Tatort Bodensee: Der Fall Winterbergs

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Bella Figura

Der Robert und sein Fußball. Erwarten Sie nicht, dass ich das verstehe. Ich, Christina Winterberg, geborene Forte, bin bestimmt nicht die einzige Frau, die da ihre Mühe hat. Dabei wuchs ich damit auf, in den Siebziger-, oder sagen wir Achtzigerjahren, mit dem Calcio. Jedes Wochenende schaute Papa »Serie A«. Meist auf einem kleinen Bildschirm in der Ecke, oben in der Bar am Dorfplatz von Giaveno. Das werden Sie kaum kennen. Giaveno ist ein Provinzkaff im Piemont, wo ich aufwuchs. Alle waren Juventus-Fans. Das machte die Sache, zumindest beim Fußball, sehr übersichtlich. Viel getrunken wurde ohnehin. Ich kann mich allerdings nicht mehr erinnern, ob bei einer Niederlage oder einem Sieg mehr gebechert wurde. »Crista« riefen mich dort alle, die Tochter von Matteo. Mein Papa, ein einfacher Mann, schraubte in den Fiat-Werken Autos zusammen. Meine Mama Giovanna starb leider sehr früh. Die Lunge, die Zigaretten. Zurück blieben Papa, ich und sein Fußball. Und meine langen dunklen Haare, die bis knapp über den Po reichten. Lange genug jedenfalls, um den Jungs im Dorf den Kopf zu verdrehen. Papa war stolz auf mich. Wie ein Schmuckstück reichte er mich rum: »Mia Crista, bellissima, si?«

30 Jahre später geht’s mir immer noch so. Die »Christina« bin ich nun, die Frau des Bierkönigs. Bierkönigin, ich? Ich mag das Zeug nicht. Überhaupt Alkohol: Bei einem Glas Pinot Grigio hört es bei mir auf. Das kommt aus meinen Zeiten als Model. Da brauchte es Disziplin. Ich habe Mode getragen auf den Laufstegen der Welt. Armani, Lagerfeld, Dior. Zuerst Mailand, dann Paris, schließlich New York. Ich modelte, bis ich Robert kennenlernte. Grad noch rechtzeitig haben wir uns getroffen, wie einige meiner zickigen Kolleginnen betonen. Das Schmuckstück hatte mit 30 Jahren schon etwas Glanz verloren. Da konkurrierst du dich plötzlich mit 17-Jährigen aus der Ukraine. Noch dünner, noch ehrgeiziger, noch skrupelloser. Ich spürte: Meine Zeit in diesem Geschäft ist endlich. Und mein Gefühl hat mich noch selten betrogen.

Er kam jedenfalls in einem passenden Moment in mein Leben. Robert war eigentlich noch in Trauer wegen seiner verstorbenen Frau. In den Bergen abgestürzt, hat er erzählt. Ein Unfall. Dumm gelaufen. Da kam ich ihm gerade recht. Trauerarbeit, wenn Sie wissen, was ich meine. Ob wir uns geliebt haben? Ach. Was für eine sentimentale Frage! Wir waren beide zur richtigen Zeit am selben Ort. Zwei Ertrinkende, die an der Oberfläche blieben, weil sie sich aneinander festhielten. Ich half ihm über seine Trauer, er mir über meine verblühende Schönheit hinweg. Zusammen oben bleiben und nicht untergehen. Das war damals so und das ist auch heute noch so. Von der großen Liebe zu sprechen, wäre sicher übertrieben. Wir können nicht mit, wir können aber auch nicht ohneeinander. Für mich hat sich wenig geändert. Ich bleibe ein Schmuckstück. Werde herumgereicht von Robert. Manchmal glänze ich auch heute noch dazu.

Columbo ermittelt

Zwei Tage nach dem Mord

»Wir haben da was!« Lisa Lehmann tönte schon beinahe fröhlich, als Herbert Hutter den Posten betrat. An einem Samstag zu arbeiten machte ihr, im Gegensatz zu ihren Kolleginnen und Kollegen, wenig aus. Im Gegenteil: Es lenkte sie etwas davon ab, keinen Freundeskreis zu haben, keine Einladungen für Partys, keine beste Freundin zum Shopping.

»Ah ja, gut so«, war alles, was sie ihrem Chef entlocken konnte. Der hängte seinen Mantel an einen wackligen Kleiderständer, startete seinen PC auf und belohnte die Praktikantin vorläufig mit keiner weiteren Aufmerksamkeit. Er rückte Bleistift, Locher und Bostitch in den rechten Winkel. Die Putzfrau, die sein Pult abstaubte, störte allabendlich die Symmetrie. Immerhin lagen die Tageszeitungen sauber gefaltet auf seinem Pult. Während sein Computer mit dem Installieren von Updates beschäftigt war, sah sich Hutter die Presse durch. Überall waren sie auf der Frontseite, sogar in den überregionalen Blättern. Eine Tote im Museum hatte zweifellos Glamour. Leider ließ sich das von ihm auf den Bildern nicht sagen. Er sah mit der glänzenden Stirn, dem zerknitterten Hemd und der schief sitzenden Krawatte aus wie eine billige Kopie des berühmten TV-Inspektors Columbo. Außer dass bei dem nie Schweißtropfen zu sehen waren. »Na ja«, meinte Hutter tröstend zu sich selbst und schaute mit leerem Blick auf den Bildschirm, der immer noch keine Arbeitsoberfläche zeigte.

»Möchten Sie einen Kaffee?« Lisa Lehmann hätte in einem Pflegeberuf bestimmt eine blendende Figur gemacht. Fehlte nur noch die Frage: »Wie geht es uns denn heute?«

»Hmm?«

»Kaffee?«

Die Konversation zwischen Hutter und Lehmann beschränkte sich tatsächlich auf das Wichtigste. Sie vernahm ein undeutliches Grunzen, das sie als »Ja« interpretierte. Als sie mit dem Becher schlechten Automatenkaffees zurückkehrte, hackte Hutter mit dem Zeigefinger der rechten Hand sein Passwort in die Tastatur.

»Haben wir was?«, fragte er eher beiläufig.

»Sagte ich doch schon.«

»Ach so.«

Seine Eingabe hatte Erfolg, und endlich erschien die Arbeitsoberfläche.

»Haben sich Zeugen gemeldet?«

»Das auch. Aber ich habe was viel Interessanteres …« Lehmann wartete auf eine Reaktion ihres Chefs. Als diese ausblieb, schob sie freiwillig nach: »Es gibt Bilder der Tatnacht von der Überwachungskamera im Foyer des Museums.«

»Soso … Gut!«

Mann mit Hut

Sie fuhren in einem Zivilauto vor. »Nur kein unnötiges Aufsehen«, hatte ihm Polizeikommandant Wiesendanger eingeschärft, im Wissen darum, dass Hutter in den vergangenen Jahren selten eine Anstrengung unternommen hatte, die über das Nötigste hinausging. »Winterbergs und Regierungsrat Streuli sind so.« Dabei ließ Wiesendanger seine Zunge herausquellen und verdrehte die Augen. Eine Geste, die Hutter als obszön empfand.

»Keine Sorge.« Hutter wollte auch bei seinem Chef kein ganzer Satz gelingen. »Eine Befragung. Wegen dem Bild. Das fehlt.« In Brocken würgte er die Informationen heraus.

»Sie wissen, was zu tun ist«, beendete Wiesendanger das Gespräch. Hutter war auf dem Beifahrersitz während der Fahrt nach Conradsberg kurz eingenickt. Lisa Lehmann, die das Auto steuerte, nahm dies als Kompliment für ihren umsichtigen Fahrstil. Genauso wie das »Soso«, mit dem Hutter ihre Entdeckung auf den Aufnahmen der Überwachungskamera kommentiert hatte: Ein Mann – das Gesicht war nicht zu erkennen, da er einen breitkrempigen Hut trug – betrat um 21.14 Uhr das Museum. Er wurde von Amélie Cohen am Eingang abgeholt, ging mit ihr in den ersten Stock und trat aus dem Bereich, der von der Kamera erfasst wurde. Um 21.22, nur acht Minuten später, verließ der Unbekannte das Gebäude wieder auf demselben Weg, freilich ohne Begleitung. Zeitlich passte das hervorragend mit dem vermuteten Todeszeitpunkt zusammen. Leider boten die weiteren Kameras, die vor dem Museum den Verkehr überwachten, keine neuen Informationen. An jenem Abend herrschte dicker Nebel. Für einen weiteren Zeugenaufruf war das Bildmaterial definitiv zu schlecht: Gesucht wird ein Mann, der Hut trägt – lächerlich!

»Sind wir denn wenigstens sicher, dass es ein Mann ist?«

»Er ist bestimmt über 1,80. Sein Gang und die ganze Postur. Vor allem die Aufnahmen, in denen er neben Amélie Cohen geht: ganz eindeutig ein Mann.«

»Immerhin minus 50 Prozent.«

Mit dieser Erkenntnis klingelten Hutter und Lehmann an der Pforte von Schloss Conradsberg. Sie wurden von Monika Reuter empfangen, der Haushälterin und guten Seele des Schlosses. »Ihr Besuch wurde angekündigt. Frau Winterberg erwartet Sie im Salon. Möchten Sie eine Tasse Tee?«

»Hmmpf?«

»Ja gerne!«

Ein Landei auf dem Schloss

Ich stand an dem Nachmittag in der Küche und schälte Zwiebeln. Sie müssen wissen, Winterbergs lieben Zwiebeln. Ist ja auch kein Problem, bei getrennten Schlafzimmern. Ich ahnte nicht, dass der heutige Besuch derart weitreichende Folgen haben würde. Der Herr Kommissar und seine Begleitung machten nämlich einen sehr anständigen Eindruck, so was erkenn’ ich auf den ersten Blick.

Sie werden mich nicht kennen: Ich bin Monika Reuter. Seit über 40 Jahren arbeite ich für die Familie. Als ich auf Schloss Conradsberg begann, war der Herr Winterberg frisch verheiratet mit der Gabriela, der ersten Frau Winterberg. Mei, war das eine gute Frau. So was von kultiviert! Hatte nie ein strenges Wort, auch nicht für uns Bedienstete. Und obwohl in jenen Jahren die beiden Kinder, die Stephanie und der Alexander, zur Welt kamen, hat sie immer mitgeholfen, zum Beispiel bei den großen Banketts, die der Herr Winterberg damals oft ausrichten ließ. Geschäftsfreunde aus der Brauerei- und Gastro-Welt. So viel Glanz in dieser Hütte. Ach, da werde ich ganz sentimental!

Für mich, das Landei aus Bayern, war die Anstellung auf Schloss Conradsberg die große Chance. Ich wuchs in ganz einfachen Verhältnissen auf, müssen Sie wissen. Auf dem Land, auf einem Bauernhof. Ein hartes Leben, das meine Eltern da führten. Sie waren zufrieden damit, aber ich sollte es einmal besser haben. Was sich halt Eltern jener Generation, die noch den Krieg erlebt haben, für ihre Kinder wünschten. »Mädchen, geh in die Schweiz, in einen vermögenden Haushalt, und lern dort den Sohn kennen und heirate den, dann hast du ausgesorgt.« Ganz so weit kam’s nicht. Natürlich hat mir der Winterberg junior damals schöne Augen gemacht. Aber erstens war er bereits verheiratet, und zweitens … egal.

Ich fing als Kindermädchen für Stephanie, die Erstgeborene, in dem Haushalt an. Und als drei Jahre später Alexander als Stammhalter dazukam, hatte ich wirklich alle Hände voll zu tun. Zwei so hübsche, aber auch sensible Kinder. Vor allem die Steffi war viel krank. Wie viele Stunden saß ich an ihrem Bett und erzählte Geschichten? Noch heute sind wir beste Freundinnen. Und der Alexander? Das pure Gegenteil! Strotzte vor Gesundheit, war immer draußen in der Natur. Mit den Tieren konnte er es besser als mit den Menschen. Vor allem mit seinem Vater lag er sich als Teenager ständig in den Haaren. Den Betrieb sollte er mal übernehmen. Daraus wurde nichts. Auch jetzt, mit bald 75, ist der Vater noch der Chef der Brauerei. Oder er war es zumindest bis heute. Denn jetzt ist er fort, der Herr Winterberg, weggesperrt wie ein räudiger Hund.

 

Verräterische Bilder

»Schrecklich das Ganze, einfach schrecklich! So ein junges, hoffnungsvolles Leben, einfach ausgelöscht.« Christina Winterberg wirkte ehrlich erschüttert und bestätigte Hutter und Lehmann, dass Amélie Cohen das gestohlene Bild selbst ausgewählt hatte, weil es anscheinend gut zum Konzept der Ausstellung passte. »Und Köpfe waren ja wirklich drauf.«

Da fiel Hutter etwas ein: »Gibt’s zufälligerweise ein Foto des Bildes? Könnte bei der Dingens … Suche helfen?«

»Ich glaube nicht. Aber ich kann ja mal meinen Mann fragen. Schließlich ist er darauf abgebildet, als kleiner Junge.«

»Ja, bitte, tun Sie das.«

»Weiß man überhaupt, warum das Bild gestohlen wurde? Es war ja wohl nicht besonders viel wert, außer für die Familie.« Christina Winterberg erhielt keine Antwort. Lehmann schrieb eifrig Notizen in ihren Block, während Hutter scheinbar teilnahmslos in sein iPad starrte.

»Nicht, dass es unserer Familie jemals ums Geld gegangen wäre. Ich glaube, das Bild war nicht einmal versichert.« Bleiernes Schweigen machte sich breit. Nur das Klappern des Teelöffels war zu vernehmen, als Frau Winterberg den letzten Schluck aus der Tasse getrunken hatte. »Wenn weiter nichts ist?«

»Hmm?« Hutter schien in dem Moment aus einem geistigen Tiefschlaf aufzuwachen. Die Gastgeberin stand auf, kurz darauf Lisa Lehmann. »Tja, dann«, sagte Hutter und erhob sich mühsam aus den Niederungen des Ledersofas, das dabei sehr missverständliche Geräusche machte. Der Weg zurück zum Ausgang führte durch einen dunkel getäferten Gang und eine ausladende Treppe nach unten. Da Hutter nicht den Anschein erweckte, sich ordentlich zu verabschieden, sprang Lisa Lehmann ein. »Also vielen Dank, Frau Winterberg. Sie haben uns sehr geholfen.«

Hutter ließ beiläufig seinen Blick über die Wände in der Eingangshalle von Conradsberg gleiten, als er kurz innehielt. »Der Mann da?« Von der Wand her verfolgte der Hausherr mit strengem Blick die Verabschiedungsszene. »Der Robert?« Christina musste schmunzeln. Nicht zum ersten Mal machte das große Porträt Eindruck auf Besucher des Schlosses.

»Das wäre dann mein Mann.«

»Ach ja. Gut, gut. Und wo finden wir den jetzt?«, fragte Hutter.

Monika Reuter, die noch immer die Türklinke in der Hand hielt, ahnte, dass die Frage nichts Gutes bedeutete. Sie schaute bevorzugt TV-Krimis und witterte Unheil.

Der König als Cowboy

Vier Tage nach dem Mord

»Ich, als Letzter am Tatort?«

»So schaut’s aus. Ich habe die Aufnahmen der Überwachungskamera gesehen«, antwortete Sebastian Hess. Der schmierige Mittfünfziger war mit allen Wassern der Paragrafenwelt gewaschen. Die Übernahme von aussichtslosen Fällen im oberen Preissegment war seine Spezialität. Seit er Winterberg bei der Bierkartell-Sache und später beim Unglücksfall »Gabriela Winterberg« vertreten hatte, war er der Anwalt der Familie.

»Ja so ein Schmarren!«

»Der Hut. Der hat dich verraten.«

»Bin ja nicht der Einzige, der im Winter mit Hut rumläuft.«

»Aber ein Stetson, ich bitte dich!«

»Ich bezahl dich, und darum hast du mich nicht zu bitten, verdammt!« Winterbergs Wutausbrüche waren berüchtigt.

Hess musterte seinen Mandanten kritisch. Hoffentlich nahm sich der Mann in entscheidenderen Momenten zusammen. »Vergiss nicht, wo du bist. Du sitzt hier in U-Haft. Erster und bislang einziger Verdächtiger in einem Mordfall. Vielleicht sollte der Cowboy mit dem auffälligen Stetson spätestens jetzt langsam von seinem hohen Ross runtersteigen.« Hess genoss den kurzen Triumph.

»Du holst mich hier raus! Hörst du?« Winterberg legte so viel Schärfe wie möglich in seine Worte.

Hess lehnte sich entspannt zurück. »Ja, ich höre. Zum Beispiel gerne die Antwort auf meine Frage, ob du vergangenen Donnerstagabend im Kunstmuseum bei Amélie Cohen warst?«

Winterberg spürte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg. Er ballte die Faust und wollte sie diesem selbstgerechten Arschloch vis-à-vis nur zu gerne ungebremst auf die Nase schlagen.

»Also?«

»Ja.« Winterberg besann sich auf seine Optionen. »Also ja: Ich war letzten Donnerstag im Kunstmuseum. Amélie, also Frau Cohen, wollte mit mir als Hauptsponsor noch die letzten Details für die Vernissage besprechen. Wem sonst noch zu danken war, ob ich das Wort ergreifen wollte. So Kleinigkeiten halt.«

»Und dann?«

»Was und dann? Bin ich nach wenigen Minuten wieder gegangen.«

Das immerhin stimmte mit den Bildern der Überwachungskamera überein.

»Und Frau Cohen?«

»Hat noch gelebt. Was denkst du denn?«

Hess dachte an die Unbeherrschtheit seines Gegenübers, sagte aber nichts dazu.

»Was ich denke? Das, mein lieber Winterberg, ist nicht die Frage. Die Frage ist: Was denkt der Haftrichter, der über deine Situation hier entscheidet.«

Monika stößt wen von der Bettkante

Für mich als Haushälterin ist es erstaunlich, wie sich die Energie im Haus geändert hat, seit Herr Winterberg weggesperrt ist. Es fühlt sich an, als ob es hier ein Vakuum gäbe, das niemand füllen kann. Sie müssen wissen, seine Präsenz dominiert einen Raum. Er ist groß, das haben Sie ja selber gesehen, aber ich sage Ihnen: Sein Ego übersteigt seine Körpergröße noch bei Weitem. Fragen Sie mal seine Kinder. Und dem schönen Geschlecht war er nie abgeneigt. Seine Frauen, ich mein die, mit denen er verheiratet war, die arrangierten sich und schauten weg, wenn Sie wissen, was ich meine. Das bleibt jetzt aber unter uns! Nicht dass Sie denken, ich wäre so ein Tratschweib, gell!

Die Frau Winterberg, also die jetzige, die neue, versucht zwar, so gut es geht, den Schein zu wahren. Sie spielt Alltag wie immer. Aber mich führt sie nicht an der Nase rum. Die ist doch total verunsichert. Wenn Sie mich fragen, zweifelt die nämlich auch an Roberts Unschuld. Darf sich das aber nicht anmerken lassen. Eine Frau Winterberg lässt sich nie etwas anmerken. Schon gar keine Zweifel. Ich sag’s Ihnen, wie’s ist: Ein Wunder ist’s! Ein Wunder, dass das alles so lange gut ging. Der Winterberg und seine Weibergeschichten. Was ich da alles gesehen und gehört hab in all den Jahrzehnten. Das geht auf keine Kuhhaut. Keiner Versuchung konnte der widerstehen, nicht einer! Und die Frauen? Ja, ich hab da so meine Theorie: Geld und Macht scheinen immer noch eine fatale Wirkung zu haben, das lähmt den präfrontalen Cortex, wo die Vernunft hocken tät, wenn sie denn zu Hause wäre. Und so kommt das eine zum anderen, wenn Sie wissen, was ich meine.

Schauen Sie: Ich habe mir nie viel aus Männern gemacht. Damals beim Maibaum in Altötting, da wo ich herkomm’, das habe ich ja schon erzählt, gell. Da habe ich früher schon bemerkt, wie die sich um mich bemühen, die jungen Burschen. Ich sag jetzt nicht, dass ich eine alte Jungfer bin, aber ich war schon immer sehr wählerisch. Darf ich offen reden? Ich find ihn halt einfach nicht so schön: den Mann an und für sich und sein Drumherum. Da kratzt und schabt er, und dann ist er zudringlich und dafür meist zu schwer. Mir war das immer eher unangenehm. Heut’ noch mehr als damals. Soweit ich mich erinnere. Ich habe das Thema abgeschlossen. Also die Sache mit den Männern.

Meinen Sie, ich habe nicht gemerkt, wie sich der Winterberg damals an mich rangemacht hat? Natürlich habe ich das gemerkt. Da kommt die Frau Winterberg zweimal hintereinander nieder, da war dann halt zweimal einige Wochen Pause. Also zwischen den beiden. Da tut sich der Winterberg natürlich schwer damit: sein Verlangen im Hosenstall zu halten. Da war er bei mir aber an der falschen Adresse, das sag ich Ihnen. Nicht, dass ich mal hätte Nein sagen müssen, so weit kam’s zum Glück nicht. Aber eine sensible Frau wie ich spürt auch schon Vorstufen dazu. Und das war schwierig genug. Der Winterberg war also der letzte Mann, den ich sozusagen von der Bettkante gestoßen habe. Aber es gibt ja auch andere Wege, glücklich zu sein. So emotional, im weitesten Sinne, wenn Sie wissen, was ich meine. Gell, das haben Sie schon vermutet! Selbst ist die Frau.

Die Enthüllung

Drei Tage nach dem Mord

»Wir machen das R I E S I G.« Gustav Fromm war außer sich. »Das ist ein Geschenk. So was bekommt man höchstens einmal in zehn Jahren. Höchstens, sag ich dir.« Fromm war eigentlich ein Scheiß-Chefredaktor, zu Höherem geboren, glaubte er von sich selbst, als zu einem Provinzblatt am Rand der Schweiz. Seine neoliberalen Ansichten machten ihn zwar zum Liebkind der Werbekunden aus Gewerbe und Industrie. Mit seiner Redaktion lag er sich aber regelmäßig in den Haaren, nicht nur politisch, sondern auch was Arbeitsethos wie Überstunden oder Bonuszahlungen anging. Oliver Tschanz schien die Euphorie seines Chefs nicht ganz zu teilen. »Was hockst du denn jetzt da wie sieben Tage Regenwetter. Weil Sonntag ist und du arbeitest? Pack schon mal die großen Buchstaben aus.« Tschanz rührte sich nicht.

»Von wem hast du denn den Tipp bekommen?«, fragte Fromm.

»Gustav, du weißt doch: Quellenschutz. Ich möchte dich und deine Freunde nicht in Verlegenheit bringen.« Damit spielte Tschanz auf die enge Verflechtung des Chefredaktors mit der Finanz- und Wirtschaftswelt an.

»Wie du meinst. Ich bedauere dein Misstrauen. Aber schütz du halt den Verräter. Denn die Geschichte ist zu gut, um deswegen einen Keil zwischen uns zu treiben, oder?« Fromm erhielt keine Antwort und fragte stattdessen: »Und das Ganze ist immer noch exklusiv?«

»Wenn du auf eine Bestätigung der Polizei oder Staatsanwaltschaft verzichten kannst …«

Fromm überlegte kurz. Was war das wert? Die Beamten aufscheuchen, auf die Gefahr hin, dass eine Stunde nach der Anfrage eine Medienmitteilung rausging und es alle hatten. Nein: Einmal in zehn Jahren wollte er eine Geschichte für sein Blatt allein. Er drehte sich ein weiteres Mal in seinem Bürostuhl, um etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Mach’s! Ohne Bestätigung. Wenn du der Quelle vertraust, vertrau ich dir.«

Tschanz war überrascht von seinem Chef. »Ich geh noch schnell für kleine Jungs, hole einen Kaffee und mach mich an die Arbeit.« Fromm war die Reihenfolge zwar zutiefst zuwider. Aber er schwieg. »Uhrenvergleich: 17.13 Uhr. In zwei Stunden treffen wir uns wieder hier. Bereit zur Abnahme!«