Mordsklamm

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6

Der eben noch so smart und selbstbewusst aufgetretene Braumeister wirkte plötzlich, als hätte er einen Geist gesehen. Er starrte in die offene Luke des vorderen Sudkessels, in dem er aus Vorführgründen am Computer kurz vorher das Licht eingeschaltet hatte, und wich trotz des bestialischen Gestanks, der sich langsam im Raum ausbreitete, keinen Millimeter zurück.

»Heiland … Kreuz-Kruzifix, was ist das?«, brachte er gepresst heraus. Nun ging er doch ein paar Schritte zurück und hielt schützend seine Hände vor Nase und Mund. Der süßliche, modrige Geruch war nicht nur unangenehm, er brannte auch im Hals und in der Nase. »Ist das ein Mensch?«

Florian, der bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich damit beschäftigt war, Jessica nicht aus den Augen zu lassen und auf jedes kleinste Zeichen für ihr eventuelles Interesse an Markus Hubertus zu achten, wurde schlagartig hellhörig, stürmte zur Luke und sah ebenfalls in den hell erleuchteten Kessel.

Über einem dicken Rohr im Sudgefäß hing der fast komplett skelettierte Körper eines Menschen ohne Arme und Unterschenkel. Manche der fehlenden Knochen lagen auf dem blitzblank gereinigten Edelstahlboden des großen Kessels. Florian konnte eine knöchrige Hand mit nur drei Fingern und einen zertrümmerten Fuß sehen. Die Knochen waren nahezu klinisch sauber, schneeweiß und gänzlich ohne Haut. An wenigen Stellen des Körpers hing noch eine stinkende, ledrig glibberige Masse. Man konnte nur vermuten, dass diese einmal menschliche Sehnen und Haut gewesen waren. Ein groteskes Bild eines gereinigten, beinahe sterilen Massakers. Was war hier passiert?

»Jessy, ruf bitte die Spurensicherung an und hole dann Ewe her«, befahl Florian und wandte sich an den Braumeister. »Ist in diesem Gefäß in letzter Zeit Bier gebraut worden? Ich meine, ist es möglich, dass der Kerl mitgekocht wurde?«

Markus Hubertus sah ihn entsetzt an und schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Das ist nicht möglich. In diesem Kessel wurde vor mehreren Wochen das letzte Mal Bier gebraut. Während meines Urlaubs. Nein. Das kann … nicht …« Er stockte, verstummte schließlich, drehte sich um und erbrach sich mitten auf den gefliesten Fußboden. Dann wischte er sich mit zitternder Hand das Erbrochene von den Mundwinkeln, starrte Florian verzweifelt an und schüttelte erneut den Kopf. »Ich muss zum Ausschank«, stammelte er und torkelte unsicher Richtung Ausgang. »Ich muss … ich muss … die Leute wegschicken. Der Sommersonnenwend-Sud … Keiner darf ihn trinken.«

*

»Wo ist denn das ganze Zeug hin?« Die Stimme des Rechtsmediziners Erwin Buchmann dröhnte aus dem Sudkessel heraus. Die Beamten der Spurensicherung suchten fieberhaft nach Spuren, Fingerabdrücken und einer eventuellen Tatwaffe, seit sie wussten, dass der Mann, der fast nur noch aus Knochen bestand, vermutlich einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte.

»Was für Zeug meinst du, Ewe?« Florian blickte zum wiederholten Mal durch die Luke ins Innere des Sudgefäßes und sah zu seinem Freund hinunter, der vorsichtig zwischen den Knochen herumlief, Fotos machte und sich den einen oder anderen größeren Splitter genauer ansah.

»Ich meine den Rest des Körpers«, rief der Rechtsmediziner von unten hinauf. »Die Haut und die Organe.«

Der Hauptkommissar zuckte unwissend mit den Schultern und sah sich suchend nach Markus um.

»Wäre gut, wenn wir etwas mehr Gewebe hätten als diesen kläglichen Rest an ein paar wenigen Knochen«, fuhr Erwin Buchmann fort.

»Wieso ist an dem Skelett eigentlich keine Haut mehr dran?«, fragte Florian und wusste bereits in dem Moment, als er die Frage unbedacht ausgesprochen hatte, dass er die Antwort darauf gar nicht hören wollte.

»Hast du schon einmal Hühnersuppe gemacht?« Ewes Worte hallten blechern von den Wänden des Gefäßes wider. »Wenn du das Suppenhuhn lange genug kochst, dann löst sich das Fleisch auch von ganz allein von den Knochen.«

»Und wo ist das Fleisch jetzt hin?«, wollte Florian wissen.

»Genau das habe ich doch eben auch gefragt.« Der Rechtsmediziner klang ungehalten. »Nimm dir endlich den Braumeister vor. Der kann dir bestimmt sagen, wo die ausgekochten Malzreste hingehen, wenn der Kochvorgang abgeschlossen ist. Hier unten ist eine Ableitung.« Er zeigte auf eine Stelle im Boden des Kessels. »Doch wo fließt die ganze Soße hin? Vielleicht finde ich dort noch Reste von meiner Leiche.«

»Der Treber?«, fragte der Braumeister, der immer noch gegen seine Übelkeit kämpfte und blass und zitternd auf einer der mittlerweile leeren Bierbänke im Außenbereich saß. »Den holt ein Bauer aus der Nachbarschaft ab. Für seine Rinder und Schweine.«

»Kannst du mir die Adresse geben, Markus?« Florian Forster rieb sich ungeduldig den Nacken. Er hatte Jessica gebeten, Paula und ihren neuen Freund nach Hause zu bringen und anschließend selbst heimzufahren und auf ihn zu warten. Ein Hauptkommissar reichte hier am Tatort vollkommen aus. Sein Kollege Berthold würde sicher gleich eintreffen, um ihn später mit nach Kempten zu nehmen.

»Natürlich, Flo. Aber ich glaube, von dem Treber ist nichts mehr übrig. Den werden die Tiere bereits gefressen haben.«

»Oh Gott«, stöhnte Florian. »Muss ich dann noch das Veterinäramt informieren?«

»Keine Ahnung«, erwiderte der Braumeister. »Mir macht viel mehr Sorgen, was aus dem guten Ruf der Brauerei wird. Der Chef hat erst kürzlich so viel Geld in die neue Anlage investiert. Wenn jetzt alles den Bach runtergeht, dann sitzt er auf einem riesigen Berg Schulden. Und ich bin meinen Job los.«

»Der Chef? Gehört die Brauerei nicht dir? Dein Vater hieß doch Sebastian, wenn ich mich richtig erinnere. Ich dachte, du hättest die Brauerei ihm zu Ehren Baschtl-Bräu genannt. Da hab ich wohl falsch gedacht. Kann ich deinen Chef dann bitte jetzt sprechen?«

Markus Hubertus schüttelte den Kopf. »Er ist mit seiner Frau im Urlaub. Deshalb war die Brauerei in den letzten Wochen geschlossen. Er heißt auch Sebastian mit Vornamen. Sebastian Lenz«, informierte ihn Markus. »Morgen kommt er wieder. Ich habe ihm aber bereits eine Nachricht geschrieben.« Markus zog sein Smartphone aus der Hosentasche und hielt es Florian entgegen.

Der warf nur einen kurzen Blick darauf und fragte: »Und hat er bereits geantwortet?«

»Nein. Er sitzt vermutlich gerade im Flieger. Die beiden waren in Thailand, da dauert die Heimreise schon ein paar Stunden.«

»Dann lasse ich ihn am besten direkt vom Flughafen abholen«, überlegte Florian laut. Er dachte kurz nach. »Sag mal, Markus. Warum kam Herr Lenz denn nicht zum Jubiläumsfest zurück? Sollte ein Chef bei einer solchen Veranstaltung nicht vor Ort sein?«

»Er wollte einen längeren Urlaub machen, und ich habe ihm versprochen, das Fest zu managen. Dafür genehmigte er mir vor dem Fest mehrere freie Tage.«

»Wer arbeitet sonst noch in der Brauerei? Wer hat einen Schlüssel? Wer kann die Anlage bedienen und kennt sich aus?«

»Nur ich. Und der Chef. Und vielleicht noch seine Frau, aber die hat keine Ahnung von dem Computerprogramm, nur einen Schlüssel.«

Florian sah, wie Markus angestrengt nachdachte.

»Die Aushilfskräfte – zwei junge Männer aus Blaichach – gehen uns manchmal bei der Fassabfüllung zur Hand. Einen Schlüssel besitzen sie allerdings nicht. Als ich gestern nach dem Rechten gesehen habe, waren alle Türen abgeschlossen.«

»Dabei ist dir der Tote im Sudhaus nicht aufgefallen?« Der Hauptkommissar sah den Braumeister ungläubig an.

»Leider nicht. Sonst hätte ich doch ein anderes Bier ausschenken lassen und nicht dieses verdammte Leichenbier. Oh Gott, was soll jetzt aus dem Baschtl-Bräu werden?«

*

»Du bist spät«, begrüßte ihn Jessica vom Sofa aus, als er kurz vor Mitternacht endlich nach Hause kam. Florian ließ sich auf den Sessel gegenüber der Couch fallen und legte die Füße auf den Glastisch, der zwischen ihm und seiner Freundin stand. »Bist du in dem Fall denn weitergekommen? Habt ihr die Identität der Leiche schon herausgefunden?«

»Ewe sagt, männlich und mittleren Alters. Aber du kennst ihn ja. Er legt sich nicht sofort fest, obwohl ich glaube, er weiß anfangs mehr, als er zugibt. Schön, dass du auf mich gewartet hast und noch nicht schlafen gegangen bist.«

»Oh, das war keine Absicht. Bin auch gerade erst gekommen. Ich musste Paula beruhigen. Sie war sehr aufgebracht, weil sie beinahe das verseuchte Bier getrunken hätte. Und du weißt, Paula beruhigt sich nicht so schnell«, sagte Jessica, beugte sich vor und schob etwas grob die Beine ihres Freundes vom Tisch. »Meinst du, dass ich mit meinen verzweifelten Versuchen, dich zu erziehen, irgendwann Erfolg haben werde?«

Florian schüttelte lachend den Kopf. »Das glaube ich nicht«, erwiderte er, vermied es aber, die Füße erneut auf den Tisch zu legen. Stattdessen lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Meinst du, du könntest das Dirndl noch einmal für mich anziehen?«

»Das glaube ich nicht.« Jetzt war es Jessica, die den Kopf schüttelte. Sie hatte bereits ein altes T-Shirt und eine kurze Pyjama-Shorts zum Schlafen an.

»Schade«, sagte Florian enttäuscht, wechselte dann aber das Thema. »Ich habe mir deine norddeutschen Trachten vorhin im Internet angesehen. Berthold hat mich nach Hause gefahren, da konnte ich die Zeit im Auto nutzen.«

»Und? Nicht sexy, oder?«, fragte Jessica und zwinkerte ihrem Freund zu.

Florians Blick verriet, dass er anderer Meinung war. Er biss sich auf die Unterlippe und ließ Jessica nicht aus den Augen. »Schade, dass du keine solche typische Hamburger Tracht besitzt. Die sieht so schön streng aus. Du würdest darin wirken wie eine strenge Lehrerin. Eine sexy strenge Lehrerin.«

»Und das würde dir gefallen?« Jessica klang amüsiert und entsetzt zugleich, lachte aber, als Florian eifrig nickte.

 

»Zieh doch das Dirndl noch einmal für mich an. Nur ganz kurz. Nur, bis wir im Schlafzimmer sind. Bitte«, flehte er und schaute treuherzig zu ihr hinüber.

»Du bist unmöglich«, schimpfte Jessica gespielt empört. »Ich verrate dir etwas: Ich habe tatsächlich eine norddeutsche Tracht. Die ziehe ich jetzt an und dann schauen wir mal, wie es so um deine Algebra und deine Grammatik bestellt ist.« Sie verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal zu ihm umzusehen.

Als sie kurz darauf das Wohnzimmer wieder betrat, erwartete sie, dass Florian vor Lachen vom Sessel kippen und sich nicht mehr einkriegen würde.

Doch ihr Freund saß noch genauso ruhig auf dem Sessel, wie sie ihn verlassen hatte, und musterte sie von oben bis unten. Er sah aus, als wäre er nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, denn er rührte sich keinen Millimeter und atmete flach. Sein Blick hatte etwas Lauerndes.

»Und? Gefällt dir meine norddeutsche Tracht? Hochgeschlossen – wie ich gesagt habe«, plapperte Jessica drauflos und zwinkerte ihm erneut zu. »Aber streng finde ich das eigentlich nicht.«

Es vergingen einige Sekunden, bevor er auf ihre Frage reagierte.

»Was trägst du drunter?«, wollte er wissen, beugte sich vor, rieb seine Hände an dem Jeansstoff seiner Oberschenkel und ballte sie zu Fäusten. Jetzt hielt er die Luft an. Er sah aus wie ein wildes Tier, das sich zum Angriff bereit machte.

»Nichts«, sagte Jessica leise. »Siehst du – absolut nichts!« Mit einem Ruck riss sie alle silbernen Druckknöpfe an ihrem quietschgelben Friesennerz auf einmal auf und präsentierte Florian dieses Nichts mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

7

Das Erste, was Florian dachte, als er am späten Sonntagmorgen das Präsidium betrat und in seinem Büro den Besitzer des Baschtl-Bräu begrüßte, war, ob alle Brauerei-Inhaber so gut aussahen. Der Mann vor ihm trug eine beige Sommerhose, ein luftiges dunkelblaues Hemd mit kurzen Ärmeln, teure Schuhe und eine goldene Armbanduhr. Außerdem hatte er dieses smarte Aussehen eines Hollywoodschauspielers der 60er-Jahre.

Seine Kollegen hatten den Mann direkt am Flughafen abgepasst und hergebracht. Er wirkte beunruhigt, machte aber trotzdem einen souveränen und selbstbewussten Eindruck.

»Wer ist denn nur der arme Mann, den Sie in meiner Brauerei gefunden haben, Herr Hauptkommissar? Ihre Kollegen waren leider nicht sehr auskunftswillig.« Sebastian Lenz, der Brauerei-Inhaber, der seinem Aussehen nach unter 40 Jahre alt war, setzte sich ungefragt auf den Besucherstuhl an Florians Schreibtisch und blickte erwartungsvoll zu ihm auf.

Florian ging um den Schreibtisch herum und setzte sich ebenfalls. »Leider kann ich Ihnen auch nicht mehr sagen, Herr …«, er schaute auf die Notizen vor sich auf dem Tisch, »Herr Lenz. Haben Sie eventuell eine Idee, wer die Person sein könnte?«

Der Brauereibesitzer schüttelte bedauernd den Kopf. »Da fällt mir absolut niemand ein. Tut mir leid. Ach, es ist furchtbar. Wer macht denn so etwas Grausames?«

»Vermutlich jemand, der Sie nicht mochte. Immerhin hat der Täter Ihnen einen großen finanziellen Schaden zugefügt. Gibt es jemanden, der Ihnen Ihren Erfolg neidet? Oder der Sie aus persönlichen Gründen nicht mag? Es muss nicht direkt mit Ihrem Geschäft zu tun haben.«

»Ja, dieser Vorfall ist bitter für die Brauerei. Ich hoffe, wir schaffen es, das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen. Wir sind erst seit ein paar Monaten in der Region und haben einige neue Kunden. Es wird wohl schwierig werden, diese Kunden zu halten. Und vertuschen lässt sich die Sache kaum mehr bei all den Zeugen auf dem Sommerfest. Herrgott, das ist wirklich tragisch und wird mir finanziell das Genick brechen – vermutlich«, sinnierte Lenz, ohne dabei jammernd oder bemitleidenswert zu klingen. Er analysierte seine Situation realistisch und neutral.

»Aber wer will Ihnen schaden?«, erinnerte Hauptkommissar Forster den Brauereibesitzer an seine letzte unbeantwortete Frage.

»Niemand«, kam es spontan von Herrn Lenz, bevor er seine Stirn in Falten legte und auf einen Punkt an der Wand hinter dem Hauptkommissar starrte. »Natürlich habe ich Konkurrenten. Meine recht junge Brauerei hat den alteingesessenen zwar den einen oder anderen Kunden abspenstig gemacht, doch ich kenne die Besitzer der umliegenden Brauereien, und keiner von denen würde einen Menschen töten. Wirklich nicht!«

»Geben Sie mir bitte trotzdem die Adressen der Brauereien und die Namen der Inhaber«, sagte Florian, bevor er sich einige Notizen auf einem losen Zettel machte. »Wir wissen noch nichts Genaues über den Todeszeitpunkt. Fest steht jedoch, dass die Leiche ins Bier geworfen und mitgekocht wurde. Sie lag bei der späteren Reinigung bereits im Sudkessel. Deshalb vermuten wir als Todeszeitpunkt den 21. Juni, Sommeranfang. Wo waren Sie denn, als dieser spezielle Sommersonnenwend-Sud eingebraut wurde?«

»Das war kein Bier, in dem die arme Person mitgekocht wurde, sondern Würze. Entschuldigen Sie, Herr Hauptkommissar Forster, aber ich als Braumeister kann so etwas nicht unkorrigiert lassen«, belehrte ihn Lenz. »Bier ist es erst später, wenn die Hefezellen –«

»Herr Lenz«, unterbrach Florian Forster den erneuten Monolog des Brauereibesitzers unwirsch. »Wo waren Sie zu dem Zeitpunkt, den ich Ihnen eben genannt habe? Oder war Ihr Kollege Hubertus für diesen besonderen Sud ganz allein zuständig?«

»Weder noch«, gab Lenz bereitwillig Auskunft. »Wir hatten beide Urlaub. Meinen Angestellten hatte ich bereits eine Woche vor dem besagten Sud in den Urlaub geschickt mit der Bitte, das Sommerfest ein paar Wochen später allein zu managen. Ich selbst flog am folgenden Tag nach Thailand.«

»Und wer bitteschön hat dann das Bier gemacht?«, wollte der Hauptkommissar wissen, machte sich weitere Notizen auf seinen Zettel und wartete ungeduldig auf eine adäquate Erklärung.

»Der Computer«, antwortete Lenz und lächelte überheblich. »Ich hatte ihn so programmiert, dass alles von allein lief. Über meinen Laptop konnte ich noch am Flughafen München sehen, dass alles vernünftig eingestellt ist und sich keine Fehler eingeschlichen haben. In Phuket, Thailand, habe ich dann Tage später das Ergebnis überprüft. Mit dem Sud war alles in Ordnung. Keine Fehlermeldung. Ansonsten hätte Markus kommen und manuell eingreifen müssen. Doch das war, wie gesagt, nicht nötig.«

»Verstehe. Also hat in dieser Zeit – in über drei Wochen – niemand nach Ihrer Brauerei geschaut?«

»Ich gebe zu, das war ein großes Risiko, denn der Gärprozess müsste durchaus täglich überprüft werden. Ich habe so etwas auch noch nie zuvor riskiert, aber es ging nicht anders. Der Urlaub sollte meine Ehe retten, den musste ich nehmen. Und meistens geht mit den Suden alles gut. Auch dieses Mal – dachten wir. Markus hat mir vor ein paar Tagen per Mail geschrieben, dass alles reibungslos funktioniert hat. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten wir für das anstehende Fest auf Lagerbestände für den Ausschank zurückgegriffen. Aber das Bier war perfekt.«

»Trotz der zersetzten Leiche im Sudvorgang?« Florian rümpfte die Nase und sah den Brauereibesitzer entsetzt an. »Gibt es nicht irgendwelche Messwerte, die durch einen mitgekochten Körper von der Norm abweichen?«

»Herrgott, das weiß ich nicht. Damit habe ich absolut keine Erfahrung, wie Sie sich denken können. Hätte ich gewusst, dass wir einen Menschen mitgekocht haben, dann hätte ich den kompletten Sud in den Kanal gelassen, das können Sie mir glauben, Herr Hauptkommissar. Doch sensorisch war alles perfekt. Das hat jedenfalls Markus gesagt, und der ist ein erfahrener Braumeister, dem ein Fehlgeschmack durchaus aufgefallen wäre.« Der smarte Brauereibesitzer Sebastian Lenz lehnte sich auf dem Stuhl zurück und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Dann lächelte er verlegen.

»Bei all der Tragik, die dieser Vorfall hat, Herr Hauptkommissar«, begann er, setzte sich wieder aufrecht hin, beugte sich vor und legte die Unterarme auf den Schreibtisch vor ihm. »Als ich erfahren habe, dass in meinem Bier ein Mensch mitgekocht wurde, ist mir eine Geschichte eingefallen, die ich während meines Studiums vor vielen Jahren gehört habe.«

Als Hauptkommissar Forster nicht nachhakte und ihn nur ausdruckslos ansah, fuhr er fort: »Es soll hier in Süddeutschland im späten Mittelalter einen Bräu, also einen Brauer, gegeben haben, der seinen Konkurrenten ermordet und anschließend den Kopf der Leiche bei all seinen Suden mitgekocht haben soll. Sein Bier war gefragt, er kam mit dem Brauen kaum hinterher und wurde reicher und reicher. Erst als der Bräu starb, fanden die Dorfbewohner die Überreste des bis dato vermissten Konkurrenten.« Lenz lachte laut auf. »Wenn einer der konkurrierenden Braumeister aus der Nachbarschaft in meinem Bier schwimmt, dann muss ich mir um meine Zukunft keine Sorgen mehr machen. Oder, Herr Forster? Vorausgesetzt, diese abstruse Legende stellt sich als Wahrheit heraus.«

»Das finde ich nicht witzig, Herr Lenz«, entgegnete der Hauptkommissar angewidert, sah Lenz ärgerlich an und schüttelte den Kopf. »Ein Mensch ist brutal zu Tode gekommen. Ihre Bemerkung ist mehr als pietätlos.«

»Ja, Sie haben recht. Das war geschmacklos«, bedauerte der Brauerei-Inhaber, nickte und schaute beschämt zu Boden. »Ich hoffe natürlich sehr, dass Sie schnell einen Schuldigen finden.«

*

Dieser Mordfall war völlig undurchsichtig. Auch nach einer weiteren Stunde Befragung kam Florian der Aufklärung keinen Schritt näher. Er hoffte, dass Ewe ihm Anfang nächster Woche sagen konnte, wer der Tote in der kochenden Würze war. Hoffentlich ließ sich nach dem stundenlangen Kochvorgang die DNA noch bestimmen. Und selbst dann musste es einen registrierten Vermissten geben, dem die DNA zugeordnet werden konnte, sonst nutzte die genetische Information wenig. Fingerabdrücke wurden in der Umgebung des Sudkessels keine gefunden. Doch vielleicht hatten sie ausnahmsweise einmal Glück im Unglück. Nächste Woche würde er zusammen mit Berthold die umliegenden Brauereien abklappern. Vielleicht fand er nicht sofort einen Täter, aber wenigstens ein Motiv wollte er so schnell wie möglich feststellen. Wenn es keine Richtung gab, in die man ermitteln konnte, vermutete man immer nur ins Blaue hinein, und dann war ein Mordfall neben all seiner Dramatik einfach nur frustrierend.