Czytaj książkę: «Franziskus im Heiligen Land», strona 7

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Vollendung einer Vision: Die Idee der Heilig-Land-Reise des Papstes

Papst Johannes Paul II. entwickelte bereits vor Beginn des Heiligen Jahres 2000 den Plan einer groß angelegten geistigen Pilgerfahrt an jene Stätten, die mit der Heilsgeschichte verbunden sind. Dieser Plan wurde am 29. Juni 1999 veröffentlicht.61 Der 2000. Geburtstag Jesu Christi sei Anlass genug, über die Ursprünge von Religion und Glauben nachzudenken, so der Papst: „Sowohl ihrem Wesen nach als auch im Hinblick auf ihre Zielsetzung handelt es sich um eine ausschließlich religiöse Pilgerfahrt. Es würde mir leid tun, wenn jemand dieses Vorhaben anders deuten sollte.“ In dieser Forderung lag das Grunddilemma jeder weiteren Planung: Einerseits unterstrich sie den persönlichen Pilgerwunsch des Papstes, andererseits war zu fragen: Wie viel Spiritualität kann auch politisch motiviert sein? Johannes Paul II. war klar, dass er nicht alle Stationen einer solchen Reise auf einmal besuchen konnte. Die Reihenfolge der Orte beginnt mit dem irakischen Ur, gefolgt vom Sinai und dem Heiligen Land, wo alles „von Norden nach Süden an Christus erinnert“ und der besondere Aspekt Jerusalems betont wird, bevor der Weg über Damaskus und Athen bis nach Rom führt: „Ich werde mich auf die Orte beschränken müssen, die am symbolträchtigsten sind, und Jerusalem fasst in gewisser Weise alle zusammen.“ Es sollte also auch darum gehen, Zeichen zu setzen, sodass die vatikanischen Reiseplaner mit Blick auf die anderen monotheistischen Religionen und christlichen Konfessionen genügend Handlungsspielraum hatten, religionspolitische Optionen im Programm zu berücksichtigen. In dem Brief wird besonders die Aussöhnung mit dem Judentum hervorgehoben. Das Jubiläumsjahr müsse einen Beitrag leisten „zur endgültigen Behebung von Miss- und Unverständnis, das leider im Laufe der Jahrhunderte das Verhältnis zwischen Christen und Juden sehr bitter getrübt hat“. Dem Islam gelte es mit Hochachtung zu begegnen, um noch mehr voneinander zu lernen. Gleichzeitig unterstrich der Papst für die ökumenische Dimension des Reiseprojektes seinen Wunsch, „mich als Pilger und Bruder nicht nur bei den katholischen Gemeinschaften […] willkommen fühlen zu dürfen, sondern auch bei den anderen Kirchen, die ununterbrochen an den heiligen Städten gelebt und diese in Treue und Liebe zum Herrn gehütet haben […] Ich wäre glücklich, wenn wir uns an den Stätten unseres gemeinsamen Ursprungs versammeln könnten, um Christus zu bezeugen, der unsere Einheit ist, und um unseren gegenseitigen Einsatz zu unterstreichen, die volle Gemeinschaft wiederherzustellen.“ Im Gesamtplan der Pilgerreise in den Nahen Osten sind also auch die prägenden Säulen dieses Pontifikats, der interreligiöse Dialog und die Suche nach der Einheit der Christen, integriert. Dass politische Implikationen bei der Umsetzung nicht außer Acht gelassen werden konnten wie zum Beispiel die kirchliche Option für die Armen, war von Anfang an offensichtlich.

Erschütternd für den Papst, begann die Verwirklichung der Vision mit einer Niederlage: Die für den 4. bis 7. Dezember 1999 geplante Reise in den Irak wurde von irakischer Seite abgesagt. Hingegen wurde die Reise nach Ägypten vom 24. bis 26. Februar 2000 ein voller Erfolg und leitete die erste Station der Verwirklichung einer im Herzen lange gereiften Vision ein.62

Perspektivischer Schritt: Grundlagenvertrag mit der PLO und Schuldbekenntnis im Vatikan

Unmittelbar vor der Reise nach Ägypten und rund einen Monat vor dem Besuch des Heiligen Landes konnte der Heilige Stuhl einen weiteren Erfolg seines diplomatischen Bemühens verzeichnen: Nach langwierigen Verhandlungen zwischen dem Vatikan und der PLO wurde am 15. Februar 2000 in Rom durch das Mitglied des Exekutivkomitees der PLO, Emil Jarjuna, und Kurienerzbischof Jean-Louis Tauran ein Grundlagenvertrag abgeschlossen, der als einmalig in der arabisch-islamischen Welt gilt.63 Bereits am 25. Oktober 1994 hatten der Heilige Stuhl und die PLO in einer Vereinbarung die Einrichtung ständiger Kontakte mit offiziellem und permanentem Charakter sowie den Austausch von Repräsentanten beschlossen. Verhandlungen für den Grundlagenvertrag liefen schleppend, sodass 1998 eine Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, die vor allem Rechtsfragen behandeln sollte und erst Ende 1999 zum Durchbruch kam.

Das Abkommen regelt und bezieht sich auf Präsenz und Aktivitäten der katholischen Kirche in den Autonomiegebieten. Einer ausführlichen Präambel folgen zwölf Artikel. Von Interesse ist, wer die Vertragspartner sind: Neben dem Heiligen Stuhl wird die PLO genannt „als Vertretung des Palästinensischen Volkes, die zugunsten und im Namen der Palästinenser-Autorität handelt“. Der Vatikan hat eine gerechte Lösung der Palästinenserfrage immer unterstrichen und Johannes Paul II. wagte den Durchbruch, von einem eigenen Territorium für das palästinensische Volk zu sprechen. Mit diesem Vertrag wird die PLO von vatikanischer Seite als souveräner Verhandlungspartner angesehen, was nahezu einer De-facto-Anerkennung des noch nicht ausgerufenen palästinensischen Staates gleichkommt. Dennoch steht für den Heiligen Stuhl – entgegen eiliger Überzeugungen Yassir Arafats oder des Bürgermeisters von Betlehem, Hanna Nasser – fest, dass er den palästinensischen Staat nicht als erstes Land anerkennen wird, sondern wie üblich zunächst den wichtigsten Partnern des „neuen“ Staates den Vortritt lässt.

Im weiteren Text der Präambel erwarten die Vertragspartner eine friedliche Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts, „worin die unveräußerlichen, legitimen nationalen Rechte und Erwartungen des Palästinensischen Volkes anerkannt werden; diese Lösung ist durch Verhandlungen und Übereinkommen zu erzielen, damit – auf der Grundlage des internationalen Rechts, der entsprechenden Beschlüsse der Vereinten Nationen und ihres Sicherheitsrates – Gerechtigkeit und Billigkeit, Frieden und Sicherheit für alle Völker der Region gewährleistet werden.“ Der Vatikan geht mit den Forderungen nicht hinter seine bisherige Position zurück, da er seit dem UN-Teilungsplan von 1947 dieses internationale Recht eingefordert hat. Für Irritationen und eine scharfe diplomatische Auseinandersetzung zwischen dem Apostolischen Nuntius, Erzbischof Pietro Sambi, und dem israelischen Außenministerium sorgte jedoch weniger die Forderung nach einer Heimstadt für die Palästinenser als die heikle Formulierung zu Jerusalem, die in den Verträgen mit Israel ausgeklammert worden war. Der Vatikan vertritt im PLO-Abkommen keine Neuheit, auch wurden keine territorialen Fragen oder Hoheitsprobleme behandelt. Beide Partner erklären, „dass eine gerechte Lösung zur Jerusalemfrage auf der Grundlage internationaler Beschlüsse für einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten wesentlich ist; einseitige Entscheidungen und Aktionen, die den besonderen Charakter und Status von Jerusalem ändern, sind moralisch und rechtlich inakzeptabel.“ Der Heilige Stuhl unterstreicht damit erneut, dass er die Annexion Ostjerusalems vom 30. Juli 1980 nicht akzeptiert und mit der PLO im Vertrag ein international gesichertes Sonderstatut fordert, das die Religions- und Gewissensfreiheit sowie die Gleichheit vor dem Gesetz der drei monotheistischen Religionen, ihrer Einrichtungen und Gläubigen garantieren müsse. Johannes Paul II. hat während seines Pontifikats immer wieder den besonderen Charakter Jerusalems hervorgehoben. Deshalb sei in dem Statut „die besondere Identität und der heilige Charakter der Stadt mit ihrem universalen religiösen und kulturellen Erbe“ zu berücksichtigen. Außerdem gelte es, den freien Zugang zu den heiligen Stätten ebenso aufrechtzuerhalten wie den „Status quo“ an jenen heiligen Stätten, wo er anzuwenden sei.

Nach der Präambel werden einzelne Ziele genannt. Die Art. 1 und 2 bestätigen den Einsatz für die Menschenrechte, wobei die PLO ihre Verpflichtung zur Wahrung des Menschenrechts auf Religions- und Gewissensfreiheit bestätigt und beide Parteien auch in Zukunft zum interreligiösen Dialog ermutigen. Die Gleichheit der bürgerlichen und Menschenrechte, die Freiheit von jeder Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit, Glauben oder Religionsausübung werden in Art. 3 festgeschrieben. Art. 4 wiederholt die Anwendung des „Status quo“ auf die heiligen Stätten. Dieser Passus ist für die Kirche wichtig, weil der Status quo damit auch z. B. für das in den Autonomiegebieten gelegene Betlehem gilt. Hier muss sich der palästinensische Staat künftig für die Freiheit des Ortes und das legitime Recht, den Glauben öffentlich auszuüben, einsetzen. Ebenfalls von Bedeutung ist Art. 5, in dem die PLO die Freiheit der katholischen Kirche anerkennt, ihre Rechte auszuüben und in ihren Bereichen wie Caritas, Erziehung und Kultur wahrzunehmen. Art. 6 betont, dass die PLO die Rechte der katholischen Kirche „in wirtschaftlichen, rechtlichen und steuerlichen Angelegenheiten“ anerkennt. Das heißt, dass der katholischen Kirche – ähnlich wie im Vertrag aus dem Jahr 1997 mit Israel – in den palästinensischen Autonomiegebieten der Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zugesprochen wird. Das unterstreicht zusätzlich Art. 7, demzufolge im palästinensischen Recht die Rechtspersönlichkeit der katholischen Kirche Anwendung findet. Dies wäre z. B. der Fall bei Bischofsernennungen, wo die Kirche durch jenen Artikel staatlich ungebunden ist und auch einen der Regierung missliebigen Bischof einsetzen kann. Der folgende Art. 8 legt fest, dass das Abkommen keine Auswirkungen auf andere Verträge zwischen den Parteien oder Dritten hat.

Die weiteren Artikel klären formale Elemente und beauftragen die ständige bilaterale Arbeitskommission, weitere Fragen des Abkommens zu behandeln. Indirekt liegt hier die Chance zu einem Folgevertrag, besonders dann, wenn es um die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen geht, für die das Abkommen mit seiner innen- und außenpolitischen Bedeutung die entscheidende Grundlage ist. Der Handlungsspielraum in der Annäherung zwischen beiden Partnern ist jetzt so lange ausgeschöpft, bis ein eigenständiger und souveräner palästinensischer Staat ausgerufen wird. Tatsächlich stellt die Vereinbarung – nach den Verträgen von 1993 und 1997 mit dem israelischen Staat – eine wesentliche Anerkennung und künftige Sicherung der Rechte der katholischen Kirche dar, aus dem die katholischen Gemeinden und das Lateinische Patriarchat gestärkt hervorgehen, auch gegenüber der palästinensischen Regierung.

Nach der Ägyptenreise und der Vertragsunterzeichnung mit der PLO konnte Papst Johannes Paul II. sein Bemühen um eine Versöhnung mit dem jüdischen Volk gleichsam krönen. Anlässlich des Heiligen Jahres 2000 lud er am 12. März zu einem Bußgottesdienst in den Petersdom. In einer ergreifenden Feier bat er um Vergebung und sprach durch die Person von Kardinal Edward Idris Cassidy, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, das weltweit positiv aufgenommene „Mea culpa“: „Lass die Christen der Leiden gedenken, die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden. Lass sie ihre Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes begangen haben, und so ihr Herz reinigen.“ Dann betete Johannes Paul II. selbst: „Gott unserer Väter, du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt, deinen Namen zu den Völkern zu tragen: Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes.“64

Zwischen Euphorie und Ernüchterung: Johannes Paul II. im Heiligen Land und Camp David II

Nach Nostra aetate war das Schuldbekenntnis die unüberbietbare Aussöhnung gegenüber dem Judentum. Diese wurde ergänzt und erweitert durch den wenige Tage später stattfindenden Besuch von Papst Johannes Paul II. im Heiligen Land und hier vor allem in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Vom 20. bis 26. März 2000 hielt sich der Papst in Jordanien, den Palästinensischen Autonomiegebieten und Israel auf. Er wurde – wie es König Hussein von Jordanien ausdrückte – Grenzgänger an der „Straßenkreuzung von Geschichte und Geografie, wo Religion begann und Zivilisation sich erstmals entwickelte“. Manche päpstliche Äußerung und Versprechung von Gastgeberseite musste auch künftig in Erinnerung gerufen werden, wenn es im Heiligen Land um religiöse Toleranz, Ökumene oder die Menschenrechtslage wieder schlecht stand. Johannes Paul II. war Pilger und Politiker im Nahen Osten. Spätestens seine Friedensbotschaft für Jerusalem und die Forderung nach einem dauerhaften Frieden in Toleranz und Koexistenz haben gezeigt, dass Politik von Pastoral kaum zu trennen ist. Die Reisen nach Ägypten und ins Heilige Land zeigten die beherzte Rolle, die Johannes Paul II. als Vorkämpfer des interreligiösen Dialogs zwischen den drei Religionen übernahm und der sich kaum jemand entziehen kann.

Hinter diese Reisen kann keine Religionsgeschichte und politische Debatte zurück. Johannes Paul II. hat den Durchbruch der Pilgerfahrt Pauls VI. in mühevoller Arbeit fortgeführt; jetzt folgte die Frage des „danach“: Werden die gereichten Hände nun auch nicht mehr losgelassen und findet damit der schleichende Christenexodus in Nahost ein Ende? Johannes Paul II. jedenfalls hatte ernst gemacht mit dem in seinem Pilgerbrief dargelegten Wunsch hinsichtlich des Ziels solcher Anstrengungen: „Die Kirche kann ihre Wurzeln nicht vergessen. Mehr noch: An diese Wurzeln muss sie ständig zurückkehren, um sich in vollkommener Treue an Gottes Plan zu halten.“

In den ersten Monaten nach der Heilig-Land-Reise folgte der Euphorie ein innerer pastoraler Aufbruch in vielen Gemeinden, auch über die katholische Kirche hinaus. Vor allem erinnerten die Kirchenführer ihre Gläubigen an den Appell des Papstes, das Land nicht zu verlassen und am Aufbau der Gesellschaft mitzuwirken. Patriarch Sabbah stellte rund zwei Monate nach der Reise bei einem Deutschlandbesuch in Aachen am 21. Mai 2000 fest: „Wir haben neuen Mut bekommen. Trotz vieler Schwierigkeiten schauen wir gestärkt in die Zukunft. Dem Islam und den Juden ist deutlich geworden: Im Papst haben sie einen Mann des Vertrauens entdeckt. Auch Wochen nach der Reise ist er in der israelischen und palästinensischen Bevölkerung unvergessen. Mit dem großartigen Medienecho hat die Welt unsere Situation in Nahost verstanden. Es war ein wahrhaftig historischer Besuch.“ Sabbah unterstrich zugleich die politische Bedeutung der Reise, die klargemacht habe, „dass wir als Religionen gemeinsam den politischen Schwierigkeiten begegnen müssen. Wenn es um den Frieden geht, dann sind Politik und Religion nicht zu trennen.“ Für den Patriarchen war es neben dem spirituellen Neuaufbruch der Christen in Nahost die globale Dimension der Bedeutung des Heiligen Landes: „Das Heilige Land ist für alle Menschen da, es bedarf der Erlösung. […] Wir sind ein Land mit zwei Völkern, die beide Frieden wollen. Deshalb darf das eine Volk nicht das andere ausspielen. Hilfe benötigen beide Völker. Wir sind Menschen, die nicht mehr wollen, als in friedlicher Koexistenz Haus an Haus zu leben. Diese Hoffnung gebe ich nicht auf.“65

Die Ernte der ersten Früchte dieser Reise wurde jedoch schon bald durch den politischen Alltag zurückgedrängt. Premierminister Ehud Barak schien zunächst noch auf einem guten Weg, als sich die israelischen Truppen am 24. Mai 2000 früher aus dem Südlibanon zurückzogen als erwartet. Die Niederlage Baraks folgte allerdings nur wenige Wochen später, als die Verhandlungen von Camp David am 25. Juli scheiterten und damit das Abkommen Oslo-II letztlich Makulatur geworden war. Auslöser dafür waren unter anderem die Fragen nach dem künftigen Status von Jerusalem und die Zukunft jüdischer Siedlungen in den autonomen palästinensischen Gebieten. Hoffnungen hatte es gegeben, vor allem weil der damalige israelische Außenminister Yossi Beilin eingeladen hatte, über den „Mythos der Unteilbarkeit Jerusalems“ nachzudenken – in israelischem Verständnis fast eine unerhörte Äußerung. Yassir Arafat war jedoch von radikalen palästinensischen Kräften so sehr unter Druck gesetzt worden, dass er ein Angebot der Israelis, die eine Teilüberlassung Ostjerusalems für die Palästinenser vorsahen, ablehnte und kein Gegenangebot unterbreitete. Auch die Intervention der christlichen Kirchenführer Jerusalems, die sich am 17. Juli in einem Brief an die Konferenzteilnehmer von Camp David wandten, brachte nichts: Die Zukunft Jerusalems müsse das primäre Ziel der Gespräche sein; gleichzeitig warnten die Bischöfe vor einer Teilung der Altstadt Jerusalems, weil insbesondere das armenische Viertel im Glauben vereint mit den anderen Christen sei und deshalb die Altstadt eine historisch gewachsene Einheit darstelle. Für Überraschung sorgte dann aber wenige Tage später die Äußerung der Patriarchen, die Verwaltung der Altstadt unter die von ihnen historisch begründete Oberhoheit der Palästinenser zu stellen.66

Der Papst nutzte die verfahrene Situation für deutliche Worte an den neuen israelischen Botschafter Yosef Neville Lamdan bei der Übergabe des Beglaubigungsschreibens am 18. September 2000. Seine Pilgerreise sei eine Einladung „zum Aufbau einer neuen Epoche in den Beziehungen zwischen Christen und Juden“ gewesen, so Johannes Paul II. „Ein steter Grund zur Traurigkeit ist der vergängliche Charakter eines endgültigen Friedens im Nahen Osten.“ Mit Blick auf die Jerusalemfrage sei daher der Dialog ebenso wie gegenseitiges Verständnis gefordert. Die Papstrede reflektierte dabei die gängige Haltung des Heiligen Stuhls für das international garantierte Sonderstatut, das jene Optionen erfüllen muss, auf die Johannes Paul II. seit Jahren unermüdlich hingewiesen hat. Deshalb war die Ansprache nichts Neues, wohl aber nach der Heilig-Land-Reise und in der gefährdeten Lage des Nahost-Friedensprozesses eine unmissverständliche Erinnerung an das kirchliche Engagement zum Wohl der Völker in der Region.67

Zehn Tage später explodierte die Situation im Heiligen Land: Am 28. September 2000 besuchte Ariel Sharon als Oppositionsführer in Israel den Tempelberg Jerusalems – das politische Kalkül Sharons war eine gezielte Provokation und gilt als Auslöser der al-Aksa-Intifada (zweite Intifada nach 1987) und als Erfolg seines späteren Wahlsiegs. In dieser angespannten Lage meldete sich auch der Heilige Stuhl zu Wort. Im November 2000 drängte Rom auf eine dritte Kraft von außen, um die Kontroverse zu lösen. Wenige Wochen später mischte sich in den nahezu ausweglosen Konflikt die Trauer des Papstes und zahlreicher Christen. Grund war der Tod des griechisch-orthodoxen Patriarchen Diodoros I. am 20. Dezember, der Schlüsselfigur für das ökumenische Gespräch während der Reise von Johannes Paul II. Noch zwei Tage zuvor hatte er mit allen anderen christlichen Oberhäuptern des Heiligen Landes eine Weihnachtsbotschaft unterzeichnet, in der die Patriarchen die internationale Gemeinschaft aufforderten, ihren Beitrag zu leisten, um den Konflikt zu beenden. Außerdem nutzte der Papst die Chance, bei seiner Syrienreise vom 5. bis 8. Mai 2001 noch einmal die Komplexität des Konflikts der ganzen Region vor Augen zu führen, als er vom Golan einen umfassenden Frieden für die Region forderte.68 Vor Ort versuchte Patriarch Michel Sabbah unermüdlich auf die Leiden der palästinensischen Bevölkerung aufmerksam zu machen. „Sabbah soll mehr Pastor als Politiker sein“, hieß es dazu aus dem früheren Religionsministerium. Tatsächlich traf die al-Aksa-Intifada auch die katholischen Gemeinden in den Autonomiegebieten mit voller Wucht. Einmal mehr standen die Gläubigen vor dem Dilemma, erst die Nation und dann die Religion zu sehen oder umgekehrt.

Angst: Weltfriede in Gefahr?

Auch der 11. September 2001 trägt Schuld an der Dramatisierung in Nahost. Erneut war es der Heilige Stuhl, der einerseits zu einem besonnenen, aber offenen Umgang mit dem Islam aufforderte und gleichzeitig die internationale Gemeinschaft an die Leiden der Bevölkerung im Nahen Osten erinnerte. Um ein deutliches Zeichen zu setzen, rief Johannes Paul II. einen Fasttag für den Frieden zum Ende des Ramadan und mitten in der Adventszeit aus. Einen Tag vor diesem Fasttag, am 13. Dezember 2001, kamen die Führer der katholischen Kirchen des Nahen Ostens zu einem Krisengipfel in den Vatikan. Im Schlusskommuniqué von vatikanischer Seite wurden die Kriterien für einen dauerhaften und gerechten Frieden genannt: „Sicherheit des Staates Israel, Gründung eines Staates für das palästinensische Volk, Räumung der besetzten Gebiete, ein international garantiertes Sonderstatut für die heiligsten Teile Jerusalems, eine gerechte Lösung für die Palästina-Flüchtlinge.“ Die Punkte sind zwar keine Neuigkeit, aber die teilweise Präzisierung ist doch ein wesentliches Ergebnis des vatikanischen Gipfels. Zwar wird im Nachhinein nicht klar, was der Pressesprecher des Papstes mit den „heiligsten Teilen Jerusalems“ in der Erklärung meinte, weil die Diktion Roms bisher von den „heiligen Stätten“ Jerusalems sprach, zu denen auch Orte auf dem Ölberg, der Zionsberg und andere Stellen zählen konnten. Die „heiligsten Stätten“ reduzieren dieselben jetzt möglicherweise auf den Tempelberg, die Westmauer und die Grabeskirche. Dafür wird aber erstmals von der konkreten Realisierung eines palästinensischen Staates gesprochen. Bisher war die Wortwahl Roms so, dass man eine gerechte Lösung der Palästinenserfrage, das Recht auf eine angestammte Heimat und die „legitimen nationalen Rechte und Erwartungen des palästinensischen Volkes“ vertrat, wobei die Begrifflichkeit eines Staatsgebildes nur indirekt fiel. Die Forderung nach der „Gründung eines Staates“ ist in der Diktion nahöstlicher Vatikandiplomatie ein Novum gewesen.69

Darüber hinaus wollten die Religionsvertreter des Nahen Ostens kurz vor einem Friedenstreffen der Religionen in Assisi, zu dem Papst Johannes Paul II. in Folge des 11. September eingeladen hatte, ein Zeichen setzen. In der so genannten „Erklärung von Alexandria“ vom 21. Januar 2002 forderten sie ein Ende von Terror und Gewalt und die Schaffung einer gerechten Lösung für beide Völker: „Die Gewalt im Heiligen Land ist eine Sünde, die den völligen Widerstand aller Gläubigen herausfordert. Wir streben ein Leben nebeneinander als Nachbarn an, mit gegenseitigem Respekt zum historischen Bezug und dem religiösen Erbe jedes Einzelnen. […] Das Heilige Land ist allen drei Religionen heilig. Deshalb sollten die Gläubigen dieser drei Religionen die Heiligkeit ehren und sie nicht durch Blutvergießen verseuchen.“ Die Begegnung ist umso bedeutsamer gewesen, als unter anderem jener Großmufti Tayseer al-Tamimi aus den palästinensischen Autonomiegebieten anwesend war, der beim interreligiösen Treffen mit dem Papst in Jerusalem zwei Jahre zuvor den Saal unter heftigen Protesten verlassen hatte. Einer der Jerusalemer Oberrabbiner und weitere Vertreter der jüdischen Welt waren jetzt in Alexandria mit dabei und setzten – zusammen mit al-Tamimi und anderen Großmuftis – ihren Namen ebenso unter die Erklärung wie Patriarch Sabbah. Parallel hatten sich darüber hinaus verschiedene nationale Bischofskonferenzen der Welt im Heiligen Land versammelt, um über Hilfe für die Christen zu beraten. Beim historischen Treffen von Assisi am 24. Januar 2002 gelang es, mit zwölf Weltreligionen und 31 christlichen Kirchen eine gemeinsame Erklärung für den Frieden zu verabschieden, in der das Wort des Papstes aufgenommen wurde, „dass Gewalt und Terrorismus im Kontrast zu einem echten religiösen Geist stehen. Wir verurteilen jeden Rückgriff auf Gewalt und Krieg im Namen Gottes oder der Religion.“70

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