Za darmo

Die Maske des Pharaos

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Z serii: Tommy Garcia #2
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Janine nickte heftig. „Alles, nur das nicht. Aber wir haben doch nur zwei Tage Zeit! Ich kann doch nicht einfach von zu Hause weg. Ich weiß nicht, wie ich das meinen Eltern beibringen soll.“

Tommy lächelte.

„Genau deswegen brauchen wir einen Plan. Ich glaube, ich weiß schon, was wir unseren Eltern erzählen können. Und lügen wollen wir ja nicht, stimmt’s? Allerhöchstens eine ganz kleine Notlüge. Wahrscheinlich wird es gar nicht so schwer, sie zu überzeugen, dass wir noch einmal länger zusammen sein wollen, schließlich muss Janine ja bald wegziehen. Da müssen wir uns doch ordentlich verabschieden und noch was Schönes gemeinsam unternehmen, nicht wahr?“

Wir grinsten uns an. Janines Augen schimmerten immer noch feucht, aber das war wohl die Freude darüber, dass wir etwas tun konnten. Wir brauchten einen Plan, soviel stand fest. Es würde eine Menge zu besprechen geben.

Schließlich brach ich den Bann und schüttete die restlichen Chips in die Schüssel. Dann begannen wir, einen Plan zu entwerfen. Den Rest dieses Freitags saßen wir als verschworene Gemeinschaft zusammen und redeten über das, was wir vorhatten.

Irgendwo im Unterbewusstsein registrierte ich eine mahnende Stimme, die mir ständig zuraunte, dass es vielleicht gefährlich würde, wieder in dieses Haus zurückzukehren. Sehr gefährlich. Aber ich mochte nicht auf sie hören.

Die Tafel

Am nächsten Vormittag trafen wir uns bei mir zu Hause. Es war gar nicht so einfach gewesen, unseren Eltern die Erlaubnis herauszukitzeln, eine Nacht woanders übernachten zu dürfen. Wir hatten eine ganze Weile gebraucht, bis uns die rettende Idee kam. Schließlich wollten wir nicht schwindeln. Na ja, jedenfalls nicht allzu sehr. Zuerst meinte ich, jeder könnte sagen, er übernachte beim anderen. Aber Tommy beendete das Thema gleich wieder. Janine meinte, wir könnten doch zelten gehen. Aber das hätten uns meine Eltern nie erlaubt. Mir ja vielleicht noch, aber Sanne ganz bestimmt nicht. Dafür hatte meine Schwester den genialen Einfall mit Omas Laube.

Meine Großeltern besaßen seit vielen Jahren eine Laube in einem Schrebergarten. Doch seit mein Opa gestorben war, verbrachte Oma nur noch selten ein Wochenende in ihrer geliebten Laube. Jetzt im Oktober zwickte ihr der Rücken schon zu sehr, wie sie sich ausdrückte. Also fragten wir unsere Eltern, ob wir das Wochenende dort verbringen dürften, weil es doch schließlich unser letztes gemeinsames sei. Und wenn ich will, kann ich richtig traurig-liebe Augen bekommen.

Sanne und ich bekamen die Erlaubnis. Unsere Eltern wollten sogar das Wochenende nutzen und Tante Margret in Hannover besuchen. Janines Eltern hatten auch nichts dagegen. Sie hatten sowieso genug für die Fahrt nach Hamburg vorzubereiten. Und Tommys Eltern hätten wir gar nicht fragen brauchen. Sie vertrauten ihm völlig und wussten, dass er nichts Gefährliches tun würde. Tja, also jedenfalls bis jetzt ...

Als wir uns am Abend voneinander verabschiedeten, gab Tommy uns noch mit auf den Weg, darüber nachzudenken, was wir alles mitnehmen mussten. Wir hatten uns überlegt, dass diesmal jeder einen Rucksack tragen sollte. Es war schließlich Oktober, und meine Mutter würde uns nicht gehen lassen, wenn wir uns nicht warm genug anzogen. Omas Laube hatte keine Heizung. Das Dumme war nur, dass es bei unserem letzten Abenteuer in der geheimnisvollen Welt so warm gewesen war wie bei uns im Hochsommer, und was sollten wir dann mit Jacken und Pullovern? Das Problem mussten wir noch irgendwie lösen. Und Tommy meinte, er hätte keine Lust, wieder die ganze Zeit allein einen Rucksack zu tragen. Außerdem könnten wir dann mehr Proviant mitnehmen.

So saßen wir also wieder einmal auf dem Boden, diesmal in meinem Zimmer, und packten unsere Sachen aus, damit Tommy sie inspizieren konnte. In der Hinsicht überließen wir ihm die Führung.

„Lasst mal sehen“, sagte er neugierig.

Ich begann, meine Sachen nebeneinander zu legen und fühlte mich wie vor dem Beginn einer aufregenden Expedition in ein fremdes Land.

„Ein Handtuch. Falls wir wieder baden müssen“, grinste ich. „Eine Flasche Mineralwasser, eine Tüte Chips, zwei Brötchen mit Schinken, heute frisch geschmiert, ein Notizblock und ein Bleistift.“

„Damit wir nicht wieder im Sand rumkratzen müssen“, meinte Tommy anerkennend.

„Genau!“, nickte ich zustimmend. „Außerdem hab ich keine Lust, noch mal nach Hause zu laufen, falls da wieder ein Rätsel erscheint und wir nichts zum Schreiben dabei haben. Hier sind noch zwei Äpfel, drei Schokoriegel, ein paar Erdnüsse, Kaugummis und Kekse.“

„Danke, dass du für mich mit eingekauft hast!“, lachte Tommy. „Und was habt ihr eingepackt?“

Sanne und Janines Sachen glichen den meinen. Jede hatte auch ein Handtuch, eine Flasche Wasser und Äpfel dabei. Aber etwas hatten sie, was ich nicht hatte.

„Wir haben noch ein T-Shirt und eine kurze Hose eingepackt, falls es wieder so warm ist oder wir wieder ins Wasser müssen. Dann können wir die Klamotten wechseln.“

Tommy nickte anerkennend.

„Gute Idee. Eine kurze Hose werde ich mir auch noch holen.“

Ich stand auf und suchte mir ebenfalls noch Sachen zum Wechseln raus. Gut, dass wir uns bei mir zu Hause getroffen hatten. An das Wichtigste schienen wir jedenfalls gedacht zu haben. Jetzt schauten wir gespannt auf Tommy, der noch keine Anstalten gemacht hatte, den Inhalt seines eigenen Rucksacks hervorzukramen. Langsam und bedächtig zog er ein Teil nach dem anderen heraus.

„Die Taschenlampe. Die brauchen wir bestimmt. Die war hier noch drin vom letzten Mal. Ich hab aber neue Batterien rein gemacht. Und ich habe ein Seil gekauft.“

„Ein Seil?“, fragte Sanne. „Meinst du, wir gehen wieder denselben Weg wie das letzte Mal?“

„Nein“, meinte Tommy nachdenklich. „Das macht eigentlich keinen Sinn. Aber wer weiß das schon? Lassen wir uns einfach überraschen. Nein, ich dachte, ein Seil kann uns immer mal helfen, und viel Gewicht nimmt es nicht weg. Es ist ein ultradünnes für Bergsteiger. Damit könnten wir ein Nilpferd abseilen.“

Als Nächstes tauchte ein Kompass auf.

„Absolut lebensnotwendig!“, meinte ich ironisch.

„Na, aber ja!“, lachte Tommy und zog sein Schweizer Taschenmesser hervor. „Das hier ist vielleicht noch wichtiger. Ach ja, und das hier!“

Als Letztes kam das Fernglas zum Vorschein, das uns bei dem Rätsel mit dem kochenden See gute Dienste geleistet hatte.

„Das wär’s“, meinte mein Freund und lehnte sich zufrieden zurück. „Haben wir was vergessen? Hat jemand irgendeine Idee, was noch fehlen könnte? Wenn wir erstmal in der anderen Welt sind, ist es zu spät.“

„Was ist mit der Machete?“, fragte Janine.

„Gute Frage!“, nickte Tommy. „Die hängt draußen unter meiner Jacke. Ich dachte, es wäre vielleicht besser, eure Eltern sehen das Ding nicht. In den Rucksack wäre sie sowieso nicht gegangen. Also, Leute, war’s das?“

Wir überlegten noch eine Weile, aber niemandem kam noch eine zündende Idee.

„Man merkt sowieso erst, was einem fehlt, wenn man es braucht“, meinte Sanne.

„Na okay“, sagte Tommy und hielt uns seine Handfläche hin. „Dann war’s das. Kommt, schlagt ein!“

Und als wir alle mit einem kräftigen Schlag unser Vorhaben besiegelten, konnte ich es kaum noch aushalten, endlich loszugehen.

*

Es war gar nicht so einfach, uns zu verabschieden. Nicht nur, dass wir alle dicke Pullis und Jacken anziehen sollten, nein, um Mutter zu beruhigen, mussten wir nun auch noch zwei Schlafsäcke mitschleppen. Oma hatte zwei Klappsofas in ihrer Laube, aber nicht genügend Decken. Wir kamen uns vor wie Lastesel, als wir endlich die Treppen unseres Mietshauses hinunter stolperten. Dann hatte uns meine Mutter auch noch alle zum Abschied gedrückt! Das war nicht nur peinlich, sondern um ein Haar wäre Tommy die Machete aus seiner Jacke gerutscht. Auf die Erklärung von ihm, was wir mit so einem Ding auf Omas Grundstück wollten, wäre ich allerdings gespannt gewesen!

Endlich hatten wir die Prozedur überstanden und schlenderten Richtung Bushaltestelle davon. Natürlich winkte Mutter uns vom Fenster aus nach. Gott sei Dank lag die Haltestelle außer Sichtweite. Um zum Grundstück zu gelangen, mussten wir an ihr vorbei noch ein ganzes Stück Richtung Wald gehen. Ein schlechtes Gewissen hatten wir schon alle, aber was wir taten, war ja schließlich für einen guten Zweck.

Ein Problem allerdings blieb. Wenn raus kam, dass wir gar nicht zu Omas Laube gefahren waren, dann hätten wir erklären müssen, was wir denn stattdessen angestellt hatten. Sollte man seinen Eltern erklären, dass man in eine geheimnisvolle andere Dimension eingetaucht war, mal eben durch Dschungel und Wüsten gewandert sei und so nebenbei die fantastischsten Abenteuer erlebt hatte? Genau das hatten wir nämlich das letzte Mal durch gestanden. Aber erzählen konnte man das nicht. Ich grübelte eine Weile nach, aber mir fiel beim besten Willen keine plausible Erklärung für unser Vorhaben ein. Die Wahrheit würde uns jedenfalls niemand glauben.

Ich schüttelte den Gedanken ab. Das brachte jetzt sowieso nichts. Niemand sagte ein Wort, während wir die vielleicht fünfhundert Meter bis zum Ende der Welfenallee gingen. Von weitem sah man bereits den Wald, der direkt an das Grundstück grenzte. Jetzt wussten auch unsere beiden Hunde, wohin es ging. Schließlich war gleich dahinter das Hundeauslaufgebiet. Jever zog an der Leine und japste, und Lazy ging so schnell, dass er sogar mit uns Schritt hielt.

Je näher wir der geheimnisvollen Stelle kamen, desto unruhiger wurde ich. Ich hatte mehr als eine Ahnung, dass wir etwas vorfinden würden, womit wir nicht gerechnet hatten. Mit jedem Schritt spürte ich es stärker. Meine Augen verschwammen bereits, so angestrengt starrte ich voraus in der Hoffnung, das Haus endlich erkennen zu können.

 

Dann bekam ich Gewissheit.

„Sie haben es abgerissen!“, rief Janine.

Erst dachte ich, das kann nicht sein. Doch dann, nachdem wir noch einige Dutzend Meter weitergegangen waren und unsere Schritte immer langsamer wurden, erkannte ich, dass Janine Recht hatte. Das Haus, so wie wir es kannten und so wie ich es mit Tommy zusammen bei unserem letzten Gang zum Hundeplatz noch gesehen hatte, existierte nicht mehr.

„Es war alles umsonst! Alles umsonst ... “, murmelte Sanne, den Tränen nahe.

„Keine Panik“, versuchte Tommy sie zu beruhigen. „Es war schon mal ganz verschwunden. Und im nächsten Moment stand es wieder da, als wäre nichts geschehen.“

Da hatte er Recht. Ich dachte unwillkürlich an den Moment, wo ich in den Brunnen steigen musste und geglaubt hatte, mein letztes Stündchen hätte geschlagen. Mann, war das knapp gewesen! Doch jetzt sah die Sache ganz anders aus.

„Jemand muss das Grundstück gekauft haben“, sagte ich enttäuscht. „Und jetzt haben sie das alte Haus abgerissen und bauen ein neues drauf.“

Inzwischen waren wir am Waldrand angekommen und standen direkt vor der dicht gewachsenen Buchsbaumhecke, die das große Grundstück einfasste. Zwei Seiten waren vom Wald gesäumt, die dritte grenzte an die Straße und nur eine besaß einen direkten Nachbarn, von dem aber kaum etwas zu sehen war, da große Ahornbäume die Sicht versperrten. Ich war froh, dass man das Grundstück selbst schlecht einsehen konnte und dass sich kaum jemand hierher verirrte. Auf den Hundeplatz gingen die meisten Hundebesitzer erst am Nachmittag. Es wäre verdammt unangenehm geworden, wenn uns jemand erkannt und unseren Eltern so nebenbei gesagt hätte, dass wir hier rumstromerten.

Jever und Lazy wurden ungeduldig, und da sie hier eigentlich nichts anstellen konnten, ließen wir sie von der Leine. Sofort krabbelte Jever durch ein Loch in der Hecke und begann, auf dem Grundstück herumzuhopsen. Lazy brauchte etwas länger, um sich durch das Loch zu zwängen und hopsen tat er schon gar nicht. Aber die beiden fühlten sich augenscheinlich wohl. Na, wenigstens etwas!

Tommy und ich bogen die Hecke an einer etwas lichteren Stelle auseinander, damit wir einen besseren Einblick bekamen. Wo einst das kleine, graubraun verputzte Haus gestanden hatte, war jetzt nur noch das Fundament zu sehen. Offensichtlich hatte eine Baufirma mit schwerem Gerät die Außenmauern und das Dach eingerissen, denn überall auf dem Grundstück verliefen tiefe Spuren von den Ketten eines Baggers. Mauerstücke lagen herum, aus denen die eine oder andere Stahlarmierung ragte. In einer Ecke türmten sich zerbrochene Dachziegel und daneben lagen Fensterrahmen, aus denen das Glas heraus gebrochen war. Die vielen Brombeersträucher, die uns im Sommer so gepiesackt hatten, waren platt gewalzt, die schönen Obstbäume zum Teil umgefahren oder sie standen schräg, weil der Baggerfahrer anscheinend nicht aufgepasst hatte. Zur Straßenseite hin standen riesige Stahlcontainer mit Bauabfall und ein großes Schild mahnte „Baustelle! Eltern haften für ihre Kinder!“

Ich stand da und ließ das auf mich einwirken. Unser schöner Plan schien sich in Nichts aufzulösen. Das ganze Grundstück wirkte seltsam leblos. Selbst die Vögel hatten die Flucht ergriffen. Kein Laut drang zu uns herüber. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Janines Schultern bebten, doch gleich darauf legte Sanne einen Arm um sie.

„Hey, noch ist nichts verloren. Denk doch mal nach. Die unbekannten Herrscher haben uns viele Rätsel aufgegeben, die wir das letzte Mal lösen mussten. So leicht wird es nicht sein, wieder in die andere Welt zu gelangen. Ich hab das Gefühl, dass wir erst beweisen müssen, dass wir die Richtigen sind.“

Sie überdachte ihre Worte ein paar Sekunden. „Ich meine, natürlich sind wir es, aber das können die ja nicht wissen. Da könnte ja jeder kommen und in diese Welt eindringen wollen. Und das hätte ich an deren Stelle auch verhindert.“

Janine sah Sanne voller Hoffnung an und zeigte auf das Durcheinander auf dem Grundstück.

„Du meinst, das könnte ein neues Rätsel sein?“

„Warum nicht?“, antwortete Tommy an Sannes Stelle. „Jedenfalls sollten wir nicht gleich aufgeben, nur weil etwas anders aussieht als das letzte Mal. Ich habe das komische Gefühl, dass man uns prüfen will, denn etwas stimmt hier ganz und gar nicht!“

Mit neuer Spannung irrten unsere Blicke über die Reste des Hauses, den Abfall und das Grundstück.

„Was meinst du? Los, sag schon! Mach’s nicht so spannend!“

„Joe“, wandte er sich an mich, „kannst du dich noch daran erinnern, dass das Haus keine Tür hatte und dass es genau das war, mit dem du mich neugierig auf die Sache hier gemacht hast?“

Na klar konnte ich mich daran erinnern. Wie hätte ich das jemals vergessen können, schließlich waren wir erst durch das Rätsel mit der Holografie buchstäblich in das Haus gefallen.

„Und ob“, nickte ich. „Und?“

„Jetzt fehlt auch etwas. Mal sehen, ob ihr darauf kommt.“

Noch einmal nahmen wir die Szenerie in uns auf und versuchten, etwas Außergewöhnliches zu entdecken. Minuten vergingen, doch ich kam einfach nicht drauf. So langsam schnitt mir der Riemen des Rucksacks schmerzhaft in die Schultern, der Schlafsack lag schwer in meinem Arm, und ich schwitzte in meinen warmen Klamotten. Es war zwar Oktober, aber ein recht milder Tag, sonnig und vielleicht an die zwanzig Grad warm. Ich hätte einiges dafür gegeben, schon jetzt Ballast abwerfen zu dürfen. Aber wir waren ja gerade mal zehn Minuten von zu Hause fort! Ich schüttelte den Kopf.

„Was soll man denn hier erkennen? Hier gibt es doch nichts außer Schutt! Alles, was fehlt, ist das Haus“, meinte ich resigniert.

Und dann stahl mir Sanne die Show.

„Tommy ... “, sagte sie langsam, „das Haus hatte keine Tür. Und das Grundstück hat keine Einfahrt!“

„Bingo!“, rief Tommy und seine Augen strahlten. „Genau das ist es! Ich dachte die ganze Zeit, wo ist denn der Bagger hin, der das Haus abgerissen hat? Die Spuren sind ja überall zu sehen. Aber wenn hier ein Bagger war, dann muss er ja auch rein und wieder raus gefahren sein. Und wie soll er das geschafft haben, wenn das ganze Grundstück ringsum mit einer Hecke eingezäunt ist, die bestimmt schon viele Jahre alt ist. Oder seht ihr hier irgendwo eine Stelle, die neu bepflanzt wurde?“

Mann, ich konnte es nicht glauben. Die Erklärung war so einfach. Der Beweis war eindeutig. Die Hecke wuchs dicht und ununterbrochen rings um das geheimnisvolle Grundstück. Drei Seiten fielen sowieso weg, denn durch den Wald und über das Nachbargrundstück konnte im Leben kein Bagger dieser Größe durchkommen. Blieb nur die Straßenseite, und da standen wir ja und konnten deutlich erkennen, dass hier seit langer Zeit nichts verändert worden war.

„Sanne“, sagte Janine mit bewunderndem Blick, „du bist toll! Da wäre ich nie drauf gekommen!“

Ich sagte lieber nichts. Tommy lächelte und beobachtete Jever, der versuchte, mit Lazy Fangen zu spielen, soweit man das mit meinem Hund konnte.

„Noch vorgestern stand hier das Haus, so wie wir es kannten, und jetzt das. Ich würde sagen, wir müssen ein Rätsel lösen. Was meint ihr?“

Ich wollte auch einmal etwas beitragen, schulterte meinen Rucksack und stapfte los in Richtung Wald.

„Gehen wir erstmal rein!“, rief ich zurück. „Ihr wisst ja, Eingang um die Ecke!“

Vom Wald her gab es eine kleine Lücke in den Büschen, durch die sich auch ein Mensch quetschen konnte. Die hatte ich früher schon ausgenutzt, als ich mit meinem alten Freund Andi auf dem Grundstück gespielt hatte ohne zu ahnen, was für ein Geheimnis sich hier verbarg.

Einer nach dem anderen zwängten wir uns hindurch und handelten uns ein paar ordentliche Kratzer von den Büschen ein. Wir musterten das Gelände sorgfältig. Der unsichtbare Bagger hatte ganze Arbeit geleistet. Überall türmten sich kleine Sandberge auf. Das Gelände wirkte regelrecht verwüstet. Wo sollten wir anfangen und wonach sollten wir suchen?

„Ich denke, wir teilen uns“, sagte Janine. „So wie das letzte Mal, als sich jeder von uns eine Seite des Hauses vorgenommen hat.“

„Gute Idee“, nickte Tommy. „Am besten kann man ein Gelände absuchen, indem man in einer Spirale von außen nach innen geht. Und wenn wir uns teilen, sehen wir alle jeden Fleck gleich mehrmals. Geh du am besten mit Sanne links rum und ich laufe mit Joe von rechts.“

„Worauf sollen wir achten?“, fragte ich.

„Das weiß ich auch nicht. Ich würde sagen, achtet auf alles, was nicht hierher gehört. Was nicht aussieht wie Schutt oder Sand oder Gestrüpp. Und geht langsam.“

Wir setzten uns in Bewegung und schlenderten mit konzentriertem Blick auf den Boden los. Langsam umrundeten wir das Gelände. Schon nach wenigen Minuten brannten mir die Augen, weil ich nicht blinzeln wollte aus Angst, etwas zu übersehen. Ich sah nichts als Sand, Büschel von Gras, hier und da eine achtlos weggeworfene Zigarettenkippe und eben den Schutt, der scheinbar wahllos in die Gegend gekippt worden war. Ich konnte einfach nichts entdecken.

Die ganze Zeit über lauschte ich gebannt auf die anderen, ob jemand aufschreien würde. Aber meine Freunde liefen genauso schweigsam wie ich ihre Runden. Jever und Lazy hatten aufgehört herumzutollen, lagen nebeneinander vor den Resten des Hauses und schauten uns zu.

Schließlich waren wir jeden Meter des Grundstücks abgelaufen und gesellten uns zu unseren Hunden. Ich schaute Sanne an und musste lachen.

„Du bist ja ganz rot im Gesicht!“

„Sieh dich mal an! Du Tomate! Mir ist halt warm.“

Auch ich schwitzte in meinen dicken Klamotten. Wir hatten die ganze Zeit unsere Sachen mitgeschleppt, so verbissen waren wir auf die Suche gegangen. Uns stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.

„Nichts?“, fragte Tommy noch einmal, um sich zu vergewissern.

„Nichts!“, bestätigten wir einhellig.

„Dann bleibt nur noch das Haus“, sagte er und richtete seinen Blick auf die Reste des Mauerwerks und die zusammengefallenen Balken, die sich auf dem Fundament übereinander türmten.

„Welches Haus?“, fragte Sanne. „Was willst du denn da noch finden? Das ist doch nur noch Schrott.“

„Egal“, meinte Tommy, „sehen wir einfach nach. Das Haus war schließlich der Eingang in die andere Welt, und als es damals weg war, war der Brunnen an seiner Stelle.“

Das war nicht von der Hand zu weisen und so begannen wir vorsichtig, auf den Trümmern herumzukraxeln. Wieder erwachte die mir so bekannte Spannung. Ich versuchte, in der Anordnung der Balken oder im Muster des Betonfundaments einen Hinweis zu finden, der uns weiterhelfen könnte. Stück für Stück räumten wir beiseite und arbeiteten uns voran. Dann passierte genau das, womit ich schon gar nicht mehr gerechnet hatte. Ein Schrei ertönte!

„Hierher! Ich hab was gefunden!“

Wir fuhren herum. Janine zerrte an einem großen Stück Holz, das sich verklemmt hatte.

„Nun macht schon, hier ist eine Treppe!“

„Eine Treppe?“, rief ich ungläubig. „Was für eine Treppe?“

Im Nu standen wir um Janine herum und versuchten zu erkennen, was sie entdeckt hatte. Unter losem Gerümpel und mehreren ineinander verkeilten Balken war eine rechteckige dunkle Öffnung im Fundament des Hauses zu erkennen. Tatsächlich schienen Stufen von diesem schwarz gähnenden Loch in die Tiefe zu führen.

„Vielleicht ein Keller“, meinte Tommy und begann, Janine mit dem Balken zu helfen. Doch erst, nachdem auch ich mit Hand anlegte, gelang es uns mit vereinten Kräften, das schwere Ding herauszuziehen und in den Sand zu werfen.

„Nie und nimmer ist da ein Keller“, murmelte ich, während wir den Rest des Unrats wegräumten und die Öffnung freilegten.

„Nichts ist hier so wie es sein sollte“, meinte Janine nachdrücklich und ich musste ihr Recht geben. Dies schien die einzige Möglichkeit zu sein, auf diesem Grundstück etwas zu entdecken, also mussten wir sie nutzen.

Endlich lag der Eingang offen vor uns. Wir atmeten schwer vor Anstrengung, traten an den Rand und versuchten etwas zu erkennen. Aber die Stufen verloren sich im Dunkel.

„Tja“, machte Tommy und klopfte sich die Hände ab, „wer möchte denn gern vorgehen? Joe, wie wär’s mit dir? Du hast doch mit Vorgehen Erfahrung!“

Nun ja, ich war damals vorgegangen. Aber nur, weil ich das Rätsel mit der Holografie gelöst hatte. Und, so musste ich zugeben, weil ich nicht wollte, dass eines von den Mädchen mich an die Hand nahm. Aber ich musste ja nicht jedes Mal vorgehen ...

 

„Kannst du nicht Jever vorschicken?“ Ich wusste, dass der kleine Hund jede Gefahr wittern würde.

„Normalerweise schon. Aber hier liegen viele scharfe Teile und Nägel herum. Ich möchte nicht, dass er sich was eintritt. Aber wenn du willst, dann geh ich vor.“

„Nein“, sagte ich schnell. Auf einmal zeigte ich Mut, den ich gar nicht hatte. Janine sah mich so dankbar an, dass ich gar nicht anders konnte. „Aber ihr müsst sofort hinter mir herkommen. Und gib mir deine Taschenlampe. Dann ist mir wenigstens ein bisschen wohler.“

Tommy nickte verständnisvoll, hievte seinen Rucksack von der Schulter, kramte die Lampe heraus und reichte sie mir.

„Mir auch. Was soll ich denn deinen Eltern sagen, wenn du auf einmal in den Rachen eines riesigen Ungeheuers fällst!“

Ich grinste etwas säuerlich und Sanne bekam große Augen.

„Ein Ungeheuer? Aber da unten ist doch keins, oder?“

Tommy lachte und seine Selbstsicherheit machte mich ein bisschen neidisch.

„Nein, nein. Ganz bestimmt nicht. Denk doch mal an das letzte Mal. Da gab es überhaupt keine Tiere in der anderen Welt. Man will uns hier nur auf die Probe stellen. Hab keine Angst.“

Gerade wollte ich ihn daran erinnern, dass wir sehr wohl ein Tier getroffen hatten, nämlich eine riesige Vogelspinne. Aber ich hielt doch lieber meinen Mund. Ich wollte Sanne und Janine nicht noch mehr Angst machen.

Ich schaltete die Lampe ein.

„Könnt ihr auf Lazy aufpassen? Nicht, dass er zurückbleibt.“

„Ich werde ihn auf den Arm nehmen“, bot sich Sanne an. Janine nahm Jever, denn Tommy und ich trugen immer noch die Schlafsäcke mit uns herum. Die wollten wir nicht oben liegen lassen. Man konnte nie wissen, ob nicht doch jemand vorbeikam und aufmerksam wurde. Tommy hatte die Machete in seinen Schlafsack eingewickelt, um wenigstens eine Hand frei zu haben. Die Sekunden, bis wir endlich soweit waren, kamen mir wie eine Galgenfrist vor, die ich am liebsten nie beendet hätte, denn wer geht schon gern als Erster eine unbeleuchtete Treppe ins Ungewisse hinab? Doch dann ließ es sich nicht weiter hinausschieben und ich setzte meinen rechten Fuß auf die erste Stufe.

„Pass bloß auf!“, sagte Janine ängstlich.

Ich nickte nur und begann vorsichtig die Gott sei Dank recht breiten Stufen hinab zu steigen. Gespannt richtete ich die Taschenlampe nach unten. Ich erkannte vielleicht zwei Dutzend Stufen, dann verlor sich der Strahl im Nichts. Ich schluckte. Das war weiß Gott keine normale Kellertreppe! Janine war dicht hinter mir und so sagte ich lieber nichts, um ihr keine Angst einzujagen. Gerade als ich sicher war, dass jetzt eigentlich alle in das Loch gestiegen sein mussten, erschrak ich mich zu Tode.

„Hier ist ein Schalter!“, hallte Tommys Stimme schaurig durch den Gang.

„Mann, schrei doch nicht so!“, rief ich nach oben. „Beinahe hätte ich die Lampe fallen lassen! Was denn für ein Schalter?“

„Ein Lichtschalter. Hier gibt’s bestimmt keinen Strom, aber ich kann ja mal ...“

Tommy war als Letzter eingestiegen und ich hatte keine Chance, ihm in den Arm zu fallen. Ich wollte „Warte!“ schreien, weil ich dachte, er könnte eine Falltür auslösen oder, noch schlimmer, eine Platte würde sich über das Einstiegsloch schieben und uns lebendig begraben! Aber es war zu spät. Schon hörte ich das laut widerhallende Klickgeräusch des umgelegten Schalters. Im nächsten Moment war der Gang nach unten beleuchtet!

„Na, wer sagt’s denn!“, kam es von oben.

„Mensch, Tommy!“ Ich holte tief Luft. „Das nächste Mal gehst du vor! Du bringst mich noch um!“

„Und uns auch!“, hörte ich Janines ängstliche Stimme hinter mir.

„Ohne Licht wärt ihr viel eher gestorben“, kam es trocken von meinem Freund. „Wie weit müssen wir denn noch runter?“

Ich blickte mit zusammengekniffenen Augen die Treppe hinab. In regelmäßigen Abständen hingen unscheinbare kleine Neonröhren an der Decke und gaben ein gleichmäßiges Licht. Als ich sah, wie weit es hinunter ging, wurde mein Mund trocken.

„Ziemlich weit, würde ich sagen“, gab ich zurück. „Ich sehe das Ende nicht.“

„Okay“, kam es energisch von Sanne. „Dann sind wir richtig. Kein Haus hat so eine Treppe! Das muss der Eingang zur anderen Welt sein! Los, geh weiter, Joe!“

Geh weiter, Joe! Geh weiter, Joe ... Sanne hatte gut reden. Ich hatte das furchtbar mulmige Gefühl, dass der Eingang verschlossen sein würde, wenn wir umdrehten. Und genauso ein mulmiges Gefühl vor dem, was uns dort unten erwarten konnte. Ich ging ja schließlich vor! Aber ich wusste, ich hatte keine Wahl. Als ich das im Innern entschieden hatte, knipste ich die Taschenlampe aus und setzte entschlossen einen Fuß auf die nächste Stufe.

„Und beeil dich ein bisschen! Lazy wird mir immer schwerer!“

Ich verkniff mir eine Antwort. So zügig es die Treppe erlaubte, stiegen wir in die Tiefe. Und es ging wirklich buchstäblich in die Tiefe. Bei der hundertfünfzehnten Stufe verhaspelte ich mich und hörte auf zu zählen. Meter um Meter arbeiteten wir uns in den Bauch des Grundstücks voran und genau in dem Moment, als Sanne rief, sie könne Lazy nicht mehr lange halten, erkannte ich das Ende des Abstiegs.

„Wir sind gleich unten!“, rief ich beruhigend über meine Schulter.

Die letzten Stufen ging ich langsam und vorsichtig, um zu ergründen, was dort am Ende der Treppe auf uns warten mochte. Ich erkannte einen staubigen, dunkelgrauen Fußboden. Erst war es nur ein Ausschnitt, doch dann sah ich, dass die Treppe in einen sehr großen Raum mündete, der mit den gleichen kleinen Neonröhren ausgeleuchtet wurde wie die Treppe. Der Raum war leer.

Als ich die letzte Stufe geschafft hatte und durch die türlose Öffnung trat, fiel die Spannung augenblicklich von mir ab. Hier drin gab es nichts Gefährliches. Absolut nichts. Ich fühlte Enttäuschung in mir aufsteigen.

„Endstation!“, sagte ich zu den anderen, die jetzt nach mir den Raum betraten. „Ein Keller ohne Ausgang. Vielleicht einer von den Bunkern von früher, von denen Oma immer erzählt hat.“

Janine und meine Schwester setzten die Hunde ab, die sofort neugierig umhertapsten. Sanne rieb sich die Arme. Ich wusste, wie schwer mein Hund war und war ihr dankbar, dass ich nur den blöden Schlafsack hatte tragen müssen. Ich ließ ihn zu Boden gleiten und Tommy machte es mir nach.

„Hier will ich ganz bestimmt nicht schlafen!“, sagte er grinsend. Er ließ seinen Blick langsam über die Wände gleiten. Diesmal war ich mir sicher, dass er nichts entdecken würde. Es gab einfach nichts zu sehen. Kein Möbelstück, kein Gerümpel, keine Regale. Allerdings war der Raum bestimmt zwanzig Meter lang und schwören wollte ich nicht, dass da hinten nicht vielleicht doch ein winziger Zettel liegen konnte oder sonst etwas, dass uns vor eine Aufgabe stellen würde. Ich seufzte. Wir würden jeden Quadratzentimeter des Raumes absuchen müssen. Dafür würde Tommy schon sorgen. Aber es war Janine, die uns antrieb.

„Jeder eine Wand! Und wenn wir fertig sind, treffen wir uns in der Mitte, okay?“

„Nun guck nicht so, Joe“, meinte Tommy aufmunternd. „Vor einfache Aufgaben hat uns das Haus noch nie gestellt, oder?“

Damit hatte er allerdings den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich war sauer auf mich selbst, dass ich so schnell resigniert hatte. Die beiden Mädchen begannen bereits, die rechte und linke Seite des Kellers zu inspizieren, und Tommy durchquerte den Raum, um die gegenüberliegende zu untersuchen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mir den Bereich des Eingangs und die sich daran anschließenden Wände vorzunehmen.

Zuerst ging ich nach links. Ich konzentrierte mich auf feinste Risse, Unebenheiten oder sonst irgendetwas, das die glatte Oberfläche der Wand unterbrochen hätte. Mein Blick glitt von oben nach unten, vor und zurück. Nichts. Ich machte kehrt und untersuchte auch die rechte Seite neben dem Eingang. Ebenfalls Fehlanzeige. Ich drehte mich um und schaute, was die anderen machten. Tommy blickte mir entgegen und zeigte mit dem Daumen nach unten. Also auch nichts. Sanne und Janine waren noch nicht ganz fertig, denn die Längsseiten des Raumes abzusuchen, dauerte etwas länger. Ich schaute den Mädchen gespannt zu. Doch ein paar Minuten später hatten wir Gewissheit. Es gab nichts zu entdecken.