Täubchen alla Boscaiola

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Täubchen alla Boscaiola
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Martin Schlobies



Täubchen alla Boscaiola



Was will Raphael - das Silber oder Pauline?





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Inhaltsverzeichnis





Titel







1. Kapitel







2. Kapitel







3. Kapitel







4. Kapitel







5. Kapitel







6. Kapitel







7. Kapitel







8. Kapitel







9. Kapitel







10. Kapitel







11. Kapitel







12. Kapitel







13. Kapitel







14. Kapitel







15. Kapitel







16. Kapitel







17. Kapitel







18. Kapitel







19. Kapitel







20. Kapitel







21. Kapitel







22. Kapitel







23. Kapitel







24. Kapitel







25. Kapitel







26. Kapitel







27. Kapitel







28. Kapitel







29. Kapitel







30. Kapitel







31. Kapitel







32. Kapitel







33. Kapitel







34. Kapitel







35. Kapitel







36. Kapitel







37. Kapitel







38. Kapitel







39. Kapitel







40. Kapitel







41. Kapitel







42. Kapitel







43. Kapitel







44. Kapitel







45. Kapitel







46. Kapitel







47. Kapitel







48. Kapitel







49. Kapitel







50. Kapitel







51. Kapitel







52. Kapitel







53. Kapitel







54. Kapitel







55. Kapitel







56. Kapitel







57. Kapitel







58. Kapitel







59. Kapitel







60. Kapitel







61. Kapitel







62. Kapitel







63. Kapitel







64. Kapitel







65. Kapitel







66. Kapitel







67. Kapitel







68. Kapitel







69. Kapitel







70. Kapitel







71. Kapitel







72. Kapitel







73. Kapitel







Impressum neobooks







1. Kapitel




Der Pastor von Castellina al Monte Largo war erstaunt, als er am Sonntag in der Sechsuhrmesse von der Sakristei aus die Kirche betrat, und den alten Signor Botello in der vordersten Bank sitzen sah, etwas, was über Jahre hinweg nicht geschehen war.



Signor Botello saß allein in der Bank, auch sonst war die Kirche halb leer, nur einige Frauen waren zur Messe erschienen, und ein paar halbwüchsige Mädchen, alle schwarz gekleidet, mit schwarzen Tüchern über den Köpfen. So gebeugt dasitzend wirkten sie wie ein in die Kirche eingefallener Schwarm Krähen.



Der Pfarrer schüttelte über das Erscheinen von Signor Botello unwillkürlich den Kopf, drängte dann den Gedanken an ihn beiseite, - schließlich war er Überraschungen gewohnt - und begann mit der Messe.



Obwohl Signor Botello in der vordersten Bank saß, blickte er den Pfarrer während der ganzen Messe kein einziges Mal an. Er saß aufrecht, sein zerfurchtes Gesicht blieb unbeweglich und starr, auch während er der Predigt lauschte, - oder wenigstens so tat, als ob er lauschte. Die Lider hielt er dabei halb gesenkt, und wenn er sie, wie überrascht, einmal aufschlug, ließen seine graue Augen keine Bewegung erkennen, nur seine buschigen Augenbrauen zuckten gelegentlich. Doch der scharfe Blick des Pfarrers hatten Tränen in seinen Augen entdeckt und der Pfarrer wußte nun, daß er den Alten bald wiedertreffen würde.



Signor Botello blieb die Messe hindurch so aufrecht sitzen, neigte nur knapp seinen Kopf beim Vaterunser, begann jetzt, statt die Hände zum Gebet zu falten, leicht über seine müden, schmerzenden Knie zu streichen und kam sich unendlich allein vor.



Nach dem Segen erhoben sich die Frauen und Mädchen murmelnd und tuschelnd von ihren Sitzplätzen, verließen die Bänke, blieben kurz an dem kleinen steinernen Becken neben der letzten Säule der Kirche stehen, benetzten ihre Fingerspitzen mit Weihwasser, bekreuzigten sich und verließen dann die Kirche; - und der alte Mann saß immer noch da.



Er stand als letzter auf, bewegte sich langsam, steif und wie verschlafen, durch den Mittelgang dem Kirchenportal zu, doch nicht so sehr die Worte des Pfarrers, - denn er hatte überhaupt nicht zugehört, und hätte kein einziges Wort der Predigt wiederholen können, - sondern die Tatsache allein, daß er in der Kirche gewesen war, versetzten ihn mit einem Male um Jahre zurück.



Am Weihwasserbecken bekreuzigte er sich, etwas beklommen, als unterdrücke er ein Lächeln, und ließ mechanisch eine Münze in den Opferstock fallen.



Auf der Straße blickte er hoch und sah, daß noch ein Streifen Sonne auf dem Turm der Kirche lag. Es erklang das Läuten der Glocke. All das rief ihm einen fernen Herbsttag ins Gedächtnis, vor vierzehn oder fünfzehn Jahren, den Tag, an dem er seine zweite Frau heimgeführt hatte.



Und als er sich in der einsamen kurzen Allee, die zu seiner Erzgrube außerhalb des Dorfes führte, dabei ertappte, wie er seinen Hut den Bäumen hinhielt und Blätter hineinfielen, begriff er, daß er alt geworden war. Ein Gedanke, der ihn veranlaßte, seinen Schritt zu beschleunigen.

 




Der Pfarrer und Signor Botello waren früher Jagdkumpane gewesen, und so geschah es nicht unerwartet, daß der Alte am Abend des gleichen Tages über den Vorplatz des winzigen Klosters ging, etwas außerhalb des Ortes, in dem der Pfarrer jetzt fast allein wohnte.



Von fern schon sah er den Pfarrer an das eiserne Gitter gelehnt, das den Platz einfaßte. Der Pfarrer winkte ihm näherzukommen, löste sich vom Gitter und machte einen Schritt auf ihn zu. Signor Botello hatte Lust zu ihm zu gehen, und gleichzeitig wollte er diesem Wink des Pfarrers nicht einfach folgen, und so ging er weiter den Platz entlang.



„Nanu, warum läufst du weg?“ rief der Pfarrer, um ihm zu verstehen zu geben, daß er gern mit ihm geplaudert hätte, „Komm näher!“ Signor Botello sah den Pfarrer an, wie man das Gesicht eines Schlafenden entziffert.



„Hast du gesehen, daß ich heute in der Kirche war?", sagte Signor Botello. Der Pfarrer lächelte. Signor Botello stellte sich neben ihn ans Gitter. 'Er wird mir vom Himmel erzählen,' dachte er. Doch der Pfarrer schwieg.



'Ich werde ihm sagen,' nahm sich Signor Botello vor, 'daß ich niemals an den Himmel gedacht hatte und doch leben konnte. Daß ich etwas anderes suche, - oder daß ich vielmehr gar nichts mehr suche. Daß ich auch nichts mehr erwarte.' Der Pfarrer schwieg.



„Seit ich häufiger dort draußen bin, bei der Grube,“ begann Signor Botello jetzt, und ärgerte sich über jedes seiner eigenen Worte, „sehe ich öfter den Himmel an. Früher vergaß ich, daß er existierte, aber jetzt - stell dir vor - glaube ich warten und weiterleben zu können, nur weil es den Himmel gibt.“



„Worauf wartest du denn?“



„Ich weiß es nicht. Auf irgendetwas. Denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß nach Ablauf der Nacht wirklich immer nur Müll auf den Straßen liegen sollte . . . “



„Es kommt vor, daß jemand viel Geld hat und trotzdem welches auf der Straße findet.“



„Das meine ich nicht!“



„Mir gefällt es jedenfalls, daß du zu Warten gelernt hast.“ Der Pfarrer lächelte wieder.



Signor Botello sah ihn voller Mißtrauen an, rückte ein wenig von dem Pfarrer ab, um ihn besser beobachten zu können. Er hätte sich noch weiter entfernt, wenn ihn der Pfarrer nicht, immer noch lächelnd, mit einem Vorschlag festgehalten hätte,



„Wir sollten wieder einmal Angeln gehen!“



„Wir?“



„Ja, du und ich!“, erwiderte der Pfarrer.



„Ich? - und du? - Ja! - Ist gut!“ sagte Signor Botello trocken und verwirrt; er ging fort, ohne Guten Abend zu sagen; ging jetzt die schmale Straße außerhalb des Dorfes entlang, zur Bleigrube.



An einer seit Jahren vernachlässigten Baustelle blieb er stehen, schüttelte den Kopf, und murmelte seine Kritik, „Das hätte die Gemeinde nun wirklich längst in Ordnung bringen können! Ein Skandal, wie man für so eine kleine Straßenreparatur Jahre brauchen muß . . . “



Schnell nahm er seinen Weg wieder auf, aber sein Gesicht hatte jetzt einen verbissenen, bösen Ausdruck. Nur seine einsamen, sich ständig wiederholenden Gedankengänge begleiteten ihn.



Endlich war er bei der Erz-Grube angelangt, wo sein Hund schon an der langen, straff gespannter Kette stand, still, doch mit heraushängender Zunge. Signor Botello band ihn los.



Der Hund strich ihm um die Beine, bittend, doch Signor Botello war heute unwillig, das leise Fiepen und Hecheln und Winseln zu hören, sodaß er immer wieder besänftigend: „Schön ruhig!“, sagte.



Inzwischen war es dunkel geworden. Das silberne Licht, das aussah wie vom Himmel herabgefallen, war längst einem undurchdringlichen Grau gewichen und jeder Wind hatte aufgehört. Signor Botello schloß das Haus neben der Erzgrube auf und holte sich eine Flasche Wein und ein Glas. Damit setzte er sich an die Wand des Hauses, den Blick auf den unter ihm liegenden Hang neben der Grube gerichtet. Der Mond ging gerade auf, sodaß der rauhe Hang, die Kuppen der Berge und das ferne, tief unten liegenden Meer, nach und nach in gespensterhafter keuscher Klarheit emportauchten.



Nun machte Signor Botello sich ruhig an sein Abendbrot heran, das er auswickelte, auf dem Papier ausbreitete, und mit dem Hund teilte, der seinen Teil gierig verschlang und dann seinen Kopf auf die Schuhe Signor Botellos legte. Sorgfältig faltete Signor Botello das Papier wieder zusammen und steckte es in die Tasche.



An einem anderen Abend wäre er selbst bald zur Ruhe gegangen, wäre selbst gern eingeschlafen, aber heute offenbarte sich ihm das Verrinnen der Zeit so schonungslos wie nie zuvor, und er war sogar - für einen kurzen Moment - bereit, an die Ewigkeit zu glauben.



In den letzten Jahren war er oft hier, in der Nähe der Erz-Grube, allein mit seinem Hund, lieber als in seinem Zuhause, wo er sich immer mehr als Fremder fühlte. Doch heute fühlte er das unerbittliche Schweigen der Natur um ihn herum, fühlte, wie sehr er selbst allein mit diesem Hund war, der leise zu seinen Füßen schnaufte, - all das, was ihm sonst so wohltuend gewohnt war, erschien ihm heute so verloren und machte es ihm unmöglich, Ruhe zu finden. Es genügte ihm plötzlich nicht mehr, den schmeichelnden Hals und Kopf des großen Tieres an seinen Beinen zu spüren.



Er atmete tief ein, wie um die Gedanken zu verscheuchen, die ihn so oft gequält hatten. Und wie schon vor der Kirche, in der Nähe des Klosters, wurde alles blitzartig in ihm lebendig, seine frühere Jagd nach dem Glück, die Demütigungen, die Enttäuschungen, und vor allem - seine Eifersucht, seine unsinnige, heftige Eifersucht!



Schließlich wurde er doch ein wenig müde, beugte sich liebevoll über seinen Hund, der aufgeschreckt seinen Kopf hob und ihn fragend ansah. „Nun, kannst du so einschlafen oder muß ich dir eine Gutenacht-Geschichte erzählen?“







2. Kapitel




Antonio, der Hauswart der Pension in den Bergen, hatte Pauline angeboten, sie in seinem Wagen mit nach unten zu nehmen, in die Stadt, nach Cefalú, wo er sie an einem kleinen Platz absetzen sollte, oberhalb einer Kehre der Landstraße, einer Stelle, die sie sich am Tag zuvor ausgesucht hatte, um dort zu malen. Inzwischen waren sie dort angelangt.



„Halten Sie jetzt bitte!“, rief sie, „Hier ist es!“



„Unmöglich! - Impossibile! Signora!“, rief Antonio, „Ich kann hier nicht anhalten!“ Er fuhr um die Kehre herum, fuhr weiter und weiter, bremste endlich und setzte sie viel zu weit unten ab; - obwohl es weiter oben auch gegangen wäre, sie hatte es doch gesehen, dort in der Einfahrt! - sodaß sie die schwere Staffelei und ihre Tasche mit dem Wasser, dem Papier und den Farben ein ganzes Stück die Straße wieder zurück und die Treppe hoch zu der kleinen Plattform schleppen mußte.



Keuchend und ganz außer Atem langte sie oben an, konnte ihre Sachen neben dem Geländer abstellen, und warf einen ersten prüfenden Blick auf das Meer, auf Cefalú, den mächtigen Normannenfelsen, der die Stadt dominierte. - Raphael hatte es ihr erklärt, daß es ein Basaltkegel vulkanischen Ursprungs sei, - er als Bergbau-Ingenieur kannte sich in Geologie natürlich aus. - mit Tempelresten oben, - wo gab es hier in Sizilien nicht oben auf den Bergen Reste von griechischen Tempeln? -



Raphael!



Gestern noch war ihr die Aussicht hier so wunderbar vorgekommen! - Doch jetzt fiel ihr der entsetzliche Lärm auf, das Rauschen des ständig vorbeifließenden Verkehrs, die Lastwagen, die Motorräder, das Bremsen, das Hupen, die aufheulenden Motoren; dazu stieg quälend der Gestank von Dieselqualm zu ihr hoch und beleidigte ihre Nase.



Nun hatte sie alles ausgepackt, ihre Staffelei aufgestellt, und stand, das Gesicht unter dem Strohhut geschützt, und begann zu zeichnen, - doch die Striche wollten sich nicht fügen, sie war unaufmerksam, nervös, und wieder überfielen sie die Gedanken an den Mann, den sie gestern kennengelernt hatte. - Raphael.



Diese Idee, nach Sizilien zu fahren und hier allein in der Landschaft zu stehen und zu malen, - und was denn überhaupt? - erschien ihr auf einmal absurd. Der Ort, an dem sie stand, der Ausblick auf die Stadt und das Meer erschien ihr häßlich, ohne jeden Reiz, und sie begann ihn zu verabscheuen.



Plötzlich hatte sie den Wunsch, all ihre Malsachen einzupacken oder sie über die Brüstung des kleinen Platzes zu werfen, - und sie hätte es getan, wenn sie dadurch diesen Mann, den sie gestern getroffen hatte, sich hätte hierher zaubern können.



Würde sie ihn denn jemals wiedersehen?



Wie groß war Sizilien!



Sie hatte nichts zu ihm gesagt, weil sie gewartet hatte, daß er etwas sagen würde, und er hatte nichts zu ihr gesagt, - ja warum? Vielleicht hatte sie sich ihm gegenüber zu abweisend gezeigt?



So waren sie auseinandergegangen, ohne eine Verabredung zu treffen.



Warum?



Immer wieder lief die gleiche Gedankenfolge in ihr ab und wiederholte sich bis zur Sinnlosigkeit.



Pauline versuchte sich zusammenzureißen, als sie sich bei diesen sinnlosen Gedankenwiederholungen ertappte, und schalt sich innerlich selbst für ihr Trägheit und Mutlosigkeit. Sie wußte es doch: hatte sie diese erst überwunden, würde sie arbeiten können, - und was dann folgte, war die Freude, - die Freude am Schauen, am Schöpferischen. 'Und wer von der Freude erfüllt ist', dachte sie, 'ist auf dem richtigen Weg.' Deshalb war die Überwindung der Trägheit der Weg zur Kunst!



'Malen - das ist mönchisches Tun!' - sie liebte diesen Satz, obwohl sie ihn noch mehr geschätzt hätte, wenn ihr das entsprechende Adjektiv zu 'Nonne' eingefallen wäre.



Während ihre Gedanken sie so narrten, zeichnete sie beharrlich weiter, doch lange blieb alles formlos, was sie auf das Papier brachte, plump, ungestalt, - wieder riß sie einen Bogen ab.



Doch sie wußte, sie mußte sich zwingen, - war es doch schon schwierig genug, sich gegen den Verkehrslärm zur Wehr zu setzen, - und durch Geduld und Ausdauer überwand sie auch wirklich ihre innere Ablenkung, und konnte sich konzentrieren, - endlich auch hatte sie sich in die Ansicht vor ihren Augen eingesehen und eingelebt, und so belebte sich auch ihre Zeichnung.



Ganz in ihre Arbeit versunken hörte sie mit einem Male eine Kinderstimme auf italienisch sagen:



„Was machst du?“ Es lag etwas Gelangweiltes, Nörgelndes, Bösartiges in dieser Stimme, was sie sofort ärgerte.



„Zeichnen! Das siehst du doch!“, entgegnete sie heftig, ohne aufzublicken.



„Und was zeichnest du?“



„Die Stadt, - schau, da unten liegt sie!“, in dem Augenwinkeln nahm sie einen kleinen Jungen wahr, der seinen Roller auf den Boden abgelegt hatte und mit gespieltem Interesse und übertriebenen Bewegungen seines Kopfes ihre Handbewegungen über das Papier auf der Staffelei verfolgte, etwas, was sie verabscheute.



„Du, ich arbeite, verstehst du, ich wäre gern ungestört, sola, allein!“



„Ich sehe keine Stadt,“, nörgelte der Junge, „Das ist doch nur Krikelkrakel!“



An diesem Morgen schien alles daraus aus zu sein, sie zu ärgern! Empört drehte sie sich um, sah sich zum ersten Mal den Jungen richtig an, er war so alt wie ihrer, doch es ärgerte sie, daß er so wenig Kindliches an sich hatte, und schon das spätere Männergesicht in seinen groben altklugen Zügen vorgezeichnet war.



„Schenkst du mir ein Bild?“, bat der Kleine.



„Nein! Warum denn?“, erwiderte sie schroff, „Hast du keine Eltern? Wo wohnst du?“



„Dort!“, er zeigte auf ein Haus, das auf der anderen Seite des kleinen Platzes stand.



„Ich möchte arbeiten, kannst du nicht woanders weiterspielen?“



„Nein! - Und ich störe dich solange, bis du mir ein Bild schenkst!“ Der Kleine war wirklich hartnäckig. Wenn er weniger unverschämt gewesen wäre, hätte sie ihm eines gegeben, doch so? Nein!



"Fahre bitte weiter mit deinem Roller!“



„No!“ Der Junge blieb neben ihr stehen, begann, an ihrem Block, der auf der Erde lag, herumzufingern.



„Laß das!“



„No!“



„Ich sage dir: Laß das! - Te dico: lascialo!“, sagte sie gereizt. - Wenn sie beim Malen gestört wurde, packte sie etwas, was nicht weit von Mordlust entfernt war. Der Junge schielte sie boshaft von unten an.



„No!“



„Du kleiner häßlicher Teufel,“, rief sie jetzt auf deutsch, „ich bringe dich um, wenn du mich nicht sofort in Ruhe läßt!“



Der Junge glotzte blöde, griff aber weiter nach ihrem Block. Schließlich schlug sie ihm voller Wut auf die Finger. Der Junge sah sie an, fassungslos, ohne zunächst zu begreifen, was geschehen war, krümmte sich zusammen, sodaß er noch jämmerlicher anzusehen war, und fing an zu weinen. - Sie hatte ihm also wehgetan! - Und sein klägliches Greinen erfüllte sie mit Befriedigung.

 



Endlich raffte der kleine Kerl sich auf und rannte ohne seinen Roller laut plärrend über den Platz, - und da kam auch schon ein Mädchen, offenbar seine ältere Schwester, aus dem Haus geeilt und fing ihn auf.



Schluchzend preßte er seinen Kopf an ihre Schulter und redete heftig auf sie ein. Das Mädchen zog aus der Tasche ihres Rocks ein kleines Taschentuch, putzte dem Jungen die Nase und wischte ihm die Tränen ab. Schließlich nahm sie ihn an der Hand und kam mit ihm zu Pauline.



Sie hatte die gleichen großen, häßlichen Züge wie der Bruder, doch ihre dunklen Augen leuchteten sanft und still. Sonst hätte Pauline Mitleid mit einem so unglücklichen Geschöpf gehabt, heute brachte es sie auf. An diesem Morgen hatte sie tief innen eine solche Wut, eine solche erbitterte Gereiztheit im Leibe, daß ihr jeder Vorwand recht gewesen wäre, mit irgend jemand Händel anzufangen.



Das Mädchen blickte bewundernd auf die angefangene Zeichnung auf der Staffelei, „Oh, welch schöne Zeichnung! - Que bello disegno!“, flüsterte sie andächtig, was Pauline etwas versöhnte.



Sie schämte sich jetzt. Um die beiden loszuwerden, schenkte sie dem Jungen eine Zeichnung, die er ohne Dank an sich preßte und auf diese Weise sogleich zerknitterte. Er wollte nun noch bleiben, zuschauen, 'guardare un po', doch die Schwester hob seinen Roller auf und zog den kleinen verheulten und verrotzten Quälgeist mit sich fort.



Pauline versuchte, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, doch nichts wollte gelingen. Statt auf die schöne Ansicht von Cefalú schielte sie immer wieder auf die Straße, die sich unter ihrer Plattform nach oben in die Berge und nach unten zur Stadt hinab wand.



Und plötzlich, - tatsächlich! - sah sie jetzt einen offenen gelben Wagen die Straße von den Bergen herabkommen.



Ja, es war derselbe Wagen, dieser offene alte Sportwagen, und auch das Nummernschild war englisch!



Er mußte es sein!



Raphael!



Ihr stockte der Atem.



Ihr Herz begann heftig gegen ihre Brustwand zu pochen, und sie winkte, ohne zu überlegen mit ihrem Hut.



Der Wagen fuhr weiter, - er hatte sie nicht gesehen!



Eine abgrundtiefe Enttäuschung machte sich in ihr Raum. Unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen.



Der Wagen war jetzt hinter der Kehre unterhalb ihrer Plattform verschwunden, tauchte dann kurz wieder auf.



Da!



Er wurde anscheinend abgebremst, - blieb wirklich stehen.



Er hatte sie also doch gesehen!



Gottlob!



Schnell wischte sie ihre Tränen ab.



Der Fahrer, - ihr Raphael! - fuhr waghalsig und zu schnell mit heulendem Getriebe rückwärts, stellte den Wagen in eine Einfahrt, und kam zu ihr die Treppe hoch gelaufen. „Ich habe Sie gerade noch im Rückspiegel gesehen!“, sagte er, noch ganz außer Atem.



Ihr Herz schlug jetzt, als ob es aus dem Mund heraus wollte. Sie mußte sich sehr zusammennehmen, um diesem Mann nicht um den Hals zu fallen. Stattdessen setzte sie eine möglichst unbeteiligte Miene auf und tat so, als ob sie immer noch von der Landschaft, diesem fabelhaften Ausblick auf Cefalú fasziniert wäre. „Sieht man sich wieder?“, sagte sie mit unterkühlter Stimme und zeichnete weiter.



Er achtete nicht auf ihre Worte, sondern trat an die Staffelei, und warf einen Blick auf das angefangene Bild. Ihr kam es vor, als verzöge er das Gesicht, und schürzte die Lippen. „Machen Sie das professionell?“, fragte er ganz sachlich. Doch diese Frage und das Gesicht, das er dabei machte, kränkten sie. Kam sie sich doch schon als Künstlerin vor! Sie war so gespannt und verärgert, daß sie ihm die Staffelei samt dem Karton darauf über den Kopf zu schlagen vermocht hätte.



„Ich bin bald fertig . . . “, ließ sie sich schließlich herab zu murmeln, und war unendlich dankbar, daß ihre Stimme nicht zitterte, wie jetzt ihre Hand.

„Ich warte gern ein wenig . . . “, erwiderte er ruhig und setzte sich auf die schmiedeeiserne Balustrade und schaute interessiert in die Landschaft hinaus.



Er wäre wieder in den Bergen gewesen, sagte er, als sie endlich begann, ihre Sachen zusammenzupacken.



„Was treiben Sie denn eigentlich dort?“, fragte sie.



„Ich suche etwas!“



„Was?“Er lächelte fein,



„Gemsen!“



„Haben Sie Gemsen gesagt?“</