Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden

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► Die Markuskirche

Die Basilica di San Marco überragt an Bedeutung alle anderen Gebäude der Stadt, allenfalls der Dogenpalast kann ihr zur Seite gestellt werden. Dieser ist aber seit 1797 zweckentfremdet und heute nur mehr ein riesiges Museum seiner selbst. S. Marco jedoch, seit 1807 durch ein Dekret Napoleons die Kirche des Patriarchen von Venedig, ist bis zur Gegenwart im Wesentlichen unverändert geblieben. Dieses Bauwerk ist sicher einer der schönsten Sakralbauten, die es gibt, und kann wohl am deutlichsten ein Gefühl dafür vermitteln, was das Venedig der Republik einmal war. Es gibt viele Gesichtspunkte, die die herausragende Bedeutung dieses Kirchenbaus unterstreichen. Einer von ihnen sei durch ein Zitat veranschaulicht: „Die Kostbarkeit des Materials wurde durch die höchsten Ziele geheiligt und in der feierlichen Pracht ist alles so zueinander passend und richtig angeordnet, dass man nicht erst um ein Wunder zu bitten braucht. Selbst die unermesslichen und seltenen Schätze der Kirche, wie das berühmte Altargemälde ... berührten mich durchaus nicht wegen ihres Geldwertes ... Die Edelsteine anderer Kirchen sind auffällige und lächerliche Anhäufungen von Kleinodien, doch die Markuskirche, in der die winzigste Fläche eine herrliche Arbeit aus wertvollstem Material sichtbar werden lässt, verweist die Juwelen auf den Platz eines dem Ganzen untergeordneten Schmuckes.“ (Howells) Der Sitz des Patriarchen von Venedig, des Vertreters Roms also, war übrigens zuvor die Kirche San Pietro di Castello im Sestiere Castello. Nach dem Ende der staatlichen Selbständigkeit wurde die Markuskirche (als Staatskirche) dann erst zum Markusdom als Bischofs- bzw. Patriarchensitz.

Die Geschichte der Markuskirche beginnt 828 oder 829, also mit der sogenannten translatio, in der „zwei vornehme venezianische Kaufleute und Tribunen“ den Leichnam des hl. Markus (oder was man dafür hielt oder dazu erklärte) von Alexandria nach Venedig brachten. Die Ausfuhr von Reliquien aus Alexandrien war zwar eigentlich nicht erlaubt. Um aber das Verbot zu umgehen, halfen sich die beiden dadurch, dass sie den Leichnam unter Schweinefleisch verbergen ließen, das den islamischen Zöllnern als unrein und deshalb unberührbar galt. So jedenfalls berichtet der venezianische Chronist und spätere Doge Andrea Dandolo (1343–54), und er nennt auch die Namen der beiden Kaufleute mit Rusticus von Torcello und Bon aus Malamocco.

Was die Echtheit der Reliquie des hl. Markus betrifft, so gibt es dazu eine neuere Hypothese. 1962 erfolgten archäologische Grabungen in der Apsis der Kirche. Dabei fand man eine reliefverzierte Steinplatte, deren Symbole Anlass für die kühne Theorie waren, in der Basilika würden nicht die Überreste des hl. Markus, sondern die von Alexander dem Großen aufbewahrt. Gemäß den Erkenntnissen des englischen Forschers Andrew Michael Chugg seien im Jahre 828 die beiden einbalsamierten Leichname vom arabischen Gouverneur ausgetauscht worden, angeblich um zu vermeiden, dass die Christen den von Alexander schänden könnten. Die Überlegungen von Chugg stützen sich u. a. auf die Tatsache, dass auf der in der Apsis entdeckten Steinplatte eine Sonne mit acht Strahlen zu sehen ist, ein Symbol des mazedonischen Königshauses. Natürlich steht die These Chuggs auf wackeligen Beinen. Denn weiterführende Untersuchungen wie z. B. die Radiokarbon-Methode zur Altersanalyse oder DNA-Bestimmungen kamen bisher noch nicht zur Anwendung.

Der Legende zufolge hätte der hl. Markus die Schiffer auf der Rückreise vor dem Untergang in einem fürchterlichen Sturm gerettet. Als dann die Reliquien den Boden Venedigs berührten, habe sich ein lieblicher Rosenduft in der ganzen Stadt verbreitet. Zuvor hatte der Evangelist noch deutliche Zeichen gegeben, dass er nicht in der damaligen Bischofskirche auf Olivolo (heute San Pietro di Castello) bleiben, sondern zum Palast des Dogen gebracht werden wolle – der Heilige verhielt sich somit durchaus gemäß der Interessenlage der Republik. Eine andere Legende berichtet dagegen, dass das Schiff, das die Reliquien des hl. Markus transportierte, untergegangen sei. Doch hätten einige der Seeleute, die sich schwimmend retten konnten, auch den Schrein, in dem Markus lag, mit sich genommen und an Land gebracht.

Prompt nach der translatio wurde mit der Errichtung der ersten, noch hölzernen Markuskirche begonnen, die 836 vollendet wurde. Sie ging in einem Volksaufstand 976 samt Dogenpalast und mehr als 400 Häusern durch Brandstiftung unter. Der folgende zweite Bau, nunmehr in Stein ausgeführt, wurde im 11. Jahrhundert wieder abgerissen, vermutlich wegen des wachsenden Bedürfnisses nach Repräsentation und der zunehmenden Markusverehrung. Von ihm blieb lediglich die – vor einigen Jahren trockengelegte und restaurierte – Krypta unter dem Presbyterium erhalten. Der heutige Bau wurde 1063 begonnen und 1071 geweiht.

Umfangreiche Vorarbeiten waren erforderlich: „Die Fundamente des dritten Kirchenbaus bestehen aus Steinblöcken und reichen bis in eine Tiefe von 3,5 m unterhalb des Fußbodens. Sie lagern über einer Doppelschicht aus Eichenbrettern von 8–10 cm Stärke auf einem Untergrund, der mit Erlholzpflöcken stabilisiert ist, die 130–150 cm lang, 10–14 cm dick und bis zum Anschlag ins Erdreich getrieben sind.“ (San Marco – Geschichte, Kunst und Kultur). Erwähnenswert sind auch Einzelheiten zur Bautechnik des Oberbaus: „Die Pfeiler sind vom Typ des Gussmauerwerks mit einer 30 cm starken Mauerschale, gefüllt mit zerbrochenen Ziegelsteinen, die durch Kalkmörtel und gestoßenen Ziegelstaub (coccipesto) zusammengehalten werden. Die Dicke der anderen Mauern variiert zwischen mindestens 40 cm bis maximal 100 cm in den Bögen, in den Gewölben und in den Kuppeln. In der Krypta sind sie 140 cm dick, in den verstärkten Bereichen sogar bis zu 280 cm. Die verwendeten Backsteine entsprechen dem anderthalb Fuß langen römischen Typus mit den Maßen 40 x 30 x 8 cm.“

Fertiggestellt war die Kirche 1094, im Jahr der sogenannten apparitio, worunter das wunderbare Wiederfinden der Markusreliquien, die seit dem Brand von 976 verschollen waren, zu verstehen ist.

Es wird berichtet, dass „die allgemeine Trauer über die Unkenntnis vom Verbleib der Markus-Reliquie zu mehrtägigen Bußübungen und inbrünstigen Gebeten der venezianischen Geistlichkeit wie des Dogen geführt habe – bis man plötzlich ein Beben in der Kirche verspürte und das Mauerwerk eines Pfeilers bröckelte, in dem nun der dort eingemauerte Sarg des Heiligen sichtbar wurde.“ In anderen Lesarten habe Markus sogar ostentativ seinen Arm aus dem Pfeiler (rechts neben dem Durchgang zur Pala d’Oro) gestreckt (Lebe). Man mag diese Geschichte zunächst nur amüsiert zur Kenntnis nehmen, sollte dabei aber bedenken, dass sie erhebliche symbolische Bedeutung besitzt. Durch sie wird die Markuskirche, in der sich eine Säule für den Heiligen öffnet, dem Grab Christi vergleichbar.

Die Basilika S. Marco ist eines der Wunderwerke dieser Welt. Dieser lapidaren Feststellung stehen durchaus auch kritische, ja sogar negative Äußerungen gegenüber. So wurde beispielsweise von einem „Schalentier“ oder einem „orientalischen Pavillon“ gesprochen. Goethe erschien der Bau wie ein „kolossaler Taschenkrebs“. Für Mark Twain war die Kirche „ein riesiger, warzenbedeckter Käfer“. Karel Capek (1866–1927) meint: „San Marco, das ist keine Architektur, das ist ein Orchestrion; man sucht den Schlitz, wo man den Kreuzer hineinwirft, damit die ganze Maschinerie mit ‚O Venezia‘ losgeht.“ Doch natürlich überwiegen die positiven Äußerungen. „Indessen, noch vor dem Dogenpalast, ist die Markuskirche von allem Anfang an das bauliche und religiös-kulturelle, in einiger Hinsicht auch das politische Herzstück Venedigs gewesen: Nationalheiligtum und Tempel des Staatskultes. In der Basilika San Marco kulminierte das Selbstverständnis Venedigs.“ (Lebe) Für diese Deutung sprechen die Liebe und Hingabe, mit der die Venezianer dieses Bauwerk bis ins kleinste Detail ausgeschmückt haben.

Die neue Kirche wurde vom Dogen Domenico Contarini (1043–71) im Jahre 1063 gestiftet. Dessen namentlich nicht bekannter Architekt übernahm von den beiden Vorgängerbauten die kreuzförmige Anlage und den Narthex (die Vorhalle) und griff damit auf ein byzantinisches Vorbild des 6. Jahrhunderts zurück, nämlich auf die Apostelkirche Kaiser Justinians zu Konstantinopel, die 1453 nach der Eroberung der Stadt durch die Türken zerstört wurde. „Der venezianische Kirchenbau des 11. Jahrhunderts schloss sich also an die klassisch griechische Architektur des 6. Jahrhunderts an, nicht an gleichzeitige mittelbyzantinische Sakralbauten, fügte aber besondere abendländisch-romanische Elemente hinzu, so vor allem die Kuppeln.“ (Hubala) War der Bau im Urzustand noch ungeschmückt (mit Ausnahme von Mosaiken in der Hauptapsis), so wurde er über die Jahrhunderte immer reicher ausgestattet. „Die Säulen, die Marmortafeln an den Außenfassaden, die ionischen und korinthischen Kapitelle haben alle eines gemeinsam – sie sind gestohlen. Ein Gesetz des Dogen Domenico Selvo (1070–85) besagte, dass jedes Schiff Schmuck für die Basilika mitzubringen habe.“ (Mario Grasso) In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde mit der Verkleidung der Innenwände begonnen, mit Marmorplatten in der unteren, mit Mosaiken in der oberen Zone. Der Sieg über Konstantinopel im Jahre 1204 brachte dann einen solchen Reichtum an Baumaterial, das als Spolien verwendet werden konnte, und natürlich auch an Gold mit sich, dass es möglich war, der Kirche gewissermaßen einen Schmuckmantel umzulegen. Es entstanden die Säulenfassade an der Piazza, die nördliche Vorhalle und die Außenkuppeln mit ihren typischen Laternen über den fünf inneren Kuppelschalen. Nach 1300 wurden die großen gotischen Maßwerkfenster in die West- und Südfront eingefügt. Ab 1385 bis hin ins frühe 16. Jahrhundert entstand die spätgotische Bekrönung mit Figurentabernakeln und geschweiften Wimpergen an den Fassaden, die sowohl Romanisches und Byzantinisches als auch Arabisch-Maureskes in sich vereinigen, woraus, wie der frühere Bürgermeister Massimo Cacciari sagte, sich felici dissonanze ergäben. Das 15. und 16. Jahrhundert brachte Anbauten wie die Cappella dei Mascoli und die Cappella Zen (> Sonderräume). Der Zustand der Westfassade von S. Marco aus der Zeit um 1496 mit ihrer üppigen Vergoldung ist deutlich auf Gentile Bellinis Gemälde Prozession auf dem Markusplatz zu erkennen, das in der Accademia (Akademie der Bildenden Künste > Stadtteil Dorsoduro) hängt.

 

Außenbau: Der eigentliche Baukörper ist im Norden und Westen von Vorhallen umstellt, im Süden bilden Cappella Zen, Baptisterium und Tesoro die Ummantelung. Durch diese vorgelagerten Räume entstand darüber Platz für eine Terrasse, die an drei Seiten um die Kirche geführt ist.

Die Kirche besitzt drei Fassaden. Die zweigeschossige Hauptfassade zeigt nach Westen und zur Piazza. In der unteren Ebene nehmen die fünf Portalnischen ein Grundmotiv venezianischer Architektur, das der Säulenarkade, auf. Die mittlere Nische ist breiter und höher als die anderen und durchbricht die große Horizontale der Terrassenbalustrade. In zwei Etagen gestellte Säulen aus polychromem Marmor fassen die Nischen ein. Herrliche Steine sind hier zusammengetragen und verarbeitet, und die Kapitelle, von denen keines dem anderen gleicht, bilden eine kleine Welt für sich. Wohl die Hälfte der etwa sechshundert Säulen, die hier verbaut wurden, sind Spolien von griechischen Inseln und „so gut in das Gesamtbild integriert, dass sie nicht immer von den mittelalterlichen Kopien unterschieden werden können.“ (Fortini Brown) In den Nischen öffnen sich rechteckige Türen zur Vorhalle. Die Portalnischen tragen Mosaiken, ebenso wie die Bogenfelder des Hochgadens in der zweiten Etage der Fassade, in der dem mittleren Hauptportal ein großes bogenförmiges Fenster entspricht. Vor diesem stehen heute Kopien der vier antiken Bronzerosse, die nach 1204 von Konstantinopel nach Venedig gebracht wurden. Das Fenster war früher in Felder aufgeteilt, von denen fünf Figuren trugen, nämlich die Darstellung Christi und die vier Evangelisten, die heute in Kopien an der Nordfassade zu sehen sind.

Einzelne herausragende Werke der reich ausgestatteten Fassade seien erwähnt. Bis auf eine Ausnahme sind die Lünetten-Mosaiken der Westfassade erst im 17. und 18. Jahrhundert entstanden, wobei man damals in Thematik und Darstellung auf die heute verlorenen Vorbilder zurückgegriffen hatte. Das Mosaik der linken Portalnische (porta di S. Alippio), das zeigt, wie der Leichnam des hl. Markus in die Basilika getragen wird, stammt dagegen aus dem Jahr 1265. Der Zustand der Kirchenfassade zu jener Zeit ist darauf detailreich wiedergegeben. Besonders schön sind die Bronze­flügel des Mittelportals mit übereinandergestellten Halbbögen (ein Motiv, das in Venedig häufiger zu finden ist) und einer Reihe wunderschöner Löwenköpfe, deren jeder eine eigene Persönlichkeit darstellt. Die Türen stammen aus Konstantinopel und entstanden vermutlich in der Zeit des Kaisers Justinian. Die mittlere Portalnische ist von drei Archivolten übergriffen, die jeweils an Innen- und Stirnseite Reliefstreifen tragen. Viele der hier dargestellten Szenen, die astrologische und theologische Themen behandeln, sind schwer zu deuten. Gut verständlich sind dagegen die Allegorien der zwölf Monate (Innenseite der zweiten Archivolte), sowie die Darstellung der Stände (Innenseite der dritten Archivolte). Diese Kunstwerke gehen zum Teil auf byzantinische Vorlagen zurück, „sind jedoch ohne direkten Kontakt mit der französischen Kathedralgotik des frühen 13. Jahrhunderts nicht denkbar“ (Hubala). Möglicherweise war es Benedetto Antelami, der hier vermittelte. Die Figurengruppe über dem Türsturz des Mittelportals wird Il sogno di S. Marco genannt: Über einem schlafenden Mann steht ein Engel, der gemäß der Legende dem Schläfer weissagt, er werde an der Stelle, an der er schläft, eine Stadt gründen. Die Worte, mit denen der Engel seine Weissagung eingeleitet haben soll, waren „Pax tibi Marce, Evangelista meus“ und stehen seitdem in dem Buch, das der Markuslöwe mit seiner Pranke hochstemmt. Daneben finden sich zahlreiche weitere schöne Details, wie z. B. die Reliefplatten in den Bogenzwickeln. Auf den beiden äußeren sind Taten des Herakles dargestellt (links mit dem kalydonischen Eber, rechts mit der Hirschkuh, die die Hydra zertritt). Das linke Relief stammt aus der Spätantike, und zwar von der Hand des sogenannten Heraklesmeisters, dem auch die beiden weiter innen gelegenen Reliefs zugeschrieben werden, die links die Madonna, rechts den Erzengel Gabriel darstellen. Die ganz innen gelegenen Platten sind byzantinische Werke des 12. Jahrhunderts und zeigen die Heiligen Demetrius und Georg. Weiterhin gibt es feine Steinarbeiten an den Portalnischen.

Höhepunkt der Westfassade sind die vier Bronzerosse auf der Terrasse vor dem Mittelfenster, die auf kurzen Säulenschäften postiert sind. Zu sehen sind heute Kopien, während die Originale im Museo Marciano (in der Kirche auf der hinteren Empore) stehen. Es ist die einzige Quadriga des Altertums, die auf uns gekommen ist. „... ein herrlicher Zug Pferde! Ich möchte einen rechten Pferdekenner darüber reden hören“, schreibt Goethe 1786. Er meint jedoch auch, sie seien nur schwer zu beurteilen und sähen von der Piazza aus gesehen „leicht wie Hirsche“ aus. Die Entstehungszeit dieser Pferde ist nach wie vor unklar. In der Literatur schwanken die Angaben vom späten 1. Jahrhundert bis 200 n. Chr. Früher wurden diese Arbeiten dem 4. Jahrhundert vor Christus zugerechnet, sie sind in jedem Fall in hohem Maße der hellenistischen Kunst verpflichtet. Diskutiert wurde auch schon, ob sie nicht kaiserzeitliche Repliken von verlorenen Werken aus der Zeit des Hellenismus seien. Heute tendiert man dazu, sie in die späte Kaiserzeit zu datieren. 1204 wurden sie vom Hippodrom zu Konstantinopel nach Venedig verbracht, lagen mehrere Jahrzehnte im Arsenal und sollten wohl eingeschmolzen werden. Um 1250 erfolgte die Aufstellung an der heutigen Stelle. 1797 hat Napoleon sie nach Paris schaffen lassen, von wo sie 1815 zurückkamen, um für die Zeit der beiden Weltkriege nochmals ausgelagert zu werden. Die Pferde waren zu Zeiten der Republik vergoldet, wie das Gemälde Gentile Bellinis in der Accademia zeigt. Im Jahre 2006 hat man den Repliken wieder eine dezent golden schimmernde Auflage gegeben.

Die volkstümliche Überlieferung erzählt, dass seit jeher in die Augen der Pferde große Rubine eingesetzt gewesen waren und dass diese Rubine auf der Reise der Pferde über die Alpen geraubt wurden. Nach ihrer Rückkehr aus Frankreich hätte man die uralten Pferde jahrzehntelang in den dunkelsten Nächten des Jahres gehört, wie sie die Piazza der Länge und Quere nach wiehernd und stampfend durchquert hätten, und zwar auf der Suche nach ihren kostbaren Augen. Nach der Installation der elektrischen Beleuchtung auf der Piazza ließen die Pferde von diesem Treiben ab und verweilen seither unbeweglich auf ihrem Platz.

Auf der Spitze über dem Mittelportal steht eine Statue des hl. Markus, die von goldgeflügelten Engeln flankiert wird. In den mittleren Tabernakeln auf der Fassade stehen die vier Evangelisten, in den beiden äußeren eine Verkündigungsgruppe mit Maria rechts und dem Erzengel Gabriel links.

Die Nordfassade (zur Piazzetta dei Leoncini) ist seit Anfang 2006 wieder fast vollständig zu sehen, nachdem sie vorher 25 Jahre lang restauriert wurde. Für den, der noch den alten Zustand der Fassade kannte, ist das Ergebnis in hohem Maße erstaunlich. War die Fassade vorher grau, ja teilweise fast schwärzlich verfärbt durch die Ablagerungen der Zeit, so leuchtet sie jetzt wieder in den verschiedenfarbigen Marmorarten der verkleidenden Platten und der Säulen, erhält klare Akzente durch die scharf geschnittenen Kapitelle sowie die Patere (runde Reliefs) und die genannten Reliefplatten.

Die Fassade ist in gleicher Weise strukturiert wie die Westfassade und besitzt zwei Etagen. In der unteren Zone wiederholt sie das Arkadenmotiv der Westfront, deren Balustrade hier weitergeführt wird. Über der Terrasse ist die Wand in Strebepfeiler und Hochgadenmauern mit Lünetten eingeteilt. In der unteren Etage finden sich vier ungleich weite Bögen. Im Gegensatz zu den anderen Fassaden der Kirche fehlen hier (bis auf eine kleine Ausnahme) die Mosaiken. Die Rückwände der Arkaden werden von verschiedenen Reliefplatten gefüllt, ebenso die Zwickel zwischen den Bögen und die Westwand des deutlich vorspringenden Querschiffs. Hingewiesen sei auf eine Greifenfahrt Alexanders im Zwickel zwischen der ersten und zweiten Arkade (von rechts), ein Motiv, das aus der orientalischen Legende stammt. In der rechten Arkade ist die Darstellung einer sogenannten Hetoimasia zu sehen. Darunter ist der leere Thron Gottes in der Welt zu verstehen, der von zwölf Lämmern, Symbolen für die Apostel, flankiert wird. Vermutlich handelt es sich hier um eine mittelalterliche Nachbildung eines frühchristlichen Werkes.

Eine besonders kostbare Arbeit mit wertvollen Details ist die Porta dei Fiori in der vierten Arkade, die in das dritte Viertel des 13. Jahrhunderts zu datieren sein dürfte. Es sei zunächst hingewiesen auf die beiden byzantinischen Reliefikonen im Türsturz, über denen sich eine doppelte maureske Archivolte spannt. Deren Inneres ist „gefüllt“ mit einem schönen grünen Stein, von dem sich die beiden konzentrisch angeordneten Arabesken farblich und plastisch eindrucksvoll abheben. Im Tympanon befindet sich eine Geburt Christi, die mit etwas naiv-derben Figuren dargestellt ist. Die Stirnseite der inneren Archivolte trägt Pflanzen- und Tiermotive sowie Engel. Die äußere Archivolte zeigt Engel zwischen rahmenden Blattspitzen. All das wird von einem weiten Rundbogen überfangen, der an der Innen- und der Stirnseite skulptiert ist. Zu sehen sind innen Prophetenbüsten in Akanthusrahmen mit Maria im Scheitel, während außen Apostel in einer ähnlichen, noch üppigeren Rahmung und Christus im Scheitel zu sehen sind. Des Weiteren sind über der Porta dei Fiori sowie an der Westwand des Querschiffs der Kirche auf großen Reliefplatten von hoher Qualität die vier Evangelisten (heute Kopien, die Originale im Museo Marciano), der thronende Christus und die Muttergottes dargestellt. Es wird vermutet, dass die Platten von der alten Ikonostasis der Kirche stammen, die der heutigen weichen musste. In der weiten Arkade ganz links an der Nordfassade hat man dem Freiheitskämpfer von 1848/49, Daniele Manin (gestorben 1868), ein zwar prunkvolles, doch wenig stimmiges Grabmal errichtet.

Auch der Aufbau der Südfassade, die zum Dogenpalast weist, entspricht dem der Hauptfassade. Rechts neben den drei Bogenstellungen schließt sich ein glatter, mit feinem, farbigem Marmor verkleideter Mauerblock an, der bereits genannte Tesoro, die „Schatzkammer“ von S. Marco. An der linken Ecke der Südfassade findet sich ebenfalls eine geschlossene Wandfläche, die der Südwand der Cappella Zen entspricht. Hier öffnete sich früher die sogenannte porta da mar, durch die der Narthex von dieser Seite her zu betreten war. In der oberen Etage, zwischen den Obergadenbögen mit Vergitterungen, die aus Konstantinopel stammen, wird ein byzantinisches Madonnenbild des 13. Jahrhunderts, die sogenannte Madonna del Mare, von zwei Lichtern flankiert. Gemäß der Tradition sollten sie eigentlich Tag und Nacht brennen.

Diese Tradition soll laut der legendären Überlieferungen auf die Stiftung eines Seemanns zurückgehen. Jedoch wird auch von einem ewigen Sühnezeichen für einen Justizmord berichtet, der an einem Bäckerjungen namens Pietro Faccioli begangen wurde. Der war in Verdacht geraten, einen Adeligen ermordet zu haben. Als man dessen Leiche auffand, steckte im Herz des Toten ein Dolch, der exakt in die Scheide passte, die der Bursche bei sich trug, ohne dass er genau hätte erklären können, wie sie in seinen Besitz gekommen war. Er behauptete zwar, er habe sie am Morgen nach dem Mord auf der Straße gefunden und behalten (nach Howells), doch nahm ihm niemand diese Erklärung ab. So wurde er des Mordes für schuldig gesprochen und zwischen den Säulen hingerichtet. Erst viele Jahre später konnte der Fall definitiv geklärt werden, als nämlich der eigentliche Mörder auf seinem Sterbebett in Padua die Tat gestand. Von den beiden Lampen wurde gemäß der Legende die eine für die Seele des ermordeten Adeligen, die andere für die des unschuldigen Bäckerjungen gestiftet. Der Rat der Zehn hat aus diesem Vorfall eine Lehre gezogen und verhängte nie mehr ein Todesurteil, ohne dass zuvor eines seiner Mitglieder feierlich die Worte gesprochen hätte: „Ricordatevi del poaro (povero) Fornaretto – denkt an den armen Bäckerjungen“. Seit dem Tod dieses Bäckerjungen sei es nicht schwierig – so die Legende –, in nebligen Nächten an dem Säulenstumpf aus Porphyr, der an der Südwestecke von S. Marco steht, ein paar Tropfen von brennend rotem Blut zu erblicken, ein Zeichen, mit dem der Junge seine Wut über die Republik hinausschreit, die ihm in der Blüte seines Lebens dieses raubte. Weiterhin wird berichtet, dass zu Seiten der Madonna während Exekutionen schwarze Kerzen angezündet wurden, die den Menschen, die da auf der Piazzetta gerichtet wurden, noch Stärkung bringen sollten.

 

Vorhallen (Narthex): Sie umgeben den eigentlichen Kirchenbau im Westen und Norden L-förmig und besitzen Nischen, in denen mehrere Dogen bestattet sind. Teile des westlichen Flügels, so die mittlere Portalnische und der Lichtschacht vor dem inneren Hauptportal, stammen noch aus der ersten Bauphase des 11. Jahrhunderts, alles Übrige entstand erst im 13. Jahrhundert. Besonders schön sind die zwölf Säulen zu Seiten der Portalnische. Eine wundervolle Arbeit ist der Mosaikfußboden aus vielfarbigem Marmor, der im 11. Jahrhundert entstand und auf den Fußboden einstimmt, der den Besucher im Inneren der Kirche erwartet. Den westlichen Teil des Narthex übergreifen Kuppeln, zwischen die Tonnengewölbe geschaltet sind. Eine Folge von vier weiteren Kuppeln findet sich im nördlichen Flügel. Die Gewölbezone wird von Mosaiken aus den Jahren 1220–1300 bedeckt, auf denen Themen aus dem Alten Testament gezeigt werden. Die Vorbilder für diese Kompositionen kamen nicht aus Byzanz, sie sind vielmehr „ausgeprägt abendländisch und stilgeschichtlich spätromanisch“ (Hubala) und gehen auf spätantike bebilderte Handschriften zurück. „Entscheidend aber ist, dass aus solchen Anregungen ein durchaus eigener, eben venezianischer Bildstil entwickelt wurde, der durch eine detailreiche Erzählung, ein oft buntes Kolorit ... gekennzeichnet ist.“ (Hubala) Der Zyklus beginnt in der südlichen Kuppel der westlichen Vorhalle mit den Schilderungen der sechs Tage der Schöpfungsgeschichte. Es sind zauberhaft naive, dabei aber ausgesprochen ausdrucksstarke Formulierungen dieses Themas. Die Bilder der folgenden Tonne erzählen mit köstlichen Einzelheiten die Geschichte der Arche Noah, die in der linken Tonne ihre Fortsetzung findet. Thema der nächsten Kuppel ist die Geschichte Abrahams, die drei folgenden Kuppeln zeigen Bilder aus der Josefslegende. In der letzten Kuppel wird die Geschichte des Moses geschildert.

Innenraum: „Ich schwimme in einem Traum aus Gold. Ich bin gefangen in Netzen aus Gold, ich stehe auf Gold, ich tauche unter in Gold. Ein Geruch von Gold berührt mich. Ich habe das Gold unter den Füßen. Ich habe Gold auf dem Kopfe. Die tiefen und fernen Fenster sind goldene Filter; und das Gold dringt wie eine ganz feine Welle zwischen die Pfeiler ... Die Grundpfähle von San Marco müssen aus Gold sein, Wälder aus goldenen Barren in die Lagune gepflanzt“, so schwärmt André Suarès (1866–1948). Und in der Tat: Dem Eintretenden verschlägt es schier den Atem ob der Pracht und Fülle, die allenthalben herrschen und das Aufnahmevermögen sprengen.

Die Architektur stammt im wesentlich aus dem 11. Jahrhundert. Marmorinkrustation und Mosaiken entstanden im 12. bis 14. Jahrhundert. Der Grundgedanke der Architektur von S. Marco, als sogenannte Kreuzkuppelkirche, wurde prägend für zahlreiche spätere Sakralbauten Venedigs. Bei diesem Typus der Sakralarchitektur wird ein zentraler Kuppelraum an seinen Ecken von vier kleineren überkuppelten Trabantenräumen flankiert, zwischen denen sich Tonnen spannen. Die insgesamt fünf Kuppeln sind dabei so angeordnet, dass sich im Grundriss ein Bild ergibt wie bei der „Fünf“ des Spielwürfels, was auch als quincunx bezeichnet wird. Diese Grundform kann für sich alleine ausgeformt sein. Hier in S. Marco sind jedoch jeweils drei dieser Systeme ineinander verzahnt, und zwar dadurch, dass eine Tonne und zwei Trabantenräume jeweils zu zwei Systemen gehören. Diese Art der Verzahnung geschieht dabei sowohl in der Längs- als auch in der Querachse des Raumgebildes. Es sind hier fünf große Kuppeln so angeordnet, dass sich ein griechisches Kreuz (mit gleichlangen Schenkeln) ergibt, das jedoch nicht ganz rein geformt ist. So ist der Durchmesser der mittleren Kuppel, welche die Vierung von Längs- und Querarmen übergreift, größer als derjenige der vier übrigen. Das typische System der quincunx ist im Bereich der Presbyteriumskuppel in der Weise modifiziert, dass der entsprechende Kuppelraum gleichzeitig die mittlere Chorkapelle eines dreiteiligen Presbyteriums und somit von anders geformten Räumen umgeben ist. Die Kuppeln werden von mächtigen quadratischen Pfeilern getragen, die nicht kompakt sind, sondern jeweils zwei kleine, übereinander angeordnete und überkuppelte Räume enthalten, die nach drei Seiten offen sind. Zwischen den Pfeilern verlaufen weite Tonnen mit halbkreisförmigem Querschnitt, sie flankieren die Kuppeln an vier Seiten. Eigentlich ist die Kirche als Zentralbau angelegt, doch entsteht durch architektonische Besonderheiten die Betonung einer bestimmten Richtung. Dies geschieht einerseits durch die Apsis mit ihren Nischengruppen, andererseits durch die Säulenarkaden, die zwischen die Pfeiler gespannt sind und Säulchenbalustraden tragen, die sogenannten Katzenstege, Reste der Emporenanlage der früheren Contarinikirche. Diese Säulenarkaden „teilen“ den Raum jedoch nur in der unteren Zone, lassen die Wölbungszone dagegen frei. Der Eindruck der Dreischiffigkeit entsteht somit nur unten, um darüber vollkommen verwischt zu werden. Wichtig für den Raumeindruck ist schließlich die große Chorschranke (Lettner, Ikonostasis), die von den Brüdern dalle Masegne in den Jahren 1394–1404 ausgeführt wurde und so gewichtig ist, dass sie den östlichen Kuppelraum optisch abgetrennt.

Mosaiken: Bei der Entstehung des Baus war eine Dekoration mit Mosaiken noch nicht geplant. „Man muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Kirche im 11. und frühen 12. Jahrhundert nur eine teilweise, auf Apsis (und Portale im Nar­thex) beschränkte Mosaikdekoration aufwies.“ (D. Demus bei Hubala)

Mosaiken hat man auch Gemälde für die Ewigkeit genannt, weil sie sich nicht verändern und insbesondere ihre Farben nicht verblassen. Die Kunstform des Mosaiks reicht bis zum Hellenismus zurück, doch kann vermutet werden, dass die eigentlichen Wurzeln noch tiefer liegen. Die Römer übernahmen diese Dekorationsform und perfektionierten sie, um sie sowohl im sakralen (z. B. Santa Costanza, Rom), als auch im profanen Bereich (Fußböden in Pompei u. a.) zu verwenden. In der Spätantike wurde die musivische Kunst bevorzugt von der Kirche eingesetzt (S. Maria Maggiore und zahlreiche weitere Kirchen Roms). Die später zu datierenden Mosaiken von Ravenna stehen dann schon ganz in byzantinischer Tradition. Für Mosaiken werden Glas- und Marmorwürfel mit einer Kantenlänge von etwa einem Zentimeter benutzt. Mit Hilfe von Vorlagen, den sogenannten Kartons, wurden die darzustellenden Themen in Originalgröße in die Putzschicht versetzt, wodurch Tagwerke bis zu einem Quadratmeter möglich waren. Die Mosaiken von S. Marco – insgesamt sind es mehr als 8.000 qm – wurden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begonnen, in einer Zeit also, in der Venedig sich längst von Byzanz gelöst hatte und zu einer gleichwertigen Macht geworden war. Sie stehen folgerichtig nicht mehr nur in byzantinischer Tradition, sondern sind „abendländisch“, das heißt die Einzelthemen sind nicht gerahmt, sondern schweben über einem lückenlosen Goldgrund, der den gesamten oberen Teil des Baus überzieht und die Architektur fast verwischt.