Berufsbezug in südeuropäischen DaF-Hochschulcurricula vor und nach der Krise von 2008

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1.2 Allgemeines Erkenntnisinteresse1

Die junge Bevölkerung Südeuropas sah sich von den Folgen der Rezession mehrfach betroffen: Auf der einen Seite schlitterte die Alterskohorte der unter 25-Jährigen mit außerordentlich hoher Wucht in die Arbeitslosigkeit2, zum anderen führte die drakonische Austeritätspolitik der Regierungen südeuropäischer Staaten insbesondere auch im Bildungssektor zu Kürzungen (s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 753), was an einigen Universitäten wiederum zur Folge hatte, dass ganze Studiengänge geschlossen wurden. Wesentlicher Lebensgrundlagen beraubt und einen (temporären) Ausweg aus der prekären Lage am Arbeitsmarkt und an den Hochschulen suchend, verließen zahlreiche junge Menschen Südeuropa. Dabei visierten sie überwiegend die von der Wirtschaftskrise in deutlich geringerem Ausmaß betroffenen amtlich deutschsprachigen Länder an, die in den Rezessionsjahren die Arbeitslosigkeit sogar geringfügig zu reduzieren vermochten und dabei dennoch mit einem Fachkräftemangel konfrontiert waren und sind (für Deutschland s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 767). Für eine Erwerbstätigkeit und/oder ein Studium in den Zielländern sind spezifische Sprachkenntnisse vonnöten. Immer mehr Lernende schrieben sich daher in den der Krise folgenden Jahren für Deutschkurse an den südeuropäischen Goethe Instituten ein3 und man griff dort durch die Implementierung des MobiPro-EU-Programms4 des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Bedürfnisse und Wünsche der neuen Kundschaft auf, DaF berufsbezogen zu erwerben.

Das Erkenntnisinteresse in der vorliegenden Arbeit besteht somit auch darin, festzustellen, ob ebenso Hochschulen5 und nicht lediglich private Sprachinstitute diese Bedürfnisse der DaF-Lernenden erfasst und die entsprechenden Lehrpläne mit einem verstärkten Berufsbezug versehen haben. Leitende Vorannahme dabei ist, dass in diesen Lehrplänen die Berufsorientierung nach 2008 zugenommen hat. Hochschulen werden aus dem Grund fokussiert, da sie in hohem Maße auf die Berufsvorbereitung der Studierenden abzielen (s. Prikoszovits, 2017a, S. 162), und Berufsvorbereitung bzw. -orientierung ist der konkrete Forschungsschwerpunkt in diesem Band.

Innereuropäische Arbeitsmigration und ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen stehen nur selten im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Als in den Folgejahren der 2008 ausgebrochenen Wirtschaftskrise zahlreiche Südeuropäer in die amtlich deutschsprachigen Länder emigrierten, wurde diese Arbeitsmigration von den empfangenden Gesellschaften in geringerem Ausmaß beachtet bzw. verfolgt als 2015 die große Migrationswelle und Flüchtlingskrise, wodurch die Dringlichkeit einer erfolgreichen Integration innereuropäischer Migrantengruppen im Bewusstsein der Bevölkerung bzw. der Politik der Zielländer auch weniger stark verankert ist. Es ist wenig darüber bekannt, welche Integrationsprozesse kultureller, sprachlicher bzw. verschränkt kulturell-sprachlich-beruflicher Art Menschen aus Südeuropa im amtlich deutschsprachigen Raum durchlaufen haben und immer noch durchlaufen.

Das Erkenntnisinteresse setzt jedoch bereits vor diesen Integrationsprozessen in den Zielländern an. Es soll ermittelt werden, wie junge, gut gebildete und hoch qualifizierte Menschen aus Italien und Spanien bereits in ihren Heimatländern auf ein Berufsleben mit der Fremdsprache Deutsch vorbereitet werden. Es soll also festgestellt werden, ob an südeuropäischen Hochschulen die Notwendigkeit erkannt und umgesetzt worden ist, den DaF-Unterricht für die Studierenden, die sich aufgrund der Folgen der Krise in vielen Fällen zu einer Bildungs- und Arbeitsmigration vor allem in die amtlich deutschsprachigen Länder bewogen sahen bzw. generell auch Berufe mit Bezug zum amtlich deutschsprachigen Raum ergriffen haben, gezielt berufsbezogen anzulegen, um diese Studierenden auf speziell in beruflichen Kontexten auftretende Anforderungen sprachlich-kommunikativer und sozial-kooperativer Art vorbereiten zu können. Das spezifische Erkenntnisinteresse sowie die konkrete Forschungsfrage, welche den vorliegenden Band leiten, werden ausführlich in Abschnitt 4.1 dargestellt.

1.3 Aktualität und Relevanz des Themas

Die Curriculumforschung ist vor allem seit Einführung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) (Europarat, 2001) und der BA/MA-Studiengänge gefordert, Erkenntnisse zu gewinnen, welche eine fundierte Curriculumentwicklung einleiten, die Studierenden eine gute Vorbereitung auf das künftige Berufsleben verspricht. Seit der Jahrtausendwende ist das Thema Curriculumentwicklung also besonders an Universitäten von hoher Relevanz, jedoch entstehen konkret im DaF-Bereich kaum Forschungsarbeiten, die sich der Entwicklung von Curricula widmen (s. Schramm & Seyfarth, 2015, S. 38). In den späten 2000er Jahren wurden die curricularen Herausforderungen und Schwierigkeiten unerwartet um die in Abschnitt 1.1 thematisierte Wirtschaftskrise erweitert.

Die in den 1990er Jahren begonnene Forschung zum berufsbezogenen DaF-Unterricht (Abschnitt 3.3) hat also in den 2000er und 2010er Jahren durch das Desiderat, universitäre Curricula verstärkt berufsbezogen anzulegen, neue Impulse erhalten. Die beiden Forschungsgebiete dieser Arbeit sind demnach eng miteinander verknüpft und für den Fortbestand universitärer Germanistiklehrgänge, vor allem jener in Südeuropa, hoch relevant.

Der Autor des Bandes hat von 2008 bis 2012 an der Germanistik der Università degli Studi di Napoli in Italien lektoriert und war von 2014 bis 2017 an der Germanistik der Universitat Autònoma de Barcelona im Bereich DaF beschäftigt. Die mehrjährigen Arbeitstätigkeiten in den beiden Ländern haben zum einen zu einer Vertrautheit mit den dortigen Hochschullandschaften und zum anderen auch zu einem Verständnis dortiger Lehr-/Lernkulturen und -traditionen geführt, was einen kultursensiblen Zugang zu den Forschungsfeldern ermöglicht. Vor allem ab 2008 hat es in beiden südeuropäischen Staaten einschneidende Budgetkürzungen im Bereich der Fremdsprachenphilologien gegeben, auch germanistische Studiengänge bilden hier keine Ausnahme. Als Bediensteter an öffentlichen Universitäten in Südeuropa weiß man um die Herausforderungen und Schwierigkeiten, germanistische Studiengänge unter budgetären Einschränkungen einerseits und steigenden Anforderungen von Seiten des Arbeitsmarkts andererseits aufrecht zu erhalten. Diesen Herausforderungen und Schwierigkeiten kann man mit einer verstärkt berufsorientierten Ausrichtung universitärer DaF-Curricula begegnen.

Generell ist das Feld des berufsbezogenen Deutschunterrichts jedoch nicht nur durch die Professionalisierung von Studiengängen, also BA/MA-Lehrgängen, bzw. die Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Arbeitsmigration aktuell und relevant, sondern auch durch den Fachkräftemangel, der in den amtlich deutschsprachigen Ländern in den 2010er Jahren herrscht. Efing (2015a) sieht diesen Mangel als aktuelle Herausforderung an, bringt ihn in die Nähe der andauernden Werbung um ausländische Auszubildende sowie auch in Zusammenhang mit der Auslagerung von Arbeits- und Ausbildungsstellen in den (außer)europäischen Raum, wenn er schreibt:

Das Thema Deutsch als Zweit- und Fremdsprache in der beruflichen Bildung erlangt auch hier durch diese Situation eine große aktuelle Relevanz. Innerhalb Deutschlands geht es darum, wie (z. B. aus Spanien) angeworbene Auszubildende und Fachkräfte schnell, on the job und parallel alltägliches und berufsbezogenes Deutsch lernen; im Ausland, in dem outgesourcte Filialen deutscher Firmen, deutsche Tochterunternehmen und Zulieferer für deutsche Firmen eigenes Personal ausbilden, das Kontakt zu deutschen Firmen, aber eventuell vor der Ausbildung noch keinen Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht an der allgemein bildenden Schule im Ausland erhalten hat, geht es ebenfalls darum, sog. ‚Null-Anfängern‘ gleichzeitig allgemeine wie berufsbezogene sprachlich-kommunikative Kompetenzen zu vermitteln. (S. 9–10)

Aus diesem Zitat resultiert zudem, dass berufsbezogen angelegte DaF-Kurse auch für Fachkräfte eine Notwendigkeit darstellen und diese Fachkräfte nicht ausschließlich fachbezogene DaF-Kurse besuchen sollten. Das Etablieren eines eigenen berufssprachlichen Registers in Abgrenzung zu einem allgemein- bzw. fachsprachlichen Register ist aktuell ein großes Anliegen der Forschung zu den berufsrelevanten sprachlichen Registern (Efing, 2014). Während in den 1980er und auch noch in den 1990er Jahren im Fach DaF vor allem fachbezogenes Sprachenlehren und -lernen im Fokus der Forschung stand, hat sich dieser Fokus bis in die 2010er Jahre hin auf den berufsbezogenen Sprachunterricht erweitert (Abschnitte 3.2 und 3.3).

Schließlich kommt der berufsbezogenen Gestaltung des DaZ-Unterrichts auch durch die Flüchtlingssituation in den amtlich deutschsprachigen Ländern der zweiten Hälfte der 2010er Jahre hohe Relevanz zu. Laut Efing (2015a, S. 9) sollen Flüchtlinge Deutsch schnellstmöglich nicht nur für den Alltag, sondern auch berufsorientiert erwerben.

Wie sich nun gezeigt hat, weisen die Curriculumforschung und die Forschung zum berufsbezogenen DaF-Unterricht große Schnittmengen auf und sind aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklungen aktuell von hoher Relevanz. Der vorliegende Band ist gleichsam beiden Forschungsfeldern verschrieben.

1.4 Gang der Untersuchung

Die Arbeit ist wie folgt strukturiert: Im theoretischen Teil werden die Curriculumtheorie (Kapitel 2) und der berufsbezogene DaF-Unterricht (Kapitel 3) aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Dies dient zum einen der Darstellung des Forschungsstandes in beiden Teilbereichen sowie der Positionierung der vorliegenden Arbeit im aktuellen Forschungskontext, zum anderen auch der Vorstellung von Aspekten, die sich für die durchgeführte Studie als grundlegend erweisen. Die Curriculumtheorie ist dabei dem berufsbezogenen DaF-Unterricht vorangestellt, da erste Ansätze zur Erforschung curricularer Phänomene im amtlich deutschsprachigen Raum früher entstanden sind als Ansätze zur Erforschung des berufsbezogenen Lehrens und Lernens von DaF. Die Curriculumtheorie wird im theoretischen Teil der Arbeit ab den späten 1960er Jahren fokussiert, der berufsbezogene DaF-Unterricht ab den frühen 1990er Jahren. Die Curriculumtheorie wird nicht ausschließlich aus einer DaF-Perspektive heraus reflektiert.

 

Der empirische Teil der Arbeit beginnt mit Kapitel 4 zum Forschungsdesign und dort wiederum mit der Vorstellung der Forschungsfrage, der Zielsetzungen und der Schwerpunktregionen. Italien und Spanien werden im Großraum Südeuropa verortet und die Situation der Germanistik sowie von DaF in beiden Ländern wird dargestellt. Ebenso präsentiert werden sodann das Forschungsvorgehen, also der genaue Ablauf der einzelnen Forschungsschritte, und die Auswertungsmethode. Das vierstufige Forschungsdesign (Vorstudie – Validierungsmaßnahme 1 – Hauptstudie – Validierungsmaßnahme 2) wird detailliert erläutert und die qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsmethode vorgestellt.

In einem weiteren Schritt ist die Vorstudie in ihrer Gesamtheit zu präsentieren (Kapitel 5), was auch die Präsentation der Ergebnisse der Vorstudie beinhaltet. Die Analysen von zwölf Fachartikeln haben hier zu einem Kodierleitfaden mit 17 Kategorien für die Weiterarbeit in der Hauptstudie geführt. Die Hauptstudie wird sodann unter den gleichen Aspekten wie die Vorstudie fokussiert (Korpus, Datenaufbereitung, Analysevorgehen etc.) (Kapitel 6). Das Korpus der Hauptstudie setzt sich aus 40 ausgewählten Dokumenten zur hochschulischen DaF-Unterrichtsplanung aus Italien und Spanien zusammen. Die Ergebnisse der Hauptstudie sind in quantitative und qualitative Ergebnisse unterteilt und werden eigens in Kapitel 7 beschrieben. Zunächst werden die quantitativen Resultate dargestellt – so etwa, dass in den untersuchten spanischen Dokumenten die Berufsorientierung nach 2008 stärker gestiegen ist als in den untersuchten italienischen Dokumenten. Aufbauend auf solchen Erkenntnissen folgen die Beschreibungen der qualitativen Resultate.

Abschließend werden in Kapitel 8 erneut ein Überblick über den Arbeitsverlauf gegeben, alle Ergebnisse zusammengefasst, interpretiert und diskutiert, Limitationen der Arbeit aufgezeigt – dazu gehört unter anderem, dass lediglich theoretische Unterrichtsplanungen fokussiert und untersucht wurden – sowie ein Ausblick vorgenommen, der auch das Offenlegen jener Fragen beinhaltet, die sich im Zuge der Forschungsarbeit ergeben haben. So gilt es künftig etwa, auch der Leistungsmessung im DaF-Bereich einen stärkeren Berufsbezug zu verleihen.

Zitate auf Englisch bleiben in vorliegender Arbeit weitgehend unübersetzt. Zitate auf Italienisch, Spanisch und Katalanisch sind jedoch in Fußnoten in der deutschen Übersetzung zu lesen bzw. sind Erläuterungen unter Abbildungen und Grafiken ins Deutsche übersetzt worden und sodann in Fußnoten im Original zu lesen. Bei Hervorhebungen (z.B. Fett- oder Kursivdruck) in direkten Zitaten handelt es sich stets um Hervorhebungen, die so in den Originalen zu finden sind und folglich nicht durch den Autor der vorliegenden Arbeit vorgenommen wurden. Der Band ist gleichermaßen für eine weibliche wie männliche Leserschaft bestimmt. Von geschlechterneutralen Formulierungen wurde in der Arbeit mit Rücksicht auf einfachere Lesbarkeit kein Gebrauch gemacht, jedoch wird Formen wie „Lernende“, „Teilnehmende“ oder „Lehrkräfte“ Priorität gegeben.

Theoretischer Teil

Der theoretische Teil verortet die vorliegende Arbeit im Forschungskontext und dient der Darstellung des einschlägigen jüngeren und aktuellen Forschungsstandes. Er ist in zwei separate Abschnitte untergliedert, da in dieser Arbeit zwei große theoretische Säulen wesentlich sind: die Curriculumtheorie (Kapitel 2) und der berufsbezogene DaF-Unterricht (Kapitel 3), der selbstredend auch starke Praxisrelevanz hat. Dass die beiden Bereiche getrennt voneinander behandelt werden, bedeutet nicht, dass sich zwischen ihnen keine Schnittmengen ergeben. Im Gegenteil hat unter anderem die Forschung zum universitären FSU die beiden theoretischen Teilbereiche in den vergangenen Jahrzehnten eng aneinander geführt. Die separate Darstellung liegt überwiegend darin begründet, dass – wie bereits beschrieben – die einschlägige Forschung im amtlich deutschsprachigen Raum in den zwei Bereichen in unterschiedlichen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat und sich dadurch zunächst unterschiedliche Entwicklungs- und Traditionslinien ergeben. Zudem handelt es sich bei der Curriculumtheorie um ein Feld, das – im Gegensatz zum berufsbezogenen DaF-Unterricht – nicht ausschließlich den Sprachunterricht berührt, für diesen jedoch wichtige Impulse liefern kann.

2 Curriculumtheorie

Wichtigstes Ziel in diesem ersten Kapitel des theoretischen Teils ist, elementare Erkenntnisse im Bereich der Curriculumforschung und Curriculumentwicklung darzustellen und anhand von diesen und auch eigenen Erkenntnissen unter besonderer Berücksichtigung des für vorliegende Arbeit relevanten berufsbezogenen Fremdsprachenlehrens und -lernens theoretische Grundlagen zu schaffen, um im empirischen Teil auf ebendiese Theorie Bezug nehmen zu können.

In Abschnitt 2.1 von Kapitel 2 wird die Forschung zu Curricula konkret im DaF-Bereich und hier wiederum schwerpunktmäßig im Hochschulwesen ab den 1990er Jahren fokussiert, da in jenem Jahrzehnt für den in vorliegender Arbeit zentralen Gegenstandsbereich wichtige Entwicklungen eingesetzt haben; dabei wird auch Bezug auf Literatur der 1960er, 1970er und 1980er Jahre genommen, die nicht konsequent dem DaF-Bereich entstammt, für diesen jedoch grundlegend ist. Neuner (2001, S. 797) erachtet zu Beginn der 2000er Jahre eine Lehrplanforschung insbesondere im Bereich DaF als dringend nötig. Ein Jahrzehnt später wird immer noch gefordert, die DaF-relevante Forschung zur Curriculumentwicklung auf globaler Ebene anzukurbeln (s. Schmidt, 2010, S. 930). Schramm und Seyfarth (2015, S. 38) erkennen mit einem globalen Blick auf DaF in den 2010er Jahren zwar mannigfaltige curriculare Neuerungsansätze, denen sich die Forschung allerdings in nur geringem Maße widme. Tatsächlich gibt es im Bereich der Curriculumforschung zahlreiche Abhandlungen und Fachbücher zu Curricula im Schul- und Hochschulbereich, die jedoch nicht den Fremdsprachenfächern zuzuordnen sind (etwa Huisinga & Buchmann, 2003; Gerholz & Sloane, 2011; Weiglhofer, 2016). Mit vorliegendem Band soll ein Beitrag zum Schließen dieser Lücke geleistet werden. Zudem soll durch die systematischen Analysen von Dokumenten zur Unterrichtsplanung versucht werden, Transparenz in den „Wildwuchs“ (s. Vogel, 2007, S. 216) universitärer Fremdsprachencurricula zu bringen. In Abschnitt 2.1 steht also der DaF-Bereich im Zentrum, wenn teils auch allgemeine und allgemein fremdsprachendidaktische Fachliteratur zur Curriculumforschung herangezogen wird, um ihn zu beschreiben. Ebenso wird in Abschnitt 2.1 ein entwicklungsgeschichtlicher Überblick über die Curriculumforschung und -entwicklung im DaF-Bereich gegeben.

Nicht ausschließlich aus dem südeuropäischen Raum, sondern aus globaler Perspektive werden in Kapitelabschnitt 2.1 ebenso Praxisbeispiele vorgestellt, die zeigen sollen, mit welchen Herausforderungen universitäre Curriculumerstellende im Bereich der hochschulischen Fremdsprachendidaktik in der Post-Bologna- sowie der Post-GER-Ära und nicht zuletzt in Zeiten einer globalen Rezession konfrontiert sind. Die Brücke zum zweiten großen theoretischen Pfeiler der vorliegenden Arbeit, zum berufsbezogenen DaF-Unterricht, wird in diesem Kapitelabschnitt geschlagen. Es wird deutlich werden, wie eng im DaF-Bereich Forschung zu Curricula und Forschung zu berufsbezogenem Unterricht beieinanderliegen.

Es wird in Kapitel 2 außerdem wesentlich werden, welcher Terminologie man sich in der allgemeinen Curriculumforschung bedient (Abschnitt 2.2), wie sich also Curricula von Lehrplänen und Richtlinien unterscheiden (Abschnitt 2.2.2) und welcher Terminus für die hier relevanten universitären Dokumente zur Planung des DaF-Unterrichts anzuwenden ist. Es wird auch thematisiert werden, welche Ebenen der Curriculumerstellung es gibt und welchen dieser Ebenen die untersuchten südeuropäischen Dokumente zur Unterrichtsplanung zuzuordnen sind (Abschnitt 2.3), welche Funktionen Curricula haben (Abschnitt 2.4), welche Ansätze es zur Zielfindung für Curricula gibt und wie diese Ansätze insbesondere für die Entwicklung berufsbezogener Curricula für den FSU genutzt werden können (Abschnitt 2.5) sowie schließlich, welche Anlässe für curriculare Veränderungen es geben kann bzw. dass solche Veränderungen auch einen Forschungsfokus darstellen können (Abschnitt 2.6). Derartige Anlässe in den Blick zu nehmen ist daher substanziell, da in der im empirischen Teil zu beschreibenden Studie Veränderungen in der Planung hochschulischen DaF-Unterrichts thematisiert werden.

Da die theoretischen Kapitel 2 und 3 dieser Arbeit der Vorbereitung des empirischen Teils dienen, sind in diesem zweigliedrigen Theorieabriss überwiegend Aspekte zu behandeln, die der Untersuchung italienischer und spanischer DaF-Hochschulcurricula dienlich sind. Aspekte aus dem empirischen Teil werden dabei jedoch auch vereinzelt in den theoretischen vorgezogen, wenn etwa Auszüge aus den untersuchten Curricula des empirischen Teils bereits im theoretischen Teil benötigt werden (Abschnitt 2.3). Erneut sei betont, dass sich die Ausführungen in den Kapiteln des theoretischen Teils aber nicht ausschließlich auf die Vorbereitung des empirischen Teils beschränken, sondern auch den Ist-Zustand in der DaF-relevanten Forschung darstellen.

2.1 Curriculumforschung im amtlich deutschsprachigen Raum und im DaF-Bereich ab den 1960er bis zu den 2010er Jahren

(1) Anfänge der deutschsprachigen Curriculumforschung und jener im DaF-Bereich

In den 1960er Jahren rückten im amtlich deutschsprachigen Raum Curricula als Untersuchungsgegenstände verstärkt in den Fokus der Forschung. Gründe hierfür waren gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Entwicklungen, die mit der Forderung einer neuen Ausrichtung des Schulunterrichts einhergingen (s. Zimmermann, 1995, S. 136). 1967 entstand mit dem Traktat Bildungsreform als Revision des Curriculum1 von Saul B. Robinsohn, der damals in der Max-Planck-Gesellschaft Direktor des Instituts für Bildungsforschung war, ein heute immer noch häufig rezipiertes Standardwerk der deutschsprachigen Curriculumforschung. Robinsohn hat dabei den Terminus des (amerikanischen) Curriculums in einstmalige einschlägige Diskurse in der Bundesrepublik Deutschland eingebracht (s. Schmidt, 2010, S. 923). Bereits in den 1970er Jahren wurde über die durch Robinsohn initiierte Curriculumforschung mit einem Curriculumhandbuch in drei Bänden (Frey, 1975) erstmals eine Bilanz gezogen (s. Achtenhagen, 1995, S. 461). Dennoch profitierten die Fremdsprachenfächer in den 1970er Jahren kaum vom damaligen Aufschwung der Curriculumforschung, da Curricula in den 1980er Jahren in der Fachliteratur immer noch einer der am geringsten fokussierten Bereiche waren (s. Neuner, 2001, S. 797).

Die Bemühungen um eine wissenschaftlich fundierte Curriculumentwicklung in den Fremdsprachenfächern haben im amtlich deutschsprachigen Raum demnach nicht zeitgleich mit der in den 1960er Jahren begonnenen allgemeinen Curriculumforschung eingesetzt. Noch in den 1980er Jahren wurde fremdsprachenfächerspezifische Curriculumforschung und -planung somit als Desiderat betrachtet, wenn in der Lernzielplanung ab Mitte der 1980er Jahre auch der interkulturellen Kompetenz immer mehr Platz eingeräumt wurde (s. Funk, 2016, S. 152), was als curriculare Neuerung gelten kann. Die erste, für die aktuelle Forschung nicht mehr primär wesentliche, in den 1960er Jahren begonnene Phase der deutschsprachigen Curriculumforschung endete in den späten 1980er Jahren vor allem aufgrund fachlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Fortschritte.

(2) Curriculumforschung und -entwicklung im DaF-Bereich: Die 1990er Jahre2

Der bis heute umstrittene Einzug wirtschaftlicher Inhalte in geisteswissenschaftliche Hochschulcurricula wird in den 1990er Jahren auch im DaF-Bereich ausgemacht (Wannagat, 1998; Horst, 1998). Dieser Trend wird in der DaF-Fachliteratur skeptisch beziehungsweise neutral, niemals jedoch euphorisch beschrieben. Weltweit sehen sich philologische Fakultäten an Universitäten seit den 1990er Jahren mit der Forderung konfrontiert, ihre germanistischen Studiengänge dahingehend ausrichten zu müssen, dass diese die Studierenden dazu befähigen, nach Abschluss des Studiums unmittelbar ins Berufsleben einsteigen zu können (Cothran, 2010; Dong-Uk, 2009). Ein häufig herangezogener Terminus ist hier die „Employability“, also die Beschäftigungsfähigkeit, die Studierende im Zuge ihrer philologischen Ausbildung erlangen sollen. Augart (2014, S. 234) befindet, dass die Germanistik im südlichen Afrika heute eher als „[…]3 Sprachkursprogramm mit literaturwissenschaftlichen Modulen […]“ anzusehen ist. Dies zeigt deutlich, dass ab den 1990er Jahren in germanistischen Curricula außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums, nicht nur im südlichen Afrika, fremdsprachliche Fertigkeiten und berufliche Qualifikationen in den Fokus sowie Literatur und Linguistik tendenziell aus dem Fokus geraten, jedoch nicht gänzlich aufgegeben worden sind. Bouchara (2008, S. 479) führt überspitzt aus: „Eine traditionelle Auffassung von Germanistik oder den Geisteswissenschaften ist überholt und kann im Zeitalter der Globalisierung mit den Entwicklungen nicht mehr Schritt halten.“ Was sich also ändern muss, damit – in Boucharas Terminologie – wieder „Schritt [ge]halten“ werden kann, sind die Curricula. In den 1990er Jahren entstanden für DaF auch die Katwijker Empfehlungen zur Curriculumentwicklung (1992), die laut Neuner (2001, S. 797) jedoch weitgehend die einzige Bemühung in dem Bereich darstellen. Als Beispiel für ein hochschulisches, DaF-relevantes Projekt kann eine breit angelegte Arbeit am Institut für Germanistik der Universität Wien angeführt werden, im Zuge derer von 1995 bis 1997 etwa 300 Curricula sowohl für den Deutschunterricht als auch für die Deutschlehrerausbildung aus Ländern außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums zusammengetragen und systematisch erfasst wurden (s. Prikoszovits, 2017b, S. 87; Chan, 2000, S. 81–82; Krumm, 2002, S. 9–10). Es sind jedoch nach wie vor die nicht-deutschsprachigen Länder, aus denen Forschungsergebnisse zu DaF-spezifischer Curriculumentwicklung und -implementation ausstehen. Die vorliegende Arbeit fokussiert daher gezielt DaF-Curricula, die außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums entwickelt und eingesetzt werden, um festellen zu können, in welche curricularen Linien die Fremdsprache Deutsch dort eingebettet wird.

 

Die Hürden, die bei einem Transfer von DaF-Curricula aus dem amtlich deutschsprachigen Raum in distante Erdregionen bestehen, werden in der Fachliteratur der 1990er Jahre diskutiert (Gutzat, 1996; Wannagat, 1998; Prikoszovits, 2017b, S. 87), was einen „[…] Ruf nach regionalen, der jeweiligen Gesellschaft angepassten Curricula […]“ (Prikoszovits, 2017b, S. 87), die in den 1990er Jahren noch ausstehen, zur Folge hatte (Wannagat, 1998). Solche Curricula können den an die Germanistiken außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums entsandten Lektoren eine grundlegende Orientierungshilfe bieten. Laut Königs (2004, S. 6) definiert sich eine von ihm so bezeichnete „[…] Auslandsgermanistik […]“ durch die „[…] Fremdperspektive […]“, also die externe Sichtweise auf die Germanistik. Die Unterschiede zwischen Germanistik und Auslandsgermanistik hätten curriculare Folgen. Gemäß Königs (ebd., S. 6) überschneiden sich Curricula der „[…] Inlandsgermanistik […]“ mit jenen der Auslandsgermanistik nur gering. Dem Erwerb der Fremdsprache Deutsch, der viel Zeit in Anspruch nimmt, muss an germanistischen Hochschulinstituten außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums ein zentraler Stellenwert eingeräumt werden. Dass unter solchen Umständen auch Curricula anders aussehen müssen, ist offensichtlich. Das Bedürfnis nach curricularer Übertragung ist auch insbesondere vor dem Hintergrund kritisch, dass Curricula kulturell geprägt und nicht starr in fremde und ferne Gesellschaften transferierbar sind. Curricula germanistischer Studiengänge in anderen Sprach- und Kulturräumen sollten somit durchaus eigene Ausrichtungen haben.

Ein Curriculum soll sich nicht ausschließlich an den Strukturen der jeweiligen Fachwissenschaften orientieren (Abschnitt 2.5), sondern auch an kulturspezifischen Maximen (s. Robinsohn, 1971, S. 13; Gutzat, 1996, S. 443), pädagogischen Normen sowie gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen (s. Gutzat, 1996, S. 443; Mickan, 2013, S. 45, S. 125). Zur Erkenntnis, wie stark kulturabhängig und -gebunden Curricula sind, gelangt man häufig in Publikationen, in denen die Situation der Germanistik und des DaF-Unterrichts in asiatischen Ländern thematisiert wird. Chen (2009, S. 91) etwa hält fest, dass beim Curriculumdesign lokale Lehr- und Lernbedingungen und Traditionslinien nicht vernachlässigt werden dürfen. Gutzat schreibt von einem 1992 vom DAAD in Hochiminh-Stadt eingerichteten Lektorat für den Studiengang Deutsch, für den es kein Curriculum gegeben hätte. Es sei dem DAAD-Lektor überantwortet worden, den Studiengang fachlich zu planen (Gutzat, 1996, S. 443). Somit erscheint eine gewisse „Curriculumkompetenz“ eine für Lehrkräfte anzustrebende Qualifikation darzustellen. Schlak (2006, S. 337) etwa vermisst bei Studierenden in der japanischen DaF-Lehrerausbildung neben erziehungswissenschaftlich relevanten Kenntnissen auch „[…] sprachpolitisch-curriculare[.] Qualifikationen […]“. Des Weiteren erläutert er (ebd., S. 339), dass es im Zuge seiner Bestrebungen, an der Universität Osaka einen offiziellen Studiengang für DaF zu gründen, bedauerlich gewesen sei, Kurse unter anderem zur Curriculumentwicklung und zur Sprachenpolitik nicht berücksichtigen zu können. Diese Äußerungen zeigen, dass er eine gewisse curriculare Qualifikation, die er in einen engen Zusammenhang mit Sprachenpolitik stellt, als unerlässlich in der DaF-Lehrerausbildung erachtet. Es stellt sich hier die Frage, inwieweit also Elemente aus der Curriculumforschung in Lehrpläne für die Fremdsprachenlehrerausbildung aufgenommen werden sollten. Inwiefern angehende Lehrkräfte entsprechende Kompetenzen im Bereich der Curriculumentwicklung benötigen, kann im Zuge der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden. Da universitäre Lehrpläne jedoch häufig von Unterrichtenden an Universitäten selbst erstellt werden (Abschnitt 2.4), liegt es allerdings nahe, dass entsprechende Kompetenzen tatsächlich hilfreich wären.

Noch in den 2010er Jahren beschreiben Adamson und Morris (2014, S. 315) ein Curriculum als „[…] set of tensions and contradictions […]“, also als ein Gebilde aus Spannungen und Widersprüchen. Gerade in den Fremdsprachenfächern kommt es aufgrund der Diskrepanz eigene Sprache/Kultur – fremde Sprache/Kultur immer wieder und immer noch zu derartigen Spannungen und Widersprüchen. Man hat „[…] Identitätsstiftung statt Verwestlichung“ (Gouaffo, 1996, S. 476) in den 1990er Jahren in Kritiken an einem Deutsch-Lehrwerk in Afrika verlangt, was sowohl die gesellschaftliche als auch die politische Komponente von FSU verdeutlicht. Die Übertragung deutscher Curricula auf den DaF-Unterricht in der Volksrepublik China hat in den 1990er Jahren aufgrund kultureller Unterschiede und anders gearteter Wertvorstellungen nicht funktioniert, weswegen Wannagat in seinem Beitrag von 1998 für regionale Curricula und Lehrwerke plädiert. Er geht darin sogar so weit, regionale Curricula und Lehrwerke als Desiderat für die Aufrechterhaltung von DaF in der Volksrepublik China zu beschreiben. Einen guten Mittelweg stellt dar, dass Deutschland bei Bedarf im Ausland mitzuhelfen bereit ist, effiziente Curricula für den DaF-Unterricht zu erstellen. Dies geschieht etwa im Rahmen von Kulturaustauschprogrammen, beispielsweise zwischen Deutschland und der Volkrepublik China. Seit den 1980er Jahren seien durch diese Kooperationen fünf in der gesamten Volksrepublik gültige Curricula für den Deutschunterricht entstanden (Yu, 2004, S. 91). Durch eine solche Vorgangsweise werden mitteleuropäische und asiatische Grundsätze und Vorstellungen zusammengeführt, sodass die Curriculumentwicklung hier als eine Form der kultursensiblen Kompromissbildung in Erscheinung tritt, die erfolgversprechend und zukunftsweisend sein kann.