Damals im Café Heider

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Das hockte da auf 200 Quadratmetern zusammen und brodelte jeden Abend vor sich hin

Andreas Hampel, Fotograf

Ich bin in der Proletenstadt Magdeburg geboren. 10 Klasse POS, wenn meine Mutter sich nicht so gut mit meinem Klassenlehrer verstanden hätte, wäre ich ein paar Mal nicht versetzt worden, weil ich so ein böser Junge war. Wir klauten lieber Mopeds und besoffen uns in den Kneipen mit 15, 16, als an der Schule teilzunehmen. Das führte zu zweifacher Vorstrafe, einem Vierteljahr Knast wegen Mopedklauens und Kneipenkloppereien. Meine Vorstrafen sind noch zu Ostzeiten gelöscht worden. Im Zuge dieser rüden Pubertät hatte ich Kontakt zu einer Jungen Gemeinde in Magdeburg und fand das spaßig und interessant. Weil man da relativ offen sein konnte. Ein lieber Diakon in Neustadt. Für mich war das faszinierend: Dass ich sagen kann, was ich will. Dieses Doppelleben, was man sonst zu führen hatte... Meine Mutter hat mich ständig herbeten lassen, wie die Fernsehuhr aussieht: Punkte, keine Striche. Die Lehrer stellten Fangfragen. Ich hab natürlich nur Striche gesehen, aber das hätte mir nicht rausrutschen dürfen. Ich lernte Zootechniker, wollte im Magdeburger Zoo arbeiten. Hab aber festgestellt, wie es da hinter den Kulissen aussieht – die Tiere taten mir leid, ich hätte die am liebsten rausgelassen, und fertig. Knochenarbeit für 525,- Mark plus Überstunden. War eine interessante Zeit, bin aber nach einem Vierteljahr raus. Wechselte planmäßig alle Vierteljahr den Job, weil ich das interessant fand. Das war im Osten kein Problem. Da gab’s ein Arbeitsamt in Magdeburg, da saß eine nette alte Dame an einem Holztisch mit einem Karteikartenkasten, die fragte mich: Wie viel willst du verdienen, und wie lange willst du dafür arbeiten. Recht offenherzig. Ich wollte wenig arbeiten und viel verdienen. Also Schädlingsbekämpfung, da verdiente man viel, weil man mit Giften zugange war. Und das hat meine Karriere als Kleinmöbelhändler befördert, weil wir im Winter über die Dörfer liefen und Rattengift verkauften pro Grundstück, musste jeder abnehmen, war eine Pflicht, wie in der Gewerkschaft zu sein. Drei Mark fuffzich, Tüte Rattengift. Und ich musste auf den Speicher und nach Ratten gucken. Da standen die alten Gründerzeitschränke. Wenn es sich lohnte, haben wir das den Bauern abgeschwatzt und aufgemöbelt und verscheuert. Das hatte keine Profidimensionen. Aber das Dreifache vom normalen Arbeitslohn war locker drin. Kohle machen – kein Problem. Wer im Osten regulär arbeiten gegangen ist, der hat was falsch gemacht.

In Potsdam bin ich bei der DEFA erst als Kleindarsteller, später als Kaskadeur beschäftigt worden. Da gab es drei Profis und 15 Leute für Kneipenschlägereien und so was. Da hat man affenartig viel Geld verdient. Diesen Thälmann-Mehrteiler drehten wir mit zwei Drehstäben gleichzeitig, damit das zum Thälmanngeburtstag fertig wurde. Da verdiente ich mich dumm und dämlich, war wunderschön. Mal SA-Mann, der einen Juden verkloppt, mal KZ-Häftling... Die Kleinstadt der dreißiger Jahre drehten wir in Buna, das sah alles noch genauso aus, wenn man das Nötigste ausgebessert hatte.

1980-81 sind wir nach Polen, als das streng verboten war, haben bei einer tschechischen Bäuerin unsere Rucksäcke leer gemacht und sind durch den Kuhdrahtzaun nach Polen, da war schon Ausnahmezustand, es war keinem Deutschen mehr möglich, einzureisen. Was ich später erst erfuhr: ein paar Theologiestudenten, die zu der Zeit legal in Polen waren und Solidarnosz-Zeitungen nach Deutschland mitgebracht hatten, kriegten dafür 18 Monate Knast. Zur selben Zeit waren wir illegal in Polen, einfach aus Neugier, was da passiert. Und es passierten Sachen, mir ist die Pumpe stehen geblieben... Kriegsrecht.

Ich klingelte einen Polen raus, zehn D-Mark, dafür nahm der uns nach Krakau mit, da kannte ich mich am besten aus. Unterwegs verkauften die noch groß Blaubeeren, und wir hatten bloß Schiss, entdeckt zu werden, wollten schnell in die Anonymität der Großstadt eintauchen, und die hielten überall an, nachts um vier, klingelten die Leute raus, um denen ihre Blaubeeren zu verkaufen. Wir wussten erst nicht, was da gespielt wird... Kurz vor Krakau fliegt dem der Auspuff ab, gleich war die Polizei ran, und wir stellten uns schlafend. Die hätten uns ausgewiesen, in der DDR hätten wir wenigstens zwei Jahre dafür gekriegt. Von Krakau brachte ich einen West-Berliner Lehrer nach Auschwitz, bisschen was erzählt, hab ich zweihundert Westmark gekriegt, damit konnten wir gut überleben. Überall die provisorischen Solidarnosz-Büros, überall Lautsprecher, da wurden die neuesten Nachrichten von der Streikfront bekannt gegeben, davor paar hundert Leute, die applaudierten. In den Büros in Warschau, Krakau, Tschenstochau feierten sie uns wie Helden: Wie seid ihr hier reingekommen?! Sie haben unsere Kraxen mit Solidarnosz-Fahnen und Broschüren vollgeschmissen. Nach 14 Tagen sind wir zurück, wieder über diesen Kuhzaun, vorher mit einem Zöllner getrampt, nachts durch den Wald, und wir dachten die ganze Zeit, der hat seinen Leuten Bescheid gesagt, und wir werden jeden Augenblick hochgezogen. Da wirst du hellhörig. Bei jedem Motorgeräusch in den Busch gesprungen. Wir sind in die Slowakei, bei der Oma wieder unser Zeug abgeholt, dann die Frage: Wie das Zeug aus der Slowakei nach Potsdam kriegen. Einen Rucksack haben wir leergemacht und das Zeug dagelassen, es halbiert, im Zug verteilte ich das ganze Papierzeug von Solidarnosz auf die Scheißhäuser, immer ein paar Papierhandtücher vorne stehen lassen, die Flugblätter dahinter, auf bestimmt zehn Klos. So ist dieses Zeug in den Osten gekommen. Die Sticker und Anstecker in die Unterwäsche von meiner Freundin. Die hat geklappert wie ein Weihnachtsbaum. Im Osten alles wieder rausgeholt, ist gut gegangen. Und danach erfuhren wir, dass da zwei 18 Monate abgegangen sind für ein paar Plakate. Na, da wurde uns erst mulmig, die hätten uns gleich nach Sibirien geschickt und fünftausend Kilometer weiter zum Gulagbauen vom Zug geschmissen.

A: Ich war längst nicht so mutig. Aber in diesem polnischen Jahr 81 hab ich auch was riskiert und damit meine DDR-Karriere beendet. Das musste sein.

Da hatten sie richtig Schiss, die Polit-Opas. Es war leichter, was aus dem Westen zu schicken, als von Polen, absolute Nachrichtensperre.

Nach der Wende war ich wieder in Buna, fotografierte die marode Chemieindustrie, irgendwann saß mir die versammelte alte Betriebsleitung gegenüber, um die Fragen des „Westjournalisten“ zu beantworten..., war das komisch. Mit Sekretärin und allem. Ich wollte nur ein paar Fotos machen von diesem völlig verrotteten Werk.

Das Heider zwischen Abrissviertel und den Behausungen der Künstler und Bohemiens war einfach günstig gelegen. Es hatte eine Inneneinrichtung, wo nichts stimmte. Skurril diese Mischung aus DDR-Möbeln und Wiener-Café-Anklängen und Kitsch in der Mokkastube. So waren die Leute: Zentrale für Randgruppen aller Art, Trinker, Punks. Auch helle kritische Köpfe und immer mal eine Meute Touris aus West-Berlin: die wussten nun gar nicht mehr, wo sie waren, aber das brachte wieder eine andere Mischfarbe dazu. Sehr schräg. Im Osten gab es kaum Läden, wo ein bisschen Subkultur gelebt werden konnte ohne Sanktion. In der Kirche gab’s das und als Ausnahme im Heider.

A: Bei der HO haben Gäste eher gestört, Heider hat an seinen Gästen verdient, sie waren ihm nicht unwillkommen. Was dem Gast schmeichelt, der sonst wenig schmeichelhaftes erfährt.

Die Bedienung war schon herb, die Tobsuchtsanfälle von Christa Köhler... Ich ließ meinen Köter zur Mundharmonika heulen in der Mokkastube, bloß damit Christa Köhler mal wieder schreiend nach hinten kam und man seine Bestellungen loswerden konnte. Unvorstellbar schräg, schräger als in jedem Kreuzberger Kellerladen. Hab ich im Westen nie erlebt so was. Mit Ausnahme dieser Hinterhofläden im Prenzlauer Berg kurz nach der Wende. Da sind eine Zeitlang ähnliche Dinge gelaufen, als das schwammig war, wie es weitergeht. Aber nur im Heider gab es diese Mischung aus Irren aller Kategorien und normalen Kaffeetrinkern und Kuchenessern. Das hockte da auf 200 Quadratmetern aufeinander und brodelte jeden Abend vor sich hin. Es war selten langweilig. Weil ständig was passierte. Diverse Auftritte. Es gab Lehrer, die zum Schachspielen kamen, Kulissenschieber, studierende der Gemeindepädagogik, die wieder in Fundis und Ketzer unterschieden. Kreative Typen, Schriftsteller, Liedermacher, Maler, Sten Preuß., Jörg Niebelschütz., Krone. Es gab Fotoausstellungen in Privatwohnungen. Wir machten Straßentheater: Am 7. Oktober mit rotgeschminktem Gesicht über die Straßen gehen und mal die Reaktionen abwarten. Wir wollten mit leeren Plakaten am Ersten Mai teilnehmen und, falls jemand fragt, den Leuten Stifte in die Hand drücken: Schreibt doch drauf, was euch gefällt. Einmal trugen sie mich in einer Sänfte über den Broadway, haben sich vor mir gebeugt und flachgelegt: „Der König kommt, der König kommt!“ – Elflein-Straße sind wir rein, und als die Meute groß genug war, 300 Leute oder mehr, fing ich an, die aktuellen ND-Schlagzeilen zu deklamieren. Brüllend. Ohne Kommentar. Da war Hochspannung, alle dachten, jetzt kommt die große Brandrede zum Volksaufstand. Als das erste Bullenauto auftauchte, haben wir uns relativ schnell verpisst. Zwei von unseren großen Mitmachern waren richtig hauptamtlich bei der Stasi. Deshalb waren die Bullen so schnell ran.

Vögeleien waren einfach unkomplizierter, in meiner Studienzeit war ich allerdings drei Mal beim H-und-G-Arzt wegen Tripper. Aber die ganze Partymeute auch, das war also durchaus normal. Bei Heider war um 10 Schluss, in irgendeiner von diesen Lotterbuden verpassten wir uns die finale Flasche, und irgendwelche Leute, die sich mochten, zogen sich in eine dunkle Ecke zurück und machten da ihr Nümmerchen. Oder so. Das sprach sich schnell rum, wenn so was stattfand. Ich hatte mit West-Berliner Mäuschen zu tun, die zufällig im Heider gestrandet waren. Der Unterschied zu heute ist eine damals direktere Form der Annäherung zwischen den Geschlechtern. Kein langes Abchecken, keine Kennlerngespräche, die doch zum selben Ergebnis führten. Man konnte einfach sagen: Ich würd’ gern mit dir schlafen, und wenn das auf Gegenliebe gestoßen ist, war’s gut. Heute hängt da ein viel zu großer Apparat an Sicherheitsdenken dran, Zukunftsangst und all der Quatsch, den einem die Wirtschaft aufdrängt, und der die Leute kaputtmacht. Man ist mit einem Wust von Dingen befasst, die mit einem nichts zu tun haben.

 

Geheiratet haben wir wegen Wohnung und Ehekredit. Ich war viel zu grün dafür. Unsere Tochter war kein Wunschkind, aber im Osten war das kein Problem, ein Kind zu haben. Wir wohnten traumhaft, drei riesengroße Altbauzimmer in der Charlottenstraße, Parkett, Stuck, wunderbar. Für 125 Mark. Im Frühjahr und Herbst musste man aufs Dach und flicken. Aber die Dachwohnung darüber konnten wir illegal mitnutzen.

Im Heider kam man täglich vorbei, das gehörte sozusagen zur Wohnung dazu, war ein Teil unserer großen Kommune. Es war ein Gemeinschaftsraum, der zu unseren verschiedenen Wohnungen gehörte, ein Treffpunkt eben. Da wurde ernsthaft diskutiert, aber wir wussten, dass wir vieles nicht sagen konnten, da waren, wie sich später herausgestellt hat, überall Richtmikrophone in der Zwischendecke. Und zwischen uns saßen Informanten, schon um rauszukriegen, wer als nächstes einen Ausreiseantrag stellt oder die nächste illegale Lesung plant. Wir waren keine Leute, die Morgens noch die Druckerschwärze vom Flugblattdrucken unter den Fingernägeln hatten. Es hatte was Pubertäres. Da gab es keine Umstürzler wie zum Beispiel im Slavia in Prag. Eher ein Spaßort. Und zum Spaß gehörten diese kleinen illegalen Aktionen. Zum Beispiel sind wir mal zu dem Ort gegangen, wo die Potsdamer Synagoge gestanden hatte. Da gab es keinerlei Zeichen. Wir sind – ein paar Gemeindepädagogen mit Leuten aus der jüdischen Gemeinde Berlin – da hingezogen und haben Windlichter hingestellt und Totengebete gesungen. Die Stasi war sofort da, wir haben uns, wie abgesprochen, auf getrennten Wegen von dem Ort entfernt. Da hatte jeder einen Stasimann am Hacken. Der Effekt war, dass einen Tag vor dem 9. November im nächsten Jahr im Seminar angerufen wurde: Sie können ihre Leute zu Hause lassen, die Stadt hängt jetzt was auf. Die Stadt hat da eine Gedenktafel aufgehängt.

Also: Keine RAF, keine Honecker-Attentate. Aber Schreiber, Maler, Fotografen, Theaterprojekte. Wartesaal und Entwicklungskammer. Roger und ich, wir schmiedeten jahrelang neue Fluchtpläne, das war so ein Sport. Ich hatte einen Ausreise-Antrag gestellt und eben meine Zeit zu warten. In dieser Zeit hat man nachgedacht über Ballons. Roger durfte seinen behinderten Stiefvater in den Westen begleiten und kam nicht wieder. Und ich bat meine damalige Freundin Anna, mir einen Ballon zu nähen, die war Textilgestalterin, sie hätte das gemacht. Jedoch kam dann dieser Ostberliner in Steglitz runter, mit leerem Ballon schlug er wie ein Stein in irgendeinem Vorgarten auf. Der hatte sich einen Ballon gebastelt. Man konnte die Dinger schlecht vorher ausprobieren. Er hatte einen Heißluftballon, aber ohne Ablassdüsen, jedenfalls stieg der höher, bis er hoch oben in dünner, kalter Luft zusammenklatschte und runterkam. Wie eine Bombe im Steglitzer Vorgarten – genau das wollte ich nicht. Schon nach Steglitz, aber nicht auf die Weise.

Ich wollte über Südostpolen, die Beskiden, nach Russland, von da über das Schwarze Meer in die Türkei, ich dachte, das ist so ein skurriler Umweg, das müsste relativ einfach sein.

Mit Roger dachten wir uns die verrücktesten Sachen aus. Wir arbeiteten beide bei der DEFA, da stand ein „Ural“ rum, ein schwerer russischer Militär-LKW, der hatte die Stromgeneratoren für die Außendreharbeiten geladen. Auf der Landkarte haben wir die langen Geraden Richtung Mauer ausgeguckt, so ein Uri braucht Anlauf, um auf wenigstens 70, 80 zu kommen. Wir baten einen Freund in West-Berlin, auszugucken, wie es auf der anderen Seite aussieht, wir wollten nicht gerade in einen Kindergarten einschlagen mit unserm Uri. Das hat der für uns geklärt. In Kleinmachnow hatten wir eine lange Gerade im Auge, das Problem waren die mördergroßen Blumentöpfe, sehr hohe Töpfe, aber mit Stiefmütterchen bepflanzt. So viel verstehe ich von der Gartenarbeit, dass ich weiß, was Stiefmütterchen brauchen. Wir dachten also: Na klar, Vollbeton und ein Fingerbreit Erde. Wir haben’s gelassen. Stellte sich nach der Maueröffnung als weise Entscheidung heraus. An diesen Blumentöpfen hätte sich unser Chassis vom Fahrwerk gelöst, das Fahrwerk wäre kleben geblieben, wir im Chassis durch die Mauer gehammert. – Und das wäre noch die günstigste Variante gewesen. Wir wollten das aber überleben. Naja, irgendwann ging das mit Ungarn los, da bin ich mit meiner damaligen Freundin nach Ungarn, so wie alle. Zugfahrkarte – und das war’s.

Das Heider war eine wilde Mischung aus fast allem: Intellektuelle, Aussteiger, Randgruppen, Touristen. Mitten in Potsdam, im alten, heruntergekommenen Zentrum, wo die wohnten, die nicht in den Neubauten der Peripherie wohnen wollten oder an keine Neubauwohnung rankamen. Das Altstadt-Zentrum wartete mehr oder weniger auf seinen Abriß. Und diese Atmosphäre mit ihren destruktiven und konstruktiven Tendenzen versammelte sich im Heider. Es gab so eine gemeinsame kulturelle Basis: den Osten, das hat diese Atmosphäre geprägt. B. und ich haben einen Tisch mit Wermut-Schoppen voll gestellt und eben aufeinander zu gesoffen, bis keiner mehr was gemerkt hat. Die Meute hat gejohlt und geklatscht, bis ich in eines der leeren Gläser gepisst und es dem B. dazwischenstellte, weil die Farbe passte, ich war zu faul, inzwischen aufs Klo zu gehen, und B. soff das kaltlächelnd aus, obwohl er sofort mitgekriegt hat, dass das kein Wermut war. Mit großer Geste, ohne mit der Wimper zu zucken. Da waren wir schon jenseits der Zurechnungsfähigkeit. Na gut, Pisse ist keimfrei, aber eben eklig. - Hinten wurde gelegentlich gepokert um kleinere Beträge.

Es gab ein Haufen Leute im Osten, die lebten intelligent von den (klaffenden) Marktlücken. Einer hat Alf-T-Shirts gedruckt, hat diese weißen Lappen mit 300% Gewinn auf dem Broadway verscheuert. Ist fast Millionär geworden. Andere machten Schmuck. Ich handelte mit alten Möbeln. Wir sind über die Dachböden der Abrisshäuser, nahmen alles mit, und wenn es die Messingbeschläge waren. Wir sind ins Rote Luch gefahren, auf eine alte Deponie, die 1909 geschlossen worden ist. Da machte man einen Stichgraben, einen Meter tief, und es kam der Müll von 1909 hoch. Weinflaschen, Nippes, eine komplette Porzellan-Kuh, mit Schwanz, die ging für glatte tausend Mark über den Flohmarkttisch. Meine damalige Ehefrau hat Batik-Kleider genäht, das waren Laken mit einem Gummi in der Mitte und zwei Löchern für die Ärmel, das ganze batik-gefärbt. So etwas kostete 125 Mark. Wir machten Dias von Potsdam, an die Wand geworfen, mit Zeichenfeder nachgemalt, koloriert, Passepartout, Seriennummer, und damit die Touristen beschissen: hundert Mark. Das zogen wir im Park Sanssouci ab. Wir lebten goldig, hatten Geld ohne Ende. Und wir hatten Spaß dabei. Wenn der Flohmarkt um zehn losging, waren um zwölf die ersten tausend Mark drin. Viele Heider-Leute machten so was, die wenigsten wollten an der Stanze arbeiten.

Mit Roger hatte ich gewettet, dass ich von der Mokkastube bis zum Tresen und zurück laufe mit einer weißen Pappe in Höhe des Hosenstalls, darauf Senf, eine Scheibe Weißbrot und eine Bockwurst. Bloß, dass die Bockwurst keine Bockwurst war, sondern mein Schwanz. Vom hintersten Platz zum Tresen und zurück, ohne, dass es jemand merkt. Hat funktioniert in diesem Tohuwabohu. Zu vorgerückter Stunde.

Ein Kreis von 150 bis 200 Leuten gehörte einfach zur Heiderbelegschaft. Und die sahen sich da jeden Tag. Es versprach immer, interessant zu sein, es gab wenig Chancen, enttäuscht zu werden, bei so einer Dichte von Leuten ist immer jemand dabei, den man gern sieht. Man konnte zu jeder Tageszeit einmarschieren. Außerdem waren da: Frauen. Eine Endlosgeschichte, stets war irgendwas am Köcheln. Das hatte nie so eine übergroße Schwere. Nicht, dass das nun ein großer Puff gewesen wäre, aber diese Möglichkeit gehörte zur Heider-Atmosphäre dazu. Klar gab es herzzerreißende Beziehungsdramen. Aber das war nicht der Grundton. Der Grundton war: Mal gucken. Wir waren im passenden Alter. Zwischen zwanzig und dreißig. War eine schöne Zeit.

Wir waren vollkommen harmlos

Renate Wullstein

Ich bin in Potsdam aufgewachsen, weil mein Vater hier als Diplomat ausgebildet wurde in Babelsberg, Akademie für Staat und Recht. Ich wurde in ein Wochenheim gesteckt, wie die meisten Diplomatenkinder. Später wohnten wir in Berlin. Anfang der Achtziger kaufte ich mir in Paretz einen Bauernhof, und als wir den wieder verkauft haben, 1986, überlegte ich mir: gehe ich nach Berlin oder nach Potsdam? Da fiel mir ein, dass ich in Potsdam aufgewachsen bin, hatte ich völlig vergessen wegen der vielen Umzüge in meinem Leben. Bin ich also nach Potsdam.

Ich durfte nicht mehr veröffentlichen, seit ich einen Ausreiseantrag zu laufen hatte, mein Mann und ich, wir haben aus der Not eine Tugend gemacht: Keramik hergestellt und verkauft. Und wir sind damit reich geworden... Hier in Potsdam hab ich die Miniaturfiguren auf der Straße verkauft. Eine Stunde verkauft, tausend Mark in der Tasche, die Leute rissen einem das aus den Händen. Und ins Café Heider und Leute eingeladen, ich wußte nicht, was ich mit dem Geld sonst machen sollte. Ich war jeden Tag im Heider. Eigentlich den ganzen Tag. Aber ich sehne mich nicht zurück. Manchmal wünscht man sich, soviel Zeit zu haben für den Austausch mit anderen Leuten, aber es war zugleich entsetzlich, weil wir viel planten und nichts umsetzen konnten. Wir wollten immer schon all das machen, was wir jetzt machen: Galerie, Café, Verlag. Wir wollten eine eigene Infrastruktur aufbauen, wir hatten alles, vom Bäcker über den Anwalt, Schornsteinfeger, Klempner, Künstler sowieso – die traf man im Heider. Wir hätten eine eigene kleine Stadt aufmachen können. Und die haben wir jetzt. All die Leute, die damals planten, haben jetzt diese Geschäfte, erst mal jeder für sich, weil die Existenzsicherung schwierig war nach der Wende, aber wir kommen allmählich wieder zusammen und kooperieren irgendwie. Der Bäcker Isenmann, der eine Zeit in Chile war, jetzt ein Bistro hat, die Malerin Olga Maslo, mit ihr habe ich gleich nach der Wende einen Laden aufgemacht, die Glasgestalterin Astrid Germo, die uns den Laden vermietete. Sie hatte schon zu DDR-Zeiten einmal in der Woche Atelierverkauf; und ich sagte zu ihr: Jetzt ist Kapitalismus, da können wir jeden Tag aufmachen. Also hatte ich mit Olga so eine Art Galerie-Laden. Ihre Bilder haben wir so was von rasend verkloppt, viel zu billig.

Einige sind tot. Jens Bitter, ein Heider-Stammgast, der mir später den Bauernhof abkaufte, kam in Latzhosen, stellte sich vor mir auf und sagte: Willst du mal mein Ding sehen? Vor versammelter Mannschaft. Du Angeber, denke ich und sage: Zeig mal. Fängt der an, die Hose aufzuknöpfen und mir wurde klar, er wird es mir zeigen. Da kriegte ich Panik und hatte Mühe, ihn abzuhalten.

Die Stasi-Geschichte... Alle sahen in ihre Akten: Wer war es? Da gab es wieder ein Auseinanderrücken. Einige sind noch nicht enttarnt, von denen heißt es jetzt: sag keine Namen, nachher stimmt es nicht. Meine Potsdam-Akte habe ich nicht bekommen.

Mein Ex-Mann gehört zum Heiderklüngel, einer der wenigen, die nicht mehr in Potsdam sind. Er restauriert alte Sachen in einem Dorf bei Rathenow. Der hatte das beliebteste Café nach der Wende, das Café Schwarz. Kamin, Gewölbe, Springbrunnen, Terrasse, üppig ausgestattet die Räume, da feierten wir viele Feste, es war immer bis auf den letzten Platz besetzt. Eine Mischung wie im Heider, Künstler, Handwerker, Beamte. Allerdings war das illegal, irgendwann zeigte der Nachbar ihn an, und die Gewoba hat dafür gesorgt, dass er zumacht. Seine Investitionen hat er nicht reingekriegt in der kurzen Zeit, er ist da hoch verschuldet rausgegangen.

Am 7. Oktober 89 war ich dabei, nicht drin, aber ich habs von draußen beobachtet, weil es schon Gerüchte gab, sie wollen das Heider räumen. Ich wollte mit Astrid in die Pilze, sie sagte: Da ist eine Gegendemo geplant, da müssen wir hin. Wir sind also in die Brandenburger – damals Klement-Gottwald oder einfach Broadway, da war schon Polizei und eine Masse Leute, die vom Luisenplatz in Richtung Kirche spazierten. Mein Sohn war sieben, den hatte ich auf den Schultern, sie hatte ihre Tochter auf den Schultern, und wir sind direkt an die Polizeikette ran, die Polizisten sahen zwar ziemlich verunsichert aus, aber mir schlackerten die Knie. So was hatte ich noch nie erlebt. Diese Schieber, Polizeiautos mit Schiebern vorn dran, was heute normaler Alltag ist. – Jedenfalls zitterte ich, und Astrid sagte: Laß uns abhauen, ich hab keine Lust auf Knast. Wir sind also in den Wald, fanden aber keine Pilze, sondern statt dessen Eicheln gesammelt für die Kinder, die in der Schule Eicheln abgeben sollten für die Tiere im Winter. Ich brachte meinen Sohn nach Hause, zu einer Bekannten, und bin noch mal los, zum Heider. Und da war es schon soweit. Ich stellte mich in einen Hauseingang, sah, wie die da runtergesprungen sind von den Autos und das Heider räumten. Zuerst die Bunten, also Punks, Hausbesetzer, die mit den grellbunten Haaren. Ich registrierte, wer drin bleibt. Aber sie nahmen fast alle mit. Die Polizei kam zu uns und wollte uns mitnehmen, ich sagte: Ich komm nicht mit, hab ein Kind zuhause. Die ließen mich in Ruhe, nahmen die beiden Punks neben mir aber mit. Das war für die Punks eher ein Event, manche haben sich gewehrt, sich schleifen lassen, manche haben gewinkt, alle gegrüßt die draußen standen, aber da stand kaum jemand, die Friedrich Ebert-Straße war leer, abgesperrt, die Straßenbahn fuhr nicht, damit sie das Heider in Ruhe räumen können und niemand zusieht.

 

Das Heider war so harmlos. Es gab keine Untergrundbewegung, keine Opposition, wir waren vollkommen harmlos. Wir haben unser Zeug gesponnen, aber Ideen waren ja immer der große Feind. – Das Heider war eine Insel, aber eine, die nur im Osten so sein konnte, wie sie war. Ein paar Leute von uns konnten in den Westen fahren, wenn irgendwer achtzig wurde, oder so. Stöckmann ist nach West-Berlin gefahren, er hätte bis 24 Uhr bleiben können, kam aber um acht ins Heider. Wir staunten: Was machst du denn hier?? Sagt er: Er wollte zurückkommen, bevor das Heider schließt. Und ich: Hast du ne Scheibe? Er: Da gibt es so was nicht wie das Heider. Da gibt es Cafés für jede Szene, aber nicht das. Das Heider war eine besondere Mischung, eben nicht bloß Szene oder nicht bloß eine, sondern die Omas und Opas, die da Kaffee tranken, außerdem die Schüler von der Helmholzschule, und die sogenannten Intellektuellen und die Künstler. Handwerker, Arbeiter kamen, im Heider war alles vertreten, auch die Bürgermeisterin Hanke saß da gern. Stöckmann hatte seine Freunde im Westen gefragt und beschrieben, was er sucht. Und die offerierten ihm die verschiedenen Szenen an den verschiedenen Orten. Da bekam er Heimweh.

Abends um neun hat das Heider schon geschlossen, dann sind wir alle in den Claudius-Club gezogen. Klub der Künstler und Architekten, heute die Spielbank. In den 80er Jahren gab es aus huygienischen Gründen im Heider kein Essen, also unser Steak mit Erbsen und Pommes frites im Künstlerklub gegessen, manchmal kam JOOP zu Besuch aus dem Westen.

Montags sind wir alle in der Stadt umhergeirrt, weil das Heider geschlossen war. Haben uns mal im „Babette“ getroffen, ungern, war eben eine Notlösung. Das Heider war eine Sucht. Das Gemeinschaftsleben dort. Weshalb wir montags völlig verzweifelt waren. Wir begegneten uns auf dem Broadway auf der Suche nach einander: Weiß du, wo Dings ist, hast du den gesehen? Jeden Tag sahen wir uns und merkten montags, wie abhängig wir von dieser Gemeinschaft sind. Sten war Inventar, Ulrich Preuß, ist inzwischen tot. Ein Multitalent: Schriftsteller, Maler, Musiker. In der Badewanne ertrunken.

Unsere Gesellschaft war offen, aber auch geschlossen insofern, als wir von jedem, der neu hinzukam, dachten, er ist im Auftrag der Stasi da. Im Heider durfte man ausnahmsweise einen Stuhl vom Nebentisch nehmen, Tische zusammenrücken war eher unerwünscht wie überall in der DDR-Gastronomie, aber jeder hat von außen gemerkt: das ist ne Gruppe. Wir kommunizierten über die Tische hinweg und spielten unsere Spielchen. Es wurde exzessiv gesoffen, Andreas, Roger und Sten, die ließen sich zum Beispiel achtzig Schnäpse bringen und tranken hintereinander weg. Schappi, Peter Wawerzinek., ein Berliner Autor, wurde damals wenig veröffentlicht. Schappi kam jedenfalls manchmal ins Café Heider. Ein Entertainer. Christa Köhler, die Schwester von Karl Heider, hat gekellnert und gewacht über die Disziplin und weiß ich was. Es gab einen großen Achtertisch, wo Schappi mit dran saß, und irgendwann hat er angefangen auf dem Tisch zu trommeln, das haben andere Tische aufgenommen und mitgemacht, so dass im Heider ein großes Trommelkonzert entstanden ist. Christa ist fast ausgerastet, wusste aber nicht damit umzugehen, und es hat ihr irgendwie gefallen. Normalerweise wäre so was nicht möglich gewesen. Aber es war ein besonderer Abend. Da ist spontan etwas entstanden, was da nie war. Nichts Aggressives, Freude, viel Suff. Christa hatte keine Chance. Sie hat Schappi doch noch rausgeschmissen, aber, na ja. Sonst erinnere ich mich bloß, welche Männer ich da abschleppte.

Die Gemeindepädagogen waren stark unter Beobachtung. .....Damals war uns immer gegenwärtig, es könnte jeder sein von uns. Ich versuchte damals, das zu ignorieren, achtete allerdings meist drauf, was ich sage und was nicht. Ich war politisch nicht engagiert, bloß genervt, dass man keine eigene Kneipe aufmachen kann, dass man die Ideen, die man hatte, nicht umsetzen konnte in der DDR. In der Mittelstraße gab es eine illegale Galerie, die immer wieder mal verboten werden sollte. Es gab Sommerfeste, die unerwünscht waren. Mich hat das genervt, dass es jedes Mal Ärger gab, egal, was man machte, das Kreative sollte unterbunden werden. Das hat uns an diesen Ort Heider gefesselt, wo man nie so richtig zum Orgasmus kam, immer wieder Ideen entwickelte...

A: ...um sie auf sexueller Ebene „abzuführen“?


Genau. Das wurde umgeleitet, da konnte man es ausleben. Deshalb wundern sich die Wessis, warum das im Osten so freizügig war. Es war unsere Möglichkeit kreativ zu sein. Individuell, frei zu sein, zu machen, was man Lust hat. Deswegen war das so ausgeprägt, das Gerammle. - Im Heider bekam ich den Tip für meine spätere Potsdamer Wohnung – also da lief echt alles über die Heider-Börse – ein Privathaus, da brauchte ich nicht über das Wohnungsamt, die KWV. Zahlte jedoch dreifache Miete. Mußte trotzdem zum Wohnungsamt, um mich polizeilich anmelden zu können. Und da sagten die zu mir: Sie haben kein Wohnrecht in Potsdam. Sie kriegen hier keine Wohnung. Sag ich: Warum? und: Wo habe ich denn Ihrer Meinung nach Wohnrecht? Da wurde nicht drauf geantwortet. Dieses Scheiß-Gefühl. Diese Ohnmacht.


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