Coaching

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Die Praxis: Geschichte des Coaching

DIE PRAXIS: GESCHICHTE DES COACHING

Gott blieb während der ganzen Zeit im Hintergrund und beobachtete, wie man sich da unten die Welt erklärte, sei es nun auf der Agora im antiken Athen oder in einem Hotel in Manhattan im 20. Jahrhundert. Man sollte sich ja auch kein Bild von ihm machen. Aber man kann ihn jederzeit anrufen. Er ist ein hervorragender Gesprächspartner. Er hört geduldig zu und hat immer die richtige Antwort. Die Telefonzelle mit dem heißen Draht nach oben steht in Ihrem Kopf: Das „Denken“. Plato den nannte das Denken den „schweigenden Dialog der Seele mit sich selbst“. Das ist eine Art Selbst-Coaching, das besonders in der Moral Karriere machte. Wir alle kennen unsere innere Stimme, die uns ab und zu ein Gespräch aufzwingt. Vor allem, wenn wir etwas entscheiden müssen, oder wenn wir drauf und dran sind, Mist zu bauen, meldet sie sich. Irgendwie scheint sie sehr vertraulich, wenn auch sehr bestimmend zu sein. Sie duzt uns sogar. Wenn wir dann richtig Mist gebaut haben, kommt sie mit mächtiger Stimme. In der Aufklärung nannte man sie „Gewissen“, der „innere Gerichtshof“ (Kant) und im Prinzip der Grundstein der Religion. So lange die Sache persönlich bleibt, ist das Denken oder diese Art des Denkens ein gutes Instrument zur moralischen Menschwerdung.

Dass Denken jede Menge Licht in eine Sache bringen kann, bewies Platon mit seiner berühmtesten Geschichte: Dem Höhlengleichnis. Da sitzen mehrere Menschen in einer Höhle und sehen im Feuerschein ständig Schatten von Menschen an der Wand entlanglaufen – die sie allerdings für richtige Menschen halten. Als dann mal jemand das Gatter auflässt und diese Menschen ans Tageslicht stolpern, merken sie, von der Sonne geblendet, dass sie immer einer Illusion aufgesessen sind. Diese Menschen sind wir, der Prozess heißt „Bildung der Idee“. Und ganz schlimm wird es, wenn diese Menschen Durst bekommen und auf dem Wasserspiegel eines Sees ihr eigenes Gesicht sehen – das heißt „Selbsterkenntnis“, ist aber heilsam. Platon, der alte Geschichtenerzähler, hatte noch weit mehr auf dem Kasten. Im Prinzip hat er seine ganze Philosophie als Coaching begriffen, denn er notiert nur Dialoge von einem berühmten Zeitgenossen. His master’s voice: Der große Sokrates. Dieser rauschbärtige Mann, der sich ständig auf dem Marktplatz oder bei Knaben herumtrieb, wenn er sich nicht gerade zum Stimmtraining am Meer das Maul mit Steinen vollstopfte und gegen die Brandung anbrüllte oder sich von seiner Frau Xantippe nerven ließ, kann ohne weiteres als erster Coach der Menschheitsgeschichte durchgehen (Ach herrje! Der erste Coach gleich ein Homosexueller!). Sokrates hatte eine furchtbare Angewohnheit: Reden und Fragen, im Prinzip also der nach außen gekehrte „schweigende Dialog mit sich selbst“. Dann behauptete er auch noch, dass er eigentlich nichts wisse, so dass er sich alles Mögliche von anderen erklären ließ – vor allen Leuten. Das war peinlich. Vor allem, weil seine Gesprächspartner dann oft Dinge sagten, die sie gar nicht sagen wollten – aber die mit der Zeit einfach aus ihnen herauskamen. Sokrates nannte diese Methode „Mäeutik“ – Hebammenkunst. Er brachte die Gedanken und Ideen über alle möglichen Erscheinungen im Kosmos einfach aus den anderen heraus – durch Reden, Reden, Reden. Seitdem ist die Philosophie ein Angebot zum Gespräch, eine Art Geburtshilfe, die das eigene Denken hervorbringt, eine Möglichkeit, das Leben besser zu verstehen: Coaching. Platon selbst war übrigens ein brillanter Schreiber, aber ein mieser Coach. Seine Kriegsbegeisterung übertrug er dummerweise auf den Machthaber Athens in seiner Funktion als dessen Berater. Dann kam er auf den originellen Gedanken, dass eigentlich nur Philosophen als Könige in Frage kämen, und dachte da mit Sicherheit an sich selbst. Als erstes hätte er dann die Künstler aus der Stadt getrieben, weil sie nach seiner Ansicht dort gar nichts zu suchen hätten. Aber dazu ist es glücklicherweise gar nicht gekommen. Sokrates wurde allerdings auf Dauer so nervig, dass man ihm den Schierlingsbecher überreichte, was eine besondere Ehre war. Ein ehrenhafter Grieche sah so aus, dass er nicht umgebracht wurde, sondern selbst die Gelegenheit bekam, sich zu vergiften, um damit seine Schuld einzugestehen. Das ist großes Coaching: Jemanden zu stimulieren, an sich selbst zu arbeiten. In der Weltgeschichte des Abendlandes gab es statt Coaching meistens Krieg. Das Modell von Herrschern und Heldentaten ist jedoch wenig geeignet für Coache. Es birgt den gleichen Trugschluss wie im Modell „Vision und Motivation“: Ist das Leitbild einmal geschaffen, müssen alle hinterher rennen. Und, tut uns leid, da wären wir eigentlich auch schon wieder bei Immanuel Kant. Schließlich können frei urteilende und selbst denkende Menschen nicht auf so etwas hereinfallen. Und genau, wie er schon als junger Mann seine Weltentstehungslehre in der „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (1755) frech behauptet, die Welt wäre auch ohne das Wirken Gottes entstanden – wenn auch nicht ohne seine Weisheit – stellt er dann auch noch klar, dass eigentlich alles um einen herum nur „Ding an sich“ ist und gar nicht interessant, solange es keine denkenden Wesen gibt, um die sich diese Dinge kreisen und die sie erkennen. Das klingt ein wenig anders als all die mechanistischen Weltbilder, die seit Descartes’ Leib-Seele-Trennung herumschwirren. Seit den Fortschrittstheorien von Francis Bacon und Condorcet ist das Denken nämlich in den Dienst der Wissenschaften gerückt, und hat selbst sozusagen nichts mehr zu sagen. Kant dagegen, ganz forsch, zermalmt diese ganzen Weltbilder mit einem allmächtigen Coaching-Tool: der Vernunft. Den Rationalismus und alle auf Erfahrung basierenden Erkenntnisse macht er mit einem Schlag fertig, als er zeigt, dass schon die menschliche sinnliche Anschauung eine eigene, ursprüngliche Erkenntnisquelle darstellt. Das ist praktisch. Durch das eigene Denken muss man nicht jeden Morgen erneut beweisen, dass die Sonne aufgeht – sondern durch die spontane, verknüpfende Leistung des Verstandes ist es möglich, dahinter eine gewisse Kausalität zu erkennen, die solche Dinge in Raum und Zeit anordnen. Das ist eine „Revolution“ des Denkens! Nicht die Natur schreibt uns die Gesetze vor, sondern umgekehrt – wir beschreiben sie! Damit sind wir der Mittelpunkt, und das Licht der Aufklärung erstrahlt. Kant coachte uns alle.

Das Schönste von der Welt

DAS SCHÖNSTE VON DER WELT

Kants „Vernunft“ lotet die verborgenen Prinzipien unseres Denkens und Handelns aus – und das in sehr schweren, dicken Büchern. Sie denkt alles, reguliert alles, und gelangt zu den fundamentalsten Prinzipien unseres Tuns und Treibens. Er hat so eine Menge Prinzipien geborgen, die die Grundlage alles Lebens bilden: Etwa der Kategorische Imperativ, das Gesetz der Gesetze („Handle so, das die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“): Die Leitlinie von Vorhaben und Handlungen soll so allgemein gelten können, dass sie von jeder Person als ein vernünftiges Gesetz akzeptiert werden kann. Diese Gesetze gibt sich „der Mensch“ also auch noch selber, und das ist die Definition von Freiheit: genial. Freiheit ist also die Pflicht, der wir uns nicht entziehen können. Viele haben das bis heute nicht kapiert. Zum Beispiel Diktatoren und Ideologen, die anderen Menschen ihren Willen aufzwingen wollen.

Wir müssen uns aber auf Kants Coaching-Prinzip beschränken. In seiner schon erwähnten Ästhetik geht es um das Urteilen, die menschliche Fähigkeit, selbst zu reflektieren und zu entscheiden. Wie es so seine Art ist, sucht er auch hier nach den Prinzipien – wenn er sie nicht schon gefunden hat. Man findet sie im §40 dieser „Kritik der Urteilskraft“:

1. „Selbstdenken;

2. an der Stelle jedes anderen denken;

3. jederzeit mit sich selbst einstimmig denken“ (AA V:294)

Mit anderen Worten: Sich in die Situation anderer versetzen, und dadurch herausfinden, wie es um die Wahrheit bestellt ist. Ein fundamentales Coaching-Prinzip. Wahrheiten verkünden bedeutet nichts anderes, als Ideologien zu verkaufen. Aber in die Herzen anderer zu schauen und mit sich einstimmig zu machen, ist für Experten „das Schönste auf der Welt“ (Ernst Vollrath), und für Coache elementar. Allerdings ist dies auch eine hohe Kunst. Durch das Sich-In-Die-Situation-Anderer-Versetzen weiß man, wie sich alle anderen fühlen, wie ihre Meinung zu einer Sache ist, und wie die allgemeine Stimmung ist. Durch diese „allgemeine Stimme“ findet man zu einem Grundkonsens, auf dem man aufbauen kann – zum Beispiel ein Team. Diese „wechselseitige subjektive Übereinstimmung“ führt nicht zu einer höheren Wahrheit, aber zu einer einstimmigen, wie wir heute sagen würden „Gruppendynamik“. So entstehen Regeln, denn „ästhetische Urteilskraft ist also ein besonderes Vermögen, Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen zu beurteilen“, wie Kant sagt – und dadurch, dass das Gefühl entscheidet (AA V:194). Denn „nur da, wo die Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe (d.h. ohne vorgegebene Schemata, d.A.) die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt; da teilt sich die Vorstellung nicht als Gedanke, sondern als inneres Gefühl (...) mit.“ (AA 296) Um es in „coaching terms“ auszudrücken: In die Herzen schauen. Die gemeinsamen Nenner in Form der „Stimmung“ suchen. Spiele und Ziele definieren. Und die Regeln aufstellen. Das ist es, worum sich Coaching dreht: Die Erfahrung, die Methode und das Regelwerk.

Kants „Urteilen“ funktioniert also nach dem gleichen Prinzip wie Coaching: Es geht nicht darum, der Weisheit letzten Schluss zu finden, sondern eine grundsätzliche Regelung, die von allen gemeinsam vom „inneren Gefühl“ (Kant) getragen wird: Ein Ziel. Dieses Ziel ist also nichts anderes als der Ausdruck des kleinsten gemeinsamen Nenners im Team mit der größten Dynamik, ein Spiel mit einem Ziel. Ein Spiel ist das (freiwillige) Zusammentreffen verschiedener Menschen unter bestimmten Regeln. Die Regeln werden gemeinsam festgelegt, um dann für alle zu gelten. Der wichtigste Unterschied dabei liegt darin, dass diese Regeln nicht vorgegeben werden können. Es ergibt sich nur aus dem jeweiligen Team, wie sie miteinander spielen. Deswegen ist jedes Team anders aufgestellt. Um diese Methoden zu erlernen, öffnen wir nun unsere Büchse der Pandora und geben Ihnen die Werkzeuge an die Hand.

 
PART 2 PRAXIS 12 SCHRITTE VON MANAGEMENT ZU LEADERSHIP 100 COACHING-TOOLS

4. GRUNDLAGEN

4. GRUNDLAGEN

„Die Menschen suchen nicht nach dem Sinn des Lebens, sondern nach dem Gefühl, lebendig zu sein.“

„What people seek is not the meaning of life, but the feeling of being alive.“

Joseph Campbell

Der Auslöser: Was ist Neugier?

DER AUSLÖSER: WAS IST NEUGIER?

Sie sind bis hierher gekommen? Danke für das Kompliment, offenbar langweilen wir Sie nicht. Auf jeden Fall sind Sie neugierig. Der Begriff der „curiositas“ bedeutet Neugier oder Neugierde und umfasst ein ganzes Spektrum menschlicher Wissensansprüche, Erkenntnisinteressen und Erfahrungsbedürfnisse. Bereits seit der Antike wird sie sehr unterschiedlich ausgelegt. Der frühmittelalterliche Denker Augustinus definierte Neugier als sinnenhafte Selbstentäußerung des Menschen und belegt ihn mit dem Verdikt der Weltverfallenheit und Augenlust („concupiscentia oculorum“). Thomas von Aquin und die spätmittelalterlichen Philosophen entschärfen den Begriff und deuten ihn mehrfach um. Diese Kirchenphilosophen taten sich mit jeder Art von Gier schwer, sei es die sexuelle oder auch die finanzielle. Deshalb war auch die Neugier tendenziell etwas Sündhaftes.

Aber in der frühen Neuzeit wird die „curiositas“ zu einem regelrechten Leitbegriff für eine selbstbestimmte Emanzipation des Menschen aus theologisch fundierten Denk- und Lebensordnungen. Der Prozess der Umbesetzung des „curiositas“-Begriffes ist der gestiegenen Geltung der Wissenschaften wie der Künste zu verdanken. Der menschliche Wissensdrang wird im Zuge der aufkommenden Naturphilosophie ebenfalls als etwas Natürliches betrachtet. Ästhetische Erfahrungsweisen und die Entdeckung von uns selbst als „selbstdenkende Wesen“ (Kant) in der Aufklärung sind die Türöffner für unser kognitives Potenzial, das bis in die frühe Neuzeit nur den Mitarbeitern der Kirche und des Staates vorbehalten war. Seit Descartes aber heißt es: „Cogito, ergo sum“, und die Neugier macht vor nichts Halt. Neugier ist die Basis des positiven Lernens. Wir haben den Lernprozess fast ausnahmslos als mühsame und schmerzhafte Angelegenheit kennen gelernt. Was in der Schule vermittelt wurde, war für uns meistens etwas Neues.

Aber die Art und Weise der Vermittlung, inklusive Benotung und Bestrafung, hat unsere Neugier schnell abgetötet oder in eine Art Wachkoma versetzt. Vor allem in Fächern, die uns einfach nicht interessierten. An der Universität, wo wir unsere Fächer selbst wählen, kann es dann eher geschehen, dass ein bestimmtes Thema den Forscher in uns weckt. Dann wird ein Wissensdrang entfaltet, der manchmal unstillbar bleibt – vor allem angesichts der unendlichen Weite der wissenschaftlichen Literatur, die man ein Leben lang studieren kann. Neugier kann aber auch in ganz anderen Dingen geweckt werden. Dann handelt es sich um Interesse. Es gibt in jedem Menschen etwas, das in ständig bewegt, mit dem er sich permanent beschäftigt, das den Sinn seines Lebens ausmacht – und worin er ein absoluter Experte, der bestes seines Faches ist. Das Schöne daran: Es fällt ihm auch noch leicht.

Wenn er sich in seinem thematischen Element bewegt, fallen ihm die Dinge zu. Andere Leute werden auf diese Kompetenz aufmerksam, allein, weil er durch seine Neugier so viel Begeisterung ausstrahlt. Das macht ihn glaubwürdig. Ob man aufgrund dieser Fähigkeit nun ein hervorragender Schreiner, ein brillanter Wissenschaftler oder ein Popstar wird: Das, was „in uns“ steckt, macht unser Leben reich und uns selbst erfolgreich. Diesen ungeschliffenen Rohdiamanten in anderen Menschen zu finden, ist die Sage-Methode. Wenn Sie die Neugier eines Menschen wecken, sind Sie gerade dabei, ihn zu coachen. Denn da ist jemand, der das Gefühl hat, einen Gewinn von dem zu haben, was Sie sagen. Diese Qualität lässt sich trainieren. Wenn Sie sie einmal beherrschen, wird Ihre Gesprächsführung um ein Vielfaches effektiver sein.

Neugier zu erwecken und zu entwickeln, ist eine Geheimwaffe. Wenn man umgekehrt Neugier ausstrahlt, werden auch andere neugierig auf Sie. Sie werden ihnen folgen, weil sie neugierig sind, welchen Kurs Sie als nächstes einschlagen. Deshalb ist Neugier auch eine der Schlüsselqualifikationen zum Erfolg. Jeder, der ein Leader werden will, kann die Kunst lernen, Neugier zu verbreiten. Erst müssen wir allerdings lernen, wie Neugier entsteht. Neugier ist eine höchst zerbrechliche Qualität.

Nach tausenden von Interviews wissen wir, dass Neugier im Kern darin besteht, durch unerwartetes Handeln neugierig zu bleiben. Neugier bedeutet, sich selbst überraschen zu können. Etwas zu tun, das Sie nicht von sich erwartet hätten. Alice Coltrane sagte über ihren Mann, den überragenden Musiker John Coltrane: „Er konnte sich ständig selbst überraschen“. Jazzmusiker improvisieren. Sie spielen so rasend schnell, dass ein analytischer Verstand gar nicht in der Lage wäre, so viele Noten hintereinander zu setzen – was so genannte „ernste“ (!) Musiker, die meistens nur von Notenblättern spielen können, immer zur Verzweiflung bringt. Leonard Bernstein hat dieses Experiment einmal vollzogen – er stellte ein ganzes Orchester vor die Aufgabe, frei zu improvisieren, was nicht nur zu Chaos, sondern zu massivem Protest führte. Jazzmusiker folgen ihrer Neugier. Der Bebop-Titan Charlie Parker sagte einmal: „Erst lernst Du die ganzen Harmonien und Regeln, und dann vergisst Du den ganzen Mist und spielst einfach drauflos“. Und er spielte, als würde er die Noten wie Perlen hintereinander auf einem Faden aufschnüren. Der Trompeter Miles Davis machte das gleiche wie Parker, nur innerhalb der Harmonien: Seine modale Spielweise gab ein Grundschema vor, auf dem sich die Musiker anderen Akkorde und Skalen suchen und auf diese Weise immer weiter fortbewegen. John Coltrane war der Mystiker, der Mann, der immer spielte, als würde Gott ihm die Töne einhauchen.

Aber das „Absondern“ von Unerwartetem, wie es der Philosoph Herder genannt hatte, ist nicht nur Sache von Jazzmusikern, sondern die ureigene Qualität eines jeden Menschen. In ihrer höchsten Form sind erfolgreiche Menschen – Leute wie Pablo Picasso, Alfred Einstein, Bill Gates, Steve Jobs, Forscher, Künstler, Industrielle – einfach neugierig, was als nächstes aus ihnen herauskommt.

Im Seminar praktizieren wir eine Übung, in der wir simpel danach fragen, was Neugier ist. Dann kommen die unterschiedlichsten Antworten. „Wenn man etwas Bestimmtes wissen will?“ fragt einer. „Nach Antworten suchen“, ein anderer. Wir warten geduldig. Die Luft brennt, je mehr die Teilnehmer beginnen, sich in ihre Mutmaßungen hineinzusteigern. Dann fragen wir die Gruppe: „Was passiert hier gerade?“ Alle schauen einen Moment verwirrt, dann schreien alle unisono: „Wir sind neugierig!“ Richtig.

Die Definition lautet: Neugier ist Wunsch ohne Zusatz. Dann wird es ganz ruhig. Die Spannung nimmt ab. Und mit ihr die Neugier. Wer sich jetzt fragt, wie man neugierig werden kann, ist auf dem richtigen Weg. Man muss etwas tun, das man von sich selbst nicht erwartet hätte. „Aber wenn ich etwas beginne, weiß ich doch schon, was ich tun werde, und das ist nicht gerade überraschend“, werden Sie sagen. Vollkommen richtig. Aber wenn Sie etwas anfangen, das niemand erwartet, ist es unvermeidlich, dass auch alles, was darauf folgt, unerwartet sein wird. Legen Sie einmal Ihre Hände übereinander. Fühlen Sie Ihre Hände. Jetzt lassen Sie Ihre Hände von jemand anderem berühren. Wetten, da ist ein Unterschied? Selbstverständlich. Sie selbst handeln intentional. Jemand anderes wirkt dagegen wie Elektrizität. Alles, was er/sie tut, können Sie nicht berechnen. Wenn jemand Sie berührt, ist das eine Überraschung. Sie können nicht berechnen, was als nächstes passiert. Wäre auch noch schöner, denn sonst gäbe es so etwas wie Liebe nicht.

Übrigens: Liebe ist die höchste Form menschlicher Energie, und ein guter Maßstab für Neugier. An ihr können Sie messen, welche Energien freigesetzt werden können. Ganze Königreiche sind aufs Spiel gesetzt worden – aus Liebe. Sie werden am besten wissen, wozu man in der Lage ist, wenn man liebt, und was man aus Liebe alles tun kann. Liebe ist bedingungslos, überraschend, über sich selbst hinausgehend – Neugier.

Etwas profaner ausgedrückt: Man handelt immer auf einem gewissen Energielevel. Wenn man berechnen kann, was als nächstes passiert, herrschen Langeweile und Routine. Viele Dinge in unserem Alltag ist vorgetäuschte Überraschung, und nichts als Reizüberflutung. Wir bleiben am Fernsehen kleben, weil wir in der ganzen klebrigen Masse an Information und Unterhaltung immer auf die große Überraschung hoffen. Wir erleben selten genug sinnlichen Reiz, aber ständig Reizüberflutung. Wir haben alles schon einmal gehört oder gesehen. Wir wissen alles, und jede zweite Information ist doch schon von gestern. „Kenn’ ich, weiß ich“, ist das Mantra unseres Alltags.

Der Job des Coaches besteht darin, selbst in abgestumpften und zynischen Leuten wieder ihre Neugier zu erzeugen – immer vorausgesetzt, sie sind dazu bereit. Wenn einem eine nahe stehende Person mitteilt, sie fühle sich so ausgebrannt und gelangweilt mit ihrem Leben, fühlt man sich als Nicht-Coach schnell überfordert. Wenn man in ihnen die Neugier wecken kann, schenken Sie ihnen etwas Unbezahlbares. Sie können ihnen etwas zurückholen, was in ihnen abgestorben war – möglicherweise was sie als einziges hat gerne lernen und erfahren lassen.

Wie viel würde man wohl dafür bezahlen, wenn man sich wieder jung und lebendig fühlt und mit dem, womit man sich beschäftigt? Millionen und Abermillionen. Wer diese Leistung erbringen kann, ist ein Coach.