Drug trail - Spur der Drogen

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Lasst uns Geschichte schreiben

Bob Thompson hatte sich kurz entschuldigt und Oliver im Oval Office zurückgelassen. Grübelnd saß dieser noch immer mit einem Glas Scotch in der Hand auf der Präsidentencouch. Der Plan des Präsidenten, in den er nunmehr eingeweiht worden war, schien ihm vom Grundsatz her simpel und logisch. Doch je mehr er darüber nachdachte, je bewusster ihm wurde, dass er nun Teil dieses Plans war, desto mehr wuchs sein Respekt vor dieser Entscheidung und der damit schier undurchdringlichen Masse an Folgen. Die Folgen, die vielen Auswirkungen, die mit der Legalisierung von harten Drogen in den Vereinigten Staaten einhergingen, stellten für ihn mehr und mehr eine unüberwindbare Mauer dar. Nein, der Plan glich keiner Mauer, vielmehr einem Labyrinth, erbaut aus Tausenden aneinandergereihten Dominosteinen. Viele, viele Steine, die in einer riesigen Lagerhalle aufgestellt waren. Jeder Stein stand für eine Konsequenz der Entscheidung. Legalisierung bedeutet Ausgabestellen für Drogen, überlegte Oliver. Sollte jeder Süchtige Zugang haben und Koks, oder welche Drogen auch immer, im Supermarkt beziehen können? Die Einrichtung neuer Suchtberatungsstellen wäre vonnöten. Verstärkter Ausbau von Kliniken zur Behandlung der Suchterkrankungen. Wie würde sich der Rest der Welt zu dem Thema stellen und würde man hierdurch nicht ein Volk von Junkies heranziehen? Wie würden die Drogenkartelle darauf reagieren? Und so weiter und so weiter. Zu guter Letzt – wer würde welche Drogen woher beziehen? Eine zentrale Einkaufsstelle des Staates, die Rahmenverträge mit den Syndikaten dieser Welt aushandelte? Oder gar der landwirtschaftliche Anbau in den Vereinigten Staaten? Würde sich das Bild in den kommenden Jahrzehnten dahingehend ändern, dass neben Mais- und Kornfeldern auch Mohnplantagen das Land zierten?

In Olivers Kopf schossen die Gedanken wie Pingpongbälle wirr durcheinander, als pünktlich um 14:00 Uhr Bob Thompson, gefolgt von drei weiteren Personen, das Oval Office betrat.

„Mr. Konecki, dies sind drei meiner engsten Vertrauten. Darf ich vorstellen: die Herren William, Robert und Philipp Baker.“ Der Präsident lächelte auffordernd. „Diese Herren, Mr. Konecki, stellen den Inner-Circle zur Umsetzung meines Plans War on drugs dar. William Baker, mein langjähriger Freund und Berater, sein Sohn Robert, der mich erst auf die Idee gebracht hat, und neu hinzugestoßen Philipp Baker, Roberts Zwillingsbruder aus Deutschland.“

Oliver nickte und schüttelte einem nach dem anderen die Hand.

„So weit, so gut, meine Herren. Ich habe Mr. Konecki von der Washington Post eingeladen und ihn über seine Rechte und Pflichten der Geheimhaltung aufgeklärt. Ihr fragt euch bestimmt, warum. Ganz einfach: Mr. Konecki ist ein hervorragender Journalist. Immerhin hat er meine Person, das Amt des Präsidenten, durch die jüngsten Enthüllungen in der Washington Post in mächtige Bedrängnis gebracht. Eine alte Kriegsregel lautet: Kannst du deinen Feind nicht bezwingen, mach ihn zu deinem Freund. Nicht, dass Mr. Konecki in seiner Funktion generell als Feind einzustufen wäre, doch die freie Presse wird ein mächtiger Anker unseres Vorhabens sein.“

Oliver lächelte etwas gekünstelt in die Runde. Noch heute Morgen hatte er sich den Verlauf dieses Tages wahrlich anders vorgestellt.

„Philipp, wie ich von Robert erfahren habe, sind Sie ein ausgezeichneter Stratege, wenn es um Marketingkampagnen geht. Richtig?“

„Wenn Ihnen das so angekündigt wurde, Mr. President, will ich Ihr Bild ungern trüben“, witzelte Philipp noch etwas schüchtern.

„In ein paar Monaten sind Präsidentschaftswahlen“, fuhr Bob Thompson fort. „Ursprünglich wären wir mit Eckpfeilern wie Abbau der Arbeitslosenzahlen, Verbesserung sozialer Infrastrukturen und Steigerung unseres Bruttosozialproduktes in den Wahlkampf gezogen. Nach wie vor stehen diese Themen auch zur Debatte. Nichtsdestotrotz überschattet die Drogen-Epidemie all unser Denken und Tun. Derjenige, der für dieses Damoklesschwert einleuchtende Lösungsvorschläge hat, wird diese Wahl gewinnen. Ich muss euch nicht sagen, dass, sollte ich keine zweite Legislaturperiode erreichen, all unsere Pläne und Arbeit zunichte sind. Ihr vier seid mir in den kommenden Monaten verantwortlich, den Vorstoß zur Legalisierung von allen Seiten zu beleuchten und auf Machbarkeit zu prüfen. Jedes Für und Wider muss herausgearbeitet werden. Und: Sollte tatsächlich das Pro das Contra überwiegen, muss in einer unvorstellbar kurzen Zeit eine Kampagne hierfür erarbeitet werden. William, setz dich mit den Ausschussmitgliedern, die ich dir genannt habe, zusammen. Sie sind loyal und werden dicht halten. Wir brauchen alle Fakten fiskalischer wie juristischer Natur.“

„Darf ich eine Frage stellen?“, warf Philipp ein. „Sie sprachen von Geheimhaltung. Ist das überhaupt möglich?“

„Nun, früher oder später werden Informationen durchsickern. Jeder Winkel des Weißen Hauses, des Senats und des Kongresses hat Ohren. Doch je später, desto besser sind wir darauf vorbereitet – so hoffe ich.“

Es herrschte Stille im Raum. Der Blick des Präsidenten haftete jeweils für mehrere Sekunden auf jedem Einzelnen von ihnen. Dann schlug Bob Thompson mit der flachen Hand auf den Tisch. „Jungs, lasst uns Geschichte schreiben!“

Finden sie die Quelle, Paolo

„Paolo, Sie hatten mir zugesagt, sich um das Problem zu kümmern.“

„Habe ich, Mr. Eagle.“

„Und weswegen lese ich noch immer diese Schlagzeilen? Warum ist immer noch dieser Giftscheiß auf unseren Straßen?“ Ashton Brown, alias Mr. Eagle, klang maßlos ungehalten.

„Wir haben Dagobert eliminiert. Ein deutliches Zeichen gesetzt. Entweder hat seine Organisation mehr vergiftete Drogen im Umlauf als gedacht oder …“, Paolo Fucari legte eine Denkpause ein, „oder das Problem hat größere Dimensionen als angenommen.“

„Soll das heißen, Sie gehen von verunreinigter Ware unserer Lieferanten aus?“

„Diese Option müssen wir in Betracht ziehen, Mr. Eagle. Wir führen verstärkt Stichproben all unserer Lieferungen durch. Noch haben wir nichts gefunden, doch ich garantiere Ihnen, werden wir fündig, wird die Angelegenheit behoben.“

„Unser Syndikat bedient siebzig Prozent des Marktes. Was, wenn eines der mexikanischen Kartelle dahintersteckt?“

„Kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Ursache muss anderen Ursprungs sein. Ich frage mich aber die ganze Zeit nach dem Warum. Zuerst dachte ich, Dagobert will unser Verteilernetzwerk an sich binden. Hätte Sinn ergeben. Er verteilt hinter unserem Rücken verunreinigte Ware – in unserem Namen – und reißt so den Markt an sich. Allerdings hat sich Dagoberts Organisation auf das ihr zugeteilte Territorium zurückgezogen.“

„Paolo.“ Die Stimme Ashton Browns wurde ernst, eindringlich. „Was, wenn der Präsident eine Legalisierung von Drogen auf den Weg bringt?“

„Wie? Unmöglich, Mr. Eagle, das wäre ja eine …“ Paolo hielt inne. „Gibt es hierfür Anhaltspunkte?“

„Eindeutige. Thompson stellt bereits ein Team, ja einen ganzen Stab zusammen, der dieses Szenario prüft. Ihm kommt es, wie mir scheint, sehr gelegen, im Jahr seiner angestrebten Wiederwahl mit einer derart revolutionären Reform Politik zu machen. Dieses Massensterben schreit nach einer Verstaatlichung. Es würde mich nicht wundern, wenn er selbst der Drahtzieher ist.“

„Thompson steht nicht auf unserer Gehaltsliste. Ließe sich das ändern?“, fragte Paolo.

„Wir hatten bereits zu Zeiten, da er Senator von Illinois war, solch einen Versuch gestartet. Keine Chance. Doch das lassen Sie meine Sorge sein. Finden Sie die Quelle, Paolo – um den Präsidenten und seine Crew kümmere ich mich.“

Wir könnten dich brauchen

„Philipp, wo bist du?“ Heidi presste den Hörer fester an ihr Ohr. „Wo? Ich glaub’s nicht. Und wann gedenkst du wieder nach Berlin zu kommen? Immerhin haben wir einen stattlichen Auftrag bei deiner Agentur platziert.“

Erneut lauschte Heidi der Stimme aus ihrem Handy.

„Jetzt komm mir nicht damit. Hey, du weißt, dass wir die Beauftragung an deiner Person festgemacht haben. Plötzlich mit anderen Consultants ins Feld zu ziehen, wird meinen CEO nicht zufriedenstellen. Du bewegst deinen gottverdammten Arsch hierher. Hörst du! Es wäre zu schade, müsste ich ihn dir aufreißen …“

Die Stimme Philipps klang eindringlich und entschlossen an Heidis Ohr.

„Ich soll mir nichts, dir nichts meinen Job hinschmeißen? Wie stellst du dir das vor? – Moment mal, jetzt ganz langsam, Philipp … Fürs Weiße Haus? Bob Thompson?“

Heidi strich sich eine Strähne aus der Stirn, kramte in ihrer Handtasche nach einem Feuerzeug und zündete sich eine Lucky Strike an. Sie rauchte sonst nicht in ihrer Wohnung, doch offensichtlich ließ der Gesprächsverlauf dieses Telefonats eine Ausnahme zu.

„Okay, zum Mitschreiben. Du mailst mir einen Vertrag zu, dem entsprechend ich Mitarbeiterin in einer Stabsstelle des Präsidenten der Vereinigten Staaten werden soll. Habe ich dich da richtig verstanden? Des Weiteren stellt mir der Präsident eine Suite zur Verfügung und kommt für sämtliche Spesen und Auslagen auf …“ Sie lauschte weiter. „Ach ja, eine Arbeitsgenehmigung liegt bei. Sag mal, spinnst du völlig oder meinst du das ernst? Klar habe ich meinen Rechner an. Augenblick …“

Mit der Zigarette im Mundwinkel, dem Hörer in der einen und einem Glas Rotwein in der anderen Hand lief Heidi ins Nebenzimmer. Sie startete das Mailprogramm. Ihr Account zeigte vierzehn neue E-Mails. Der Absender der zuletzt zugestellten Mail lautete: Phil.Baker@security-department-wh.com.

 

„Augenblick, Mister Phil@security. Ja, ich habe die Mail vor mir. Ich stelle auf Lautsprecher … Hörst du mich?“

„Als säße ich neben dir, Heidi“, antwortete Philipp. „Hör zu, ich weiß, das hört sich jetzt alles irre und unwirklich an. Fakt ist, dass ich von Präsident Bob Thompson höchstpersönlich engagiert wurde. Wofür, kann ich dir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Nur so viel: Wir könnten dich hier wirklich gut gebrauchen. Du arbeitest seit Jahren für die Tabakindustrie, bist mit allen Wassern gewaschen. Daher öffne den Anhang und lies den Vertrag. Du wirst sehen, dass das Feld unter ‚Bezüge‘ frei gelassen wurde. Übertreib nicht, aber schreib hier die Summe rein, die für dich angemessen erscheint, um übermorgen in Washington zu sein und in Berlin vorerst alles liegen und stehen zu lassen. Den Rest klären wir hier.“

Gerüchte

Blitzlichtgewitter drängelnder Reporter, Paparazzi und Schaulustiger erhellte die Nacht zum Tag. Rachel Thompson schritt mit eng anliegendem, paillettenverziertem Abendkleid, Nerzstola sowie einem schlichten Perlenkettchen um den schlanken Hals neben ihrem Präsidentengatten. Der ausgerollte rote Teppich führte sie direkt zum Eingang des Ford’s Theaters, jenes im viktorianischen Baustil errichteten Theaters, das am 14. April 1865 Schauplatz des Attentats auf Abraham Lincoln war. Rachel Thompson hatte als Schirmherrin der Aidshilfe hochrangige Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung geladen. Höhepunkt dieses Abends sollte ein Konzert Sir Elton Johns sein, der für jenen wohltätigen Zweck in Begleitung seines Ehemanns David Furnish eigens aus England eingeflogen war.

Als sich der Applaus nach der zweiten Zugabe Elton Johns gelegt hatte, flanierten die zahlreichen Gäste im Foyer des Theaters und genossen den servierten Champagner sowie die kunstvollen, filigran angerichteten Häppchen.

Bob Thompson gratulierte gerade Sir John zu seinem Auftritt und führte einen charmanten Smalltalk mit dessen Ehemann, als Senator George Coleman an die Dreiergruppe herantrat.

„Sir John, Mr. Furnish, darf ich Ihnen Senator Coleman vorstellen, den wohl stockkonservativsten Republikaner, den man sich nur vorstellen kann.“

Bob Thompson klopfte Coleman freundschaftlich grinsend auf die Schulter, während dieser dem Künstlerpaar die Hände schüttelte und ein paar schmeichelnde Worte wechselte, um sich dann im Flüsterton an den Präsidenten zu wenden: „Bob, könnte ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?“

„Gerne, George. Sir John, Sie entschuldigen uns.“

Die beiden ergrauten Politiker schlenderten zur gegenüberliegenden Seite des Foyers. An einem Stehtisch machten sie halt und der Senator lächelte den Präsidenten vielsagend an. „Bob, mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie für die kommende Präsidentschaftswahl einen fulminanten Vorstoß wagen wollen.“

„Was genau meinen Sie, George?“, hakte Bob nach und wischte nicht vorhandene Krümel vom Ärmel seines Smokings.

„Nun, wenn man der Gerüchteküche Glauben schenken darf, geht es bei Ihrem Vorstoß um das aktuell dringliche Problem der Toxic Drugs.“

„Ach, was erzählt man sich denn unter vorgehaltener Hand in Ihrem Lager, George?“ Die dunklen Argusaugen Bobs durchbohrten nun förmlich sein Gegenüber.

„Nun ja. Es war die Rede von einer geplanten Legalisierung harter Drogen.“

„So etwas erzählt man sich? Interessanter Gedanke, George, wirklich interessant.“ Bob Thompson wandte sich vom Senator ab und ließ, als sei die Unterhaltung unsterblich langweilig geworden, seinen Blick in die Runde der herumschlendernden Gäste schweifen. Innerlich brodelte der Präsident, doch er bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen. Dann schüttelte er den Kopf, widmete seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Senator und murmelte: „Abgesehen davon, dass mir solch ein Gedanke so abwegig erscheint wie ein Eisberg in der Sahara – woher haben Sie diese angebliche Information?“

Coleman zuckte nichtssagend mit den Achseln. „Ich würde nur gerne wissen, ob an diesem Schwachsinn etwas Wahres dran ist. Ich meine …“

„George“, fiel Bob Thompson dem Senator ins Wort, „nichts von alledem steht auf meiner Agenda. Das versichere ich Ihnen. Kommen Sie, George, genießen Sie den Abend und grübeln Sie nicht über Dinge, die man sich in Ihrer Partei unter vorgehaltener Hand erzählt. Dennoch danke ich Ihnen, dass Sie mich über die Tuschelei aufgeklärt haben.“ Er klopfte dem Senator vertrauensvoll auf die Schulter, drehte sich um und ließ ihn stehen.

Hat wer geplaudert?

Philipp saß zwischen Oliver Konecki und seinem Bruder Robert in William Bakers Arbeitszimmer, um über die Planung notwendiger Ressourcen zu sprechen, als das Telefon klingelte. Sein Vater formte flüsternd die Worte, dass Bob Thompson in der Leitung war.

„Gestern sprach mich auf der Galaveranstaltung Senator Coleman an. So wie es aussieht, macht unser Projekt bereits die Runde. Wie kann das sein? Sollte die Presse jetzt schon Wind davon bekommen, müsste ich ein Dementi abgeben. William, glaubst du, der Journalist hat geplaudert?“

William blickte kurz auf und betrachtete Oliver Konecki von der Seite. „Ohne Gewähr, Bob. Denke eher nicht. Welchen Sinn würde es ergeben? Meines Erachtens …“ William überlegte kurz: „Nein“, hörte er sich dann bestimmt sagen.

Einige Sekunden des Schweigens in der Leitung. Als wäre die letzte Frage nie gestellt worden, fuhr der Präsident fort: „Macht ihr bereits Fortschritte?“ Hierauf erhielt Bob Thompson bloß einen kurzen Schnauf, den er verstand. „Sorry, William. Es ist nur … Coleman hat mich gestern eiskalt erwischt. Ich bin nicht erpicht auf eine Wiederholung. Also, macht es gut.“

Philipp sah über die vielen Papiere der auf dem Tisch ausgebreiteten Ideensammlung hinweg. „Was Neues, Dad?“

„Bob wurde gestern direkt auf War on drugs angesprochen. Ich stelle die Frage nur einmal: Hat jemand von euch …?“

Sie sahen sich einer nach dem anderen an. Ohne Argwohn – eher mit dem Ausdruck der Verwunderung. Dann schüttelten sie ausnahmslos verneinend die Köpfe.

„Der Präsident hat auf mich getippt, richtig?“ Oliver fuhr sich mit der Hand durch die dichte Mähne.

„Wenn Sie so direkt fragen, ja“, antwortete William Baker wahrheitsgemäß.

„Welchen Grund sollte ich haben? Ich bin Journalist, kein Idiot. Wäre ich allein der Story wegen in diesem Team, würde ich Daten sammeln und kurz vor Schluss berichten. Nicht zu Anfang, wo keiner weiß, ob wir schwanger gehen oder nicht.“

„Was ist mit Julia?“, fragte Robert.

„Julia?“, wiederholte William, während Philipp und Oliver aufmerksam die Stirn runzelten.

„Ja, Julia ist die Einzige, außer uns, die in den Plan eingeweiht ist“, ergänzte Robert seine Mutmaßung.

„Ausgeschlossen.“ William wischte das Misstrauen mit der flachen Hand von sich. „Philipp, was ist mit dir und der Marketingtante. Du hast ihr doch nicht …?“

„Nein! Wie besprochen habe ich Frau Grossmann den Vertrag zugeschickt und ihr bis heute Mittag Zeit für eine Entscheidung gegeben. Näheres würde sie erst hier in den Staaten erfahren – so wie wir es ausgemacht haben.“

„Okay. Dann lasst uns nicht weiter über die undichte Stelle grübeln. Jeder weiß, was er zu tun hat. Ergebnisse übermorgen. Jungs, ich verlass mich auf euch.“ William Baker wollte Motivation ausstrahlen, doch die Art, wie er sprach, verriet seine Sorgen. Noch immer stand er nicht hinter dem Plan des Präsidenten.

Hllp, Hllp

„Du kommst tatsächlich. Glückwunsch zur richtigen Entscheidung.“ Philipps Stimme klang offenkundig heiter.

„Klar! So ein Angebot bekommt man nicht alle Tage.“

„Was sagt Dr. Fischer dazu?“

„Das willst du nicht wissen.“

„Hat er den Auftrag zurückgezogen?“

„Yep“, antwortete Heidi kurz und knapp.

„Egal. Die Tickets sind in Schönefeld bereits für dich hinterlegt. Dein Flug geht übermorgen.“

„Dann muss ich schleunigst packen. Ich freu mich auf dich, Philipp.“

„Dito. Was machst du gerade?“

„Was soll ich morgens um vier Uhr schon machen? Ich liege verschlafen im Bett.“

„Was hast du an?“, hauchte Philipp ins Telefon.

„Wenn du glaubst, mein Lieber, du weckst mich mitten in der Nacht, dass ich dir schmutzige Sachen ins Ohr flüstere, dann täuschst du dich aber gewaltig. Mach dir meinetwegen versaute Gedanken. Was mich angeht … gute Nacht!“ Heidi schmatzte noch einen Kuss durch die Leitung, dann legte sie auf.

Perfekt, sann Philipp.

Eine Tüte Chips sowie zwei Gläser Rotwein später schlief er im Doppelbett seines geräumigen Vier-Zimmer-Apartments vor laufendem Fernseher ein. Sein Schnarchen übertönte das leise Klicken an der Eingangstür. So bekam Philipp nicht mit, wie eine dunkle Gestalt lautlos in die Wohnung schlüpfte und mit dezentem, kaum wahrnehmbarem Knacken die Tür hinter sich schloss. Der Unbekannte steckte sein Werkzeug in die Seitentasche der eng anliegenden schwarzen Jacke und knipste eine Taschenlampe an, bevor er im matten Lichtkegel auf leisen Sohlen durch den Wohnraum in Richtung des Schlafzimmers schlich. Er huschte durch die angelehnte Tür und stand wenige Sekunden später vor dem Schlafenden. Routine, dachte der Eindringling. Zwei, drei Handgriffe und schon wäre der Job erledigt. Er fasste in die Seitentasche seiner Hose und zog einen etwa sechzig Zentimeter langen Kabelbinder hervor. Die genialste Erfindung, seit es Fesselungen gibt, amüsierte sich der Unbekannte. Über den Schlafenden gebeugt, schob er das dünne Plastikband vorsichtig unter dessen Knöchel, um die Enden mit einem einzigen kurzen Ruck zusammenzuziehen. Blitzartig erwachte Philipp aus seiner Tiefschlafphase, riss die Augen auf und erkannte im bunten Flackerlicht des Fernsehapparates eine Gestalt, direkt über ihn gebeugt. Als würde in seinem Körper eine Bombe gezündet, platzte das Adrenalin förmlich in Philipps Kreislauf. Instinktiv schoss er in die Höhe, um dem Fremden die Faust ins Gesicht zu rammen. Doch bevor auch nur eine seiner Bewegungen ihr Ziel fand, brach ein harter Schlag sein Nasenbein. Tränen schossen Philipp in die Augen, ein unsäglicher Schmerz schoss von der gebrochenen Nase abwärts bis zu den Schultern und ließ ihn wie einen Sack nach hinten aufs Bett fallen. Doch der Urtrieb eines jeden Menschen, der kraftvolle Überlebenswille, gewann die Oberhand. Im Schleier seiner tränenden Augen boxte er blindlings um sich, wobei all seine Hiebe ins Leere schlugen. Abermals spürte Philipp die Faust, dieses Mal am Kinn, und ehe er sich versah, presste der Unbekannte mit enormer Brutalität ein Kopfkissen auf sein Gesicht. Philipps immer noch verschleiertes Sichtfeld verdunkelte sich – aus dem Versuch, zu schreien, wurde ein gedämpftes Stöhnen. Er wollte Luft holen, doch das Kissen ließ keinen Atemzug zu. Seine Fingernägel kratzten sich in die Handrücken der ledernen Handschuhe des Fremden. Es waren große, kräftige Hände, die das gesamte Körpergewicht auf das Kissen pressten. Die Tatsache, nicht atmen zu können, die Angst, zu ersticken, wandelte sich zu schierer Panik. Philipp stampfte mit den gefesselten Füßen, bog seine Hüften nach oben, zappelte wie eine sich windende Katze – doch nach wenigen Augenblicken verließen ihn die Sinne.

Erstickte Angst schlängelte sich sacht in sein Bewusstsein. Wie flutender Nebel, der sich zur Abenddämmerung einen Weg zwischen Bäumen und Sträuchern des Waldes sucht. Dann, schlagartig, ohne Vorwarnung, durchzuckte ihn der Schmerz. Dieser war so präsent, als gäbe es nichts anderes. Philipps Kopf glühte, pochte im Rhythmus seines Blutes. Er wollte die Augen öffnen, doch er bewirkte gerade einmal, dass sich die Lider einen Spaltbreit hoben. Im Hintergrund flimmerte noch immer das unregelmäßige bunte Licht des Fernsehapparates. Als hätte man Apfelsinen in die Haut der Augenlider implantiert, fühlte er die Schwellung, die sein gesamtes Gesicht unter Spannung setzte. Benommen rappelte er sich ein Stück weit auf und stützte sich auf den rechten Ellenbogen. War er tatsächlich noch am Leben? War er allein? Neuerlich erfasste ihn unsägliche Panik. Hektisch zitterte seine linke Hand zum Nachttisch neben dem Bett, den Schalter der Lampe suchend. Endlich fühlte er den Kippschalter und drückte dagegen. Der aufflammende Lichtkegel schmerzte durch die winzigen Sehschlitze, was ihn blitzschnell die Augen schließen ließ. Kraftlos sank er zurück aufs Bett. Seine Atmung glich einem Röcheln, war unregelmäßig schwer. Wild wirbelten seine Gedanken durcheinander – doch einer Tatsache war er sich sicher: Er lebte und es schien, als sei er allein im Zimmer.

 

Hustend stützte er sich auf, wobei er es vermied, die Augen erneut zu öffnen. Sein Handy! Irgendwo hier musste doch sein Handy liegen. Wiederholt tastete seine linke Hand blind über die Glasplatte des kleinen Tisches. Die Fingerkuppen zitterten auf der Suche nach dem Mobiltelefon. Dann fand seine Hand, wonach sie suchte, und griff danach, als er wie aus dem Nichts das Rascheln von Stoff neben sich wahrnahm. Plötzlich umschloss eine kräftige Hand die seine. Philipps Schrei erstickte in dem Augenblick, da sich ein Lederhandschuh stählern auf seinen Mund und äußerst schmerzhaft auf die gebrochene Nase legte. Energisch, kraftvoll.

Philipp strampelte wie ein wild gewordener Psychopath, als der Fremde zu flüstern begann: „Hör gut zu“, sprach eine dunkle, durchdringende Stimme in fließendem Deutsch, „fahr zurück in dein Berlin und vergiss das alles hier. Wenn nicht …“, im nächsten Augenblick sah Philipp verschwommen eine scharfe Klinge vor seinem Gesicht, „schneide ich dir das nächste Mal mit diesem Teppichmesser ein Auge aus.“

Der Lederhandschuh, der Philipps Unterkiefer wie in einem Schraubstock gefangen hielt, ließ von ihm ab. Philipp schloss die geschwollenen Lider, hörte schwache Trittgeräusche, die sich entfernten, dann war es still um ihn herum. Ohne nachzudenken, tastete er abermals nach seinem Handy. Sobald er es fand, suchte er blinzelnd die eingespeicherte Nummer seines Bruders und drückte, als der Name Robert im Display aufleuchtete, die Verbindungstaste.

Nach mehrmaligem Läuten hörte er wie aus weiter Ferner eine Stimme an seinem Ohr: „Phil, es ist mitten in der Nacht. Ich hoffe, du hast einen guten Grund …“

Philipp schrie um Hilfe, doch heraus kam nur ein blutig-gurgelndes, schmerzverzerrtes Gestammel: „Hllp, Hllp.“

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