Geschichte des frühen Christentums

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Karte 2: Der Jerusalemer Tempel

(Beschneidung / Speiseregeln / Sabbat / Endogamie)

Ein paar Beispiele zeigen eindrücklich die unterschiedliche Gewichtung von Identitätsmerkmalen in verschiedenen Kontexten durch die jeweiligen Handlungsträger: Im Zuge der Hellenisierung im 3. Jh. v. Chr. stand etwa die Beschneidung zur Disposition, die aus griechisch-römischer Perspektive als barbarisch eingeschätzt wurde (vgl. 1Makk 1,48.60; 2,45–48; Philo, migr. 89–94). Ähnliche Diskussionen wurden auch über die Beachtung von Speiseregeln geführt, die in der Praxis am schwierigsten einzuhalten waren (2Makk 6,18; 7,1; Arist. 184; Josephus, c. Ap. 2,173f.; vgl. Tacitus, hist. 5,5,1f.). Die in der Jesustradition überlieferten Streitigkeiten über die Umsetzung des Sabbatgebots spiegeln die unterschiedlichen Perspektiven darauf wider (Mk 2,23–3,6; vgl. Sueton, Aug. 76,2). Die Bedingung, nur Angehörige des eigenen Volkes zu heiraten (Num 25,6–8; vgl. Tacitus, hist. 5,5,5), wurde in persischer Zeit nachdrücklich eingeschärft (vgl. Esr 9f.). Immer wieder wurden solche Verbindungen zwischen Juden und Nicht-Juden scharf verurteilt, sodass wahrscheinlich ist, dass sie – in welcher Häufigkeit, lässt sich nicht sagen – durchaus vorkamen. Das zeigt sich in unterschiedlichen Schriften des frühen Judentums, sowohl bei solchen aus einem griechisch geprägten Kontext (Arist. 139; Philo, spec. leg. 3,29; Josephus, ant. 8,192) als auch bei Schriften radikaler Randgruppen (vgl. Jub 30; 4QMMT [396] Frg. 2 col.ii 4–11). Das bekannteste Paar waren in dieser Hinsicht Drusilla, die Schwester Agrippas II., und der römische Prokurator Felix (Apg 24,24; Josephus, ant. 20,142f.; vgl. Apg 16,1).

(Abstammung)

Die Ansicht, dass ethnische Identität durch Abstammung festgelegt wird, war in der Antike nicht allein maßgeblich. Das wird z. B. daran erkennbar, dass im 1. Makkabäerbuch die griechischen Spartaner aus politischen Gründen zu Verwandten der Judäer gemacht werden (1Makk 12,20–23). Auch die heute im Judentum gültige Ableitung jüdischer Herkunft von der Mutter galt nicht immer, wie die zahlreichen genealogischen Angaben des Alten Testaments (z. B. 1Chron 1–9) oder auch zu Jesus (Mt 1; Lk 3) erkennen lassen, in denen die Väter die Zugehörigkeit zum Volk Israel bestimmen. Erst ab dem 2. Jh. n. Chr. wurde dies, offenbar als Verarbeitung der Versklavungen und Vergewaltigungen im Zusammenhang der judäischen Aufstände, auf die mütterliche Linie geändert (mQid 3,12). Dass die genealogische Herkunft aber nicht als allein entscheidendes Kriterium galt, zeigen auch jene Fälle, in denen entweder Judäer ihre judäische Identität aufgaben – wie z. B. Tiberius Alexander (s. u. S. 74) – oder Nicht-Judäer als Proselyten Teil des Volkes wurden (s. u. 3.8).

(Streit um judäische Identität)

Die gesellschaftliche Abgrenzung zu Nicht-Juden bei Mählern, öffentlichen Spielen oder in Vereinigungen war ein andauernder Diskussionspunkt innerhalb des antiken Judentums. Überliefert sind dazu etwa unterschiedliche Ansichten des Josephus (ant. 15,267–276) und des Philo (ebr. 20–26.177; prob. 26.141; prov. 58). In rabbinischen Texten wurden aktive und passive Teilnahme an Theateraufführungen und Wettkämpfen kritisch gesehen (tAZ 2,5–7; bAZ 18b). Die Bedeutung des Tempels stand bereits bei den Propheten zur Debatte (Am 5,21–23; Jes 1,10–17), die Qumranschriften dokumentieren eine deutliche Distanz zum vorfindlichen Kult (CD 5,6–13; 6,11–19; 1QpHab 12,8f.). Im ägyptischen Leontopolis stand sogar ein eigener JHWH-Tempel, der erst 71 n. Chr. von den Römern geschlossen wurde. Auch die Vorstellung der Vereinbarkeit von judäischer Identität mit anderen Kulten lässt sich an einigen wenigen Zeugnissen erkennen (IJO I Ach45; IJO II 21).

Die ethnische Identität der Judäer war also nicht fixiert durch ein unumstößliches Set von Identitätsmerkmalen, sondern umstritten und veränderbar. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass es nicht nur unterschiedliche Formen von Judentum in der Antike gab, sondern dass sich diese auch gegenseitig die judäische Identität absprachen. Dies geschah nicht nur im Hinblick auf christliche Gemeinden, sondern ebenso gegenüber anderen Gruppen. Vor allem in frührabbinischer Zeit wurde dies verstärkt betrieben, wie der Fluch gegen die Minim („Ketzer“) im 18-Bitten-Gebet, dem Schemone Esre, zeigt (s. u. S. 271).

3.2 Gruppen innerhalb des Judentums in Judäa und Galiläa

Vor allem aus den Schriften des Josephus, aber auch aus den Evangelien, von Philo von Alexandrien sowie aus den Texten, die in Qumran gefunden wurden, lassen sich verschiedene Gruppierungen innerhalb des Judentums in Judäa und Galiläa rekonstruieren. Josephus selbst beschreibt sie mehrfach, u. a. in ant. 13,171–173:

„Um diese Zeit gab es bei den Judäern drei Schulen, welche über die menschlichen Verhältnisse verschiedene Lehren aufstellten, und von denen eine die der Pharisäer, die zweite die der Sadduzäer und die dritte die der Essener hieß. Die Pharisäer behaupten, dass manches, aber nicht alles das Werk des Schicksals sei, manches dagegen auch freiwillig geschehe oder unterbleibe. Die Essener hingegen lehren, alles stehe unter der Macht des Schicksals, und es komme bei den Menschen nichts vor, das nicht vom Geschick bestimmt sei. Die Sadduzäer endlich wollen überhaupt nichts vom Schicksal wissen und glauben, es gibt weder ein Schicksal, noch richte sich des Menschen Geschick danach, sondern alles geschehe nur nach unserem Willen, sodass wir ebenso die Urheber unseres Glückes seien, als wir auch unser Unglück uns durch unseren eigenen Unverstand zuzögen.“ (Übersetzung nach H. Clementz, Jüdische Altertümer, Wiesbaden 2004 [1899], 610.)

Zum richtigen Verständnis dieser Gruppierungen ist allerdings zu beachten, dass die meisten Judäer und Judäerinnen nicht zu ihnen gehörten, sondern zu jenem breiten Strom des antiken Judentums, der sich an den zentralen Elementen judäischer Identität (s. o. 3.1) orientierte und versuchte, sein Leben nach diesen auszurichten.

3.2.1 Sadduzäer

(Sadduzäer)

Die Sadduzäer, die sich auf den Priester Zadoq als ihren Ahnherrn (2Sam 8,17; 15,24–29) beriefen, stellten den Großteil der Jerusalemer Eliten (Josephus, bell. 2,166; ant. 13,297). Sie waren konservativ orientiert und hielten den in der Tora festgelegten Willen Gottes für die einzige bindende Vorgabe zu einem Leben im Bund. Die mündliche Überlieferung zur Toraauslegung war für sie daher unbedeutend (ant. 18,16). Die Sadduzäer betonten die Eigenverantwortlichkeit des Menschen (ant. 13,173; bell. 2,164) und den Tun-Ergehen-Zusammenhang der altisraelitischen Weisheitsliteratur: Gott werde dafür sorgen, dass es jenen, die seinen Willen tun, gut gehe, während jene, die diesen nicht tun, sich letztlich selbst schadeten. Die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod und die Auferstehungshoffnung lehnten sie daher auch ab (Mk 12,18; Apg 23,8; Josephus, bell. 2,165). Im Neuen Testament begegnen sie in der synoptischen Tradition als Gegner Jesu (Mk 12,18–27 par; Mt 16,1–12; vgl. Mt 3,7) sowie in der Apostelgeschichte als Feinde der Christusgläubigen (Apg 4,1–3; 5,17; 23,6–8).

3.2.2 Pharisäer

(Pharisäer)

Die Pharisäer waren die religiösen und politischen Gegenspieler der Sadduzäer, was vor allem damit zusammenhing, dass sie den engen Konnex von Herrschaft und Kult ablehnten, der sich seit der Herrschaft des Hasmonäer vor allem unter Johannes Hyrkan I. (135–104 v. Chr.) etabliert hatte. Wichtig war ihnen neben der Tora auch die mündliche Auslegung, „die väterlichen Überlieferungen“ (Gal 1,14; Mk 7,3–5; Josephus, ant. 13,297f.), die die Lebbarkeit der Gebote Gottes im Alltag sichern sollte. Die Heiligung Israels durch ursprünglich nur für Priester vorgesehene Reinheits- und Speiseregeln (vgl. Mk 7,3–5) sollte dazu führen, dass das gesamte Land zum Heiligtum Gottes wird (vgl. Ex 19,6). Zudem wird den Pharisäern eine besonders genaue Kenntnis der Tora zugeschrieben (bell. 1,110; ant. 17,41; vita 191). Der Glaube an eine postmortale Existenz (bell. 2,163; Apg 23,8) zeichnete sie ebenso aus wie die Überzeugung, dass das menschliche Geschick zum Teil vorherbestimmt, zum Teil selbst gewählt sei (bell. 2,163; ant. 13,172).

(Pharisäer nach 70 n. Chr.)

Es handelte sich bei den Pharisäern um eine reformerische Laienbewegung, die in Judäa und Galiläa relativ weit verbreitet war und vor allem in städtischen Schichten jenseits der herrschenden Eliten ihre Anhänger hatte. Die Pharisäer hatten allerdings durchaus auch politischen Einfluss. Inwieweit in der Phase der Neuorientierung des Judentums nach der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) die pharisäische Richtung zur entscheidend prägenden Kraft wurde, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Sie spielen in der rabbinischen Literatur eine überraschend geringe Rolle, doch sollte der Einfluss pharisäisch geprägter Traditionen auf die rabbinische Bewegung auch nicht unterschätzt werden. Sowohl mit der Jesusbewegung als auch mit dem frühen Christentum standen Pharisäer in wechselseitigen und polemisch geführten Auseinandersetzungen (vgl. z. B. Mt 23,1–36), die vor allem durch die ideologische Nähe bedingt waren. Aber auch von christusgläubigen Pharisäern ist die Rede (Apg 15,5), und Paulus beschreibt sich selbst als Pharisäer (Phil 3,5).

3.2.3 Essener und die Qumrangemeinschaft

(Essener)

Die Essener werden von Josephus (bell. 2,119–161; ant. 13,171–173; 15,371–379; 18,18–22) und Philo von Alexandrien (prob. 72–87; apol. bei Euseb, praep. ev. 8,11,1–18) als jüdische Gemeinschaft beschrieben, in der hellenistische Ideale vorbildlich umgesetzt waren und jüdisch-hellenistische Philosophie gepflegt wurde (vgl. auch Plinius d. Ä., nat. hist. 5,73). Die strikte Einhaltung der Vorschriften der Tora, Enthaltsamkeit, gemeinschaftiches Leben, Gemeinschaftsbesitz und Distanz zum Tempelkult waren nach diesen Darstellungen u. a. Kennzeichen der Essener. Ihre etwa 4000 Mitglieder sollen in kleinen Vereinigungen über ganz Judäa verteilt gelebt haben. Josephus erwähnt zudem ein Essener-Tor in Jerusalem (bell. 5,145).

 

(Der Ort Qumran)

Die Mehrheit der Forschung setzt die Essener mit jener Bewegung gleich, die sich aus Texten rekonstruieren lässt, die in elf bzw. zwölf Höhlen in Qumran unweit von Jericho gefunden wurden. Die bauliche Anlage von Qumran, bestehend aus einer Siedlung mit Reinigungsbädern, Versammlungs- und Wirtschaftsräumen sowie Friedhöfen mit über 1100 Gräbern, wurde im Jahr 68 n. Chr. zerstört. Die Interpretation des Ortes als Zentrum einer religiösen Gemeinschaft hängt eng mit den entdeckten Schriften zusammen.

(Texte von Qumran)

Die ca. tausend zumeist fragmentarischen Texte aus den Höhlen von Qumran stammen zum weitaus größeren Teil nicht aus der „essenischen“ Gemeinschaft. Die meisten sind Abschriften von Bibeltexten oder frühjüdischen Büchern. Allerdings lässt sich aus einigen Schriften eine religiöse Gruppe mit einem spezifischen Profil erkennen. Unter den gefundenen Manuskripten finden sich Gemeinderegeln (1QS, 1QSa, 1QSb; vgl. auch CD), exegetische Schriften, die als Pesharim bezeichnet werden, weisheitliche und poetisch-liturgische Texte. Die Gemeinschaft bezeichnete sich selbst als jahad („Vereinigung“) oder „Neuer Bund“.

(Qumran-Judentum)

Die Ansichten des jahad von Qumran orientierten sich an einem dualistischen und deterministischen Weltbild. Die Auferstehungsvorstellung ist hier ebenso zu finden wie die Forderung radikaler Einhaltung der Toravorschriften. Die Gemeinschaft stand mit der zeitgenössischen Tempelführung ebenso in scharfem Konflikt wie mit den Pharisäern. Reinheitsfragen und die Einhaltung des solaren Kalenders waren ihr besonders wichtig. Als der letzte treue Rest Israels erwartete sie für die nächste Zukunft eine entscheidende kriegerische Auseinandersetzung, die Israel zu neuer Größe führen würde, sowie zwei Messiasse, einen priesterlichen und einen königlichen.

(Qumran und frühes Christentum)

Im Neuen Testament werden die Essener bzw. Qumran nicht erwähnt. Versuche, einzelne Figuren der frühchristlichen Tradition wie Johannes den Täufer, Jesus, Paulus oder Jakobus mit dieser Gruppe zu verbinden, haben sich nicht bewährt. Das Schweigen frühchristlicher Texte bedeutet allerdings nicht, dass nicht in einzelnen theologischen Perspektiven sowie religiösen Praktiken eine Nähe zu dieser besonderen Form des Judentums bestand. Erwogen wird dies u. a. für das Johannesevangelium, einzelne Paulustraditionen oder auch für Teile der synoptischen Überlieferung.

3.2.4 Apokalyptische Bewegungen

(Apokalyptik)

Im Judentum entwickelten sich ab dem 3. Jh. v. Chr. eine Reihe von unterschiedlichen apokalyptischen Erwartungen, die in einer großen Zahl von Schriften festgehalten wurden, deren Verfasser sowie Trägergruppen sich allerdings nicht genau bestimmen lassen. Die moderne Bezeichnung „Apokalyptik“ geht auf Apk 1,1 zurück, wo die Enthüllung der Endzeit als άποκάλυψις/apokalypsis bezeichnet wird. Zumeist wollen apokalyptische Schriften allerdings Einblicke vermitteln, die sich nicht nur auf die Zukunft, sondern auch auf Vergangenheit und Gegenwart beziehen.

(Apokalyptische Ansichten)

Es handelt sich grundsätzlich um Literatur, die der Lebensbewältigung dienen will: Da die bedrängenden Umstände – soziale Probleme, die Bedrückung durch fremde Mächte oder auch Naturkatastrophen – nicht selbst umgestaltet oder verhindert werden können, wird auf das nahe Eingreifen Gottes verwiesen, mit dem die Verhältnisse endgültig zum Positiven geändert werden. Das Ziel der apokalyptischen Botschaft ist die Bewältigung dieser unheilvollen Gegenwart bei Beibehaltung des Glaubens an einen gerechten und geschichtsmächtigen Gott. Dessen früheres und gegenwärtiges Handeln in der Welt zu enthüllen, vor allem aber Gottes Pläne zu offenbaren, ist Anliegen des Apokalyptikers. Ein konstantes Element ist darin das universale Strafgericht durch Gott oder einen Bevollmächtigten, das sowohl die Völker als auch die Untreuen aus dem Volk Israel erfasst, Lebende wie Verstorbene. Den Glaubenden wird ewiges Leben in Aussicht gestellt, wenn sie trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten am Bekenntnis zu JHWH und der Tora festhalten. Oftmals ist dies auch verbunden mit der Hoffnung auf eine Wiedererrichtung Israels zu umfassender Größe. Einige apokalyptische Texte enthalten auch Darstellungen einer bereits gegenwärtig in der himmlischen Transzendenz bestehenden Heilswelt.

(Apokalyptik und frühes Christentum)

Wichtige apokalyptische Schriften des antiken Judentums, deren Inhalte u. a. auch für Johannes den Täufer, Jesus von Nazareth bzw. das entstehende Christentum von hoher Bedeutung waren, sind das Danielbuch, das äthiopische Henochbuch, die jüdischen Sibyllinen, das Jubiläenbuch, das syrische Baruchbuch und das 4. Buch Esra.

3.2.5 Schriftgelehrte

(Schriftgelehrte)

Vor allem in der Jesusüberlieferung treten die Schriftgelehrten deutlich als religiöse Gruppe hervor. Grundsätzlich handelte es sich bei ihnen um Schreiber, die in Dörfern und Städten Verwaltungsaufgaben erledigten und die Korrespondenz der Einwohner übernahmen. Offenbar waren sie aber auch für die Interpretation der Tora als verbindlichem Rechtstext verantwortlich. Dies ging bereits auf hellenistische Zeit zurück (vgl. Sir 38,24–39,11; 1Makk 7,12; 2Makk 6,18), vielleicht sogar schon auf die Zeit Esras. Schriftgelehrte hatten keine eigene religiöse Ausrichtung, was sich u. a. daran zeigt, dass es auch unter den Pharisäern Schriftgelehrte gab (Mk 2,16; Apg 23,9). Sie begegnen in den Evangelien als Gegner Jesu (Mk 2,6 u. ö.), aber auch als Christusgläubige (Mt 8,19; 13,52).

Als Schriftgelehrte im Sinne von Lehrern der Schrift werden vor allem in rabbinischen Texten einige legendäre Gestalten genannt, wobei die Überlieferungslage sehr schwierig ist. Zu nennen sind hier Hillel, dem eine milde Auslegung von Torabestimmungen zugeschrieben wird, dessen Gegner Schammai, der eine strenge Richtung vertrat, sowie Gamaliel I., von dem auch Paulus unterrichtet worden sein soll (Apg 22,3).

3.2.6 Herodianer

(Herodianer)

Ausschließlich im Neuen Testament wird mit den Herodianern (griech. Ήρῳδιανοί/Herodianoi) eine politische Gruppierung, die keine eigenen religiösen Interessen hatte, bei zwei Gelegenheiten erwähnt: beim Beschluss, gegen Jesus gewaltsam vorzugehen (Mk 3,6), sowie bei der Frage, ob man dem Kaiser Steuer zahlen sollte (Mk 12,13). Es handelte sich bei den Herodianern um Unterstützer und Klienten des herodianischen Königshauses, zu denen mit Manaën später auch ein Christusgläubiger gehörte (Apg 13,1).

3.3 Samaritaner

(Geschichte der Samaritaner)

Die Anfänge der samaritanischen Form des Judentums liegen im Dunkeln, lassen sich aber in das 3. Jh. v. Chr. zurückverfolgen. In dieser Zeit etablierte sich in Sichem und auf dem nahe gelegenen Berg Garizim ein JHWH-Heiligtum, dem sich die autochthone Bevölkerung weitgehend anschloss. Ende des 2. Jh. v. Chr. wurde das Heiligtum durch Hyrkan I. zerstört, ohne allerdings die samaritanische Form der JHWH-Verehrung damit beenden zu können. Bereits seit dem 2. Jh. v. Chr. gab es Samaritaner auch in der Diaspora, u. a. in Ägypten (Josephus, ant. 13,74–79) und auf der Ägäisinsel Delos (SEG 32,809). Die Samaritaner beteiligten sich auch am ersten Aufstand gegen die Römer (bell. 3,307–315; s. u. 3.5).

(Samaritanische Theologie)

In religiöser Hinsicht stand bei den Samaritanern der Pentateuch, der in einer spezifischen samaritanischen Form tradiert wurde, als alleinige normative Schrift in besonders hohem Ansehen. Religiöses Zentrum war der Berg Garizim, analog zum Zion in Jerusalem. Allerdings bestritten die Samaritaner die heilsgeschichtliche Bedeutung Jerusalems, da die Stadt im Pentateuch nicht erwähnt wird. Von besonders hoher Bedeutung war Mose, dessen Figur auch für die eschatologische Erwartung eines „Propheten wie Mose“ (vgl. Dtn 18,15.18) prägend war. Das Verhältnis zwischen Judäern und Samaritanern war von Polemik gekennzeichnet (vgl. 2Kön 17,24–41), obwohl sie sich in weiten Bereichen von Theologie und gelebter Religion kaum unterschieden. Diese Feindschaft kommt auch im Neuen Testament zum Ausdruck (Mt 10,5f.; Joh 8,48), zugleich zeigen sich aber auch Annäherungen (Joh 4; Lk 10,25–37; 17,11–19).

(Nicht-Juden in Samaria)

Im Gebiet Samarias wohnten auch zahlreiche Nicht-Juden, vor allem in der größten Stadt Samaria/Sebaste, die 27 v. Chr. von Herodes dem Großen neu gegründet wurde und vollständig hellenisiert war. Die Bewohner dieser Stadt standen im 1. Judäischen Aufstand aufseiten der Römer (vgl. Josephus, bell. 2,460).

3.4 Propheten und Aufstandsbewegungen vor 66 n. Chr.

Nach der Übernahme der Verwaltung durch die Römer in Judäa und Samaria im Jahr 6 n. Chr. bzw. nach dem Tod Agrippas I. (44 n. Chr.) kam es in ganz Palästina wiederholt zu Versuchen, die römische Herrschaft abzuschütteln, sowie zum Auftreten einzelner prophetisch inspirierter Personen. Josephus berichtet über eine Reihe von entsprechenden Ereignissen, doch sind seine Darstellungen aufgrund seiner Verbindung zu den Römern zumeist deutlich negativ gefärbt.

(Judas der Galiläer)

Im Jahr 6/7 n. Chr. trat Judas der Galiläer auf (Josephus, bell. 2,118; ant. 18,1.4.9.23; vgl. Apg 5,37). Sein Widerstand begann, als der Statthalter von Syrien, Quirinius, anlässlich des Übergangs der Herrschaft von Herodes Archelaos auf den ersten römischen Präfekten eine Volkszählung ansetzte, die der Steuerberechnung diente. Hiergegen protestierte Judas der Galiläer öffentlich, doch schon 7 n. Chr. starb er eines gewaltsamen Todes. Seine Söhne, die den Kampf weiterführten, kamen zwischen 46 und 48 n. Chr. ebenfalls ums Leben (bell. 2,433; 7,253; ant. 20,1.102).

(Die Zeloten)

Auf Judas bzw. einen ansonsten unbekannten Pharisäer namens Zadok ging auch die Gruppe der Zeloten zurück, die während des 1. Jh. n. Chr. einen wichtigen Teil der Aufstandsbewegung in Palästina bildete. Der Begriff „Zeloten“ verweist auf das griech. Wort ζῆλος/zēlos („Eifer“). Die Zeloten verstanden sich als Eiferer für Gott und betrachteten die biblische Figur des Pinchas, der die ethnische und kultische Reinheit des Volkes Israel blutig eingefordert hatte (Num 25), als ihr Vorbild. Sie setzten sich für die Alleinherrschaft Gottes ein und hatten messianische Ambitionen. Auch unter den Jüngern Jesu war mit Judas ein ehemaliger Zelot (Lk 6,15; Apg 1,13).

(Sikarier)

Von der Gruppe der Zeloten nicht immer ganz eindeutig zu unterscheiden ist jene der Sikarier. Auch sie gehen auf die Zeit von Judas Galilaios zurück. Ihre Bezeichnung leitet sich von dem lat. Terminus sica für „Dolch“ ab, da sie im Schutze größerer Volksansammlungen ihnen missliebige Personen erstachen. Dieses Vorgehen richtete sich vor allem gegen Judäer, die mit den Römern sympathisierten.

(Der Samaritaner)

Neben diesen länger bestehenden Gruppen von Aufständischen erfahren wir vor allem durch Josephus auch von Einzelfiguren, die größere oder kleinere Anhängerschaften versammelten. So trat während der Verwaltungszeit des Pontius Pilatus (26–36 n. Chr.) ein namentlich nicht bekannter Samaritaner auf, der ankündigte, er werde die von Mose auf dem Berg Garizim versteckten heiligen Gefäße wiederfinden. Möglicherweise stand hinter dieser Ankündigung die Erwartung einer Wiederkehr des Mose. Nach Josephus (ant. 18,85–87) griffen viele Samaritaner, die dies als Anbruch der Heilszeit verstanden, zu den Waffen, doch wurden sie vernichtend geschlagen. Infolge der Brutalität seines Vorgehens wurde Pilatus von seinem Posten in Judäa und Samaria abberufen.

(Theudas)

Während der Statthalterschaft des Cuspius Fadus (44–46 n. Chr.) versuchte ein gewisser Theudas die Rückeroberung Israels (Josephus, ant. 20,97–99; vgl. Apg 5,36). Mit einer großen Zahl von Menschen ging er an das jenseitige Jordanufer, um von dort aus wie Josua das Land neu einzunehmen. Die Bewegung wurde gewaltsam niedergeschlagen.

(Der Ägypter)

 

Unter der Prokuratur des Antonius Felix (52–59 n. Chr.) mobilisierte ein nicht namentlich bekannter Diasporajude aus Ägypten eine Volksbewegung gegen die Römer. Josephus berichtet (ant. 20,169–172; bell. 2,261–263), dass unter seiner Führung 30.000 Menschen zunächst in die Wüste und anschließend auf den Ölberg gingen. Dort habe der Prophet angekündigt, dass auf sein Geheiß die Mauern einstürzen würden (ant. 20,170). Seine bewaffneten Anhänger könnten so die Stadt erobern und er selbst zum Herrscher werden. Tatsächlich töteten die Römer unter Mithilfe der Jerusalemer viele der Aufständischen, der Ägypter entkam aber. In Apg 21,38 wird Paulus daher von einem römischen Tribun gefragt, ob er jener Ägypter sei.

3.5 Die beiden Aufstände in Palästina

(Aufstände im Römischen Reich)

Die Aufstände der Judäer in Palästina (66–70 bzw. 132–135 n. Chr.) und in der Diaspora (115–117 n. Chr.; s. u. 3.7.3) waren nicht die einzigen Revolten von Völkern bzw. Stämmen gegen die römische Herrschaft. So hatte Tiberius in den Jahren 6–9 n. Chr. eine Erhebung in Pannonien und Dalmatien niedergeschlagen. Während seiner Regierungszeit als Kaiser wurde auch ein Aufstand gallischer Stämme beendet (21 n. Chr.). In der Zeit Neros erhoben sich die Britannier unter der Führung ihrer Königin Boudicca (60/61 n. Chr.) und im Vier-Kaiser-Jahr 69 n. Chr. die Bataver in Niedergermanien. Es ist allerdings bemerkenswert, dass kein anderes Volk die Herrschaft der Römer so nachdrücklich ablehnte wie die Judäer.

3.5.1 Der erste Aufstand (66–70 n. Chr.)

Die verschiedenen früheren Versuche, die Herrschaft der Römer abzuschütteln, die sich verschärfende soziale Situation sowie die gesteigerte Aggressivität der römischen Beamten führten dazu, dass die Lage in Palästina Mitte der 60er Jahre des 1. Jh. n. Chr. hoch angespannt war. Dies zeigte sich außer in den Gewalttaten durch Zeloten und Sikarier und den Aufstandsversuchen auch an dem Propheten Jesus ben Ananias, der das Ende Jerusalems prophezeite (s. u. S. 120).

(Auslöser des Aufstands)

Zwei Ereignisse führten im Jahr 66 n. Chr. schließlich zum Aufstand: Erstens hatte der Prokurator Gessius Florus (64–66 n. Chr.) einen Teil des Tempelschatzes entnommen und damit sowohl die religiösen Gefühle der Judäer als auch die ökonomische Kraft des Tempels, der auch als Bank fungierte (Josephus, bell. 2,293), verletzt. Zweitens hatte Gessius Florus blutige Unruhen nicht unterbunden, die in Caesarea Maritima zwischen Juden und Nicht-Juden aus Streit über das Bürgerrecht ausgebrochen waren (bell. 2,284–292). Agrippa II. versuchte noch zu vermitteln (bell. 2,233–405), blieb aber erfolglos. Der eigentliche Aufstand begann im Frühjahr 66 n. Chr. (bell. 2,409f.), nachdem die Priester, angestachelt durch einen gewissen Eleazar, sich weigerten, weiterhin Opfer für das Wohlergehen des Kaisers im Jerusalemer Tempel darzubringen.

(Erste Erfolge)

Jerusalem wurde von den Aufständischen rasch erobert, die römischen Soldaten getötet und der amtierende Hohepriester Ananias, der eine friedliche Lösung wollte, ermordet. Das erste Eingreifen der Römer unter Cestius Gallus von Syrien aus wurde zum militärischen Desaster, sodass die Begeisterung unter den Judäern für den Aufstand stark zunahm. Es entzündete sich daraufhin überall der Zorn der Bevölkerung gegen die Besatzung, auch in Samaria. Dabei hatten vor allem die Zeloten eine Leitfunktion. Sehr früh kam es aber auch zu Auseinandersetzungen unter den Aufständischen. Dennoch gelang es zunächst, die römischen Truppen in die Defensive zu drängen.

(Der Beginn der Niederschlagung / Josephus und Vespasian)

67 n. Chr. wurde Vespasian von Nero zum Befehlshaber bestellt. Die römische Streitmacht wurde auf ca. 60.000 Mann erhöht, sodass nun mit aller militärischen Macht gegen den Aufstand vorgegangen werden konnte. Die hellenistisch geprägte Stadt Sepphoris in Galiläa distanzierte sich daraufhin ganz von der Rebellion, und auch die lokalen Eliten anderer Städte Galiläas rieten zur Aufgabe. In den ländlich geprägten Regionen wurde allerdings – u. a. auch mit religiöser Begründung – der Kampf geführt (vgl. Josephus, Vita 134f.). Die römischen Truppen eroberten bis Ende 67 n. Chr. alle Städte und Festungen Galiläas, zuletzt Gischala im Norden. Bereits zu Beginn war in Jotapata auch der lokale Kommandant Josephus gefangen genommen worden. Er wurde nach dem Krieg in den Haushalt des späteren Kaisers Vespasian aufgenommen – daher der Name Flavius Josephus – und verfasste ausführliche Berichte über den Verlauf des ersten Aufstands.

(Streit unter den Aufständischen)

In den Jahren 68/69 n. Chr. erfolgte von römischer Seite eine Kampfpause, da die Nachfolge auf dem Kaiserthron abgewartet wurde. In dieser Zeit brach aber unter den judäischen Gruppierungen ein Bürgerkrieg aus, in dem radikale Kräfte um Johannes von Gischala die Gemäßigten aus den Kreisen der Hohepriester und Pharisäer vernichteten. Später trat mit Simon bar Giora ein weiterer Zelotenführer in diese Auseinandersetzung ein. Messianische Ambitionen und soziale Umbrüche gingen damit jeweils einher.

(Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels)

Vespasian zog im Jahr 69 n. Chr. erneut los und eroberte rasch den Rest Judäas mit Ausnahme Jerusalems und der herodianischen Festungen Herodeion, Masada und Machairus. Verzweifelte Appelle an die Vernunft der Aufständischen durch Agrippa II. oder auch Josephus, der zu den Römern übergelaufen war, wurden nicht beachtet. Als Vespasian Kaiser wurde, übernahm sein Sohn Titus das Kommando und konnte Jerusalem nach fünf Monaten Belagerung Ende August/Anfang September 70 n. Chr. einnehmen. Mit der Stadt Jerusalem wurde auch der Tempel, das religiöse Zentrum des Judentums, zerstört. Die Einwohner wurden zum Großteil getötet oder versklavt. Mit Masada fiel im Jahr 73/74 n. Chr. die letzte Festung der Zeloten.

3.5.2 Die Zeit zwischen den Aufständen (70–132 n. Chr.)

(Folgen des Aufstands)

Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, die Tötung bzw. Versklavung von bis zu einem Drittel der Bevölkerung sowie die Verwüstung weiter Landstriche Judäas, Samarias und Galiläas führten zu einer angespannten wirtschaftlichen und sozialen Lage unter den Verbliebenen. Teile des Grundbesitzes fielen an den römischen Kaiser, der diese weiterverpachtete, sodass die Landbevölkerung weitgehend unselbstständig wurde. Mit der Versklavung und durch die Fluchtbewegungen während des Aufstands wuchs auch die judäische Diaspora zahlenmäßig deutlich an. Die Eliten des Volkes hatten jede Macht verloren, was u. a. auch zum Verschwinden der sadduzäischen Partei führte.

(Neuorientierung an der Tora)

Der Verlust des Jerusalemer Tempels als Kultzentrum wurde vor allem von jenen Gruppierungen innerhalb des Judentums bewältigt, die schon zuvor die über den Tempelkult hinausgehende Orientierung an der Tora in das Zentrum der jüdischen religiösen Existenz gestellt hatten. Dies begünstigte vor allem die Pharisäer, aus denen sich Teile der frührabbinischen Bewegung entwickelten (s. u. 3.6). Texte wie das 4. Makkabäerbuch versuchen hingegen, die Vereinbarkeit des Gesetzes, das als Grundlage der „Philosophie des Judentums“ gedeutet wird, mit griechisch-römischen Tugendethik aufzuzeigen.

(Neuorientierung in der Apokalyptik)

Auch die apokalyptischen Bewegungen des Judentums, für die die Zerstörung des Tempels einen herben Rückschlag ihrer Heilserwartungen bedeutete, mussten sich neu orientieren. So wurde im syrischen Baruchbuch am Ende des 1. Jh. n. Chr. der Versuch unternommen, die Tempelzerstörung als Teil von Gottes Heilsplan zu verstehen (6f.). Dieser werde mit dem Kommen des Messias, dem Gericht und der Wiederherstellung Israels vollendet (72–74). Die Bücher 4 und 5 der jüdischen Sibyllinen, die in Ägypten im 1. und 2. Jh. n. Chr. entstanden, sind ganz darauf ausgerichtet, das vernichtende Gericht über die Feinde, also das Imperium Romanum, zu erwarten, dessen Vorzeichen in Kriegen, Hungersnöten und Naturkatastrophen jetzt schon erlebt würden. Zugleich wurde aber auch das Ende blutiger Opfer begrüßt (4,24–30).