Der geschäftliche Betrieb als "Dritter" im Sinne des § 299 StGB

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2. Auswirkungen auf die Interessen der Marktteilnehmer

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Neben den Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess als solchen sind die individuellen Auswirkungen von Bestechungszahlungen auf die beteiligten Marktteilnehmer in den Blick zu nehmen. Auch diese können vielfältiger Natur sein. So werden potentielle Mitbewerber in ihrem wirtschaftlichen Erfolg beeinträchtigt und in manchen Fällen vom Markt verdrängt. Denn die Zahlung von Bestechungsgeldern führt in der Regel dazu, dass nicht mehr das beste Angebot, sondern die Zahlung des Schmiergeldes über die Auftragsvergabe entscheidet. Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall. So kann es möglich sein, dass trotz Zahlung von Bestechungsgeldern dennoch das beste Angebot den Zuschlag erhält. Ein eindeutiger Beleg, der die negativen Auswirkungen für Mitbewerber als zwingende Folge von Bestechungszahlungen stützen würde, fehlt damit.

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Gleiches gilt im Ergebnis für die etwaigen erhöhten Kosten bei den beteiligten Marktteilnehmern. In der Regel ist eine Kostenerhöhung die Folge von Korruption, führt man sich einmal vor Augen, dass die zum Teil beträchtlichen Summen auch aus irgendeiner Tasche bezahlt werden müssen. In den meisten Fällen werden die Summen durch das bestechende Unternehmen zunächst auf den Händlerpreis und von diesem wiederum auf seinen Endkundenpreis aufgeschlagen. Eine Verteuerung der Ware beim Verbraucher ist dann letzten Endes die Folge.[47] Eine konkrete Bezifferung der Schäden bei den Beteiligten wie auch die konkrete Benennung des letztlich Geschädigten sind aber zumeist kaum zu leisten.

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Schließlich sind die Interessen des Geschäftsherrn bei der Annahme von Bestechungsgeldern durch seine Angestellten oftmals beeinträchtigt. So vertritt der Angestellte in erster Linie nicht mehr die Interessen des Unternehmens, sondern ist vielmehr an dem Erhalt persönlicher Vorteile interessiert. Dies kann dazu führen, dass das eigene Unternehmen Waren von minderwertiger Qualität bzw. zu überhöhten Preisen erhält oder aber auch Waren, für die überhaupt kein Bedarf besteht, einkauft. Auch kann durch die Aufdeckung von Korruption der Ruf des Unternehmens beschädigt werden oder bei mangelnder Aufsicht auch Unternehmensgeldbußen und Geldbußen gegen Führungskräfte nach §§ 130, 30 OWiG verhängt werden. Die Mitarbeiter selbst können durch wirtschaftliche Schäden der beteiligten Unternehmen von Kurzarbeit oder auch betriebsbedingten Kündigungen bedroht sein. Dennoch sind auch diese Auswirkungen im Einzelfall keinesfalls zwingend.

3. Auswirkungen auf die Wirtschaftsmoral

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Des Weiteren wird von Seiten der strafrechtlichen Literatur vereinzelt vorgetragen, dass Bestechungszahlungen sich auf die Wirtschaftsmoral dergestalt auswirken, dass sie zu einer Art Nachahmungseffekt und damit zu einer zunehmenden Verbreitung von Korruption im Geschäftsverkehr führen.[48] Durch die Sogwirkung der Bestechung werde eine Art Kettenreaktion ausgelöst, indem andere Marktteilnehmer versuchen würden, mit ähnlichen Mitteln konkurrenzfähig zu bleiben.[49]

Zwar scheint eine gewisse negative Auswirkung auf die Wirtschaftsmoral und der damit verbundene Werteverfall im Einzelfall durchaus nachvollziehbar, doch ergibt sich auch dies nicht als zwingende Folge von Bestechungszahlungen. So ist es zunächst auch denkbar, dass erst ein möglicher Wertewandel in der Gesellschaft zu einer Zunahme von Korruption geführt hat und nicht umgekehrt.[50] Auch würde der Gebrauch des Wortes „Werteverfall“ in dem Kontext entweder voraussetzen, dass die Wertevorstellungen früherer Zeiten höher gewesen sind als die heutigen oder aber, dass ein Anstieg der Bestechungen in der Privatwirtschaft in den letzten Jahren zu verzeichnen ist.[51] Dies erscheint vor dem Hintergrund der bereits seit der Jahrhundertwende um 1900 einsetzenden Bekämpfung des sog. Schmiergeldunwesens[52] sowie der in den letzten Jahren nur leicht ansteigenden Anzahl der Straftaten nach § 299 StGB äußerst fragwürdig. Schließlich ist die Beantwortung einer solchen Frage eher eine soziologische als eine ökonomische.[53] Von einem flächendeckenden und belegbaren Verfall der Wirtschaftsmoral durch Bestechungszahlungen kann jedenfalls nicht die Rede sein.

4. Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland

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Auch negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland durch Bestechungszahlungen werden zum Teil als Folge von Korruption gesehen. Die Frankfurter Halbmonatsschrift „Das freie Wort“ wies bereits am 5.11.1901 in einem Artikel mit dem Titel „Innere Ursachen für den Niedergang der Industrie in Deutschland“ auf mögliche Schäden der deutschen Exportwirtschaft hin.[54] Ähnliche Auswirkungen sind auch in der heutigen Zeit denkbar. So wird ausgeführt, dass in einem internationalen Wirtschaftswettbewerb Bestechung dazu führen könne, dass ausländische Investitionen in Folge der Verweigerung des Zugangs zu einem korrupten und abgeschotteten Auftragsmarkt zurückgehen oder gar ausbleiben würden.[55] Eine solche Befürchtung hat Steinrücken graphisch verdeutlicht und daraus abgeleitet, dass zwischen dem inländischen Korruptionsniveau und den jährlichen ausländischen Direktinvestitionen ein Zusammenhang besteht.[56]

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Ob dieses Ergebnis zutreffend ist, mag dahingestellt bleiben. Dagegen könnte jedenfalls eingewendet werden, dass negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland nur dort denkbar sind, wo durch Bestechungszahlungen in direkter Weise ausländische Investitionen verhindert werden. Korrupte Handlungen sind aber auch durch ausländische Investoren selbst denkbar und könnten dann zu einer Verdrängung inländischer Mitbewerber führen. Außerdem scheint eine nennenswerte Schädigung der Gesamtwirtschaft nur bei einer hohen Verbreitung von Korruption vorstellbar. Diesbezüglich ist aber festzustellen, dass Deutschland nach einer Studie von „Transparency International“ aus dem Jahr 2012 bei der Wahrnehmung von Korruption lediglich Platz 13 von 174 ausgewerteten Staaten belegt, das heißt nur in 12 anderen Staaten der Korruptionswahrnehmungsindex niedriger ist.[57] Daher kann von einer ernsthaften Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – zumindest bei dem derzeitigen vergleichsweise niedrigen Korruptionswahrnehmungsindex – nicht gesprochen werden.

5. Ergebnis

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Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich Bestechungszahlungen zumeist negativ auf sämtliche aufgezeigte Funktionen des wirtschaftlichen Wettbewerbs auswirken. Zwar wird im Einzelfall nicht immer zwingend jede einzelne Wettbewerbsfunktion beeinträchtigt, doch scheint eine Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Systems durch das vollständige Unterlaufen des freien Leistungswettbewerbs plausibel. Insgesamt ist die oftmals pauschale Verweisung auf die Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs aufgrund der vielfältigen Auswirkungen von Bestechungszahlungen daher nachvollziehbar. Unsicher erscheinen hingegen Auswirkungen der Bestechung auf die Wirtschaftsmoral sowie den Wirtschaftsstandort Deutschland. Diese Auswirkungen sind weder empirisch belegt, noch stellen sie sich als zwingende Folge von Bestechungszahlungen dar. Die Auswirkungen auf individuelle Marktteilnehmer bestehen zweifellos in den meisten Fällen von Wirtschaftskorruption, wenngleich auch diese häufig nicht empirisch belegbar sind. Deshalb muss hier ein besonderes Augenmerk auf den jeweiligen Einzelfall gelegt werden, da nicht notwendigerweise sämtliche Interessen der einzelnen Marktteilnehmer in jeder Konstellation beeinträchtigt werden.[58]

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Die einzeln erläuterten Funktionen sind im Hinblick auf die spätere Frage der Strafbarkeit von Gewährung und Annahme von Vorteilen zugunsten der Anstellungskörperschaft des Vorteilsannehmenden im Blick zu behalten. Möglicherweise werden einzelne Wettbewerbsfunktionen, die in einem den Unrechtstypus der Bestechung im Wirtschaftsbereich repräsentierenden Normalfall durch Bestechungszahlungen typischerweise unterlaufen werden, in bestimmten, den Untersuchungsgegenstand repräsentierenden Fallkonstellationen gerade nicht beeinträchtigt.

Anmerkungen

[1]

Tiedemann Wettbewerb und Strafrecht, S. 7.

[2]

So auch Tiedemann Wettbewerb und Strafrecht, S. 8.

[3]

Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.1.

[4]

Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.1.

[5]

Wobei sich die Ziele der unterschiedlichen Wettbewerbe dabei oftmals überschneiden oder gar identisch sind. Beispielsweise ist die gesellschaftliche Anerkennung ein allgemeines Ziel menschlicher Bestrebungen und daher in unterschiedlichen Wettbewerben zu finden.

[6]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 34; Peifer Lauterkeitsrecht, S. 3 f.; Olten Wettbewerbstheorie, S. 13.

[7]

Vgl. Baur ZHR 134 (1970), 97 (117 ff.); Knöpfle Wettbewerb, S. 203 ff.

 

[8]

Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 8.

[9]

Der Begriff findet sich bei u.a. bei Rittner/Kulka Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 3; Ekey Grundriss des Wettbewerbs- und Kartellrechts, S. 5; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 6. Gemeint ist wohl die Tatsache, dass Wettbewerb stets Freiheit der Marktteilnehmer voraussetzt und sich nicht vorhersagen lässt, welche Art von Marktprozessen sich aus der Ausübung der Freiheit ergeben. So auch Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.6.

[10]

Vgl. Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.1; Rittner/Kulka Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 22 f.; Delhaes/Fehl Dimensionen des Wettbewerbs, S. 2; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 5 f.; Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 11.

[11]

So ebenfalls Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 35.

[12]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 36.

[13]

Olten Wettbewerbstheorie, S. 15.

[14]

Hoppmann Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 299.

[15]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 36.

[16]

Olten Wettbewerbstheorie, S. 15.

[17]

Peifer Lauterkeitsrecht, S. 4.

[18]

Gemeint ist, dass sich grundsätzlich derjenige im Wettbewerb behauptet, der die beste Leistung erbringt. In diese Richtung Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 100 f. Vgl. dazu ausführlich Rn. 97.

[19]

Fischer StGB, Vor § 298 Rn. 6.

[20]

Auch als Wettbewerbswirkungen bezeichnet, ohne dass in der Sache etwas anderes gemeint ist.

[21]

Vgl. Baur ZHR 134 (1970), 97.

[22]

Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 11 f.; Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 37.

[23]

Delhaes/Fehl Dimensionen des Wettbewerbs, S. 2; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 3.

[24]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 37.

[25]

Olten Wettbewerbstheorie, S. 23; Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 38.

[26]

Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 18.

[27]

Vgl. nur die Darstellung bei Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 19.

[28]

Olten Wettbewerbstheorie, S. 23.

[29]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 38.

[30]

Vgl. Olten Wettbewerbstheorie, S. 24 f.; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 4.

[31]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 40.

[32]

Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 19.

[33]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 39.

[34]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 40; Tiedemann Wettbewerb und Strafrecht, S. 9.

[35]

Olten Wettbewerbstheorie, S. 21.

[36]

Hoppmann Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 307. Siehe dazu auch ausführlich Rn. 53 ff.

[37]

Olten Wettbewerbstheorie, S. 22 f.

[38]

Vgl. ausführlich zu den Folgen der Korruption in der Wirtschaft Vahlenkamp in: Vahlenkamp/Knauß, Korruption, S. 48 ff.

[39]

Die Vielzahl und Unterschiedlichkeiten der Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess machen deutlich, warum eine detaillierte Auseinandersetzung der strafrechtlichen Literatur mit dem Begriff und den Funktionen des wirtschaftlichen Wettbewerbs oftmals unterbleibt.

[40]

Pfeiffer in: FS v. Gamm, S. 129 (145).

[41]

Pfeiffer in: FS v. Gamm, S. 129 (145); Vahlenkamp in: Vahlenkamp/Knauß, Korruption, S. 48; Schaupensteiner in: Pieth/Eigen, Korruption, S. 139; Pletscher in: Pieth/Eigen, Korruption, S. 278; Rittner/Kulka Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 3 Rn. 39.

[42]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 46.

[43]

Schaupensteiner NStZ 1996, 409 (411); Bannenberg in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 10 Rn. 25.

[44]

Vahlenkamp in: Vahlenkamp/Knauß, Korruption, S. 48; Schaupensteiner in: Pieth/Eigen, Korruption, S. 139; Bannenberg in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 10 Rn. 25.

[45]

Pfefferle Korruption, S. 6.

[46]

Diese Feststellung trifft auch Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 47.

[47]

So auch Pfeiffer in: FS v. Gamm, S. 129 (145), der von einer allgemeinen Verteuerung der Preise spricht. Ebenfalls BT-Drucks. 13/3353, S. 13.

[48]

So Schaupensteiner NStZ 1996, 409 (411); ders. Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 139, der von einem massiven Angriff auf den freien Wettbewerb und die allgemeine Wirtschaftsmoral spricht.

[49]

Vgl. RGSt 66, 16 (17 f.); BGH GRUR 1977, 619 (621); Bannenberg in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 10 Rn. 25; Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 47 m.w.N. In diese Richtung bereits auch Hiersemann WRP 1964, 222 (224).

[50]

Scheuch in: Reichmann/Schlaffke/Then, Korruption, S. 25.

[51]

So auch Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 49.

[52]

Nach Herzberg wurde die Bestechung gar als „Krebsschaden“ der deutschen Wirtschaft bezeichnet, Bestechung von Privatangestellten, S. 15.

[53]

Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 49.

[54]

Sievers Bestechung und Bestechlichkeit, S. 8.

[55]

Schaupensteiner in: Pieth/Eigen, Korruption, S. 139; ders. NStZ 1996, 409 (411).

[56]

Steinrücken Illegale Transaktionen und staatliches Handeln, S. 186. Danach gehe eine hohe Korruptionsrate im Inland mit relativ niedrigen ausländischen Direktinvestitionen einher.

[57]

Statistiken der verschiedenen Jahre abrufbar unter: http://www.transparency.de/Corruption-Perceptions-Index.2164.0.html (abgerufen am 28.7.2013).

[58]

Siehe hierzu ausführlich die lauterkeitsrechtliche Analyse hinsichtlich einer Identifizierung der jeweiligen Interessenbeeinträchtigungen unter Rn. 437 ff.

Teil 2 Grundsätzliche Erwägungen › C. Geschützes Rechtsgut

C. Geschützes Rechtsgut

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Nach dem einleitenden Überblick über die historische Entwicklung des Bestechungstatbestands und die ökonomischen Grundlagen des wirtschaftlichen Wettbewerbs soll nachfolgend das Rechtsgut des § 299 StGB ermittelt werden.

Als Rechtsgüter bezeichnet man die Lebensgüter, Sozialwerte sowie die rechtlich anerkannten Interessen Einzelner oder der Allgemeinheit, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Gesellschaft Rechtsschutz genießen.[1] Für Verständnis und Auslegung einer Rechtsvorschrift ist die Erforschung des vom Tatbestand geschützten Rechtsguts von erheblicher Bedeutung. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das Institut des Rechtsguts in der deutschen Strafrechtswissenschaft sowohl als teleologisches Auslegungsinstrument dient, als auch den systemkritischen Legitimationsmaßstab des Strafrechts darstellt.[2] Eine Auslegungshilfe ist in dem Rechtsgut deshalb zu sehen, weil es dem Tatbestand einer Strafnorm greifbare Konturen verleiht. Erst wenn das fragliche Täterverhalten dem vom Gesetzgeber mit der jeweiligen Norm beabsichtigten Schutz zuwiderläuft, scheint eine Strafbarkeit denkbar. Weil das Rechtsgut dem Gesetzgeber zugleich Grenzen bei der Schaffung von Strafnormen aufzeigt, ist es daneben auch systemkritischer Legitimationsmaßstab. Vom Gesetzgeber soll nicht jedes moralisch verwerfliche Verhalten unter Strafe gestellt werden, sondern lediglich Verhaltensweisen kriminalisiert werden, die eine ernste Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens darstellen.[3]

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Durch die aufgezeigte Doppelfunktion des Rechtsguts rückt die Frage nach der besonderen Schutzfunktion und dem objektiven Sinn und Zweck des § 299 StGB zu einem zentralen Aspekt im Rahmen des Untersuchungsgegenstands auf. Die Definition des Rechtsguts dient der Bestimmung des Schutzzwecks des Bestechungstatbestands und liefert so zugleich Erkenntnisse, die für die spätere Beantwortung der Frage einer möglichen Strafbarkeit der Beteiligten im Fall von Vorteilsannahmen zugunsten des eigenen Unternehmens relevant sein können.

 

Teil 2 Grundsätzliche Erwägungen › C › I. Das Rechtsgutsverständnis im Allgemeinen

I. Das Rechtsgutsverständnis im Allgemeinen

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Die Rechtsgutslehre im Allgemeinen und damit verbunden der Begriff, die Funktion sowie der Inhalt des Rechtsguts gehören seit jeher zu einem kontrovers diskutierten Grundlagenproblem des Strafrechts.[4] Keinesfalls soll deshalb hier ein Beitrag zu einer umfassenden und tiefgreifenden Auseinandersetzung mit den diesbezüglich vertretenen Auffassungen, die teils weit in rechtsphilosophische und rechtssoziologische Bereiche hineinreichen, geleistet werden. Dennoch ist zu klären, welches Rechtsgutsverständnis im Folgenden zugrunde gelegt werden soll. Die zahlreichen Streitfragen um den Begriff und die Bestimmung des Rechtsguts basieren im Wesentlichen auf Überlegungen zu der oben aufgezeigten Doppelfunktion des Rechtsguts. So orientieren sich die einzelnen Lehren bei der Begriffsbestimmung auch primär an den jeweiligen intendierten Funktionen des Rechtsguts.

1. Das systemimmanente Konzept

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Das systemimmanente Konzept[5] geht von den bereits bestehenden Strafvorschriften aus und ermittelt das Rechtsgut vor allem durch die Zwecksetzung des Gesetzgebers sowie Wertungshinweisen, die sich aus der Systematik und den Tatbestandsmerkmalen einer Norm ergeben.[6] Als Rechtsgut im Sinne eines methodisch-teleologischen Verständnisses begreift diese Auffassung „den vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannten Zweck in seiner kürzesten Formel“.[7] Vorteilhaft ist dieses am positiven Recht orientierte Rechtsgutsverständnis daher bei einer teleologischen Auslegung der zugrunde liegenden Norm. Schwächen zeigt die Auffassung jedoch bei der kritischen Überprüfung gesetzgeberischen Handelns. Es kann nicht die alleinige Aufgabe der Legislative sein, die Grundwerte unserer Gesellschaft verbindlich und ohne jeden Überprüfungsmaßstab festzulegen.

2 Das systemtranszendente Konzept

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Das systemtranszendente[8] Konzept bestimmt daher das Rechtsgut durch verschiedene dem materiellen Strafrecht vorgelagerte Kriterien.[9] Grundlage dieses Konzepts ist die Auffassung, dass einzig legitimer Zweck staatlichen Strafens der Schutz menschlicher Lebensinteressen sei, der der Rechtsordnung seine jeweilige Schutzrichtung vorgibt.[10] Das Strafrecht hat die Aufgabe, die elementaren Grundwerte des Gemeinschaftslebens zu sichern, die Erhaltung des Rechtsfriedens im Rahmen der sozialen Ordnung sicherzustellen sowie im Konfliktfall das Recht gegenüber dem Unrecht durchzusetzen.[11] Einen verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt findet diese Auffassung in Art. 2 Abs. 2 GG und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Staatliches Strafen darf keinen Selbstzweck verfolgen, sondern ist als Eingriff in das Grundrecht der Freiheit einer Person nur zum Schutz elementarer Werte der Gemeinschaftsordnung und der in ihr lebenden Menschen zulässig.[12] Dieses Konzept eignet sich daher zur systemkritischen Überprüfung staatlichen Strafens. Die Schwäche dieses Rechtsgutsbegriffs ist jedoch die Negation eines Einflusses des Gesetzgebers auf die Bestimmung des konkreten Rechtsguts.