Als ich verlor, was ich niemals war

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Ging es den anderen auch so? Erlebten sie das Gleiche wie ich? Und, wer war das, auf den ich hier zurückgeworfen wurde?

Da waren meine vielen Gedanken, Gefühle, Geisteszustände und Meinungen, und es gab niemanden, dem ich das mitteilen konnte, niemanden, den ich daran Anteil haben lassen konnte, niemanden, der etwas dazu sagte, und es wurde immer deutlicher, wie schnell sich das alles in meinem Geiste abspulte und wie sich Gedanken und Gefühle die Klinke in die Hand gaben.

Vipassana3-Romanze

In der Meditationshalle saß ich etwa in der Mitte des Raums und konnte so mindestens die Hälfte der anderen Teilnehmer sehen.

Vorne links saß dieser Franzose. Er kam nicht achtsam und leise in die Meditationshalle gelaufen, sondern polterte, laute Geräusche machend, herein. Er setzte sich nicht auf das Meditationskissen, sondern schmiss sich darauf und saß in einer Art und Weise, die mich an einen verkümmerten Baum erinnerte. Sein ganzes Verhalten ging mir auf den Wecker, und nur wenn ich ihn schon sah, stieg in mir heftiger Ärger hoch.

Aber vorne rechts, bei den Frauen, saß dieser Engel, eine wunderschöne, blonde Schwedin. Sie lief nicht in die Meditationshalle, sondern schwebte eher herein, anmutig, schön, tadellos. Und auch wenn sie sich zur Meditation niedersetzte, wobei ‚setzen‘ für diese bezaubernde Bewegung schon viel zu irdisch formuliert ist, strahlte sie in einer anziehenden Schönheit, die nicht nur bestechend, sondern einfach nur umwerfend war.

Ich hatte mich sofort verliebt, und Meditation, den langweiligen Atem beobachten und dieses Gehen, immer nur hin und her, erachtete ich bei der Größe meiner Empfindungen als absolut zweit-, wenn nicht drittrangig, wenn ich sie überhaupt noch irgendwie erachtete.

Und nun war ich in einer fast neuen und doch bekannten Welt angekommen – der Welt der Sinnlichkeit, und sie schmeckte süß.

Wer wollte mir jetzt noch etwas erzählen? Welcher Mönch konnte da noch mithalten? Und ich fantasierte die schönsten Vorstellungen und Unternehmungen, die ich nach dem Retreat mit dieser jungen Frau haben könnte.

Der Atem kam und ging auch ohne mich, und ich war nun einige Stunden damit beschäftigt, mich mit diesem neuen ‚Verliebtsein‘ anzufreunden. Ich suchte mir einen Gehpfad in ihrer Nähe aus, schaute oft in ihre Richtung mit der sicheren Gewissheit, dass es ihr bestimmt auch so gehen würde. Es war schon der vierte Retreat-Tag, und ich müsste ihr doch schon längst aufgefallen sein.

An diesem Abend war Santikaro an der Reihe, wieder eine Belehrung in Form eines Vortrages zu halten. Er begann allgemein über die Wirkungsweise des Geistes zu sprechen, über die wechselnden geistigen Inhalte, aber was viel interessanter war als das, was er anfangs erzählte, war: Mein Engel hatte heute Abend ein langes, weißes Kleid an, ihre blonden Haare lagen lang und sanft auf ihren Schultern und sie saß in einer bestechenden, edlen Haltung da, und meine Schwärmereien wollten nicht enden.

Santikaro meinte dann, dass es bei Schweigeseminaren ein interessantes Phänomen gebe, allgemein bekannt als Vipassana-Romanze. Bei dem Wort Romanze wurde ich aus meinen Fantasien herausgerissen. Schaute er gerade in meine Richtung? Hatte er meine Gedanken gelesen und mich dabei ertappt? Ich fühlte mich ertappt!

Er erklärte weiter, dass wir im Schweigen noch stärker mit unserem Bewertungssystem konfrontiert würden und alles, was wir sehen, ganz gewohnheitsmäßig in positiv und negativ, mögen oder nicht mögen einteilen würden, und wir sollten erkennen, wenn das passiert.

Und es könnte schon mal vorkommen, dass man sich verlieben, also jemanden übersteigert aufwerten und gleichzeitig jemand anderen maßlos abwerten würde. Und er ergänzte, dass das ein Versuch des Geistes sei, eine gewisse Sicherheit in der gewohnten und bekannten Bewertungsstruktur zu finden.

Ich war sprachlos, nicht nur, weil das ein Schweigekurs war, sondern weil mein schönes, buntes, verliebtes Kartenhaus, bei so viel nüchterner Erklärung, einfach in sich zusammenfiel. Ich fühlte mich ertappt, erwischt, entlarvt – und plötzlich wieder alleine und ernüchtert, so, als hätte mir jemand etwas Schönes weggenommen. Es war wie das Zerplatzen einer Seifenblase, in der sich alles Bunte und Schöne dieser Welt widergespiegelt hatte.

Natürlich wusste ich tief drinnen, dass ich letztendlich diesen Impulsen nicht gefolgt wäre, denn ich war ja mit Anna zusammen, und doch hatten diese Gedankenspiele einen besonderen Reiz.

Am nächsten Morgen gab es keinen ‚Engel‘ und keinen ‚blöden Franzosen‘ mehr.

Ich fühlte mich entlarvt und bekam nun etwas Abstand zu meinen Fantasien – und musste plötzlich schmunzeln, ja schon fast laut loslachen.

Ich war beeindruckt, auch über die Vorhersagbarkeit solcher Ereignisse. Ich wollte mehr über meinen Geist erfahren, über die Gedanken und Gefühle, ich wollte diese Weisheit haben, ich wollte Erkenntnisse und Wissen und natürlich die Erleuchtung, worüber ich schon einiges gelesen hatte.

Die nächsten Tage verliefen im gleichen Rhythmus wie zuvor. Ich befolgte weiterhin die Anleitungen und lauschte interessiert den Vorträgen. Ich hatte jetzt ein Ziel, irgendwie.

Nachmittags wurde eine Fragestunde eingerichtet, bei der man aber nur Fragen stellen sollte, die mit der Meditation zu tun hatten.

Buddhismus ist dafür bekannt, dass an Wiedergeburt geglaubt wird. So ergab es sich, dass neben Fragen über den Sinn und Zweck der Meditation, Meditationserlebnisse und die Bitte um weitere Erklärungen viele Fragen über Karma und Wiedergeburt gestellt wurden.

Ajahn Buddhadasa lehne es aber ab, so Santikaro, über die Art von Wiedergeburt zu sprechen, die angeblich nach dem Tod des Körpers stattfinden würde, sondern er erkläre Wiedergeburt auf eine sehr praktische Weise. Wie ich oben schon anmerkte, wollte Ajahn Buddhadasa etwas lehren, was einen praktischen und nachhaltigen Nutzen hatte, und zwar in diesem Leben. Es stand also nicht die Frage im Vordergrund: Gibt es ein Leben nach dem Tod?, sondern: Was für ein Leben führe ich vor dem Tod?

Santikaro kam nicht mehr darum herum, etwas dazu zu sagen: „Wiedergeburt ist etwas, was du jeden Tag mehrmals erlebst. Es ist die Geburt in einen Bewusstseinszustand hinein. Immer wenn du Kontakt mit der Außenwelt hast, entsteht ein Gefühl des Mögens oder Nicht-Mögens, dann willst du dieses ‚Ding‘ oder du willst es nicht. Dann machst du eine gewisse Anstrengung, auf dieses Ding zuzugehen oder von ihm weg. Das bestimmt in diesem einen Moment dein Leben, deine Existenz, und dementsprechend fühlst du dich. Auf Grund der Gefühle entstehen deine Wünsche. Sobald du an ihnen anhaftest, kommst du ins Handeln, um sie dir zu erfüllen, und du wirst so in einen bestimmten Bewusstseinszustand hineingeboren. Das kann an einem Tag mehrere hundert Mal passieren.“

Ja, das hatte ich doch gerade erlebt. Bekam ich jetzt nicht die Theorie nachgeliefert für das Erlebnis, das ich da hatte? Die Geburt eines Engels und der Tod eines Engels, die Geburt eines blöden Franzosen und der Tod desselben. Aber das alles geschah doch nur in mir. Ich war als der ‚Verliebte‘ geboren und durch das, was ich dann hörte, ‚starb‘ der Verliebte wieder. Und immer wenn ein Gefühl entsteht, wird man in diesen Zustand ‚geboren‘. Das leuchtete mir ein.

Ich war begeistert, wie klar das plötzlich für mich war, und begann von nun an, alle diese Gefühlszustände als eine neue Geburt zu sehen, mit der Gewissheit, dass diese Zustände auch wieder ‚sterben‘ mussten.

Jede Freude, jeder Ärger, jede Eifersucht, die Schmerzen in den Beinen, Gedanken, Gefühle und das Essen, was ich oben reinschob, plumpste es nicht kurze Zeit später unten wieder heraus? All das entstand, verweilte und verging auch wieder.

Wenn das nicht eine tiefe Erkenntnis war, dachte ich, die mich der Erleuchtung einige Schritte näherbrachte?!

Die Tage vergingen in diesem Rhythmus und ich begann mich daran zu gewöhnen, morgens um vier Uhr aufzustehen, zum Frühstück Reis und Gemüse zu essen, zu schweigen, zu meditieren und zu beobachten, was da so durch meinen Geist zog.

Der letzte Tag war angebrochen und heute würde uns Ajahn Buddhadasa zum Abschied einen Vortrag halten. Nach dem Frühstück versammelten wir uns am Hin Kong, dem Steinkreis.

Große Steine, auf denen man sitzen konnte, waren dort in einem Kreis angeordnet, drumherum wuchsen große Bäume, alles auf sandigem Boden. Am oberen Ende stand eine Holzplattform, die aus einer großen Baumwurzel herausgearbeitet war und auf der der jeweilige Mönch saß, der einen Vortrag hielt. Das war hier so Brauch.

Ajahn Buddhadasa war schon achtzig Jahre alt, hatte einen rundlichen Körper, war gekleidet in die bei buddhistischen Mönchen übliche orangefarbene Robe und er näherte sich langsam der Plattform, gestützt auf einen hölzernen Gehstock, und nahm Platz.

Er hatte eine klare, sehr gesammelte und ruhige Ausstrahlung, und während ich das hier schreibe, weiß ich, dass ich es eh nicht mit Worten einfangen kann, wie ich ihn erlebte. Aber ich fühlte plötzlich eine tiefe Verbundenheit zu diesem Mann. Nein, er war mir nicht fremd, alles hier war mir nicht fremd, und wie ich schon gesagt habe: Es fühlte sich an, als ob ich zuhause angekommen sei. Ich war selbst sehr erstaunt darüber.

Wir saßen auf Bastmatten auf dem Boden und waren angehalten, uns dreimal zu verbeugen, auch das war hier so Brauch.

Er begann auf Thai zu sprechen und Santikaro übersetzte: „Liebe Freunde im Dhamma. Ihr seid aus vielen Ländern der Welt gekommen und reist von einem Ort zum anderen – um was zu finden? Ihr alle sucht Freude, Glück und Erfüllung und versucht es irgendwo da draußen zu bekommen. Dann merkt ihr irgendwann, dass es da nichts zu holen gibt, und reist dann weiter in der Hoffnung, euer Glück und eure Erfüllung woanders zu finden.

 

Schließlich seid ihr hier in Suan Mokkh gelandet und habt nun diese Tage erlebt. Ich hoffe, ihr habt etwas inneren Frieden gefunden, habt vielleicht erkannt, dass Leiden und Unzufriedenheit immer dann entstehen, wenn wir an etwas anhaften und festhalten wollen. Alles, was es gibt, hat drei universelle Merkmale: Es ist unbeständig. Wenn wir daran festhalten, entsteht Leid, und alle Dinge, auch wir Menschen, haben keinen Selbstbestand oder Wesenskern. Da gibt es kein ‚Ich‘ oder ‚Mein‘, das sich nie ändert.“

Er sprach noch eine Weile in dieser ruhigen, freundlichen und sicheren Klarheit und verabschiedete uns mit seinen besten Wünschen.

Nein, ich musste nicht alles verstehen, was ich da hörte, aber ich fühlte plötzlich dieses tiefe Vertrauen zu diesem Mann. Er bestand darauf, dass man nichts glauben solle, bezeichnete sich selbst nicht als Lehrer, sondern als Kalyanamitta, was so viel wie ‚spiritueller Freund‘ bedeutet. Wenn man etwas nicht verstehen würde, riet er an, dann solle man es nicht gleich wegwerfen, sondern zur Seite legen und es irgendwann wieder hervorholen und kontemplieren. All das kam mir sehr entgegen.

Später hatte ich einen Traum, in dem er vorkam, welcher die Haltung symbolisiert, die er als spiritueller Freund einnahm: Ich träumte, dass wir gemeinsam einen Hügel hinaufgehen und oben angekommen, werde ich von einem unglaublichen Glücksgefühl durchflutet. Ich strecke meine Arme nach oben aus und helle Lichtstrahlen und Blitze strömen rechts und links von den Bäumen in meine Hände, in meinen Körper und laden mich mit diesem unglaublichen Glücksgefühl auf und ich fühle mich mit dem ganzen Universum verbunden. Als dieses Strahlen vorbeigeht, bin ich erfüllt von tiefer Dankbarkeit und großer Freude. Ajahn Buddhadasa steht ein paar Meter vor mir und ich gehe auf ihn zu, will ihn umarmen und mich bedanken. Er aber hält eine Hand hoch und sagt nur: „Ich habe nichts damit zu tun!“

Die zehn Tage waren vorbei und das Schweigen wurde ‚gebrochen‘.

Es war seltsam, dass ich das Gefühl hatte, viele der Teilnehmer gut kennengelernt zu haben, obwohl ich mit den meisten nie gesprochen hatte. Ich bedankte mich bei Santikaro, bei Ajahn Ranschuan, gab eine Spende ab, verabschiedete mich von dem ‚Engel‘, der nun ein ganz normaler Mensch war, von dem ‚blöden Franzosen‘, den ich wiedertreffen sollte, Jean war sein Name und wir wurden später Freunde.


Zurück auf die Insel

Der Bus würde bald nach Surat Thani abfahren.

Ich war bei mir, fühlte mich sehr gesammelt, mir fielen Dinge auf, die ich sonst nie beachtet hätte: ein Kieselstein am Wegesrand, ein Blatt im Wind, die bunten Farben der exotischen Blumen, Gedanken, Gefühle. Nichts störte mich, weder der Lärm der anfahrenden Mopeds noch die längere Wartezeit später an der Fähre. Ich hatte keine Eile, irgendwo hinzukommen, und doch war ich gespannt darauf, Anna wiederzusehen.

Auf der Fähre angekommen, legte ich mich auf meinen Platz und ohne, dass ich es wollte, kamen plötzlich die Bilder unserer ersten Begegnung in meinen Sinn.

Anna

Sie war damals gerade von München nach Berlin gezogen, um zu studieren. Eines Nachts hatte Anna ihren Wohnungsschlüssel vergessen und ihre Gastgeberin hatte ihr Klingeln nicht gehört. So machte sie sich auf ins Pressecafé am Zoo, wo man um diese Zeit schon frühstücken konnte.

An diesem frühen Morgen kam ich gerade von einer Party aus Spandau nach Hause. Müde war ich noch nicht und im Hinterhof brannte in Burkhards Wohnung noch Licht. Ich war hocherfreut, lud ihn zum Frühstücken ein und wir machten uns auf den Weg ins Pressecafé.

Dort angekommen, setzten wir uns an einen der Tische am Fenster und konnten so dem noch spärlichen Treiben auf den Straßen zuschauen. Wir waren gut drauf, lachten und scherzten, und zu erzählen gab es mit Burkhard immer etwas. Er gehörte in Berlin zu meinen besten Freunden. Die junge, hübsche, blonde Frau am Nachbartisch war uns nicht entgangen, auch nicht, dass sie da ganz alleine saß. Wir waren beide nicht wenig überrascht, als sie plötzlich zu uns rüberkam und fragte, ob sie sich zu uns setzen könne. Na klar doch, sehr gerne.

Dann die üblichen Fragen: Woher kommt ihr, was macht ihr, was machst du?, und wir legten los, uns darzustellen. Erzählten von unseren Drogengeschäften, dem Etablissement, in dem Frauen für uns arbeiteten, kleine Waffengeschäfte nebenbei – Anna glaubte nichts davon, mit Recht. Aber sie brauchte für diese Nacht einen Schlafplatz und ich lud sie ein, bei mir zu schlafen, vergaß aber nicht, ihr zu versichern, dass sie ein Bett für sich alleine haben könne, sogar ein eigenes Zimmer, da mein jüngerer Bruder Reinhold, der übergangsweise bei mir wohnte, gerade nicht da war. So machten wir das auch und ein paar Wochen später wurde Anna meine Freundin.

Irgendwann fragte ich sie, warum sie sich damals zu uns setzte, und sie meinte, wir hätten eine schöne Atmosphäre um uns gehabt und ihr gefielen meine Augen.

Und während sich alle diese Bilder aus der Vergangenheit vor meinem inneren Auge lebhaft abspulten, musste ich plötzlich lachen und freute mich umso mehr auf Anna.

Am Nachmittag erreichte die Fähre Koh Samui, das Sammeltaxi brachte mich zum Chaweng Beach, und ich erreichte unsere Bungalowanlage am frühen Abend.

Anna war in unserer Hütte und döste gerade ein wenig. Wir umarmten uns und freuten uns, einander wiederzusehen.

„Wie war es?“, wollte sie gespannt wissen, „und hast du eine Antwort auf deine Frage nach dem Sinn des Lebens bekommen?“ Ich versuchte ihr das alles zu erzählen, was mir aber nicht wirklich gelang. Irgendetwas hatte sich jedoch in mir verändert.

Ich wurde zum ständigen Beobachter meiner Gedanken und erschrak immer öfter bei der Erkenntnis, dass ich viele unbewusste Absichten hatte, von denen ich vorher nichts wusste, sogar bei den trivialsten Alltäglichkeiten.

Zum Beispiel sagte ich später zu Anna: „Lass uns einen Kaffee trinken.“ Und tief drinnen lauerte die Erwartung, dass sie jetzt losgehen, zwei Kaffee holen und sie herbringen solle. Dann bemerkte ich dieses Auftauchen der vielschichtigen Absichten immer mehr und fast ständig, und ich bekam einen Schreck nach dem anderen. Das war also damit gemeint, dass Achtsamkeit eine klärende Wirkung habe.

Es klopfte an unserer Tür und ein Italiener stand davor und meinte zu Anna, ob sie Lust habe, Volleyball zu spielen. Nein, hatte sie nicht, oder vielleicht doch? Sie erzählte mir, dass sie die letzten Tage oft Volleyball gespielt hatte. Ich erinnerte mich an den Satz: ‚Wenn du etwas Schönes hast, dann gibt es auch andere, die das schön finden.‘ Den kurzen, eifersüchtigen Gedanken schob ich gleich wieder in seine Ecke und besann mich auf die Gelassenheit, die ich im Kloster entdeckt hatte.

Am nächsten Morgen war ich, noch im Rhythmus des Klosters, früh wach, ging zum Strand runter, beobachtete die kleinen Wellen, die sanft, aber stetig gegen den Sand rollten, leicht aufschäumten und gefolgt von weiteren Wellen mit ihnen verschmolzen und wieder zurückflossen.

Während meiner Abwesenheit war eine Gruppe junger Leute aus dem Allgäu angekommen. Ich bemerkte eine junge Frau, die tänzelnd den Strand entlanghüpfte, direkt auf mich zu.

Sie lachte vor Freude und rief mir mit deutschem Akzent ein „good morning, how are you?“ entgegen. „Good morning“, antwortete ich und meinte, ob sie denn auch aus Deutschland sei. „Yes“, sagte sie, und ich war neugierig, was denn der Grund für ihre Freude war, ob ich denn irgendwo etwas verpassen würde?

„Wir machen heute einen Ausflug über die Insel, haben einen Jeep gemietet und fahren nachher gleich los.“ Ich wünschte ihr viel Spaß und ging später mit Anna frühstücken.

Am frühen Abend sah ich dieselbe Frau mit einer Whiskeyflasche in der Hand alleine im Sand sitzen, die Hälfte war schon geleert und Tränen rollten über ihr Gesicht.

„Was ist denn passiert?“, fragte ich neugierig und etwas besorgt, und sie meinte: „Wir hatten einen so schönen Tag heute und jetzt ist alles vorbei.“

Ich wollte ihr meine neu gewonnenen Weisheiten über Vergänglichkeit und Unbeständigkeit, über Anhaften und Loslassen nicht aufdrängen, sagte irgendetwas Freundliches zu ihr und ging zurück zu unserer Hütte, wo die folgenden Worte aufs Papier flossen:


In einer Welt …

… die ständig auseinanderfällt,

das ewige Bemühen, den Mangel auszugleichen.

… und das gezwungene Lächeln,

das den Schmerz des Menschseins übertünchen soll.

Was soll’s!?

Im Gleichschritt der Zeit ein Überdauern der Ewigkeit!?

Das wär’s.

Sogar sie ist zu überwinden.

Aber der Wind bewegt auch weiterhin

die Blätter – auch die geistigen,

und sie füllen den Raum.

Müde Gesichter im Blick nach hinten

und sorgenvolle in der Schau nach vorne.

Nichts bleibt zu tun.

Die Lasten können abgesetzt werden,

aber niemand scheint es zu interessieren.

Es ist eine Entscheidung,

doch worauf kommt es an?

Das Lachen eines Kindes

weiß nichts vom Morgen

und Schokolade

schmeckt niemals besser als jetzt.

Liebe und Hingabe ohne zweites Gesicht.

Das ist die Unschuld eines Kindes.

Es weiß (noch) nichts

und hat auch noch nicht vom Apfel

der zweifelhaften Erkenntnis genascht.

Die Teufel warten aber schon

ganz geduldig und ohne Eile,

und Engel hoffen im Hintergrund.

Das Locken ist mächtig,

das Ziehen und Drücken.

Überall ist alles

zu sehen, zu hören,

zu riechen, zu schmecken.

Beim Abschied, erst dann,

wird es fade und öde,

ausgelutscht, zerfallen und spröde.

Doch dann ist es einfach

nur das, was es ist.

Und hier natürlich auch

das, was es war.

Was bleibt, wenn alles geht?

Da lacht die Dunkelkammer

und öffnet das Licht.

Heiter soll’s aber auch sein,

und wenn

auch nur

ein wenig.

So kann’s bleiben?!

1 Ajahn: bedeutet auf Thailändisch allgemein Lehrer und wird Adschaan ausgesprochen

2 Dhamma: a. die Lehre des Buddha, b. die Natur und deren Gesetzmäßigkeiten, c. die Wahrheit uvm.

3 Vipassana: bedeutet klares Sehen