Der Mensch und das liebe Vieh

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1.1 Gottebenbildlichkeit als Repräsentationsfunktion

Der Mensch wird nach Gen 1,26 als „Bild“ Gottes erschaffen. Mit dem entsprechenden hebräischen Begriff werden in der Regel Stelen oder Abbilder bezeichnet, die die Funktion haben, den Abgebildeten – sei es eine Gottheit, sei es eine Herrscherfigur – zu vergegenwärtigen. Dabei geht es gerade nicht um die äußere Form, sondern um die Funktion, Gott zu repräsentieren. Im Unterschied etwa zu anderen Kulturen wie beispielsweise jener Ägyptens oder Mesopotamiens wird diese Aufgabe nicht nur dem König zuerkannt, sondern jedem Menschen. Allerdings ist der Mensch nicht Gott; er ist nicht göttlich, wie die Ergänzung deutlich macht, dass er zwar nach dem „Bild“ Gottes, aber ihm nur „ähnlich“ geschaffen ist. „Ähnlichkeit“ bedeutet eine enge Zugehörigkeit, etwa im Sinne eines Verwandtschaftsverhältnisses, zugleich wird aber betont, dass zwei ähnliche Realitäten nicht ident sind. Auch darin kann zunächst eine scharfe Abgrenzung zu Vorstellungen herausgelesen werden, die sich in verschiedenen damaligen Kulturkreisen finden, wonach bestimmte Herrscherfiguren als göttlich verehrt worden sind. Dass der Mensch Gott als dessen Bild repräsentiert, liegt in dieser Ähnlichkeit begründet, die ihn zugleich von den Tieren unterscheidet. Beachtenswert ist, dass die Schöpfung des Menschen eingereiht wird in jene der übrigen Landtiere. Sie werden am selben, nämlich am sechsten Tag erschaffen, mit ihnen teilt er den Lebensraum „trockenes Land“, während die Vögel und die Wassertiere, die entweder die Luft oder das Wasser bewohnen – beides kein Lebensraum für die Menschen –, am fünften Tag geschaffen werden. Man kann also sagen, dass sich entsprechend diesem Text die Mensch-Tier-Differenz nicht auf der geschöpflichen Ebene ausmachen lässt, vielmehr ist der Mensch hineingenommen in die Reihe der anderen Landtiere. „Tier und Mensch sind in der Schöpfungsordnung von Gen 1 sehr nah beieinander angesiedelt.“27 Auch der sogenannte zweite Schöpfungsbericht in Gen 2,4b–25 lässt keinen Zweifel daran, wie nah sich Mensch und Tier sind: Beide sind aus dem Ackerboden geformt und teilen sich den Lebensodem sowie die Sterblichkeit. Sie bilden eine Schicksalsgemeinschaft, die Leben und Tod umfasst.28

„Denn das Geschick der Menschenkinder und das Geschick des Viehs – sie haben ja ein und dasselbe Geschick – ist dies: wie diese sterben, so stirbt jenes, und einen Odem haben sie alle. Und einen Vorzug des Menschen vor dem Vieh gibt es nicht, denn alles ist Nichtigkeit. Alles geht an einen Ort. Alles ist aus dem Staub geworden, und alles kehrt zum Staub zurück. Wer kennt den Odem der Menschenkinder, ob er nach oben steigt, und den Odem des Viehs, ob er nach unten zur Erde hinabfährt?“ (Koh 3,19–21)

Und dennoch: Nur vom Menschen heißt es, dass er „nach Gottes Bild, ihm ähnlich“ geschaffen ist. Auffallend ist, dass in Gen 1,26 von Gott im Plural die Rede ist. Dahinter könnte die Vorstellung von göttlichen Wesen stehen, die Gott im himmlischen Rat umgeben.29 Das würde die Annahme bestärken, dass die Ähnlichkeit des Menschen mit Gott in seiner Dialog- und Kommunikationsfähigkeit bestehen würde und in Folge in seiner Vernunftfähigkeit, durch die er von Gott befähigt wird, seinen Ratschluss zu erkennen und ihm entsprechend zu handeln. Im Duktus des Schöpfungsberichtes kann dieser Ratschluss nicht anders gedeutet werden denn als Wille Gottes, für alle Lebewesen – die Tiere und die Menschen (die Pflanzen wurden nach damaligem Verständnis nicht zu den Lebewesen gezählt) – einerseits den Rhythmus von sechs Arbeitstagen und einem Ruhetag als Zeitraum zu befolgen und andererseits die Erde als Lebensraum zu erhalten. Beides, die geregelte Zeitenfolge und der geordnete Lebensraum, dienen der Erhaltung und der Entfaltung des Lebens der Tiere und der Menschen. Es ist bezeichnend, dass im Gebot der Sabbatruhe, dem dritten Gebot des Dekalogs, ausdrücklich die Nutztiere eingeschlossen sind. In Ex 20,10 wird „dein Vieh“ genannt, und in Dtn 5,14 findet sich die Ausweitung auf „dein Rind, dein Esel und dein ganzes Vieh“, das in den Genuss der Sabbatruhe kommen soll.

Unmittelbar nach dem Entschluss Gottes in Gen 1,28, die Menschen „nach seinem Bild, ihm ähnlich“ zu schaffen, wird die Funktion formuliert, die Gott für die Menschen vorgesehen hat: „Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen!“ Diese Aufgabe ist es, die Gott den Menschen – die schließlich als Mann und Frau geschaffen werden – anvertrauen will, und indem sie diesem Auftrag gerecht werden, erweisen sie sich als würdige Repräsentanten Gottes in der Schöpfung bzw. vergegenwärtigen sie ihn wirksam. Jedenfalls kann festgehalten werden: „Die in Gen 1 […] programmatisch formulierte, Mensch und Tier unterscheidende Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau ist rein theologisch aus einem Willensakt Gottes, sie ist nicht biologisch begründet.“30

Bevor der Herrschaftsauftrag näher beleuchtet wird, soll noch auf eine weitere bedeutende Eigenheit hingewiesen werden. Bei der Erschaffung der Landtiere wird in Gen 1,24–25 nämlich differenziert zwischen „Vieh“, „kriechenden Tieren“ und „wilden Tieren“. Der mit „Vieh“ übersetzte Begriff meint die domestizierten im Unterschied zu den wilden Tieren, also jenen, die in der Wildnis leben und sich nicht zähmen lassen, und zum kleineren Getier, das auf der Erde kriecht.31 Es ist nun interessant, dass die Funktion, die Gott in V 26 für die Menschen vorsieht, die Wassertiere, die Vögel, das domestizierte Vieh und die Kriechtiere aufgezählt werden, nicht jedoch die wilden Tiere. Im eigentlichen Herrschaftsauftrag in V 28 hingegen fehlt die Unterscheidung von domestiziertem Vieh und den wilden Tieren, denn neben den Fischen und den Vögeln werden zusammenfassend „alle Tiere, die sich auf der Erde regen“, genannt. Was das bedeuten könnte, darauf soll im folgenden Kapitel zurückgekommen werden.

1.2 Der Herrschaftsauftrag über die Erde und über die Tiere
a) Die Hypothek, die auf dem Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 lastet

Bekanntermaßen wurde und wird der Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 für eine ausbeuterische Haltung gegenüber der Natur verantwortlich gemacht. Dieser Vers sei der ideengeschichtliche Hintergrund der heutigen Umweltkrise. Seit der amerikanische Wissenschaftshistoriker Lynn T. White Jr. 1967 in seinem Aufsatz „Die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“32 diese These veröffentlicht hat, haben auch andere Autoren diesen Vorwurf aufgegriffen und zu erhärten versucht. Der deutsche Umweltaktivist Carl Amery (1922–2005) bezeichnet in seinem 1972 ersterschienenen Buch „Das Ende der Vorsehung“ die Christen als „Fachleute für die Ausbeutung der Welt“33. Selbst Theologen wie Eugen Drewermann (geb. 1940)34 schlugen in dieselbe Kerbe. Er machte den angeblichen biblischen Anthropozentrismus, wonach sich der Mensch als radikal von der Natur herausgelöst sieht, für das gestörte Mensch-Natur-Verhältnis verantwortlich.

Viele Theologen haben sich kritisch mit diesem Vorwurf auseinandergesetzt und ihn zu widerlegen versucht35, und zwar sowohl aus historischer wie auch aus bibeltheologischer Perspektive. Historisch wurde besonders darauf hingewiesen, dass der Herrschaftsauftrag erst in der Neuzeit in dem Sinne interpretiert worden ist, dass der Mensch mit der Natur willkürlich verfahren dürfe. Ideengeschichtlicher Hintergrund der modernen Umweltkrise sei vielmehr der nach René Descartes (1596–1650) benannte cartesianische Dualismus, wonach der Mensch als res cogitans, d. h. als denkendes Wesen, alle anderen Lebewesen hingegen – einschließlich der Tiere – lediglich als res extensa, d. h. als ausgedehnte und damit bloß materielle Dinge bzw. komplexe Maschinen verstanden worden sind. Damit habe sich der Mensch als außerhalb der übrigen Natur und als ihr gegenüber stehendes Wesen begriffen. Das Bewusstsein, dass der Mensch zutiefst in die naturalen Abläufe eingebunden und Teil der Natur ist, das die abendländische Geschichte bis zum Beginn der Neuzeit geprägt habe, sei dadurch zusehends verloren gegangen. Im Zusammenspiel mit dem Erstarken der Naturwissenschaften sowie mit der damit einhergehenden wissenschaftlich-technologischen Sichtweise der Natur habe sich die Mentalität entwickelt, der Mensch könne die Natur nach Belieben zu seinen Zwecken nutzen. Dieser Gebrauch der Natur sei erst nachträglich durch den Rückgriff auf den biblischen Herrschaftsauftrag legitimiert worden, etwa durch den englischen Naturphilosophen Francis Bacon (1561–1626). Bacon verstand die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse explizit als Herrschaftswissen mit dem Ziel, dass sich der Mensch die Natur unterjoche und sie seinen eigenen Zwecken dienlich mache.36 In Folge wurden die Natur und die Tiere zunehmend nur mehr in ihrem instrumentellen Nutzwert in Bezug auf die menschlichen Bedürfnisse wahrgenommen. Exegeten und Bibelwissenschaftler haben der These widersprochen, durch den Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 ließe sich ein derart zweckbestimmter und ausbeuterischer Umgang mit der Natur rechtfertigen.37 Der eigentliche Sinn des Herrschaftsauftrages liege vielmehr darin, dass Gott die Erde und die Tiere der Fürsorge der Menschen anvertraut habe. Dies soll im Folgenden herausgearbeitet werden.

b) Eine exegetische und bibeltheologische Erschließung von Gen 1,28

Die in Gen 1,26 formulierte Funktion des Herrschens wird in V 28 aufgegriffen und als Auftrag formuliert. Dabei fällt zunächst ins Auge, dass dieser Auftrag im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Segenswort formuliert wird, das Zuspruch von Leben und Fruchtbarkeit bedeutet. Bereits im V 22 findet sich ein solcher Segensspruch, gerichtet an die Wassertiere und die Vögel, der auch dort verbunden ist mit dem Auftrag, fruchtbar zu sein und die für sie vorgesehenen Lebensräume zu füllen. Im Unterschied zu V 22 allerdings heißt es in V 28 ausdrücklich, dass Gott das Segenswort nicht einfach ausspricht, sondern „zu ihnen“ spricht, womit der dialogische Charakter des folgenden Auftrags deutlich wird. Es geht hier nicht um ein in den Adressaten hineingelegtes natürliches oder instinktives Streben danach, sich fortzupflanzen und sich den Lebensräumen bestmöglich anzupassen bzw. diese den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten, um sie zu bewohnen, sondern um einen Auftrag, der nach einer Antwort verlangt – eben nach Verantwortung.

 

In dieser Perspektive kann der Herrschaftsauftrag als ein Reflex davon verstanden werden, dass die Menschen über die ihnen eigene Fähigkeit nachdenken, dem Mitmenschen, den Tieren und der Umwelt gegenüber nicht nur instinktiv oder impulsiv, sondern überlegt und verantwortlich zu handeln. Der dialogische Charakter, dass Gott den Segensspruch und den Herrschaftsauftrag „zu ihnen“ spricht, untermauert diese exklusive – also ausschließlich auf die Menschen bezogene – Lesart von Gen 1,28. Demgegenüber werden jedoch auch Argumente stark gemacht für eine sogenannte inklusive Auslegung, der zufolge sich Gen 1,28 auf alle Landtiere beziehen würde.38 Diese Argumentation macht u. a. den parallel gestalteten Aufbau des fünften und sechsten Schöpfungstages geltend, im Besonderen des Prokreations- und Mehrungssegens in V 22 und in der ersten Hälfte von V 28. Richtigerweise stellt sich die Frage, warum der Fruchtbarkeitssegen, der den Fischen und Vögeln zugesprochen wird, den Landtieren vorenthalten sein und sich unter jenen Lebewesen, deren Erschaffung am sechsten Tag genannt wird, allein auf die Menschen beschränken sollte. Der Segensspruch in V 22 bezieht sich auf alle am fünften Tag geschaffenen Tiere, deshalb wäre es nur folgerichtig, V 28 ebenso auf alle am sechsten Tag geschaffenen Lebewesen zu beziehen. Folgt man dieser Lesart, kann der Auftrag, sich die „Erde untertan zu machen“, nur als Nutzungsauftrag verstanden werden, und zwar in dem Sinne, dass alle Tiere wie die Menschen ein Anrecht darauf haben, die Erde zu bewohnen und zu bevölkern. Tiere und Menschen teilen sich die Erde als gemeinsamen Lebensraum. Einer anthropozentrischen Auslegung, wonach die Menschen das Recht hätten, ihren Lebensraum zu erweitern, indem sie jenen der Tiere zurückdrängen, oder die Erde als Lebensraum nur für sich sowie für die eigenen Interessen und Zwecke zu benutzen, wäre damit jede Grundlage entzogen. Im Gegenteil: Die Menschen haben bei jeder Form, wie sie die Erde bewohnen und mit ihr umgehen, zu bedenken, dass sie dabei nicht zugleich das Habitat der Tiere zerstören dürfen. Sie haben vielmehr die Verantwortung, auch den Tieren zu ermöglichen, dass sie das Land bewohnen und dem Fortpflanzungsauftrag nachkommen können. Es wurde weiter oben bereits darauf hingewiesen, dass in der sogenannten Aufgabenbestimmung in V 26 nur die Herrschaft über die Fische, die Vögel und die domestizierten Tiere angesprochen wird, nicht jedoch über die Wildtiere. Die Menschen dürften also die wilden Tiere nicht für sich nutzen, sondern hätten vielmehr die Verantwortung, den Lebensraum, den sie mit ihnen teilen, zu schützen bzw. ihnen den von ihnen benötigten Lebensraum – also ihr Habitat – zuzuerkennen. Das käme für die Menschen freilich einer nicht unbedeutenden Einschränkung gleich, sich die Erde anzueignen bzw. sie zu nutzen. Nachdem aber – immer der inklusiven Lesart folgend – auch den Wildtieren kein Verfügungsrecht über die domestizierten Tiere zuerkannt wird, sondern nur über die Fische, die Vögel und die Kriechtiere, könnte man indirekt das Recht der Menschen herauslesen, ihr Hausvieh bzw. die Nutztiere vor den Angriffen der Wildtiere zu schützen – mehr aber auch nicht39.

Allerdings geht diese inklusive Lesart von V 28 – wie soeben bereits angeklungen ist – davon aus, dass die im Herrschaftsauftrag neben den Fischen und Vögeln genannten Tiere nur die Kriechtiere sind, sodass der Auftrag sich auch an die wilden und domestizierten Tiere richtet.40 Beachtet man hingegen, dass sich die hebräische Formulierung „alle Tiere, die sich auf der Erde regen“, nicht nur auf die Kriechtiere bezieht, sondern auf alle tierischen Lebewesen41, stellt sich die begründete Frage, ob V 28 – speziell der Herrschaftsauftrag – sich nicht doch exklusiv an die Menschen richtet. Dafür könnten einige Gründe sprechen wie z. B. der bereits angedeutet dialogische Charakter, dass Gott „zu ihnen“ spricht. Die Auslegung, dass der Auftrag des Menschen sich auch auf alle Landtiere erstreckt, kann nun folgende Bedeutung haben. Zwischen den Tieren im Wasser und in der Luft auf der einen und jenen auf dem Land auf der anderen Seite gibt es in Bezug auf den Menschen einen wesentlichen Unterschied: Die Wasser- und die Lufttiere machen dem Menschen den Lebensraum nicht streitig, die Landtiere hingegen sehr wohl, denn sie können den Menschen unmittelbar bedrohen. Dem Menschen würde als sowohl das Recht zuerkannt, Haustiere zu halten, als auch sich vor den wilden Tieren zu schützen. Der grundlegenden Intention der oben beschriebenen inklusiven Lesart würde diese Auslegung damit inhaltlich nicht widersprechen, insofern der Herrschaftsauftrag an dieser Stelle inkludiert, die Erde als den gemeinsamen Lebensraum aller Tiere anzusehen, und lediglich die Erlaubnis beinhaltet, das von den Menschen bewohnte und bestellte Land sowie das Nutzvieh vor den Wildtieren zu schützen, nicht jedoch das Anrecht, dass die Menschen die Erde als Lebensraum für sich allein beanspruchen. Auch aus der exklusiven Lesart ergibt sich daher, dass „die Herrschaft über die (wilden) Tiere ein Tötungsrecht keineswegs einschließt. Erst dem nachsintflutlichen Menschen wird das Fleisch zur Nahrung geben (Gen 9,3), und erst daraus erfolgt der Schrecken aller Kreatur vor den Menschen (Gen 9,2; vgl. Sir 17,1–4)“42. Allerdings kann daraus kein generelles Tötungsverbot von Tieren vor der Sintflut abgeleitet werden, denn in Gen 3,21 wird ausdrücklich gesagt, dass Gott Adam und Eva mit Röcken aus Fellen bekleidete, und in Gen 4,4 bringt Abel ein Opfer dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett – beides, die Röcke aus Fell wie auch das Tieropfer, bedeutet die Tötung von Tieren.

c) „Macht euch die Erde untertan und herrscht über …“

Doch nun zurück zu den beiden Verben „untertan machen“ und „herrschen“: Was bedeuten sie im Detail? Der Herrschaftsauftrag in V 28 besteht aus zwei Teilen, wobei sich der erste auf die Erde und der zweite auf die Tiere bezieht. In Bezug auf die Erde wird das hebräische Verb kābaš, in Bezug auf die Tiere hingegen rādā verwendet.

Kābaš, welches mit „untertan machen“ übersetzt wird, meint ursprünglich „(be)treten“ bzw. „den Fuß setzen auf“.43 Dies kann eine höchste ambivalente Geste sein. Den Fuß auf etwas setzen kann zur Folge haben, dass etwas zertreten oder getötet wird. Ebenso kann es bedeuten, dass sich jemand das, worauf er seinen Fuß setzt, aneignet oder unterwirft, aber auch, dass er es in Schutz nimmt, weil er es als sein Eigentum deklariert, das zu verteidigen er bereit ist.44 Wenn ein Sieger seinen Fuß auf den Kopf des Besiegten setzt, der vor ihm liegt, dann wäre es ein Leichtes, ihn zu töten, ebenso liegt es aber auch in seiner Macht, das Leben des Besiegten zu schonen und ihn zum Untertan und zum Schutzbefohlenen zu machen. In sozialen Kontexten schwingt beim Verb kābaš immer die Konnotation von asymmetrischen Macht- und Gewaltverhältnissen mit, beispielsweise jemanden in den Dienst nehmen oder ihn versklaven.45 Die aufgezeigte Ambivalenz von kābaš darf nicht geleugnet, die damit verbundenen Gewaltaspekte nicht ausgeblendet werden. Vielmehr spiegelt sich darin eine zweifache Erfahrung wider. Erstens: Der Mensch hat in seiner Freiheit de facto die Möglichkeit, bewusst und willentlich mit seiner Umwelt entweder rücksichtslos und zerstörerisch umzugehen oder aber sie zu gestalten und zu pflegen. Zweitens: Auch die Urbarmachung von unbewohnter Wildnis ist zunächst ein Akt eines mehr oder weniger gewaltsamen Eindringens in ein funktionierendes Biotop, d. h. in einen biologisch intakten Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Gerade durch die Entwicklung sowie den Gebrauch von Werkzeugen und Waffen haben sich die Menschen einen entscheidenden Vorteil gesichert, der ihnen ein Eingreifen in die Natur bzw. ein Gestalten der Umwelt ermöglicht, wie sie es allein mit den bloßen Händen nicht könnten, sowie eine Macht und Vorrangstellung gegenüber Tieren, denen sie sonst unterlegen wären. Aus dieser dem Menschen konkret gegebenen Möglichkeit ergibt sich nun aber die Verantwortung, dass er sie gerade nicht zerstörerisch missbraucht, sondern seine Fähigkeiten vielmehr so einsetzt, dass er die Erde nutzt. Er soll das Land entsprechend dem Segensspruch, fruchtbar zu sein und die Erde zu füllen, als Lebensraum besiedeln und gestalten, also seinen Fuß auf die Erde setzen wie der Landwirt, der den Acker bebaut und nicht verwildern lässt, oder der Gärtner, der seine Beete bepflanzt und nicht verwüstet. Dieser Bedeutungsgehalt wird in Gen 2,15 bestärkt, wo es heißt, dass Gott den Menschen in den Garten Eden setzte, damit dieser ihn „bebaue und bewahre“.

Auch das hebräische Verb für „herrschen“ (rādā) meint ursprünglich „treten“, „niedertreten“ und hat deshalb zunächst ambivalente Konnotationen.46 Herrschaft setzt immer Macht- und Gewaltverhältnisse voraus und ermöglicht Missbrauch von Macht. Deshalb ist es wichtig daran zu erinnern, dass dieses Verb bereits in V 26 verwendet wird, wo Gott die Aufgabe benennt, die er den Menschen zugedacht hat. Wie weiter oben bereits ausgeführt worden ist, besteht diese Aufgabe darin, dass die Menschen Gott in der Schöpfung repräsentieren bzw. vergegenwärtigen sollen. Aus dem gesamten Duktus des Schöpfungsberichtes wird deutlich, dass es viel zu kurz greifen würde, würde man den Herrschaftsauftrag lediglich so verstehen, dass der Mensch Tiere zu seinem eigenen Nutzen verwenden dürfe. Die gesamte Schöpfung ist vielmehr Ausdruck der kreativen Kraft und der schöpferischen Freude Gottes, der das Leben bejaht, die Welt durch den zeitlichen Rhythmus von Tag und Nacht sowie durch die Scheidung von Wasser und Land ordnet und somit zum Lebensraum für die unterschiedlichsten Lebewesen macht. Die Menschen sollen deshalb als Repräsentanten Gottes ebenso das Leben bejahen, bewahren und fördern. In dieser Perspektive kann der schon aufgezeigte Unterschied in der Benennung der Herrschaftsaufgabe in V 26 sowie in der konkreten Herrschaftsbeauftragung in V 28 signifikant sein, dass nämlich in V 26 die wilden Tiere nicht der Herrschaft der Menschen anvertraut werden, in V 28 hingegen schon (folgt man der oben dargelegten exklusiven Lesart). Das könnte bedeuten, dass hier der biblische Autor wiederum eine urmenschliche Erfahrung verarbeitet, nämlich: Der Mensch kann sich de facto manche Tiere nicht zu Nutze machen, da sie nicht domestizierbar sind (V 26), er muss aber zum Schutz der Nutztiere die Angriffe von wilden Tieren abwehren oder kann durch die Urbarmachung von Wildnis auch mit den Wildtieren in Konflikt geraten, weil er ihnen ihren Lebensraum streitig macht (V 28). Keinesfalls bedeutet der Herrschaftsauftrag nun einen Freibrief für ein willkürliches Eingreifen in die Natur oder für einen verantwortungslosen Umgang mit Tieren. Gegenüber den Tieren kommt dem Menschen zwar eine „gattungsspezifische Macht- und Intelligenzüberlegenheit“47 zu, aus den asymmetrischen Machtverhältnissen ergibt sich aber die Verantwortung, diese so zu gestalten, dass die Erde als Lebensraum für alle Lebewesen bewahrt und das Leben der Tiere geschont und geschützt wird. Abschließend ist noch daran zu erinnern, dass im Kontext des Alten Testaments das Herrschen mit der fürsorglichen Verantwortung eines Königs für das Wohlergehen seines Volkes und die umsichtige Sorge eines Hirten für die ihm anvertraute Herde konnotiert ist.