Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden

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Zurück am Campo Manin, überquert man den Ponte della Cortesia (der Höflichkeit) und gelangt in die gleichnamige Gasse, die in ihrem weiteren Verlauf in die Calle della Mandola übergeht, eine sehr belebte Gasse mit vielen zum Teil recht schönen Läden. An der Grenze zwischen den beiden Gassen weist ein etwas verblichenes Schild den Weg in die Salizada del Teatro und zum Palazzo Fortuny am Campo S. Benedetto (S. Beneto auf Venezianisch) mit der gleichnamigen, immer geschlossenen Kirche. Der eigentliche Name des Palastes ist Palazzo Pesaro degli Orfei. Der mächtige gotische Bau mit einer eindrucksvollen Fenstergruppe und einem wild bewachsenen, verwunschen wirkenden Garten hat seinen zweiten Namen von seinem letzten spanischen Besitzer Mariano Fortuny y Madrazo (1871–1949), den man ohne weiteres als universelles Genie bezeichnen kann. Er war Maler, „Designer“, Dichter, Ingenieur, Bühnenbildner, Fotograf und vieles mehr, lebte und arbeitete in dem Palast von 1899 bis zu seinem Tode. Es wird berichtet, er habe an einer Allergie gegen Pferde gelitten und sei aus diesem Grunde auf die Idee gekommen, in Venedig zu leben. Bekannt wurden besonders seine plissierten, von Gewändern der Antike inspirierten Kleider, von denen eines delphos heißt. Originale dieser Kleidungsstücke werden heute zu hohen Preisen gehandelt, und auch Nachahmungen sind nicht gerade billig. Deren Verkäuferinnen machen darauf aufmerksam, dass man sich nicht setzen und nicht anlehnen dürfe, da sonst das Plissée ruiniert würde. Die Methode zur Herstellung eines dauerhaften Plissées hat Fortuny mit ins Grab genommen. Seine Witwe hat den Palast, der heute ein Textilmuseum beherbergt, der Stadt vermacht. Das Atelier Fortunys ist erhalten geblieben.

In der Nähe gibt es eine Calle dei Assassini, die ihren Namen von häufigen Morden hat, die auf einer hier früher existierenden Brücke begangen wurden. Die Täter waren dabei meist maskiert, weswegen schließlich 1128 das nächtliche Maskentragen verboten wurde.

Über die Calle del Spezier führt der Weg zum ruhigen, wohltuend weiten Campo Sant’ Angelo bzw. Sant’ Anzolo (venezianisch für „Engel“), wo sich ein freier Blick auf den schiefsten Turm Venedigs bietet, den der Kirche S. Stefano. An der Fassade des gotischen Palazzo Duodo links erinnert eine Tafel an Domenico Cimarosa (1749–1801), der hier zahlreiche Opern schrieb und in diesem Haus starb. Weitere schöne Paläste säumen den campo, bei dem, wie auch an anderen Stellen der Stadt, das angehobene Niveau auffällt. Das diente der Wassergewinnung in der darunter gelegenen Zisterne. Die Venezianer erzählen allerdings gerne, die Anhebungen seien entstanden, weil auf den entsprechenden Plätzen zu Zeiten der großen Epidemien Massengräber angelegt worden seien. Die für den Platz namensgebende Kirche S. Angelo, in der auch der Komponist Cimarosa begraben lag, wurde 1837 demoliert.

Man überquert den Platz bis zur Brücke in dessen rechter Ecke, der Ponte dei Frati. Von ihr aus kann man den 1532 entstandenen Kreuzgang des ehemaligen Klosters S. Stefano betreten. Das Architekturschema weicht von den für Venedig typischen Säulenarkaden zu Gunsten einer Kolonnade ab, ein Motiv, das eher römisch anmutet und an Bramantes Kreuzgang von S. Maria della Pace denken lässt. Der Kreuzgang war mit Fresken von Pordenone ausgemalt, deren Reste in der > Galleria Franchetti in der Ca’ d’Oro zu sehen sind.

Die Legende berichtet von einer heftigen Rivalität zwischen diesem Maler und Tizian. Sie soll emotional so sehr aufgeladen gewesen sein, dass Pordenone angeblich nur bewaffnet an die Arbeit gegangen sei, um entsprechend gerüstet zu sein, sollte Tizian einmal unvermutet auftauchen.

In diesem Kreuzgang wurde Pietro Lombardo begraben, daneben auch die Angehörigen des Hauses Carrara, die früheren Herren von Padua, die die Signoria als unliebsame Gegenspieler und Störenfriede im Gefängnis hatte erdrosseln lassen.

Am Ende der folgenden Gasse, an der Stelle, die sich zum Campo S. Stefano öffnet, biegt nach rechts die Calle delle Botteghe ab, in der einige sehr edle Antiquitätengeschäfte und Galerien zu finden sind. Deren Reihe setzt sich in der Salizzada S. Samuele fort, die man am Ende der calle erreicht. Hier steht unter der Hausnummer 3328 das bescheidene Wohnhaus Paolo Veroneses. Der Weg erreicht schließlich am Campo S. Samuele (die gleichnamige Kirche ist profaniert) wieder den Canal Grande. Das von dieser Stelle aus zu überblickende Ensemble mit den flankierenden Palästen ist sehr stimmungsvoll und bietet einen hinreißenden Blick auf die gegenüberliegenden Gebäude (Ca’ Rezzonico, weiter rechts der Doppelpalast der Giustiniani, unmittelbar daran angrenzend die Ca’ Foscari, schließlich auf der anderen Seite des hier mündenden Kanals die Ca’ Balbi). Am campo selbst ragt rechts die Seitenfront des Palazzo Grassi auf, der 1718 von Giorgio Massari erbaut wurde (> Kapitel Canal Grande).

Mehrere Gassen – in einer von ihnen wurde 1725 Casanova geboren – führen in Richtung Osten zum Campo S. Stefano (auch Campo Morosini genannt).

Das ganze Viertel hatte zu Zeiten der Republik keinen guten Ruf, wie ein Spottgedicht zeigt: „San Samuele / Contrada Picola / Grande Bordel / Senza ponti´ / Cative campane / Omeni bechi / E done putane“ – „San Samuele / kleines Stadtviertel / großes Bordell / ohne Brücken / mit schlecht klingenden Glocken / die Männer gehörnt / die Frauen Huren.“ (Tassini)

Der Campo S. Stefano ist sicher eine der schönsten Platzanlagen der Stadt. Er war bis 1810 ein bevorzugter Ort für Volksfeste, Turniere und die in Venedig sehr beliebten Stierkämpfe. Es lohnt, sich Zeit zu nehmen, um das Ensemble kreuz und quer zu durchschreiten und auch das Angebot zu Ruhe und Kontemplation in einem der Cafés wahrzunehmen. Der Eindruck des Theatermäßigen, Kulissenhaften, den die Stadt recht häufig vermittelt, ist hier besonders stark und nachts, wenn kaum mehr Menschen unterwegs und oft nur mehr die Stimmen Unsichtbarer zu hören sind, fast überwältigend.

Wichtige Gebäude säumen den Platz. Da ist zunächst an der nördlichen Schmalseite die schlichte Seitenfront der

► Kirche S. Stefano

mit einfachen spitzbogigen Fenstern. Der Bau entstand im späten 14. Jahrhundert, wurde im 15. Jahrhundert im Chorbereich umgestaltet und erhielt bei diesem Umbau auch seine hölzerne Decke. Die Hauptfassade, zum Campiello S. Stefano hin gelegen, ist dreiteilig und mit weißen Marmortabernakeln bekrönt – ein traditionelles Gestaltungsmotiv gotischer Sakralbauten Venedigs. Das Portal ist geradezu umschäumt von einem üppigen Ornament aus Blattranken. Eine Besonderheit weist das Äußere der Kirche im Chorbereich auf. Der Chor ist über einen rio hinweggeführt und kann mit dem Boot unterquert werden. Diese Anlage ist vom Campo S. Anzolo aus sichtbar oder auch von der ersten Brücke, dem Ponte S. Maurizio, wenn man in Richtung S. Marco weitergeht. Den Innenraum bildet eine dreischiffige gotische Säulenbasilika mit weiten Jochen und einem dreiteiligen Presbyterium. Der Besucher empfängt allerdings eher den Eindruck, in einem Saal zu stehen als in einer Basilika, da die Stellung der – eigentlich zu schlanken – Säulen den Raum kaum unterteilt und die Schiffe somit nicht wirklich voneinander trennt. Während die Seitenschiffe durch Pultdächer gedeckt sind, wird das Mittelschiff durch eine spektakuläre kassettierte Holzdecke in Form eines umgedrehten Schiffsrumpfes überspannt. Sie soll von den Schiffbauern des Arsenals, den arsenalotti, ausgeführt worden sein. Ins Auge springt die Wandstruktur der Obergadenzone, deren Muster in Anlehnung an das am Dogenpalast gestaltet wurde, wobei dieses Ornament in Venedig früher häufiger anzutreffen war als heute.

Ausstattung: Im Boden des Mittelschiffs, gleich beim Eingang, liegt unter einer mächtigen reliefierten Bronzeplatte der Doge Francesco Morosini, der „Peloponesiaco“, begraben. Er hatte 1685 noch einmal die Peloponnes von den Türken zurückgewonnen. Am Ende des rechten Seitenschiffs führt ein schönes Renaissanceportal von 1525 in die sehr sehenswerte Sakristei. Die Türflügel dieses Portals sind moderne Arbeiten, sie stellen Johannes XXIII. Roncalli rechts und Giovanni Paolo I. Luciani links dar, beides Päpste, die zuvor Patriarchen von Venedig waren. Die Sakristei enthält eine Sammlung vorzüglicher Werke (deren Aufstellung ab und zu wechselt). Auf dem Altar steht die Büste des hl. Sebastian von Tullio Lombardo. Das kleine Werk ist köstlich gearbeitet und sprüht vor Leben. Es ist sicher eine der besten Arbeiten Tullios, und die Marmorbehandlung lässt an die besten Werke der griechischen Klassik denken. Zu Seiten dieser Plastik sind zwei weitere Statuen zu sehen, eine davon, vermutlich ein hl. Hieronymus, ist von Pietro Lombardo signiert, von dem auch die andere stammt, die Paulus darstellt. Die Altarädikula wird von zwei schönen Statuetten der Brüder dalle Masegne flankiert, links steht Giovanni Battista, rechts Antonius von Padua. Weiterhin ist hinzuweisen auf Bartolomeo Vivarinis Gemälde der hll. Nikolaus und Lorenz beidseits neben der Altararchitektur, die aus der profanierten Kirche S. Vidal hierher kamen. Schließlich stehen auf einer Truhe links zwei Figuren: Johannes der Täufer und eine Frauenfigur, eventuell eine allegorische Darstellung einer Tugend. Die hohe Qualität der Arbeiten lässt ohne weiteres annehmen, dass sie von Tullio Lombardo gearbeitet wurden. An der linken Seitenwand hängt ein großformatiges Gemälde Tintorettos, eine Version des Themas Abendmahl, dem sich der Maler wiederholt gewidmet hat. Der Tisch, an dem sich die Handlung vollzieht, ist hier auf ein Podest gestellt, somit ist die Szene in deutlicher Untersicht gegeben. Das Bild, bei dem es sich um eine schwächere Interpretation des Themas handelt, dürfte nicht in allen Partien eigenhändig sein. Zwei weitere Gemälde Tintorettos hängen an der rechten Seitenwand, links eine Fußwaschung mit undeutlicher Lichtführung, rechts daneben Christus am Ölberg. Dieses Bild ist von einem geheimnisvollen Weben des Lichtes erfüllt. Christus wird fast wie ein Schlafender gezeigt, wie ein Mensch, der sich in sein unabwendbares Schicksal fügt, „überzeugt“ und gleichzeitig getröstet vom Engel, der den Kelch bringt, während die Jünger zu Füßen dieses Geschehens schlafen und in Bildmitte links die Häscher auftauchen. An der Eingangswand hängen koloristisch reizvolle Bilder von Diziani. Besonders hübsch und originell ist die Flucht nach Ägypten links oben, die hier unter dem Schutz von zwei prachtvollen Engeln auf einem Schiff bewerkstelligt wird.

 

Im Chor, der über einer Krypta erhöht ist, sind hochinteressante Fragmente einer Chorschranke von 1488 aufgestellt, deren Entwurf Pietro und Tullio Lombardo zugeschrieben wird. Die örtliche Beschriftung spricht dagegen nur von einer bottega lombarda und datiert die Apostelstatuen in das Jahr 1480. Ein schönes Werk ist der Hochaltar, der 1613 begonnen und wohl erst 1656 fertiggestellt wurde. Das Tabernakel, das von einem gewaltigen Triumphbogen überfangen und gerahmt wird, ist edel proportioniert. In den beiden seitlichen Intervallen stehen große Statuen von Campagna, die die hll. Markus und Klara darstellen. Sie sind aus patiniertem Holz gearbeitet, also in einer Technik, die Bronze vortäuschen soll. Vor dem letzten Seitenaltar links findet sich die Grabplatte für Giovanni Gabrieli (1557–1612), Kapellmeister von S. Marco, bedeutender Komponist des Frühbarock und Lehrer von Heinrich Schütz.

Es wird berichtet, dass 1594 eine Marietta da Leze, Witwe von Gerolamo Bragadin, dann erneut verheiratet mit einem Carlo Foscari, in S. Stefano beigesetzt wurde. Wenig später jedoch erwachte sie aus ihrem todesähnlichen Schlaf. Zu ihrem Glück befanden sich einige Novizen des Konvents in der Nähe ihrer Gruft, so dass ihre Rufe bemerkt wurden und sie gerettet werden konnte. Zum Dank verfügte sie, dass alle zwei Jahre zehn Brüder des Konvents auf Kosten der von ihr eingerichteten Stiftung eingekleidet werden sollten. – In der Geschichte Venedigs gab es mehrere Fälle von Scheintod, die ihren Niederschlag auch in den Legenden der Stadt fanden.

Zurück zum Campo S. Stefano: Inmitten des Platzes steht das Denkmal für Niccolò Tommaseo (1802–74), der am Aufstand von 1848 gegen die Österreicher teilnahm. „In einer mutigen Rede in der Akademie wandte sich der Dichter, Romancier, Lyriker, Lexikograph, Verfasser pädagogischer und politischer Streitschriften 1847 gegen die Zensur des österreichischen Stadtregiments von Venedig.“ (Maurer). 1849 musste er fliehen und starb schließlich in Florenz. Der Bildhauer gestaltete den Stabilisator der Statue als Bücherstapel, „Dante“ und „Omero“ (Homer) ist auf den Buchrücken zu lesen. Dieser Bücherpfeiler scheint unter dem Mantel Tommaseos hervorzukommen, Grund für die Venezianer, das Ganze respektlos als caccalibri („Bücherscheißer“) zu bezeichnen.

Weiter links ragt der langgestreckte Palazzo Loredan in den campo hinein. Die Familie der Loredan führte sich bis auf den Römer Mucius Scaevola zurück. Zwar nannten sich dessen Nachfolger zunächst Mainardi, erhielten aber nach mehreren gewonnenen Schlachten den Beinamen Laureati, was zu Lauretani und weiter zu Loredani verändert wurde. In diesem Palast wohnte Leonardo Loredan, Doge von 1501 bis 1521, unter dem nach dem Krieg gegen die Liga von Cambrai Venedigs politischer Abstieg begann und den Giovanni Bellini herrlich porträtiert hat (das Bild hängt heute in der National Gallery, London). Die lange Front mit dem großen Fenster im Obergeschoss baute Scarpagnino, die zierliche Fassade zum Platz hin stammt von Giovanni Grapiglia (1618). Ursprünglich war der Palast mit Fresken von Salviati bemalt. Seit 1891 beherbergt er das Istituto Veneto degli Scienze, Lettere ed Arti und dessen Bibliothek von etwa 200.000 Bänden.

Dem Palazzo Loredan gegenüber weitet sich der campo zu einem zweiten Platz, an dem sich der riesige Palazzo Pisani erhebt. Mit seinem Bau wurde 1614/15 begonnen, also zu einer Zeit, in der es keine herausragenden Architekten gab. In Anbetracht dessen beschloss der Bauherr Alvise Pisani, seinen Palast ohne benennbaren Baumeister errichten zu lassen und stützte sich stattdessen auf die Erfahrung bewährter Handwerker. Die Fassade hat zwar gewaltige Dimensionen, ist aber nicht geglückt, sondern wirkt eigenartig wackelig. 1728 wurde der Palast unter Francesco Frigimelica aufgestockt und erweitert. Er wurde später im Inneren oft umgebaut und den Bedürfnissen der Bewohner angepasst. Nur der Teil am Campo Morosini wurde noch bis 1880 von der Familie bewohnt, die in diesem Jahr in der männlichen Linie ausstarb. 1940 wurde der gesamte Palast Sitz des Konservatoriums, das schon seit 1880 einige Räumlichkeiten benutzte. Der Palast kann nicht besichtigt werden. Wandelt man über den campiello, so dringen oft brillant gespielte Kaskaden von Tönen aus den Fenstern. Nach dem Untergang der Republik wurde das Gebäude des größten Teils seiner kostbaren Ausstattung beraubt, abschnittsweise verkauft und auch in Mietwohnungen umgewandelt. Nur noch in den Räumen der Direktion gibt es ein paar verschlissene Reste der alten Wandbespannungen. Daneben existiert noch ein erstaunlich intakter zweistöckiger Ballsaal, der an ein Kapitel in Lampedusas „Il Gattopardo“ denken lässt.

Links neben dem Palazzo Loredan wendet die Kirche S. Vidal (oder San Vitale) ihre Fassade schräg gegen den campo, wodurch eine besonders eindrucksvolle, kulissenhafte Wirkung entsteht. Die Säulenfront stammt von Andrea Tirali (1700), der sich der Formensprache Palladios bediente und sich stilistisch insbesondere an dessen Kirche S. Giorgio Maggiore anlehnte. Die Kirche selbst wurde im 12. Jahrhundert gegründet und im 18. Jahrhundert von Gaspari neu errichtet. Der campanile stammt dagegen aus dem 13. Jahrhundert. Lange war die Kirche geschlossen, Ausstattung bzw. Gemälde waren verstreut. Jetzt ist sie wieder zugänglich und dient für Ausstellungen und Konzerte. Der schlichte Saalraum, dessen Besuch sich in jedem Falle lohnt, besitzt ein Muldengewölbe, in das vier Thermenfenster eingeschnitten sind. Die Wände sind durch kraftvolle korinthische Halbsäulen gegliedert, zwischen denen Altäre stehen, das Gebälk ist kräftig verkröpft. Über den Altären hängen jetzt wieder einige sehr schöne Gemälde. Erwähnt sei am dritten Altar rechts ein Gemälde Piazzettas, der Erzengel Raphael mit den hll. Antonius von Padua und Ludwig aus dem Jahre 1730. Es ist in den schönen erdigen Tönen gemalt, die Piazzetta besonders liebte. Auf dem Hochaltar steht ein in leuchtenden Farben gehaltenes Gemälde Carpaccios von 1514, Der heilige Vitalis und acht Heilige, gestaltet in streng symmetrischer Komposition und mit fast aufdringlicher Anwendung kompositorischer Gesetze (der sogenannten „Drittelregel“, dies sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Richtung). Bei den anderen Gemälden von geringerer Bedeutung mag man an Jakob Burckhardts Wort denken, als er einem Freund schrieb: „… wenn Du wieder in Zürich bist und der Schnee fällt, dann wärest Du froh, wieder vor einem Altarblatt fünfter Ordnung stehen zu können.“

Rechts gegenüber der Kirchenfassade ragt der neugotische, recht eigenartige Anbau des mächtigen Palazzo Cavalli Franchetti aus einem Garten (Franchetti war auch Besitzer der Ca’ d’Oro und rettete diese vor dem Untergang). Auch dieser Palast befindet sich im Besitz des Istituto Veneto di Scienze Lettere ed Arti und wird seit 2005 für Ausstellungen genützt. Für den Besucher hält das Gebäude einige Überraschungen bereit. Schon das Treppenhaus bereitet einiges Erstaunen, denn es entspricht stilistisch dem neugotischen Anbau – und beinahe könnte man versucht sein, von einem venezianischen Neuschwanstein zu sprechen: Alles ist üppig, bunt, überladen, formal nicht geklärt. Die Räumlichkeiten des alten Teils des Palastes sind weitgehend verändert und größtenteils ebenfalls neugotisch umgestaltet. Sie besitzen kostbare intarsierte Parkettfußböden, die für sich gesehen sehr schön sind, in einem venezianischen Palazzo aber unpassend wirken. Der östlich vom Portego gelegene Raum hat noch einen reich verzierten und vergoldeten Soffitto aus der Renaissance, und in einigen Räumen hängen prächtige Murano-Leuchter. Das Schönste an dem Palast ist zweifelsohne seine wundervolle Fassade, die sehr gut von der Accademia-Brücke aus zu überblicken ist. Die ist mit ein paar Schritten zu erreichen, und von ihrem Scheitel bieten sich herrliche Blicke über den Canal Grande bis zur Salute-Kirche auf der einen, bis zur Ca’ Rezzonico auf der anderen Seite und ebenso über die Dächer des Dorsoduro.

Von der Mitte des Campo S. Stefano zweigt die Calle del Spezier nach Osten ab und führt in Blickrichtung des Denkmals gemäß der Wegweisung nach S. Marco.

An der Ecke dieser calle zum campo befand sich früher eine Apotheke. Vor dem jetzigen Geschäft sind im Pflaster des Platzes ringförmige Vertiefungen zu sehen, für die es zunächst keine rechte Erklärung gibt. Der Überlieferung nach rühren sie von großen Mörsern her, die hier im 18. Jahrhundert standen und bei der Zubereitung der bereits erwähnten venezianischen Spezialität dieser Zeit benutzt wurden, der sogenannten Teriaca Fina di Venezia, auch einfach Teriaca genannt.

Die erste Brücke nach der Calle del Spezier heißt Ponte S. Maurizio, von der aus zu sehen ist, wie der rio die Apsis von S. Stefano unterquert. Die Gasse führt, kurz bevor sie sich zum Campo S. Maurizio öffnet, an der früheren Scuola degli Albanesi vorbei, deren Fassade Reliefs aus dem Jahre 1540 trägt. Der Campo S. Maurizio wird von hohen, strengen, überwiegend gotischen Palastfassaden umstanden. Der Palast an der Ecke stammt aus dem 16. Jahrhundert und trug Fresken Veroneses, die heute verloren sind. Alessandro Manzoni, der Dichter der „Promessi sposi“ wohnte hier 1803–04.

Auch auf einen Giorgio Baffi, der außerhalb Venedigs wohl weitgehend unbekannt ist und der hier 1694–1768 lebte, verweist eine Inschrift. Sie bezeichnet ihn als „poeta dell’amore, che ha cantato con la massima libertà e con grandiosità di linguaccio – Dichter der Liebe, der mit größter Freiheit und der Großartigkeit eines Lästermauls geschrieben hat“. Tatsächlich sind seine überwiegend erotischen Gedichte, die er im venezianischen Dialekt verfasst hat, außerordentlich freizügig. Guillaume Apollinaire bezeichnete den Autor der Gedichte als „le plus grand poète priapique – größten Dichter der Fruchtbarkeit“. Baffis Werke waren sehr bekannt und wurden „in allen Cafés vorgetragen“ (Corto Maltese). Heute soll ihre Beliebtheit völlig unvermindert sein – allerdings sind sie wohl nur Muttersprachlern zugänglich.

Die 1806–26 erbaute Kirche S. Maurizio stellt nach Meinung der Mehrzahl der Autoren eine Replik der Sansovino-Kirche S. Geminiano dar, die der Ala Napoleonica an der Piazza weichen musste. Nach anderen Quellen (Brusegan) waren Antonio Diedo und Gianantonio Selva die Architekten. Die Kirchengründung geht bis auf das 9. Jahrhundert und die Familie der Candiano zurück. Ein Vorgängerbau von 1560 wurde 1806 abgerissen. Das jetzige Gebäude entstand in den Jahren bis 1828. Die Kirche ist heute profaniert und enthält ein kleines Museum alter Musikinstrumente. Der Raum zeigt den Typus der Kreuzkuppelkirche in reinster Form und ist so ausgewogen und harmonisch, dass man ihn fast melodisch nennen möchte. Er ist von einem feinen Schwingen beseelt, das von den vertikal und horizontal verlaufenden Bögen ausgeht. Besonders belebend wirken die mächtigen Dreiviertelsäulen, die die zentrale Pendentiv-Kuppel tragen.

Weiter in Richtung S. Marco liegt der Campo S. Maria Zobenigo (oder S. Maria del Giglio). Die Namen erinnern an das ausgestorbene Gründergeschlecht der Jubanico, beziehen sich aber auch auf die Lilie, mit der der Erzengel Gabriel vor Maria erscheint. Die

► Kirche S. Maria del Giglio (San Zobenigo)

ist dem Geheimnis der Verkündigung geweiht. Sie geht auf das 9. Jahrhundert zurück und wurde mehrfach, zuletzt im 17. Jahrhundert, komplett umgestaltet. Die Familie der Barbaro hat die Kirche in dieser Zeit mit großen Stiftungen bedacht und finanzierte auch die von Giuseppe Sardi entworfene Fassade. Diese Schaufront ist ungewöhnlich dadurch, dass ihre Statuen nicht wie üblich Heilige, sondern vielmehr Angehörige der Familie Barbaro darstellen. Auch die Reliefs mit Plänen venezianischer Festungen (so z. B. die von Zara, Padua, Korfu, Spalato) nehmen auf diese Familie Bezug, die dort Besitzungen hatte. Den plastischen Schmuck der Fassade schuf Justus le Court. Sie wird durch kräftige Säulenpaare und klar gezogene Gesimse gegliedert, ein Motiv, das vom römischen Barock übernommen wurde. Der Innenraum ist ein schlichter Saal mit jeweils drei flachen Seitenkapellen und hohem, einteiligem Presbyterium.

 

Ausstattung: Zu beiden Seiten des Haupteingangs hängen vier Sibyllen Salviatis, weiter rechts an der Eingangswand ein Auferstandener Christus von Giulio del Moro aus dem 16. Jahrhundert. Dahinter ist ein kleines Relief Hl. Hieronymus in der Felsengrotte zu sehen, das Pietro Lombardo zugeschrieben wird. Nach dem ersten Seitenaltar findet sich der Eingang zur Cappella dei Molin, über deren Türe eine Büste eines Gerolamo Molin von Vittoria zu sehen ist; auf dem Altar der Kapelle steht eine schöne Pietà von del Moro. Vor der Rückwand der Kapelle ist eine Heilige Familie von Peter Paul Rubens aufgestellt, das einzige Gemälde des Malers in Venedig. Es ist „ein Bild mit leuchtender Körperlichkeit der Figuren“, wie es in dem Führer des Chorus-Projekts heißt. Trotz dieser klangvollen Beurteilung gehört das Bild sicher nicht zu den stärksten Werken des Malers. Den Höhepunkt der Ausstattung stellen die ehemaligen Orgelflügel dar, die von Tintoretto mit Darstellungen der vier Evangelisten bemalt wurden und die sich im Presbyterium befinden. Es handelt sich um Frühwerke aus dem Jahre 1550, die noch aus der manieristischen Phase des Künstlers stammen, weshalb Posen und Bewegungen der Figuren etwas gesucht und gewaltsam wirken. An den Wänden des Presbyteriums stehen Grabmäler der Contarini, von denen das für einen Giulio Contarini auf der linken Seite eine sehr schöne Portraitbüste von Vittoria besitzt.

Von der Kirche aus führt ein kurzer Weg zum Canal Grande. Eine schöne Aussicht bietet die Terrasse des Hotel Gritti, das auf der linken Seite des campo liegt.

Vom Campo S. Maria del Giglio zog sich im 10. Jahrhundert eine lange Mauer bis hin nach S. Pietro di Castello, die unter dem Dogen Pietro Tribuno (888–912) errichtet wurde. Vom Eckpunkt der Mauer konnte bedarfsweise eine Kette hinüber nach S. Gregorio auf dem Dorsoduro gespannt werden, durch die der Canal Grande gegebenenfalls abgesperrt und geschützt werden konnte. Diese Befestigungsanlagen, von denen heute nichts mehr erhalten ist, wurden letztmals 1380 im Krieg gegen die Genuesen eingesetzt. Es existiert hier seit Jahrhunderten eine Fährstation, ein traghetto, das zum Dorsoduro übersetzt. Es heißt auch, dass früher hier einmal eine Jungfrau lebte, die den Dienst der Fährleute verschmähte, weil sie einfach über den Canal Grande hinwegzuschreiten vermochte.

In der Pfarrei von S. Maria del Giglio lebte einst der Patrizier Michele Steno, dem die Legende eine wesentliche Rolle im Drama um den Dogen Marino Falier zuschreibt. Die Geschichte dieses Dogen ist bekannt, weniger sind es jedoch die Hintergründe, die zu dessen Verschwörung und damit zu seiner Hinrichtung geführt haben sollen. Es wird erzählt, dass Steno 1355 an einem vom Dogen veranstalteten Ball teilnahm. Bei dieser Gelegenheit machte er einen Scherz, den ihm der Doge so übel nahm, dass er ihn des Festes verwies. Steno rächte sich für diesen Eklat mit einem Spottvers: „Marin Falier mit der schönen Frau, andere genießen ihre Gunst, aber er kommt für sie auf“ (zum besseren Verständnis sei gesagt, dass die Dogaressa wesentlich jünger als der Doge war). Verständlicherweise war Falier wegen dieses seine Ehre beleidigenden Verses aufgebracht. Er strengte deshalb ein Verfahren gegen Steno an und wollte auf diese Weise eine strenge Bestrafung erreichen, konnte sich aber bei der Signoria nicht durchsetzen. Da sich Falier somit auf legalem Weg nicht an Steno rächen konnte, verfiel er auf die Idee, die unumschränkte Macht im Staate an sich zu reißen, um dann freie Hand zu haben. So zettelte er eine Verschwörung an, die aber entdeckt und derentwegen der Doge nach kurzem Prozess hingerichtet wurde. – Michele Steno wurde viel später selbst Doge (1400–13).

Nach der nächsten Brücke biegt der Weg nach links ab, um sich dann nach rechts zur breiten Calle Larga XXII Marzo zu erweitern. Deren gänzlich unvenezianischer Stil lässt erkennen, dass sie erst nach der Zeit der Republik entstanden ist. Am 22. März 1848 wurde der Kommandant des Arsenals von den Werftarbeitern ermordet, eine Tat, die der entscheidende Anlass zum Ausbruch der Revolution war, die noch am gleichen Tag zur Kapitulation der Österreicher und zur Ausrufung einer provisorischen Regierung Venedigs führte. Von hier leitet die erste Gasse links (Calle del Sartor da Veste) zu der gleichnamigen Brücke in die Calle del Caffetier und weiter auf den Campo S. Fantin mit der gleichnamigen Renaissancekirche und dem weltberühmten

► Teatro la Fenice

Das Fenice stammt aus den letzten Jahren der Republik und wurde 1792 nach einem ersten Brand des Vorgängerbaus eingeweiht. Neben der Mailänder Scala und dem Teatro San Carlo in Neapel gehört es zu den drei bedeutendsten Häusern Italiens. Zahlreiche Komponisten führten hier ihre Werke auf, unter ihnen Donizetti und Rossini, und es gab nicht weniger als fünf Uraufführungen von Opern Giuseppe Verdis.

In diesem Zusammenhang gibt es die hübsche Geschichte von der Arie „La donna è mobile“ aus dem Rigoletto. Verdi hielt sie bis zur Uraufführung geheim, auch vor den Musikern, um sie nicht vorzeitig zum Gassenhauer der Gondolieri werden zu lassen, wie es später dann geschah.

1836 brannte das Theater zum zweiten Male ab, um alsbald in erstaunlich kurzer Zeit, genauer in nur einem Jahr, wieder zu erstehen – wie der „Phönix aus der Asche“, wovon sich der Name Fenice ableitet. Nach dem letzten Brand vom 29. Januar 1996 geschah außer der Errichtung gewaltiger Gerüste und reichlichen Streitigkeiten über Jahre nichts, obwohl der damalige Bürgermeister die Wiedereröffnung „zur Jahrtausendwende“ zugesagt hatte. Böse Zungen spotteten, er habe nicht gesagt, welche Jahrtausendwende er denn damit gemeint habe. Im Dezember 2003 waren die Arbeiten dann aber soweit fortgeschritten, dass eine inaugurazione, eine Eröffnung, stattfinden konnte, allerdings nur mit einem Orchesterkonzert, da das Haus noch lange nicht fertig war. Eine erste Opernaufführung fand im November 2004 statt.

Immerhin sollen die geleisteten Arbeiten mit der Wiedergabe einiger Zahlen gewürdigt werden: Gekostet hat der Wiederaufbau 89 Millionen Euro. Es wurden 4.700 qm Marmor verlegt, 3.225 qm in Gips ausgeführte Rahmen angebracht, von denen 1.300 qm mit 12.000 Blattgoldblättern vergoldet wurden. Weiterhin wurden 700 qm Schnitzarbeiten ausgeführt, 600 qm Papiermaché und 4.000 m Stoff verarbeitet, 172 km elektrische Kabel und 2.500 qm Steinfußboden verlegt. Insgesamt waren 8.000 Bootstransporte erforderlich, um die Materialien anzuliefern. Bei der Restaurierung fanden nur alte handwerkliche Techniken Anwendung. Der Besuch des Innenraums ist lohnend.

Dem Theater gegenüber liegt der schwer überschaubare, fast abweisende Bau der Kirche S. Fantin mit strenger Fassade und glatten, grauschwarzen Steinflächen, „wie ein in die Stadt hineingesprengter Meteor“ (Hubala). Er wurde 1507–49 von Scarpagnino begonnen und bis 1564 von Sansovino vollendet, der das Presbyterium errichtete. Leider ist eine Besichtigung kaum möglich. Der Innenraum stellt eine Variante der venezianischen Kreuzkuppelkirchen-Architektur dar, die hier um ein Presbyterium mit vier schönen korinthischen Freisäulen in den Ecken sowie einer Apsis mit fünf Fenstern erweitert ist. Diese sind von außen weitgehend verstellt, so dass die vom Architekten gewünschte Lichtsituation verändert und das Innere recht dunkel ist. Interessant ist das Motiv der Freisäulen in den Ecken des Presbyteriums, das ursprünglich aus antiken römischen Bauten stammt. Erstmals taucht es in Venedig in S. Marco (im tesoro) auf. Später greift es Palladio wieder auf, beispielsweise in S. Giorgio Maggiore und im Redentore.

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