfach nicht ihr Ding, wie sie Monika bereits mehrmals anvertraut hatte. Sie würde dabei irgendwann ganz bestimmt an Langeweile sterben.

Also träfe sie sich lieber mit ihrer besten Freundin. Auch wenn diese etwas für sie zu tun hätte. Arbeit schadete schließlich nicht. Noch dazu in einer netten Kneipe, in der regelmäßig jede Menge interessante Männer auf der Bildfläche erschienen. Natürlich auch uninteressante. Doch die könnte man geflissentlich übersehen. Schließlich wäre sie, genau wie Monika, eine gestandene Frau und kein leicht zu beeindruckendes Mädchen mehr wie zum Beispiel ihre Tochter Sabine. Die schien regelrecht darauf programmiert zu sein, an die falschen Typen zu geraten. Anders könne man sich ihre diesbezüglichen Missgriffe nicht erklären.

»Du bist wieder mal meine Rettung.« Monika, die selbst keine Kinder hatte – Max reichte ihr auch völlig –, atmete erleichtert auf.

»Mach ich doch gerne, Schnucki. Geh du in aller Ruhe in deine Küche und bereite alles vor. Ich kümmere mich solange um den Tresen und den Biergarten.« Anneliese warf ihr eine Kusshand zu. Dann klatschte sie entschlossen in die Hände.

»Angeblich haben sie noch kriminalistisch zu tun«, meinte Monika auf dem Weg in die Küche.

»Max und Franzi?«

»Ja.« Monika blieb stehen und drehte sich um. »Das hat er zumindest so in seiner Nachricht geschrieben.« Ihr Tonfall verriet, dass sie ihre Zweifel daran hatte.

»Vielleicht stimmt es ja.«

»Vielleicht aber auch nicht.« Monika zuckte die Achseln. »Irgendwie traue ich ihm nach all den Jahren immer noch nicht so recht über den Weg.«

»Weil er das eine oder andere Mal fremdgegangen ist?«

»Das meine ich nicht.« Monika schüttelte vehement den Kopf. »Ich sehe das auch nicht so eng. Wollte ja selbst nichts Festes.«

»Das behauptest du immer. Aber ist es auch wirklich so?«

»Es ist so, Annie.« Monika blickte entschlossen drein. »Ich habe schließlich auch nie seine Heiratsanträge angenommen.«

»Aber warum traust du ihm dann nicht über den Weg?«

»Kann ich nicht sagen.« Monika zuckte die Achseln. »Müsste ich mal drüber nachdenken.«

»Klingt irgendwie zickig.«

»Ja?«

»Ja.«

»Dann ist es halt so.«

»Sie sprechen in Rätseln, schöne Frau.« Anneliese schüttelte langsam den Kopf.

»Lass uns arbeiten.«

»Magst du vorher einen kleinen Prosecco?«

»Immer.«

5

Max, Franz und Mathilde setzten gleichzeitig ihre Gläser auf dem Tisch ab.

»Zum Bruderschafttrinken gehört aber auch ein Küsschen links und rechts«, meinte Mathilde.

»Gerne.« Franz, der direkt neben ihr saß, hielt ihr schnell seine rechte Wange hin.

Dann hauchten sie jeweils zwei Bussis neben ihren Ohren in die Luft. Anschließend kam Max an die Reihe. Er und Mathilde beugten sich dazu weit über den länglichen Biergartentisch.

»Aber wir zwei küssen uns nicht schon wieder«, fuhr er danach, an Franz gewandt, fort.

Der nickte nur mit einem breiten Grinsen.

»Das wäre geschafft.« Mathilde lächelte zufrieden. »Duzen tun wir uns ja sowieso längst. Dann bin ich wohl jetzt mit Bierholen an der Reihe.«

»Auf gar keinen Fall. Du bist unser Gast«, wehrte Franz ab. »Max hat zuletzt das Essen geholt. Jetzt bin ich wieder mit Bier dran.«

»Wirklich?« Sie war bereits aufgestanden und blieb unschlüssig stehen.

»Setz dich wieder.« Franz entfernte sich schnell Richtung Schenke. Seinem breiten Grinsen nach freute er sich offensichtlich schon auf das Wiedersehen mit seinem neuen Freund, dem Schankkellner.

»Vielleicht sollten wir uns bald mal auf die Suche nach Dagmar machen«, meinte Max. Er hatte die ganze Zeit über immer wieder an Mathildes verschwundene Freundin gedacht und machte ein ernstes Gesicht.

»Mir wäre es auch lieb. Sie ist jetzt wirklich zu lange fort, ohne erreichbar zu sein. Ist sonst gar nicht ihre Art.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Dabei hatten wir vor der Abreise extra abgemacht, immer die Handys anzulassen, falls wir uns verlieren sollten.«

»Wir könnten hier und da ein paar Leute nach ihr fragen. Vielleicht ist sie jemandem aufgefallen.«

»Den Leuten auf der Straße?« Mathilde sah ihn ungläubig an.

»Nein.« Max schüttelte nun ebenfalls den Kopf. Nur etwas schneller und entschiedener, als sie es zuvor getan hatte. »Wir fragen die Straßenkünstler, die Besitzer der Obststände und Metzgereien und so weiter, die auf dem Weg zum Marienplatz und drum herum liegen.«

»Das könnte Sinn machen.« Sie nickte jetzt nachdenklich. »Dann wissen wir vielleicht auch, mit wem sie unterwegs ist.«

»Eben.« Max nickte ebenfalls.

Franz kam zurück.

»Wir trinken zügig aus und suchen dann nach Dagmar«, empfing ihn Max. »Was meinst du?«

»Gute Idee«, erwiderte er. »Ich muss bloß um 20 Uhr daheim sein. Wir sind bei den Nachbarn zum Essen eingeladen.«

»Schon wieder essen?« Max runzelte die Stirn.

Franz war einfach ein Unikat. Dieser Mensch musste in einer Tour rauchen, essen oder trinken, wenn er sich nicht gerade kopfüber in die Arbeit stürzte. Max machte sich seit längerem Sorgen um Franz’ Gesundheit. Aber wie brachte man einem Kamel bei, durch ein Nadelöhr zu gehen?

»Was glaubst du denn? Ich hab schließlich nur ganz wenige von den Würschteln abbekommen.« Franz untermauerte seine Aussage mit einem unschuldigen Augenaufschlag.

»Geht’s noch?« Max sah ihn höchst verwundert an. »Du hast zehn von 15 Würsteln gegessen. Mathilde fünf. Ich hatte gar keins.«

»Zehn winzige Schweinswürschtel reichen gerade mal für den hohlen Zahn.« Franz blickte unverwandt zurück. »Außerdem, seit wann bist du zusätzlich zu deiner üblichen Erbsenzählerei jetzt auch noch ein Würschtelzähler?«

»Das sagt der Richtige. Wer zählt denn jedes Bier, das ich trinke, wenn Moni nicht dabei ist? Unglaublich.« Max lachte laut und künstlich.

Einige der Umsitzenden drehten sich neugierig zu ihnen um.

»Alles gut, Leute.« Max winkte ihnen weiterlachend zu. »Genießt euer Bier. Hier gibt es nur eine kleine föhnlastige Diskussion unter Freunden.«

Die Angesprochenen wandten sich murmelnd wieder ab.

»Ich wüsste nicht, was an hungrigen Menschen so besonders lustig ist«, meinte Franz zu Max. Er sah ihn ein wenig vorwurfsvoll und neugierig zugleich an.

»Nichts, was du nicht selbst wüsstest, Franzi.« Max lachte erneut. Diesmal allerdings nicht mehr aufgesetzt, sondern ehrlich amüsiert. »Herrschaftszeiten, wenn es dich nicht gäbe, müsste man dich glatt erfinden.«

Mathilde, die ihnen zugehört hatte, blickte nur lächelnd von einem zum anderen. Kindische Männer schienen ihr nicht fremd zu sein.

6

Es war 19.15 Uhr. Monikas kleiner Biergarten war bereits fast bis auf den letzten Platz besetzt. Sie und Anneliese hetzten im Affenzahn zwischen Tresen, Küche und den Gästen hin und her.

»Max kriegt was zu hören!«, sagte Monika zu ihrer besten Freundin während einer kurzen Verschnaufpause hinter der Bar. »Das ist ja jetzt schon kaum zu schaffen. Was wird das erst nachher, wenn die ganzen Stammgäste dazukommen?«

»Vielleicht kann er wirklich nicht kommen«, räumte Anneliese ein.

»Verteidigst du ihn etwa?«

»Du bist manchmal einfach zu misstrauisch.«

»Kriegen wir das alleine hin?« Monika ignorierte die Kritik an ihrer Person. Sie zeigte durch ein offenes Fenster auf den dicht bevölkerten Biergarten.

»Aber sicher.« Anneliese nickte. Sie begann damit, ihre nächste Bestellung selbst am Zapfhahn abzufüllen.

 

Monika ging derweil in die winzige Küche gleich hinter dem Tresen, um zu kochen. Ihre selbstgemachten Fleischpflanzerl gingen heute weg wie warme Semmeln.

Als sie wenig später zurück in den Schankraum kam, hörte sie durch die offen stehenden Fenster aufgeregtes Schreien und Schimpfen.

Sie eilte vor die Tür, um nachzusehen, was dort vor sich ging.

Als sie im Biergarten ankam, sah sie zwei Männer in Jeans und Lederjacke, die sich an einem Tisch gegenüberstanden und sich gegenseitig Bier in die vor Wut geröteten Gesichter schütteten.

Dabei trafen sie mit der wertvollen bernsteinfarbenen Flüssigkeit auch unschuldige Umsitzende an den Nebentischen, die sich darüber lautstark mit einfallsreichen bayerischen Beleidigungen beschwerten.

Drei von ihnen erhoben sich gerade und machten Anstalten, die durchgedrehten, dem Dialekt nach offenkundig norddeutschen Bierspritzer persönlich zur Räson zu bringen. So wie sie aussahen, würden sie dabei wohl auch nicht vor der Anwendung roher Gewalt zurückschrecken.

Bayern gegen Preißn. Das konnte schnell eskalieren.

Monika eilte zum Tisch der Streithähne.

»Hey, ihr zwei. Streiten könnt ihr euch woanders!«, rief sie ihnen zu. »Hört endlich auf damit, oder sollen wir die Polizei rufen?«

»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, erwiderte der kleinere Schnauzbärtige, während er sich blitzschnell das Glas seines Tischnachbarn zur Linken griff und damit seinem Gegenüber erneut eine satte Dusche verpasste. Das karierte Hemd seines Kontrahenten wurde dabei komplett nass.

»Das hier ist meine Angelegenheit, weil mein Biergarten.« Monika deutete mit ihrem Zeigefinger auf sich selbst.

»Papperlapapp. Verschwinde in deine Küche!«, kam es unverschämt vom kleinen Schnauzbart zurück.

»Wollen Sie mir etwa sagen, was ich in meinem Lokal zu tun oder zu lassen habe?« Monika wurde laut. Wenn sie etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, waren es Anmaßung, Unhöflichkeit und grobe Unverschämtheiten, auch wenn heute noch so starker Föhn war. Das war keine Entschuldigung.

»Hau schon ab.« Der Mann schnappte sich das nächste Bier an seinem Tisch und schüttete es seinem größeren, aber dünneren Widersacher mitten ins Gesicht.

Der kam jetzt kaum noch zum Luftholen.

»Hör endlich auf, Joschi. Ich hatte nichts mit deiner Frau!«, rief der mit ausgestreckten abwehrenden Armen, sobald er wieder reden konnte.

»Na klar, der schöne Helmut Weiser hatte nichts mit meiner Marianne.« Joschi lachte unecht. »Und warum habt ihr euch dann letzte Woche im Swingerklub getroffen?«

»Reiner Zufall. Ich war mit meiner eigenen Frau dort.«

»Das heißt gar nichts in einem Swingerklub.«

»Stimmt, aber ich hatte wirklich nichts mit Marianne. Frauen von Freunden sind für mich tabu. Ich schwöre es dir bei allen Heiligen.«

»Ich glaube dir kein Wort.«

»Kannst du aber.« Helmut schüttelte den patschnassen Kopf wie ein Hund, der nach dem Baden aus dem See gestiegen war.

»Ich war noch nie in einem Swingerklub. Hab alles darüber gelesen. Das ist Schweinkram. Da bumsen sie durcheinander und sie gucken den anderen dabei zu. Pfui Teufel.« Joschi schüttelte sich mit deutlich erkennbarer Abscheu.

»Bitte, meine Herren«, mischte sich Monika ein. »Nehmen Sie wieder Platz und besprechen Sie Ihre Beziehungsprobleme in einer Lautstärke, die meine anderen Gäste nicht stört«, sagte sie. »Oder Sie sitzen ganz schnell draußen auf der Straße. Vor allem hören Sie mit diesem unappetitlichen Herumspritzen von unserem guten Bier auf.«

»Genau. Das ist eine Sünde in Bayern, ihr hirnlosen Kaschperlköpfe«, sagte der größte und breiteste der drei Bayern, die immer noch kampfbereit vor ihren Stühlen standen.

»Ihr sollt alle eure Schnauze halten!«, brüllte der kleine und nach wie vor komplett rabiate Joschi, den im Moment nichts auf dieser Welt zu beeindrucken schien. Er zuckte mit seinem Kopf hin und her wie ein Eichhörnchen auf Ecstasy.

»Komm schon, Joschi. Reg dich endlich wieder ab.« Helmuts Stimme klang wie die eines Krankenpflegers während der morgendlichen Medikamentenverteilung.

»Schnauze, Helmut.« Offensichtlich wollte sich Joschi nicht so schnell abregen.

»Das wird mir jetzt zu dumm«, raunte Monika der neben ihr stehenden Anneliese zu. »Ich rufe die Polizei.« Sie zog ihr Handy aus der Schürzentasche. »An dem Vollpfosten mache ich mir garantiert nicht selbst die Hände schmutzig.«

»Recht hast du. Aber dass der Föhn jetzt auch schon die Zugereisten verrückt macht, wundert mich, ehrlich gesagt.« Anneliese schüttelte den Kopf. »Ich dachte immer, das betrifft nur uns Einheimische.«

»Der Föhn ist für alle da.«

»Schaut ganz so aus.« Anneliese betrachtete noch einmal staunend und weiterhin ihren Kopf schüttelnd die Szenerie vor ihnen. »Männer«, murmelte sie. Vor allem der aufgebrachte Kläffer Joschi schien ein tiefergehendes Aggressionsproblem zu haben.

Monika wählte derweil die Nummer des nächstgelegenen Polizeireviers. Sie sollten ihr, so schnell es ging, einen Streifenwagen vorbeischicken. Bei Max und Franz brauchte sie es erst gar nicht zu versuchen. Die waren bestimmt längst jenseits von Gut und Böse und spritzten möglicherweise selbst mit Bier herum. Dabei hätte sie die beiden gerade wirklich dringend brauchen können, verflixt noch mal.

7

19.25 Uhr. Die Sonne stand bereits sehr niedrig am Himmel. Trotzdem wehte immer noch ein heißer Wind durch die belebte Münchner Innenstadt. Franz standen die Schweißperlen auf der Stirn. Max und Mathilde ging es nicht viel besser.

»Bin ich eigentlich in Afrika oder in Bayern?«, fragte Mathilde in die Runde.

»Das ist eine berechtigte Frage. Der Föhn war schon lang nicht mehr so heftig wie heute«, erwiderte Franz.

»Brutal«, meinte Max.

»Ich verstehe wirklich nicht, wo sie bleibt.« Mathilde hatte bisher mindestens zehnmal, aufs Äußerste beunruhigt, Dagmars Nummer gewählt und ihr immer wieder Nachrichten aufs Handy geschickt.

»Das wird in der Tat langsam etwas seltsam«, meinte Franz.

»Ich denke, wir sollten uns sofort auf die Suche nach ihr machen«, meinte Max. »Solange sich noch jemand an sie erinnert.«

»Ich muss, wie schon gesagt, heim zu dem Essen bei den Hubers. Gleich 19.30 Uhr.« Franz zeigte auf seine Armbanduhr. »Schafft ihr das auch ohne mich mit der Suche?«

»Sicher«, erwiderte Max. »Wenn nicht, rufen wir deine Kollegen auf dem Revier an.«

»Die melden sich aber dann sofort bei mir.« Franz klang beunruhigt. »Kann man das nicht anders lösen?«

»Vielleicht finden wir sie ja auch selbst.« Max schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann musst du nicht deinen wertvollen freien Abend opfern.«

Manchmal war Franz wirklich kaum auszuhalten. Genau betrachtet, grenzte es nahezu an ein Wunder, wie er es mit seiner arbeitsscheuen Einstellung zum Leiter des K11, vorsätzliche Tötungsdelikte, Geiselnahme, Menschenraub, gebracht hatte.

»Das klingt gut.« Franz blickte zufrieden drein. »Es ist ja vor allem wegen meiner Sandra, weißt du?«

»Ich weiß.« Max nickte.

Natürlich ist es nicht wegen Sandra, sondern vor allem wegen dem Essen, dem Bier und dem Schnaps. Wieso glaubt er eigentlich, mich nach all den Jahren, die wir uns kennen, immer noch anschwindeln zu können?

»Aber wenn es gar nicht anders geht, dann kannst du mich gerne anrufen«, räumte Franz großzügig ein. »Nach dem Essen natürlich. Es gibt Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Kraut. Das kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.«

»Um wie viel Uhr wäre das dann ungefähr mit dem Anruf, Herr Hauptkommissar?« Max versuchte die Ironie in seiner Stimme gar nicht erst zu verbergen.

»So um 21.30 Uhr herum müssten sie die Nachspeise serviert haben. Du brauchst außerdem gar nicht so spitz daherreden.« Franz bedachte ihn mit einem strafenden Blick.

»Also dann kurz nach 21.30 Uhr?«

»Lieber 22 Uhr.« Franz machte ein ernstes Gesicht. »Am Schluss gibt es immer noch Espresso.«

»Ein genauer Stundenplan, Respekt.«

»Der Josef Huber war Oberstleutnant bei der Bundeswehr. Jetzt ist er pensioniert wie du.« Franz hob vielsagend die Brauen.

»Die Menschen sind, wie sie sind. Aber wie gesagt, vielleicht finden wir Dagmar bis dahin selbst.« Max hoffte inständig, dass es so wäre. Am Ende hätten sie alle beide sonst möglicherweise noch heute Nacht einen weiteren Entführungsfall oder Schlimmeres an der Backe.

»Ruf mich aber trotzdem gegen 22 Uhr an«, meinte Franz.

»Also doch. Warum?«

»Das Essen ist wirklich in Ordnung. Aber die Unterhaltungen mit den Hubers sind stinkfad. Ihre Kinder, ihr letzter und ihr kommender Urlaub, ihre neue Wohnungseinrichtung, vor allem die seit zwei Jahren neue Küche. Immer dasselbe. Langweilerthemen ohne Ende. Bei starkem Föhn wie heute ist es immer besonders schlimm. Da jammern die beiden auch noch in einer Tour über ihre Wehwehchen. Der blanke Horror.«

»Da reden wir zwei natürlich über interessantere Dinge miteinander, wie zum Beispiel Mord und Totschlag oder die Bierpreise, stimmt’s?«

»Genau.« Franz nickte begeistert.

»Und deswegen soll ich dich anrufen? Nur damit du einen Grund hast, dort zu verschwinden, sobald du dir den Bauch vollgeschlagen hast?« Max schüttelte den Kopf.

»Was geht über eine überzeugende Erklärung, um sich vom Acker zu machen?« Franz grinste.

»Gehen wir dann mal?«, wandte sich Mathilde an Max. »Oder gibt es noch mehr zu klären? Vielleicht, welcher Schnaps bei den Hubers zum Espresso gereicht wird?«

»Dort gibt es meistens billigen Weinbrand«, winkte Franz ab. Ob er schlicht und ergreifend nicht mitbekam, dass sie ihn auf den Arm nahm, oder ob er es überging, war seinem Gesichtsausdruck nicht anzusehen. »Ein ekelhaftes Zeug. Dabei habe ich ihnen schon hundertmal aufgetragen, einen anständigen Enzian zu besorgen.«

»Enzian ist doch eine Blume.« Mathilde machte große Augen. »Die kenne ich aus den Heidi-Filmen.«

»Enzian ist nicht nur eine Blume, sondern auch ein Schnaps«, erklärte ihr Max mit erhobenem Zeigefinger.

»Tatsächlich?«

»Ja, ein guter sogar«, fuhr der Herr Oberlehrer Raintaler mit erhobenem Zeigefinger fort. »Mir persönlich schmeckt er jedenfalls. Natürlich darf man nicht zu viel davon trinken, sondern nur gelegentlich ein kleines Stamperl.«

»Ein ganz kleines«, meinte Franz mit ernster Stimme.

Dass er und Max bei ihren Aussagen nicht rot anliefen und ihnen dabei keine langen Nasen wuchsen, sprach für ihre jahrelange Verhörerfahrung mit Kriminellen. Von denen lernte offenkundig jeder irgendwann das Schwindeln. Zwei erfolgreiche Ermittler wie sie erst recht.

»Sachen gibt’s.« Mathilde schüttelte den Kopf.

»Dann mach’s gut, Franzi.« Max erhob sich.

Sie tat es ihm gleich.

»Bis später.« Franz stand ebenfalls auf.

Er gab Mathilde links und rechts ein Küsschen auf die Wangen. Dann nickte er Max kurz zu und entfernte sich leicht wankend Richtung Sendlinger Tor, wo er für den letzten Rest seines Heimwegs die Trambahn nehmen wollte.

Max und Mathilde sahen ihm eine Weile nach.

»Ich muss kurz noch jemandem Bescheid sagen, bevor wir losgehen«, meinte Max, sobald Franz nicht mehr zu sehen war.

Er holte sein Smartphone heraus, trat zwei Schritte beiseite, drehte sich um und schrieb Monika eine Nachricht, dass es auf jeden Fall später werden würde. Er habe es gerade möglicherweise mit einer Entführung zu tun. Da werde er dringend gebraucht. Es ginge dabei um Leben und Tod, wenn es ganz übel herging. Er käme aber trotzdem noch heute Abend zu ihr, sobald es möglich war. Sie solle sich keine Sorgen machen und ihm den Abwasch aufheben. Egal wie spät es wurde.

»Wartet deine Frau auf dich?«, fragte Mathilde, als er sich ihr wieder zuwandte.

»Ich habe keine Frau.« Er schüttelte den Kopf.

»Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein.«

»Kein Problem.«

Ich muss ihr ja nicht gleich auf die Nase binden, dass ich etwas locker Festes mit Monika habe. Geht niemanden außer Moni und mich etwas an.

»Dann gehen wir jetzt?«

»Du könntest mir übrigens ein Bild von Dagmar auf mein Handy schicken. Hast du eins dabei?«