Seelenfeuer (Harzer Horror-Thriller)

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Tim Berger räkelte sich an diesem Mittwoch in seinen Federn, als das Handy auf dem Nachtschrank ertönte. Ramones ihr Song „Rock and Roll Highschool“ erweckte sogar Tote aus ihrem Schlaf.

Verdammt, dachte Tim, als er auf dem Display die Bezeichnung „Arschloch“ las. Oh Mann, was wollte der Boss? Heute war doch sein freier Tag.

Gestern Abend hatte er noch mit Kumpels zusammengesessen. Sie hatten einige Pils getötet und geile Musik von früher gehört.

Er drückte auf den Gesprächsannahmebutton seines Smartphones und fragte Oberpolizeirat Ludwig ironisch: „Hi Officer! Was kann ich für Sie tun?“ Dabei ließ er seinen Blick durchs Zimmer schweifen. Die Bude sah wirklich scheiße aus. In seiner 60 Quadratmeter großen „Übergangslösung“ waren Wohn- und Schlafzimmer praktisch in einem Raum untergebracht. Er wohnte erst seit zwei Monaten hier, nachdem Jana ihn rausgeschmissen hatte. Die 32-jährige hatte keinen Bock mehr auf seine ewigen Schichten als Hauptkommissar gehabt. Und wenn er dann mal frei hatte, führte er sich mit seinen 38 Jahren auf wie ein großer Junge. Dabei war Jana Sommer kein Mensch, der nachtragend war, sondern eine Frau, wie sie sich ein Kerl nur wünschen konnte: Extrem hübsch und immer experimentierfreudig; auch wenn es um Sex ging.

Seine Kumpels hatten ihn regelrecht beneidet. Eine Nymphomanin war nichts gegen die Hemmungslosigkeit seiner Ex, wenn sie gut drauf war.

Auf dem Tisch türmten sich die Bierpullen. Der Teppich davor wurde von herumliegenden Kartoffelchips dekoriert und die schwarze Ledercouch war mit Vinyl und Covern von alten AC/DC und KISS-Platten ausstaffiert.

„Berger, mir ist durchaus bewusst, dass Sie heute frei haben. Aber die Umstände machen es erforderlich, Sie in den Dienst zu zitieren“, erläuterte ihm „Arschloch“.

Der Polizeioberrat schien ihn ja dringend zu brauchen. Wie kam Tim nur zu der Ehre?

Eigentlich war Ludwig ja ganz okay. Wenn er sich nur nicht immer so überkorrekt an die Dienstvorschriften halten würde. In der Vergangenheit waren er und Berger deshalb des Öfteren aneinandergeraten.

Zu dem erinnerte der Boss Tim mit seiner Gestik und Mimik immer irgendwie an Mr. Bean.

Der Hauptkommissar hüpfte aus dem Bett und hielt sich augenblicklich den Kopf, der sich in diesem Moment anfühlte, als wäre er von einem Messer durchbohrt worden. Scheiße, das waren wohl gestern doch ein paar Bier und Kurze zu viel gewesen.

Ludwig führte weiter aus: „Heute Morgen circa gegen acht Uhr stieß ein Fußgänger mit seinem Hund in einem Waldstück in der Nähe bei Bad Lauterberg auf eine grausam entstellte Leiche.

Ich habe daher kurz vor diesem Anruf bereits Spurensicherung und den Pathologen losgeschickt. Schauen Sie sich den Toten bitte an. Bis nach Bad Lauterberg dürfte Ihr Navi keine Probleme haben. Am Ende der Heikenbergstraße wird Ihnen dann die Wegbeschreibung der Mail weiterhelfen, die ich Ihnen soeben zugeschickt habe.“

Kaum war es ausgesprochen, machte Tims Smartphone auch schon „Bling“. Ludwig wünschte noch gutes Gelingen. Berger sah auf das Display: 11 Uhr 7.

Er stürzte in den Flur am Spiegel vorbei. Bis auf eine Retroshorts war er nackt. Der Polizist hielt inne. Gar nicht so schlecht. Die Haare lagen ganz gut. Hellbraun und etwas länger bedeckten sie beide Ohren. Der lange Pony fiel tief die Stirn hinab und musste ständig mit einer seiner typischen Gesten aus den Augen gewischt werden. Bartstoppeln… okay! Aber Rasieren war jetzt Luxus.

Der Bauch war leider zurzeit nicht so durchtrainiert. Den Rest befand er für okay. Trotzdem musste Tim unbedingt mal wieder in die Muckibude gehen.

Nach einer schnellen Katzenwäsche und dem Einwurf eines Aspirins schlüpfte er rasch in seine Jeans und streifte sich ein ockerfarbenes, enganliegendes Shirt über. Noch schnell das Jackett im Armystyle vom Garderobenhaken genommen und es konnte losgehen.


Mit dem Lift fuhr er aus der sechsten Etage in die zu dem Wohnblock dazugehörige Tiefgarage.

Vorne um die Ecke stand sein sechs Jahre alter Audi Q5, der noch vor zwei Jahren beim Vorbesitzer bessere Zeiten erlebt hatte. Für Tim war ein Auto lediglich ein Fortbewegungsmittel. Daher konnte man die Park-Distance-Control schon mal überhören. Dementsprechend sah der metallicblaue Wagen auch an den Stoßfängern aus, die mit Dellen und Abschürfungen übersät waren.

Er gab die Adresse in sein Navi ein, verließ Göttingen in seinem SUV und fuhr die zweiundvierzig Minuten auf der Bundestraße 27 bis zum Tor des Südharzes: Bad Lauterberg.

Der 1 Euro Kaffee „to go“, den er sich noch schnell bei einem Schnellrestaurant geholt hatte, war nach der halben Strecke ausgeschlürft. Ach ja, wie liebte er doch „heißes ausgiebiges Frühstück“ am Steuer!

Kurz vor Zwölf passierte Tim das Ortsschild von Bad Lauterberg. An einer Laterne sah er das grüne Werbeplakat: „Nightbeat Festival“. Er las das Datum. Das war doch an diesem Wochenende. Weitere Schilder folgten. An einer roten Ampel hatte er mehr Zeit, den Text zu studieren. Da war die Rede von mehreren Bands, die in diversen Kneipen auftreten würden und die die halbe Nacht das Lauterberger Publikum bespaßen sollten. Cool! Das wäre auch eine Option für Tim gewesen, wenn er doch nur noch mit Jana zusammen gewesen wäre! Mit ihr war er schließlich in der Vergangenheit oft hier gewesen.

Das Städtchen hatte viel zu bieten: Neben der Shoppingmeile mit seinen tollen Geschäften, gab es die Burgseilbahn, mit der man auf den Hausberg fahren konnte und eine fantastische Aussicht auf die Kurstadt hatte.

Gegenüber befand sich der Kummelberg mit der Bismarckturm Baude. Von hier hatte man einen herrlichen Rundumblick zum Brocken, zur Hanskühnenburg, dem Wurmberg, aber auch auf den Großen Knollen. Die Odertalsperre lag malerisch zwischen den immer steiler aufragenden Bergen und auch das Harzvorland und Eichsfeld erstreckte sich bis zum Horizont.

Wandern gehörte nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, aber einen netten Nachmittag hatte der Hauptkommissar schon mit seiner Ex auf dem Hausberg verbracht. Eine Strecke war man damals mit der Seilbahn gefahren. Später hatten sie dann noch eines der tollen Bäder mit seinen schönen Saunalandschaften besucht und sich dort einen netten Abend gemacht.

Tim schwelgte in Erinnerungen an diesen perfekten Tag vor eineinhalb Jahren.


Nach dem Gang in die 80 Grad heiße Sauna relaxte das Paar im Whirlpool. Janas geschmeidige Hand wanderte immer wieder über Tims Knie, zwischen seinen Schenkel und umfasste schließlich seine pralle Erektion. Gekonnt zog sie dabei massierend die Vorhaut bis zum Bändchenansatz zurück und übte leichten Druck auf die Rückseite der Eichel aus. Dann hielt sie inne und grinste die anderen beiden Typen im Whirlpool aus ihren smaragdgrünen Augen frech an, die sogleich hochrote Köpfe bekamen. Jana war schon eine Augenweide mit ihren langen schwarzen Haaren bis zum knackigen Po, den sie den Kerlen jetzt entgegenstreckte, nachdem sie sich erhoben hatte, um Angesicht zu Angesicht auf Tims Schoß Platz zu nehmen. Aberwitzig hüpften ihre prallen Brüste vor seinem Gesicht. Am liebsten hätte er jetzt an den steifen Nippeln gesaugt. Sein praller Schwanz pochte gegen ihren flachen Bauch. Dann beugte sie sich zu ihm vor und flüsterte in sein Ohr: „Komm, lass uns in die Umkleide gehen, Tiger. Ich will, dass du mir deinen Schwanz tief in meinen Mund steckst. Und dann darfst du mir so viel deiner Sahne in meinem Mund spritzen, dass mir der geile Saft aus den Mundwinkeln herausläuft.“


Tim musste sich aus seinen Gedanken losreißen. Der SUV fuhr jetzt die Heikenbergstraße hoch und schließlich traf er oben auf der Kuppe auf einen unbefestigten Schotterweg. Eigentlich durfte man ab hier nicht mehr weiterfahren. Für Berger galt das jedoch nicht.

Laut der Mail sollte er dem Weg Richtung Wald und Himmelshöhe, einer ehemaligen Ausflugsgaststätte, folgen. Kurze Baumpassagen wechselten sich immer wieder mit grünen Weiden ab, auf denen prächtige Pferde grasten. Dann kam das ehemalige Wirtshaus in Sicht, vor dem an einer mächtigen Eiche mit Bank der Weg rechts abzweigte. Den nahm Berger und alsbald ging es für den Q5 steil bergauf.

Nach einem knappen Kilometer erschien eine Lichtung und dann kam auch schon der Tatort, das Knollenkreuz, in Sicht. Mehrere Fahrzeuge standen auf dem Weg. Ein Wagen der Spurensicherung, der rote Toyota vom Pathologen Maximilian Schenk, ein Leichenwagen, sowie ein lokales polizeiliches Dienstfahrzeug.

Tim steuerte vor einen riesigen Berg mit gerodeten Holzstämmen und knallte natürlich mit der Front dagegen, bevor der Audi zum Stehen kommen konnte. Ein langer Piepton hatte vergeblich auf das Hindernis hingewiesen. Der Polizist von der Göttinger Mordkommission zuckte nur mit den Schultern und stieg aus.

Auf halbem Weg kam ihm schon ein Polizist in Dienstuniform entgegen. Sie begrüßten sich und stellten einander vor.

Der 26-jährige Polizeiobermeister Frank Hartung erstattete einen kurzen Bericht: „Bei der grausig zugerichteten Leiche handelt es sich um einen gewissen Jan Ebeling, 24 und wohnhaft in Hannover. Ich konnte seine Eltern ausfindig machen, bei denen er noch lebte. Laut den Ebelings war er hier im Harz auf einem Kurztrip mit seinem Freund Thomas Reich, ebenfalls 24, von dem allerdings jede Spur fehlt. In der Bad Lauterberger Pension Kunze wohnten die Beiden seit vorgestern. Jan hatte am Vortag vormittags noch über WhatsApp mit seiner Mutter geschrieben. Dabei kam heraus, dass die Beiden gestern eine Wanderung zum Großen Knollen geplant hatten. Dieser Berg befindet sich hier in unmittelbarer Nähe.“

 

Tim Berger und Frank Hartung schauten hinüber zum Pathologen, der vor einem unförmigen Körper kniete.

„Schauen wir uns die Schweinerei mal an“, murmelte sich Tim in seinen Dreitagebart.

„Wenn Sie erlauben, würde ich lieber davon Abstand nehmen“, entgegnete Hartung. „Ich hatte vorhin schon das Vergnügen. Fast wäre mir das Croissant wieder hochgekommen. Wahrlich kein schöner Anblick.“

Du Glücklicher, dachte Berger bei sich. Immerhin hattest du heute schon feste Nahrung.

„Was geht, Max?“ Der Hauptkommissar trat zu Schenk und musste sich instinktiv die Hand vor den Mund halten.

Verdammt! Was war das? Die Leiche lag völlig zerfetzt vor einem Baum. Im Umkreis von fünf Metern verteilten sich Gedärme und andere Innereien auf dem Platz. Ebelings Gesicht war aufgeplatzt, der Hals und Bauch aufgerissen. Fliegen und andere Insekten labten sich an dem geronnenen Blut und den Wunden. Noch schrecklicher sah das Hinterteil des Toten aus. Ein faustgroßes Loch klaffte an der Stelle, wo einmal der Anus gewesen war. Ein übler Gestank von Kot und Blut umhüllte die Umgebung der Leiche.

„Grüß dich, Tim“, sagte Schenk. Der Mittvierziger sah mit seinem brav gescheitelten schwarzen Haar wie ein überalterter Klassenstreber aus. Er schob seine verrutschte dunkle Hornbrille wieder zurück auf die verschwitzte Nase.

„Üble Sache. Gastiert in der Nähe ein Zirkus mit einem ausgebüxten Elefanten? Den Toten muss ein Dickhäuter geknallt haben. Ich habe ansonsten keine Erklärung für die enorme Verletzung im analen Bereich.

Ansonsten kann ich keine von außen herbeigeführten Verletzungen feststellen. Keine Bisspuren eines Tieres, Schnittspuren Fehlanzeige. Ziemlich unwahrscheinlich, dass ein normaler Mensch so ein Blutbad anrichten kann.

Definitiv kann man davon ausgehen, dass die Leiche hier unter den vorhandenen Temperaturen seit mindestens 12 Stunden „post mortem“ liegt; eher länger in Anbetracht der vollständig ausgebildeten Totenstarre.“

„Wann weißt du mehr?“, fragte Tim den Kollegen.

Maximilian teilte ihm mit, dass nicht vor morgen Nachmittag erste genauere Ergebnisse zu erwarten waren. Hinter Bergers Stirn arbeitete es. Er schob die Haarsträhne aus dem Gesicht. Schenk bemerkte das und nahm ihm gleich den Wind aus den Segeln.

„Denk nicht mal dran, Tim. Reich hat seinen Freund definitiv nicht umgebracht. Ich hatte dir doch eben schon meinen vagen Standpunkt erläutert.“

Berger verabschiedete sich vom Pathologen, nachdem sie für den nächsten Tag um 15 Uhr einen Termin in der Göttinger Gerichtsmedizin vereinbart hatten.

Er ging zu den in weißen Overalls gekleideten Mitarbeitern von der Spurensicherung und erkundigte sich nach einer brauchbaren Fährte. Ramona Bauer und Michael Winkler hatten jedoch nur Negatives zu berichten. Außer Butterbrotpapier und zwei leeren Schnapsfläschchen in einem Mülleimer war man nicht fündig geworden. Die Gegenstände hatte man in kleine Beweismittelbeutel versiegelt und wurden nun zusammen mit dem Leichnam nach Göttingen in die Pathologie gebracht.

Tim Berger wandte sich nochmal an den Kollegen Hartung.

„Was ist eigentlich mit dem Wanderer, der das Schlamassel hier entdeckt hat? Hat der noch irgendetwas Merkwürdiges gesehen?“

Der Polizeiobermeister verneinte. Man hatte den Mann mit der Option auf weitere Fragen nach Hause geschickt. Hartung informierte den Hauptkommissar auch gleich, dass er soeben mit der Dienststelle telefoniert hatte. Demnach war Reich immer noch nicht in die Pension zurückgekehrt.

So tauschten die beiden Polizisten noch die Handynummern aus und vereinbarten spätestens am kommenden Tag miteinander zu sprechen, falls sich nicht noch etwas Neues in dem Mordfall ergeben sollte.

Danach besprach der Hauptkommissar mit seinem Vorgesetzten Jürgen Ludwig den Stand der Dinge. In beiderlei Einvernehmen ordnete der Vorgesetzte eine Untersuchung des Terrains an. Gleich morgen früh sollte es losgehen. Der Hauptkommissar wirkte angespannt…


Das Knollenkreuz hatte sich mittlerweile geleert und Tim überlegte, was man mit dem restlichen Nachmittag anstellen könnte. Es war erst 14 Uhr und so inspizierte er die Lichtung. Halb rechts aus der Richtung, von wo er gekommen war, ging ein weiterer breiter Weg Richtung Einhornhöhle/Burgruine Scharzfels. Er lief dorthin und stellte fest, dass nach zwanzig Metern rechter Hand ein schmaler Pfad in den Wald führte. Ob die beiden Hannoveraner wohl von hier in ihr Unglück gelaufen waren? Wahrscheinlich, denn ein Schild kam in Bergers Blickfeld: „Großer Knollen, 3,8 km, geöffnet täglich von 10 bis 17 Uhr, montags Ruhetag“.

Okay, die Fakten hatten ergeben, dass Ebeling und Reich zum Großen Knollen wandern wollten. Demnach waren sie nach 17 Uhr dort zum Abstieg aufgebrochen und bei bequemem Gang nach ca. einer Stunde hier am Knollenkreuz eingetroffen. In der Zeit zwischen 18 und 1 Uhr nachts musste also der Mord passiert sein. Wohl eher 18 Uhr grübelte Tim vor sich hin.

Spontan beschloss er der Bergbaude noch einen Besuch abzustatten. Vielleicht konnte ihm dort jemand Informationen geben. Außerdem hing ihm langsam der Magen in der Kniekehle. Gut, dass der Hauptkommissar heute Morgen die „schnellen Schuhe“ in Form seiner schwarzen Reeboks gewählt hatte und so machte sich Berger auf den Weg.

4.0

Goslar war ein beeindruckendes Städtchen am Rande des Nordharzes. An diesem sonnigen Tag zog es wieder viele Touristen in das Weltkulturerbe. Das Bergwerk Rammelsberg oder die Kaiserpfalz luden ein, besichtigt zu werden. Wenn man keine Lust auf einen Kulturschock hatte, konnte man aber auch einfach nur in der mittelalterlichen, historischen Altstadt bummeln gehen.

Ein alter Bekannter verbrachte an diesem Tag auch seit den Mittagsstunden seine Zeit in der Stadt. Unweit des Bahnhofs befand sich die Niedersächsische Staatsbibliothek. Dort saß Sprengmeister Heinz Sattler auf einem bequemen Sessel und blätterte in einem Buch.

Ihm ging es heute gar nicht gut. Am Morgen hatte er sich noch Morphium gespritzt. Seine tödliche Krankheit schritt unaufhörlich voran. Er musste husten. Die vielen Jahre im Schachtbau und damit das ständige Einatmen von Staub und Dreck hatten doch ihre Spuren hinterlassen. Vor zwei Jahren erhielt Sattler in der Göttinger Uniklinik die Diagnose: Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Ein Karzinom hatte in beiden Flügeln gestreut, welche dadurch nicht mehr operabel waren. Der Professor gab ihm noch zwei, vielleicht drei Jahre, die er bestmöglich nutzen sollte.

Der Sprengmeister besaß einen Plan. Er kannte diese alte Sage schon von Kindheit an. Sein Großvater hatte sie ihm schon als Bub immer wieder erzählt. Und jedes Mal war er erneut fasziniert gewesen, wenn er auf Opas Schoß gesessen und andächtig seinen Worten gelauscht hatte.

Dann fand Sattler in der Sagen-Zusammenstellung, wonach er gesucht hatte und begann zu lesen…

4.1
Das Höllentor zu Lutterberge

Anno 1352 im Namen des Herrn

Vor vielen hundert Jahren gab es einen Müller, der eine prächtige Mühle unterhalb des Lutterbergs in dessen Tal bewirtschaftete.

Sieben Gesellen unterstützten ihn bei der beschwerlichen Arbeit, tagsüber das kostbare Korn zu mahlen.

Der Müller war reich und großzügig gegenüber seinen Angestellten, die des Nachts mit ihm in einem Schlafsaal nächtigten.

Doch war er schwerkrank und wusste, dass er bald das Zeitliche segnen würde. So beschloss er eines Tages, seinem Schicksal zuvor zu kommen.


An einem schönen Sonntag lief er das Luttertal hinauf um sich in einsamer Abgeschiedenheit von einem Felsen in den Tod zu stürzen.

Er genoss noch einmal das Plätschern des Flusses und den Gesang der Vögel. Grillen zirpten im Gras und Bienen summten durch die Luft auf der Suche nach Blütennektar.

So war er nun etliche Meilen gegangen und befand beim Betrachten der Natur, dass es doch schade war, dem irdischen Leben auf nimmer Wiedersehen zu sagen.

Rechts türmte sich ein steiler Hang auf, den man an anderer Stelle leicht ersteigen konnte und der wie dafür geschaffen war, sich von ihm hinab zu stürzen.

So arbeitete sich der Müller zwischen Bäumen und Sträuchern voran und zuckte plötzlich auf halber Höhe zusammen. Dort hinter der Wurzel eines umgestürzten Baumes führte eine Höhle in den Berg. Er trat ein. Immer tiefer ging es in den Felsen.

Aber das war seltsam. Sollte es nicht tiefer und finsterer werden, umso weiter er den Höhlengang erkundete? Nichts davon geschah. Eine unsichtbare Lichtquelle leuchtete den Weg aus, bis der Müller plötzlich vor einem versiegelten Tor stand. An der Wand standen Sätze.

Er las still die Worte für sich:

„Der Jungbrunnen erschließt sich

dem, der den Fürst der Finsternis ruft.

Seine Macht ist gar herrlich,

drum sprich die Worte laut und deutlich.

Der Beelzebub eilt sodann herbei,

alle Eure Sorgen und Nöte sind alsbald vorbei.“

Neugierig sprach der Müller die Worte laut. Dann ertönte ein Donnergrollen und das Tor verschwand hinter pulsierendem Rauch und Dampf. Als der Qualm verschwunden war, fehlte auch die Versiegelung am Eingang.


Der Mühlenbesitzer öffnete die quietschende Tür und trat in einen Gang, an dessen Wände Feuerzungen leckten. Menschliche Arme traten aus den Wänden hervor, die mit schwarzen Kerzen in den Händen dem Todgeweihten den Weg wiesen. Gespenstisch bewegten sie sich im Lichterschein oder bildete er sich das nur ein?

Dann trat der Müller in eine mächtige Halle, an deren Ende ein schwarzer Thron aus Menschenknochen stand, auf dem eine mächtige Gestalt saß.

Ein furchtbares Lachen erklang in der Halle. Der Teufel sprach: „Willkommen in der Hölle, Menschlein. Bist du zu mir gekommen, damit ich dir dein Leben zurückgebe?“

Woher wusste Satan von seiner Krankheit, dachte der Müller bei sich?

„In der Tat, ich bin dem Tode verfallen“, antwortete er. „Aber was muss ich dafür tun, um weiter zu leben?“

Der Teufel grollte: „Nicht viel. Du musst nur einen Menschen töten und ihn mir als Blutopfer bringen. Wenn du einwilligst, dann seist du sofort genesen und um Jahre verjüngt.“

Da brauchte der Müller nicht lange zu überlegen. „Ich nehme an.“

„Dann sei es hiermit besiegelt. Eines noch: Solltest du von unserem Pakt zurücktreten, wird dein Leiden alsbald zurückkehren. Du wirst sterben und deine Seele ist mein. Dann wird sie bei unermesslichen Qualen in der Hölle brennen.“

Der Teufel lachte abermals und fuhr fort: “Auch ich habe einen Pakt mit dem Allmächtigen. Daher bin ich gezwungen, dir folgende Worte zu sagen: Wenn du die Zauberformel sprichst, öffnet sich jederzeit das Tor zu mir. Wenn man aber das Höllentor für Hunderte von Jahren schließen will, hat man ein Pentagramm mit einem fünfeckigen Stern davor aufzumalen. Dieser muss dann mit geweihtem, christlichem Wasser beträufelt werden. Bedenke aber, dass folglich meine Magie auf dich nicht mehr wirkt und du wärst des Todes.

Zudem gibt es viele Wege zu mir. Deine Seele wäre jedenfalls mein und ich wandle an anderen Orten weiter.“

 

Die Hölle dröhnte unter dem irrsinnigen Lachen Satans…


Der Müller trat aus dem Berg. Er fühlte sich wie neugeboren. Kraftvoll und jung. Sein Körper wirkte muskulöser, als er sich betrachtete.

Der Genesene stieg den Berg hinab und trat an die Lutter. In einem ruhigen Ausläufer des Flusses betrachtete der Müller sein Spiegelbild. Die Falten im Gesicht waren fast gänzlich verschwunden. Das Haar wirkte voller und dunkler.

Er war zufrieden und schritt das Tal hinab.


Die Gesellen des Meisters staunten. War der Müller in einen Jungbrunnen gefallen?

Doch nicht nur sein äußeres Erscheinungsbild hatte sich verändert. Der ehemals großherzige Müller war böse geworden und behandelte seine Arbeiter fortan von Tag zu Tag schlechter. Er ließ sie schuften, bis sie erschöpft zusammenbrachen, gab ihnen nur noch wenig zu essen und trank das Bier zum Feierabend von nun an allein. Des Nachts sprach er im Schlaf. Worte wie Tod und Teufel fielen.


Nach einigen Wochen, als der Müller sich im Spiegel betrachtete, erschrak er. Zufällig wurde er dabei von einem seiner Gesellen beobachtet. Der Meister schien sich wieder zurück in den kranken Greis zu verwandeln. Des Teufels Fluch wirkte also und darum erinnerte sich der Müller an die teuflische Abmachung.

So ging er dann, heimlich verfolgt vom Knecht, mit einem langen Dolch in den Wald und legte sich auf die Lauer.

Alsbald kam ein altes Mütterchen des Weges. Er schlich sich feige von hinten heran und stach mit irrem Blick in den Augen der armen Frau heimtückisch in den Rücken. Sie stürzte sterbend zu Boden. Einen Schrei bekam sie nicht mehr zustande, da sämtliche Luft aus ihrer durchbohrten Lunge entwich. Es war ja nicht schade um sie, denn ihre Lebensuhr wäre ohnehin bald abgelaufen gewesen, redete der gemeine Mörder sich ein.

Er versteckte die Alte hinter einer Hecke und holte geschwind das Pferdegespann mit Anhänger, in dem sonst das Korn gefahren wurde. Dann lud er die Tote auf, setzte sich auf den Kutschbock und trieb die Pferde das Luttertal hinauf.

Am Ziel angekommen buckelte er das Mordopfer hinauf in des Teufels Höhle.

Der Knecht war dem Meister indessen unerkannt gefolgt.

Der Müller sprach die Formel und in kurzer Zeit war der Weg frei. Er trat vor in Satans Halle.

„Der Müller ist zurückgekehrt“, brüllte der Teufel lachend durch seinen Thronsaal und seine Folterknechte stimmten mit ein. „Und ich sehe, er hat mir etwas mitgebracht.“

„Ja“, antwortete der Gemeinte, „ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt und nun mach mich wieder jung.“

In diesem Moment berste die Erde. Ein tiefer Riss tat sich zwischen Teufel und Mensch auf. In einiger Tiefe floss ein Lavastrom, in dem unzählige tote Seelen schwammen. Zwei der dämonischen Folterknechte traten hervor, packten die Alte und schmissen sie in die Tiefe…

Der Müllergeselle war im vorderen Teil der Höhle geblieben und hatte Todesangst. Gebannt lauscht er aber den Worten, die bis zu ihm vordrangen. Konnte kaum glauben, was seine Ohren hören mussten.

Beelzebub lachte schallernd: „Sodann soll die Alte baden im Feuer der Unendlichkeit. Du, Müller, wirst gleich wieder deinem Wunschbild entsprechen. Aber denk daran: Beim nächsten Vollmond kehrt deine Verwandlung wieder um. Dann braucht die Hölle wieder eine neue Seele.“

„Aber davon sagtest du nichts. Ich kann doch nicht immer weiter morden“, jammerte der Müller.

Der Teufel lachte abermals: „Nichts ist von Ewigkeit. Nicht einmal meine Magie. Das hätte dir doch klar sein müssen, Mensch. Du willst jung bleiben. Aber die Hölle verlangt nach Menschenopfern. Das ist unser Pakt und nun verschwinde. Ich erwarte dich zum nächsten Monat wiederzusehen und zwar mit Blutzoll. Geh jetzt, ich bin müde.“


Weinend verließ der Müller die Höhle. Er war wieder jung. Aber um welchen Preis? Was hatte er nur getan? Hätte er sich doch nur in den Tod gestürzt…

Im Abendrot erreichte er die Mühle und weinte sich des Nachts in einen alptraumhaften Schlaf.

Zuvor hatte der Knecht den anderen Gesellen alles erzählt.

So kam es dann, dass der Müller wieder im Schlafe sprach: „Wenn man aber das Höllentor… für Hunderte von Jahren… schließen will, hat man ein Pentagramm… mit einem fünfeckigen Stern davor aufzumalen… Dieser muss dann mit… geweihtem, christlichem Wasser… beträufelt werden.“

Die Gesellen hatten die Worte mitgehört. Die kommenden Tage waren wieder wie eine Folter für sie und so beschlossen sie einen Plan.

In den folgenden Wochen alterte der Verzauberte erneut und so war er abermals gezwungen, den teuflischen Vertrag mit einem Mord zu erfüllen.

Der Müller legte sich im Luttertal erneut auf die Lauer. Schon bald erschien ein junges Mägdelein spazierend auf dem Weg. Als er sich auf es stürzen wollte, entpuppte es sich als einer seiner Knechte, der sich gut verkleidet hatte. Auch die anderen Gesellen sprangen hervor und alsbald war der überraschte Müller überwältigt.

Mit der Kutsche und einigen Kelchen geweihtem Wasser erreichten sie in der Abenddämmerung den Aufstieg zur geheimen Höhle und zwangen den Müller mit Waffengewalt vor das Höllentor. Ein Geselle malte das Pentagramm mit dem fünfzackigen Stern vor den Eingang. Dann durfte der Verfluchte ein letztes Mal die Beschwörung aufsagen:

„Der Jungbrunnen erschließt sich

dem, der den Fürst der Finsternis ruft.

Seine Macht ist gar herrlich,

drum sprich die Worte laut und deutlich.

Der Beelzebub eilt sodann herbei,

alle Eure Sorgen und Nöte sind alsbald vorbei.“

Alsbald brach die Hölle auf.

Der Müller fühlte den Stahl des Dolches an seinen Eingeweiden und schleppte den verkleideten Knecht geschultert in die Halle des Satans.

Die Gesellen schütteten derweil das gesegnete Wasser in den Kreis und schon schrie der Teufel schmerzerfüllt auf. Er sprang unter Qualen, als ob er brannte, von seinem Knochenthron und stürzte auf den Müller und sein vermeintliches Mordopfer.

Schnell entwand sich der Knecht und rannte gen Ausgang.

Der Berg erzitterte und der Boden brach auf. Für den Verfluchten gab es kein Entkommen mehr. Er fiel in die glühende Lava und ward auf ewig in der Hölle gebannt.

Erdbebengleich schloss sich langsam das Tor zur Hölle. Der Teufel konnte gegen den Pakt mit Gott nichts mehr unternehmen. Die Knechte hielten ihn mit ihren Forken in Schach, bis das sich der Weg in die Unterwelt für viele Jahrhunderte verschließen sollte.

Genau genommen sollte die Folge des Paktes vom Antichristen mit dem Allmächtigen 666 Jahre anhalten. Aber wer wusste das schon so genau?

Die Mühle des verdammten Müllers erblühte unter der Obhut der sieben Gesellen auch weiterhin. Die Knechte verheirateten sich und bekamen viele Kinder.

Und so entstand das kleine Dorf Lutterberg.

Seltsam… aber so steht es geschrieben.

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