Mein Freund Sisyphos

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Blick in den Rückspiegel der Zeit:



Mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages schließt sich ein Staatenbund mit mehr als einer halben Milliarde Menschen zusammen, die EU. In Den Haag wird bedingt durch schlimme Vorkommnisse im ehemaligen Jugoslawien das UN-Kriegsverbrechertribunal gegründet.




Monika



Monika lächelte aus dem Fenster auf mich herunter. Ihr leise lächelndes Gesicht versetzte mich für kurze Momente in einen euphorischen Taumel, in dem ich meinte zu schweben, es fehlte nur der goldene Glorienschein, um das schöne ebenmäßige Antlitz und ich würde sofort an eine Vision glauben.



Monika, meine verlorene Liebe.



Von ihr verschmäht, war ich zu einem überzeugten Single, zu einem im Zölibat lebenden Mönch im selbstbestimmten Kloster meines einsamen Inneren geworden. Was mir aber in Augenblicken wie diesem zu Bewusstsein kommt, ist, ich leide nicht wirklich daran.



Die Haustür ging auf und Monika stand vor mir, sah mich mit einem Mona-Lisa-Lächeln an, unergründlich eben. War sie zufällig im Haus, lebte sie hier? Was wusste ich denn noch von ihr?



Sie reichte mir die Hand, ich ergriff sie, hielt sie nicht länger als zu einem leichten Druck fest. Ich schüttelte verneinend den Kopf, als sie mich ins Haus bat, ich wäre nur gekommen, um mich zu erkundigen, wie ich Fabian erreichen könne, hätte ihn weder im Adressbuch noch im Telefonbuch gefunden.



Er schotte sich privat so gut wie möglich ab, sagte Monika, Kontakt wäre jederzeit über das Parteibüro möglich.



Ich hob fragend die Augenbrauen.



Fabian ist Stadtrat, erklärte Monika.



Sieh an, dachte ich, gab keinen Kommentar ab, fragte nach Anschrift und Rufnummer.



Dafür müsse ich allerdings doch kurz eintreten.



Im Flur stand die Chippendale-Kommode wie damals, als ich von diesem Möbelstil noch keinen Schimmer hatte, und auf der einen Seite zur Tür hin der geflochtene runde Korb, in dem Visitenkarten gesammelt wurden. Daneben auf dem Bild meiner Erinnerung das Telefon, heute lag nur noch das Deckchen dort, auf dem es einst stand, darauf eine kleine leere grüne Vase. Monika zog eine Schublade auf, legte eine Karte auf die Kommode, schrieb mit feinen Buchstaben, gab mir die Karte, legte mit der anderen Hand den Stift zurück in die Schublade, die sie mit der Hüfte zuschob, eine laszive Bewegung, die mir durch und durch ging.



Ohne einen Blick auf die Karte, dankte ich ihr, fragte, wie es ihr gehe.



Gut, lautete die lakonische Antwort. Mehr nicht.



Monika war sehr höflich, sehr distanziert, an einer Unterhaltung mit mir offenbar wenig interessiert, gestattete sich auch keine Reaktion, als ich mich gleich darauf verabschiedete.



Auf der Straße, gegenüber dem Haus, knapp an der Flussböschung, nahm ich die Karte in Augenschein, zunächst die Schrift, danach erst Kenntnis von dem, was sie geschrieben hatte.



Auf der anderen, der bedruckten Seite der Karte, las ich Monique von Faber, Faber Fashion Style, Brienner Straße, München.



Erstaunt hob ich die Augen, betrachtete versonnen eine Weile das gelbe Haus mit dem roten Dach, nahm dabei in Kauf, dass sie mich vielleicht im Blick hatte, was ein amüsanter, im Augenblick auch wärmender Gedanke war.



Dann erst ging ich.




Blick in den Rückspiegel der Zeit:



Tsunami nach einem Erdbeben im Indischen Ozean. Durch die Flutwelle kommen mehr als 230.000 Menschen ums Leben. Der britische Künstler Peter Ustinov stirbt. Der Literaturnobelpreis wird der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek verliehen.



Fabian wohnte in einem verwunschenen Bauwerk, dem Wasserschloss, das ich natürlich aus meiner Kindheit her kannte. Ich erinnere mich, dass ich mich als kleiner Kerl über den Namen wunderte, denn in der Nähe des mit Efeu überwucherten Gebäudes mit Erkern und Türmchen war von Wasser, geschweige einem Graben nichts zu sehen.



Ich näherte mich auf der stillen Straße und was ich sah, war allein nur mit einer blühenden Fantasie als Schloss zu beschreiben. Nichts mehr zu sehen von den Erkern, den Türmchen, vom Efeu entkleidet, war auch von der Mächtigkeit, dem steinernen Klotz, der Trutzburg nicht mehr viel übrig geblieben. Beim Näherkommen wirkte das Gebäude fast elegant, hell und freundlich, nicht mehr abweisend wie ehemals, vielleicht in den Proportionen etwas zu hoch zur Breite. Ich verminderte unbewusst meinen Schritt, um mir Zeit zum Staunen über die frappante Veränderung, einer regelrechten Verwandlung zu verschaffen. War es möglich, dass mich mein früheres, mein erinnertes Bild täuschte?



Der erfreuliche Eindruck wurde nach wenigen Schritten auf dem Fußweg Zum Wasserschloss wieder weggewischt. Ein sportlich gekleideter Mann in Begleitung von zwei Windhunden kam mir entgegen, runzelte bereits auf Abstand seine Stirn, stellte sich mir mit den Hunden entgegen, verweigerte mit strenger Freundlichkeit den Weiterweg. Erst der Name Fabian von Fernau bedeutete mein Passierschein. Mit verblasenem Gehabe trat er zur Seite, dieser selbst ernannte Cerberus. Später einmal würde ich ihn nicht mehr kennen, als ich häufiger Besucher des Wasserschlosses war.



Dem Klingeltableau zufolge hatte Fabian seine Wohnung in der vierten Etage. Eine Frauenstimme – war es Sibils Stimme, die ich hörte? – meldete sich auf mein Klingeln über die Gegensprechanlage. Nein, ich könne Fabian nicht sprechen, da er nicht zu Hause sei. Ob er sich bei mir melden könne? Ja, bitte. Ich nannte noch einmal meinen Namen, auf den sie nicht reagierte, und meine Handynummer.



Gerade einmal war der Stundenzeiger um das Ziffernblatt gelaufen, da meldete Fabian sich, war also noch immer verlässlich, wenn er das wollte. Wir wechselten einige Begrüßungsworte, bevor ich ihm kurz zusammengefasst schilderte, weshalb ich mich bei ihm meldete. Die alte Frau Bruch, die Witwe unseres ehemaligen Fußballtrainers, war von städtischen Ämtern in den Schwitzkasten genommen worden. Unsere Fußballmutter Frieda hatte hinter ihrem kleinen Häuschen gleich neben der Jugendsportanlage einen großen Streuobstgarten, und auf ungefähr die Hälfte des Grundstücks hatte der Verein ein Auge geworfen. Die alte Frau wehrte sich, wollte ihn nicht hergeben. Zufällig hatte ich davon erfahren, als ich vor zwei Tagen von einer Auslandsreise zurückgekehrt war. Wer konnte in diesem Fall helfen? Fabian würde sicher eine Idee haben. Und als Stadtrat, wie ich gehört hätte, böten sich ihm vielleicht noch weitergehende Möglichkeiten.



Er ging auf meine Erzählung mit keinem Wort ein, schlug vor, uns nachher, sagen wir in zwei Stunden, in der Taverne Costa zu treffen – so wie früher.




Fußball



Unser Spielfeld war damals die Hälfte eines normalen Fußballplatzes. Mit unseren acht oder neun Jahren war auch dieses Kleinfeld ein ziemlich weites Feld, auf dem wir herumrannten wie die Wilden. Von einer Raumaufteilung und anderen Fußballweisheiten hatte unser Trainer Sepp Bruch bereits erzählt, viel anfangen konnten wir mit solchen Feinheiten kaum etwas, es interessierte uns auch nicht wirklich. Wir wollten dem Ball hinterher, und da die gegnerische Mannschaft das ebenso machte, ballten sich die Spieler in unmittelbarer Nähe der Lederkugel und Sepp Bruch tanzte gemeinsam mit dem anderen Trainer am Spielfeldrand wie Rumpelstilzchen.



War das Spiel beendet, ob Sieg oder Niederlage, sammelten wir uns im Garten hinter dem Haus des Trainers, stürzten uns auf den Kuchen, den seine Frau, Tante Frieda, für uns gebacken hatte, und schlugen uns den Bauch voll.



In den ersten zwei oder drei Jahren war das Spiel für uns wirklich noch ein Spiel, von der Ernsthaftigkeit des Sports hatten wir noch keine Ahnung, zum Glück. In dieser Zeit gehörte Fabian ebenfalls zur Mannschaft, was mir Fotos beweisen. Allerdings ist er mir nicht mehr als einige andere in Erinnerung geblieben. Ich beachtete ihn nicht, er mich ebenso wenig.



Es kam dann dieses Spiel, in dem ein Ball Fabian so unglücklich am Kopf traf, dass er einfach umkippte und reglos liegen blieb. Da nur wenige Schritte entfernt, war ich gleich bei ihm, beugte mich über ihn, und sah, dass er bereits wieder blinzelte. Ich legte meine Hände an seine Oberarme, schüttelte ihn sanft. Er schlug die Augen auf, unsere Blicke trafen sich, er lächelte, ich lächelte zurück.



Diese kleine Szene markierte im wahrsten Sinne des Wortes den bestimmten Augenblick, in dem Fabian durch eine imaginäre Tür den Raum meiner Erinnerung betrat. Er bedeutet den Anfang, denn noch im gleichen Jahr wurden wir im Ignaz-Taschner-Gymnasium Klassenkameraden.




Blick in den Rückspiegel der Zeit:



Sowjetische Soldaten greifen in Afghanistan ein. Prinzessin Beatrix wird Königin der Niederlande. Bei einem Attentat auf dem Oktoberfest in München sterben dreizehn Menschen. Der »Zauberwürfel« wird erfunden. Helmut Kohl wird Bundeskanzler. Die Schauspielerin Romy Schneider stirbt. Der aus Kolumbien stammende Schriftsteller Gabriel García Márquez erhält den Literaturnobelpreis.




Einladung zu einem Abenteuer



Ich saß bereits bei Costa, dem kleinen griechischen Lokal, hatte einen Tisch in unserer Ecke belegt, als Fabian durch die Tür trat, regelrecht erschien, war er doch niemand, den keiner beachtete. Alle Köpfe hoben sich, die Gesichter gingen in seine Richtung wie von einem unsichtbaren Regisseur angewiesen, ein leises, irgendwie ironisches Lächeln, ich beobachtete es genau, spielte um seine Lippen. Seit ich ihn kannte, betrat er jeden Raum wie ein Schauspieler die Bühne, genoss stolz diese Aufmerksamkeit. Er war ein Narziss, dem die Blicke der anderen sein Spiegel waren.



Fabian ist groß, ich schätze mal Mitte eins achtzig, nicht zu breite Schultern, schmale Hüften, ein lebhaftes, fast klassisches Gesicht, Augen, die blau sind, ein Blau, das sich den Lichtverhältnissen anzupassen scheint, Augenbrauen und Haare schwarz, nicht gefärbt, die hatten immer diese metallisch blau glänzende Farbe, das kann ich bestätigen. Er sieht wirklich verdammt gut aus, hätte auch als Filmstar gut gewirkt, obwohl er nicht als Schauspieler hätte auftreten können, denn er spielte immer nur eine Rolle, sich selbst, Fabian von Fernau.

 



Ich überlege nur einen kurzen Augenblick, ob ich mich, die Gelegenheit erscheint günstig, auch beschreiben soll? Nein, ich schreibe für mich, und wo ist da der Grund, dass ich mein Por-trät in diese Seiten einfüge?



Ich registrierte diese eigenartige Art von Fabians Magie. Später sollten wir sie bewusst nutzen, fast bin ich versucht zu sagen: schamlos auszunutzen. Dabei konnte er gar nichts dafür, es war einfach so, ganz natürlich, ohne jedes Getue. Zudem war er noch nicht FvF, denn diese drei Buchstaben machte erst ich zu einem bekannten Logo, zu einem Markenzeichen, seinem Markenzeichen, durch das beinahe jedermann, der es sah oder hörte, unmittelbar die richtige Verbindung parat hatte.



Wer denkt da heute noch wirklich daran, will an FvF erinnert werden?



Wie immer war Fabian elegant und doch salopp gekleidet. Mit Sicherheit wirkt er sogar im Schlafanzug elegant, dachte ich. Nur keinen Neid, sagte ich mir und erhob mich von meinem Stuhl, trat neben den Tisch, überließ ihm die Initiative, wollte nicht spekulieren, inwieweit unser alter Bund noch intakt war. Er klärte den fragilen Punkt mit einer festen Umarmung und Schulterklopfen.



Heute frage ich mich, ob dies nicht ein falsches Wiedererkennen war, ein falsches Zeichen von beiden Seiten? Gegen jeden Zweifel, dieses Treffen in der Taverne bezeichnete auf jeden Fall einen Wendepunkt in meinem Leben und letztendlich auch in seinem.



Mit einem Blick zu Costa, dem älteren grauhaarigen Wirt, und einem Handzeichen, orderte Fabian zwei Gläser Rotwein, französischen, wie er mir sagte. Die Idee, ich könnte vielleicht ein Bier trinken wollen, kam ihm gar nicht.



Ich wäre ja wie vom Erdboden verschluckt gewesen, sagte Fabian, nachdem er sich mir gegenüber niedergelassen hatte, wo ich auf einmal so aus dem Nichts herkäme, einfach so auftauche?



Nach einem Interregnum als Führer in den Bergen von Mallorca sei ich in den ungeliebten Käfig der Firma zurückgekehrt, und erst vor einigen Tagen aus den Staaten gekommen, wo ich Gespräche mit Banken führte. Das nahm er mit blitzenden Augen auf. Amerika war einer seiner mit Glut geliebten Fetische.



Also schlage ich mich immer noch mit Zahlen herum? Er lachte, als sei das ein gelungener Scherz.



Nichts gegen Zahlen, ganz im Gegenteil, sie faszinieren mich, es komme auf die Art der Zahlen an und was damit angestellt würde. Für mich wären Zahlen schon immer ein anziehendes Mysterium gewesen.



Darum bist du auch der kleine Einstein unserer Klasse gewesen, nicht wahr, Martin?



Er griff nach einem der Zahnstocher, die auf dem Tisch standen, riss das Papier ab, steckte sich das Hölzchen in den Mundwinkel. Wenn das eine Gewohnheit von ihm war, dann kannte ich sie noch nicht, speicherte sie quasi automatisch ab, obwohl ich noch gar nicht wusste, was ich damit anfangen könnte. Wie sich zeigte, war es tatsächlich eine Marotte, durch Zufall kreiert oder vielleicht auch ganz bewusst ausgesucht, auf den Stäbchen herumzukauen, die er aus Lokalen mitnahm. Später stellte ich fest, Fabian machte das in Situationen, wenn er sich etwas überlegte und nicht sicher war, auf dem richtigen Pfad zu sein.



Zumindest für die freie Zeit, die mir meine Zahlen lassen würden, biete er mir eine spannende Aufgabe, verspreche mir ein richtiges Abenteuer.



Ich sah ihn überrascht, aber auch recht gespannt an.



Still, doch mit Inbrunst, habe er zum Himmel gebetet, gestand er augenzwinkernd ein, dass ich mich noch rechtzeitig blicken lasse.



Was für ein überzeugender Lügner er doch war.



Rechtzeitig? Für was, Fabian?



Zur OB-Wahl, mein Lieber. Uns als Team würde es nicht schwerfallen, als Erste ins Ziel zu kommen. Oder zweifle ich vielleicht daran?



Ich überlegte, trank einen Schluck, spürte die Gefahr, von ihm überrumpelt zu werden, da hatte sich also bei meinem Freund nichts geändert.



Ich wolle erst mal, was er ein Abenteuer nenne, sagte ich, weniger optimistisch sehen als er, hätte da so meine Bedenken. Wir seien längst nicht mehr so locker, ja so frech wie früher. Solch ein Amt wäre mit unseren dreisten Streichen kaum zu erobern und wenn doch, auf Dauer wohl kaum zu halten.



Dann würden wir es eben anders machen, gab er nicht nach. Mir würden schon die richtigen Wege einfallen, da sei er schon tatsächlich sehr optimistisch.



Ich ließ mich nach längerer, von beiden Seiten nicht über Gebühr ernst genommener Diskussion schließlich auf den Kompromiss ein, uns zeitnah zusammenzusetzen, um zu überlegen, ob wir ein paar nicht ausgetretene Wege finden könnten, um in dieses Spiel mit hohem Einsatz einzusteigen.



Mit Sibil?



Das war ohne Frage seine Bedingung, wenn auch seine einzige.



Mit Sibil.



Fabian hielt sein Rotweinglas mit zwei Fingern und sagte:



Wir schütten das Gewesene in den Orkus, wenden das beschriebene Blatt um, beginnen ein weißes Blatt neu zu beschreiben. Bist du einverstanden, Freund Martin?



Fabian war der geborene Menschenfischer, hatte es einfach im Blut, mit seiner magischen Anziehung den anderen zu sich zu holen und festzubinden.



Eine letzte Prüfung setzte ich allerdings vor den neuen Bund.



Stichwort Tante Frieda, Fabian?



Er beugte sich mir entgegen, flüsterte, erklärte mir, wie der alten Frau zu helfen sei, wie wir ihr helfen würden. Und er half unserer Tante Frieda. Er hatte wohl gespürt, dass er das machen musste, wenn er mich wirklich im Boot haben wollte.



Natürlich hatte sich einiges zwischen uns verändert. Aber nach zwei, drei Treffen mit Bier bei mir und Rotwein bei Fabian, erschien mir alles wieder so wie damals, wir waren wieder die Brüder, die wir einmal waren.



Fabian hatte gewonnen, mich in seinem Netz gefangen. So war das. Ein neuer, ein abenteuerlicher Weg sollte für mich seinen Anfang nehmen.



Bis hin zum bitteren Ende.




Hausmusik



Am frühen Sonntagvormittag spazierten Fabian und ich am Fluss entlang. Er war ohne Sibil gekommen, was mich erstaunte, wusste ich doch inzwischen, dass Fabian ohne Sibil nichts machte, sie lebten eine Symbiose. Wusste sie vielleicht nichts von unserer Begegnung? Glaubte er erst einmal abklären zu müssen, ob wir tatsächlich wieder zueinanderfinden, auf einem Gleis in die gleiche Richtung fahren konnten? Darum war mir zunächst nicht ganz wohl. Spielte er ein Spiel? Konnte ich mich doch zu gut erinnern, dass ihn eine Inszenierung, und sei sie noch so unbedeutend, immer verlockte? Hatten wir noch die gleiche Wellenlänge wie früher? Mochte er noch meine schwarzen Ideen, die rücksichtslos auf das angestrebte Ziel losgingen? Ich ermahnte mich zur Vorsicht.



Auf dem Dammweg waren nur vereinzelt Jogger unterwegs, für Spaziergänger mit ihren Hunden war es noch zu zeitig. Silberne Birken, Mohn- und Kornblumen, eine farbige Sonne, wie von van Gogh gemalt, begleiteten uns. So konnten wir ungestört reden, Gedanken austauschen, in der Diskussion sogar mal laut werden, niemand war in der Nähe, keine Ohren waren irgendwo neugierig gespitzt.



Fabian machte den Anfang, zeichnete mir noch einmal in groben Zügen seine Vorstellungen, wie er sich seinen Wahlkampf für den OB-Sessel dachte, was er den Bürgern anbieten, ihnen versprechen konnte, ohne zu viel zu wagen, wie er auf seine Art den Gaukler geben wollte.



Schon bei seinen vielen Worten, die immer malerischer, also unwirklicher wurden, merkte ich, dass da etwas fehlte. Fehlte da mein Anteil, meine klare Deutlichkeit, die kein verschwommenes Wischiwaschi duldet? Der Mix zwischen Fantasie und Realität hatte uns in der Schulzeit nicht im Stich gelassen, hatte immer funktioniert.



Ich hatte die Stunden am Vorabend nicht in Kontemplation verbummelt, faul die Füße hochgelegt, sondern fleißig über Grundzüge eines Konzepts nachgedacht, in mich hineingehört, Ideen verknüpft. Vorstellungen puzzelten sich bald zu bunten Collagen. Sogar ein kurzes Memo hatte ich verfasst; es steckte zusammengefaltet in meiner Hosentasche.



Nachdem er mit seinem Vortrag zu Ende war, redete ich, bis wir den Kaskaden näher kamen, trat dabei nicht so sehr als ratgebender Freund, sondern vielmehr als selbstsicherer Dozent auf. Fabian hörte tatsächlich geduldig und aufmerksam zu.



Zurück am Parkplatz, er war mit dem Wagen da, ich mit dem Rad, stand unser vorläufiger Plan auf recht stabilen Füßen. Aber es war eben nur ein Plan, mehr noch nicht. Fabian versprach, mit Sibil zu reden, denke jedoch, dass sie zustimme, das Konzept sei einfach zu verlockend, zu gut, zudem für unsere Stadt so völlig neu, nehme andere, nicht ausgetretene Wege. Er umarmte mich, stieg in seinen dicken Wagen und rauschte davon.



In meinen vier Wänden, zur Musik von Elvis, beschäftigte ich mich mit dem Ausarbeiten, den wichtigen Feinheiten, unseres Wahlfeldzuges. Ich widerlegte dabei sogar die alte Regel, was du dir in der Nacht ausdenkst, tauge im Morgenlicht nicht mehr viel. Ich folgte der im Halbschlaf geborenen Idee, die Geschichte unserer Stadt näher zu studieren, pickte aus ihr die Rosinen heraus, die mir ins gedachte Konzept passten, ließ mich selbst von der Lyrik des bekannten Dichters unserer Stadt inspirieren. Aus meinem Datenspeicher im Kopf holte ich Schnipsel von damaligem Wissen, das jetzt gut zu gebrauchen war, schrieb sie auf. Jedenfalls: Die gelben Notizzettel an der Wand neben meinem Tisch wurden immer mehr, waren erst einmal ein Chaos, mussten sich erst zu einem runden Ganzen zusammenfügen.



Wir machten es, wie wir es zu Schulzeiten erfolgreich praktizierten, Fabian im Spot, ich als Nebelfigur nahebei, genauso wie von Anbeginn an. Wie früher auch war ich zufrieden mit meinem Platz im Hintergrund, wollte die Figur im Halblicht sein, am besten kaum oder gar nicht beachtet. Von dort waren die Möglichkeiten des Einflusses am wirkungsvollsten. Von diesem Platz konnte ich beobachten und sehen, wo die schwachen Stellen der anderen waren. Von dort aus sammelte ich die Munition, mit der wir in den Krieg zogen. Um das durchzuziehen, brauchte es einen blendenden Frontmann, und der war Fabian allemal.



Einmal im Monat, am zweiten Sonntag, wurde traditionell im feinen gelben Haus Musik gemacht, ein unbedingter Termin nicht nur für mich. Ich hatte nichts einzuwenden, war es doch eine entspannende Auszeit im hektischen Trubel. Dieser Event, wie ich die Stunde ironisch bei mir nannte, schenkte mir als Zugabe den anregenden optischen Genuss der Flöte spielenden Monika, daneben Sibil mit Geige, Fabian am Klavier, die Baronin am Cello, der Baron spielte die Gitarre. Das Publikum, der einzige Zuhörer und Zuschauer, war ich.



An einem dieser frühen Abende, nach der Musik, wollten Fabian und ich gerade zu einem Wahlkampfauftritt aufbrechen. Ich wartete im Flur, da trat Vater von Fernau, der Baron, aus dem Salon, blieb bei mir stehen, lächelte jovial, warf einen schnellen Blick nach oben, von wo Fabian jeden Moment kommen musste.



Ihm gefalle, was wir so treiben würden, sagte er, und ich hörte regelrecht das Schmunzeln heraus. Vor allem wenn wir das bunte Aquarium von Fabians Freunden als Helfer einsetzten, hätte das für einen wissenden Beobachter sogar etwas Witziges. Er wünsche uns viel Erfolg, zweifle aber daran, dass Fabian der Richtige für unsere Stadt sei. Wie er seinen Sohn einschätze, strebe er nach Höherem, da sei er sicher, Oberbürgermeister, was wäre das schon, das Endziel jedenfalls nicht.



Ich nahm seine Worte als einen Scherz, als eine elitäre, fast schon anmaßende Meinung des Barons. Ansonsten hätte ich mich fragen müssen, weshalb er so zu mir sprach. Für mich bedeutete es eine unwichtige Marginalie. Seine Worte nicht als das zu nehmen, nämlich als die Wahrheit, sollte sich als ein fataler Fehler erweisen. Schon damals hätte ich wissen können, wohin der Hase lief. Mir kamen aber keine Zweifel, vor mir lag ein Ziel, das mich lockte.



Meine Vorstellungen gingen in eine Richtung, zu der die Worte des Barons nicht passten. Ich hatte die Moral als ein wichtiges Thema auserkoren, nicht aus Prinzip, was sogar mich zum Lachen gereizt hätte, sondern darum, weil der Gegenkandidat einige dunkle Flecke auf der behaupteten weißen Weste hatte. Wie für Cato Karthago, so war die Moral das Mantra für Fabian als ein wichtiger Baustein in seinen Reden. Ich wusste nur zu gut, dass steter Tropfen den Stein höhlt, und das Wissen darum erweist sich im Verlauf einer Kampagne als ziemlich wirksam.

 



Auch die sozialen Medien werden wir ganz gezielt nutzen, versuchen, Kettenreaktionen in Gang zu setzen, Anhänger als Multiplikator zu gewinnen. Jedenfalls war unser Ziel, alle unsere Aktivitäten wie nebenbei, locker, unaufgeregt, glaubhaft ernsthaft, jung und verlockend für die Wähler erscheinen zu lassen. Verkrampfen im Laufe des Wahlkampfs durften sich die anderen, wir aber auf keinen Fall.



Nach dem Spaziergang am Fluss war bei unseren nächsten Treffen jedes Mal Sibil dabei. Fabians Frau unterstützte mit aller Macht die Ambitionen ihre