Die Legende von Arc's Hill

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»Die Stadt, die du nur des Nachts finden kannst, nennt sich Re´grith Dath. Es ist die Heimstätte der Ältesten, die lange vor euch Menschen und allem Lebendigem auf Erden wandelten. Re´grith Dath ist älter als alles, was du dir in deinem begrenzten menschlichen Verstand vorzustellen vermagst. Einst, in Zeiten, die selbst in den ältesten Legenden in die Nebel der Vergessenheit geraten sind, waren die hellen Straßen erfüllt mit Leben und Lachen. In den Gärten der Paläste hatten die Jüngsten gespielt, und der Duft von Blumen und grünen Bäumen hatte wie ein süßer Hauch über den Dächern der prunkvollen Häuser gehangen und die Lüfte erblühen lassen. Ein jeder hatte in Frieden mit seinem nächsten gelebt, es gab keinen Neid und keine Missgunst, und jedes Paar Augen, in das man blickte, waren die Augen eines Vertrauten. In einer Schrift, die man in deiner schlichten Welt anbetet, wird von einem Ort namens Eden erzählt. Doch dieser Ort, den es nur in eurer schlichten Fantasie gibt – denn zu mehr gereicht die Fähigkeit Eures Geschlechtes nicht – reicht an Würde und Herrlichkeit nicht heran an Re´grith Dath. Hier gab es keinen Hass, keinen Krieg und keinen Tod.

Doch gebietet alles Gute dem Bösen aufzuerstehen. Und so kamen Herrscher von weit jenseits der Dunkelheit und brachen über die Stadt herein. Sie verfinsterten das Leuchten des Himmels und brachten das Lachen in den Gärten zum schweigen und ließen den Glanz in den Augen der Bewohner erlöschen. Schreckliche Untaten zogen wie heißer Sturm durch die Straßen. Unser Volk war zu schwach, sich dem Bösen und der Arglist jener fremdartigen Bedrohung zu stellen.

Re´grith Dath ging unter, in einem gewaltigen Sturm aus Asche, Staub, Schreien und dem triumphalen Geheul der neuen Herrscher. Bis es nur noch totes Schweigen und kalte Stille in den Straßen und Gärten der Stadt gab. Alles Leben wurde ausgelöscht, und nach dem Sturm versank Re´grith Dath in der Schwärze des Vergessens.«

In meinen Gedanken entstanden Bilder schrecklichster Gräueltaten. Ich hörte erbärmliche Schreie von Wesen, die Kinder sein mochten, und das Wehklagen weiblicher Stimmen. Dazu das aufgebrachte, jedoch aussichtslose Gebrüll männlicher Kehlen. Ich sah Rauch über der Stadt, die jeglichen Glanz und die Pracht ihrer Bauten verloren hatte und nur noch einer schwarzen, sterbenden Silhouette vor einem rotglühenden, brennenden Himmel glich.

Ich konnte die Verheerung riechen, die sich stinkend durch die Straßen und Gassen wälzte und nichts verschonte und lebendig zurückließ.

Was war Traum? Konnte man im Traum den Tod riechen? Erlebte man im Traum den Niedergang mit der namenlosen Furcht der Opfer?

Eine eisige Kälte hielt mich gefangen und verwandelte meine Gedanken in düstere, triste Szenarien grausamster Härte. Ich wollte meinen Blick abwenden, fort von dem scheußlichen Schrecken der Vernichtung, die wie ein gewaltiger, schwarzer und tosender Sturm über die Dächer der Stadt hinwegbrauste.

Doch war mein Wille längst nicht mehr der meine. Ich spürte das schattengleiche Wesen stärker als je zuvor in mir; in meinen Gedanken, meinem Körper, selbst in dem kalten Entsetzen, das mich gepackt hatte. Er wollte, dass ich diese Bilder sah. Er wollte mir den grausigen Untergang seines Reiches darbieten und mir all die unsägliche Scheußlichkeit nahebringen, die lange vor dem Beginn der Zeiten seinem Volk zugefügt worden war. Ich sollte teilhaben am Sterben eines lange vergessenen Zeitalters.

Mir schwanden die Sinne, und ich sehnte mich nach dem Erwachen und der Erlösung aus diesem gottlosen Traum. Doch das Wesen hielt mein Denken mit eiserner Kälte in seinem Bann und mich aufrecht, angesichts all jener abstoßenden Bilder, die es mir vorführte.

Dann plötzlich, mit einem letzten Schlag, verhallten das Sterben und die Schreie in meinem Kopf, und die Bilder aus Feuer und Asche verblassten.

Zurück blieben farblose Schemen der schrecklichen Geschehnisse und ein fernes Echo des Gebrülls, bis auch diese verschwanden und eine fast unerträgliche Stille einkehrte, die mein Denken zu zerschneiden drohte. Noch immer hielt mich die Kreatur in ihrem Bann. Eine feine, ferne Melodie erklang, ähnlich dem leisen Flüstern eines Chores. Nur mit Mühe erkannte ich darin die Stimme meines Gegenübers, dessen Worte meinen Verstand wie das stete Rauschen von Meereswellen erfüllten.

»Es gibt einen Weg, das einst stolze und blühende Re´grith Dath ans Licht zu heben. Nur wenigen ist es gegeben, diesen Weg zu bestreiten, und nur die reinsten Geister sind auserwählt, den Weg hinab in das dunkle Grab der Stadt anzutreten. Du hast die Macht, neues Leben nach Re´grith Dath zu bringen und die ewige Finsternis, die unsere Gruft ist, mit Licht zu zerschneiden.«

Plötzlich spürte ich, wie mich die eisige Umklammerung des Schattenwesens losließ. Augenblicklich taumelte ich und stürzte auf den harten Steinboden. Mit verschwommenem Blick sah ich zu dem Wesen auf und bemerkte mit Ehrfurcht und Entsetzen, dass sich das Geschöpf genähert hatte und nun gebieterisch über mir aufragte. Noch immer war es mir unmöglich zu erkennen, ob es sich bei der Gestalt um einen Menschen handelte.

Dann versank mein Verstand wieder im rauschenden Meer der Worte, die das Wesen an mich richtete.

»Du musst die Pforte finden.«

Ich glaubte, eine Erregung innerhalb des Schattenwesens erkennen zu können, ein feines Vibrieren des amorphen Leibes.

»Der Ort in deiner Welt, den du deine Heimstatt nennst, ist ein kosmischer Ort. Jene Herrscher aus fernen Welten und Zeiten, die uns einst besiegten und dem düsteren Schicksal übergaben, begruben unsere Geister sowie die allumfassende Herrlichkeit unseres Gottes tief in der kalten, harten Erde jenes mystischen Ortes und belegten die Pforte mit einem Bannspruch, den nur eine lebendige Stimme brechen kann.« Plötzlich ebbte die Melodie der Gestalt zu einem traurigen Klagelied ab. »Lange blieben die Zeiten still und deine Welt leer. Erstes Leben, das die giftige Luft atmete, blieb stumm und konnte unseren Zwecken nicht dienen. Und so verharrten unsere Geister innerhalb der schweigenden Mauern dieser Stadt und verloren jegliche Hoffnung, dass da einmal der Tag kommen möge, wo lebendige Stimmen deine Welt bevölkerten. Viele von uns verendeten und gaben sich dem Nichts der ewigen Reise durch den Kosmos hin.«

Wieder begann die Gestalt zu erzittern, als versetze sie die pure Erinnerung in zornige Ekstase.

»Doch dann begann deine Gattung, das Menschentum, diesen Planeten zu besiedeln, gesandt von weit jenseits der Grenzen vorstellbarer Orte. Und mit dem Erklingen eurer Stimmen erwachte in den verbliebenen wenigen Geistern der Altzeit die Hoffnung auf Erlösung. Doch war es den ersten aufrechtgehenden Kreaturen deiner Welt nicht vergönnt, die Sprache so zu benutzen, dass man sie als verständlich hätte erklären können. Und wieder befiel unser Volk tiefste Resignation. Viele Zeitalter vergingen und wurden wie ihre Namen vergessen, bis endlich Wesen zu diesem Ort kamen und ihn besiedelten. Doch selbst diesen Lebewesen war es nicht möglich, ihre tierische Sprache zu unseren Gunsten einzusetzen. Erst als sich die Zeiten weiterdrehten und aus den primitiven Tieren die Menschen emporwuchsen, war es uns möglich, in Kontakt mit einigen Auserwählten deiner Spezies zu treten.«

Immer noch lag ich auf der Erde, mir der Demut unbewusst, die ich diesem formlosen Geschöpf entgegenbrachte.

»Gehe und finde die Pforte. Finde den alten Ort, der den Eingang nach Re´grith Dath bildet und den nur die Formel des Rulth´matheth, des obersten Gottes unserer Welt, zu öffnen vermag. Gehe und finde den versteinerten Kreis der alten Bäume, die einst in vergessenen Zeitaltern die Wächter der Pforte waren. Und sprich die Worte des Rulth´matheth, um den Bann der Zerstörer zu brechen und Licht und Leben in die Häuser und Straßen von Re´grith Dath zu bringen.«

Ein tiefes Schaudern ergriff das gestaltlose Wesen, seiner Kehle entrann ein gutturales Stöhnen, das mich an Wollüstigkeit denken ließ.

»Sprich die Worte des Rulth´matheth, die ältesten, sakralen Worte, die einst die obersten Herrscher verwendeten, breche das Siegel jener schauerlichen Horden, die aus fernen Welten einfielen, und öffne die Pforte nach Re´grith Dath.« Plötzlich spürte ich, wie mein Körper von einer ungestalteten Macht ergriffen und aufgerichtet wurde.

Ich ließ es geschehen, als sei es nicht mein eigener Leib, der willenlos gehalten wurde und die Kälte tiefster Furcht und höchster Erregung gleichermaßen spürte.

Und dann, als das Wesen direkt vor mir stand und meine Augen schmerzten ob des gleißenden Scheines, hörte ich endlich und zum ersten Mal jene Worte, von denen Charles Ward in seinem Tagebuch berichtet hatte.

Jene Worte, aus einer Zeit, bevor die Zeiten geboren waren und unsere Welt aus Feuer und Asche bestand.

Jene Worte, von einem Ort weit jenseits jeglicher menschlicher Vorstellungskraft.

Ich schloss die Augen und lauschte der verlockenden Melodie jener uralten, vergessenen Beschwörung, welche den Bann zu brechen vermochte und die Pforte nach Re´grith Dath, der Traumstadt der Ältesten, öffnen würde …


Mike fand den Aufstieg in die dunklen Berge in der darauffolgenden Abenddämmerung ohne Probleme.

Am frühen Mittag hatte er das ›Knights Head‹ aufgesucht, getrieben von einem fast zügellos zu nennenden Begehren und immer noch berauscht von der melodischen, sirenengleichen Stimme Nad´naruhls. Das furchtbare Gefühl, nicht Herr seiner Sinne und seines Leibes zu sein, ließ Mike schwindeln und verlieh ihm doch eine tiefe, unbekannte Haltung, derer er sich als unwürdig erachtete.

 

Der Schankwirt der Taverne, der sich ihm endlich als Daniel Paxton vorgestellt hatte, war bleich geworden und in seiner massigen Erscheinung zusammengesunken, als Mike ohne weitere Umschweife auf den Grund seines frühen Besuches in der Schankstube zu sprechen kam. In den Augen des Mannes hatte sich ein furchtsames Flackern widergespiegelt, und seine Stimme hatte merklich an Stärke verloren, als er Mike widerstrebend den Weg zu jenem mystischen Ort erklärte, ohne dabei dessen Absichten zu erfragen oder sich nach dem furchtbaren und übermüdeten Erscheinungsbild seines Gastes zu erkunden. Mike war sich nicht sicher gewesen, ob Paxton in diesen Augenblicken ihrer kleinen Unterredung nicht selbst unter dem Einfluss jener seltsamen Gestalt aus dem nächtlichen Traum gestanden hatte. Denn für einen Menschen, der nach eigenen Aussagen noch nie an jenem geheimnisumwitterten Ort in den Bergen verweilt hatte, wusste Paxton erstaunlich genau über den hinter Buschwerk und tiefhängendem Geflecht verborgenen Pfad Bescheid, der hinauf in die Berge und zum Felsplateau führte.

Und so hatte sich Mike mit seinem neu erworbenen Wissen und einer seltsamen inneren Ruhe, die ihn bei Anbruch der Dämmerung befallen hatte, auf den Weg zum Rande des kleinen Städtchens gemacht. Im Schutze der nahenden Dunkelheit, aber auch verborgen im Mantel von Stille und Einsamkeit, war er über eine weite, brachliegende Ebene zu den ersten Ausläufern der Berge gelaufen, wo er auch, wie ihm Paxton prophezeit hatte, des mysteriösen Pfades fündig wurde, den ein unwissendes Auge zwischen zwei nahe beieinanderstehenden Büschen nie entdeckt hätte.

Der Aufstieg gestaltete sich schwieriger als vermutet. Nicht zuletzt der Tatsache wegen, dass immer wieder herabgestürzte Felsbrocken und dichte Dornenranken den schmalen Weg versperrten.

Mike hatte eine große Taschenlampe mit leistungsstarken Batterien eingesteckt und folgte dem bleichen Lichtkegel auf dem Boden, der ihn immer wieder vor losem Geröll und uralten, versteinerten Wurzeln warnte. Einmal offenbarte ihm der Lichtpunkt seiner Lampe gar eine tiefe Grube inmitten des Pfades, die allerdings, folgte er den harten, verkrusteten Rändern des Grabens, bereits vor ungezählten Jahren ausgehoben worden war.

Mike suchte den Grund der Grube, der sich gute fünf Meter unter ihm befand, mit der Taschenlampe ab, konnte allerdings lediglich die verendeten Kadaver etlichen Kleingetiers erkennen, die den Boden mit ihren bleichen Knochenresten bedeckten. Im Stillen dankte er Gott dafür, dass der Schimmer nicht auf die verrotteten Formen menschlicher Überreste gestoßen war.

Es bereitete ihm einige Schwierigkeiten, die Falle – sofern es denn eine solche darstellen sollte – am Rande zu passieren, ohne selbst in das harte Grab hinabzustürzen. Doch als er es endlich nach äußersten Anstrengungen geschafft hatte, verschwendete er keinen weiteren Gedanken mehr an das dunkle Grab und seine Bedeutung. Er hatte immer mehr das Gefühl, von einer Macht getrieben zu werden, die seinem Verstand bei Weitem überlegen war.

Mittlerweile hatten auch die Ränder des Himmels ihre Farbe verloren, und Mike stolperte durch eine einheitliche, schwarze Masse aus Kälte und Stille, die von keinem Mondstrahl oder Sternenlicht erhellt wurde. Lediglich seine Taschenlampe zeigte ihm den Weg direkt vor seinen Füßen und streifte trockenes, vernarbtes Astwerk und verkrüppelte Büsche, sowie bedrohlich erscheinende, schwarze Baumstämme, bar jeglichen Lebens, die ihn stumm zu beobachten schienen und seinen Pfad flankierten.

Das Gefühl, dass seine Schritte in dieser finsteren, schweigenden Umgebung nicht ungesehen blieben, erdrückte Mike. Hinter jedem im Schein seiner Taschenlampe aufflackernden Buschwerk vermutete er die höhnisch grinsende Fratze eines Wesens, wie es nur eine derartige Nacht und ein ebenso düsterer Ort gebären konnten.

Ein kalter, schneidender Wind war aufgekommen und zerrte an seiner Kleidung, die er, wie er sich törichterweise eingestehen musste, zu schlicht und unangemessen gewählt hatte. Er musste die Augen zu schmalen Schlitzen verengen. Dennoch trieb ihn der eisige Hauch, der zwischen den Felsen auf ihn einstach, Tränen über die Wangen, die salzig schmeckten, wenn sie seine Lippen berührten.

Wenn er nach oben in die Dunkelheit blickte, hatte er das beklemmende Gefühl, nur den Arm ausstrecken zu müssen, um die tief hängende, rauchgleiche Wolkendecke berühren zu können. Er glaubte, groteske Gestalten in diesen Wolkengebilden zu sehen. Schreckliche Dämonen und kreischende Bestien, die einander über den farblosen Himmel jagten.

Mike wusste, dass sein Verstand bis aufs Äußerste angespannt war und er allmählich Opfer von Trugbildern wurde. War es Charles Ward einst ähnlich ergangen?

Diese Erlebnisse erzeugten in seinem Kopf eine lähmende Furcht, die seine anfängliche Ruhe, mit der er den Aufstieg begonnen hatte, als heuchlerisch enttarnte und schnell schwinden ließ. Der Weg wurde steiler und steiniger, das Buschwerk und die kahlen, größtenteils abgestorbenen und gar verbrannten Bäume zu beider Seiten des Pfades spärlicher.

Schließlich schlängelte sich der schwarze Weg durch eine raue, finstere und zerklüftete Felsenlandschaft, die ihm wie stumme, jedoch stets wachsame Wächter erschien.

Die Luft wurde eisiger und erschwerte Mike das Atmen in erheblichem Maße. Immer wieder musste er anhalten und sich auf seinen zitternden Knien abstützen, um wieder zu Luft zu gelangen. Dabei spürte er seine Lungen in kaltem Feuer brennen und sein Herz so laut in seinem Leib schlagen, dass er befürchtete, es versuche sich in Panik einen Weg aus seinem frierenden und niedergekämpften Körper zu graben.

Die bange Frage drängte sich in all ihrer Scheußlichkeit auf, ob er sich, im Angesicht dieser düsteren und bizarren Landschaft, überhaupt dazu in der Lage sah, sich an die archaischen Worte des Nad´naruhl zu erinnern, wenn der Zeitpunkt gekommen war, sie laut auszusprechen. Doch noch schrecklicher plagte ihn die Ungewissheit, was diese uralte Beschwörung bewirken würde. Ward hatte in seiner mit bebender Hand verfassten Niederschrift nicht viel hinterlassen, was Mike als Anhaltspunkt dessen dienen konnte, was ihn erwartete.

Doch den letzten, angsterfüllten Sätzen des Buches zufolge, schienen die Worte des alten Herrschers etwas heraufzubeschwören, das nur schwerlich mit dem menschlichen Verstand vereinbart werden konnte.

Der Gedanke an das, was ihn in dieser apokalyptischen Nacht noch erwarten mochte, ließ seinen Schritt langsamer und seinen Atem quälender werden. Zu guter Letzt stolperte Mike immer öfter über loses Geröll oder spitze, aus dem Fels hervorragende Steine, und robbte nicht selten auf Händen und Füßen über harte Erde und scharfes Gestein, bis seine Finger bluteten und sich der Herzschlag pochend in seine Hände verlagert zu haben schien.

Und dann, als ihn der letzte Rest menschlichen Verstandes bereits zur Umkehr bewog, stolperte er um einen letzten, hoch aufragenden Felsen herum, der wie die Klinge eines gigantischen Messers aus der harten Erde aufragte und majestätisch in die finstere Nacht stach.

Im nächsten Augenblick stand er unvermittelt am Rande des Felsplateaus.

Es kam ganz plötzlich, ohne das Erschallen himmlischer – oder gar höllischer – Hörner, und ohne, dass ihn ein furchtsamer Schrecken packte.

Mit wild schlagendem Herzen und eisigen Tränen in den Augen, starrte er gebannt auf die düsteren Schatten einer riesigen, freien Fläche, die von steinernen, stumm in die Nacht ragenden Kolossen umringt wurde.

Augenblicklich schien das Heulen des Windes in einem fernen Echo zu ersterben.

Zurück blieb das verzweifelte Schlagen von Mikes Herz und das brausende Schreien seines Blutes in seinen eisigen Adern. Die Felsen um ihn herum verschwammen in einem grauen, alles erstickenden Nebel.

Der steinige Boden, die tief hängenden, monströs anheimelnden Wolkenschwaden … alles löste sich in einem Strudel aus Bedeutungslosigkeit auf. Zurück blieb ein frierender und furchtgepeinigter Mann, der unmöglich er selbst sein konnte, so dachte Mike in einem letzten Aufflammen seines Verstandes. Er fand den Gedanken in sich, wie viele Menschen vor ihm diesen mystischen Ort wohl jemals betreten hatten. Doch schwand dieser letzte Fetzen seines Bewusstseins und vereinte sich mit all den Nichtigkeiten dieser Nacht, die der Nebel schluckte. Nichts war mehr von höherer Bedeutung in seinem armseligen Leben.

Olivia, die ihm in dieser Alten Welt genommen wurde und seine kleine, süße Tochter Susan mit sich in die Finsternis ihrer Gräber geführt hatte.

Die grellen und lauten Lichter der Stadt, die einst seine Droge gewesen waren.

Arc´s Hill und das merkwürdige Haus des Reginald Grady, in dem er in Melancholie und Erinnerungen seine letzten und einsamen Tage zu verbringen gedacht hatte.

Charles Ward und sein verfluchtes Tagebuch.

Das ›Knights Head‹ und der wortkarge, massige Schankwirt, den er seit diesem Tag als Daniel Paxton kannte.

All dies existierte in dieser Nacht und an diesem Ort nicht mehr. Er war ein anderer geworden.

Mike befand sich in einer fremdartigen, fernen Welt; einer unbekannten Zeit, die stillzustehen schien, als er auf seinen Beinen, ohne jegliche Empfindungen und ohne das Zutun seines eigenen Willens, in das Zentrum des Steinernen Baumkreises ging.

Langsam …

Schritt für Schritt …

Ohne das geringste Geräusch …

Die Welt war still geworden.

Sie lauerte …

Die Nacht hatte ihr unheimliches Flüstern verloren.

In Zeiten, die sich der menschliche Verstand nicht mehr vorzustellen vermochte, waren diese gigantischen, starren Schatten, die vor Mike in eine unsichtbare Höhe emporragten, einmal junge, blühende Schösslinge gewesen, die zu kräftigen und robusten Bäumen herangewachsen waren, lange bevor erster Atem über die Welt strich.

Doch jetzt, in dieser Nacht, die ewig und Mike als die letzte seiner Existenz erschien, waren sie düstere und stumme Wächter eines Ortes, an dem die Geschicke des Kosmos einst zusammentrafen, und in dessen harter und versteinerter Erde die Geister der gefallenen Herrscher begraben lagen.

Hier, im Zentrum des zeitlosen Zirkels, befand sich die versiegelte Pforte nach Re´grith Dath.

Mike schwanden die Sinne, als er in die Mitte des riesigen Kreises trat. Ihm schien, als versuchte eine unbekannte Macht seinen Leib und seine Seele auszusaugen.

Er stolperte, fiel auf die Knie und spürte kalte, harte Erde unter seinen Händen. Und ein verlangendes, ungeduldiges Beben, das sich kaum merklich durch das Erdreich pflügte.

Waren dies die Sendboten des Wahnsinns?

Hatten sie auch Ward zu sich gerufen?

Als er sich wieder aufrichtete und ein eisiger, lautloser Wind sein Gesicht wie feinste Nadelstiche traf, schloss er die Augen und warf den Kopf in den Nacken, so dass sein Antlitz den über ihm dahinrasenden Wolkenungetümen zugewandt war. Tiefe, gutturale Laute verließen seine Kehle, Speichel tropfte aus seinem Mund. Er schmeckte das bittere Kupfer von Blut auf der Zunge.

Und dann, mit einer rauen Stimme, die nicht seine eigene war, begann Mike die archaischen Worte des Großen Rulth´matheth zu sprechen, die ihn das lichtbeschienene Wesen auf dem Tempelberg gelehrt hatte. Jene uralte Sprache aus den dunklen Gräbern der Welten.

Seine Lippen formten die ältesten Laute des Kosmos. Seiner Kehle entrannen animalische Laute, dem Zischen von Schlangen und dem Knurren wilder Hunde gleich. Auf seiner Stirn bildete sich kalter Schweiß.

Die Laute entstammten nicht seinem Verstand. Sie stiegen aus dem tiefsten Innern seines Daseins empor. Tiefer noch als jedes Denken.

Tiefer als der Grund seiner Seele …

Etwas war in ihm …

Etwas sprach die unheiligen Worte des Rulth´matheth …

Etwas benutzte die Vergänglichkeit seines irdenen Leibes …

Sein Körper bäumte sich in grotesken Bewegungen auf. Seine Gliedmaßen begannen unkontrolliert und tranceartig zu erzittern.

Der Wind flaute auf und fuhr fordernd unter seine Kleidung. Er spürte eiskalte Hände, die nach ihm griffen. Finger, die seinen Leib wie eine Geliebte ertasteten. Tränen und Schweiß liefen gleichermaßen über sein Gesicht. Sein Haar peitschte ihm im Wind ins Antlitz, als hätte es eigenes Leben entdeckt.

Die Augen hielt er geschlossen, doch konnte er spüren, wie etwas geschah. Unentwegt spie er die urzeitlichen Laute in die dunkle Nacht, wieder und wieder. Ihn befiel das Gefühl, sich in bodenloser Leere zu befinden. Es gab keine Zeiten mehr. Keinen Wind. Keine Schmerzen. Kein Oben und kein Unten. Kein Denken …

 

Etwas zog an ihm.

Etwas bewegte sich.

Er strauchelte, doch seine Augen blieben geschlossen.

Etwas hielt seine Lider geschlossen.

Es war nicht sein eigener Wille. Ebenso wenig, wie es seine eigene Stimme war, die urzeitliche Laute aus seiner Kehle stieß und eine Sprache in die Nacht spie, der nichts Menschliches anhaftete.

Dem wütenden Keifen einer Monstrosität gleich.

Das Gefühl, dass sich der Boden unter seinen Füßen bewegte, ergriff Mike mit schockierender Heftigkeit. Mal wurde sein Fuß nach oben gedrückt, als versuchte sich etwas Gigantisches aus dem Erdreich zu heben. Dann wiederum versank er in einer tiefen Mulde, um gleich darauf wieder in die Höhe gestemmt zu werden.

Er stolperte. Seine Stimme schrie in den Lauten seiner Erinnerungen …

… und endlich öffnete Mike die Augen.

Was er sah, ließ seinen Verstand jene Grenzen erreichen, die blindem, bedingungslosem Wahnsinn gleichkamen.

Immer noch formten seine bebenden, tauben Lippen die archaischen Worte der Ältesten. Ein unentwegter Gesang …

Seine Augen starren derweil voller Entsetzen auf das infernalische Szenario, das sich um ihn herum im Steinernen Baumkreis der ältesten Wächter des Kosmos abspielte.

Die harte, steinige Erde warf sich wie die Wellen eines Meeres in die Höhe, um gleich darauf wieder in dunklen Gräben zu verschwinden. Tiefe, grobe Risse zerpflügten den Boden, aus dem trübe Dampfschwaden in die Nachtluft aufstiegen und sich zu grotesken Formen vereinten.

Tief in den Gruben, die sich sternförmig vom Zentrum des Steinkreises bis hin zu den monumentalen, schwarzen Wächtern zogen, pulsierte ein schwaches, gelbstichiges Glühen, das den Rauchschwaden die kranke Farbe brackigen Sumpfes verlieh.

Mikes Augen, längst jeglichen Verstandes beraubt, betrachteten das schreckliche Schauspiel mit einer morbiden Mischung aus Grauen und perverser Faszination, während seine Ohren der nächsten Sinnestäuschung zu unterliegen schienen. Tief aus der Erde, von jenem Ort, der das abträgliche Leuchten gebar, glaubte Mike das erregte Flüstern von Wesen fern jeglicher Vorstellungskraft zu vernehmen.

Leise und fern. Nicht mehr, als das flaue Wehklagen des Windes.

Und doch verstand er Worte, deren Sinn er nicht kannte und die ihm plötzlich so vertraut erschienen. Die Worte seines Traumes …

Ein Chor triumphaler Seufzer erfüllte die vom aufsteigenden Dampf gelb gefärbte Nacht und sein Denken mit resignierendem Wahn. Ohne Unterlass schrie er weiterhin die unheiligen Worte des Rulth´matheth in die brüllende Nacht hinaus …

Die Erde begann aufzubrechen. Hartes Gestein und stinkender Schlamm wurden in die kalte Finsternis gespien. Etwas versuchte sich aus Jahrtausende altem Fels zu befreien.

Grässliches Krachen und Bersten erfüllte die Luft, vermodertes Erdreich und glühender Stein quollen mit grauenerregender Urgewalt aus dem Boden hervor. Tiefstes, urzeitliches Donnergrollen drang in infernalen Schreien aus dem Schoß der Erde an die Oberfläche empor und ließ die nach Schwefel und Asche stinkende Nacht erzittern. Blitze zuckten, Feuerlanzen gleich, aus dem Innern des Berges. Etwas drückte und schlug in seinem Grab gegen den Erdboden …

Etwas kam …

Und noch immer spie Mikes vom Wahn zerfetzter Leib die antiken Worte der Großen Alten in die teilnahmslose Kälte der Berge hinaus.


Ein Traum ?

Ein immer wiederkehrender, verzehrender, blendender, verderbter Traum?

Oder grauenvolle Realität?

Ich gehe langsam durch die Straßen der Stadt, die ich als Re´grith Dath kennengelernt habe.

Meine Schritte sind schwer, mein Leib ist abgezehrt. Mein Verstand leer und erloschen.

Der Glanz der alten Stadt jenseits der Nacht ist verblasst. Die hohen Averse mit ihren Säulen und Fresken liegen in profaner Dunkelheit verborgen und, die einst blühenden Gärten in tiefster Schwärze begraben.

Die hellen, breiten Chausseen und Alleen gleichen verrotteten, schlammgetauchten Gassen.

Der Himmel weist die schrecklich schwarze Farbe geronnenen Blutes auf.

Der Tempel des Nad´naruhl, hoch oben auf dem Berg, wacht finster und gewaltig über die stille Stadt. Seit ich hier bin, habe ich es nicht gewagt, hinaufzusteigen zu den endlosen Hallen des unheimlichen Wächters.

Ich fürchte das gleißende Licht.

Die beseligende Stimme.

Die verheißungsvollen Worte der ältesten Rasse.

Ich fürchte meine Träume …

Müde gehe ich durch das ewige Schweigen meines Grabes.

Kein Gedanke lenkt mich mehr, kein Schmerz peinigt mich.

Die Nacht meines sterbenden Traumes hält mich gefangen.

Ich weiß jetzt, was Re´grith Dath bedeutet.

Ich kenne die Sprache der ältesten Wesen.

Die Sprache des Großen Alten, des gefangenen Teufels …

Re´gridh Dath … es bedeutet ›Stadt der Toten‹ …