Katholiken in den Thüringer Kleinstaaten

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Die Suche der Thüringer Kleinstaaten nach einem starken Bündnispartner verlief nur für Sachsen-Weimar-Eisenach erfolgreich. Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach schloss am 4. Oktober 1806, demnach kurz vor der Schlacht bei Jena und Auerstedt, ein Bündnis mit Preußen und galt damit als offizieller Gegner der Franzosen.129

Der Krieg der Franzosen gegen Preußen verlagerte sich auf thüringischen Boden. Berühmt für den Einmarsch Napoleons ist die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt geworden. Die Franzosen besetzten am 13. Oktober 1806 Jena. Am 14. Oktober 1806 erfolgte der für die Preußen überraschende und letztlich für Napoleon siegreiche Angriff.130

Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt begann für Teile Thüringens eine Zeit französischer Herrschaft. Schon am 17. Oktober 1806 wurde Erfurt besetzt, das zwar eine preußische Verteidigung von etwa 10.000 Mann aufweisen konnte, sich aber nicht zum Kampf stellen wollte und am 16. Oktober 1806 kapitulierte.131 Erfurt wurde zum Zentrum der französischen Herrschaft in Thüringen auf Jahre hin. Am 4. August 1807 wurde ein französisches Fürstentum Erfurt errichtet, das am 29. August des gleichen Jahres offiziell von Preußen abgetrennt wurde.132 Die Thüringer Kleinstaaten wurden Mitglieder des Rheinbundes.133

In der Neuaufteilung Europas sollte zunächst Erfurt eine besondere Rolle einnehmen. Die Verhandlungen der beiden großen Kriegsgewinner Frankreich und Russland fanden in der thüringischen Metropole statt. Erfurt rückte für die Zeit vom 27. September bis 14. Oktober 1808 durch den Fürstenkongress in das Zentrum Europas.134

Nach dem Scheitern der Grande Armée auf ihrem Russlandfeldzug und der Niederlage Frankreichs in der Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813 sank der Stern Napoleons: Am 31. März 1814 nahmen die alliierten Truppen Paris ein. Napoleons Herrschaft war kurzzeitig beendet. Nach dessen Rückkehr aus der Verbannung von Elba und seiner „Hundert Tage Herrschaft“ erlitt er bei Waterloo am 18. Juni 1815 seine letzte Niederlage.135

Der Sieg über die Franzosen konnte die bis dato vorhandenen Veränderungen in Europa allerdings nicht mehr vollständig revidieren. Ab September 1814 traten im Wiener Kongress die Kriegsgewinner Österreich, Russland, England und Preußen zusammen.136 Dazwischen versuchten die kleineren deutschen Einzelstaaten ihre Interessen zu wahren. Die restaurative Ausrichtung des Kongresses diente klar der Wiederherstellung der Macht der europäischen Monarchien und dem Verdrängen revolutionärer Ideen, doch schufen die Ereignisse zu Beginn des Jahrhunderts nicht umkehrbare Fakten, insbesondere für das Ende von Reich und Reichskirche.

Das allgemeine Erweiterungsstreben der Großmächte auf dem Wiener Kongress brachte auch die thüringischen Kleinstaaten in die Gefahr ihre Souveränität zu verlieren. Da sie Mitglieder des Rheinbundes waren, in diesen jedoch gezwungen worden waren und daher nicht als Verbündete der Franzosen galten, konnte ihre Unabhängigkeit bewahrt werden. Für Sachsen-Weimar-Eisenach waren sogar bedeutsame Gebietsgewinne zu verzeichnen und die Erhebung zum Großherzogtum.137 Preußen verpflichtete sich dabei, Gebiete des ehemaligen Fürstbistums Fulda an das neue Großherzogtum abzutreten.

Für die Kleinstaaten bedeutete der Kongress vielfach ein Abwarten von Entscheidungen, die bei den Großmächten lagen. Der Weimarer Minister Ernst Christian August von Gersdorff (1781-1852) äußerte sich diesbezüglich: „Die Sicherheit der kleineren Staaten beruht in Deutschland sowie überhaupt entweder auf der Begründung eines wahren, in sich selbst haltbaren, somit nach allen wesentlichen Erfordernissen eines guten Organismus erbauten deutschen Reiches […] oder sie gründet sich auf die Koexistenz der mehreren mächtigen Staaten in Deutschland, deren politische Eifersucht das Prinzip der Fortdauer der kleineren zwischen ihnen gelegenen Herzogtümer und Fürstentümer bildet. Jetzt, wenn ich nicht irre, sind wir in diesem letzteren Fall.“138

Diese Einschätzung traf zu. Die Vorschläge von österreichischer und preußischer Seite, vertreten durch Klemens Fürst von Metternich (1773-1859) und Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822), zielten auf eine überragende Rolle des je eigenen Staates in einem deutschen Staatenbund hin. Ein solcher Staatenbund ginge mit der Bedeutungslosigkeit der Klein- und Mittelstaaten, trotz ihres formalen Fortbestehens, einher. Allerdings scheiterten die Pläne insbesondere am Misstrauen der Österreicher gegenüber der deutschen Zweitmacht Preußen. Die deutschen Staaten schlossen sich daraufhin in einem nur lose orientierten, insbesondere auf den militärischen Verteidigungsfall ausgerichteten Deutschen Bund zusammen139, in dem Österreich durch seine Position als Präsidialmacht eine Sonderrolle einnahm. Eine gesamtdeutsche Verfassung war unerreichbar und musste in die Kompetenz der Einzelstaaten gelegt werden. Die Schaffung eines geeinten Deutschlands wurde durch die Schaffung des Bundes nicht gefördert, sondern letztlich unterbunden. Den Herzögen und Fürsten der Thüringer Kleinstaaten wurde somit Macht und Unabhängigkeit gesichert. Erst mit den revolutionären Ereignissen des Jahres 1848 wurde die Souveränität und politische Ordnung der Thüringer Herzog- und Fürstentümer in Frage gestellt.

Revolution von 1848

Die seit Anfang des Jahrhunderts bestimmende Restaurationspolitik der Staaten im Deutschen Bund erfuhr im März 1848 eine entscheidende Wende. Deutschland stand in einem gesamteuropäischen Prozess, ausgehend von Frankreich, wo im Februar 1848 die Monarchie abgelöst wurde.140 In Deutschland wuchsen trotz bzw. wegen der restriktiven offiziellen Politik, die Bestrebungen nach einem offeneren, bürgerlichen, demokratischeren Staat.141 Verbunden war dies mit dem Streben einer gesamtdeutschen Einigung der Einzelstaaten.142 Die staatliche Wirklichkeit blieb jedoch weit hinter diesen Forderungen zurück: Kaum ein deutscher Nationalstaat hat, wie beim Wiener Kongress beschlossen, eine Verfassung eingesetzt, viele Thüringer Staaten kamen dem jedoch recht früh nach.143

Von Baden ausgehend verbreitete sich die Revolution über Deutschland. Viele Landesherren setzten neue Regierungen ein, die dem Drängen der revoltierenden Bevölkerung besser entsprachen. Den Höhepunkt bildete die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/1849. Die Ausarbeitung einer Reichsverfassung und Vorbereitung einer Einheit Deutschlands waren Hauptanliegen, der dabei in Gruppen Zerstrittenen.144

Auch in Thüringen waren Einheitsbestrebungen stark ausgeprägt145, zugleich aber mit einem der profiliertesten kleinstaatlichen Systeme in Deutschland konfrontiert. Dies zeigt sowohl den vorhandenen Missstand, als auch die zu erwartende Auseinandersetzung mit der bestehenden staatlichen Ordnung. Die meisten thüringischen Regenten vermochten jedoch zunächst geschickt die Situation zu meistern.146

Die Bevölkerung in Thüringen war stark, trotz allem Einheitsstrebens, ihren Dynastien verbunden. Insbesondere das liberal geprägte Bürgertum147, das sich durch eine recht offene Politik im Presse und Vereinswesen relativ frei entfaltete148, konnte schnell durch kleinere Veränderungen, so z.B. durch die Zensuraufhebung und die Bestellung neuer liberaler Minister, beruhigt werden.149 Bezüglich der Bildung von Landtagen sind jedoch große Unterschiede feststellbar. Teilweise wurden erst im Mai und Juni 1849 entsprechende konstituiert.150

Bei den anfänglichen fürstlichen Beschwichtigungsversuchen konnte es demnach nicht bleiben, da insbesondere an den sich bildenden Industriestandorten, hier insbesondere gefördert durch den wachsenden sozialen Notstand151, regelrechte Revolten von Einzelgruppen angezettelt wurden. Diese verlangten nicht nur eine Öffnung des Staates gegenüber ihren Forderungen, sondern wollten eine demokratischrepublikanische Ordnung durchsetzten.152 Eine republikanische Ordnung wurde von den meisten Thüringern von vornherein ablehnt. Die Schaffung einer Staatsverfassung mit Einflussmöglichkeit der Bevölkerung durch einen Landtag, unter dem Dach einer konstitutionellen Monarchie, war für die meisten hingegen eine realistischere Forderung. Die Abschaffung der Monarchie verlangte der Großteil der Bevölkerung nicht, sondern nach „deren solideren Umbau und die Sympathien für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes, [und sie] […] wünschte Vertrauen zu haben und Vertrauen zu finden zwischen sich und den Steuermännern des Staatsschiffes.“153

Die mögliche Schaffung eines deutschen Einheitsstaates konnte den Verlust der Souveränität der Thüringer Staaten bedeuten. Die Regierungen von Sachsen-Meiningen und von Sachsen-Weimar-Eisenach forderten daher einen Bundestag, der die Mitsprache der Einzelstaaten und damit deren Eigenständigkeit sicherte und anerkannte.154 Dennoch konnten sich eben diese Staaten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen, sondern suchten im Einzelfall ihre je größeren Bündnispartner. Sachsen-Altenburg und die reußischen Länder orientierten sich dabei stark an Sachsen. Auch in den ernestinischen Staaten verbreitete sich die Auffassung, dass ein Anschluss an Sachsen besser sei, als im neuen Machtgefüge Deutschlands aufzugehen.155 Großherzog Carl Friedrich (1783-1853, reg. 1828-1853)156 von Sachsen-Weimar-Eisenach klagte darüber: „Wir laufen Gefahr, mit den kleinen Fürsten von Reuß, von Schwarzburg p.p. in eine Masse und bedeutungslose Kategorie, noch mehr als bisher geknetet zu werden.“157

Kleinstaaterei in ihrem überkommenen Sinne stellte in diesem Zusammenhang keine Zukunftsoption dar. Dass ein Anschluss an Sachsen jedoch deutlich die albertinische Linie bevorzugt hätte und somit keine Einheit der Wettiner bedeutete, sondern das Ende der ernestinischen Macht, wurde schnell deutlich und ließ solche Pläne wieder verschwinden.158 Verhandlungen zur Bildung eines größeren Staatenkomplexes159 bzw. der grundsätzlichen Zusammenarbeit, gingen jedoch zwischen den Thüringer Staaten weiter, insbesondere durch den Weimarer Minister Christian Bernhard von Watzdorf (1804-1870).160 Auf Ministerialkonferenzen der Thüringer Kleinstaaten vom 15./16. Dezember 1848 und vom 3. bis. 5. Januar 1849 wurde die Bildung eines größeren Staatengebildes debattiert, jedoch nicht zu einem erfolgreichen Abschluss geführt, denn letztlich waren die Staaten nicht bereit ihre Selbstständigkeit aufzugeben und eine sich abzeichnende übergroße Führungsstellung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenachs zu akzeptieren.161

 

Zu den eher hypothetischen Verhandlungen der Nationalversammlung in Frankfurt über die Zukunft der Deutschen Kleinstaaterei, kamen, nach einer eher ruhigen „Frühphase“ der Revolution, konkrete revolutionäre Aufstände hinzu, die sich im Sommer 1848 auch in Thüringen manifestierten. Extreme demokratische Vereine versuchten eine republikanische Ordnung durchzusetzen und schufen damit auch im demokratischen Lager große Differenzen.162 Die Revolution kippte, indem eine neue restriktivere Haltung durch die Staatsorgane ausgeübt wurde und so gesamtdeutsche Verfassungs- und Einheitsfortschritte immer unwahrscheinlicher erschienen. So genannte Reichskommissare waren fortan für die Ordnung in Deutschland, auch in den Thüringer Kleinstaaten, verantwortlich.163

Letztlich entschieden wurden die Anliegen der Revolution zwischen der Frankfurter Nationalversammlung und der preußischen Regierung. Die Schaffung eines vereinten Deutschlands scheiterte an der Uneinigkeit der Nationalversammlung und an der ablehnenden Haltung König Friedrich Wilhelms IV. (1795-1861) von Preußen diesem neuen Deutschland vorzustehen.164

Die Bemühung, die deutschen Bundesstaaten zu einem vereinigten Deutschland zusammenzuführen, hielt in den nächsten Jahrzehnten an, wurde jedoch zunehmend von oben herab gelenkt. Preußen konnte sich in Folge des Deutschen Krieges nach 1866 als die bestimmende Macht in Deutschland herausstellen und damit selbst die Bedingungen eines vereinigten Deutschlands, ohne jeglichen Druck durch ein revolutionäres Volksbegehren, diktieren.165

Nach dem Sieg Preußens und dessen Bündnispartner166 im Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 nutzte Bismarck die aktuelle Stärke Preußens, um eine Reichsgründung unter preußischer Oberhoheit zu ermöglichen. Im Spiegelsaal von Versailles wurde am 18. Januar 1871 König Wilhelm I. zum Kaiser eines geeinten Deutschen Kaiserreiches, unter Ausschluss Österreichs, ausgerufen. Preußen erhielt eine herausragende Bedeutung im Reich und konnte diese bis 1918 halten.

2.2 Industrialisierung und Wirtschaftsreform

Neben den sich verändernden politischen Rahmenbedingungen waren insbesondere die wirtschaftlich-industriellen Umformungsprozesse sowohl für die gesellschaftliche Struktur Thüringens, als auch für die Entwicklung katholischer Gemeinden wichtig.

Die Thüringer Wirtschaftspolitik war bis ins frühe 19. Jahrhundert durch den Kameralismus geprägt, der vom Landesherrn und dessen Ministerien gelenkten Förderung von Landwirtschaft und Produktionsgewerbe. Allerdings konnte diese landesherrlich gelenkte Ordnungsform kaum den Anforderungen eines freien Wirtschaftswachstums, getragen durch Privatinitiativen, entsprechen.167 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm die Erteilung von landesherrlichen Privilegien und Konzessionen an privat motivierte Geschäftsgründungen erheblich zu.168 Der Kameralismus kam damit an seine Grenzen.

Als hemmend für den wirtschaftlichen Aufschwung erwies sich die bestehende kleinstaatliche Landesstruktur.169 Nur die Schaffung eines größeren Wirtschaftsgebiets, das Zollgrenzen überwand, konnte dem abhelfen. Dies widersprach aber schon im Grundansatz der kleinstaatlichen Souveränitätspolitik, so dass 1818 ein Anschluss an den neu gebildeten preußischen Zollverband nicht erreicht wurde. Die Nachteile zeichneten sich schnell ab: Die bis dato durch Thüringen verlaufenden Handelsrouten wurden zu Jahrhundertbeginn ebenso gemieden wie der thüringische Absatzmarkt selbst, der sich für Außenstehende nur noch wenig rentierte.170

Die Notwendigkeit einen größeren Wirtschaftsraum als den eigenen, nur den Kleinstaat umfassenden zu schaffen, war drängendes Kriterium für die wirtschaftliche Weiterentwicklung im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Zunächst versuchte man einen eigenen Zollverein zu begründen, der, wenn auch kleiner, zumindest einen neuen größeren Wirtschaftsraum begründen konnte, der am 24. Oktober 1828 im „Mitteldeutschen Zollverein“ geschaffen wurde.171 Seine Funktion als wirtschaftliches Abwehrbündnis, gebildet nicht nur aus den Thüringer Kleinstaaten, sondern auch dem Königreich Sachsen, dem Königreich Hannover, dem Kurfürstentum Hessen, den Herzogtümern Hessen-Nassau und weiteren Staaten und Städten, gegenüber preußischer Überlegenheit, konnte letztlich nur hemmend auf Handel und Wirtschaft wirken.172 Erst eine Umgestaltung unter preußischer Diktion im 1833 gegründeten „Zoll und Handelsvereins der Thüringischen Staaten“ brachte den wirtschaftlichen Durchbruch, trotz der vorherigen politischen Vorbehalte, die jedoch den wirtschaftlichen Anforderungen zunehmend untergeordnet werden mussten.173 Der am 1. Januar 1834 gegründete Deutsche Zollverein war durchweg preußisch geprägt, brachte damit aber auch die Öffnung für zahlreiche auswärtige Handelsbeziehungen.174

Der erweiterte Absatzmarkt und die bessere Einbindung der Thüringer Produktionsstätten boten reichliches wirtschaftliches Wachstumspotential in der frühindustriellen Phase. Kleinere Handwerksbetriebe gingen immer mehr zu einer technisch orientierten Großproduktion über. Neue Herstellungsverfahren, insbesondere die Einführung von Großmaschinen und neue Arbeitseinteilungen ließen allmählich alte familieneigene Produktionsstätten eingehen und großgewerbliche Manufakturen bis hin zur technisierten Fabrikation entstehen. Diesen Endzustand einer industriellen Struktur zu erreichen gelang in Thüringen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Die ländliche Struktur des Landes blieb grundsätzlich erhalten, obwohl sich insbesondere die Residenzstädte zu wachsenden Industriezentren entwickelten.175 Neben dem bedeutenden Textilgewerbe, das die mechanische Produktion von Wollkämmerei, Garnerzeugung, Weberei und Wirkerei zur Blüte brachte, etablierten sich weitere Produktionszweige. Die Glasherstellung wurde zu einem bedeutenden Industriezweig in den Regionen des Thüringer Waldes, insbesondere um Lauscha.176 Neben der Glasproduktion wurde die Porzellanherstellung etabliert.177

Nach den revolutionären Unruhen in Deutschland 1848/1849 begann die eigentliche Industrialisierung, die in ihrem Wachstum die Gesellschaft grundlegend veränderte. Auch in Thüringen wuchsen die Städte, die zum Anziehungspunkt für Arbeitssuchende wurden. Unternehmensgründungen mehrten sich und im Gegenzug sank die Bevölkerungszahl zahlreicher ländlicher Regionen.178 Zugleich veränderte sich die gesellschaftliche Zusammensetzung durch Zuzüge, eben auch katholischer Bevölkerungsteile.

Um 1870 trat auch Thüringen in die Phase der Hochindustrialisierung. So waren um 1880 nur noch etwa die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft tätig.179 Gefördert durch die regionale Politik entwickelte sich ein reiches Wirtschaftsleben, das anderen Regionen im Reich weit voraus war. Insbesondere die Nähe zum wirtschaftlich starken Sachsen mag hierbei eine wichtige Rolle gespielt haben. Trotz der allgemeinen industriellen Entwicklung stellen sich in der staatlichen Politik interessante Gegensätze dar. Kleinstaatlichkeit ging einher mit wirtschaftlicher Offenheit und Industrieförderung und einem daraus hervorgehenden Bevölkerungswachstum.180

3. Katholische Kirche im 19. Jahrhundert – Strukturelle Veränderung, geistliche Prägung und politisch-gesellschaftlicher Konflikt

Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Umbrüche. Besonders für die katholische Kirche ergaben sich tiefgreifende Veränderungen. Die Ereignisse im Rahmen der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und der Säkularisation führten zum Ende der alten Reichskirche.181 Für Deutschland bedeutete dies vor allem, dass katholische Kirche aufhörte, eine staatsbildende Größe zu sein.

Säkularisation und Mediatisierung

Im Jahr 1802 begann die Aufhebung vieler Klöster und geistlicher Einrichtungen in den von Frankreich besetzten linksrheinischen Gebieten. Am 24. März 1803 beschloss der Reichstag den in Regensburg erarbeiteten Reichsdeputationshauptschluss, der vom Römisch-Deutschen Kaiser Franz II. am 27. April des Jahres ratifiziert wurde.182 Damit wurde das Ende der geistlichen Gebiete im Reich und auch vieler kleinerer weltlicher Territorien, insbesondere der meisten Reichsstädte, von denen nur Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Bremen, Lübeck und Hamburg erhalten blieben, beschlossen.183 Die entsprechenden Territorien wurden als Ausgleich für den Verlust linksrheinischer Gebiete weltlicher Fürsten deklariert. Insgesamt 19 Fürstbistümer und 44 Abteien wurden in Folge säkularisiert, 112 Reichsstände und 41 Reichsstädte mediatisiert.184

Die „angemessene“ Entschädigung für den Verlust linksrheinischer Gebiete weltlicher Herrscher ging weit über das entsprechende Maß hinaus und zeigt deutlich den tatsächlichen Charakter des Beschlusses: Die festgelegte Neugliederung des Reiches diente einzig der Machtsteigerung einiger weltlicher Regenten, denn die Gebietszuwächse entsprachen nicht den durch Frankreich erlittenen Gebietsverlusten. Als Beispiel hierfür kann Preußen herangezogen werden: Preußen verlor in den linksrheinischen Gebieten 48 Quadratmeilen mit der dortigen Bevölkerung von etwa 120.000 Personen, erhielt jedoch einen Ausgleich von 235 Quadratmeilen und damit einen Bevölkerungszuwachs von über einer halben Million Menschen.185 Die Säkularisation führte zum „…Zerfall des ganzen tausendjährigen katholischen Reichskirchenverbandes, der Bistums- und Provinzialorganisation, dem alsbald die Auflösung des Heil. Römischen Reiches selbst folgte186.

Weit über Deutschland hinaus verlor die Kirche ihre bisherige machtpolitische Stellung. Auch in ihrer Kompetenz den Menschen ein schlüssiges Weltbild darzulegen, büßte sie stark ein, denn nicht Kirche und Evangelium, sondern Vernunft und das Gefüge eines aufgeklärten Staatensystems sollten fortan das gesellschaftliche Miteinander vermehrt prägen.187

Unter Napoleon wurden Kirche und Papst zum Spielball der weltlichen Politik.188 Zugleich wurde dem Papsttum der Raum geschaffen, eine neue Form der Einflusspolitik zu etablieren, denn durch das französische Konkordat aus dem Jahr 1801 konnte die Kirche eine Brücke bauen, „über die das päpstliche Recht in Europa, auch in Deutschland, von neuem Einzug hielt.“189

Der Verlust der alten bischöflichen Ordnung, die nicht mehr existierende Reichskirche und der entschiedene Souveränitätsanspruch der Territorialstaaten, ließen nicht nur eine deutsche Nationalkirche möglich erscheinen190, sondern hoben im Gegensatz dazu auch Rom und das Papsttum in eine neue Rolle als Verhandlungspartner den Staaten gegenüber. Diese waren es, die durch ihren Territorialismus letztlich die Bestrebungen zur Bildung einer deutschen Einheitskirche verhinderten.191 Das Papsttum wurde zum Neuordner der deutschen Kirche in Verhandlung mit den Einzelstaaten.192 Hinzu trat eine aufkommende Symphatisierung der deutschen Katholiken mit dem Papst gegenüber einem überzogenen Staatskirchensystem, das die meisten Einzelstaaten bis zur Mitte des Jahrhunderts vertraten. Sowohl in der katholischen Bevölkerung, als auch unter den Bischöfen kam es zu einem wachsenden „Schulterschluss“ mit Rom.193

Jurisdiktionelle Neuordnung der katholischen Kirche

Der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und der Untergang der alten Reichskirche194 stellten einen Abbruch in der bisherigen kirchlichen Verwaltungsstruktur dar. Deren Neuordnung konnte durch den ausgeprägten Föderalismus der deutschen Einzelstaaten nicht einheitlich verlaufen, sondern machte Einzelregelungen zwischen Kirche und Territorialstaat erforderlich.195 Die bisherige Verwaltungsstruktur der katholischen Kirche in Thüringen war an das Erzbistum Mainz gebunden. Am 1. Mai 1805 verfügte Papst Pius VII. (1742-1823) die Translation des Erzbistums Mainz nach Regensburg, so dass Carl Theodor von Dalberg (1744-1817) künftig Erzbischof von Regensburg war und die Mainzer Gebiete entsprechend zugeordnet wurden.196 Für die Katholiken der Stadt Erfurt und des Eichsfelds blieb demnach grundsätzlich die Verbindung zu Mainz bestehen.197

 

Im Umstrukturierungsprozess der preußischen Bistümer198 ab 1821 wurden die Stadt Erfurt, das Eichsfeld und das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach einbezogen. Ein Konkordat, welches das Miteinander, die Rechte und Pflichten von Staat und Kirche regelte, konnte für Preußen nicht erreicht werden.199 Um dennoch dringende Fragen, insbesondere die der Diözesanzugehörigkeit zu klären, einigten sich die Verhandlungspartner auf die Erstellung einer Zirkumsskriptionsbulle.200

Am 16. Juli 1821 erging die Bulle „De salute animarum“, die betreffs Thüringen festlegte, dass die Gebiete „…von der Diözese Maynz […] sammt der Stadt Heiligenstadt mit ihrem Dekanate […] und der Stadt Erfurt mit den drey vorstädtischen Pfarreien, wie auch die Pfarreien des Großherzogtums Weimar…“201 dem Bistum Paderborn202 zugeordnet werden.203 Bereits einen Monat später, am 16. August 1821, wurde in der Bulle „Provida solersque“, welche die neue oberrheinische Kirchenprovinz umschrieb, eine andere Zuordnung der Weimarer Gemeinden vorgenommen.204 Die Bulle bezieht sich dabei auf die besondere Situation der Rhön: „Mit der nämlichen Fuldaer Diöcese lassen Wir noch neun Pfarreien im Großherzogthume Sachsen-Weimar vereinigt…205. Diese erneute Übertragung fand ohne Rücksprache mit der Weimarer Regierung statt, was zu erheblichen Auseinandersetzungen führte, die im entsprechenden Abschnitt zu den Rhöner Gemeinden näher dargestellt werden.

Die Herzogtümer Coburg, Gotha und Meiningen, sowie die Fürstentümer zu Schwarzburg und Reuß wurden in die Bistumsneuumschreibungen nicht mit einbezogen. Eine entsprechende Zuordnung wurde durch die Staatsregierungen mit den Bischöfen von Paderborn, Würzburg und Bamberg ausgehandelt.206

Ultramontanismus

Das Papsttum wurde als legitime Instanz anerkannt und für den Abschluss von Konkordaten und Konventionen, in denen die Staaten so weit wie möglich ein ihnen genehmes Staatskirchentum zu etablieren suchten, umworben.207 Besonders der Anspruch deutscher Staaten am je eigenen Staatskirchensystem festzuhalten208 und somit Einfluss auf die katholische Kirche in ihren Territorien zu nehmen, stärkte den Zusammenhalt von Papst und deutschen Katholiken, die, auch bedingt durch eine neue Form der religiösen Begeisterung, für ihre Kirche eintraten.209

Die katholische Kirche in Deutschland wandelte sich nicht nur in ihren Strukturen, sondern auch in ihrer geistigen Grundauffassung. Die Suche nach Glaubenstiefe und Sinngebung führte zu einer verstärkten Rezeption der katholischen Lehre und dem Wiedererstarken katholischer Glaubenspraktiken, die die katholische Aufklärung zuvor verworfen hatte.210

Der zunehmende Einfluss des Papsttums in Deutschland machte sich besonders an der Erscheinung des Ultramontanismus fest.211 In einer eher distanzierten Haltung zu Welt, Gesellschaft und politischem Zeitgeist standen die Ultramontanen auch in einer gewissen Opposition zum Staat, insbesondere zum Preußen Bismarcks. Hierin zeichnet sich eine grundsätzliche Kluft zwischen den Gedankenwelten auf. Der im Lauf des Jahrhunderts immer stärker werdende Nationalismus212, der nationalspezifische Charakteristika extrem betonte und versuchte Religion in einem „völkischen Sinne“ zu verstehen, womit zumindest eine Unterordnung kirchlicher Verantwortung unter die staatliche verstanden wurde213, trat in scharfen Gegensatz zum übernationalen Anspruch des Papsttums auf Eigenständigkeit und Letztverantwortung für alle Katholiken.214 In Verbindung mit den Gedanken des Liberalismus, der im Kirchenstaat ein Antimodell zum idealen Staatswesen sah und durch die Kirche im „Syllabus errorum“ Papst Pius’ IX. (1792-1878) verworfen wurde215, wurde die Kirche im preußisch geprägten Deutschland als ein „Relikt des Volksbrauchtums216 betrachtet, das sich der weltlichen Macht klar unterzuordnen habe. Der staatliche Machtanspruch, gestützt durch eine protestantische Staatsauffassung217, die zu großen Teilen jedoch nur eine vordergründige war218, führte nicht nur zur Opposition des Papstes, sondern auch zur Verweigerungshaltung großer katholischer Bevölkerungsteile.219

Die Katholiken vertraten dabei jedoch nicht eine „Anti-Haltung“, sondern brachten sich in das politische Geschehen ein. Dabei verbanden sich Papsttreue, Eigeninitiative katholischer Laien und politisches Tagesgeschehen miteinander. Durch die Etablierung eines ausgeprägten katholischen Vereinswesens schufen engagierte Katholiken einen Rahmen, der nicht nur für das katholische Gemeindeleben, sondern auch für das gesellschaftliche, soziale und politische Wirken der Kirche bedeutsam war.220 Im Revolutionsjahr 1848 wurde der „Katholische Verein Deutschlands“ gegründet, der die Interessen der Deutschen Katholiken, in Treue zu Rom und den Bischöfen, im sich entwickelnden Parlamentarismus vertreten sollte.221 In der Zweiten Preußischen Kammer entstand zunehmend ein katholischer „Block“, der als Zentrumspartei ab 1859 politischen Einfluss nahm.222 Die deutschen Bischöfe, versammelten sich erstmals vom 22. Oktober bis 16. November 1848 in Würzburg, um sich über die verändernde politische Lage auszutauschen.223 In einer Denkschrift setzten sie sich dabei für die Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Staat ein, nicht jedoch für eine Trennung von Staat und Kirche, die davon zu unterscheiden ist.224

Die Beschlüsse des Ersten Vatikanums verschärften ab 1870 das spannungsvolle Miteinander von vielen deutschen Staaten und katholischer Kirche und sorgten für große Empörung, insbesondere auf politischer Ebene. Der „…nationalprotestantische Taumel im Gefolge des Sieges von Sedan…“225 traf auf universalen päpstlichen Anspruch. Größer konnte der Widerspruch zwischen Kirche und Staat kaum sein.

Ist vom Staat die Rede, so muss doch bemerkt werden, dass auch das 1871 gegründete Deutsche Reich föderalistisch geprägt war. Die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche mussten demnach regional verschieden sein. Im Hinblick auf Mitteldeutschland sind daher insbesondere die preußischen Gebiete von Bedeutung.226 Die Interessen der Katholiken wurden auf politischer Ebene in besonderer Weise durch besagte Zentrumspartei vertreten.227 Katholiken, Ultramontanismus, päpstlicher Autoritätsanspruch, gekennzeichnet durch die Beschlüsse des Ersten Vatikanums und die Zentrumspartei, wirkten von außen wie ein einziger katholischer Block, der den nationalen Definitionen des preußisch-protestantischen Deutschlands228 widersprach und in das Staatssystem Bismarck nur schlecht zu integrieren war.229 Auch gegenüber dem sich ab 1860 immer stärker etablierenden politischen Liberalismus wirkten die Interessen und Auffassungen der Katholiken weiter distanzierend.230

Der Zentrumspartei und damit letztendlich den Katholiken wurde vorgeworfen, dass sich in ihrer Mitte separatistische-partikularistische Kräfte versammelten, die letztlich im Interesse ausländischer Mächte (Papst, Frankreich, Österreich) handelten. Die katholische Kirche war international geprägt und musste einen überzogenen Nationalismus deutscher Prägung ablehnen.231 Katholizismus, Zentrumspartei und Papsttum waren mit den politisch-gesellschaftlichen Erwartungen Bismarcks einfach inkompatibel.232

Kulturkampf

Der Entschluss Bismarcks zum Kulturkampf233 gegen die katholische Kirche in Deutschland lässt sich letztlich an fünf Punkten festmachen: Der Widerspruch zur geltenden nationalprotestantischen Staatsausrichtung, der skeptischen Haltung Bismarcks gegenüber allem Katholischem, den Beschlüssen des Ersten Vatikanums bezüglich päpstlicher Unfehlbarkeit und Jurisdiktionsprimat, der Gründung einer dezidiert katholischen Partei – dem Zentrum – und in einer, durch diese Faktoren bedingte Stigmatisierung der deutschen Katholiken als Reichfeinde, die, sicherlich auch geprägt durch den Ultramontanismus, damit letztlich unter einen Generalverdacht gestellt wurden.234