Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden

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An der Wand der linken Trabantenkapelle hängt das Bild Christus in Emmaus, dessen Zuschreibung unsicher ist. Die örtliche Beschriftung lässt offen, ob es von Bellini oder von Carpaccio oder möglicherweise auch von einem Nachfolger Bellinis gemalt wurde. Die Skulpturen des ersten Seitenaltares im linken Seitenschiff stammen von Vittoria. Besonders schön ist der Sebastian, ein Spätwerk des Künstlers. Es verzichtet auf die häufig anzutreffende Darstellungsweise, bei der Sebastian gewissermaßen unbeteiligt und unbeeindruckt von den Pfeilen sein Martyrium erleidet. Hier wird vielmehr mit allem Realismus gezeigt, wie qualvoll es für einen Menschen ist, von einem Pfeil in die Brust getroffen zu werden. Die Architektur des anschließenden Seitenportals sowie der Orgelprospekt darüber stammen von Sansovino. Die großen Flügel des Orgelprospektes malte 1530 Francesco Vecellio, der Bruder Tizians.

An der Wand links neben dem hinteren Kuppelraum befindet sich ein Grabmal für zwei Dogen, die Brüder Lorenzo (1556–59) und Girolamo (1559–67) Priuli. Sie regierten somit unmittelbar nach Francesco Venier, dessen Grabmal schräg gegenüber steht. Dem Künstler (Cesare Franco) standen gleiche räumliche Voraussetzungen zur Verfügung, so dass sich ein Vergleich mit Sansovinos Werk anbietet. Ist bei diesem das Verhältnis zwischen Architektur und Skulpturenschmuck ausgewogen, so besitzt die Architektur beim Priuli-Monument ein deutliches Übergewicht. Außerdem ist hier der Reichtum der Farben des Materials zugunsten der Wirkung von grauem und schwarzem Marmor aufgegeben. Durch die Notwendigkeit, zwei gleichwertige Achsen zu gestalten, erhält das Monument eine entschiedene Betonung der Vertikale. Sie wird durch vierzehn kraftvolle Säulen bestimmt, die in zwei räumlich voneinander abgesetzten Ordnungen stehen. In den unteren Interkolumnien sieht man die Liegefiguren der Dogen in fast identischer Gestaltung. Oberhalb des kräftigen Architravs stehen die Figuren der Namenspatrone Laurentius links und Hieronymus rechts. Bei der Gestaltung des Grabmals konnte sich Franco auf keine architektonischen Vorbilder beziehen. Es handelt sich somit um ein singuläres Werk, das in seinem Gesamteindruck nicht die Ruhe und Geschlossenheit des Venier-Monuments ausstrahlt, sondern trotz seiner Schwere eher etwas instabil wirkt. Die beiden Dogen waren im Übrigen schon vor Vergabe des Auftrages (1569) in einer heute nicht mehr existierenden Kirche beigesetzt worden. Die Ausführung des Grabmals zog sich hin, es wurde erst 1603/04 vollendet.

Links neben dem Hauptportal der Kirche liegt der Eingang zu den früheren Klostergebäuden mit zwei schönen Kreuzgängen, die in recht nüchternem Renaissancestil gehalten sind. Dabei stellt man fest, dass S. Salvatore auch einen Campanile besitzt, der sonst nur von einem einzigen Punkt auf dem Campo San Luca aus zu sehen ist.

Schräg links gegenüber der Kirche erhebt sich die mächtige zweigeschossige Fassade der ehemaligen Scuola Grande di S. Teodoro, die zusammen mit S. Salvatore ein eindrucksvolles Ensemble bildet. Die Scuola ist vermutlich ältesten Ursprungs und geht auf die Zeit zurück, zu der der hl. Theodor der erste Schutzpatron der Stadt war. Sie ist erstmals im Jahre 1258 dokumentarisch erwähnt. Das jetzige Gebäude entstand in den Jahren 1578–1608, um bis 1671 noch mehrfach verändert zu werden. 1806 wurde die Scuola aufgehoben, 1960 erfolgte die Neugründung der Bruderschaft, die den architektonisch eher unbedeutenden Innenraum heute überwiegend für Konzerte und Ausstellungen zur Verfügung stellt.

Von der Kirchenfassade etwas nach rechts versetzt steht ein Säulenmonument aus dem 19. Jahrhundert. Es trägt die Inschrift „XXII Marzo 1848“ und erinnert somit an den Beginn des Aufstandes der Venezianer gegen die österreichische Besatzung.

Nach kurzem Weg durch eine der Schneisen, die nach 1797 in den Stadtorganismus geschlagen wurden, gelangt man zum Campo S. Bartolomeo. Dieser ist meist sehr belebt, allein schon dadurch, dass sich hier zwei Hauptverkehrsadern der Stadt kreuzen (von S. Marco zur Rialtobrücke und von der Accademia Richtung Bahnhof). Er ist außerdem ein bevorzugter Treffpunkt der Jugend. In der Mitte lächelt Goldoni, der Dichter zahlloser Komödien, weise von seinem Denkmalsockel herab. „Das Denkmal Goldonis ... macht einen gesunden, lebendigen und sehr drolligen Eindruck. Wie der Mann da stockschwingend spazieren geht, bezopft, im Dreispitz: Keck, launig, lachend, und am geschwungenen Röckchen die Spuren der Zudringlichkeit vieler Hundert venezianischer Tauben, gehört er unter das Volk, das ihn rauchend und schwatzend in Alltagstracht umgibt“, sagt Gerhard Hauptmann. Links führt die Salizada Pius X. zur Rialtobrücke. Sie ist heute mit Verkaufsständen fliegender Händler verstellt.

In der Nacht vom 12. zum 13. Mai 1797 gab es hier wilde Ausschreitungen der Bevölkerung gegen diejenigen Patrizier, die die Stadt den Franzosen ausgeliefert hatten. Dabei wurden auch deren Paläste geplündert, und es kam zu Übergriffen auf Unschuldige. Daraufhin ließ ein gewisser Bernardino Renier ein paar Kanonen oben auf der Rialtobrücke in Stellung bringen, um ein Vordringen der Plünderer auf die andere Seite des Canal Grande zu verhindern. Schließlich wurden einige Salven abgefeuert, und die Salizada war mit blutüberströmten Leichen bedeckt. Die letzten Schüsse der Kanonen von San Marco trafen also die Söhne der eigenen Stadt.

Die Kirche S. Bartolomeo, die frühere Hauskirche der Deutschen, ist profaniert und wird heute für Konzerte und Ausstellungen (seit einigen Jahren eine Musikinstrumenten-Ausstellung) benützt. Während die Kirche selbst weitgehend unbedeutend ist, so ist ihr Campanile, den Giovanni Scalfurotto in den Jahren 1747–54 erbaut hat, wichtig für das Stadtbild und ein kräftiger Akzent zu Füßen der Brücke (die zur Zeit der Republik als einzige den Canal Grande überspannte).

Am Fuß des Ponte di Rialto ist an einem der Bögen, die die Schaufenster übergreifen, ein vergoldeter männlicher Kopf zu sehen, mit dem sich zunächst nichts verbinden lässt. Bis zum Jahre 1996 befand sich hier, wo heute touristische Artikel und Glaswaren verkauft werden, die traditionsreiche Spezeria alla Testa d’Oro, also eine Apotheke. Wen der Kopf darstellt, ist unbekannt, möglicherweise ist es das Portrait eines Besitzers der Apotheke im 16. Jahrhundert, vielleicht stellt er auch Mithridates (den König von Pontos) oder Andromachus den Älteren (den Leibarzt Kaiser Neros) dar. Der Kopf wurde 1997 renoviert. Die Apotheke war in der Stadt die berühmteste unter denen, die teriaca herstellten, eine pharmazeutische Spezialität, die an der Grenze zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie angesiedelt war und eine erstaunlich lange Tradition besaß.

Kein anderes pharmazeutisches Präparat konnte sich über einen so langen Zeitraum auf dem Markt halten. Der Name Theriak kommt vom griechischen Wort theriaké oder auch vom indoeuropäischen therion, was „giftiges Tier“ bedeutet. In Ägypten wurden schon im 3.– 4. Jahrhundert v. Chr. ähnliche Rezepturen zubereitet, die bis zu vierzig verschiedene Zutaten beinhalteten und letztlich eine Mischung von Antidoten waren. Mithridates, König von Pontos, hatte wohl berechtigte Sorgen, Opfer eines Giftanschlages zu werden und somit das gleiche Schicksal wie viele seiner Standeskollegen zu erleiden. Um gegen solche Attentate gewappnet zu sein, ließ er 63 v. Chr. ein Präparat auf der Basis altägyptischer Rezepturen herstellen, diese jedoch um einige Zutaten auf nunmehr 54 Bestandteile erweitern. Als Pompeius der Große Pontos erobert hatte, fand er das von Mithridates eigenhändig aufgezeichnete Rezept und brachte es mit nach Rom. Andromachus der Ältere, der Leibarzt des Kaisers Nero, erweiterte die Rezeptur erneut, diesmal auf 64 Zutaten, zu denen als wichtiger Bestandteil Vipernfleisch gehörte. Die teriaca wurde auf diese Weise zu einem Allheilmittel. Es enthielt u. a. Rosen, Schwertlilien, Zimt, Ingwer, Myrrhe, Safran, schwarzen Pfeffer, Baldrian, alten Wein, Honig, Erde von der Insel Lemnos, eine immergrüne kretische Pflanze (dictamus) und Opium. Und außerdem, wie gesagt, das Fleisch von Vipern, die aus den Euganeischen Hügeln stammen und in den Monaten Juli und August gefangen worden sein mussten. Mit steigenden Umsätzen wurde es erforderlich, mehr und mehr auch auf andere Herkunftsorte, wie Vicenza, Verona, Trient, Treviso, das Friaul, schließlich sogar auf Istrien zurückzugreifen. Denn immerhin benötigten die Apotheken der Stadt bis zu 800 Schlangen pro Monat, deren Verarbeitung natürlich genau festgelegt war und auch überwacht wurde. Mit der teriaca wurde schwunghafter Handel betrieben, nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch über die Fernhandelswege Venedigs. Die Herstellung des Präparates erlosch mitnichten mit dem Untergang der Republik, sondern wurde noch bis weit ins 20. Jahrhundert gepflegt, allerdings mit einer vereinfachten Rezeptur. In den 1940er Jahren wurde die Beigabe von Opium verboten, wodurch die teriaca ihre schmerzstillende Wirkung einbüßte. 1904–57 wurde teriaca für die Firma Branca hergestellt, deren bekanntestes Produkt der „Fernet-Branca“ ist.

Am Ende des campo ragt links mit einer Ecke der Fondaco dei Tedeschi herein. Der Ausdruck fondaco kommt vermutlich aus dem Arabischen, hat aber seine ursprüngliche Wurzel im griechischen Wort pandocheion, was mit Herberge, Karawanserei oder auch mit „man nimmt alles“ übersetzt werden kann. Die Araber übernahmen den Begriff und machten funduq („Hotel“) daraus, ein Wort, das in verschiedene europäische Sprachen eingegangen ist (ital. fondaco, franz. fondigues, katalanisch fondech). Der Fondaco, vor dem man hier steht, diente den Kaufleuten aus den nördlich der Alpen gelegenen Ländern als Handelshaus und Herberge. Vorzugsweise stammten die Gäste natürlich aus dem Deutschen Reich, und die Vorstände dieser Einrichtung kamen meist aus Augsburg, Nürnberg und Regensburg. – Die Einrichtung von nationalen Handelshäusern durch die Republik hatte auch den Nutzen, den Handel bestimmter Volksgruppen zu überwachen und insbesondere das Eintreiben der Steuern zu kontrollieren. Neben dem Fondaco dei Tedeschi gab es flussaufwärts noch den Fondaco dei Turci. – Ein Fondaco ist hier erstmals im Jahre 1228 erwähnt. Dieses Gebäude brannte 1505 ab, wurde aber umgehend wiederhergestellt. Die Architektur wurde zunächst Pietro Lombardi zugeschrieben, bis ein Dokument gefunden wurde, das Giovanni Spavento und Antonio Abbondio, genannt Scarpagnino, als Baumeister nannte. Wie viele Paläste am Canal Grande, so war auch der Fondaco außen bemalt, und zwar von Giorgione (an der Wasserfront) und Tizian (an den Seitenfassaden). Die wenigen Reste, die sich davon erhalten haben, sind in der Galleria Franchetti in der Cà d’Oro und in der Accademia zu sehen. Der Bau hat, von außen betrachtet, etwas Klösterliches. Die Bruderschaft der Kaufleute war klösterlich organisiert, Frauen waren nicht zugelassen. Lebenswandel und insbesondere der Handel, den die Insassen trieben, wurden von Organen der Republik strikt überwacht. Handelsgeschäfte durften nur über venezianische Makler abgewickelt werden (das war ein recht einträgliches und deshalb sehr begehrtes Geschäft, auch Tizian hatte einen Maklerposten inne). Auch hatte der Fondaco eine eigene Zollstation. Interessant ist der große, früher offene Innenhof mit Brunnenkopf (pozzo) und in vier Reihen übereinandergestellten Pfeilerarkaden. Früher wurde das Gebäude als Hauptpostamt genutzt und es war möglich, die Etagen zu ersteigen und die wahrlich klösterliche Architektur mit zellenartigen Gemächern zu studieren. Nach jahrelangen Renovierungsarbeiten befinden sich in dem Gebäude nunmehr zahlreiche Luxusgeschäfte. Von größtem Reiz ist eine Dachterrasse, von der man einen hinreißenden Blick über den Canal Grande hat, der zu Füßen des Fondaco eine scharfe Kurve beschreibt.

 

Seitlich am Fondaco entlang verläuft die Calle del Fontego, die in ihrem letzten Stück Traghetto del Buso heißt, ein Name, der von der Lage dieses Abschnitts der calle kommen soll, die hier wie in einem Loch (buco) unter der Brücke eingeklemmt ist. Eine andere Erklärung ist interessanter. Einst wurden alle Prostituierten aus der Stadt verbannt, eine Anordnung, die aber auf Grund von Unruhen im Volk rasch widerrufen werden musste. „Als die Prostituierten wieder zurückkehrten, setzten viele an dieser Stelle über den Canal Grande, um wieder ihre Quartiere beim Rialto zu beziehen. So kam das Traghetto zu seinem Namen.“ (Giordani) Früher hieß es auch einmal Traghetto dei Ruffiani (das sind die Zuhälter – aber wer will in einer Straße mit diesem Namen heute wohnen?).

Am Seitenportal des Fondaco vorbei erreicht man den Canal Grande am Fuß des

► Ponte di Rialto (Rialto-Brücke)

Eine Brücke an dieser Stelle wurde erst relativ spät in der Geschichte der Stadt errichtet, anscheinend erstmals Ende des 12. Jahrhunderts, und zwar zunächst nur als Schiffsbrücke. Sie wurde Ponte del Quartarolo oder auch Ponte de la Moneta genannt, weil sie nur gegen Gebühren benützt werden konnte. 1265 hat man sie neu und diesmal schon auf Pfählen erbaut. 1310 durch die Kämpfe beim Bajamonte-Tiepolo-Aufstand schwer beschädigt, wurde sie umgehend restauriert. 1444 brach sie unter der Last der Schaulustigen, die auf ihr den Besuch der Herzogin von Ferrara verfolgten, zusammen. Der Neubau musste 1523 renoviert werden. Seine Konstruktion ist von zeitgenössischen Gemälden, vor allem von einem Bilderzyklus in der Accademia (Saal 20), bekannt. Der Mittelteil der Brücke konnte geöffnet werden, um größeren Schiffen, so auch dem bucintoro, die Durchfahrt zum Gästehaus der Republik, dem jetzigen Fondaco dei Turchi zu ermöglichen. In dieser Zeit wurden erste Überlegungen angestellt, hier eine Brücke aus Stein zu errichten. Es wurde deshalb ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich die herausragenden Architekten der damaligen Zeit wie Fra Giocondo da Verona, Michelangelo Buonarotti, Andrea Palladio, Giacomo Barozzi, genannt il Vignola, Jacopo Sansovino und Vincenzo Scamozzi beteiligten. Zwei Entwürfe Palladios sind überliefert. Der erste sah fünf Bögen sowie einen von vier Säulen getragenen, mittig angeordneten Pavillon vor. Der zweite sollte einen horizontalen Brückenverlauf bekommen, der von drei Bögen getragen wurde. Auch bei diesem Projekt sollte in der Mitte der Brücke ein großer, tempelartiger Pavillon entstehen, zusätzlich zwei weitere kleinere jeweils an den Seiten. Mit der Verwirklichung dieses Entwurfes hätte man die Tradition des venezianischen Brückenbaus verlassen, außerdem wären dabei erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz der Umgebung erforderlich gewesen. Zunächst erhielt Sansovinos Plan den Zuschlag. Doch der Beginn der Bauarbeiten verzögerte sich, dann kamen die Türkenkriege dazwischen, und schließlich starb Sansovino im Jahre 1570. Erst 1587 wurde das Projekt wieder ernsthaft in Angriff genommen. Schließlich erhielt ein Mann den Auftrag, der eher der zweiten Riege der Architekten angehörte, nämlich Antonio da Ponte, der 1588 mit dem Bau begann und ihn 1591 fertigstellte. Es wird überliefert, dass da Ponte sich stark an den verlorenen Entwurf Michelangelos angelehnt habe. Erwähnt sei, dass sich die Baukosten auf die astronomische Summe von 245.537 Dukaten beliefen. Um eine Vorstellung von der Höhe dieses Betrages zu bekommen, muss man sich vergegenwärtigen, dass 1.000 Dukaten für eine Familie ausreichend waren, um ein Jahr lang einen Palast zu unterhalten und üppig zu leben; ein normaler Arbeiter verdiente etwa 12 Dukaten im Jahr. Die Brücke hat eine Spannweite von mehr als 28 m und ist etwa 7,5 m hoch. Um das große Gewicht und den gewaltigen Schub auffangen zu können, war es erforderlich, mehr als 12.000 Stämme in den Boden zu rammen.

Man kann die Brücke sowohl von der Ecke des Fondaco dei Tedeschi als auch von der nach links gelegenen Riva del Ferro gut betrachten. Sicher gibt es kaum ein Bauwerk der Stadt, das einen derartigen Bekanntheitsgrad erreicht hat wie die Rialtobrücke, sie ist das Symbol Venedigs schlechthin geworden. Dabei ist sie eigentlich ein ganz einfacher Zweckbau, der nicht nur dem Verkehr zu Lande und auf dem Wasser, sondern sehr wesentlich auch dem Handel diente. Wie der Ponte Vecchio in Florenz, so ist auch der Ponte di Rialto mit einer ununterbrochenen Reihe von Läden zu beiden Seiten der mittleren Haupttreppe besetzt, und zwar mit jeweils zwölf Kaufläden. An den Rückseiten dieser Läden verlaufen beidseits weitere Treppenrampen, die von kräftigen Balustraden gesäumt sind. Von diesen aus öffnet sich der Blick über die Wasserbahn des Canal Grande. Wie viele andere Brücken der Stadt besitzt auch die Rialtobrücke in ihrer Mitte eine ebene Plattform, die hier durch rustizierte Rundbögen und einen Dreiecksgiebel herausgehoben ist. Die Brücke entstand unter dem Dogen Pasquale Cicogna, dessen Wappen auf beiden Seiten in den Bogenzwickeln zu sehen ist. Sie hat auch eine plastische Ausstattung erhalten: Im Bogenscheitel der Südfassade sieht man den Hl. Geist, links und rechts davon in Ufernähe die Figuren einer Verkündigung; auf der Nordseite ist der Markuslöwe mit den hll. Markus und Theodor dargestellt. „Die Brücke ist das Ergebnis einer fast 100 Jahre umspannenden Planungs- und Prüfungstätigkeit, die langsam aber zäh alle Momente ausschied, welche der besonderen venezianischen Architekturtradition des Brückenbaus entgegenstanden, während gleichzeitig alle jene Züge geklärt und hervorgebildet wurden, die Zweck, Sinn und Würde dieses Bauwerks fördern konnten“, sagt Hubala, der die Brücke als ein städtebauliches Monument ersten Ranges und als ein Symbol venezianischer Baukunst bezeichnet.

Ganz reibungslos scheint die Errichtung der Brücke jedoch nicht vonstattengegangen zu sein, was sich aus einer Legende ergibt: Beim Bau der jetzigen Brücke aus Stein und mit nur einem einzigen Bogen kam es zu Schwierigkeiten. Alle Versuche, den Plan Antonio da Pontes zu realisieren, scheiterten, da alles, was die Handwerker tagsüber erbauten, in der Nacht wieder einstürzte und nur die Gerüste verhinderten, dass die Steine in den Canal Grande fielen. Der Baumeister war ein gewisser Sebastiano Bortoloni. Der stammte aus guter Familie, war ein ernsthafter Arbeiter und wollte sich mit dem Bau der Brücke den Weg in eine erfolgreiche Zukunft ebnen, dies umso mehr, als seine Frau Chiara binnen kurzem ein Kind erwartete. Weil die nächtlichen Unfälle nicht abrissen, beschloss Sebastiano, sich des Nachts auf die Lauer zu legen und zu beobachten, was denn da geschehe. Um Mitternacht hörte er einen gewaltigen Lärm, und ein großes Stück des Brückenbogens stürzte ein. Der junge Baumeister erstarrte zu Eis, als er gleichzeitig hinter seinem Rücken ein heimtückisches Lachen hörte. Er drehte sich um und sah sich einer hohen männlichen Gestalt gegenüber, die in einen schwarzen Mantel gehüllt war. Das war der Teufel, der sich an Sebastiano mit den Worten wandte: „Du mühst dich vergeblich ab. Kein Mensch wird es je schaffen, diese Steinbrücke zu errichten. Doch wenn du willst, so helfe ich dir. Aber natürlich ist dafür ein Preis zu bezahlen“. „Was willst du für deine Hilfe“, fragte der Mann, „willst du meine Seele“? „Nicht deine Seele“, erwiderte der Teufel, „dafür aber die des ersten Lebewesens, das die Brücke überquert, wenn sie fertig ist“. Der junge Mann überlegte nicht lange und willigte ein. Denn er war überzeugt, dass es ihm gelingen werde, den Teufel hereinzulegen. Die Arbeiten gingen voran, der Teufel hielt sein Wort, alles blieb intakt und die Brücke wurde rasch fertig. In der Zwischenzeit hatte Sebastiano die Idee, sich einen Gockel in einem Korb zu besorgen. Der Teufel hatte nämlich nicht ausdrücklich davon gesprochen, dass es ein Mensch sein müsse, der die Brücke zuerst überquert. Den Hahn wollte er am nächsten Morgen auslassen und so den Teufel betrügen. Dazu hatte er strikte Anweisung gegeben, dass niemand über die Brücke gehen dürfe. Doch der Teufel war schlauer als er. Er verkleidete sich als Maurer, klopfte an die Haustür der Familie des Sebastiano und erklärte dessen Frau, ihr Mann habe diese Nacht noch auf der Baustelle bleiben müssen und lasse ihr sagen, sie solle sofort kommen. Sie folgte ihm, und die Wachen an der Brücke, die sie kannten, ließen sie passieren. Als Sebastiano, der mit seinen Arbeitern zu Abend aß und feierte, die Augen hob, sah er Chiara auf der Brücke und erschauerte. In der folgenden Nacht konnte er nicht schlafen vor lauter Sorgen darüber, was denn nun geschehen werde. Er musste nicht lange warten. Am nächsten Tag, nach der feierlichen Eröffnung der Brücke, kam seine Dienerin zu ihm gelaufen, um ihm zu sagen, dass das Kind tot geboren sei und dass auch Chiara im Sterben liege. Er rannte sofort nach Hause, doch er kam zu spät, denn seine Frau war schon tot. Seit diesem Tag begann das ungetaufte Kind, auf der Brücke zu spuken. Ein jeder, der die Brücke alleine und in kalten Nächten überquerte, konnte es leise niesen hören. Einmal kam ein alter Gondoliere nachts vorbei und hörte das Niesen. Er sah zwar niemanden, doch sagte er laut „Salute“, worauf eine Kinderstimme antwortete „Grazie“ – das war das Seelchen des Kindes, das auf diese Weise nun endlich erlöst war und zum Himmel fliegen konnte.

Der weitere Weg führt nach links über die Riva del Ferro und geht an den approdi, den Anlegestationen der Vaporetti vorbei. Der anschließende Palast mit dem offenen Portikus wurde von Sansovino entworfen, gehörte später dem letzten Dogen Ludovico Manin. Nach der nächsten Brücke steht an der Riva del Carbon (der Kohle) der riesige Palazzo Bembo. Am Ende der Riva liegt das Rathaus der Stadt. Es besteht aus zwei Palästen, deren untere beide Geschosse aus romanisch-byzantinischer Zeit stammen, was an den gestelzten Bögen zu erkennen ist. Der linke Palast heißt Ca’ Loredan, der rechte Ca’ Farsetti. Beide Bauwerke besitzen feine Steinmetzarbeiten, die von der Fondamenta aus gut zu studieren sind. Dagegen erschließt sich die Architektur besser vom Boot oder vom gegenüberliegenden Ufer aus. An der Ecke der Ca’ Loredan ist eine Gedenktafel für Elena Lucrezia Episcopio angebracht, der es als erster Frau gelungen ist, ein Hochschulstudium zu beenden und zu promovieren, und zwar im Jahre 1676 (siehe auch Kapitel > Canal Grande). Sie erhielt dann sogar auch eine Lehrerlaubnis an der Universität von Padua.

Eine Besonderheit ist eine kleine Zeichnung, die im Portikus der Ca’ Loredan an der zweiten Säule von links in Umrissen eingegraben ist. Sie zeigt die Seitenansicht eines Mannes, der eine lange Pfeife im Munde hat, jedoch ohne Arme dargestellt ist. Niemand weiß mehr so recht, wann der Mann, der Biagio hieß, wirklich gelebt hat bzw. wann sich das, was die Legende über ihn erzählt, ereignet haben soll. Über ihn war in Venedig schon lange kaum mehr als sein Name und sein Beruf bekannt – er war in seiner Jugend einmal Fischer. Biagio versuchte, mit seinem wenigen Geld so gut als möglich auszukommen. Er hielt sich immer vor dem Palazzo Loredan auf, wo er dann und wann Hilfsdienste leistete und gegen Lohn kleinere Arbeiten verrichtete. Er war ein gutwilliger Mann, und in den gar nicht so wenigen Augenblicken der Untätigkeit, die er sich genehmigte, liebte er es, am Ufer des Canal Grande vor dem Palast zu stehen und seine lange Pfeife zu rauchen, die wohl sicher so alt war wie er selbst. Eines Abends nun hatte sich der Alte beim Rauchen etwas verspätet. Niemand war mehr in der Nähe und nur ab und zu glitt eine Gondel lautlos vorüber. Plötzlich aber schien das Wasser unter einer der Gondeln auf unerklärliche Weise in einem seltsamen, dunkel-rotvioletten Licht aufzuleuchten. Eigenartige Strudel bildeten sich rund um das Boot und wurden so heftig, dass der Gondoliere beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Dann tauchten plötzlich zwei riesige schwarze Arme zu Seiten der Gondel aus dem Wasser, mit Händen, die Krallen trugen und mit spielerischer Leichtigkeit die felze (das Kabinendach über den Sitzen, das es heute nicht mehr gibt) wegrissen. Drinnen saßen zwei kleine Mädchen, die sich umarmt hielten. Biagio konnte das gerade noch wahrnehmen, als die Hände auch schon nach den Kindern griffen und ein schrecklicher Kopf mit zwei Hörnern aus dem Canal Grande auftauchte. Das Verhalten des Monstrums, die Hörner, die roten Augen und die gewaltigen Fledermausflügel, die so hoch wie ein campanile waren, ließen keinen Zweifel: Das war Satan, der Teufel in Person. Die beiden Mädchen gehörten zur Familie der Gradenigo und schwebten nun in höchster Gefahr, mit ihrer Haut für den Leichtsinn ihres Vaters zu bezahlen, der sich mit allzu großem Eifer dem Wunsche hingegeben hatte, mit Hilfe des Teufels die Geheimnisse der Magie zu enthüllen und diesem frevelhafterweise erlaubt hatte, sich als Lohn seiner Kinder zu bemächtigen. Ohne viel zu überlegen schleuderte Biagio seine Pfeife gegen die furchtbare Erscheinung, was natürlich geradezu lächerlich war. Doch immerhin gelang es ihm damit und mit einem lauten Schrei, die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich zu ziehen: „Nein! Lass die Kinder! Nimm mich dafür!“ Der Dämon war von so viel Courage, ja Unverschämtheit überrascht, hob ein wenig sein Haupt und fixierte mit seinen rot flammenden Augen den seltsamen Menschen. Und er nahm an, dass es da etwas gäbe, womit er sich amüsieren könnte. „Wer bist du“, fragte er, „bist du denn ein neuer Christus am Kreuz, dass du glaubst, dich mir widersetzen zu können? Was willst du denn überhaupt, deine Arme können nicht die ganze Erde umarmen, wie er es mit den seinen tat. Doch ich nehme dich an Stelle der Kinder, wenn Du es Christus darin gleichtust.“ Ohne dass Biagio irgendeine Bitte um Hilfe geäußert hätte, lösten sich nach diesen Worten seine Arme von selbst und völlig schmerzlos von seinem Körper und flogen durch die Luft davon, ein jeder Arm nach einer anderen Seite, wobei sie von einem Schwarm von Cherubim umschwirrt wurden. Als der Teufel das sah, war er bezwungen und musste von den beiden Mädchen lassen. Aber auch den Alten bekam er nicht, da Gott selbst das nicht zuließ. Die Chroniken berichten ferner, dass die beiden Arme zurückkamen, als Biagio starb. Seit dieser Zeit soll es manchmal geschehen, dass man, besonders im November, wenn die Nebel über den Wassern des Canal Grande schwanken, den bleichen Schatten Biagios hier direkt vor der Ca’ Loredan schweben sieht. Seine Figur hat keine Arme, jedoch steckt in seinem Mund eine immer brennende Pfeife. Der Alte braucht auch gar keine Arme, um seine Pfeife in Gang zu halten, da sie durch Gottes Willen immer von selbst brennt und auch sein Tabaksbeutel immer gefüllt ist.

 

Nach links führen mehrere Gassen vom Canal Grande weg in die Stadt und zum Campo San Luca. An ihm gibt es ein Geschäft, dessen Decke von einer Säule getragen wird, die der Überlieferung zufolge den geografischen Mittelpunkt der Stadt bezeichnet. Die Kirche S. Luca, die 1832 völlig umgestaltet wurde, liegt ein wenig abseits. Von ihrer Ausstattung erwähnenswert sind Gemälde von Veronese (Hochaltar) und Carl Loth (1632–98), der den ersten Patriarchen der Stadt, den hl. Lorenzo Giustiniani, als Wunderheiler zeigt. Loth wurde in dieser Kirche bestattet, ebenso Pietro Aretino (1556), der beschrieben wird als homme des lettres und Lästermaul, das sogar von Fürstenhäusern gefürchtet war. Er war ein bedeutender Humanist und der beste Freund von Tizian und Sansovino. Sein Grab in der Kirche ist verschollen (mehr über ihn im Kapitel Canal Grande).

Auf dem Weg zurück zum Campo San Luca umrundet der weitere Weg einen Neubau, dessen Architektur in dieser so konservativ bauenden Stadt überrascht. Es handelt um die Cassa di Risparmio, einen der umstrittensten Eingriffe in den Stadt­organismus. Sicher waren die Gebäude, die hier niedergelegt wurden, um Platz zu schaffen, weitgehend belanglos, aber sie waren immerhin stimmig und hatten einst die Werkstatt des berühmtesten Buchdruckers seiner Zeit, Aldo Manuzius, beherbergt. Die Architekten Nervi und Scattolin gehörten zwar zu den führenden ihrer Zeit, hatten aber wohl wenig von Wesen und Sensibilität Venedigs begriffen oder wollten bewusst einen Fremdkörper schaffen, damit sich dieser umso markanter von seiner Umgebung abheben würde.

Der Campo Manin, der sich vor der Sparkasse bis zum Rio S. Luca erstreckt, entstand in der heutigen Form erst im 19. Jahrhundert. „Der Größenwahn Napoleons, das rücksichtslose Bedürfnis Österreichs nach Ordnung und Symmetrie und schließlich das blinde Vertrauen in die modernen Zeiten bei den Herrschern des Hauses Savoyen fügten dem alten Stadtbild schreckliche Wunden zu und zerstörten eine Unzahl historischer Denkmäler, deren die Menschheit für immer beraubt wurde“ (Giordani). So geschah es wohl auch hier, wo eine Kirche (S. Paternian) niedergerissen wurde, die als Besonderheit einen fünfeckigen campanile besaß, ein Unikum in der Stadt, „den einige venezianische Arbeiter als Dank dafür errichtet hatten, dass sie sich vor der Sklaverei der Sarazenen hatten retten können.“ In der Mitte des Platzes steht heute das Denkmal des Daniele Manin. Er war Advokat und ging in die Geschichte ein als Anführer des Aufstands gegen die Österreicher (1848–49). Die Aufständischen konnten sich erstaunlich lange gegen die Übermacht der Österreicher halten, wurden aber schließlich bezwungen. Manin musste emigrieren und starb 1857 im Exil in Paris. Seine letzte Ruhe fand er an der Nordseite von S. Marco in einem mächtigen Grabmal.

An der linken Längsseite des campo (in Blickrichtung Manins) trifft man auf eine Wegweisung zur Scala del Bovolo bzw. zum Palazzo Contarini. Der Name bovolo ist venezianisch, bedeutet „Seeschnecke“ und beschreibt die sehr eigenwillige Gestalt der außen liegenden hohen Wendeltreppe recht genau. Sie wurde 1499 erbaut und verbindet den Palast mit einem winzigen Gärtchen, in dem heute eine Sammlung schöner pozzi zu sehen ist. Zwischen der Größe der Treppe und der des Gartens gibt es keine vernünftige Relation. Vielmehr verhalten sich beide geradezu umgekehrt proportional zueinander. Trotzdem ist das Ganze ein liebenswertes Detail der Stadt und ein architektonisches Kleinod, das heiter stimmt. Die Treppe kann (gegen Gebühr) bestiegen werden, was in jedem Fall ratsam ist, da es ja nur ganz wenige Möglichkeiten gibt, die Stadt von oben zu betrachten. Hier hat man nach allen Seiten einen freien Blick über eine vielfältige Dachlandschaft. Besonders gut ist von dort oben auch der Aufbau der eben besichtigten Kirche S. Salvatore mit ihren Kuppelkonstruktionen zu sehen, ebenso das Gran Teatro la Fenice, das das Niveau der Dächer deutlich überragt.