Der Mensch und das liebe Vieh

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1.3 Die Stellung des Menschen in der Schöpfung aus verantwortungsethischer Perspektive

An dieser Stelle soll die Frage nach dem Verständnis der Gottebenbildlichkeit des Menschen erneut aufgegriffen werden. Weiter oben wurde bereits herausgearbeitet, dass es dabei nicht in erster Linie um die Frage geht, was die Menschen von den Tieren unterscheidet oder ob der Mensch Höhepunkt, ja sogar Ziel der Schöpfung sei – beides ist im Hinblick darauf, dass die Schöpfung erst am siebten Tag vollendet wird, zu verneinen –, sondern um die besondere Aufgabe, die Gott den Menschen zugedacht hat: inmitten der Schöpfung als Abbild Gottes ihn selbst präsent zu halten. „Die Bibel betont das Hervortreten des Menschen durch den besonderen göttlichen Anruf im Unterschied zu dem einfachen Befehl, durch den Gott die Gestirne und das Land, die Pflanzen und die Tiere erschafft. Gott setzt den Menschen durch sein schöpferisches Wort in ein Verhältnis der Unmittelbarkeit zu sich, das ihn als besonderes Geschöpf auszeichnet; er setzt sich so in Beziehung zum Menschen, dass dieser seiner Auszeichnung im geschöpflichen Gegenüber zu Gott entsprechen kann.“48 Auch wenn z. B. im Psalm 148 die gesamte Schöpfung eingeladen wird, Gottes Lob zu singen, auch die „Tiere und alles Vieh, Gewürm und Vögel“ (vgl. V 10), so ist doch nur der Mensch im Unterschied zu den nichtmenschlichen Lebewesen befähigt, die Welt als Schöpfung Gottes zu deuten und in ihr die Spuren Gottes zu erkennen, sie also „als Gleichnis Gottes zu lesen“. Die anderen Lebewesen, Tiere wie Pflanzen hingegen würden Gott durch ihre Existenz, d. h. durch ihr Dasein loben, aber eben nicht bewusst. „Das aber heißt: Der Mensch ist als Bild Gottes dafür verantwortlich, dass die Welt als Gottes Gleichnis lesbar bleibt.“49

a) Freiheit macht verantwortlich

Gerade weil der Mensch nicht nur instinktiv und impulsiv, sondern in Freiheit und überlegt handelt, und weil er durch technische Errungenschaften in die Natur auf eine Weise eingreifen kann, die weit über das hinausgeht, was er durch den Einsatz lediglich der eigenen Körperkraft schaffen könnte, obliegt ihm die Verpflichtung, sich den Mitmenschen, den Tieren und der Natur gegenüber so zu verhalten, wie es dem schöpferischen Handeln Gottes entspricht. „Dass Gott den Menschen als sein Bild, also zu seiner besonderen Entsprechung unter den Geschöpfen schuf, begründet nicht nur einen Vorzug ihnen gegenüber, sondern auch eine Verpflichtung.“50 Der Mensch soll sich einerseits bleibend bewusst sein, dass er in die natürliche Schöpfungsordnung eingebunden ist und dass zwischen ihm und den Tieren eine große Nähe und enge Beziehung herrscht. Andererseits soll er als Ebenbild Gottes der ihm anvertrauten Aufgabe entsprechen und die ihm faktisch gegebenen Möglichkeiten des Eingreifens in die Natur und des Umgangs mit den Tieren und den Mitmenschen so nutzen, dass er damit dem Leben dient und der Schöpfung zum Segen gereicht, indem er das in allen Lebewesen beobachtbare Streben nach Entfaltung und Weitergabe des Lebens als Ausdruck der lebensbejahenden und schöpferischen Liebe Gottes zu deuten weiß. Die leidvolle und oft verstörende Erfahrung, dass Leben de facto jedoch nur auf Kosten anderen Lebens möglich ist, dass das eigene Überleben den Tod anderer Lebewesen impliziert, stellt dabei eine Art „Kontrasterfahrung“ dar, mit der sich viele Menschen nicht abfinden, weil diese Logik des Fressen-und-gefressen-Werdens immer auch Schmerz und Leid verursacht. Die vielen religiösen Rituale rund um das Töten von Tieren, die sich in archaischen Religionen ausgebildet und die zu vielfältigen Opferritualen geführt haben, spiegelt etwas von diesem intuitiven Wissen des Menschen wider, dass jede Tötung eines Tieres nie nur dem eigenen Leben dient, sondern zugleich eine schwerwiegende Verletzung eines anderen Lebewesens ist und in einem gewissen Sinn eine Ordnung stört, sodass entweder dieses Lebewesen selbst oder eine Gottheit dafür um Vergebung gebeten werden muss bzw. durch unterschiedliche Rituale die gestörte Ordnung wiederhergestellt werden muss. Im Unterschied zu den Tieren hat der Mensch die Möglichkeit, über dieses Dilemma, dass Leben nur auf Kosten anderen Lebens möglich ist, zu reflektieren, und er kann die Logik des Fressen-und-gefressen-Werdens wenigstens bis zu einem gewissen Punkt durchbrechen, indem er so weit wie möglich nicht auf Kosten anderer Lebewesen lebt und dort, wo er nicht umhinkommt, es zu tun, Schmerz- und Leidzufügung vermeidet.

b) Der Eigenwert aller Geschöpfe

Allen Geschöpfen kommt deshalb ein Eigenwert zu. Sie auf ihren Nutzwert für den Menschen zu reduzieren, würde dem biblischen Schöpfungsglauben zutiefst widersprechen. Es gibt einen Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein.51 Diese Überlegungen erinnern an den Ansatz der ökologischen Verantwortungsethik von Hans Jonas (1903–1993).52 Nach Jonas kommt jedem Lebewesen von Natur aus ein Selbstzweck zu. Alle Lebewesen streben danach, Lebensmöglichkeiten auf die ihnen eigene Weise zu verwirklichen.53 Jonas spricht von einem „blind sich auswirkenden Ja“, das nach Erhaltung und Entfaltung des eigenen Lebens strebt, und von „vitalen Zwecken“, die sich aktiv dem Nichtsein entgegenstellen. „Obligatorische Kraft gewinnt dieses blind sich auswirkende Ja in der sehenden Freiheit des Menschen, die als höchstes Ergebnis der Zweckarbeit der Natur nicht mehr einfach deren weiterer Vollstrecker ist, sondern mit der vom Wissen bezogenen Macht auch ihr Zerstörer werden kann. Er muss das Ja in sein Wollen übernehmen und das Nein zum Nichtsein seinem Können auferlegen.“54 Während sich nämlich die Tiere diese Zwecke nicht selbst setzen, sondern sie einfach haben, ihnen also „blind“, d. h. von Natur aus folgen, ermöglicht erst die menschliche Freiheit die Setzung und Wahl von Zwecken. Mit anderen Worten: Die dem Menschen faktisch gegebene Freiheit macht ihn unmittelbar dafür verantwortlich, wie er mit sich, den nichtmenschlichen Lebewesen und der Natur umgeht, ob lebensdienlich oder zerstörerisch, ob er das natürliche Streben eines jeden Lebewesens nach Erhaltung und Entfaltung des Lebens fördert oder nicht.

c) Die Verwundbarkeit von Tieren und Menschen

Ein Aspekt, den Tiere und Menschen teilen, ist der der Verletzbarkeit. Die Menschen sind ebenso wie die Tiere verwundbar, sowohl als Individuen als auch in ihrem Eingebundensein in natürliche Zusammenhänge sowie in ihrer Abhängigkeit voneinander und von einem intakten ökologischen Umfeld. Das Ökosystem ist ein komplexes Netz von wechselseitigem Abhängig- und Verwiesensein. Das gemeinsame Bewohnen der Erde und die Nutzung von Synergien zwischen den Lebewesen ist die Grundlage für einen funktionierenden natürlichen Lebensraum, was diesen sowie die ihn bewohnenden Lebewesen aber umso anfälliger macht für Störungen. Was die Menschen von den Tieren allerdings unterscheidet, ist das Wissen um diese fragilen Zusammenhänge. Sie reflektieren über die eigene Verletzbarkeit und über die der anderen Menschen, wissen aber auch um die Vulnerabilität aller Lebewesen. Deshalb gewinnt die Verletzbarkeit obligatorische Kraft. Das Wissen um sie hat moralische Konsequenzen und wird zur Quelle von Verantwortung. Es eröffnet für die zwischenmenschlichen Beziehungen einen Begründungsansatz für die Menschenrechte, für die Mensch-Tier-Beziehungen hingegen für die Tierschutzgesetze.55 Bei aller Differenz von Menschen- und Tierrechten, auf die weiter unten noch im Detail einzugehen ist56, wird jedem verletzbaren Lebewesen grundsätzlich das Recht zuerkannt, in seiner Vulnerabilität geschützt zu werden, d. h., dass ihm nicht Schmerzen oder Verletzungen zugefügt werden. Das nimmt den Menschen in die Pflicht, der als einziges Lebewesen in Freiheit, bewusst und willentlich einem anderen Lebewesen Schmerz und Leid zufügen oder Lebensräume zerstören kann. Albert Schweitzer (1875–1965) hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass wir uns als Menschen mitten unter Lebewesen vorfinden, die ebenso wie wir einen „Willen zum Leben“ haben. Ausgehend davon sowie von der Tatsache, dass wir als Menschen die Fähigkeit haben, diesen Lebenswillen aller Lebewesen wahrzunehmen und zu reflektieren, entwickelte er seinen Ansatz einer „Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben“. „Was ist Ehrfurcht vor dem Leben, und wie entsteht sie in uns? Die unmittelbarste Tatsache des Bewusstseins des Menschen lautet: ‚Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das Leben will.‘ Als Wille zum Leben inmitten von Willen zum Leben erfasst sich der Mensch in jedem Augenblick, in dem er über sich selbst und über die Welt um sich herum nachdenkt.“57 Für Schweitzer ergibt sich daraus die Verpflichtung für den Menschen, Leben zu erhalten und zu fördern.

Wie weiter oben ausgeführt worden ist, spiegelt der Herrschaftsauftrag das Wissen um die ambivalente asymmetrische Beziehung des Menschen gegenüber den Tieren wider, schreibt dem Menschen aber zugleich ins Stammbuch, diese Vormachtstellung nicht zu Ungunsten der Tiere auszunützen bzw. diese nur für eigene Interessen zu verzwecken. Aus der Vulnerabilität ergibt sich das Recht auf Schutz, welches jenen Lebewesen zur Pflicht wird, die um diese Verwundbarkeit wissen.

d) Eine verantwortungsethische Anthropozentrik

Wie bereits gesagt: Freiheit macht verantwortlich. Die Moralfähigkeit ist mit der Freiheit gegeben und erweist sich als „Rüstzeug“ dafür, dass der Mensch der ihm von Gott zugedachten Aufgabe gerecht werden kann. In dieser Hinsicht ist aussagekräftig, dass die Bibel die Moralfähigkeit unmittelbar mit der Gottebenbildlichkeit in Zusammenhang bringt: „Und Gott, der HERR, sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses“ (Gen 3,22)58. Die sittliche Verantwortung ist der Gottebenbildlichkeit eingeschrieben. Sie ist mit der Aufgabe verbunden, die Gott für die Menschen entsprechend Gen 1,26 vorgesehen und die er ihnen in Gen 1,28 übertragen hat. Sie kann allerdings nicht dahingehend anthropozentrisch ausgelegt werden, dass sich der Mensch als Mittelpunkt der Schöpfung ansieht und die Natur sowie die Tiere nach Belieben zu seinen eigenen Zwecken nutzen darf. Vielmehr bleibt er selbst eingebunden in die naturalen Abläufe und in die komplexen ökologischen Zusammenhänge und ist mit der Natur und den Tieren zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden. Ebenso ist ihm die Anerkennung des Eigenwertes aller Lebewesen, der sich z. B. in deren natürlichem Streben nach Erhaltung und Entfaltung des Lebens manifestiert, sowie aufgrund des Wissens um deren Vulnerabilität der Schutz der Lebewesen und des Ökosystems aufgetragen. Der verantwortungsethische Zugang, der sich aus der in diesem Kapitel vorgeschlagenen Interpretation des Herrschaftsauftrags in Gen 1,28 ergibt, wahrt die Differenz zwischen den Menschen und den Tieren, insofern sich nur der Mensch in jener Freiheit vorfindet, die ihn zugleich in die Verantwortung ruft bzw. in die Pflicht nimmt gegenüber den anderen Lebewesen.59 „Man kann vom Menschen nicht einen respektvollen Einsatz gegenüber der Welt verlangen, wenn man nicht zugleich seine besonderen Fähigkeiten der Erkenntnis, des Willens, der Freiheit und der Verantwortlichkeit anerkennt und zur Geltung bringt.“60 Zugleich unterstreicht er auch die enge Verbundenheit der Menschen mit den Tieren, weil alle Lebewesen, die die Erde als gemeinsamen Lebensraum bewohnen, eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft bilden. Eine verantwortungsethische Anthropozentrik betont die Verpflichtung der Menschen gegenüber den Tieren, sie in ihrem Eigenwert anzuerkennen und in ihrer Verletzbarkeit zu schützen. Den Tieren werden also von vornherein Rechte zuerkannt, noch bevor diese moralphilosophisch im Tier als „Rechtsträger“ begründet werden. Diese grundlegenden Rechte der Tiere, zu leben und nicht verwundet bzw. in ihrer Lebensentfaltung eingeschränkt zu werden, ergeben sich vielmehr aus jener Verantwortung, in der der Mensch sich vorfindet und über die er reflektiert.

 

1.4 Ergebnissicherung und Ausblick

Der Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 bildet nach wie vor eine neuralgische Stelle im Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung. Dieser Vers ist und bleibt ambivalent, weil er nämlich eine bleibend ambivalente Erfahrung des Menschen reflektiert: dass er als einziges Lebewesen konkret die reflektierte Möglichkeit bzw. die Freiheit hat, sich der Umwelt und den Tieren gegenüber entweder bewusst lebensdienlich oder aber zerstörerisch zu verhalten. Zugleich birgt der Schöpfungsbericht – besonders die Perikope der Erschaffung der Tiere und der Menschen sowie der Herrschaftsauftrag – ein intuitives Wissen darum, dass die Menschen diese Möglichkeit nicht despotisch missbrauchen dürfen. Vielmehr erfahren sie sich in die Pflicht genommen, die Welt als Lebensraum für alle Lebewesen zu wahren. Aus dem Eigenwert aller Geschöpfe ergibt sich ein fundamentales Lebensrecht, aus der Verletzbarkeit das Recht, dass ihnen nicht Wunden oder Schmerzen zugefügt werden. Weil die Menschen darum wissen, werden diese Rechte für sie auch zur Pflicht. Darin erkennt der biblische Autor gleichsam einen göttlichen Auftrag, der den Menschen vorgegeben ist und den sie sich nicht selbst gegeben haben. Zugleich ist es eine Erfahrung von Menschen zu jeder Zeit und an jedem Ort, dass sie sich in gestörten Beziehungen vorfinden – sowohl untereinander als auch zu den Tieren und der Umwelt. Dass Adam den Ackerboden im Schweiße des Angesichts bebauen und unter Mühsal von ihm essen muss (vgl. Gen 3,17–19), wird ebenso als Folge der Sünde angesehen wie die Tatsache, dass auf allen Tieren Furcht und Schrecken vor den Menschen liegen (vgl. Gen 9,2). Der Segensspruch, den Gott nach der Sintflut zu Noah und seinen Söhnen spricht, ist in dieser Hinsicht unmissverständlich: Der Fruchtbarkeits- und Prokreationssegen sowie der Auftrag, die Erde zu bevölkern, werden wiederholt, der Herrschaftsauftrag allerdings weicht der nüchternen Warnung, dass die Tiere den Menschen fürchten sollen, denn ihm sind sie ausgeliefert:

„Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch und füllt die Erde! Und Furcht und Schrecken vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels! Mit allem, was sich auf dem Erdboden regt, mit allen Fischen des Meeres sind sie in eure Hände gegeben.“ (Gen 9,1–2)

Dieser Vers klingt nüchtern. Spiegelt sich in ihm die bittere Einsicht wider, dass der Mensch seiner ihm anvertrauten Aufgabe nicht nachgekommen ist? Die Freiheit, dem Leben zu dienen und es zu fördern – und zwar im Namen Gottes – oder es zu zerstören, hat er missbraucht. Deshalb macht sich Gott selbst zum Garanten für das Leben der Menschen und der Tiere. In den Bund, den er mit Noah und seinen Söhnen schließt, sind die Tiere ausdrücklich eingebunden:

„Und ich, siehe, ich richte meinen Bund mit euch auf und mit euren Nachkommen nach euch und mit jedem lebenden Wesen, das bei euch ist, an Vögeln, an Vieh und an allen Tieren der Erde bei euch, von allem, was aus der Arche gegangen ist, von allen Tieren der Erde. Ich richte meinen Bund mit euch auf, dass nie mehr alles Fleisch ausgerottet werden soll durch das Wasser der Flut, und nie mehr soll es eine Flut geben, die Erde zu vernichten.“ (Gen 9,8–11)

Im Noahbund wird über die geschöpfliche Schicksalsgemeinschaft zwischen Tieren und Menschen hinausgehend auch eine heilsgeschichtliche Verbundenheit begründet. Die Tiere sind in den Bund Gottes mit den Menschen und damit auch in die Heilszusage hineingenommen. An dieser Stelle soll noch daran erinnert werden, dass auch der Apostel Paulus davon überzeugt ist, dass den Tieren und der gesamten außermenschlichen Schöpfung Hoffnung auf Heil zugesagt ist:

„Denn das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden – nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat – auf Hoffnung hin, dass auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit frei gemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt.“ (Röm 8,19–22)

Wer sind diese „Söhne Gottes“, auf deren Offenbarung die außermenschliche Schöpfung innigst wartet? Ist es der von der Sünde erlöste Mensch, der endlich jener Aufgabe gerecht wird, die Gott ihm als seinem Statthalter in der Schöpfung zugedacht (Gen 1,26) und aufgetragen hat (V 28)?

Jedenfalls soll am Schluss dieses Kapitels ein Zweifaches festgehalten werden.

Erstens: Die Vorrangstellung des Menschen gegenüber den Tieren, die im Letzten durch seine Moralfähigkeit bzw. – als Voraussetzung dafür – durch seine Vernunftbegabung und Freiheit begründet ist, rechtfertigt in keiner Weise einen willkürlichen Umgang mit den Tieren, sondern – ganz im Gegenteil – sie nimmt den Menschen in die Pflicht, Leben zu erhalten und zu fördern bzw. Leid zu verhindern und Leben nicht zu vernichten. In diesem Sinne betont Papst Franziskus, dass von uns Menschen ein respektvoller Einsatz gegenüber der Welt zu verlangen ist, weil man zugleich seine besonderen Fähigkeiten der Erkenntnis, des Willens, der Freiheit und der Verantwortlichkeit anerkennt und zur Geltung bringt.61 Alles andere würde einen falschen Anthropozentrismus bedeuten, den beispielsweise Papst Franziskus als „fehlgeleitet“ und „despotisch“ anprangert und ablehnt:62 „Wenn der Mensch sich selbst ins Zentrum stellt, gibt er am Ende seinen durch die Umstände bedingten Vorteilen absoluten Vorrang, und alles Übrige wird relativ.“63

Zweitens: Die Tiere von der Heilsgeschichte auszuschließen und sie damit gleichsam aus dem Heilsplan Gottes herausfallen zu lassen, widerspricht der biblischen Sicht von Schöpfung und dem biblischen Blick auf die Tiere. Das hat weitreichende Konsequenzen bis hin zur Frage, ob denn dann auch den Tieren so etwas wie eine ewige Vollendung oder ein Weiterleben nach dem Tod zuerkannt werden muss, vereinfacht gefragt, ob Tiere auch „in den Himmel kommen“. Auf diese Frage wird weiter unten noch näher eingegangen werden.64

Im folgenden Kapitel wird eine andere grundsätzliche Frage vertieft werden, die sich angesichts der vielfachen Formen von Leid und Übel stellt, denen wir in der Natur begegnen und die nicht vom Menschen zu verantworten sind. Denken wir nur an das bereits erwähnte „Gesetz“ des Fressens und Gefressenwerdens, an das evolutionsbiologische Prinzip der Elimination von schwachen Individuen oder an jenes des Überlebens der am besten angepassten Individuen. Kann die Schöpfung angesichts dieser Tatsachen als gut angesehen werden? Und überhaupt: Lässt sich das christliche Schöpfungsverständnis, das den bisherigen Ausführungen zugrunde liegt, mit den heutigen Erkenntnissen der Evolutionsbiologie in Einklang bringen? Oder stellt es nicht vielmehr ein Relikt eines archaischen und mythischen Versuchs einer Erklärung der Welt dar, auf die wir heute nicht mehr angewiesen sind und die wir überwinden sollten?

2.Ist die Schöpfung gut?
Zum Problem der Übel und des Leidens in der Natur

(Christoph J. Amor)

2.1 Stellenwert und Bedeutung des christlichen Schöpfungsbegriffs

Der Schöpfungsglaube, d. h. die Überzeugung, dass Gott Himmel und Erde gemacht hat (vgl. Gen 1,1), bildet das Eingangstor zur Bibel. Der exponierten Stellung innerhalb der biblischen Schriften korrespondiert die Wichtigkeit dieser Glaubensüberzeugung im Christentum. Die Zentralität des Bekenntnisses zu Gott als Schöpfer für den christlichen Glauben verdeutlicht u. a. das Apostolische Glaubensbekenntnis. In diesem Gebet, dessen Ursprünge in die Frühphase der christlichen Bewegung zurückreichen,65 werden von Gott nur wenige Eigenschaften ausgesagt. Umso bedeutsamer ist das Bekenntnis des Schöpferseins Gottes: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“.66

Der Begriff „Schöpfung“ wird im Christentum unterschiedlich verwendet und weist mehrere Bedeutungen auf.67 Mit „Schöpfung“ beziehen sich Christen erstens auf den Akt bzw. den Prozess des Hervorbringens des Nichtgöttlichen durch Gott. Nach traditioneller Lehrauffassung hat Gott das Universum aus nichts erschaffen. Die Lehre von der Erschaffung aus nichts (creatio ex nihilo) bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass alles, was außer bzw. neben Gott existiert, von Gott entweder unmittelbar ins Dasein gerufen wurde oder seine Existenz indirekt dem anfänglichen Schöpfungsakt verdankt. „Schöpfung“ besagt zweitens die Erhaltung des Geschaffenen. Gott erhält das Geschaffene fortwährend im Dasein. Er sichert so den Fortbestand der Geschöpfe und verhindert, dass sie sich in nichts auflösen. Diese bewahrende Tätigkeit Gottes wird in der Tradition creatio continua oder conservatio genannt. Dass der erhaltende Einfluss Gottes nicht rein statisch, sondern dynamisch zu denken ist und das Entstehen von Neuem aus bereits Vorhandenem ermöglicht, betont die dritte Bedeutung. In der theologischen Fachsprache hat sich die Bezeichnung creatio evolutiva für diese besondere Art des innerweltlichen Handelns Gottes eingebürgert.