Grundwissen Rechtsmedizin

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3.4Untersuchung lebender Personen



Während sich in früheren Zeiten (und in manchen Staaten, etwa den USA, bis heute) die Tätigkeit von Rechtsmedizinern auf die Begutachtung von Todesfällen beschränkte, hat in den letzten Jahrzehnten die Untersuchung lebender Personen einen immer breiteren Raum eingenommen. Die Untersuchung von Tatverdächtigen in Tötungsdelikten, von Opfern von Sexualdelikten und von misshandelten Kindern gehörten zwar schon immer zum Aufgabenspektrum des Fachs, mittlerweile werden aber Rechtsmedizinerinnen regelmäßig hinzugezogen, wenn es aus Ermittlungssicht notwendig erscheint, mögliche körperliche Folgen von Straftaten oder Spuren zu dokumentieren und zu sichern. Die Untersuchung von lebenden Personen ist in den §§ 81a-d der Strafprozessordnung reglementiert. Nach diesen ist die körperliche Untersuchung von Beschuldigten wie auch von Zeugen zulässig, um nach Spuren oder Tatsachen zu suchen, die für das Verfahren von Bedeutung sind, also um Beweismittel zu sichern. Medizinische Befunde sind Sachbeweise, die eine Behauptung belegen oder widerlegen können und haben daher eine hohe Wertigkeit in einem Strafverfahren.



 Recht | Untersuchung von Beschuldigten und anderen Personen



§ 81a StPO: Körperliche Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe



(1) Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.



(2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von Satz 1 keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat nach § 315a Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und 3, § 315c Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a, Absatz 2 und 3 oder § 316 des Strafgesetzbuchs begangen worden ist.



(3) Dem Beschuldigten entnommene Blutproben oder sonstige Körperzellen dürfen nur für Zwecke des der Entnahme zugrundeliegenden oder eines anderen anhängigen Strafverfahrens verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind.



§ 81c StPO: Untersuchung anderer Personen



(1) Andere Personen als Beschuldigte dürfen, wenn sie als Zeugen in Betracht kommen, ohne ihre Einwilligung nur untersucht werden, soweit zur Erforschung der Wahrheit festgestellt werden muss, ob sich an ihrem Körper eine bestimmte Spur oder Folge einer Straftat befindet.



(2) Bei anderen Personen als Beschuldigten sind Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung und die Entnahme von Blutproben ohne Einwilligung des zu Untersuchenden zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten und die Maßnahme zur Erforschung der Wahrheit unerlässlich ist. Die Untersuchungen und die Entnahme von Blutproben dürfen stets nur von einem Arzt vorgenommen werden.



(3) Untersuchungen oder Entnahmen von Blutproben können aus den gleichen Gründen wie das Zeugnis verweigert werden. Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung ihres Weigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so entscheidet der gesetzliche Vertreter; § 52 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 gilt entsprechend. Ist der gesetzliche Vertreter von der Entscheidung ausgeschlossen (§ 52 Absatz 2 Satz 2) oder aus sonstigen Gründen an einer rechtzeitigen Entscheidung gehindert und erscheint die sofortige Untersuchung oder Entnahme von Blutproben zur Beweissicherung erforderlich, so sind diese Maßnahmen nur auf besondere Anordnung des Gerichts und, wenn dieses nicht rechtzeitig erreichbar ist, der Staatsanwaltschaft zulässig. Der die Maßnahmen anordnende Beschluß ist unanfechtbar. Die nach Satz 3 erhobenen Beweise dürfen im weiteren Verfahren nur mit Einwilligung des hierzu befugten gesetzlichen Vertreters verwertet werden.



(4) Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 sind unzulässig, wenn sie dem Betroffenen bei Würdigung aller Umstände nicht zugemutet werden können.



(5) Die Anordnung steht dem Gericht, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu; Absatz 3 Satz 3 bleibt unberührt. § 81a Absatz 3 gilt entsprechend.



(6) Bei Weigerung des Betroffenen gilt die Vorschrift des § 70 entsprechend. Unmittelbarer Zwang darf nur auf besondere Anordnung des Richters angewandt werden. Die Anordnung setzt voraus, daß der Betroffene trotz Festsetzung eines Ordnungsgeldes bei der Weigerung beharrt oder daß Gefahr im Verzuge ist.



In vielen Fällen wurden und werden Untersuchungen von Opfern nach Körperverletzungsdelikten von klinisch tätigen Ärzten durchgeführt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass deren Befunddokumentation und Atteste häufig oberflächlich und lückenhaft sind, somit nur einen eingeschränkten Beweiswert im Ermittlungsverfahren oder vor Gericht haben.



Der Blick eines klinisch tätigen Arztes auf Verletzungen unterscheidet sich von dem einer Rechtsmedizinerin, was in der Natur der Sache liegt: Aus klinischer Sicht sind vor allem die Schwere und Behandlungsbedürftigkeit von Verletzungen im Zentrum des Interesses, die Verletzungsmorphologie und die anatomische Verteilung von Verletzungen spielt eine untergeordnete Rolle. Oberflächliche, nicht behandlungsbedürftige Verletzungen werden dabei gedanklich leicht ausgeblendet. Aus rechtsmedizinischer Sicht steht die Rekonstruktion von Tathergängen im Vordergrund. Hierfür sind auch kleine, medizinisch wenig bedeutende Verletzungen wie oberflächliche Schürfungen oder Hämatome bedeutsam, vor allem aber deren Lokalisation am Körper. Diese Befunde müssen detailliert erfasst, beschrieben und fotografisch so dokumentiert werden, dass die Befunde auch zu einem späteren Zeitpunkt von Nichtbeteiligten eindeutig erkannt und bewertet werden können.



Die rechtsmedizinische Untersuchung lebender Personen erfolgt ebenfalls nach einem standardisierten Schema, das fallbezogen abgewandelt werden kann.



 Wissen | Ablauf einer rechtsmedizinischen Untersuchung lebender Personen



•Am Anfang der Untersuchung steht – wie auch bei der klinischen Untersuchung – die Anamnese, also die Frage nach der Vorgeschichte: Was ist passiert? Wann war das? Was für Beschwerden liegen vor?



•Dem schließt sich eine schrittweise Ganzkörperuntersuchung an, bei der alle Körperregionen inspiziert werden. Befunde werden notiert/diktiert und fotografiert. Die Fotodokumentation sollte umfangreich sein, mit Übersichten und Teilübersichten des Körpers, so dass die Befunde später auf den Bildern anatomisch und größenmäßig zugeordnet werden können. Verletzungen werden im Detail und mit Maßstab fotografiert. Wesentlich ist auch die Erwähnung von nichtvorhandenen Befunden, insbesondere wenn diese nach den Schilderungen zum Tathergang zu erwarten wären.



•Gegebenenfalls erfolgt bei der Untersuchung auch die Asservierung von Spuren, vor allem von DNA-Spuren, durch Abriebe mit speziellen, DNA-freien Tupfern. Auch die Entnahme einer Blutprobe und die Asservierung einer Urinprobe, in seltenen Fällen auch einer Haarprobe kann je nach Fall notwendig sein, wenn es beispielsweise darum geht, Drogen, Medikamente oder Alkohol nachzuweisen.



•Die Befunde werden im Anschluss diktiert und im Rahmen eines Gutachtens bewertet, wenn ein solches beauftragt wurde. Wenn die Untersuchung nur der Befunddokumentation dient, dann werden sie nur schriftlich und bildlich festgehalten.



Neben aktuellen Gewaltdelikten (→

Kapitel 7

) gibt es weitere Indikationen für die rechtsmedizinische Untersuchung lebender Personen.



 Wissen | Indikationen für die rechtsmedizinische Untersuchung lebender Personen



•Körperverletzungsdelikte (Opfer und Tatverdächtige)



•häusliche Gewalt



•Sexualdelikte (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung)



•Kindesmisshandlung



•sexueller Kindesmissbrauch



•Eingrenzung des Lebensalters



•Folter



•Selbstverletzung und Selbstbeschädigung



•Fahrereigenschaft nach Verkehrsunfällen mit Fahrerflucht



•Verletzungsfolgen nach Verkehrsunfällen (z. B. „Schleudertrauma“)



•Tatverdächtige bei Tötungsdelikten, Körperverletzungsdelikten, Sexualdelikten








In manchen Instituten werden auch weitere Untersuchungen vorgenommen:



•Gewahrsamstauglichkeit



•Reisefähigkeit



•Verhandlungsfähigkeit



•Haftfähigkeit



•Schuldfähigkeit



•Blutentnahme und körperliche Untersuchung bei akuter Berauschung



Etwa seit der Jahrtausendwende entwickelte sich auch gesellschaftlich ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit, Misshandlungsdelikte nicht nur zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, sondern auch Präventionsmaßnahmen zu entwickeln und Hilfsangebote anzubieten, die über die strafrechtliche Verfolgung hinausgingen. Dies führte dazu, dass vor allem in großstädtischen rechtsmedizinischen Instituten

Gewaltopferambulanzen

 gegründet wurden, in denen sich Opfer von Gewalttaten untersuchen und Verletzungen gerichtsfest dokumentieren lassen konnten, auch ohne gleich eine Strafanzeige zu stellen. Die Ambulanzen bieten eine vertrauliche Dokumentation von Verletzungen und Spurensicherung für Gewaltopfer an, die sich nicht an die Polizei wenden wollen. Hierfür gibt es subjektiv viele Gründe; der wichtigste und häufigste Grund ist die Angst vor dem Täter und vor den Konsequenzen einer Anzeige zum jetzigen Zeitpunkt. Wenn die Anzeige aber nach einigen Wochen oder Monaten erfolgt, dann sind die Verletzungen längst abgeheilt. In so einem Fall könnte auf die Befunde der vertraulichen rechtsmedizinischen Untersuchung zurückgegriffen werden.

 





3.5Medizinische Begutachtung



Die Befunderhebung ist eine Sache, die Bewertung der Befunde eine andere. Während Zeugen nur berichten dürfen, was sie gesehen, gehört oder anderweitig mitbekommen haben, ohne dies zu bewerten, ist es Aufgabe der

Sachverständigen,

 Rückschlüsse aus Befunden zu ziehen.








 Wissen | Sachverständige



•Sachverständige im weiteren Sinn: Person mit besonderer Sachkunde zu einem Thema



•Sachverständige im engeren Sinn: Person, die wegen ihrer besonderen Sachkunde beruflich Gutachten für Justiz, Behörden, … erstattet



•gerichtliche Sachverständige: Person, die wegen besonderer Sachkunde als Beweismittel in einem Gerichtsverfahren bestellt ist



•Privatgutachter: Kein Beweismittel bei Gericht. Bekundungen können von Prozessbeteiligten als Parteivortrag in Verfahren eingebracht werden



•öffentlich bestellte Sachverständige: Person, die aufgrund besonderer Vorschriften für bestimmte Sachgebiete öffentlich bestellt wurde



Sachverständige in einem Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren sollen unparteiisch, objektiv, nach bestem Wissen und Gewissen ein Gutachten zu einem Beweisthema erstatten, das ihnen vorgegeben wurde.



Ein

Gutachten

 ist ein fachlich begründetes Urteil über eine Beweisfrage zu einem konkreten Anlass, also etwa, durch welches Werkzeug eine Verletzung entstanden ist und ob diese Verletzung zum Tod führte. Die Basis eines Gutachtens sind die festgestellten Befunde, z. B. Verletzungen, Spuren, Untersuchungsergebnisse, und die dazu gemachten Annahmen oder Aussagen zum Tathergang. Im Gutachten soll dargestellt werden, ob und inwieweit diese Annahmen/Aussagen plausibel sind. Außerdem soll dargestellt werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit mehrere Ereignisse oder Befunde miteinander kausal verknüpft sind.



Generell gilt, strikt auf die Trennung von Befunden und Interpretation zu achten und diese nicht miteinander zu vermischen. Ein Gutachten soll vollständig sein, also alle gestellten Fragen beantworten, und es soll nachvollziehbar sein. Das wird es, wenn nicht nur direkt die Fragen beantwortet werden, sondern auch die Grundlagen so weit dargestellt werden, dass die nichtmedizinischen Auftraggeber in Polizei oder Justiz im Idealfall selbst die richtigen Schlussfolgerungen ziehen können. Und schließlich muss ein Gutachten auch bei kritischer fachlicher Prüfung überzeugend und widerspruchsfrei sein.



 Wissen | Aufbau eines Gutachtens



•Beweisthema, mit Datum, Eingang des Auftrags, Grundlage der Begutachtung (Akten, Krankenunterlagen, DVD mit Bildern, eigene Untersuchungen, …)



•Kurze Sachverhaltsschilderung: Worum dreht es sich?



•Befunde: Auflistung beweisrelevanter Ermittlungsergebnisse, Krankenunterlagen, eigene Untersuchungen ohne Bewertung, Ergebnisse anderer Personen als indirekte Rede



•Beurteilung: Vermittlung von Grundlagen zu den Befunden und zum Beweisthema. Bewertung der Befunde im Zusammenhang und im Hinblick auf das gestellte Beweisthema.



•Literaturverweise



Die Anforderungen an Sachverständige und ihre Gutachten sind hoch und müssen es auch sein. Sie haben eine exponierte Rolle im Ermittlungsverfahren wie auch vor Gericht und können mit ihrer Expertise den Ausgang eines Verfahrens maßgeblich beeinflussen. Es ist daher wichtig, sich dieser besonderen Aufgabe und ihrer Wertigkeit auch bewusst zu sein.



 Wissen | Fehler von Sachverständigen



•Selbstüberschätzung



•Verkennen der eigenen Rolle im Verfahren



•Äußerungen zu Themen, die nicht in den eigenen Aufgabenbereich fallen



•persönliche Äußerungen



•Emotionen, Konfrontationen mit Prozessbeteiligten



•Parteilichkeit



•Weglassen relevanter Befunde, die nicht zur vorgefassten Meinung passen



•Voreingenommenheit



Die forensische Begutachtung medizinischer Feststellungen ist für Rechtsmediziner das, was die Krankenversorgung für klinische Mediziner ist: die tägliche Routine. Neben den Obduktionen, den Untersuchungen lebender Personen und den Tatortbesichtigungen, bei denen die zu bewertenden Befunde selbst erhoben werden, sind

Gutachten nach Aktenlage

 ein großer Bestandteil der täglichen Arbeit. In diesen Fällen werden Befunde beurteilt, die man selbst gar nicht erhoben hat, von denen man nicht weiß, ob sie richtig oder vollständig sind. Man kann sich also nur darauf verlassen, dass die Ermittlungen sorgfältig geführt und die medizinischen Befunde fundiert erhoben wurden. Typische Gutachten nach Aktenlage sind solche zur

Fahrsicherheit

 unter Drogen, Medikamenten oder Alkohol (→

Kapitel 8.2

), aber auch zu

Körperverletzungsdelikten

 (→

Kapitel 7

), bei denen keine rechtsmedizinische Untersuchung erfolgt war.







4Thanatologie

4.1Sterben und Tod



Sterben ist ein Vorgang, kein schlagartiges Ereignis, selbst in den Fällen, in denen der Tod sehr rasch eintritt. Die Phase ab dem Beginn des Sterbevorgangs wird als

Agonie

 (übersetzt: Todeskampf) bezeichnet. Sie kann sehr kurz sein, etwa bei einem plötzlichen Herzstillstand infolge Herzrhythmusstörungen, sie kann sich aber auch über viele Stunden hinziehen, etwa in der Endphase einer Tumorerkrankung. Sie kann in manchen Fällen durch Reanimationsmaßnahmen unterbrochen, im besten Fall (bei erfolgreicher Reanimation) auch abgebrochen werden. Die Dauer ist im Wesentlichen von der Eintrittspforte des Todes abhängig, also auf welche Weise das Individuum zu Tode kommt. Der Tod tritt umso rascher ein, je stärker die essenziellen Organsysteme Gehirn, Herz-Kreislauf-System oder Atmung betroffen sind. Schädigungen des Verdauungsapparats, der Nieren, des Hormonhaushalts oder des Bewegungsapparats können zwar ebenfalls zum Tod führen, jedoch erst nach einer gewissen Überlebenszeit. Die Dauer der Agonie wird außerdem von den körperlichen Reserven des Betroffenen beeinflusst, vor allem vom Alter und von Erkrankungen. So kann eine plötzlich auftretende Erkrankung, wie etwa der Verschluss eines peripheren Blutgefäßes in der Lungenstrombahn durch ein Blutgerinnsel (

Lungenarterienembolie)

 bei einem älteren Menschen mit bereits vorgeschädigtem Herz zum Tode führen, während die gleiche Erkrankung bei einem jungen Menschen möglicherweise nur eine Leistungsschwäche und Atembeschwerden zur Folge hat. In gleicher Weise können jüngere Menschen Verletzungen wesentlich besser bewältigen als ältere Menschen. Mit steigendem Lebensalter nimmt die Fähigkeit zur Wundheilung und deren Geschwindigkeit ab, hinzu kommen abnehmende Leistungsreserven und eine raschere Erschöpfbarkeit. Beim Vorliegen mehrerer Erkrankungen gleichzeitig kann gerade bei älteren Menschen die Summe der Beeinträchtigungen irgendwann zum Tod führen; gelegentlich reicht eine leichte zusätzliche Belastung aus, um den gesamten Organismus dekompensieren zu lassen, ähnlich wie der berühmte Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen bringt.



Keineswegs führen heftige Gewalteinwirkungen wie Schläge mit einem Hammer auf den Kopf oder Stiche oder Schüsse in Hals, Brust, Bauch und Rücken immer rasch zum Tod, auch wenn das aus dramaturgischen Gründen in Filmen üblicherweise so dargestellt wird. Sie führen nicht einmal zwangsläufig zu einer Handlungsunfähigkeit.



 Wissen | Gradeinteilung der Handlungsfähigkeit



Grad 1: schwierige, zielgerichtete Handlungen, vollständig erhaltenes Bewusstsein



Grad 2: instinktive, situationsentsprechende Handlungen, Bewusstsein möglicherweise eingeschränkt



Grad 3: Reflexe und Automatismen, Bewusstlosigkeit möglich



Grad 4: unzusammenhängende, schnell erschöpfbare Bewegungsabläufe (z. B. Streckkrämpfe), Bewusstlosigkeit



Tatsächlich kommt es nur dann zu einer unmittelbaren Handlungsunfähigkeit, wenn zentrale Zentren des Gehirns ausfallen (z. B. durch Kopfschuss mit Treffer im Stammhirn) oder der Körper in seiner Gesamtheit zerstört wird (z. B. durch Überrollung durch einen Zug). Selbst bei einer Zerreißung des Herzens, etwa durch energiereiche Munition, hat der Betroffene noch etwa 5–10 Sekunden Zeit zu reagieren. Diese Zeit entspricht der Sauerstoffreserve des Gehirns. Danach stellt das Gehirn seine Tätigkeit ein, die betroffene Person wird bewusstlos. Bei größeren Verletzungen des Herzens, der großen Gefäße oder der Lungen ist eine Handlungsfähigkeit der Grade 1 oder 2 bis zu einer Viertelstunde erhalten. Bei kleinen Verletzungen der Gefäße oder der inneren Organe ist sogar ein mehrstündiges Überleben mit lang erhaltener Handlungsfähigkeit möglich. Erst mit der Zeit kommt es dann zum Zusammenbruch des Kreislaufs und nachfolgend zum Funktionsverlust des Gehirns.



Fallbeispiel | Ermordung von Kaiserin Sissi



Ein berühmtes Beispiel ist die Ermordung der Kaiserin Elisabeth von Österreich („Sissi“) am 10.09.1898. Ein Attentäter stach ihr am Ufer des Genfer Sees mit einer Feile in die Brust, als sie auf dem Weg zu einem Linienschiff war, mit dem sie und eine Begleiterin nach Territet fahren wollten. Durch die Attacke stürzte sie zwar zu Boden, konnte sich aber wieder aufrappeln und selbstständig das Schiff betreten, wo sie erst auf dem Oberdeck zusammenbrach, als das Schiff bereits abgelegt hatte. Der Kapitän ließ wenden und veranlasste, dass die Kaiserin ins Hotel gebracht wurde. Sie verstarb etwa 1 Stunde nach dem Attentat, vermutlich ohne realisiert zu haben, dass sie durch einen Stich tödlich verletzt worden war. Bei der Obduktion stellte sich heraus, dass der linke Lungenflügel und die linke Herzkammer durchbohrt worden waren.



Die Agonie mündet in den

klinischen Tod,

 welcher durch Herz-Kreislauf-Stillstand, Bewusstlosigkeit und Atemstillstand gekennzeichnet ist. Diese sind potenziell reversibel, durch Wiederbelebungsmaßnahmen

(Reanimation)

 kann eine klinisch tote Person wieder ins Leben zurückfinden.



Gelegentlich berichten Personen, die reanimiert wurden, über sogenannte

Nahtoderfahrungen

. Solche Berichte werden oft religiös oder spirituell-esoterisch überhöht.








 Wissen | Erlebnisse bei der Nahtoderfahrung



•intensives Farbensehen



•sehr helles, weißes Licht am Ende eines Tunnels



•Gefühl, den eigenen Körper zu verlassen und über ihm zu schweben



•Ereignisse aus der Vergangenheit laufen wie ein Film in Zeitlupe ab



•bereits verstorbene Verwandte oder Freunde kommen, um die Betroffenen abzuholen



Unabhängig von der persönlichen Bedeutung für die Betroffenen ist aus medizinischer Sicht zu sagen, dass die Erfahrungen belegen, dass der Tod noch nicht endgültig eingetreten war und es noch funktionierende Gehirnzellen gab, die maximal unter Stress standen. Ohne ein noch zumindest teilweise funktionierendes Gehirn wäre weder das Erleben noch die Erinnerung daran möglich. Zudem ist der klinische Tod keine zwingende Voraussetzung für diese Erfahrungen. Auch Personen, die extreme Angst hatten, in einer beginnenden Agonie waren oder sich in einer Umgebung mit sehr geringem Sauerstoffanteil befanden (z. B. in sehr großer Höhe), berichteten manchmal über entsprechende Erfahrungen. Die Erlebnisse sind unabhängig vom Kulturkreis, von der Religion oder der Weltanschauung. Sie werden aber durch diese beeinflusst und ausgestaltet.

 










Abb. 14: Phasen des Sterbens



Wenn keine Reanimation vorgenommen wurde oder sie erfolglos blieb, dann geht der klinische Tod nach einigen Minuten in den

Individualtod

 über, der gleichbedeutend ist mit dem irreversiblen Ausfall des Gehirns und des Gesamtorganismus. Der

Gehirntod

 wird mit dem Individualtod gleichgesetzt.



 Wissen | Definition des Todes gemäß wissenschaftlichem Beirat der Bundesärztekammer (1993)



Der O

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