Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden

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Brücken: Durch sie werden die beiden Verkehrsnetze gewissermaßen verklammert, was nicht immer so war. In der Frühzeit der Republik waren die einzelnen bewohnten Inseln zunächst noch voneinander getrennt und führten jeweils ein Eigenleben. Erst das Wachstum der Bevölkerung und die sich daraus ergebenden Veränderungen der Abläufe im Organismus der Stadt machten feste Verbindungen zwischen den Inseln notwendig. Diese bestanden zunächst aus Booten, die man nebeneinander in die rii legte, oder aus hölzernen Stegen. Später, wohl erst seit dem 9. Jahrhundert, begann man, diese Verbindungen auf Pfählen zu errichten, die in den Boden der Kanäle gerammt wurden. Die ersten Steinbrücken entstanden im Jahre 1170. Es handelte sich um den Ponte della Canonica und den Ponte di San Provolo (Brücken sind im Italienischen männlich). Beide liegen auf dem Verbindungsweg zwischen dem Dogenpalast und der Kirche San Zaccaria, der für die jährliche andata, die feierliche Prozession des Dogen und der Signoria zum gleichnamigen Kloster, von großer Bedeutung war. Derzeit gibt es in Venedig über 400 Brücken, viele davon sind Privatbrücken. 300 von ihnen sind aus Stein erbaut, der Rest aus Holz. Zu den seit langer Zeit bestehenden Brücken kam im Jahr 2008 nach langer Planung und kontroverser Diskussion eine vom spanischen Architekten Calatrava entworfene Brücke über den Canal Grande zwischen Piazzale Roma und Bahnhof.

Die Brücken gehören zu den charakteristischen Bausteinen der Stadt und in ihrer Gesamtheit zu den Meisterwerken venezianischer Architektur. „Die meisten sind eher klein, trotzdem waren die Probleme ihrer Erbauer oft groß: Die Steinbögen brauchten Halt, die Boote ungehindert Durchfahrt, die Fußgänger bequemen Anstieg. Der Ausgleich war nicht einfach, und so ist auch keine Brücke wie die andere, nicht einmal die am selben Kanal.“ (Huse) Mit Ausnahme des Ponte tre archi über den Canale di Cannaregio haben alle dieselbe Grundform, die den jeweiligen Anforderungen angepasst wurde: Ein gemauerter Bogen überspannt den Wasserlauf, meist als Segmentbogen, selten in Form eines Halbkreises. Darüber liegt eine trapezförmige Rampenführung mit zweimaliger Knickung des Geländers. Interessant ist, dass es sich hier offensichtlich um eine Urform der Brücke schlechthin handelt, da man ihr nicht nur in Venedig, sondern häufig auch auf dem Balkan, jedoch auch bis hin nach China begegnet. Die Anmut von Venedigs Brücken ist oft besungen worden, so auch von Eckart Peterich:

Venedigs hundert Brücken sind wie Brauen

in deren Bögen grüne Blicke glänzen

mit jenem feuchten Schauen,

das bis zum Herzensgrund, bis zu den Grenzen

der Seele dringt: süß wie in Liebeslenzen

der Blick der Frauen.

Campi: Die Plätze, insbesondere die größeren, sind bis heute Zentren des öffentlichen Lebens der Stadt und der Kommunikation zwischen den Menschen. In Venedig war man besonders stolz auf die vielen campi und auf die Tatsache, dass man sich den Luxus leisten konnte, so viel Grund und Boden für sie zur Verfügung zu haben (was in Städten des italienischen Festlandes aus Verteidigungsgründen nicht der Fall war). So schrieb Franceso Sansovino Ende des 16. Jahrhunderts: „Und wenn man die Summe der unbebauten Flächen der Stadt zusammenrechnete, entstünde ein riesiger Platz, auf dem man eine weitere große Stadt errichten könnte“. Der Grundriss der campi ist häufig L-förmig und es gibt in der Regel einen direkten oder zumindest nahen Zugang zum System der Kanäle. Meistens findet man hier Kirchen mit den ihnen zugeordneten scuole, außerdem säumen palazzi die campi. Deren landseitige Portale waren eigentlich nur die Nebeneingänge, während die Haupteingänge am jeweiligen rio lagen. Die Lücken zwischen den Kirchen und Prachtbauten füllen die Wohnhäuser für die Bevölkerung. „Ursprünglich waren die Plätze Venedigs lehmige, sandige Areale, festgetreten oder von Regen und Fluten schlammig, campi, Felder eben. Im 13. Jahrhundert begannen die Venezianer, ihre Plätze zu pflastern, allen voran die Piazza San Marco, doch nicht mit den grauen, würdigen, etwas abweisenden Steinplatten mit ihrem strengen Marmormuster, die wir kennen – diese wurden im 18. Jahrhundert verlegt –, sondern im Fischgratmuster aus roten Ziegeln. Auf dem Campo Madonna dell’Orto sowie auf dem einige Schritte weiter östlich gelegenen Campo dell’Abbazia findet man diese mittelalterliche Atmosphäre auch heute noch“ (J. Rüber). Eine Sonderform der campi stellen die corti, die öffentlich zugänglichen Höfe dar. Beispiele aus der frühen Zeit der Stadtentwicklung sind in der Gegend des Rialto zu finden, so z. B. die Corti del Milion, Amadei oder Morosini. „Die baulichen Komplexe, die sie ursprünglich bedienten, waren vermutlich relativ autarke Gebilde, entstanden in einer Zeit, in der es in der Realität, und vielleicht sogar in der Vorstellung, einen gemeinsamen Stadtraum als Zusammenhang noch gar nicht gegeben hat.“ (Huse).

Brunnen: Wichtigster Teil der Ausstattung der campi sind die für Venedig typischen Brunnenköpfe, „vere da pozzo“ oder kurz „pozzi“ genannt. „Venezia è in acqua ma non ha acqua – Venedig steht im Wasser, aber hat keines“, heißt es bei Marin Sanudo Anfang des 16. Jahrhunderts, der mit diesen Worten die Bedeutung des Süßwassers für die Stadt beschreibt. Bei den Anlagen handelt es sich nicht um Brunnen im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr um Zisternen, in denen das Regenwasser aufgefangen wurde. Für sie wurden quadratische Gruben mit einer Seitenlänge von etwa 13 m und einer Tiefe von 4–5 m ausgehoben. Ihre Wände wurden mit feuchter Tonerde ausgekleidet und auf diese Weise gegen das salzhaltige Grundwasser abgedichtet. In der Mitte der Grube wurde ein Rohr gesetzt und der Raum zwischen diesem und den Wänden der Grube mit Sand aufgefüllt. Der Sand diente als Filter für das eingeleitete Wasser, das sich am Boden der Zisterne ansammelte und mittels secchi (Kupfer­eimer) aus dem Rohr geschöpft werden konnte. Um das Ausheben der Gruben zu erleichtern, wurde auf mehreren campi deren Niveau angehoben, was dazu noch den Vorteil brachte, dass sich dadurch ein Schutz vor Verschmutzung durch Hochwasser ergab. Seit 1334 mussten die Besitzer von Gebäuden, die an einem campo lagen, das Regenwasser von den Dächern in die Zisterne leiten. Was oberhalb des Pflasters an Arbeiten anfiel, ging zu Lasten der Privatpersonen, die Erdarbeiten wurden von der Allgemeinheit bezahlt. Die Oberfläche der campi musste natürlich peinlich sauber gehalten werden, um eine Verunreinigung der Brunnen zu verhindern. Seit 1503 durften Schweine nicht mehr in der Nähe der Brunnen gehalten werden, und die Verkäufer von Geflügel, Fisch, Gemüse usw. mussten feste Bänke benützen und ihren Verkaufsstand sorgfältig sauber halten. Als die Bevölkerungszahl wuchs, reichte das Regenwasser nicht mehr aus und es musste Süßwasser von den Flussmündungen mit eigenen Schiffen in die Stadt gebracht werden. Dort wurde es, zumeist von Frauen, den bigolanti, eimerweise verkauft. Diese Frauen trugen jeweils zwei Eimer, die an einem Stock, dem bigolo hingen, den sie sich quer über die Schultern legten. – Die Brunnenköpfe sind überwiegend in Form eines Kapitells gestaltet. 1858 gab es 6.782 davon, heute sollen es noch 3.000 bis 4.000 sein. Heute dienen die Brunnen nur mehr als Zierde und sind fast alle zugeschüttet bzw. verschlossen. Venedig wird seit vielen Jahren über eine Fernleitung aus den Alpen mit Trinkwasser versorgt.

Bautechnik

Zahlreiche Untersuchungen beschäftigen sich mit diesem komplexen, umfangreichen Thema, aber letztendliche Klarheiten bestehen noch immer nicht. Eine grundlegende Äußerung von Zorzi sei hier zitiert:

„Zwischen dem Venedig von heute und dem der Vorgeschichte gibt es eine eindeutig feststellbare Gemeinsamkeit, nämlich die bis in unsere Tage hinein in der kleinen Welt der venezianischen Lagunen benutzte Technik bei der Landgewinnung und beim Hausbau. Sie ist im wesentlichen die gleiche wie die, die von den Pfahlbauern eintausenddreihundert oder eintausendfünfhundert Jahre vor Christus bei der Trockenlegung der Seen und Sümpfe des Trentino, des Veronese und im Gebiet um den Gardasee angewandt wurde. Das Pfahlwerk, das die Basilika von San Marco trägt, die Millionen von Pfählen, die für den Bau der Rialtobrücke oder der Kirche Santa Maria della Salute in den Schlamm gerammt wurden, stammen geradewegs von den Pfahlbauten des Ledrosees oder von Fiavè ab, die tausend Jahre älter sind. Die Strohdächer jener traditionellen Bauten der Poebene mit ihrer typischen Form und den vier Abdachungen, die örtlich „casoni“ genannt werden, leiten sich wahrscheinlich von der Kultur her, die nach ihrem Zentrum ‚Este‘ benannt wurde und um 1000 vor Christus entstand. Dieselbe Struktur weisen die stolzen venezianischen Paläste auf, die alle mit ihren pyramidenförmigen Dächern mit den vier Abdachungen den primitiven paläovenetischen Hütten ähneln.“

Dem ist kaum etwas Neues hinzuzufügen, man kann das allenfalls ergänzen. Das Bauen auf den Laguneninseln brachte eine Reihe von Anforderungen an bestimmte Techniken und architektonische Grundprinzipien mit sich. So war es zum einen erforderlich, das Gewicht des jeweiligen Gebäudes so gering als möglich zu halten, weswegen bevorzugt Ziegel in Verbindung mit Holz verwendet wurden. Es gibt auch die Theorie, dass man die Fassaden der Paläste mit Loggien und Maßwerk geöffnet hat, um Gewicht zu sparen. Zum anderen war es notwendig, dem Bauwerk eine möglichst große Flexibilität zu geben, weshalb man einen weichen Kalkmörtel verwendete. Schließlich war darauf zu achten, das Gewicht des Gebäudes so gleichmäßig wie möglich zu verteilen, um so einem punktuellen Absinken des Baugrundes vorzubeugen. „Das erreichte man mit den breiten, dichtverlegten Fußbodenbalken, die typisch für den venezianischen Palast sind. Diese Balken ruhten auf hölzernen Trägern, die in die Wände eingezogen waren, so dass das Gewicht sich gleichmäßig über die ganze Länge der Wand verteilte.“ (Goy) Die konsequente Beachtung dieser grundlegenden Prinzipien für das Bauen in der Lagune war erfolgreich, was sich aus der Tatsache ablesen lässt, dass man zwar an vielen Bauten der Stadt Risse in den Wänden sieht, dass jedoch nur wenige einsturzgefährdet sind. Auch Erdbeben, von denen es im Laufe der Jahrhunderte mehrere, zum Teil auch recht schwere gab, richteten keinen wesentlichen Schaden an, so auch nicht das Beben des Jahres 1968, das im Friaul so verheerende Zerstörungen verursachte.

 

Das erste Problem, dem sich der Bauherr gegenübersah, der auf den Inseln des Rivus Alto ein Haus errichten wollte, bestand darin, dass er zunächst das Fundament bereiten musste. Dieses errichtete man in der Anfangszeit der Stadt in der Art eines Floßes aus Holzplanken, dem sogenannten zattaron, der in die oberflächliche Schicht der Inseln eingelassen wurde, gewissermaßen darauf schwamm. Mit dieser Art der Technik ließ sich jedoch nicht die Schicht des caranto erreichen, die aus relativ festem Ton besteht und eine Dicke von drei bis fünf Metern hat. Es ist klar, dass die Technik des zattaron nicht geeignet ist, ein Fundament für größere Gebäude oder für solche aus Stein zu bilden. Deshalb entwickelte man – spätestens im 14. Jahrhundert, vermutlich aber schon früher – die Fundamentierung mittels Baumstämmen, die in die Tonschicht getrieben wurden. Dazu verwendeten jeweils zwei Männer den sogenannten mazzuolo, ein Gewicht mit zwei Henkeln, das über die Stämme gestülpt und dann rhythmisch auf das Holz geschlagen wurde – eine mühselige Tätigkeit. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Venedig praktisch auf einem riesigen Wald solcher Pfähle, den tolpi, errichtet ist. Diese Baumstämme (häufig Eiche oder Lärche) sind, wenn sie nicht mit Luft in Berührung kommen, also unter Wasser bleiben, praktisch unbegrenzt haltbar. 1874 hat man die Fundamente des Dogenpalastes untersucht und dabei festgestellt, dass die Pfähle auch noch nach fünfhundertdreißig Jahren völlig intakt waren. Der „einfache“ venezianische Palast wurde nicht auf einem kompakten Fundament dicht an dicht in den Boden gerammter Stämme erbaut, sondern es wurden nur die tragenden Mauern unterfangen. Diese Technik war ziemlich teuer, doch konnten die Fundamente bei späteren baulichen Veränderungen des Hochbaues bzw. auch bei völliger Neugestaltung des Palastes erneut benützt werden, was dann zwar ein neues Gesicht des Palastes ergab, nicht dagegen eine neue Struktur. Anders war die Situation bei Bauwerken wie dem Dogenpalast, der auf einem dicht an dicht mit Stämmen besetzten Fundament errichtet wurde. In gleicher Weise ist z. B. auch das Fundament für die Kirche Santa Maria della Salute gelegt worden, wobei hier die unglaubliche Zahl von mehr als einer Million Stämmen genannt wird.

Wie immer die unterste Schicht des Fundaments beschaffen war, auf sie wurde dann der zattaron verlegt. Das war eine doppelte Schicht von Lärchenbohlen, die mit Backsteinen zementiert wurden. Erst auf diese Schichten, die immer unterhalb des Wasserspiegels blieben und dort gewissermaßen versteinerten, wurde schließlich als Grundmauer das über dem Wasserniveau liegende Mauerwerk verlegt, das aus starken, quadratischen Blöcken aus istrischem Stein gebildet wurde. Mit dieser Schicht sollte verhindert werden, dass Wasser in die darauf errichteten Ziegelmauern drang. Um Gewicht zu sparen, war die Mauerstärke nicht gleichmäßig, sondern nahm nach oben zu ab. Für die Obergeschosse verwendete man Holz, und zwar sowohl für die Zwischendecken als auch für die Dachkonstruktionen.

Dabei war die Bautechnik bei den Wohnhäusern und Palästen noch relativ unproblematisch. Schwieriger war es, wenn Gewölbe und Kuppeln vorgesehen waren. So ist es ohne weiteres einleuchtend, dass in Venedig keine wirklich großen Kuppeln existieren: San Marco besitzt nur vergleichsweise kleine Kuppeln, und die erste größere wurde von Baldassare Longhena für die Salute-Kirche realisiert, auch diese „nur“ mit einen Durchmesser von etwa achtzehn Metern (Brunelleschis Kuppel des Florentiner Doms hat dagegen eine Spannweite von vierzig Metern). Lange Zeit ist man in der Lagune dem Gewölbebau ausgewichen und hat in den Kirchen offene hölzerne Dachkonstruktionen bevorzugt. Die größten statischen Schwierigkeiten gab es naturgemäß beim Bau der campanili, wo große Gewichte auf kleinen Flächen nicht zu vermeiden waren. Es überrascht nicht, dass viele der Türme im Laufe der Zeit einstürzten und dass einige heute eine beträchtliche Neigung aufweisen.

Baumaterialien

Drei Baumaterialien spielen in Venedig eine entscheidende Rolle: Ziegel, Stein und Holz. An der „Baustelle Venedig“ gab es aber keinerlei Baumaterialien und ihr einziger Vorteil war, dass die erforderlichen Baustoffe kostengünstig per Schiff herantransportiert werden konnten. In den ersten Jahrhunderten baute man aus Holz (auch den ersten Dogenpalast), doch für eine Stadt mit wachsender Bevölkerungszahl und immer größerer politischer Bedeutung wurden schließlich dauerhaftere Lösungen erforderlich.

Es bot sich zunächst die Verwendung von Backstein an. Auf dem oberitalienischen Festland hatte sich schon in römischer Zeit eine blühende Ziegelindustrie entwickelt, die vermutlich auch nach dem Untergang von Westrom ihre Aktivität nie ganz eingestellt hatte. Auch konnte man dieses Material aus römischen Städten wie Aquileia oder Altino beziehen, die nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches entvölkert waren, so dass dortige Gebäude abgerissen und die Steine abtransportiert werden konnten. „Wiederverwendete römische Ziegel sind an ihrer geringen Größe und ihrer flachen, dachziegelartigen Form zu erkennen und noch heute an einer ganzen Reihe von alten Bauwerken in Venedig zu sehen.“ (Goy) Später kamen über Jahrhunderte hinweg die Ziegel aus Fertigungsstätten in die Stadt, die in der Umgebung von Mestre lagen. Wurden besonders hochwertige Ziegel benötigt, so bezog man diese aus der Gegend von Treviso oder Ferrara. Der Ziegel erwies sich wegen seines relativ geringen Gewichtes für das Bauen in der Lagune als besonders geeignet. In Verbindung mit einem weichen Mörtel ließen sich Mauern errichten, die sich den Gegebenheiten in der Lagune, so z. B. dem langsamen und ungleichmäßigen Absinken der Fundamente, vergleichsweise gut anpassen konnten. Zwar dominiert an vielen Stellen das strahlende Weiß der Fassaden von Kirchen und Palästen, doch sind diese Fassaden in der Regel massiven Ziegelmauern nur vorgeblendet. Das warme Rot des Backsteins schlägt auch heute noch den farblichen Grundton in der Stadt an. Allerdings haben Ziegel den Nachteil, gegenüber Witterungseinflüssen empfindlich und vergänglich zu sein, so dass man in der Stadt allenthalben bröckelnde Mauern vorfindet, was freilich auch zum morbiden Reiz beiträgt. Um diesen Nachteil auszugleichen, sind die Hausmauern aus mehreren Schichten erbaut, wodurch es möglich wird, die äußere, den Einflüssen der Witterung am stärksten ausgesetzte Schicht einfach zu ersetzen, ohne dass dadurch die Bausubstanz des Gebäudes angetastet würde. Früher waren die Ziegelmauern in der Regel verputzt und häufig auch bemalt.

„Als die Stadt dann allmählich an Größe, Reichtum und Bedeutung zunahm, erwies es sich als notwendig, eine Bezugsquelle für Stein ausfindig zu machen, um die wichtigsten Bauwerke auszuschmücken und imposanter zu gestalten.“ (Goy) Auch hier behalf man sich zunächst damit, verlassene römische Städte der terra ferma, des östlichen Oberitaliens, als Steinbrüche zu verwenden. Doch war auf diese Weise der Bedarf an Steinen nicht auf Dauer zu befriedigen. Das zweite wichtige Baumaterial für die Stadt wurde daher die sogenannte pietra d’Istria oder „Istrischer Marmor“, ein Kalkstein, der auf der Halbinsel Istrien, spätestens seit 1085 venezianischer Besitz, gebrochen wurde. Die dortigen Steinbrüche lagen unmittelbar an der Küste, so dass das Material ohne Probleme verschifft werden konnte. Dieser Stein ist ausgesprochen hart und dauerhaft, dabei aber relativ leicht zu bearbeiten, und er hält dem venezianischen Klima als einziges Material stand, weil er kaum zum Verwittern neigt. Die Venezianer waren sich der günstigen Eigenschaften der pietra d’Istria durchaus bewusst, schrieb doch Francesco Sansovino: „Wie schön und bewundernswert ist die Materie dieser lebendigen Steine; sie sind weiß und gleichen dem Marmor, aber dicht und stark, so dass sie auf sehr lange Zeit dem Eis und der Sonne widerstehen.“ Die Republik finanzierte eine eigene Flotte, um dieses Material nach Venedig transportieren zu lassen. Jedes der Schiffe konnte zweihundert Tonnen befördern und musste mindestens fünf Reisen pro Jahr absolvieren. Beide Materialien, Backstein und pietra d’Istria bestimmen das Erscheinungsbild der Stadt entscheidend. Bewirkt der Backstein eine weiche, malerische Note, so wirken die aus Istrischem Marmor geformten Gebäude eher graphisch.

Das dritte wichtige Baumaterial war Holz, von dem gewaltige Mengen benötigt wurden, nicht nur für die baulichen Maßnahmen selbst, sondern auch für den Schiffbau und natürlich zum Heizen. Um den Bedarf zu decken, holzte man zunächst die Pinienwälder der Küstenregionen ab. Doch erkannte man bald die ökologische Bedeutung dieser Wälder, die die Bodenerosion der Küsten verhinderten, und bezog deshalb das Holz künftig aus Istrien, dem nördlichen Venetien, dem Friaul und den Alpentälern. In der Gegend der Barbaria delle Tole bei der Kirche Zanipolo existierten einmal große Sägewerke, in denen die angeflößten Stämme weiterverarbeitet wurden. Erst Anfang des 16. Jahrhunderts wurden diese Anlagen an die Zattere verlegt. Für Gebäudeteile, die der Witterung ausgesetzt waren, bevorzugte man Holzarten wie Lärche, Fichte, Eiche und Ulme. Die Lärche wurde auch gerne zur Fundamentierung der Gebäude verwendet. Dachstöcke und Fußböden der Paläste waren häufig aus Eiche.

Daneben gab es noch eine Vielzahl weiterer Baumaterialien. Erwähnt sei insbesondere das Blei, mit dem fast alle offiziellen Gebäude der Stadt, aber auch alle Kuppeln gedeckt sind. Von geringerer Bedeutung ist der Broccatello, der rote Marmor aus der Gegend von Verona, der in der venezianischen Luft zum raschen Verwittern neigt. Dieses Material wurde gerne eingesetzt, um farbliche Kontraste zur pietra d’Istria zu schaffen. Spätestens nach 1204 ist man dazu übergegangen, Steine geradezu zu sammeln, weswegen überall dort, wo die Möglichkeit dazu bestand, Spolien erworben oder geraubt wurden. Doch dienten diese Stücke weniger als Baumaterialien, sondern vielmehr als Zierstücke, wovon man sich insbesondere an San Marco überzeugen kann – mehr als vierzig verschiedene Steinarten sind dort an den Fassaden verbaut. Weitere Baustoffe waren Kalk, Sand und Wasser, die Bestandteile von Mörtel und Gips. Der Kalk kam aus den Gegenden von Padua und Treviso. Den Sand bezog man nicht, wie eigentlich zu erwarten, von den Küsten der Lagune – die Entnahme hätte dort zu einer Erosion insbesondere der lidi geführt –, sondern aus den Flussbetten, z. B. der Brenta, die dadurch gleichzeitig ausgebaggert wurden. Süßwasser war in Venedig immer ein großes Problem, das durch die Anlage von Zisternen praktisch unter jedem campo nur zum Teil gelöst werden konnte. Wie schon erwähnt, mussten zusätzlich ganze Flotten von Transportschiffen eingesetzt werden. Es gab sogar Überlegungen, einen Aquädukt von den Alpen in die Stadt zu bauen. Es ist allerdings nicht bekannt, aus welchen Gründen dieses Projekt nicht verwirklicht wurde.

Architektur

Wie kaum in einer anderen Stadt gab es in Venedig während der gesamten Zeit ihres Bestehens eine immense schöpferische Tätigkeit. Auf Grund des jahrhundertelangen ungeheuren Reichtums war man in der Lage, die besten Künstler anzuwerben. Schon aus diesem Grunde sind alle Stilrichtungen in Venedig vertreten. So stammt die Krypta von San Marco, das älteste Bauwerk der Stadt, aus vorromanischer Zeit, nämlich aus dem 9. Jahrhundert. Die Romanik ist in Venedig byzantinisch geprägt, was an den sogenannten „gestelzten Bögen“ erkennbar ist, bei denen die Wölbung der Bögen nicht unmittelbar am Kapitell, sondern erst nach einem weiteren senkrechten Intervall beginnt. Beispiele hierfür gibt es recht viele, sie sind unter anderen an SS. Maria e Donato auf Murano, S. Maria Assunta auf Torcello, dem Fondaco dei Turchi, an der Ca’ Farsetti und der Ca’ da Mosto zu sehen. In der Gotik entstanden riesige Kirchen wie SS. Giovanni e Paolo oder S. Maria Gloriosa dei Frari, daneben aber insbesondere eine große Zahl von Palästen mit reichem und fantasievollem Maßwerkschmuck der Fassaden, allen voran der Dogenpalast selbst. Die Renaissance ist mit vielen Beispielen vertreten, sowohl im Sakralbau (S. Giovanni Crisostomo, Miracoli, Palladio-Bauten) als auch mit scuole (Scuola Grande di San Marco, Scuola Grande di San Rocco) und Palästen (Vendramin-Calergi, Grimani, Ca’ Grande, alle am Canal Grande). Im Barock entstanden beispielsweise die Kirche S. Maria della Salute sowie die Ca’ Pesaro am Canal Grande, im Rokkoko die Ca’ Rezzonico, ebenfalls am Canal Grande. Klassizistisch ist die Kirche S. Maddalena, die noch aus der Zeit der Republik stammt, sowie der Bischofspalast neben San Marco, weiterhin der Ballsaal Napoleons am Markusplatz in der Ala Napoleonica.

 

Sakralbauten

Drei architektonische Grundformen prägen das Gesicht der venezianischen Sakralbauten, nämlich die der Zentralkuppelkirche, der Basilika und der Saalkirche. Solange diese Baugedanken von Venezianern oder von solchen Architekten formuliert wurden, die sich der lokalen Bautradition angepasst hatten, sind die Sakralräume streng geformt und erstaunlich nüchtern. Das gilt sogar auch für die im Barock erbaute Kirche Santa Maria della Salute. Ein neuer Ton kam erst mit der Kirche Gesuiti oder mit der Scalzi-Kirche in die Stadt, deren Baugedanke mehr von römischem Stilempfinden bestimmt wurde.

Für die Zentral- oder auch Kreuzkuppelkirche gibt es zahlreiche Beispiele. Mutter dieser Bauform ist San Marco, somit ein Bauwerk, das unmittelbar aus der oströmisch-byzantinischen Tradition abgeleitet ist, handelt es sich hier doch um eine frühe Kopie der 1453 zerstörten Apostelkirche zu Byzanz aus dem 6. Jahrhundert. Daneben seien erwähnt S. Giacomo del Rialto, S. Maria Formosa, San Felice, San Giovanni Crisostomo und San Salvatore (letztere stellt eine Übersetzung der Formensprache von San Marco in die der Renaissance dar). Der architektonische Grundgedanke ist einfach: Ein zentraler Raum mit quadratischer Grundfläche und überwölbender Kuppel wird an seinen vier Seiten von vier niedrigeren, tonnengewölbten Kompartimenten flankiert. Auf diese Weise entstehen in den Ecken vier Zwickel, die niedriger als der Zentralraum sind und von kleinen Kuppeln überfangen werden. Projiziert man die fünf Kuppeln auf den Boden, so ergibt sich das Bild der quincunx, entsprechend der „5“ des Würfels. Die vier kleineren Kuppelräume werden durch Tonnen verbunden, die wiederum den Zentralraum flankieren und fassen. Im Grundriss stellen sich diese Tonnen rechteckig dar. Bei San Marco, San Salvatore und bei San Fantin sind mehrere solcher „Bausteine“ miteinander verknüpft, und zwar in der Weise, dass jeweils ein Tonnengewölbe zu zweien der Bausteine gehört.

Leitet sich die Zentralkuppelkirche aus östlicher Überlieferung ab, so steht die Form der Basilika in der Tradition Westroms. Sie ist von den Markt- und Gerichtshallen römischer Foren abgeleitet, aus deren Architektur die katholische Kirche im 3. Jahrhundert den für sie typischen Sakralbau entwickelte. In der Sakralarchitektur Venedigs drückt sich also die Zwischenstellung der Stadt zwischen Ost und West aus. Grundgedanke der Basilika ist der eines langrechteckigen Raumes, der durch Säulen- oder Pfeilerstellungen in ein breiteres, höheres Mittelschiff und zwei (oder auch vier) schmälere und niedrigere Seitenschiffe gegliedert wird. Das Presbyterium, der dem Priester und dem Sakrament vorbehaltene Raum, wurde zunächst durch das Halbrund der Apsis vor dem Mittelschiff gebildet. Dieses System wurde später in mannigfaltiger Form erweitert, so durch Seitenapsiden, durch Zwischenschaltung eines meist quadratischen Chorraums sowie durch die Einfügung eines Querschiffes. In Venedig gibt es zahlreiche Kirchen in Form einer Basilika, als Beispiele seien SS. Maria e Donato auf Murano aus romanischer Zeit, die Bettelordenskirchen aus gotischer Zeit und die Palladio-Kirche S. Giorgio Maggiore aus der Renaissance genannt.

Der Saalbau verzichtet, wie der Name sagt, auf jegliche Unterteilung des Innenraumes. Die Innenarchitektur des schlichten Baukörpers beschränkt sich auf die Gliederung der Wände, sei es durch Pilaster, Halbsäulen, Nischen in der Vertikalen, durch Gesimse in der Horizontalen, sei es durch die stets vorhandenen Seitenaltäre. An den „Saal“ schließen sich regelmäßig Presbyterien an, die meist dreiteilig sind. Oft finden sich soffitti, reich verzierte und bilderreiche Deckenarchitekturen. Auch dieser Kirchentypus ist in Venedig ausgesprochen häufig; Beispiele sind San Giuliano, San Moisè und SS. Apostoli.

Will man die venezianische Sakralarchitektur zusammenfassend beschreiben, so lässt sich sagen, dass der Venezianer einen weiten, möglichst unverstellten Raum liebt, was die große Zahl der Saalkirchen beweist. Auch die Art, wie die beiden anderen Architekturformen in Venedig abgewandelt werden, unterstreicht diese Vorliebe. So existiert in San Marco nur scheinbar eine „Schiffigkeit“ durch die seitlichen Säulenstellungen vor der Vierung. In Wirklichkeit spricht in diesem Raum nur die Weite der fünf großen Kuppelräume. Ähnlich ist es in San Salvatore. Auch die Innenräume der Basiliken sind häufig nur scheinbar in drei Schiffe unterteilt, da die hier gliedernden Stellungen der Stützen oft weit und hoch sind, so dass man sie nicht als trennende Elemente empfindet, sondern den Raum eher als Einheit erlebt. Longhena hat diese Art, Räume zu deuten und zu empfinden, in der Salute-Kirche mit einem riesigen Zentralbau umgesetzt, dessen Umgang nicht als „Schiff“ in Erscheinung tritt.

Zur Kirche gehört in aller Regel ein Glockenturm, der traditionell hier wie im übrigen Italien freisteht und deshalb als campanile bezeichnet wird. Er wird verschiedentlich auch durch einen Aufbau mit Arkaden ersetzt. Die Glocken hängen in offenen Glockenstuben, eine pyramiden- oder kegelförmige, auch polygonale Spitze bekrönt das Ganze. Die Türme sind die Wahrzeichen der Stadt und wichtige Orientierungshilfen. Häufiges und wichtiges Gestaltungsmittel ist die Gliederung der Mauerflächen durch Lisenen, also durch senkrechte, schmale, flache Mauerverstärkungen. Betont werden soll, dass nur wenige Kirchen in ihrer Urform auf uns gekommen sind, während viele der Türme noch zum ersten Baubestand gehören.

Scuole

Es wäre irrig, den Begriff scuola mit „Schule“ zu übersetzen. Vielmehr handelt es sich um Bruderschaften, um Vereinigungen von Personen mit gleicher Interessenlage im weitesten Sinn. Die Gebäude, in denen sich die Mitglieder versammelten, wurden meist in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirchen errichtet und sind ebenfalls als eine Art von Sakralbauten anzusehen. Der Ausdruck scuola bezeichnete „in spätrömischer Zeit eine Vereinigung nach gleicher Berufstätigkeit“ (Kretschmayr) und wurde von Byzanz übernommen. Jedoch waren es nicht nur Berufe, die das verbindende Moment darstellten, es gab daneben auch scuole bestimmter Nationalitäten (z. B. degli Schiavoni – Dalmatiner), von Menschen mit gleicher Behinderung (degli Orbi – der Blinden), mit gleichen, meist karitativen Zielen (Aussteuer mittelloser Mädchen, Bestattung Hingerichteter, Krankenpflege) usw. Die Mitglieder wählten ihre eigenen Beamten, verpflichteten sich zu gegenseitigem Beistand, besonders in Fällen von Krankheit oder Not. Die Organisation finanzierte sich aus einem jährlichen Mitgliedsbeitrag, aber auch aus Spenden und Vermächtnissen. Einige der scuole gelangten zu immensem Reichtum und traten auch als Kunstmäzene auf, allen voran die Scuola di San Rocco.