Höllenfahrt - Horror-Thriller (Hardcore)

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1.2

Eine Gruppe junger Schlachtenbummler, die gerade vom beendeten Eishockey-Match kamen, waren auf dem Weg zu ihrem Hotel. Die Auswärtsfahrt hatte sich wirklich gelohnt. 2:7 wurden die Hausherren an diesem Abend von den Hannoveranern vorgeführt.

Das Braunlager Eisstadion war zu einer Seite hin offen. Da musste man bei Minustemperaturen nicht nur entsprechend gekleidet sein, sondern auch viel „Schierker Feuerstein“ trinken, damit man warm blieb. Das hatten dann auch alle beherzt getan. Schließlich war jedes Tor ein Grund zum Feiern gewesen.

Armin Fiedler hielt seine Dose Bier in die kalte Winterluft und begann das Hannoverer Vereinslied zu singen. Die anderen Vier stimmten mit ein. Sieben Auswärtstore, sieben Schnäpse - Jessica Blumfeld war doch mittlerweile etwas beschwipst. Nur gut, dass es jetzt zu ihrem Hotel „Die Schöne Aussicht“ ging. Die 17-jährige hakte sich bei ihrem Freund ein. Der reagierte leicht genervt. Seine Flamme war im Moment eher ein unnötiges Anhängsel. Sex fiel definitiv für heute aus, da Jessica ziemlich abgefüllt war. Der einzige Trost: Finn würde mit seinen Kumpels gleich im Hotel noch ein paar Bier zischen. Bis zum Resort, das etwas außerhalb im Wald lag, waren es noch schätzungsweise 800 Meter.

Feuchtfröhlich machte sich die Gruppe an den Aufstieg des Berges, dessen Bundesstraße Richtung Ortsausgang und Wernigerode führte. Tobte um diese Uhrzeit weiter unten in der Stadt noch das pure Leben, sah man hier jetzt keine Menschenseele mehr. Auf den winterlichen Harz waren die Hannoveraner gar nicht vorbereitet. Die Mädels hatten mit ihren flachen, glatten Schuhabsätzen erhebliche Probleme auf dem Bürgersteig, der nicht besonders gut gestreut war. Babsi Wegener rutschte deshalb ein ums andere Mal aus. Was für eine unwirtliche Gegend! Sie sehnte sich nach den Discos und Szenelokalen in und um Hannover. Und den vielen Schnee braucht ohnehin niemand! Fiedler stänkerte: „Gib dir mal ein bisschen Mühe! Schon bald kannst du ins Bettchen rutschen. Aber Leute, für heute reicht es auch. Es war ein triumphaler Sieg über diese Harzer Rednecks. Ich will gar nicht an das Rückspiel in Hannover denken. Die schicken wir zweistellig nach Hause!“ Armin verteilte noch einmal ein paar Kurze an die Gemeinschaft, die sich den Berg hinaufkämpfte.

Dort hinten schälte sich mit einem Mal eine Gestalt aus der Dunkelheit. Sie hinkte den jungen Leuten im Schein der letzten Laternen entgegen. „Da muss was passiert sein. Ich schau mal nach.“ Dennis Döring war noch der Fitteste in der Gruppe. Der 21-jährige Krankenpfleger setzte sich augenblicklich in Bewegung und rannte den Berg hinauf. Von weitem erkannte er jetzt, dass es sich um einen Mann handeln musste. Als er ihn endlich erreichte, brach Julian Reinhold ohnmächtig vor ihm zusammen. Döring hatte durch seine Jobkenntnisse die Lage sofort analysiert. Der Mensch war kreidebleich wie eine Leiche. Zudem suppte durch einen provisorischen Verband unaufhörlich Blut und hatte den Mann wohl ziemlich geschwächt.

*

„Schnell Leute! Her mit euren Trikots! Ab mit ihm in die stabile Seitenlage. Der Typ hat jede Menge Blut verloren“, schrie Dennis seinen Freunden entgegen. Er streifte sein Shirt herunter. Die Anderen waren mittlerweile auch heran und taten es ihm nach. Der Krankenpfleger formte aus den Oberteilen eine Unterlage auf der Schneeschicht. Armin half ihm, den im Gesicht blau angelaufenen Verletzten darauf zu hieven. Jessica war mit einem Mal hellwach, als sie das viele Blut an der durchtränkten Treckinghose sah. Sofort zückte sie ihr Mobil-phone und wählte den Notruf. Der Blankenburger schlug jetzt die Augen auf. Ängstlich blickte er sich um. „Keine Sorge! Sie sind in Sicherheit. Gleich kommt Hilfe“, redete Dennis Döring beruhigend auf ihn ein.

Reinhold nickte, während ein Zitteranfall seinen Körper durchfuhr. „D-D-Das Monster… Es hat Jasmin umgebracht.“

In der Dunkelheit des angrenzenden Waldes leuchtete ein Augenpaar. Es war Connullus. Er roch das frische Menschenfleisch. Doch noch durfte er die Erdbewohner nicht angreifen. Der Herr der Finsternis hatte es ihm verboten.

*

Das Großraumtaxi fuhr zum Hotel „Schöne Aussicht“. Es war ein super Abend im „Jaspers“ gewesen. Aber jetzt war Bettruhe angesagt. Schließlich wollten die drei Pärchen morgen zu einer Langlauf-Tour starten. Die Bedingungen zum Skifahren sollten laut Wetterbericht optimal werden.

Außerhalb des Fahrzeugs rieselten Schneeflocken herab und verwandelten die Häuser und Straßen des Ortes in eine wunderschöne Winterkulisse. Mit einem Mal registrierte Henning Sturm, dass da vorne an der Bergkuppe etwas nicht stimmte. „Fahren Sie dort bitte mal langsam heran“, signalisierte er dem Taxifahrer. Plötzlich näherten sich auch schon von der gegenüber liegenden Fahrtrichtung Krankenwagen mit Blaulicht. Nahezu zeitgleich sprangen Notarzt, Sanitäter und die sechs Freunde aus den Autos. Sofort kümmerten sich die Hilfskräfte um Julian Reinhold, während sich die beiden EPO-Agenten per Ausweis den jugendlichen Eishockey-Fans vorstellten. Dennis Döring erklärte, was sich bisher zugetragen hatte.

„Und der Mann sprach von einem Monster? Wo trafen er und diese Jasmin auf es?“, hakte Jana nach.

„Der Verletzte faselte etwas von den sogenannten Schnarcherklippen, wo sie wohl zuvor waren. Aber ob es da passiert ist? Keine Ahnung!“

„Es ist unwahrscheinlich, dass die Freundin noch lebt. Aber wir dürfen nichts außer Acht lassen“, äußerte sich Henning Sturm gegenüber seiner Kollegin. „Ich informiere Pete Saunders. Wir werden hoffentlich einen Suchtrupp zusammengestellt bekommen. Mit dem werden wir das Gebiet notdürftig durchkämmen, nachdem wir uns im Hotel ein paar andere Klamotten angezogen haben, Jana.“ Er sprach die Schlachtenbummler an: „Wo wolltet Ihr Jungs und Mädels denn eigentlich hin?“ Döring erklärte es ihm. „Das trifft sich ja gut. In dem Hotel sind wir auch untergebracht.“ Der Blick des EPO-Agenten wanderte zu seinen Freunden. „Tim und Marty! Ihr bleibt bei den Hannoveranern in der „Schöne Aussicht“. Ist mir lieber, wenn wenigstens ein Superheld bei ihnen ist, der meinen schießwütigen Freund notfalls unterstützen kann, falls Gefahr droht.“ Marty grinste stolz. Berger klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Im Moment war jede Hilfe willkommen.

Sturm ging zu dem Sani-Team und stellte dem behandelnden Arzt einige Fragen. Dann nickte er und kam zurück. „Und du, Pauline, fährst mit Jaqueline nach Wernigerode ins Krankenhaus. Der Verletzte heißt Julian Reinhold und wird gleich dorthin gebracht. Er wird schon auf der Fahrt stabilisierende Infusionen erhalten. Ich hoffe, dass er bald so fit ist, dass du ihn nochmal befragen kannst. Wahrscheinlich liegen wir dann spätestens in zweieinhalb Stunden in unseren Betten.“ Der Geisterjäger schaute auf seine Rolex, während Jaqueline sich auf ein neues Abenteuer freute. Es war gerade kurz nach Mitternacht.

Berger bewunderte das Organisationstalent seines Freundes und wie er in kritischen Situationen stets kühlen Kopf bewahrte. Doch, dass der Deutschdäne mit seinem letzten Satz Unrecht haben sollte, konnte auch der Göttinger Hauptkommissar nicht ahnen.

1.3

Saunders hatte mal wieder alles perfekt in die Wege geleitet. Noch auf dem Weg zum Hotel hatte Sturm mit ihm telefoniert. Seitdem war eine halbe Stunde vergangen, und schon standen zwei ortskundige Polizisten im Empfangsbereich und warteten auf die beiden EPO-Agenten.

Nachdem sie sich miteinander bekannt gemacht hatten, begaben sich die Vier in ihrer Winterbekleidung auf den Weg. Kurz hinter der Einbiegung zum Resort führte ein Wanderweg in den Wald hinein. Ein Schild wies nach Schierke und Elend. Unter den Ortsbezeichnungen stand Schnarcherklippen.

Zum Glück war das Schneegestöber an dieser Ecke vorbeigezogen. Jana Sommer konnte die Fußspuren im weißen Boden deutlich ausmachen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von Julian Reinhold stammten. Breitflächig schritten die Vier unter Einsatz von Taschenlampen den Pfad entlang.

Der Schrei einer Eule erklang entfernt und sorgte nicht nur bei den Polizisten für ein mulmiges Gefühl. Ansonsten passierte auf den nächsten eineinhalb Kilometern nichts Außergewöhnliches. Doch dann erkannte A-Girl etwas: Weiter vorne befand sich im Schein des Mondlichts ein Haufen. Ihre Schritte wurden schneller. Dann fiel der Lichtschein ihrer Lampe auf das Objekt. Es handelte sich um Bekleidung; dem Anschein nach von einer Frau. Sommer hob mit spitzen Fingern die rotdurchtränkten, zerfetzten Textilien an. Was hat das zu bedeuten? Jetzt waren auch die Männer da.

Henning Sturm fielen sofort die Hufspuren im Schnee auf. Entweder war hier vor kurzem noch ein riesiges Tier aktiv gewesen oder es handelte sich womöglich doch um ein Monster. Der 43-jährige tendierte eher zur zweiten Variante. Sturm tunkte seinen Daumen in den dunklen Fleck. Er roch. Hier handelte es sich nicht nur um Blut. Ein bräunliches Gemisch aus Fäkalien und Urin klebte an seinem Finger. Einer der Polizisten übergab sich angewidert.

*

Am helllichten Tag würden die Fundstücke womöglich nicht mehr hier sein. Dafür wimmelte es im Harz von zu vielen Raubtieren, die sich auch bei dieser eisigen Kälte auf Nahrungssuche begaben. Die Kleidung musste schnellstmöglich in der Göttinger Gerichtsmedizin untersucht werden. Der EPO-Agent verstaute sie in einem mitgebrachten Plastikbeutel. Er nahm auch eine Probe von dem schmutzigen Schnee.

Während die Polizisten die Fundstelle notdürftig mit Zweigen und mitgebrachtem Absperrband fixierten, untersuchten die Agenten den Boden im Umfeld. Die Hufspuren verschwanden irgendwo im Gehölz. Auf dem Waldboden befanden sich dagegen in Richtung Schnarcherklippen Rillen, als ob diese jemand mit Zweigen verursacht hatte. Dazwischen war der Schnee auf einer Länge von zwanzig Metern herabgedrückt. Knapp daneben konnte man die Fußspuren von einer Person ausmachen. Hinter dieser Distanz erkannte Jana zwei Schuhpaare. „Das Wesen hat hier Jasmin Schmidt attackiert und sie bis dort vorne, wo wir die Bekleidung gefunden haben, hingeschleift. Es kann gar nicht anders sein! Die Spuren neben dem heruntergedrückten Schnee dürften von Reinhold sein. “

 

„Gut kombiniert, A-Girl. Aber ich sehe keine Hufspuren in dem Bereich bis zum Fundort. Haben wir es hier mit Mr. Fantastic von den Fantastischen Vier zu tun?“ Sturm grinste sarkastisch.

Die Kollegin fand das gar nicht witzig. Sie packte Henning mit einer Hand am Kragen und hob den 1,90 großen Hünen wutentbrannt in die Höhe, als ob es sich bei ihm um eine Feder handele. Dann schleuderte sie den Überraschten mit Leichtigkeit einige Meter weit zwischen die Bäume, wo er im tiefen Schnee weich fiel. Die beiden Polizisten guckten die Wutschnaubende verdutzt an. „Wolltet Ihr auch noch einen fachlichen Kommentar abgeben? Nur zu. Bin gerade gut drauf!“

*

Man lag gut in der Zeit, auch wenn man derzeit noch auf dem Rückweg zum Hotel war. Die Polizeibeamten erklärten sich bereit, die Proben unverzüglich nach Göttingen zu überführen.

Pauline hatte sich zwischenzeitlich telefonisch bei Sturm gemeldet. Sie war durch einen besonderen Ausweis der EPO befugt, über dem Gesetz aktiv zu werden. War das in diesem Fall zuvor auch etwas schwierig gewesen, da die zuständigen Ärzte den Patienten absolute Ruhe verordnet hatten, durfte sie aufgrund dessen dann doch den Patienten befragen. Reinhold befand sich auf dem Weg der Besserung. Inzwischen hatte er ihr seine Erlebnisse ausführlich geschildert. Laut seinen Aussagen tötete ein hirschähnliches Ungeheuer die Freundin. Seine Beschreibung ihrer Kleidung deckte sich mit den gefundenen Sachen im Wald. In Folge hatte sich die intelligente Bibliothekarin die Kontaktdaten von Jasmins Eltern geben lassen. Mit Sicherheit besaßen sie DNA von ihrer Tochter, und sei es nur eine Haarlocke oder ein Milchzahn aus Kindertagen, die sich mit dem Fund vergleichen ließe. Im Laufe des folgenden Tages würde sich deshalb ein Beamter mit der Familie in Verbindung setzen.

Die das Telefongespräch mitverfolgende Jana Sommer fühlte jetzt schon mit den Hinterbliebenen, die wohl bald die Todesnachricht von ihrer Tochter erhalten würden, war sie doch selbst in der Vergangenheit von schicksalhaften Ereignissen nicht verschont geblieben. Jetzt galt es aber vorerst, Julian Reinhold wieder aufzupäppeln und im Anschluss psychologische Hilfe zu gewähren. Noch stand er laut Pauline unter Schock. Schon bald würde der 24-jährige erst so richtig realisieren, dass der geliebte Mensch aus seiner Mitte nie mehr zurückkehren würde.

Mit Pete Saunders hatten die EPO-Agenten in einem weiteren Gespräch vereinbart, dass man in Begleitung eines Harz-Rangers bei Tageslicht das Areal erneut ablaufen würde. Somit fiel der geplante Skilanglauf definitiv aus. Aber vielleicht konnte man den an einem anderen Tag nachholen…

*

Ein Paar glühende Augen leuchteten aus der Dunkelheit des dichten Waldes. Der Hirschgott beobachtete das große Haus. Hinter den Fenstern brannten noch vereinzelte Lichter, und es bewegten sich ab und zu Schatten hinter dem Glas. Das Monstrum witterte die Menschen, die sich vorhin um sein vermeintliches Opfer gekümmert hatten. Connullus hatte dem Befehl seines Herrn Folge leisten müssen, aber jetzt würde er seinen Blutdurst stillen. Die weiße Gestalt stapfte auf das Hotel zu und hob sich in ihrer Erscheinung kaum von der Umgebung ab. War der Dämon auch mit einem unschuldigen hellen Fellkleid gesegnet, so dürstete er doch nach rotem, menschlichem Blut…

*

Die jungen Leute hielten sich noch in Armin Fiedlers und Babsi Wegeners Zimmer auf und tranken einen Absacker. Erst das begeisternde Spiel ihrer Mannschaft, und dann hatte es diesen aufregenden Zwischenfall einige hundert Meter vor dem Hotel gegeben. Jessica sprach Dennis an: „Ich finde das ganz schön gruselig, was dir der Wanderer erzählt hat. Glaubst du ihm?“

Der 21-jährige Krankenpfleger lachte los: „Nee, auf keinen Fall! Ein Monster im Harz? Bären sind ausgerottet. Es gibt zwar Wölfe, aber die sind scheu und vermeiden den Kontakt mit Menschen.“

„Dann hat er sich das alles nur eingebildet?“

„Weiß ich nicht. Der Mann war stark unterkühlt und nicht mehr Herr seiner Sinne. Halluzinationen können in so einer Situation bei einem Menschen schon mal auftreten. Am Mittag wissen wir vielleicht mehr. Die Leute von vorhin wollten sich ja nochmal im Wald umschauen.“

Die 17-jährige nickte. An ihren Armen hatte sich Gänsehaut gebildet. Irgendwie hatte sie ein ganz mieses Gefühl. Ihr Freund Finn drückte sie: „Dir wird schon nichts passieren. Hier im Hotel sind wir sicher.“ Dann ging der 20-jährige nach draußen auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen. Das Feuerzeug flammte auf. Die einzige Lichtquelle hier draußen! Zwei Meter unter Finn erstreckte sich eine verschneite Wiese. Die Bäume des dahinter angrenzenden Waldes konnte er nur erahnen, da sich dichte Wolken vor den Mond geschoben hatten.

Der Bankkaufmann-Azubi zog an seiner Kippe und inhalierte den Rauch tief. Dabei bemerkte er nicht die astähnlichen Sprossen, die sich am Balkon hinaufschlängelten. „Die frische Luft tut gut! Ihr müsst auch mal nach dr…“ Bauers Stimme erstarb in diesem Moment, als sich eine drei Zentimeter dicke Geweihspitze in sein linkes Auge bohrte und auf der anderen Seite aus dem Schädel wieder heraustrat. Wie ein Alien-Arm tanzte das blutverschmierte Gebilde durch die Luft, während das ausgelaufene Sehorgan auf den Steinboden klatschte. Babsis schriller Schrei durchdrang den Raum. Der Wanderer hatte Recht. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Die 20-jährige stürzte in ihrer Panik Richtung Zimmertür.

Derweil hob der holzähnliche Greifarm Finn Bauer spielend einfach in die Höhe. Kleinere Sprossen hatten sich dabei um den Kopf des jungen Mannes gewunden. Dann knackte das Genick und der Schädel riss einfach so ab. Aus dem Hals schoss schwallartig Blut und flute den Boden unter der zusammensackenden Leiche. Doch schon waren neue Geweihabsonderungen zur Stelle und packten das, was vom jungen Mann noch übrig war und zogen es über das Geländer. Sein Torso wurde eins mit dem Geweih, als die Auswucherungen den Körper absorbierten.

Nun baute sich das über vier Meter hohe Monstrum vor dem Balkon auf. Die Eishockey-Fans sahen in das schreckliche Antlitz der Kreatur, die mit ihren glühenden, aber toten Augen die Menschen fixierte. Das wird heute noch ein Festmahl geben. Die riesigen Kiefer öffneten sich wie bei einem Raubsaurier. Dann legten die Geweiharme den Kopf des Toten dazwischen. Der Hirschgott biss mit seinen gewaltigen Zahnreihen zu. Bauers Schädel zerplatzte. Kurz darauf floss ein gräulich-roter Brei aus dem Maul des Monsters.

Entsetzt und in Todesangst schob sich der geschockte Rest der Clique zur Zimmertür, die Babsi bereits hinter sich gelassen hatte. Die rannte währenddessen schreiend durch den Flur, so dass sich einige Türen der naheliegenden Zimmer öffneten. Neugierige Hotelgäste schauten in den Korridor und wollten wissen, was los war.

Mittlerweile breiteten sich weitere Auswüchse des Monsters blitzschnell im Zimmer aus, versperrten den Ausgang zum Hotelflur und griffen nach Jessica Blumfeld. Während die anderen Hannoveraner „nur“ in der Falle saßen, hatte sie als Vorderste keine Chance, der Kreatur zu entkommen. Die hölzernen Tentakel bekamen die 17-jährige problemlos zu fassen.

Für das Monstrum war es bei seiner Größe ein Leichtes, den Balkon zu erklimmen. Das tat es jetzt von seinem Blutdurst getrieben. Mit brachialer Kraft durchschlug der Hirschgott mit seiner Statur das Geländer und drängte sich mit dem massigen Körper in das Hotelzimmer. Dabei splitterte das Glas der nebenliegenden Fensterscheiben, denn das Untier war einfach zu groß. Parallel zu seiner Vorgehensweise drangen die knöchernen Sprossen in den Oberkörper des Mädchens und teilten die Hautschichten auseinander. Die scharfen Zacken hatten dabei eine Aorta getroffen. Eine Blutfontäne ergoss sich im Raum und besprenkelte die jungen Leute; aber auch das Monster, welches jetzt gekrümmt über Jessica stand, da es für die Raumhöhe einfach zu riesig war. Die Sterbende schrie wie am Spieß, als ihre Gedärme heraustraten und auf den Zimmerboden klatschten. Connullus röhrte grausam. Dann riss er mit seinen Krallen das Herz aus dem Brustkorb und verleibte es sich in sein furchtbares Maul.

*

Tim und Marty hielten sich gemeinsam in einem der gebuchten Hotelzimmer auf. Man wollte noch auf die Freunde warten. Alles war bisher ruhig geblieben, bis die Beiden plötzlich eine hysterisch schreiende Frauenstimme vernahmen.

Berger baute sofort Körperspannung auf. Sein Blick wanderte zur X-1, seiner Dienstwaffe, die im Halfter an der Garderobe hing. Nur Sekundenbruchteile später drangen polternde und klirrende Geräusche durch das gekippte Fenster an die Ohren der Zwei. Tumult und Geschrei auf dem Gang nahmen zu. Was zur Hölle…? Die Männer sprangen aus ihren Sesseln. Der Göttinger riss die Smith & Wesson vom Haken, schob ein Ersatzmagazin in die Hose seiner Jeans und trat in den Korridor, während ihm Marty Anders folgte.

Völlig aufgelöst und unter Tränen kam ihnen Babsi Wegener entgegen, die in Richtung der Räumlichkeiten ihrer Freunde deutete. Zu sprechen war sie anscheinend nicht in der Lage. „Schnell mit dir ins Zimmer!“ Berger schob die 20-jährige augenblicklich in sein Appartement. „Und schließ ab!“ Dann rannten die Männer den Gang hinunter. Am anderen Ende waren die Hannoveraner untergebracht.

Martys Blick fiel auf die Deko an den Wänden. Das Hotel legte wohl Wert auf Harzer Traditionen. Neben uralten Pickeln hing auch ein Fäustel aus längst vergangenen Bergbau-Zeiten im Gang. Den schnappte sich der 35-jährige. Die Zeit war reif, dass der Elbstone-Man zurückkehrte!

*

Ein furchtbares Szenario offenbarte sich den Freunden, als sie in den Raum starrten. Fast schien dieser Moment einem Alien-Film mit einer Kreatur von H. R. Giger entsprungen zu sein. Der Dämon nahm mit seiner Gestalt nahezu das ganze Hotelzimmer ein. Die Ausläufe seines Schädels tanzten imaginär durch den Raum und schienen auf weitere Menschenopfer aus zu sein. Leichenteile schwammen in einem See aus Blut. Über alldem thronte eine grausige Gestalt, die sich nun über die Hannoveraner hermachen wollte.

Berger feuerte mit seiner Waffe durch einen Wirrwarr aus holzähnlichen Gebilden, die aus dem Kopf der Kreatur wuchsen. Die Silberkugel schlug in den muskulösen Oberkörper des Monsters ein. Doch anscheinend hatte der 40-jährige das falsche Geschoss im Magazin: Connullus wurde zwar durch die Wucht zurückgeschleudert, doch erhielt er davon keinen sichtbaren Schaden. Fuck! Wieder die falsche Munition gewählt! Ich hätte es von vorherein mit dem Implosionsgeschossen versuchen sollen. Ich bin echt ein Honk!

Marty schmiss sich indessen tollkühn auf die Geweihsprossen und knallte den Hammer mehrfach in das Geäst. Unter trockenem Knacken brach es an den getroffenen Stellen auseinander und machte den Weg für das Duo frei.

Der Hirschgott hatte sich inzwischen gesammelt und schleuderte mit seiner Pranke den heranstürmenden Elbstone-Man an die Wand. Der wünschte sich für den Bruchteil einer Sekunde seine Jaqueline herbei und sich und sie an einen anderen Ort. Vorhin war noch alles perfekt gewesen! Stattdessen rutschte Marty hart getroffen an der Wand herab. Doch so einfach würde der Superheld nicht aufgeben. Marty schüttelte sich kurz. Dann war er wieder voll da und schlussfolgerte in seinen Gedanken: Der Dämon ist durch Tim abgelenkt. Er schob die verunsicherten Hannoveraner aus der Gefahrenzone hinaus in den Flur, während eine weitere Silberkugel Bergers in den Dämon einschlug. Abermals wurde dadurch das Monster an seinen Aktionen gehindert.

Der Dämon tobte und zerlegte nun das Zimmerinventar in seine Einzelteile. Die sichere Beute war vorerst entkommen. Nur noch dieser eine Mensch konnte derzeit seinen Blutdurst stillen.

Mittlerweile war die X-1 mit dem verheerenden Implosionsgeschoss vom Hauptkommissar endlich bestückt worden. Connullus entging in seiner Mordgier, dass sich hinter seinem Rücken mittlerweile zwei weitere Sterbliche positioniert hatten: Die EPO-Agenten waren zurück! Henning Sturm und Jana Sommer zielten mit ihren Waffen auf die Lungenflügel des Ungeheuers. Dann leuchteten die Mündungsfeuer der drei Pistolen zeitgleich auf. Die Geschosse verließen den Lauf und schlugen in den Oberkörper des Dämons ein.

 

Ein Ruck ging durch Connullus, als er die Kugeln spürte. Erneut röhrte der Vasall des Teufels wütend. Die Einschläge würden ihm nichts ausmachen! Doch dann entzündete sich die Munition plötzlich und brachte den Hirschgott zum Erleuchten. Ein innerliches Feuer fraß sich durch das Monster und erhellte das Hotelzimmer. In all seiner Pein schrie der Hirschgott so furchtbar durch den Raum, dass es auch im entferntesten Winkel des Hotels hörbar war. Abschließend bildete sich ein letzter erstaunter Blick in der Fratze des Dämons. Die Kreatur implodierte. Seine gespenstische DNA spritzte durch den Raum und nährte die Tapeten mit ihrem Saft.

Was zurück blieb, war ein Meer aus Blut und Fellfetzen, die an den Wänden klebten oder daran hinunterglitten.

*

Hier gab es für die Nacht noch viel aufzuarbeiten. Pete Saunders, der anscheinend nie schlief, war umgehend in Kenntnis gesetzt worden.

Jaqueline und Pauline fielen nach ihrer Rückkehr den Lovern um den Hals. Die Sächsin drückte Marty ganz fest und gab ihm einen heißen Zungenkuss. Schon wieder hatte ihr Held ohne Rücksicht auf Verluste beispielloses Engagement gezeigt. Pauline nahm Henning in die Arme. Tränen der Erleichterung, dass ihrem Beau nichts passiert war, kullerten die rosigen Wangen der Blondine hinab. Die 31-jährige schmiegte ihren Kopf an den Hals des 1, 90 Meter großen Hünen.

Mittlerweile traf auch Max Schenk, Pathologe der Göttinger Gerichtsmedizin, mit seinem Team ein. Ihn hatte Tim Berger zuvor aus dem Bett geklingelt.

Der Mittvierziger sah mit seinem brav gescheitelten schwarzen Haar und der Hornbrille wie ein überalterter Klassenstreber aus, als er sich das Desaster anschaute. Seine Kollegen machten sich währenddessen im Umfeld des Hotelzimmers sofort an die Arbeit. „Es wird dich vielleicht verwundern, aber hier kann ich nur noch den Tod feststellen“, kam es ironisch über die Lippen Schenks. „Den Tod von zwei Personen; eine weiblich, eine männlich. Einerseits haben wir hier den unverdauten Kopf eines Mannes…“ Schenk deutete zur linken Zimmerecke, wo sich der erkennbare Rest von Finn Bauer befand.

„… Andererseits liegt hier die ausgeweidete Leiche einer Frau direkt vor uns auf dem blutverschmierten Parkett.“ Jessica Blumfelds tote Augen starrten zur Decke. Aus ihrem Bauch waren meterlange Darmschlingen gequollen. In der Brust prangerte ein riesiges Loch, durch das man bis zur Wirbelsäule gucken konnte. „Zu den Fleischbrocken an den Wänden gibt es wie immer am nächsten Tag ein genaueres Ergebnis. Das Ding hat jedenfalls ganze Arbeit geleistet. Leichensäcke können wir uns an dieser Stelle sparen. Die Überbleibsel sind größtenteils in Frühstücksbeuteln portionier- und so besser händelbar.“ Der Gerichtsmediziner verlor aber auch niemals seinen Humor! Anders dagegen Berger: Ihm war übel. Er hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Der scharfe Blut -und Menschenfleischgeruch biss regelrecht in seinen Augen.

Die Gerichtsmediziner kratzten mit Kunststoffschabern die DNA von den Wänden und manövrierten sie in kleine Tüten. Henning Sturm befand für sich, dass es hier heute in dieser Nacht keine neuen Erkenntnisse geben würde. Jana Sommer und Tim verabschiedeten sich zwecks Augenpflege auf ihr Zimmer. Auch Marty Anders und Jaqueline König verschwanden Richtung Bett. Die übrigen Hannoveraner hatte man ganz unproblematisch auf andere Räume verteilt. Ein herbeibeorderter Psychologe stand ihnen dabei zur Seite. Das war wohl auch angesichts der Vorkommnisse bitter nötig, welche die Eishockey-Fans in den letzten Stunden erlebt hatten.