Atomfieber

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Proteste gegen den atomaren Wahnsinn

Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki entstanden weltweit Friedensbewegungen, die eine atomare Abrüstung und die Ächtung von Atomwaffen verlangten. Am 2. Dezember 1945 wurde der Schweizerische Friedensrat gegründet. Als Koordinationsorgan der verschiedenen Friedensgruppen setzte er sich für den Beitritt der Schweiz zur UNO, für die Einführung des Zivildiensts, ein Waffenausfuhrverbot sowie den Kampf gegen die atomare Aufrüstung ein. Nachdem der Bundesrat für die Jahre 1951 bis 1956 ein massives Rüstungsprogramm für die Armee durchgesetzt hatte, lancierte der ehemalige Stadtschreiber von Lausanne, der Journalist und Satiriker Samuel Chevallier, der ein Mitglied der Freisinnigen Partei war, 1954 eine Volksinitiative, die eine Reduktion der Armeeausgaben um 50 Prozent auf 500 Millionen Franken forderte. Die Initiative wurde von rund 85 000 Personen unterstützt.120 Der Bundesrat erklärte die Initiative jedoch für ungültig, da die Beratungen des Budgets für die Militärausgaben bereits abgeschlossen gewesen seien, als der Vorstoss eingereicht wurde. Das Parlament stimmte diesem Entscheid im Dezember 1955 zu: der Ständerat mit 29 zu 5 Stimmen und der Nationalrat äusserst knapp mit 83 zu 82 Stimmen.

Bereits vor der Parlamentsdebatte wurde mit der Sammlung von Unterschriften für eine zweite Initiative begonnen. Die zweite Initiative forderte, dass ein Betrag in der Höhe von rund zehn Prozent der Militärausgaben für soziale und kulturelle Vorhaben im In- und Ausland aufgewendet werden sollte. Die zweite Initiative unterzeichneten 84 000 Personen, wobei der Hauptteil der Unterschriften aus der Romandie kam. Doch auch die zweite Chevallier-Initiative kam nicht zur Abstimmung. Ein prominent besetztes Gegenkomitee mit General Henri Guisan an der Spitze hatte sich formiert und unterstellte den Initianten, sie seien im Abstimmungskampf von Moskau gesteuert gewesen. Samuel Chevallier und seine Mitinitianten, der Zürcher Pfarrer Willi Kobe und der Neuenburger SP-Politiker Jules Humbert-Droz, wurden als «nützliche Idioten» der Sowjetunion diffamiert. Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 erreichte die antikommunistische Hysterie in der Schweiz ihren Höhepunkt. Das Initiativkomitee sah in dieser emotional aufgeladenen Atmosphäre keine Möglichkeit mehr, einen fairen Abstimmungskampf zu führen, und zog deshalb auch die zweite Initiative wieder zurück.

1954 hatte die Sowjetunion ein atomares Patt bei den gegen die USA einsetzbaren Atom- und Wasserstoffbomben erreicht. Die nukleare Erpressung beruhte damit auf Gegenseitigkeit. Daraufhin begannen die USA, taktische Atomwaffen, Atombomber und atomar bestückte Kurz- und Mittelstreckenraketen in verschiedenen Staaten Westeuropas aufzustellen. Seit 1953 drängten zudem auch Frankreich und Grossbritannien darauf, ihre Armeen mit taktischen Atomwaffen aufzurüsten. In Grossbritannien und in Westdeutschland entstand Mitte der 1950er-Jahre eine Anti-Atom-Bewegung, die das atomare Wettrüsten zu stoppen versuchte.

Kurz vor seinem Tod rief Albert Einstein zusammen mit dem englischen Philosophen und Mathematiker Bertrand Russell am 9. Juli 1955 zur Ächtung von Atomwaffen auf. Albert Einstein hatte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als überzeugter Pazifist für eine atomare Abrüstung eingesetzt. Bereits 1947 hatte er in einem Zeitungsinterview seinen Brief an Präsident Franklin D. Roosevelt bereut: «Wenn ich gewusst hätte, dass es den Deutschen nicht gelingen würde, die Atombombe zu konstruieren, hätte ich mich von allem ferngehalten.»121 Auf die Frage, wie er sich den Dritten Weltkrieg vorstelle, soll er geantwortet haben, er wisse zwar nicht, wie der Dritte Weltkrieg geführt, wohl aber, wie der Vierte ausgetragen werde: mit Stöcken und Steinen.122 Das Russell-Einstein-Manifest war eine Reaktion auf den Atombombentest «Bravo» der USA auf dem Bikini-Atoll vom Frühjahr 1954, der zur Verseuchung der Inselbewohner auf den Marshallinseln und eines japanischen Fischerboots geführt hatte.

In Deutschland wurde Mitte der 1950er-Jahre der Philosoph und Schriftsteller Günther Anders zu einem wichtigen Vordenker der Anti-Atom-Bewegung. 1956 erschien der erste Band seines philosophischen Hauptwerks Die Antiquiertheit des Menschen, in dem er den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki als eine historische Zäsur und als den Beginn einer neuen Zeitrechnung deutete.123 Die Menschheit habe damit den Beweis erbracht, dass sie in der Lage sei, sich selbst zu zerstören. Der Mensch sei seinen technischen Erfindungen nicht mehr gewachsen, da sein Herstellungsvermögen sein Vorstellungsvermögen übersteige. Der Mensch könne zwar die Vernichtung einer Grossstadt planen und durchführen, er sei aber unfähig, sich deren Folgen für die betroffenen Menschen vorzustellen. Auschwitz und Hiroshima waren für Anders «Zwillingsereignisse»: Die «fabrikmässige Liquidierung von Menschenmassen» in den Konzentrationslagern sei vergleichbar mit dem nicht minder sadistischen Verdampfen, Verstrahlen, Verstümmeln Hunderttausender japanischer Zivilisten durch die Atombombe. Beides seien Beispiele für eine «Leichenherstellung» im Grossmassstab. Die Massenvernichtung gleiche sich immer mehr der arbeitsteiligen industriellen Produktion an: Keiner tut etwas Böses, jeder nur seine überschaubare Arbeit. 1958 reiste er in die zerstörten Städte Hiroshima und Nagasaki und führte anschliessend einen viel beachteten Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly.124 Als engagierter Aktivist der Anti-Atom-Bewegung hielt Günther Anders auch die friedliche Nutzung der Atomenergie für eine Illusion, denn bei den AKWs handle es sich lediglich um «Zeitbomben mit unfestgelegtem Explosionstermin».125

Nachdem die Bundesrepublik Deutschland am 9. Mai 1955 in die Nato aufgenommen worden war, verlangten Bundeskanzler Konrad Adenauer und sein Atom- und späterer Verteidigungsminister Franz-Josef Strauss ebenfalls eigene Atomwaffen. Am 15. Juli 1955 forderten daraufhin auch die beiden deutschen Physiker Otto Hahn und Max Born in ihrer Mainauer Kundgebung ein Verbot von Atomwaffen. Im März 1957 gab die USA bekannt, dass ihre in Westdeutschland stationierten Truppen mit Atomwaffen ausgerüstet worden seien. Dabei wurden auch Teile der Bundeswehr mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet, wobei die Kontrolle der Atomwaffen jedoch immer in den Händen der US-Militärs blieb. Konrad Adenauer erklärte am 5. April 1957 an einer Pressekonferenz: «Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts als eine Weiterentwicklung der Artillerie.»126 Die Bundeswehr könne nicht auf die taktischen Atomwaffen verzichten. Ende 1957 fanden geheime Verhandlungen der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich und Italien über eine gemeinsame Entwicklung von Atomwaffen statt. Der Plan zerschlug sich, als Mitte 1958 Charles de Gaulle in Paris die Regierung übernahm und fortan eine eigene Atombombe ohne deutsche Hilfe bauen liess. Schliesslich akzeptierte die Regierung Konrad Adenauers die Bedingungen der USA, wonach die Bundeswehr Atomwaffen benutzen, aber nicht selbstständig kontrollieren durfte.

Bereits am 12. April 1957 hatten 18 renommierte deutsche Atomphysiker, darunter Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie sich gegen die Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wandten. Jede taktische Atomwaffe habe «eine ähnliche Wirkung wie die Atombombe, die Hiroshima zerstört hat». Die Gruppe Göttinger Achtzehn, hoch angesehene Wissenschaftler und Atomforscher, kündigte zudem an, dass keiner von ihnen bereit sei, «sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen».127 Verteidigungsminister Franz-Josef Strauss bezeichnete daraufhin Otto Hahn während einer Pressekonferenz als «alten Trottel, der die Tränen nicht halten und nachts nicht schlafen kann, wenn er an Hiroshima denkt».128 Am 23. April 1957 richtete auch der evangelische Theologe und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer über den Sender Radio Oslo einen Appell an die Menschheit. Aus der Erklärung der «Göttinger Achtzehn» entstand in Westdeutschland die pazifistische Bewegung «Kampf dem Atomtod!», woraus sich im Frühjahr 1958 in mehreren deutschen Städten Massendemonstrationen mit insgesamt 1,5 Millionen Teilnehmenden entwickelten. Am 7. April 1958 fand in London gleichzeitig der erste Ostermarsch statt, bei dem rund 10 000 Menschen aus Protest gegen die atomare Aufrüstung vom Trafalgar Square über 80 Kilometer zum Atomforschungszentrum Aldermaston marschierten. In den folgenden Jahren fanden in mehreren westeuropäischen Ländern jährlich Ostermärsche statt.

Inspiriert von diesen Friedensbewegungen in Westdeutschland und in Grossbritannien war im Frühjahr 1958 auch in der Schweiz eine Anti-Atom-Bewegung entstanden. Am 18. Mai 1958 trafen sich rund 140 Personen in Bern und gründeten die Schweizerische Bewegung gegen atomare Aufrüstung (SBgaA). Dabei wurde eine Volksinitiative zum Verbot der Atomwaffen angekündigt. Diese verlangte ein Verbot der Herstellung, Einfuhr, Durchfuhr, Lagerung und Anwendung von Atomwaffen. Zum Präsidenten der SBgaA wurde der Berner SP-Nationalrat Fritz Giovanoli gewählt. Daneben gehörten der Zürcher Pfarrer Willi Kobe und der SP-Politiker Heinrich Buchbinder zu den führenden Köpfen. Ab 1959 gab die SBgaA das Atombulletin heraus. Auf ihrem Höhepunkt zählte sie etwa 15 000 Mitglieder. In der Bewegung waren nebst kirchlich-pazifistischen Kreisen und den Anhängern der «Chevallier-Initiativen» vor allem Mitglieder des linken Flügels der Sozialdemokratischen Partei (SP) vertreten.

Die Anti-Atom-Initiative spaltete jedoch die Schweizer Sozialdemokratie. Der Parteivorstand der SP diskutierte die Initiative am 21. Juni 1958. Der Parteipräsident, Walther Bringolf, war gegen eine Beteiligung der SP, und der Parteivorstand lehnte die Initiative mit 44 zu 5 Stimmen ab. Am 11. Juni 1958 veröffentlichten 35 prominente Sozialdemokraten und Gewerkschafter, darunter auch die späteren Bundesräte Hans-Peter Tschudi und Willi Ritschard, eine Erklärung in der Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiter-Zeitung, die sich gegen die Bewegung gegen Atomwaffen wandte. In ihrem Wortlaut kann die Erklärung durchaus mit den öffentlichen Stellungnahmen hoher Schweizer Offiziere und ihren entsprechenden Äusserungen in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift verglichen werden: «Mit grosser Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass sich in unserem Land eine Richtung abzeichnet, welche in Verkennung der Realitäten und in leider nur allzu deutlicher Imitation der innenpolitisch bedingten Kampagne in der Deutschen Bundesrepublik eine ‹Bewegung gegen den Atomtod› einleitet, die, wenn sicher ungewollt, in ihrem Wirklichkeitsgehalt nichts anderes ist und sein kann als ein Versuch der Wehrlosmachung der freien Völker.»129 An einem ausserordentlichen Parteitag der SP vom 4. Oktober 1958 in Luzern stimmten die Delegierten mit 381 zu 294 Stimmen gegen ein Atomwaffenverbot und für die Lancierung einer eigenen Initiative, die wie folgt lautete: «Der Beschluss über die Ausrüstung der schweizerischen Armee mit Atomwaffen irgendwelcher Art ist obligatorisch dem Volk zur Entscheidung vorzulegen.» Gegenüber der «Atominitiative 1» der SBgaA lehnte die «Atominitiative 2» der SP eine Bewaffnung der Schweizer Armee nicht grundsätzlich ab, sondern unterstellte sie lediglich einem obligatorischen Referendum.

 

Für Juli 1958 luden Fritz Giovanoli und die SBgaA zu einem «Europäischen Kongress gegen die atomare Bewaffnung» nach Basel ein. Als Referenten waren unter anderem vorgesehen: der englische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell, der evangelische Theologe Karl Barth, der deutsche Physiker Max Born, der Wissenschaftsjournalist Robert Jungk, die Schriftsteller Julian Huxley und Erich Kästner sowie der Komponist Benjamin Britten. Da der Bundesrat befürchtete, der Kongress könnte die öffentliche Meinung in der Schweiz in unerwünschter Weise beeinflussen, wurde er kurzerhand verboten. Bertrand Russell schrieb daraufhin am 7. Juli 1958 einen offenen Brief an den Bundesrat und protestierte im Namen «der liberal Denkenden der ganzen Welt».130 Robert Jungk, der deutsche Wissenschaftsjournalist jüdischer Abstammung, der während des Zweiten Weltkriegs für verschiedene Schweizer Zeitungen geschrieben hatte, veröffentlichte 1956 sein Buch Heller als tausend Sonnen über das Verhalten der Physiker beim Bau der Atom- und Wasserstoffbombe. Es wurde zum Standardwerk und Klassiker der Anti-Atom-Bewegung.131 Für den Basler Kongress vom 5. und 6. Juli 1958 hatte er eine «Charta der Atomgegner» geplant. Wegen seines Engagements für die Bewegung «Kampf dem Atomtod!» wurde er daraufhin bei der Zeitung Weltwoche entlassen.

Trotz der Einschüchterungen, Drohungen, Diffamierungen und Bespitzelungen kamen die beiden Atominitiativen 1959 zustande. Die «Atominitiative 1» der SBgaA wurde am 29. April 1959 mit 72 795 gültigen Unterschriften eingereicht. Knapp zwei Monate später, am 24. Juli 1959, reichte auch die SP ihre «Atominitiative 2» mit 63 565 gültigen Unterschriften ein. Die Befürworter der Initiativen hatten namhafte Experten auf ihrer Seite, zum Beispiel Gerhart Wagner, den Experten für Strahlenschutz des Eidgenössischen Gesundheitsamts, den Physikprofessor Jean Rossel von der Universität Neuenburg, ehemaliges Mitglied der SKA und gleichzeitig ein Atomwaffengegner der ersten Stunde, sowie den kroatisch-schweizerischen Chemiker und Nobelpreisträger Leopold Ružička, der an der ETH Zürich lehrte. Zu den Befürwortern der beiden Anti-Atom-Initiativen zählten aber auch bekannte Schweizer Kulturschaffende und Intellektuelle wie der evangelische Theologe Karl Barth, der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, der Künstler Max Bill oder der Philosoph Arnold Künzli. Auch Max Frisch war gegen die atomare Bewaffnung der Schweizer Armee, unterschrieb aber keine Aufrufe. In seiner Fiche fand sich am 13. Mai 1958 der Eintrag: «Die von Buchbinder Heinrich 19 lancierte Bewegung gegen die Anwendung der Atomwaffe findet u. a. auch die Unterstützung des F.» Max Frisch kommentierte den Eintrag später mit der lakonischen Bemerkung: «Das ist korrekt.»132

Ein besonderes Merkmal des Abstimmungskampfes war das starke, wenn auch gespaltene Engagement kirchlicher Kreise. Einer der prominentesten Befürworter der «Atominitiative 1» war Willi Kobe, der langjährige Pfarrer von Oerlikon. Er war Präsident des Kirchlichen Friedensbundes, der Zentralstelle für Friedensarbeit und Herausgeber des Atombulletins der SBgaA. Als Friedensaktivist geriet er daher ins Visier des Staatschutzes. In seiner Fiche wurde vermerkt: «Fanatischer Pazifist und unbelehrbarer Antimilitarist, politisch eine fertige Null.»133 Demgegenüber war der Zürcher Grossmünster-Pfarrer Peter Vogelsanger einer der erbittertsten Gegner der Atominitiativen. Der evangelische Theologe und Feldprediger war ein eifriger Befürworter von Atomwaffen. Als vehementer Antikommunist schrieb er: «Ich will lieber zusammen mit meinen Kindern in der Atomexplosion untergehen, als unter stalinistischem Druck leben. Ich will lieber, meine Kinder erleiden dieses Schicksal, als dass sie in einer kommunistischen Tyrannei physisch langsam zu Tode gequält, moralisch in ihrer Menschenwürde versklavt und in ihren Seelen atheistisch vergiftet werden.»134

Von der bürgerlichen Presse wurden die beiden Anti-Atom-Initiativen als eine kommunistische Unterwanderung der Schweiz dargestellt. Die Initianten wurden als Fanatiker, Sektierer, Unruhestifter und Landesverräter diffamiert. Die Kommunisten seien die «Drahtzieher der Atomkampagne». Diese sei aus dem Ausland in die Schweiz importiert worden, um die Schweizer Armee zu schwächen und im Volk Panik zu verbreiten. Die Anti-Atom-Initiative sei der perfide Versuch der Wehrlosmachung des freien Schweizervolkes. Damit wurde die Abstimmung über die Atombombe zu einer Stellungnahme für oder gegen den Kommunismus.135 Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) war eine der vehementesten Stimmen gegen die Initiative und schreckte auch vor drastischen Vergleichen nicht zurück: «Bei der beträchtlichen Mehrheit des Schweizervolkes sträuben sich Stolz und Gewissen, von Staatsfeinden zu einem Akt der Selbstentmannung getrieben zu werden.»136

«Wer heute unter dem Deckmantel der Religion oder höherer Ideale unserem Lande den Gebrauch der Verteidigungswaffen des Atomzeitalters verwehren will, treibt das Spiel des Kommunismus.» General Henri Guisan, 1959

Die Schweizer Offiziere versuchten in ihren verbalen Attacken die Befürworter der Atominitiativen sogar als Kriegstreiber zu verunglimpfen. Stellvertretend dafür steht Oberstkorpskommandant Hans Frick, der am 26. März 1962 in der NZZ schrieb: «Die Anhänger eines dauernden Verbotes von Atomwaffen für die Schweiz, soweit sie ehrlich sind und nicht im Interesse östlicher Aufweichungsversuche arbeiten, gehören zu jener Art der Illusionisten, die in Wirklichkeit eine Kriegsgefahr bedeuten.»137 Die beiden Mitglieder der LVK, Ernst Uhlmann und Georg Züblin, versuchten über die Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift und über den Verein zur Förderung des Wehrwillens und der Wehrwissenschaften in die öffentliche Diskussion einzugreifen. Das Pressebüro Dr. Rudolf Farner startete Ende Dezember 1957 eine Propagandakampagne gegen die beiden Atominitiativen. Selbst General Henri Guisan, die Ikone des Aktivdienstes, schrieb 1959, ein Jahr vor seinem Tod, in einer Broschüre einer Konferenz zur «Moralischen Aufrüstung» in Caux: «Wer heute unter dem Deckmantel der Religion oder höherer Ideale unserem Lande den Gebrauch der Verteidigungswaffen des Atomzeitalters verwehren will, treibt das Spiel des Kommunismus.»138

Am 7. Juli 1961 erschien der Bericht des Bundesrates zur «Atominitiative 1». Wie nicht anders zu erwarten, empfahl er der Stimmbevölkerung eine Ablehnung der Initiative. Am 1. April 1962 wurde die «Atominitiative 1» schliesslich mit 65,5 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. 18 Kantone lehnten die Initiative ab, 4 nahmen sie an, darunter die Kantone Tessin, Genf, Waadt und Neuenburg. Die «Atominitiative 2» der SP wurde am 26. Mai 1963 mit 62,2 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Wiederum befürworteten die Kantone Tessin, Genf, Waadt, Neuenburg und diesmal auch Basel-Stadt die Initiative. Die Befürworter einer atomaren Aufrüstung sahen im Volksentscheid eine Bestätigung ihrer Position. Der NZZ-Redakteur, Theologe und Generalstabsoberst Ernst Bieri forderte bereits einen Tag nach der Abstimmung: «Die politische Seite, die sich energisch und auch erfolgreich gegen eine freiwillige Fesselung der Landesverteidigung auf dem Gebiete der atomaren Bewaffnung gewehrt hat, erhebt nun den legitimen Anspruch, dass wenigstens die Prüfung des Problems ernsthaft an die Hand genommen wird.»139 Bei einem jährlichen Aufwand von 140 Millionen Franken, rechnete Ernst Bieri vor, sei es möglich, innerhalb von zehn Jahren 30 bis 40 kleine «Atomgeschosse» herzustellen.

Trotz der beiden verlorenen Atominitiativen organisierte die Anti-Atom-Bewegung unter dem Motto «Nein zur Bombe – Ja zur Demokratie» ab 1963 alljährlich einen Ostermarsch. Die ersten beiden Märsche fanden 1963 und 1964 auf der Strecke zwischen Lausanne und Genf, ein dritter 1965 im Raum Basel und ein vierter 1966 im Zürcher Weinland statt. Der friedliche Protest der Atomgegner wurde seit einiger Zeit vom 1947 gegründeten und streng antikommunistisch eingestellten Schweizerischen Aufklärungsdienst (SAD) überwacht. Im Vorfeld des vierten Ostermarsches bereitete der SAD 1966 in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Pressebüro Dr. Rudolf Farner eine «Anti-Ostermarschkampagne» vor.140 Oberst i. Gst. Rudolf Farner unterstütze die «Gegenpropaganda, will jedoch nicht namentlich erwähnt werden», stand in einem SAD-Protokoll.141 Im März 1966 wurde vom Hauptmann Theodor Siegrist dann die Vereinigung für eine starke Landesverteidigung gegründet, die den Marsch der pazifistischen Wandertruppe auf dem Weg von Andelfingen nach Zürich unentwegt mit Scharmützeln, Provokationen und Gehässigkeiten störte. Die Teilnehmenden des Ostermarsches wurden als manipuliert, als Mitläufer verunglimpft.142 Ein «grosser Teil der Oster-Marschierer» setze sich zusammen aus «an und für sich wohlmeinenden Idealisten […], die nicht ahnen, wie sehr sie die Pläne des Ostens fördern helfen».143 In Wirklichkeit seien sie «Gegner einer starken Landesverteidigung» und erhielten «massive Unterstützung» durch die «kommunistische Propaganda».144