Staatshaftungsrecht

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IV. Gegenüber einem Dritten

1. Feststellung der Drittbezogenheit

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§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG setzt voraus, dass eine Amtspflichtverletzung gegenüber einem Dritten begangen wird. Diese Drittbezogenheit dient der Haftungsbegrenzung. Es soll nicht jede Amtspflichtverletzung einen Amtshaftungsanspruch auslösen. Sie besteht nur, wenn zwischen Staat und Bürger aufgrund der Amtspflichten ein besonderes Näheverhältnis besteht.[68]


Eine Drittbezogenheit der Amtspflicht liegt vor, wenn die Amtspflicht zumindest auch dem geschädigten Bürger gegenüber besteht.

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Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung[69] lässt sich damit die Drittbezogenheit der Amtspflicht in einer gestuften Prüfungsabfolge ermitteln. Es ist zu klären, ob


die Amtspflicht überhaupt Drittwirkung entfaltet,
der Geschädigte dem geschützten Personenkreis zuzurechnen ist und

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Besteht danach keine Drittbezogenheit, so entfällt ein Amtshaftungsanspruch unabhängig davon, ob der Bürger durch die Amtspflichtverletzung einen Schaden erlitten hat.

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Die Frage nach der generellen Drittwirkung einer Amtspflicht beantwortet sich nach den Grundsätzen der zur Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO entwickelten Schutznormtheorie.[71] Danach ist durch Auslegung der konkreten Amtspflicht zu ermitteln, in wie weit sie auch die Interessen einzelner Personen schützt und damit für diese Personen subjektive Rechte begründet, auf die sie sich berufen können.[72]

JURIQ-Klausurtipp

In einer Klausur gilt für diesen Punkt die Faustformel: Einen generellen Drittbezug können Sie annehmen, wenn die Verletzung der Amtspflicht in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Klagebefugnis begründen könnte. Bei der Verletzung subjektiver Rechte ist das stets der Fall. Im Übrigen kommt es auf Ihre Argumentation zur Auslegung der konkreten Amtspflicht an.

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Der Aspekt der Zurechnung des Geschädigten zum geschützten Personenkreis verlangt, dass die verletzte Amtspflicht den Zweck hat, gerade den Personenkreis zu schützen, dem der Geschädigte angehört. Auch hier ist auf die oben erwähnten Grundsätze der Schutznormtheorie als Hilfskriterium zurückzugreifen.

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In diesen persönlichen Schutzbereich fällt der Geschädigte immer, wenn z.B. die Amtspflicht, unerlaubte Handlungen zu unterlassen und Rechtsgüter unbeteiligter Dritter zu achten, verletzt wird.[73] Es handelt sich hierbei um eine sog. absolute Amtspflicht, die generell drittschützend ist.[74]

Zum Kreis der geschützten Personen gehört zunächst derjenige, dem die verletzte Rechtsposition zusteht und nicht anderen Personen, selbst wenn sich das pflichtwidrige Handeln des Amtsträgers für sie nachteilig auswirkt.[75]

Allerdings ist anerkannt, dass ein eigener Rechtsanspruch auf die Amtshandlung für die Drittbezogenheit nicht zwingend erforderlich ist, wenn die Auslegung der verletzten Norm ergibt, dass sie auch dem Schutz von Personen dient, die nicht selbst anspruchsberechtigt sind.[76]

Eine Besonderheit hinsichtlich des Drittbezuges der Amtspflicht bezüglich des geschützten Personenkreises besteht bei § 36 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist bei der Erteilung einer Baugenehmigung durch den Landkreis als zuständiger Behörde das Einvernehmen der betroffenen kreisangehörigen Gemeinde einzuholen. Die frühere Rechtsprechung sah in der rechtswidrigen Verweigerung eines Einvernehmens der Gemeinde eine Amtspflichtverletzung. Zur Begründung wurde auf die Bindungswirkung dieser gemeindlichen Entscheidung, die ihrerseits in der gemeindlichen Planungshoheit beruhe, gegenüber der Baugenehmigungsbehörde verwiesen. Dadurch werde, wenn auch nur mittelbar, die Rechtstellung des Bauwilligen berührt, der dann seinerseits wegen der rechtswidrigen Versagung des Einvernehmens gegen die Gemeinde eine Amtspflichtverletzung geltend machen könne.[77] Die Rechtsprechung verneint nunmehr eine Amtspflichtverletzung, weil die Baugenehmigungsbehörde wegen des in § 36 Abs. 2 BauGB hinzugekommenen S. 3 eine umfassende Ersetzungsbefugnis hinsichtlich eines rechtswidrig verweigerten Einvernehmens habe.[78]

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Der letzte Punkt der Ermittlung der Drittbezogenheit der Amtspflicht bezieht sich auf das von der Amtspflichtverletzung betroffene Rechtsgut. Die Amtspflichtverletzung gegenüber dem Geschädigten führt nicht automatisch zu einem Ausgleich des entstandenen Schadens. Vielmehr ist weiter zu prüfen, ob das gerade im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll.[79] Mit anderen Worten werden die Rechtsgüter des Geschädigten von der Amtspflicht nur insoweit erfasst, wie der konkrete Schutzzweck der Amtspflicht selbst reicht. Es kommt also darauf an, dass gerade der entstandene Schaden durch die Amtspflicht verhindert werden soll.

Beispiel

A erwirbt von B ein Wiesengrundstück. Das Grundstück liegt am Stadtrand und seine nähere Umgebung ist frei von jeglicher Bebauung. B hatte zuvor einen Bauvorbescheid erhalten, wonach das Grundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt, der das Gebiet als reines Wohngebiet ausweist. Jedoch war der Bebauungsplan wegen fehlender Bekanntgabe ungültig, was der Baubehörde bekannt war.

Nach Ablauf der Geltungsdauer des Bauvorbescheides stellt A einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohnhauses. Der Antrag wird abgelehnt, da die Errichtung eines Wohnhauses im Außenbereich unzulässig ist.

A macht einen Amtshaftungsanspruch wegen des unrichtigen Bauvorbescheides geltend, weil er im Vertrauen auf die Bebaubarkeit des Grundstücks einen höheren Kaufpreis bezahlt hatte.

Der Mitarbeiter der Baubehörde – Amtswalter – hat einen unrichtigen Bauvorbescheid erteilt und damit gegen die Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln verstoßen. Die verletzte Amtspflicht ist auch drittbezogen. Unter Anwendung der oben dargestellten drei Prüfungsschritte ergibt sich:

Die Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln hat das Ziel, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu gewährleisten. Kein Bürger soll rechtswidrigem Staatshandeln ausgesetzt sein. Sie ist damit generell drittschützend.

Im zweiten Schritt ist die Zugehörigkeit des A zum geschützten Personenkreis zu klären. Auf den ersten Blick gehört A nicht dazu, da nicht er, sondern B den Bauvorbescheid beantragt hatte. Im konkreten Verfahren zum Bauvorbescheid gehörte nur B als Verfahrensbeteiligter zum geschützten Personenkreis. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Bauvorbescheid nicht personenbezogen erlassen wird. Vielmehr bezieht er sich auf das Grundstück selbst und ist deshalb objektbezogen. Aus diesem Umstand folgt, dass die Amtspflicht Wirkung auch zugunsten anderer Personen als des Antragstellers B entfalten kann. Damit ist nicht nur auf B Rücksicht zu nehmen. Potenzielle Käufer sind ebenso einzubeziehen, weil das Vorliegen eines Bauvorbescheides eine wirtschaftliche Funktion hat, konkret sich auf den Entschluss zum Erwerb und den Kaufpreis auswirkt. Ein bebaubares Grundstück ist schließlich besser verwertbar und teurer als ein nur als Wiesengrundstück nutzbares. Die wirtschaftliche Funktion eines Bauvorbescheides hat die Baubehörde mit zu beachten, da sie davon ausgehen muss, dass ein Bauvorbescheid einem Käufer vorgelegt wird. Auf den zweiten Blick schützt damit die verletzte Amtspflicht auch A.

Im dritten Schritt ist zu erörtern, ob der eingetretene Schaden (die Mehraufwendungen des A bei der Kaufpreiszahlung) im Schutzbereich der verletzten Amtspflicht (keine unrichtigen Bauvorbescheide zu erlassen) liegt. Bei dem im Vertrauen auf den Bauvorbescheid vorgenommenen Grundstückserwerb hat A einen überhöhten Kaufpreis bezahlt. Darin hat sich gerade die Gefahr verwirklicht, zu deren Abwehr die konkret verletzte Absicht unmittelbar dient. Aus diesen Gründen ist eine Drittbezogenheit der Amtspflicht zu bejahen.[80]

2. Sonderfall: Normatives Unrecht, insbesondere Bebauungspläne

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Eine entscheidende Rolle spielt die Drittbezogenheit bei der Frage nach einer Amtshaftung aufgrund fehlerhafter Rechtsetzungsakte. Zu diesem Bereich zählen zum einen die Rechtsetzungsakte der förmlichen Gesetzgebung, sprich durch Parlamentsgesetze – legislatives Unrecht. Zum anderen gehören die Rechtsetzungsakte der Verwaltung selbst, Rechtsverordnungen und Satzungen als rein materielle Gesetze, aber auch der Erlass von Verwaltungsvorschriften dazu – normatives Unrecht.

 

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Soweit es um förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen außerhalb des Baurechts und um Verwaltungsvorschriften geht, ist nach der Rechtsprechung des BGH keine drittbezogene Amtspflicht anzunehmen. Bei dieser Art von Normen geht es durchweg um generelle und abstrakte Regelungen. Der Normgeber nimmt dabei ausschließlich Aufgaben der Allgemeinheit war. Eine Bezugnahme auf bestimmte Personen oder Personengruppen fehlt.[81]

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Die Literatur stimmt dem BGH teilweise zu.[82] Teilweise wird sie mit dem Hinweis abgelehnt, dass grundrechtsverletzende Normen einen Drittbezug zum Bürger auslösen, da Grundrechte unstreitig individualrechtsschützenden Charakter haben.[83] Trotz der Annahme eines Drittbezuges entfällt eine Amtshaftung jedoch wegen fehlenden Verschuldens bzw. Versäumung eines Rechtsmittels.[84]

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Soweit es sich um eine unterlassene Rechtsetzung handelt, ist eine Drittbezogenheit der Amtspflicht nur anzunehmen, wenn eine Rechtspflicht zur Rechtsetzung besteht. Eine derartige Pflicht ist grundsätzlich nicht gegeben, da der Normgeber hinsichtlich des Erlasses einer Regelung grundsätzlich ein Gestaltungsermessen hat.[85]

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Ausnahmsweise wird eine solche Rechtspflicht aber bejaht, wenn ein Verfassungsauftrag wie in Art. 6 Abs. 5 GG besteht oder eine Schutzpflicht des Staates aus den Grundrechten offensichtlich verletzt wird.[86]

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Bewegung ist in diese Diskussion über die Amtshaftung für legislatives Unrecht durch die Rechtsprechung des EuGH gekommen. Es geht dabei um die Nichtumsetzung von europarechtlichen Richtlinien in nationales Recht.[87]

JURIQ-Klausurtipp

In einer Klausur können Sie beiden Ansichten mit entsprechender Argumentation folgen. Auf der sicheren Seite sind Sie mit der Rechtsprechung! In einer Prüfung kann die Ansicht der Rechtsprechung nicht als falsch gekennzeichnet werden. Denken Sie daran, wenn Sie der Gegenansicht zuneigen, dass der Amtshaftungsanspruch höchstwahrscheinlich an der Frage des Verschuldens bzw. der Versäumung eines Rechtsmittels scheitern wird.

Generell anerkannt ist die Drittbezogenheit der Amtspflicht im Rahmen des normativen Unrechts, wenn es um Einzelfall- bzw. Maßnahmegesetze geht.[88]

Hinweis

Da diese Konstellation äußerst selten, mehr theoretischer als praktischer Natur ist, spielt sie im Examen keine Rolle.

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Ebenso anerkannt ist die Drittbezogenheit einer Amtspflichtverletzung bei dem Erlass von Bebauungsplänen.[89]Zur Begründung sind die Prüfungsschritte anzuwenden, mit denen die Drittbezogenheit ermittelt wird.

Im ersten Schritt ist wieder die generelle Drittbezogenheit der Amtspflicht festzustellen. Das ist für das Abwägungsgebot aus § 1 Abs. 7 BauGB der Fall, denn dort sind neben den Interessen der Allgemeinheit auch die Interessen Privater zu berücksichtigen.[90] Ein genereller Drittbezug wird auch z.B. im Hinblick auf die Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse angenommen, § 1 Abs. 6 Nr. 1 u. 7c BauGB. Das hat insbesondere zur Konsequenz, keine Altlastenflächen als Baugebiet auszuweisen.[91] Diese generelle Drittbezogenheit ist mittlerweile so klar anerkannt, dass sie seitens der Rechtsprechung nicht mehr besonders erörtert und begründet wird.[92]

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Im zweiten Schritt lässt sich der von der generell drittbezogenen Amtspflicht erfasste Personenkreis über die im Plangebiet liegenden Grundstücke individualisieren. Die Rechtsprechung spricht diesbezüglich von einem Kreis Dritter, der in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise hinsichtlich seiner schutzwürdigen Interessen betroffen ist.[93]

JURIQ-Klausurtipp

Sie merken an dieser Stelle die eindeutige Orientierung der Rechtsprechung an der Schutznormtheorie, die in Verbindung mit § 42 Abs. 2 VwGO entwickelt worden ist. Lassen Sie sich nicht durch die komplizierte Formulierung des BGH abschrecken. Fragen Sie sich nur, ob ein Dritter in dem Fall klagebefugt wäre.

Wiederholen Sie die Voraussetzungen der Klagebefugnis, Möglichkeitstheorie, Adressatenformel, Schutznormtheorie.

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Soweit ein Schaden durch die Nichtberücksichtigung der privaten Belange bei § 1 Abs. 7 BauGB bzw. z.B. bei Beeinträchtigung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse vorliegt, § 1 Abs. 6 Nr. 1 u. 7c BauGB ist auch die letzte Voraussetzung der Drittbezogenheit erfüllt. Der Schutzzweck der Amtspflicht umfasst den eingetretenen Schaden.

Zu beachten ist dabei jedoch, dass die Behörde die Möglichkeit einer Heilung von Verfahrensfehlern haben muss. Damit stellt sich die Frage nach dem rechtmäßigen Alternativverhalten. Danach wird ein ersatzfähiger Schaden verneint, wenn der Schaden auch bei einem möglichen, rechtmäßigen Verwaltungshandeln entstanden wäre, also die Behörde bei rechtmäßigem Verfahren zu derselben Entscheidung hätten kommen müssen.[94] Das gilt auch, wenn Baugenehmigungsbehörde und die den Plan erlassende Gemeinde auseinanderfallen, wie es bei kleinen kreisangehörigen Gemeinden, die über keine eigene Baugenehmigungsbehörde verfügen, der Fall ist.[95]

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Nicht einbezogen in den Drittbezug der Amtspflichtverletzung sind die Kreditgeber der Grundstückseigentümer, da ihnen gegenüber ein Bezug zu den Abwägungskriterien des § 1 Abs. 5–7 BauGB fehlt.[96]

Ebenso wenig erstreckt sich der Drittbezug der Amtspflicht auf die dem Gebiet, für das ein Bebauungsplan besteht, benachbarten Grundstücke. Das gilt sogar für Nachbargrundstücke innerhalb eines Bebauungsplans. Ein Drittbezug der Amtspflicht kann in diesen Fällen nur auf das jeweilige konkret betroffene Grundstück angenommen werden, nicht auf seine Umgebung, selbst wenn sie von den Auswirkungen betroffen ist.[97]

Beispiel

Das Grundstück des A ist so stark belastet, dass es unbewohnbar ist. Das Nachbargrundstück des B ist selbst unbelastet, es wird aber durch die Auswirkungen vom Grundstück des A ebenfalls unbewohnbar. B macht nun einen Amtshaftungsanspruch geltend.


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B wird in diesem Fall nicht vom Schutzbereich der Amtspflicht erfasst, denn diese bezieht sich nur auf die jeweils einzelnen Grundstücke, die unmittelbar betroffen sind. Die Amtspflicht ist also objektbezogen. Das Grundstück des B ist selbst aber unbelastet. Eine nur mittelbare Auswirkung einer Amtspflichtverletzung reicht nicht aus. B hat keinen Amtshaftungsanspruch.

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Behalten Sie für die Klausurbearbeitung in Erinnerung: Grundsätzlich gibt es keine Amtshaftung für normatives Unrecht. Ausnahme und damit klausurrelevant ist der Bebauungsplan. Hier können drittbezogene Amtspflichten bestehen, die aber genau eingegrenzt und festgestellt werden müssen. Also keine allgemeinen Floskeln verwenden. Auch wenn dieser Punkt in der Rechtsprechung nicht weiter erörtert wird, will der Fallsteller von Ihnen die Herleitung der Drittbezogenheit der Amtspflicht wissen.

Dabei benutzen Sie die drei Schritte, um den Drittbezug zu ermitteln:


generelle Drittbezogenheit der konkreten Amtspflicht,
fällt der Anspruchsteller in den persönlichen Anspruchsbereich der Amtspflicht und
will die Amtspflicht den Anspruchsteller gerade vor dem eingetretenen Schaden bewahren.

3. Sonderfall: Hoheitsträger als Dritter i.S.d. Amtshaftung

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Eine Amtspflichtverletzung kann nicht nur Private, also Bürger und juristische Personen des Privatrechts schädigen. Denkbar ist auch, dass ein anderer Verwaltungsträger, also eine juristische Person des öffentlichen Rechts betroffen ist.

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Voraussetzung ist, dass die verletzte Amtspflicht auch dem Schutz der Interessen des geschädigten Verwaltungsträgers dient. Weiterhin muss der Amtswalter dem Verwaltungsträger in gleicher Weise gegenüberstehen wie einem Bürger. Das bedeutet, dass zwischen den Beteiligten gegenläufige Interessen bestehen müssen. Eine derartige Konstellation ist im Bereich des Selbstverwaltungsrechts möglich, wenn sich Selbstverwaltungskörperschaft und Staatsaufsicht gegenüber stehen.[98]

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Handeln die beteiligten Verwaltungsträger jedoch, um eine gemeinsame Aufgabe zu erfüllen, fehlt es an diesem Interessengegensatz, der für die Amtshaftung notwendige Voraussetzung ist.[99]

Beispiel

Die Bezirksregierung/Regierungspräsidium genehmigt als Kommunalaufsichtsbehörde die Finanzierung einer städtischen Sporthalle der kreisfreien Stadt K nach dem Leasingmodell, obwohl eine Kreditfinanzierung günstiger gewesen wäre. Eine Überprüfung des Landesrechnungshofs stellt diesen Sachverhalt fest. Nunmehr verlangt die Stadt K die durch das Leasingmodell entstandenen Mehrkosten als Schadensersatz aus Amtshaftung.[100]

Die rechtmäßige Ausübung der Kommunalaufsicht ist zunächst im öffentlichen Interesse. Allerdings umfasst sie auch die Pflicht, die Gemeinde vor rechtsfehlerhaftem Handeln zu bewahren. Eine Selbstschädigung der Gemeinde soll vermieden werden. Dazu zählt die Wahrung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinde verbunden mit dem sparsamen Umgang der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel, vgl. z.B. § 75 Abs. 1 GO NRW, § 77 Abs. 2 GemO BW. Damit besteht eine generelle Drittbezogenheit der Amtspflicht.

Die Stadt K fällt auch in den persönlichen Anwendungsbereich der Amtspflicht und der eingetretene Schaden der höheren Finanzierungskosten sollte durch die Ausübung der Amtspflicht gerade verhindert werden. Damit wird der Schaden vom Schutzzweck der Amtspflicht erfasst.

Im Ergebnis liegt eine drittbezogene Amtspflichtverletzung vor und der Amtshaftungsanspruch ist bis dahin gegeben.

2. Teil Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG › B. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen › V. Verschulden

V. Verschulden

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Die Amtshaftung nach § 839 BGB verlangt, dass der Amtswalter die drittbezogene Amtspflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat. Amtshaftung ist also Verschuldenshaftung und unterscheidet sich durch dieses Merkmal grundsätzlich von den Ansprüchen auf Entschädigung und Wiederherstellung.

Hinweis

Erinnern Sie sich an die Differenzierung der Staatshaftung nach den vier großen Bereichen, s.o. Rn. 3.

 

1. Verschuldensmaßstab

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Das Prinzip der Verschuldenshaftung beruht auf der Konstruktion des Amtshaftungsanspruches als deliktischer Tatbestand, da an die deliktische Eigenhaftung des Amtswalters angeknüpft wird. Art. 34 GG erwähnt zwar kein Verschuldenserfordernis lässt es deshalb aber nicht entfallen. Art. 34 GG leitet den gegen den Amtswalter gerichteten Anspruch nur auf den Staat über.

Die Feststellung des Verschuldens erfolgt nach den Regeln des BGB. Sie muss konkret bezogen auf die Schuldform Vorsatz oder Fahrlässigkeit erfolgen, da sie sich auf die Anwendbarkeit der Haftungsbegrenzungen aus § 839 Abs. 1 S. 2 BGB – nur im Falle der Fahrlässigkeit – und § 839 Abs. 2 BGB – nur bei Vorsatz – auswirkt.

Anknüpfungspunkt ist die drittbezogene Amtspflichtverletzung, nicht der Schadenseintritt.[101]

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Vorsatz bedeutet, dass sich der Amtswalter bewusst ist oder mindestens mit der Möglichkeit rechnet, dass er sich über eine Amtspflicht hinwegsetzt.[102] Der Amtswalter muss dabei das Bewusstsein haben, gegen eine Amtspflicht zu verstoßen. Irrt sich der Amtswalter, so entfällt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und damit zugleich der Vorsatz.[103]

Hinweis

Eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung ist in der Praxis wie in der Klausur äußerst selten und dann ohne weiteres festzustellen.

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Fahrlässig handelt der Amtswalter, der die übliche Sorgfalt nicht beachtet, § 276 Abs. 2 BGB. Maßstab ist dabei ein pflichtgetreuer Durchschnittsbeamter. Auf individuelle subjektive Kenntnisse und Fähigkeiten kommt es dabei nicht an.[104] Dieser Verschuldensmaßstab kann durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeengt werden, z.B. auf grobe Fahrlässigkeit. Das ergibt sich aus Art. 34 S. 1 GG, wenn es heißt, dass der Staat grundsätzlich die Haftung bei einer Amtspflichtverletzung übernimmt. Damit wird nur eine Mindestgarantie der Amtshaftung vorgegeben, die eine inhaltliche Begrenzung dieses Instituts zulässt. Das Erfordernis eines förmlichen Gesetzes als Grundlage, um den Verschuldensmaßstab zu begrenzen, entspringt dem Prinzip des Gesetzesvorbehalts, Art. 20 Abs. 3 GG.

72

Eine kommunale Satzung aufgrund des allgemeinen Satzungsrechts der Gemeinden erfüllt diese Voraussetzung nicht. Das Staatshaftungsrecht liegt außerhalb dieser Satzungsautonomie. [105]

Hinweis

Vorsicht! Verwechseln Sie die Frage nach einer Modifizierung des Verschuldens bei der Amtshaftung nicht mit dem möglichen Haftungsausschluss im Rahmen öffentlich-rechtlicher Schuldverhältnisse.

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Die in der Bestimmung der Fahrlässigkeit zu erkennende Tendenz der Objektivierung des Sorgfaltsmaßstabes wird über die Grundsätze der Entindividualisierung und des Organisationsverschuldens erweitert.

Entindividualisierung heißt, dass der Name des verantwortlichen Amtswalters nicht konkret angegeben werden muss. Hierzu ist der geschädigte Bürger im Regelfall auch nicht in der Lage. Damit einher geht das Organisationsverschulden, wonach das Fehlverhalten des namentlich nicht bekannten verantwortlichen Amtswalters dem Verwaltungsträger zugerechnet wird.[106]