Atomfieber

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Kubakrise: die Welt am Rande eines Atomkriegs

Mit der Kubakrise im Oktober 1962 wurde einer breiten Öffentlichkeit die Gefahr eines möglichen Atomkriegs erstmals bewusst. Nachdem die USA 1959 in Apulien in Südostitalien und bei Izmir in der Türkei atomar bestückte Jupiter-Mittelstreckenraketen aufgestellt hatten, begann die Sowjetunion am 10. Juli 1962 unter dem Decknamen «Operation Anadyr» ihrerseits mit der Stationierung eigener atomarer Mittelstreckenraketen auf Kuba. Die Sowjetunion wollte damit das «Gleichgewicht der Macht» wiederherstellen, umso mehr, als sie mit ihrem Arsenal an Atomwaffen, an Interkontinentalraketen, Atomsprengköpfen und Langstreckenbombern den USA unterlegen war. Die USA befürchteten ihrerseits, dass die Sowjetunion nach der kubanischen Revolution 1959 und der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht vom April 1961 ihren kommunistischen Machtbereich in Lateinamerika ausweiten könnte. Der neue amerikanische Präsident, John F. Kennedy, hatte zudem Angst, nach dem Fiasko in der Schweinebucht in der amerikanischen Öffentlichkeit als Schwächling zu gelten, und war daher fest entschlossen, notfalls auch einen atomaren Erstschlag gegen die Sowjetunion zu führen.

Nachdem ein amerikanisches U-2-Spionageflugzeug im September 1962 die sowjetischen Raketen auf Kuba entdeckt hatte, eskalierte der Konflikt, und John F. Kennedy forderte den sowjetischen Staatschef, Nikita Chruschtschow, am 22. Oktober 1962 in einer Fernsehansprache ultimativ auf, die Raketen abzubauen. Er verhängte eine Seeblockade über Kuba und drohte mit einem Atomkrieg. «Wir werden nicht verfrüht oder unnötigerweise einen weltweiten Atomkrieg riskieren, […] aber wir werden vor diesem Risiko auch nicht zurückschrecken, wenn wir ihm gegenüberstehen.»145 Die Hardliner im Militär setzten John F. Kennedy unter Druck. Curtis LeMay, der Stabschef der Luftwaffe, und Thomas Power, der Chef der Strategischen Bomberflotte, befürworteten einen atomaren Erstschlag. Im Kriegsfall hätten die USA 3500 Atomwaffen gegen 1077 Ziele in der Sowjetunion und in der Volksrepublik China eingesetzt.146

Nikita Chruschtschow, der mit der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba ebenfalls mit dem Feuer gespielt hatte, befürchtete einen weltweiten Atomkrieg und zog daher aus Angst vor einer unkontrollierbaren Eskalation des Konflikts die Notbremse. «Wir sehen uns unmittelbar der Gefahr eines Kriegs und einer nuklearen Katastrophe ausgesetzt. […] Um die Welt zu retten, müssen wir den Rückzug antreten.»147 Am 28. Oktober 1962 wurde der Abzug der sowjetischen Raketen auf Kuba gemeldet. Im Gegenzug erklärten sich die USA bereit, keine weitere militärische Invasion Kubas zu planen und ihrerseits die atomaren Mittelstreckenraketen aus der Türkei abzuziehen. Dieser Rückzug ging, von der internationalen Öffentlichkeit fast unbemerkt, im April 1963 über die Bühne. Gegenüber den amerikanischen Journalisten verkündete John F. Kennedy derweil seine persönliche Lesart der überstandenen atomaren Krise: «Ich habe ihm [Nikita Chruschtschow] die Eier abgeschnitten.»148

Der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro war der Verlierer im Machtpoker zwischen den beiden Supermächten. Er wäre bereit gewesen, das kubanische Volk zu opfern, um seinen Erzfeind, die USA, zu zerstören. In einer Mischung aus Hybris, Verblendung und Fanatismus hatte er Nikita Chruschtschow in einem bizarren Brief zu einem atomaren Erstschlag gegen die USA aufgefordert. Dieser gab ihm die nüchterne Antwort, dass Kuba den Preis eines weltweiten Atomkriegs nicht wert sei. «Wir kämpfen nicht gegen den Imperialismus, um zu sterben.»149 Nach dem Rückzug der Sowjets erlitt der kubanische Revolutionär einen Tobsuchtsanfall, da er die verhassten Yankees vernichten wollte und dafür auch bereit gewesen wäre, selbst als «Märtyrer» zu sterben.

Die Kubakrise ist als der heisseste Moment des Kalten Kriegs in die Geschichte eingegangen, bei dem die Welt an den Rand eines Atomkriegs geriet und nur um Haaresbreite ein neuer Weltkrieg vermieden werden konnte. In der angespannten Situation hätte auch ein läppischer Zufall, ein Versehen, ein Missverständnis oder schlicht ein Nervenzusammenbruch eines Einzelnen einen weltweiten Atomkrieg auslösen können. Chaos, Stress und Kommunikationsprobleme waren in dieser Situation unvermeidlich. Die Konfrontation zwischen den sowjetischen U-Booten, die mit atomaren Torpedos bestückt waren, und der US-Navy hätte auf hoher See sehr schnell eskalieren können. Dass die Situation damals glimpflich ausging, war das Verdienst der sowjetischen U-Boot-Kapitäne, die im entscheidenden Moment einen kühlen Kopf bewahrten.150 Der sowjetische Marineoffizier Wassili Alexandrowitsch Archipow des U-Boots B-59 hat damals durch seine Weigerung, einen atomaren Torpedo abzuschiessen, den Ausbruch des Atomkriegs verhindert.

Während der Kubakrise kam auch der Nachrichtendienst der Schweizer Armee zum Schluss, dass die «Risiken eines ‹Kriegs durch Zufall› spürbar erhöht» worden seien, 151 so die Lagebeurteilung von Oberst Pierre Musy, früherer Bobfahrer und späterer Chef des Schweizer Nachrichtendiensts. Der US-Aussenminister Dean Rusk soll dem Schweizer Botschafter in Washington August R. Lindt mitgeteilt haben: «Die Lage ist so ernst, dass auch ihr Land in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.»152 Seit 1961 vertrat die Schweizer Botschaft in Havanna die Interessen der USA gegenüber Kuba. Die Schweizer Diplomatie spielte also während der Kubakrise ebenfalls eine Rolle. Der Schweizer Botschafter in Havanna, Emil Stadelhofer, wurde von US-Aussenminister Dean Rusk auch direkt um diplomatische Vermittlung beim kubanischen Staatschef Fidel Castro gebeten. Nach dem Rückzug der sowjetischen Raketen von Kuba am 28. Oktober 1962 organisierte der Schweizer Botschafter Emil Stadelhofer am 5. November 1962 die Rückführung der Leiche Rudolf Andersons, des Piloten eines amerikanischen Aufklärungsflugzeugs, das über Kuba abgeschossen worden war.153

Die Überwindung der Kubakrise führte ab 1963 zu einer Entspannungspolitik zwischen den beiden Supermächten. Am 20. Juni 1963 wurde ein «heisser Draht», eine direkte Telefonverbindung zwischen dem Weissen Haus und dem Kreml, eingerichtet, der einer Lösung zukünftiger Konflikte zwischen den Supermächten dienen sollte. Am 5. August 1963 wurde in Moskau ein Vertrag über das Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser unterzeichnet. Die USA gaben unter John F. Kennedy die Strategie der «massiven Vergeltung» auf und gingen zu einer Strategie der «flexible response» über, bei der ein militärischer Konflikt mit der Sowjetunion nicht mehr zwangsläufig zu einem weltweiten Atomkrieg führen musste. Auf der Gegenseite proklamierte Nikita Chruschtschow seine Doktrin einer «friedlichen Koexistenz», die den Krieg als Mittel zur Lösung eines Konflikts ebenfalls ablehnte. Gleichzeitig trafen beide Seiten technische Vorkehrungen, die einen unautorisierten Einsatz von Atomwaffen in Zukunft verhindern sollten. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Sowjetunion wurden in der Folge als Stellvertreterkriege in der Dritten Welt ausgetragen, beispielsweise in Vietnam oder in Afghanistan.154

Für den Rüstungswettlauf erwies sich die Entspannungspolitik aber als erstaunlich folgenlos. Die Rüstungsspirale zwischen den beiden Supermächten drehte sich weiter. Ende der 1960er-Jahre wurde das mehrfache gegenseitige Zerstörungspotenzial erreicht. Die Atomwaffenarsenale waren nun gross genug, um die Erde innerhalb weniger Stunden in eine unbewohnbare Hölle zu verwandeln.155 Mit dem atomaren Overkill war die Möglichkeit entstanden, dass die beiden Seiten sich gegenseitig und die ganze Welt mehrfach vernichten konnten. Die immensen Atomwaffenlager schufen die Fähigkeit, einen atomaren Erstschlag zu überstehen und anschliessend noch über genügend Atomwaffen zu verfügen, um einen vernichtenden Gegenschlag ausführen zu können. «Wer zuerst schiesst, stirbt als Zweiter», so lautete die Devise. Der atomare Overkill wäre dabei für beide Seiten tödlich gewesen.

Die Abschreckungstheorie ging von der Annahme aus, dass die Atombombe der Garant für den Frieden sei. Das «Gleichgewicht des Schreckens» sollte verhindern, dass es zu einem direkten Zusammenstoss zwischen den beiden Supermächten käme. Mit der Anhäufung riesiger Arsenale von Atomwaffen auf beiden Seiten stieg aber das Risiko, dass versehentlich oder aus Wahnsinn ein Atomkrieg ausgelöst würde. Der amerikanische Ingenieur Edward A. Murphy jr. hatte im Jahr 1947 bei einer Untersuchung zu militärischen Unfällen mit Raketen das nach ihm benannte Gesetz «Murphy’s law» abgeleitet: «Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.» Während des Kalten Kriegs ereigneten sich etwa 1200 schwere Atomunfälle, darunter Havarien jeglicher Art, Atomsprengköpfe gingen verloren, katastrophale Unfälle ereigneten sich in Atomanlagen, mit Flugzeugen, Raketen, Satelliten, Schiffen und U-Booten. Bei der grossen Anzahl von Atomwaffen weltweit waren Unfälle unvermeidlich. Haarsträubende Schlamperei und krasses menschliches Versagen, verursacht durch Stress, private Probleme oder schlicht Langeweile, lösten in zahlreichen Fällen beinahe einen Atomkrieg aus. Die Kombination von menschlicher Fehlbarkeit und Atomwaffen erzeugte eine explosive Mischung.

Die USA verloren während des Kalten Kriegs rund 30 Atomsprengköpfe. Zerbrochene Pfeile («broken arrows») wurden die verlorenen Atombomben genannt. Besonders anfällig für Unfälle war die amerikanische B-52-Bomberflotte, die bis 1968 mit ihren Wasserstoffbomben im 24-Stunden-Dauereinsatz kontinuierlich in der Luft war und beim entsprechenden Einsatzbefehl mit ihrer tödlichen Fracht strategische Ziele in der Sowjetunion angegriffen hätte. In den 1980er-Jahren bereiteten nebst fehlerhaften Computersystemen auch Hackerangriffe ernsthafte Probleme. Am 26. September 1983 verhinderte beispielsweise der Oberstleutnant der sowjetischen Luftverteidigungsstreitkräfte, Stanislaw Petrow, einen Atomkrieg, indem er im entscheidenden Moment einen kühlen Kopf bewahrte. In der geheimen Kommandozentrale der sowjetischen Satellitenüberwachung im Serpuchow-15-Bunker rund 50 Kilometer südlich von Moskau kam es aufgrund einer fehlerhaften Software bei einem sowjetischen Spionagesatelliten zu einem Fehlalarm, der einen amerikanischen Atomangriff auf die Sowjetunion meldete. Im Fall eines Angriffs auf die Sowjetunion sah die Strategie dabei einen sofortigen atomaren Gegenschlag vor. Stanislaw Petrow verschwieg jedoch den Alarm und verhinderte damit, dass die zuständigen Stellen den atomaren Gegenschlag auslösten.

 

Die Mirage-Affäre

Wenige Wochen nach der Erklärung des Bundesrates vom 11. Juli 1958, die Schweizer Armee gegebenenfalls mit Atomwaffen auszurüsten, erteilte Bundesrat Paul Chaudet dem Generalstabschef Jakob Annasohn im August 1958 den Auftrag, sich nach einem neuen Kampfflugzeug umzusehen. Dieser übergab die Aufgabe, den neuen Kampfjet zu evaluieren, der neu gebildeten Arbeitsgruppe für militärische Flugzeugbeschaffung (AGF). Die AGF bestand aus zwei hohen Offizieren und einem Flugzeugingenieur. 1958/59 begutachtete die AGF insgesamt fünf ausländische Flugzeuge, den italienischen Fiat G-91, den französischen Mirage III, den schwedischen Saab Draken sowie die amerikanischen Grumman Supertiger und Lockheed Starfighter.156

Im Oktober 1959 empfahl die AGF, 100 Jagdflugzeuge vom Typ Mirage III C der französischen Firma Avions Marcel Dassault zu kaufen. Das neue Kampfflugzeug sollte insbesondere als Transportmittel für Atomwaffen einsetzbar sein. Wie der Kommandant der Flieger- und Flugabwehrtruppen, Etienne Primault, bereits in der Sitzung der LVK vom 29. November 1957 sagte, sollte der Mirage fähig sein, mit Atombomben bis nach Moskau zu fliegen. Die Luftwaffe sollte mit atomar bewaffneten Überschall-Jagdbombern ausgestattet werden, um offensive Angriffe im Feindesland zu fliegen und dort die feindlichen Abschussrampen für Atomwaffen und andere strategische Ziele zu bombardieren. Zusammen mit dem Mirage sollten in Frankreich auch gleich Atomwaffen gekauft werden. Der Fliegerkommandant Etienne Primault forderte in einer Studie vom 25. Mai 1959, dass bei einer «allfälligen Bestellung von Flugzeugen Typ Mirage [sondiert werden sollte], ob Frankreich bereit wäre, uns Spaltmaterial zu Zwecken der Ausrüstung unserer Armee mit Atomwaffen zu liefern».157

Der Bundesrat beantragte am 28. Dezember 1960, 100 Flugzeuge des Typs Mirage III C zu kaufen, die in Lizenz in der Schweiz herzustellen seien. Dabei argumentierte der Bundesrat folgendermassen: «Die bedeutsamste Erhöhung der Schlagkraft der Flugwaffe würde mit der Verwendung von Atomgeschossen erreicht.»158 Mit dem Mirage wollte die Schweizer Armee im Kriegsfall der Sowjetunion den Garaus machen. Der Fliegeroffizier Othmar Bloetzer, ebenfalls ein Mitglied der AGF, meinte 1964, es sei notwendig, «die Gefahr primär an der Wurzel zu fassen. Ein oft angeführtes Beispiel ist jenes der ‹lästigen Wespen›. Wenn man eine Wespenplage meistern will, so nützt es relativ wenig, die am Objekt tätigen Insekten totzuschlagen oder das angegriffene Objekt unter einem Deckel zu verstecken. Ruhe hat man erst, wenn man das Nest ausräuchert.»159

Am 25. April 1961 erschien die Botschaft des Bundesrates zur Mirage-Beschaffung. Der Kredit für die 100 Flugzeuge betrug 871 Millionen Franken. Das Parlament stimmte dem Kauf am 21. Juni 1961 zu. Im Juli 1961 unterzeichnete Bundesrat Paul Chaudet die Verträge mit der Firma Avions Marcel Dessault. Die Schweizer Armee bestellte jedoch nicht die Standardausführung des Mirage vom Typ III C, sondern eine helvetische Sonderanfertigung. Der Schweizer Mirage musste in enge Kavernen passen und auf kurzen Pisten starten und landen können. Zudem sollte er mit der Bordelektronik «Taran» der US-amerikanischen Hughes Aircraft Company ausgerüstet werden, einem Hightech-Navigations- und Feuerleitsystem.160

Die Schweizer Armee wollte das beste Kampfflugzeug beschaffen, koste es, was es wolle. Im Militärdepartement war schnell klar, dass der bewilligte Kredit dafür niemals ausreichen würde. Schliesslich liess sich die gewaltige Kostenexplosion nicht mehr verheimlichen. Es handle sich «um eine sehr peinliche Angelegenheit, die ihm schon lange viele Sorgen mache», berichtete Paul Chaudet seinen Bundesratskollegen in der Sitzung vom 28. Februar 1964.161 Bei der Beschaffung der neuen Mirage-Kampfflugzeuge sei es zu einer massiven Überschreitung des vom Parlament genehmigten Budgets gekommen. Auch der Generalstabschef Jakob Annasohn sei über die Angelegenheit «äusserst deprimiert».162

Der Bundesrat forderte am 24. April 1964 einen ersten Zusatzkredit von 576 Millionen Franken (356 Millionen für technische Mehrkosten, 220 Millionen für die Teuerung bis 1968). Die Empörung in der Bevölkerung war gross. Ein Sturm der Entrüstung fegte durchs Land. In den Zeitungen hagelte es Leserbriefe, im ganzen Land wurde über die Kostenüberschreitung diskutiert. Bundesrat Paul Chaudet liess sich nicht beirren. In der NZZ vom 27. Mai 1964 träumte er in völliger Verkennung der brenzligen Situation bereits davon, dereinst über «300 Maschinen eines so modernen Typs wie den Mirage» zu verfügen.163 Der Skandal war perfekt. Die Mirage-Affäre erschütterte das Vertrauen der Öffentlichkeit und des Parlaments in die Armeespitze.164

Das Parlament fühlte sich hintergangen und weigerte sich prompt, den Zusatzkredit zu bewilligen. Unter der Leitung des St. Galler CVP-Nationalrats Kurt Furgler bildete es am 10. Juni 1964 die erste Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) seiner Geschichte. Die PUK sollte untersuchen, wie es zur Kostenexplosion kommen konnte. Zwanzig National- und zwölf Ständeräte wühlten sich durch Tausende Seiten von Verwaltungsakten und befragten insgesamt 51 involvierte Personen. Das PR-Büro Rudolf Farners, das für die «Hardliner» im Generalstab lobbyierte, versuchte gleichzeitig, die PUK mit einer Kampagne zu diskreditieren. Am 2. September 1964 präsentierte die PUK ihren Schlussbericht.165

Der Bericht der PUK fiel vernichtend aus. Das Militärdepartement wurde beschuldigt, die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit absichtlich getäuscht zu haben. Die Botschaft zur Mirage-Bestellung von 1961 sei tendenziös, unsorgfältig und stellenweise geradezu irreführend gewesen. Eine undurchsichtige Projektplanung sowie diverse Sonderwünsche, insbesondere der Einbau einer amerikanischen Bordelektronik, habe zur «erschreckenden Höhe des verlangten Zusatzkredits» geführt, die «alles bisher Gewohnte mehrfach übertrifft», schrieb das Finanzdepartement.166 Das Parlament beschloss am 23. September 1964 eine Reduktion von 100 auf 57 Flugzeuge. Der Kauf der Mirage-Flugzeuge kostete am Ende insgesamt 1,18 Milliarden Franken.

Man verlangte, dass Köpfe rollen. Die Verantwortlichen wurden hart bestraft: Fliegerchef Etienne Primault wurde am 5. Oktober 1964 per sofort entlassen, Generalstabschef Jakob Annasohn trat im November 1964 zurück, und Bundesrat Paul Chaudet, der Chef des Militärdepartements, verzichtete am 28. November 1966 erzürnt auf eine weitere Amtszeit, nachdem er von mehreren Parlamentariern wiederholt zum Rücktritt aufgefordert und schliesslich auch von der eigenen Partei fallen gelassen worden war. CVP-Nationalrat Kurt Furgler ging hingegen aus der Mirage-Affäre als siegreicher Held hervor. Für ihn wurde der Skandal zum Karriere-Sprungbrett. 1971 wurde er in den Bundesrat gewählt.167

Der Mirage-Skandal hatte schwerwiegende Folgen für die Konzeption der Landesverteidigung. Auf Antrag des Schaffhauser SP-Nationalrats Walther Bringolf verlangte das Parlament im Sommer 1964 eine Überprüfung der Konzeption der Landesverteidigung. Hinter den Kulissen lobbyierte die SP zudem erfolgreich für eine Wahl von Alfred Ernst zum Korpskommandanten und damit für eine Einsitznahme des prominenten Wortführers einer statischen Verteidigungsstrategie in die LVK. Seine Wahl zum Generalstabschef konnten seine Gegner gerade noch verhindern, doch setzten sich Alfred Ernst und seine Anhänger in den folgenden Jahren in nahezu allen wichtigen militärstrategischen Fragen durch.168

Die Anhänger der Doktrin einer «Mobile Defence» erlitten durch den Mirage-Skandal einen herben Rückschlag. Mit Bundesrat Paul Chaudet, Generalstabschef Jakob Annasohn und Fliegerchef Etienne Primault traten gleich drei vehemente Befürworter der «Mobile Defence» und damit auch die Speerspitze der Befürworter der Atombomben zurück.169 Das Konzept der «Mobile Defence» liess sich mit nur 57 Mirage-Flugzeugen nicht mehr verwirklichen. Zudem verzichtete der Bundesrat nun auch auf den Kauf von Panzern. Der Mirage-Skandal hatte die Militärpolitik insgesamt gelähmt und die Frage nach Atomwaffen zum Tabu gemacht.170 Die neu erarbeitete Konzeption zur Landesverteidigung vom 6. Juni 1966 setzte nun wieder auf einen defensiven Abwehrkampf. Eine hauptsächlich auf Infanterie basierende Schweizer Armee sollte den feindlichen Invasoren flächendeckend einen zermürbenden Abnützungskampf liefern, während mechanisierte Verbände vereinzelt offensive Gegenschläge ausüben konnten. Die «Konzeption 66» blieb danach über 20 Jahre bis zum Ende des Kalten Kriegs gültig.171

Für die «Atombombenträume» der Schweizer Armeeführung bedeutete der Mirage-Skandal einen schweren Rückschlag. Generalstabschef Jakob Annasohn hatte 20 Millionen Franken beantragt, um die Suche nach Uran wieder aufzunehmen, um Uranzentrifugen zu entwickeln und um abzuklären, wo in der Schweiz die geplanten unterirdischen Atombombentests gemacht werden könnten. Unglücklicherweise kam der Antrag im Bundesrat just am Tag zur Sprache, als dieser über den Zusatzkredit von 576 Millionen Franken für den Mirage beraten musste. Als sich der Skandal öffentlich immer mehr zuspitzte, bewirkte das eine Kehrtwende des Bundesrates im Hinblick auf die atomare Bewaffnung der Armee. Der Mirage-Skandal hatte den hochfliegenden «Träumen von Atomwaffen» der Armee endgültig die Flügel gestutzt.172

Der Bundesrat genehmigte am 5. Juni 1964 zwar den Antrag von Generalstabschef Jakob Annasohn, verlangte aber, dass für die waffentechnischen Forschungsarbeiten nicht wie vorgeschlagen ein der ETH Zürich anzugliederndes Institut mit etwa 20 Fachleuten geschaffen werde, sondern dass sich fortan nur ein einziger Experte in der Generalstabsabteilung weiter mit den Atombombenplänen beschäftigen dürfe. Damit waren diese Pläne vorläufig auf Eis gelegt. In der Folge verweigerte der Bundesrat immer wieder Kredite und Personaletats, welche die Durchführung notwendiger Vorarbeiten und Studien für eine atomare Bewaffnung der Schweizer Armee vorgesehen hätten. Trotzdem wollte man sich die nukleare Option weiterhin offenhalten.173