Persephone

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Er sah von der Bedienoberfläche auf, drehte sich um und ließ einen interessierten Blick über seine Mannschaft schweifen.

Anthony Grainer, der so etwas wie der Sprecher der Crew war, gab sich einen Ruck und trat einen Schritt vor.

»Dr. Rogers, Sir?«

»Tony?«

»Mit Verlaub, meinen Sie nicht, dass wir es für heute gut sein lassen können.«

Rogers lachte trocken.

»Ihr habt genug, was?« Seine Leute fragten sich, was mehr zu seiner guten Laune beitrug: der positive Abschluss des Tests, dem monatelange komplizierte Vorbereitungen vorangegangen waren, oder die Tatsache, dass Brini aus dem Schussfeld war. Der italienischstämmige Stellvertreter kam nicht besonders gut mit seinem Vorgesetzten aus, was im übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte. Schon Brinis Äußeres mit manikürten Händen und schulterlangen schwarzen Locken, die ihm etwas Effeminiertes gaben, war Rogers zuwider – und der Stationsleiter war auch nicht der Mann, der einen Hehl aus seinen Antipathien machte. Brinis Angewohnheit, seinem Chef zu widersprechen und seine Entscheidungen in Zweifel zu ziehen, trugen nicht eben zu einem entspannten Umgangston bei. Rogers war gewohnt, dass er Anordnungen traf und dass diesen Folge geleistet wurde, ohne Verzögerung und ohne Rücksprache. Darin kam die straffe militärische Ausbildung durch, die absolviert zu haben er mit keiner Faser seines Wesens verheimlichte. Jetzt, da Brini endlich abgeflogen war und er die ERIS unter seinem alleinigen Kommando hatte, strahlte Rogers vor Gelassenheit und Jovialität.

»Es war ein langer Tag«, brachte Grainer hervor.

»Das war er in der Tat.«

»Und kein verschwendeter.«

Wieder produzierte Rogers ein kurzes, humorloses Lachen. Aber seine Miene war voller Wohlwollen.

»Ist gut, Kinder«, sagte er, obwohl er nicht einmal der Älteste an Bord war. »Schluss für heute.«

Ein Raunen der Erleichterung ging über das Deck. Konsolen wurden auf Stand By gesetzt, Kaffeebecher in den Recyclingschächten entsorgt. Rückenwirbel und Fingerknöchel knackten.

Rogers sah sich munter in den Reihen seines kleinen Teams um.

»Wie ich schon sagte«, begann er im Ton einer weiteren Ansprache. »Ich denke, dies war ein historischer Tag. Ein echter Durchbruch. Viel Arbeit liegt vor uns, aber für heute wollen wir es damit bewenden lassen.«

Er nickte seinen Leuten noch einmal anerkennend zu. Ein dürrer Applaus eroberte das funktionale Deck. Jetzt, da die Displays und Holoschirme weitgehend deaktiviert waren, wirkte die Arbeitsebene der ERIS beinahe geräumig.

Die Flaschen und das Gebäck, die man nach dem kleinen spontanen Umtrunk am Mittag rasch hatte verschwinden lassen, kamen wieder zum Vorschein. Die Wissenschaftler stießen miteinander an. Rogers hielt schon wieder einen Whiskytumbler in der Hand.

Tony Grainer stand immer noch da und musterte seinen Vorgesetzten. Als dieser ihm mit der Whiskyflasche vor der Nase herumwedelte, lehnte er dankbar ab. Er wirkte beinahe entsetzt. Tatsächlich war Alkohol auf Basen der Union so eine Sache. Von offizieller Seite existierte nichts dergleichen, auch wenn allen klar war, dass auf den Schiffen und Stationen gesoffen wurden, und zwar umso mehr, je abgelegener die Einsatzorte waren.

»Tony?« Rogers ließ einen Schluck des öligen goldbraunen Getränks auf der Zunge zergehen und sah dabei seinen Mitarbeiter erwartungsfroh an.

»Eine Sache noch, Sir.«

»Immer raus mit der Sprache!«

Rogers musterte den jungen Wissenschaftler. Grainer war perfekt gekleidet und adrett gescheitelt. Alles an ihm strahlte britische Contenance aus. Er trug eine dieser interaktiven Datenbrille, die seit Generationen immer wieder in Mode kamen, in der Versenkung verschwanden, um abermals hervorgekramt zu werden. Randolph Rogers war biologisch gesehen zwar erst dreißig Jahre alt, aber als Veteran des Jungfernfluges der MARQUIS DE LAPLACE hatte er schon mehrere Jahrhunderte kommen und gehen sehen und mit ihnen die einschlägigen Trends. Brillen als Sehhilfe brauchte seit langer Zeit kein Mensch mehr, und auch die optischen Interfaces, die ihre Träger mit virtuellen Projektionen bombardierten, waren eigentlich ebenfalls nicht mehr state of the art. Man trug Implantate in der Schläfe oder am Handgelenk. Die Brillen waren im Grunde Accessoires, die man sich nicht ihrer vermeintlichen Funktionalität wegen antat, sondern aus rein modischen Erwägungen. Sie waren chic, sie verliehen ihrem Träger eine intellektuelle Ausstrahlung. Rogers fragte sich zwar, ob der so überaus korrekte Grainer so etwas nötig hatte. Aber er musste seine Mitarbeiter nehmen, wie sie kamen.

»Mit Verlaub, Sir«, druckste der junge Mann. »Ihre Äußerung, heute Mittag, zu Dr. Brini.«

»Was ist damit?«

Die aufgeräumte Stimmung an Bord der ERIS war so schnell verflogen, wie sie sich nach Schichtende ausgebreitet hatte. Alle hielten die Luft an und waren eines weiteren von Rogers’ gefürchteten Ausbrüchen gewärtig.

»Sie sagten«, begann Grainer, »diese Mission ...«

»Ich weiß, was ich gesagt habe.« Rogers schnauzte ihn im Ton eines übellaunigen Chefausbilders an, behielt das gewinnende Lächeln aber bei. Auch seine kleinen Augen zwinkerten fröhlich, als wollten sie signalisieren, dass Rogers sein cholerisches Temperament heute selbst nicht ganz ernst nehme.

»Ich hätte ...«, brachte Grainer hervor. »Wir hätten das gerne geklärt, Sir. Unserer Auffassung nach ist dies eine zivile Mission, und sie untersteht den entsprechenden Statuten der Union, die eine zivile wissenschaftliche Organisation ist.«

»Sie haben vollkommen Recht, Tony«, sagte Rogers gewinnend. »Entspannen sie sich. Beinahe hätte ich gesagt: Stehen Sie bequem!«

»Ich stehe bequem!« Grainer reagierte nicht ohne einen Anflug von Trotz auf diese militärische Redeweise. Rogers quittierte es mit einem Schmunzeln.

»Sie haben recht«, wiederholte er. »Die Union ist durch und durch zivil, und diese Mission steht unter der Federführung der Union.«

Er nickte zufrieden vor sich hin, als sei damit alles gesagt.

»Aber?« Anthony Grainer registrierte, dass dies noch lange nicht die ganze Wahrheit war.

»Aber«, nahm Rogers den Faden auf, »es gibt auch Dinge jenseits der offiziellen Verlautbarungen.«

»Das heißt?« Der junge Wissenschaftler bemühte sich darum, so konziliant wie möglich zu erscheinen. »Also: Wenn Sie mit uns darüber reden dürfen. Oder möchten?«

»Nicht so unterwürfig, Tony.« Der Kommandant lächelte so breit und herablassend, wie man es von ihm gewohnt war. »Wir können über alles reden. Sie haben ein Anrecht darauf, die Wahrheit zu erfahren.«

Grainer schluckte laut und vernehmlich. Auf dem einen oder anderen Gesicht spiegelte sich die Auffassung, dass man es so genau vielleicht gar nicht wissen wolle.

»Dies ist ein ziviles Projekt«, sagte Rogers jetzt ganz ruhig, im Ton eines ausführlichen Rechenschaftsberichtes. »Aber ein solches Projekt kostet Geld. Eine ordentliche Stange Geld, wie ich bemerken darf.«

»Das leuchtet ein«, sagte Grainer.

»Also haben wir Drittmittel eingeworben, wie man so sagt. Wir haben uns zahlungskräftige Partner gesucht. Geldgeber, in einem Wort.«

»Militärs?!«

Rogers schüttelte den Kopf, als sei seinem Untergebenen ein ungehöriges Wort herausgerutscht. »Sagen wir: Unternehmen, Stiftungen, Forschungsinstitute.«

»Militärs.« Grainer nickte düster vor sich hin.

»Es gibt nicht nur schwarz und weiß im Leben«, erwiderte Rogers väterlich.

»Und die Verwendung unserer Ergebnisse?«, fragte Grainer. »Was ist das für eine Stelle, zu der Sie Dr. Brini geschickt haben?«

»Das ist einer unserer Kontakte«, erklärte Rogers unumwunden. »Dort verfügt man über die geballte Expertise, die nötig ist, aus unserem heutigen Test die passenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Womit ich Ihnen allen nicht zu nahe treten möchte. Aber wir sind ein halbes Dutzend. Dort beugen sich bald mehrere tausend Koryphäen mit heißen Köpfen über unsere Protokolle.«

»Sie haben uns verkauft«, stellte Anthony Grainer nüchtern fest.

Auch jetzt drückte Rogers’ Miene aus, dass er die Einwände ernst nahm, den Pessimismus, den der nur unwesentlich Jüngere damit verband, aber ganz und gar nicht teilte.

»Es hat alles immer zwei Seiten«, sagte er. »Sehen Sie, Tony. Mit einem Küchenmesser können Sie Tomaten schneiden, Sie können aber auch jemanden abstechen, einen Einbrecher zum Beispiel.«

»So weit bin ich inzwischen auch«, sagte der Wissenschaftler. Er schien selbst über die Unerschrockenheit, mit der er einem Dr. Rogers entgegentrat, verblüfft zu sein. Allerdings schwitzte er sichtlich, und sein blasser Teint war bis zum Haaransatz flammend rot geworden. »Ich frage mich nur, wen Sie abstechen wollen?«

Rogers legte den Kopf schief und musterte ihn, als habe er gerade etwas außerordentlich Interessantes an ihm entdeckt.

»Niemanden«, sagte er ruhig. »Solange nicht plötzlich ein Einbrecher in meiner Küche steht!«

Die Vorbereitungen waren nach einer Stunde abgeschlossen. Doina Gobaidin hatte ihren ausdrücklichen Protest erklärt. Wiszewsky hatte ihn ungerührt zu Protokoll nehmen lassen. Dann hatte er seinen Platz an der Konsole des Kommandanten bezogen, während die Vizeadmiralin sich an einen der seitlichen Arbeitstische begeben hatte. Eine junge Brückenoffizierin wollte ihr respektvoll aus dem Weg gehen, aber die Gobaidin sorgte dafür, dass sie an ihrem Schirm stehen blieb. Sie selbst nahm eine Position zwei Schritte hinter der rotblonden Frau ein, als führe sie einen routinemäßigen Arbeitsbesuch durch.

Das Shuttle legte ab. Eine kleine Fähre, in der außer dem Piloten nur Dr. Schleuner und sein persönlicher Assistent Platz genommen hatten. Auf der Brücke der MARQUIS DE LAPLACE verfolgte man schweigend, wie das kastenförmige, Fluggerät die Entfernung zu dem Asteroiden überbrückte und dann auf seiner Trichterlandschaft aufsetzte. Das Vorortteam hatte unterdessen die Quarantänestation, die man um die fünf Tloxi herum errichtet hatte, weiter ausgebaut. Es waren jetzt zwei der transparenten Kuppeln, die das Zentrum bildeten. Mehrere kleinere Zelte und die tonnenförmigen Stutzen von Luftschleusen setzten an allen Seiten daran an.

 

Das Shuttle ging in einiger Entfernung von der Station herunter. Der Rückstoß seiner konventionellen Reaktionstriebwerke wirbelte viel Staub auf. Es war keine Luft da, die ihn hätte verwehen können. Deshalb fiel er senkrecht wieder herunter, nachdem der Pilot die Aggregate ausgeschaltet hatte. Andererseits war die Schwerkraft des nur wenige Kilometer großen Asteroiden verschwindend gering, so dass die Wolken und Schwaden dem Boden nur in Zeitlupe näherkamen.

Schleuner und sein Assistent stiegen aus, während der Pilot sitzen blieb. Die beiden Wissenschaftler gingen zu Fuß zur Doppelkuppel des Quarantänezelts hinüber. Sie betraten es durch eine von mehreren Schleusen und orientierten sich im Inneren nach rechts. Das war die zuerst errichtete Kuppel.

Das Vorortteam war eingeweiht und hatte mit den Vorbereitungen begonnen. Eine Agravliege stand am Rand der Kuppel, um einen der fünf Tloxi in das angedockte Nachbarzelt hinüber zu bringen. Dort hatte man Messtische und Instrumente aufgebaut, die jedem Hightech-OP auf einem Sternenschiff zur Ehre gereicht hätten.

Schleuner warf einen Blick durch den halbrunden Verbindungstunnel nach drüben, um sich zu vergewissern, dass alles für die Untersuchungen bereit war. Dann nickte er den Kollegen zu, die sich in einem zweiten Kreis um die fünf Tloxi gruppiert hatten, als gälte es, eine besonders geheimnisvolle okkultistische Sitzung abzuhalten.

»Hallo zusammen«, sagte er munter auf der Lokalen.

Ein diffuses Gemurmel erfüllte die Übertragung, das klang wie in einer Kantine um sechs Uhr morgens.

»Kein unnötiger Überschwang.« Schleuner lachte. »Nur weil wir heute Geschichte schreiben!«

Auch jetzt blieb die Reaktion undeutlich. Die Wissenschaftler saßen schon mehrere Tage hier herum. Die anfängliche Euphorie war bei ihnen längst konzentrierter Routine gewichen. Sie waren bereit für den nächsten Schritt. Für große Worte fehlte ihnen, die allesamt kreuznüchterne Spezialisten waren, jeder Sinn.

»Okay, ich seh’ schon«, meinte Schleuner im definitiv letzten Versuch, die Stimmung etwas aufzulockern. »Geben Sie mir eine Minute.«

Er drückte sich zwischen den beiden Männern oder Frauen – das war in den dicken Quarantäneanzügen nicht zu unterscheiden – hindurch, um an den inneren der beiden Kreise heranzukommen. Die Tloxi. Zum ersten Mal sah er sie mit seinen eigenen Augen. Nur noch das hauchdünne Visier, dessen Polarisierung vollständig aufgehoben war, befand sich zwischen ihm und den ersten nicht-terrestrischen Wesens, die man in den Tiefen des Universums aufgestöbert hatte. Sie wirkten so erschreckend – banal! Sie waren klein. Harmlos. Schlimmer: Sie waren geradezu niedlich. Die Gobaidin hatte recht: Man hätte sie gut einpacken und den Kindern daheim als kleines kosmisches Souvenir mitbringen können. Schleuner hatte selbst keine Kinder, aber für einen Augenblick sah er die seiner Nachbarn vor sich, ein Junge und ein Mädchen von acht und zehn Jahren, wie sie auf der leicht abschüssigen Wiese hinter der Terrasse ihres Elternhauses spielten. Es bedurfte keiner ausgeprägten Vorstellungskraft, einen Tloxi in dieses idyllische Bild zu setzen und ihn stolpernd und betont unbeholfen mit den Kleinen Fangen spielen zu lassen.

»Neue Erkenntnisse?«, fragte er, nur um noch ein paar Sekunden Zeit zu schinden. Am liebsten hätte er das ganze Team weggeschickt, zumindest in die Zwillingskuppel ein paar Meter nebenan, um mit den ergreifend alltäglichen und bestürzend vertrauten Wesen allein sein zu können.

»Nein«, sagte jemand auf der Lokalen.

Schleuner kannte die Stimme. Einer seiner engsten Mitarbeiter in der Abteilung. Er hätte auch nach rechts oben schielen können, wo die Kennung des Mannes, der gerade gesprochen hatte, in sein Visier projiziert wurde. Aber das alles interessierte ihn im Moment überhaupt nicht.

Da standen fünf Außerirdische! Sie ließen sich begutachten wie Statuen auf einer Vernissage moderner Kunst. Aber selbst in einer Ausstellung zeitgenössischer Skulpturen hätten sie höchstens durch Trivialität Skandal gemacht. An ihnen war einfach nichts – Besonderes!

»In Ordnung.« Er zwang sich, das Pathos abzuschütteln und geschäftsmäßig zu werden. »Sie haben gehört, was wir auf der Brücke besprochen haben und wozu der Kommandant uns autorisiert hat.«

Alle bestätigten durch Kopfnicken oder durch zustimmende Worte. Aus irgendeinem Grund schien deswegen niemand besonders nervös zu sein.

»Gibt es von Ihrer Seite irgendwelche Einwände?«

Er sah von einem zum anderen und hatte diesmal auch die Statuszeile seines Visiers im Blick.

»Kristina?«

Die Angesprochene schüttelte den Kopf.

»Die Jungs sind so steril, wie man nur sein kann.«

Schleuner musste eine bedauernde Bemerkung herunterschlucken. Kristina Nursin war die Exo-Biologin seines Teams. Die Entdeckung musste in ihr größere Erwartungen geweckt haben als bei jedem ihrer Kollegen, um sie dann in umso größere Enttäuschung zu stürzen. Bis jetzt hatte sie auf den Missionen nichts gefunden, das aufregender gewesen wäre als ein paar Aminosäuren auf einem Kometen oder in den Wolken eines Gasriesen. Und nun das!

»Absolut tot«, fügte sie noch an. »Ich würde sogar sagen, toter als tot.«

»Tut mir leid für Sie!« Das hatte Schleuner sich dann noch nicht verkneifen können.

»Es ist, wie es ist.« Kristina Nursin war nicht die Frau, die sich von Fehlschlägen entmutigen ließ. Jedenfalls würde sie sich das nie anmerken lassen. »Der Brocken, auf dem wir stehen«, sagte sie, »enthält wenigstens ein paar primitive proto-organische Moleküle. Methan und etwas Ammoniak. Aber die Jungs hier! Komplette Fehlanzeige.«

»Also können wir es wagen?«, fragte Schleuner noch einmal, nur fürs Protokoll.

»Von mir aus können Sie die Jungs ablecken oder mit ins Bett nehmen!«

»Ganz so schlimm ist es dann auch wieder nicht.«

»Nein, also von meiner Seite aus haben Sie ein fettes Go, Chef!«

»Das wollte ich ja nur hören.« Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, in denen die Lokale von vereinzeltem Kichern und Grunzen wiederhallte. Dann sah er noch einmal in die Runde. »Sonstige Einwände? Was ist mit den Strahlenwerten?«

Die Wissenschaftler winkten nur ab. Ihnen dauerte das alles viel zu lange. Wenn sie nicht bestimmte Vorschriften zu berücksichtigen hätten und wenn sie nicht wüssten, dass jedes Wort und jeder Handgriff in Echtzeit auf die MARQUIS DE LAPLACE übertragen wurde, hätten sie sich längst schon ihrer Anzüge entledigt und wären mit Sägen und Zangen über die Tloxi hergefallen.

»Gehen wir’s an«, verkündete Schleuner, der wider willen etwas Feierliches in der Stimme hatte.

Er aktivierte die Einleitungssequenz des Anzugs. Auf dem Unterarmdisplay verfolgte er, wie noch einmal sämtliche Daten der Umgebung abgefragt und in den internen Speichern abgelegt hatten. Nach und nach gingen alle Anzeigen auf grün. Der Druckausgleich zischte. Es knackste in den Ohren. Dann blinkte das Signal zum Abnehmen des Helmes.

Schleuner befreite sich und atmete einige Male tief durch. Die Luft im Quarantänezelt war kühl und trocken. Sie roch, wenn überhaupt, nach den Elastilfolien, aus denen die Kuppeln bestanden. Er wartete ab, bis alle seinem Beispiel gefolgt waren. Es war interessant, die Reaktionen der Leute zu beobachten, wobei er sich sagen musste, dass die meisten von ihnen schon wesentlich länger in den Anzügen steckten als er. Die Männer rieben sich das Gesicht und schnitten groteske Grimassen, um wieder ein Gefühl in Stirn und Wangen zu bekommen. Die Frauen hatten es dagegen hauptsächlich mit ihren Haaren. Kristina Nursin öffnete das Netz, das ihre Frisur im Inneren des Helmes gebändigt hatte, und entließ den dunkelblonden Pferdeschwanz daraus, der über die Helmkupplung auf ihren Rücken herabreichte.

»Das würde ich lassen«, sagte Schleuner.

Er hatte das mechanisch gesagt, um zu überspielen, warum er die Kollegin etwas zu penetrant angestarrt hatte. Kristina war eine attraktive Frau von Mitte dreißig mit strahlend blauen Augen, hoher Stirne und aparten Wangenknochen. Wenn sie das Haar ganz öffnete, musste sie noch mehr Sex Appeal haben. Aber auch das Strenge, das die Frisur ihr gab, stand ihr gut. Schleuner hatte sie nie anders gesehen. Auch an Bord, beim Routinedienst in der Planetarischen, trug sie stets Pferdeschwanz oder Netz.

»Warum?«, fragte sie nur.

»Vorschrift.« Er grinste nonchalant.

Sie hob die Schultern. »Sieht ja keiner!«

»Es sehen alle«, rief er ihr ins Gedächtnis. »Und wenn etwas passiert, bin ich als Ihr direkter Vorgesetzter der Gelackmeierte.«

»Was soll denn passieren?«, fragte sie. Aber dann rollte sie das Haar doch wieder zu einer Art Dutt zusammen und verstaute es in dem farblosen Netz aus Elastil.

»Können wir dann anfangen«, rief einer aus dem Team ungeduldig.

»Selbstverständlich.« Schleuner musste lachen. Er musterte die Tloxi, die für ihn ununterscheidbar waren. »Welcher ist der Sprecher?«, fragte er.

»Der da.« Kristina Nursin deutete auf den Roboter, der ihnen beiden jetzt gerade gegenüber stand. Wenn sie selbst die Basis bildeten und die fünf Wesen die Spitzen eines fünfzackigen Sterns markierten, stand der Tloxi, der sich bereits mit einigen von ihnen unterhalten hatte, oben.

»In Ordnung.« Schleuner ging zwischen den beiden Tloxi durch, die ihm am nächsten standen und die keinerlei Regung zeigten. Die Abstände zwischen ihnen waren groß genug. Es hätte sogar die ganze Wissenschaftlergruppe im Inneren ihres Kreises Platz gefunden. Dennoch achtete Schleuner darauf, keines der Wesen zu berühren.

Er postierte sich in der Mitte der Formation, beugte sich unbeholfen vor und beschloss dann, in die Hocke zu gehen. Er betrachtete den Tloxi, der mit leerer Miene vor sich hinzustarren schien. Das grob gerasterte Rot seiner Augen, die aussahen, als seien sie aus primitiven semitransparenten Plastikelementen zusammengesetzt, schien ein wenig zu flackern.

»Ist das normal?«, fragte Schleuner.

»Die Augen, meinen Sie?« Auch jetzt übernahm es Kristina, für den Rest der Gruppe zu reden.

Schleuner bejahte.

»Die Intensität variiert leicht«, erklärte sie daraufhin. »Die Lichtstärke schwankt um etwa ein Prozent, die Farbwerte bewegen sich noch weniger. Wenige Nanometer rauf und runter. Vermutlich spiegeln die Augen die geistige Aktivität. Aber bislang konnten wir keine Muster identifizieren.«

Schleuner nickte. »Fragen wir sie einfach!«

Der klobige Anzug machte es nicht ganz einfach. Aber dann hatte er eine Stellung gefunden, in der er dem Tloxi einigermaßen in Augenhöhe gegenüber war.

»Mein Name ist Dr. Schleuner«, sagte er. »Ich bin der Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung des Schiffes MARQUIS DE LAPLACE, das sich in einem Orbit um diesen Asteroiden befindet.«

Er konnte förmlich hören, wie Doina Gobaidin einige tausend Kilometer entfernt, auf der Brücke eben jener MARQUIS DE LAPLACE, verzweifelt aufstöhnte.

»Das wissen wir«, sagte der Tloxi.

Schleuner, der jetzt nur noch eine Armlänge von ihm entfernt war, bemerkte, dass der Roboter den Mund nicht bewegte, während er sprach. Allerdings schien das Flackern der Augen, die den Ton von Stopplichtern hatte, dabei zuzunehmen.

»Das freut mich«, sagte Schleuner. »Und es freut mich, dass Sie inzwischen unsere Sprache sprechen.«

»Das war nicht allzu schwer«, sagte der Tloxi. »Ihr Funkverkehr ist ziemlich durchsichtig. Kann man das so sagen?«

»Ich verstehe, was Sie meinen.« Schleuner unterdrückte ein Glucksen. Auch im Umkreis seiner Mitarbeiter sah er nur grinsende Gesichter, während er gleichzeitig überzeugt war, dass die Vizeadmiralin jetzt endgültig toben und schäumen würde. Die nichtvorhandenen Sicherheitsvorkehrungen in dieser Hinsicht würden noch ein Nachspiel haben. Aber das interessierte ihn jetzt nicht im geringsten.

»Schön«, sagte er nur. »Dann können wir uns umso besser unterhalten.«

»Ihre Sprache ist sehr einfach strukturiert«, sagte der Tloxi.

 

»Vermutlich ist sie das.« Schleuner dachte nach. »Es ist eine historisch gewachsene Kommunikationsform. Aber sie wurde irgendwann für unsere Schiffe und Basen ausgewählt, weil sie leicht zu erlernen ist und man sich in ihr knapp und präzise verständigen kann.«

Er versuchte in der Miene des kleinen Roboters irgendeine Regung zu erhaschen, aber genau so gut hätte er Empathie zu einer Bodenfliese aufbauen können.

»Was ja hiermit erwiesen wäre«, schloss er fürs erste.

»Ihre Spezies befährt noch nicht lange den Raum«, sagte der Tloxi.

»Das kommt darauf an, in welchen Zeitmaßen man denkt«, versetzte Schleuner. »Aber vermutlich haben Sie recht.« Er tauschte einen Blick mit seinen Kollegen, ehe er sich weiter vorwagte. »Wie ist es mit Ihnen? Sie nennen sich Tloxi, haben wir das richtig verstanden? Wie lange befahren Sie schon den Raum? Wo kommen Sie her? Entschuldigen Sie, wenn wir so neugierig sind. Das ist eine Untugend unserer Spezies.«

»Zum Begriff Untugend finde ich keine Entsprechung in unserer Sprache«, sagte der Tloxi.

»Ihre Sprache würde uns natürlich ebenfalls interessieren«, warf Schleuner leichthin ein. »Wollen Sie uns nicht Ihre Grammatik erklären, nachdem Sie sich schon mit der unseren vertraut gemacht haben?«

Das Wesen schien in Nachdenken versunken. Es wirkte wie ein ernstes, vielleicht auch etwas trotziges Kind.

»Es tut mir leid, Dr. Schleuner«, sagte es nach einer Weile. »Aber ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen.«

»Was meinen Sie«, rief der Wissenschaftler aus. »Die Grammatik? Oder einen Informationsaustausch im allgemeinen?«

»Wir sind nur das Vorauskommando«, sagte der Tloxi.

»Aha.« Schleuner wirkte für einen Augenblick perplex. Dann hatte er sich wieder im Griff. »Es hat Sie jemand geschickt! Da Sie nicht-biologisch sind, soweit wir das beurteilen können, vermutlich Ihre Erbauer oder Konstrukteure?!«

»Negativ«, schnarrte der Tloxi, dessen Stimme zum ersten Mal so etwas wie eine Färbung annahm. Vermutlich analysierte er das Gespräch Wort für Wort und lernte dabei auch Dinge wie die Tonmodulation.

»Verzeihung?«

»Ich bin nicht autorisiert, darüber Auskunft zu geben.«

»In Ordnung«, sagte Schleuner. »Ich bin wohl wirklich etwas zu sehr vorgeprescht. Mit der Tür ins Haus gefallen. All das sind Redensarten, aber irgendetwas sagt mir, dass Sie schon verstehen, was ich meine.«

»Was haben Sie jetzt vor?«

»Was ich ...?« Schleuner konnte zum wiederholten Mal seine Bestürzung kaum bemeistern.

»Wir haben Ihren Funkverkehr mitgehört und auch die Diskussionen, die sich auf der Brücke ihres großen Schiffes abgespielt haben.«

Schleuner registrierte, wie etwas an seiner Unterarmmanschette blinkte. Er sah aus dem Augenwinkel hin, ohne die Aufmerksamkeit von dem Tloxi zu nehmen. Es war das Symbol für Abbruch. Es kam direkt von der MARQUIS DE LAPLACE.

»Wir wissen, was Sie vorhaben.« Der Tloxi klang ganz ruhig, keineswegs drohend. Dennoch hatte diese Ruhe, die noch immer unpersönlich wie eine Flughafendurchsage war, während der letzten Sätze etwas Angsteinflößendes eingenommen.

»Dr. Schleuner«, sagte Kristina Nursin, die ebenfalls angepiepst worden war.

»Sofort.« Er hob die Hand um anzudeuten, dass er nur noch einen Augenblick brauche.

»Sie haben vor, einen von uns vom Rest der Gruppe zu isolieren und zu autopsieren«, stellte der Tloxi sachlich fest.

»Wir werden nichts ohne Ihre Einwilligung tun«, stammelte Schleuner überrumpelt.

»Negativ«, sagte der Tloxi. »Sie werden überhaupt nichts tun. Seit Bestehen unseres Volkes ist kein Mitglied einer fremden Spezies autorisiert worden, einen von uns zu autopsieren.«

»Selbstverständlich.« Schleuner registrierte, wie seine Mitarbeiter nach und nach die Helme wieder aufsetzten. Die Anzeige an seinem Unterarm hatte den Rhythmus ihres Blinkens verdoppelt. Das war nervtötend. Er versuchte sich zu konzentrieren. Aber die Situation entglitt ihm wie ein nasses Stück Seife, das umso sicherer davonflutschte, je fester er zugreifen wollte.

»Chef!« Das war die Stimme Kristina Nursins. Auch sie hatte, wie er über die Schulter hinweg wahrnahm, damit begonnen, den Helm wieder überzustreifen. Aber ihr Haarnetz hatte sich geöffnet. Der Pferdeschwanz gebärdete sich widerspenstig. Eine Kollegin half ihr, verhedderte sich aber ihrerseits in dem Durcheinander aus Haaren, Netz und Helmkupplung.

»Da geht etwas vor«, sagte einer der anderen Wissenschaftler.

Schleuner versuchte aufzustehen. Trotz oder wegen der geringen Schwerkraft war das gar nicht so einfach. In die Anzüge waren Gravipander eingearbeitet. Er musste sich erst darauf einstellen. Dabei war er Physiker, kein Astronaut! Als er sich abrupt hochstemmte, verlor er das Gleichgewicht und kippte nach vorne, in den Tloxi hinein, der regungslos dastand und ihn verständnislos anglotzte.

Für einen Moment hatte Schleuner die rot glimmenden Augen des kleinen Roboters keine Handbreit vor den seinen. Er sah, wie das leichte Flimmern und Flackern darin mit einemmal aufhörte. Der starre Blick des Wesens wurde noch eine Nuance starrer.

Dann erloschen die Augen.

Es war spät geworden. Die kleine Jennifer war längst im Bett, und auch die Zwillinge waren irgendwann aus ihrem Zimmer heruntergekommen, um Gute Nacht zu sagen. Die Erwachsenen blieben sitzen, leerten noch eine Flasche Wein und unterhielten sich. Irgendwann hatten sie alle Anekdoten aus der heroischen Zeit des Erstfluges durchgekaut. Beth gähnte laut und vernehmlich, um sich gleich darauf zu entschuldigen. Laertes hatte verstanden. Er erhob sich schwankend und stellte fest, dass er zu gleichen Teilen müde und betrunken war. Ash kam nicht einmal mehr aus seinem verführerisch bequemen Sessel hoch. Er sah aus, als wolle er am liebsten hier schlafen.

Beth war Laertes’ Zustand nicht entgangen.

»Wenn du magst, kannst du über Nacht hier bleiben«, sagte sie. »Ich habe das Gästezimmer für alle Fälle hergerichtet.«

Eigentlich war es ihm unangenehm, sich noch länger in diesem Familienidyll einzuquartieren. Schon am Nachmittag hatte er aufbrechen wollen! Aber er war zu schwer und zu benommen. Ihm fiel keine Ausrede ein. Und die Vorstellung, sich jetzt noch in den Scooter zu setzen und eine Stunde lang die Küstenstraße hochzutuckern, war wenig verlockend.

»Wenn’s keine Umstände macht?« Mehr brachte seine ungelenke Zunge nicht mehr zustande.

»Überhaupt nicht.« Beth führte ihn nach oben und zeigte ihm das Zimmer. Ash hatte sich mit einer undefinierbaren Handbewegung von ihm verabschiedet. Laertes wartete, bis Beth im Bad fertig war und die Schlafzimmertür hinter sich geschlossen hatte. All diese Einrichtungen eines fremden Ehelebens genierten ihn. Er ging ins Bad und war froh, als er wieder in seinem Zimmer war. Natürlich hatte er nichts dabei. Es hatte ein Kaffeebesuch werden sollen. Ein, zwei Stunden, um von der gemeinsamen Vergangenheit zu klönen. Jetzt war Mitternacht vorüber, und er war immer noch hier.

Er zog sich aus und setzte sich auf die Bettkante. Als er das Medaillon aktivierte, schaute ihn Kathys traurig-schönes Antlitz an. Er versank eine Weile in den Anblick. Dann legte er den Daumen in die Passform auf der Rückseite.

»Guten Abend, Laertes«, sagte Madeleines sanfte Stimme. »Da ist es aber spät geworden.«

»Ja, wir haben uns verplaudert.«

»Das tut dir gut«, meinte die KI mitfühlend. »Ich bin froh, dass du wieder unter Leute gehst.«

»Die letzten Jahre waren ein bisschen einsam, du hast recht.«

»Vorträge und Reisen ...« Die körperlose Stimme schien zu schmunzeln.

»Was soll ich den Leuten sonst erzählen?«

»Die Wahrheit?«

»Aber was ist die Wahrheit?«

»Das ist eine philosophische Frage, mein Freund. Ich fürchte, wir werden sie heute Nacht nicht mehr beantworten.«

»Weißt du, Madeleine, manchmal finde ich es schade, dass du keinen Leib hast. Für solche Äußerungen gehörst du eigentlich übers Knie gelegt!«

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