Wirtschaftsvölkerrecht

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Anmerkungen

[1]

Res. 2625 (XXV) = Sartorius II, Nr. 4.

Teil 1 Grundlagen › II. Völkerrechtliche Grundlagen des Wirtschaftsvölkerrechts › 3. Grundprinzipien des Völkerrechts

3. Grundprinzipien des Völkerrechts

a) Souveräne Gleichheit

92

Grundlage des gegenwärtigen Völkerrechts ist die souveräne Gleichheit aller Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta). Hieraus ergibt sich zunächst das Recht der Staaten, ihre inneren Angelegenheiten ohne Einmischung von außen zu gestalten und damit der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Die staatliche Souveränität wird heute jedoch durch international geltende Menschenrechte eingeschränkt. Insbesondere Menschenrechtsverletzungen sind keine innere Angelegenheit der Staaten mehr.

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Die staatliche Souveränität äußert sich auch in der Territorial- und Personalhoheit der Staaten, d.h. in dem Recht, Sachverhalte auf dem eigenen Territorium bzw. das Verhalten der eigenen Staatsangehörigen zu regeln. Unter bestimmten Umständen dürfen die Staaten auch Hoheitsakte erlassen, die über die Territorial- und Personalhoheit hinausgehen (extraterritoriale Wirkung). So ist z.B. im internationalen Kartellrecht anerkannt, dass Kartellbehörden wettbewerbswidriges Verhalten ausländischer Unternehmen im Ausland überprüfen dürfen, wenn sich das Verhalten auf den Wettbewerb auf dem inländischen Markt bzw. im Fall der EU auf dem europäischen Binnenmarkt auswirkt.[1]

94

Aus der souveränen Gleichheit der Staaten folgt auch der Grundsatz der Staatenimmunität.[2] Dazu zählt das Recht eines Staates, sich nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterordnen zu müssen, d.h. ein Staat kann nicht gegen seinen Willen vor fremden Gerichten verklagt werden oder Vollstreckungsmaßnahmen hinnehmen zu müssen (par in parem non habet jurisdictionem). Nach gegenwärtigen Völkergewohnheitsrecht gilt die Immunität im Erkenntnisverfahren jedoch nur für hoheitliche Akte (acta iure imperii). Handelt der Staat wirtschaftlich (acta iure gestiones), z.B. bei der Beschaffung von Gütern und Leistungen, kann er sich nicht auf seine Immunität berufen. Im Vollstreckungsverfahren werden solche Vermögensgegenstände von der Staatenimmunität erfasst, die hoheitlichen Zwecken, insbesondere dem diplomatischen Verkehr und den Außenbeziehungen dienen (wie z.B. Botschaften).

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In wirtschaftlicher Hinsicht drückt sich die staatliche Souveränität vor allem in der wirtschaftlichen Souveränität aus. Dieser Grundsatz und weitere Prinzipien wurden in der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten vom 12.12.1974 von der UN-Generalversammlung ausformuliert. Die wirtschaftliche Souveränität umfasst das Recht, das nationale Wirtschaftssystem frei zu bestimmen. Das allgemeine Völkerrecht enthält keine Vorgaben darüber, ob eine Wirtschaft markt- oder planwirtschaftlichen Prinzipien folgen soll. Außerdem hat jeder Staat das souveräne Recht zur Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe auf dem eigenen Territorium. Dazu gehört auch das Recht zur Enteignung und Verstaatlichung, das aber durch Entschädigungsverpflichtungen faktisch erheblich eingeschränkt wird.[3]

Anmerkungen

[1]

Dazu Teil 4 Rn. 722 ff.

[2]

Grundlegend dazu IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy), Urteil vom 3. Februar 2012, ICJ Reports 2012, 99.

[3]

Dazu Teil 3 Rn. 622.

b) Friedliche Streitbeilegung

96

Im Völkerrecht gilt der Grundsatz der Streitbeilegung mit friedlichen Mitteln (Art. 2 (3) UN-Charta). Die Mittel der Streitbeilegung können in diplomatische und institutionalisierte Verfahren unterteilt werden. Sie sind beispielhaft in Art. 33 Abs. 1 UN-Charta aufgezählt: Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung und Vergleich zählen zu den diplomatischen Verfahren. Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung und die Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen sind institutionalisierte Verfahren.

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Aus rechtlicher Sicht kommt vor allem den schiedsgerichtlichen und gerichtlichen Entscheidungen eine erhebliche Bedeutung zu. Allerdings besteht auf globaler Ebene keine obligatorische Gerichtsbarkeit. Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist zwar das oberste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und kann jede Art von Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten verbindlich entscheiden. Die Zuständigkeit des IGH ist jedoch nur gegeben, wenn die streitbeteiligten Staaten diese anerkannt haben. Im Wesentlichen sind drei Wege der Zuständigkeitsbegründung zu unterscheiden:


Zunächst kann ein Staat eine einseitige, obligatorische Unterwerfungserklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut abgeben. Damit erklärt er generell seine Anerkennung der Zuständigkeit des IGH. Allerdings hat nur eine Minderheit der Staaten eine solche Erklärung abgegeben. Zudem werden Unterwerfungserklärungen oft mit Vorbehalten versehen (Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut). Die Zuständigkeit des IGH wird im Übrigen erst dann begründet, wenn beide Streitparteien eine Unterwerfungserklärung abgegeben haben.
Häufiger ist, dass sich zwei Staaten für einen aktuellen Streit ad hoc einigen, dem IGH die Beilegung des Streits zu übertragen oder dass eine Partei Klage beim IGH erhebt und die andere Partei der Zuständigkeit des IGH im Laufe des Verfahrens zustimmt bzw. sich rügelos auf das Verfahren einlässt (forum prorogatum), Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut.

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Im Wirtschaftsvölkerrecht sind die speziellen Streitbeilegungsmechanismen der multilateralen und regionalen Wirtschaftsorganisationen (z.B. WTO und NAFTA) von erheblicher praktischer Bedeutung. Diese z.T. gerichtsförmig ausgestalteten Verfahren werden von den beteiligten Staaten rege genutzt und treten an die Stelle der allgemeinen völkerrechtlichen Streitbeilegungsmittel. Insbesondere das Streitbeilegungsverfahren der WTO[2] hat bereits eine beeindruckend hohe Zahl von Streitfällen beigelegt. Anders als die Zuständigkeit des IGH ist die Zuständigkeit des WTO-Streitbeilegungsverfahrens nicht von der Zustimmung der Streitparteien abhängig. Im internationalen Investitionsschutzrecht werden in erster Linie ad hoc Schiedsgerichte genutzt.[3] Schiedsgerichte werden jeweils für einen speziellen Streitfall gebildet. Die Parteien haben durch die Auswahl der Schiedsrichter und die Begrenzung des Streitgegenstandes hier größere Einflussmöglichkeiten als in einem gerichtlichen Verfahren.

Anmerkungen

[1]

BGBl. II 1961, S. 82 = Sartorius II, Nr. 112.

[2]

Näher Teil 2 Rn. 239 ff.

[3]

Dazu Teil 3 Rn. 653, 658.

c) Völkerrechtliche Verantwortlichkeit

99

Verletzt ein Staat eine Regel des Völkerrechts, begründet dies seine völkerrechtliche Verantwortlichkeit. Daraus leiten sich die Verpflichtungen des verletzenden Staats (z.B. zu Wiedergutmachung und Schadensersatz) und die Rechte des verletzten Staats (z.B. zur Forderung von Reparationen oder zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen) ab. Die Grundsätze der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten wurden von der International Law Commission der Vereinten Nationen im Jahr 2001 in sog. Draft Articles festgehalten.[1] Die Draft Articles kodifizieren zu einem großen Teil Gewohnheitsrecht, so dass sie ähnlich wie die WVK in der Fallpraxis angewandt werden können.

100

Voraussetzung für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist nach Art. 2 Draft Articles das Vorliegen eines einem Staat zurechenbaren Tuns oder Unterlassens und die daraus resultierende Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung. Rechtsfolge ist nach Art. 30 und 31 Draft Articles die Beendigung der Rechtsverletzung und die Wiedergutmachung der Rechtsverletzung. Wiedergutmachung soll primär durch die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes (restitution) erfolgen (Art. 35 Draft Articles). Wenn dies nicht möglich ist, soll Schadensersatz (compensation) geleistet werden. Ist auch dies nicht möglich, sind andere Formen der Genugtuung (satisfaction), wie z.B. eine förmliche Entschuldigung, denkbar, Art. 36 und 37 Draft Articles. Unabhängig von den Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit besteht in jedem Fall die Pflicht zur Beachtung der verletzten Norm weiter, Art. 29 Draft Articles.

 

101

Leistet ein verantwortlicher Staat keine Wiedergutmachung, ist der verletzte Staat zu Gegenmaßnahmen berechtigt, Art. 49 Draft Articles. Gegenmaßnahmen bestehen regelmäßig in der Aussetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen gegenüber dem verletzenden Staat. Eine Aussetzung des Gewaltverbots, fundamentaler Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und von Normen des zwingenden Völkerrechts ist allerdings nicht gestattet, Art. 50 Draft Articles. Zudem müssen Gegenmaßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, Art. 51 Draft Articles.

102

Im Wirtschaftsvölkerrecht werden diese allgemeinen Prinzipien teilweise von Sonderrechtsordnungen überlagert. So enthält das Streitschlichtungsübereinkommen der WTO detaillierte Regeln über die Rechtsfolgen einer festgestellten Rechtsverletzung.[2]

Anmerkungen

[1]

Anlage zur Resolution der Generalversammlung 56/83 (2001) = Sartorius II, Nr. 6.

[2]

Dazu unten Teil 2 Rn. 280 ff.

d) Diplomatischer Schutz

103

Einige Normen des Völkerrechts bewirken faktisch den Schutz individueller Rechtspositionen, auch wenn sie formal nur Staaten berechtigen. Dazu zählen z.B. die Regeln über konsularischen Schutz im Ausland und zahlreiche wirtschaftsvölkerrechtliche Prinzipien wie der Nichtdiskriminierungsgrundsatz, Marktzugangsrechte oder der Enteignungsschutz. Häufig kann die Verletzung dieser Normen durch einen Staat von den tatsächlich betroffenen Individuen oder Unternehmen nicht selbst geltend gemacht werden, da völkerrechtliche Normen grundsätzlich nur Staaten berechtigen oder verpflichten. Daher können Staaten „im Namen“ ihrer Staatsangehörigen die Rechtsverletzung geltend machen und ggf. Wiedergutmachung verlangen. Diese Art der Geltendmachung von Rechten und Interessen gegenüber einem anderen Staat wird als diplomatischer Schutz bezeichnet.

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Voraussetzungen für die Ausübung des diplomatischen Schutzes ist neben der Rechtsverletzung und der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (local remedies rule) vor allem die Berechtigung zur Schutzgewährung, die bei natürlichen Personen durch die Staatsangehörigkeit und bei juristischen Personen durch die Zugehörigkeit zu dem Schutz ausübenden Staat begründet wird. Das Völkerrecht enthält keine Vorgaben darüber, wie die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen zu erwerben ist. Allerdings muss eine tatsächliche Beziehung (genuine link) zwischen dem Individuum und dem Staat bestehen. In der Praxis wird die Staatsangehörigkeit zumeist durch Abstammung (ius sanguinis), durch Geburt im Land (ius soli) oder durch Einbürgerung erworben.

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Die Staatszugehörigkeit juristischer Personen bestimmt sich nach dem jeweils geltenden nationalen Gesellschaftsrecht. Die Zugehörigkeit kann entweder nach dem Recht des Staats bestimmt werden, nach dessen Recht das Unternehmen gegründet wurde (Gründungstheorie) oder nach dem Recht des Staats, in dem das Unternehmen seinen tatsächlichen Geschäftssitz hat (Sitztheorie) oder nach dem Recht des Staats, dessen Staatsangehörigkeit die Mehrheit der Eigentümer des Unternehmens besitzen (Kontrolltheorie). Das Völkerrecht enthält keine Präferenz für eine Zuordnungsmethode, setzt aber wiederum eine tatsächliche Verbindung zwischen Unternehmen und Staat voraus.

Leading Case

IGH, Barcelona Traction[1]:

Die Anteile der Barcelona Traction, Light, and Power Ltd., eines Unternehmens kanadischen Rechts mit Tätigkeit in Spanien, wurden zu knapp 90 % von belgischen Bürgern und Unternehmen gehalten. Nach der Beschlagnahmung des Vermögens des Unternehmens durch einen spanischen Insolvenzverwalter machte Belgien diplomatischen Schutz zu Gunsten seiner Bürger geltend und reichte Klage gegen Spanien ein.

Dem IGH stellte sich u.a. die Frage, ob wegen des hohen Anteils belgischer Anteilseigner die Zuordnung des Unternehmens zum kanadischen Recht ausgeschlossen werden könne. Der IGH verneinte dies und führte aus, dass die völkerrechtlichen Grundsätze der Zuordnung der Staatszugehörigkeit von Unternehmen nur begrenzt mit den entsprechenden Regeln für die Staatsangehörigkeit von natürlichen Personen verglichen werden könne. Insbesondere gebe es im Völkerrecht keine absoluten Anforderungen an die „genuine connection“ zwischen Unternehmen und Staat.

106

Die Gründungstheorie überwiegt im anglo-amerikanischen Recht; die Sitztheorie gilt in vielen kontinentaleuropäischen Staaten, u.a. in Deutschland. Bei international tätigen Unternehmen kann es zu unterschiedlichen Zuordnungen kommen, z.B., wenn eine nach US-amerikanischem Recht gegründete Gesellschaft ihren Hauptsitz in Deutschland hat. Welches Recht dann Anwendung findet, entscheidet das jeweilige internationale Gesellschaftsrecht (Kollisionsrecht). Da in Deutschland die Sitztheorie vorherrscht, könnte deutsches Recht anwendbar sein. Dies könnte zur Folge haben, dass das Unternehmen nach deutschem Recht neu gegründet werden müsste.[2] Um derartige praktisch unerwünschte Folgen zu vermeiden, können die Staaten völkerrechtlich vereinbaren, dass sie das Gesellschaftsstatut einer Auslandsgesellschaft gegenseitig anerkennen.[3]

Anmerkungen

[1]

IGH, Case Concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (New Application: 1962) (Belgium v. Spain), Urteil vom 5.2.1970, ICJ Reports 1970, 3. Siehe auch Dörr, Kompendium völkerrechtlicher Rechtsprechung, 2. Aufl., 2014, Fall 21.

[2]

Vgl. dazu den Sachverhalt in EuGH, Rs. C-208/00, Überseering, Slg. 2002, I-9919.

[3]

Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 12. Aufl., 2020, § 16, Rn. 2 ff.

Teil 1 Grundlagen › II. Völkerrechtliche Grundlagen des Wirtschaftsvölkerrechts › 4. Innerstaatliche Geltung und Wirkung des Völkerrechts

4. Innerstaatliche Geltung und Wirkung des Völkerrechts

107

Völkerrecht gilt grundsätzlich nur zwischen den Subjekten des Völkerrechts. Zahlreiche völkerrechtliche Normen beziehen sich jedoch auf das Verhalten von Staaten gegenüber Individuen (z.B. im Wirtschaftsvölkerrecht) oder auf das Verhalten von Individuen untereinander (z.B. im materiellen Einheitsrecht). Damit diese Normen in einer innerstaatlichen Rechtsordnung beachtliches Recht werden (innerstaatliche Geltung), müssen sie in das nationale Recht umgesetzt werden.[1] Das Völkerrecht verlangt nur, dass derartige Normen umgesetzt werden, lässt den Staaten aber die Freiheit, wie sie dies tun.

108

Das „Wie“ der Umsetzung von Völkerrecht in innerstaatliches Recht bemisst sich regelmäßig nach nationalem Verfassungsrecht. In der Staatenpraxis haben sich im Wesentlichen drei Methoden herausgebildet.

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Adoption Sämtliche völkerrechtliche Verpflichtungen des Staats werden ipso iure, d.h. ohne einen weiteren innerstaatlichen Rechtsakt, Bestandteil des nationalen Rechtes. Die Norm verliert auf diese Weise ihren völkerrechtlichen Charakter nicht. Völkerrecht gilt somit als Völkerrecht in der innerstaatlichen Rechtsordnung.

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Transformation Zur innerstaatlichen Geltung einer völkerrechtlichen Norm muss diese durch einen konkreten Umsetzungsakt in nationales Recht umgewandelt werden. Typischerweise geschieht dies durch den Erlass eines dem Völkerrecht entsprechenden Gesetzes. Dadurch verliert die Norm ihren Charakter als Völkerrecht.

111


Vollzug Ein Mittelweg zwischen Adoption und Transformation besteht darin, dass eine (konkrete oder allgemeine) Norm des nationalen Rechts das Völkerrecht in der innerstaatlichen Rechtsordnung für anwendbar erklärt. Das Völkerrecht verliert somit nicht seinen Charakter als Völkerrecht, gilt aber – anders als bei der Adoption – nicht ipso iure, sondern bedarf eines Rechtsanwendungsbefehls in der nationalen Rechtsordnung.

112

Für die Einbeziehung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik in das innerstaatliche Recht ist zwischen den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auf der einen Seite und völkerrechtlichen Verträgen auf der anderen Seite zu unterscheiden.

113

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts werden nach Art. 25 GG in die innerstaatliche Rechtsordnung einbezogen. Danach sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen im Rang den einfachen Bundesgesetzen vor. Unter den allgemeinen Regeln des Völkerrechts werden das universelle Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze verstanden. Die h.A. geht davon aus, dass diese Normen nach Art. 25 GG ohne weiteres Teil des innerstaatlichen Rechts werden. Insoweit kann von einer Adoption gesprochen werden.

114

Völkerrechtliche Verträge bedürfen zu ihrer innerstaatlichen Geltung grundsätzlich der Umsetzung durch ein Bundesgesetz in Form des Zustimmungsgesetzes gem. Art. 59 Abs. 2 GG.[2] Nach h.A. wird der Vertrag dadurch nicht in nationales Recht umgewandelt, sondern behält seine völkerrechtliche Qualität. Für völkerrechtliche Verträge wird insofern ein konkreter Vollzugsbefehl erteilt.

115

Die Einbeziehung einer völkerrechtlichen Norm in die innerstaatliche Rechtsordnung bedeutet, dass sie als beachtliches Recht gilt und von den Behörden und Gerichten angewandt werden kann. Hiervon ist die Frage, ob sich Individuen vor Gericht unmittelbar auf eine Völkerrechtsnorm berufen können (unmittelbare Anwendbarkeit) strikt zu trennen. Eine solche Berufung ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn die Norm nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck und nach dem Willen der Vertragsparteien Einzelne berechtigen soll. Ein Vertrag, auf den sich Individuen ohne weiteres unmittelbar berufen können, wird auch als „self-executing“ bezeichnet. Während die unmittelbare Anwendbarkeit z.B. bei der Europäischen Menschenrechtskonvention allgemein akzeptiert wird, ist sie bzgl. der Normen des Wirtschaftsvölkerrechts, vor allem des WTO-Rechts, umstritten. Die Rechtspraxis in der EU, den USA und anderen wichtigen Handelsnationen wendet diese Normen nicht unmittelbar an, was vor allem in der deutschen Rechtswissenschaft stark kritisiert wird.[3]

116

Im Fall einer Kollision zwischen innerstaatlichem Recht und Völkerrecht ist nach dem Rang der völkerrechtlichen Norm in der innerstaatlichen Rechtsordnung zu fragen. In der deutschen Verfassungsordnung stehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) im Rang zwischen Verfassungsrecht und einfachem Bundesrecht. Völkerrechtliche Verträge stehen auf derselben Stufe wie einfache Bundesgesetze (Art. 59 Abs. 2 GG). Im EU-Recht stehen völkerrechtliche Verträge und Völkergewohnheitsrecht im Rang zwischen primärem und sekundärem Unionsrecht (Art. 218 Abs. 2 und Art. 218 Abs. 11 AEUV).[4]

 

Lösungshinweise zum Ausgangsfall:

Der Schiedsspruch des Internationalen Schiedsgerichts war rechtmäßig. Archaien konnte sich in diesem Verfahren nicht auf seine staatliche Immunität berufen, da es sich um Ansprüche aus wirtschaftlichen Tätigkeiten des Staates (acta jure gestiones) handelt, für die nach Völkergewohnheitsrecht keine Immunität besteht. Zudem dürfte Archaien durch die Schiedsklausel im Vertrag auf seine Immunität verzichtet haben.

Fraglich ist, wie die Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren zu beurteilen ist. Ein Vollstreckungsverbot könnte sich aus Art. 23 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität ergeben. Dies ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der gem. Art. 59 Abs. 2 GG im deutschen Recht Anwendung findet. Als völkerrechtlicher Vertrag gilt er aber nur zwischen den Vertragsparteien. Deutschland ist Vertragspartei; Archaien hat den Vertrag zwar unterschrieben, ihn aber nicht ratifiziert. Damit ist Archaien nicht Vertragspartei geworden, so dass der Vertrag zwischen Deutschland und Archaien keine Anwendung findet. Auf die Frage, ob die Norm unmittelbar anwendbar ist und welchen Inhalt sie hat, kommt es daher nicht an. (Hinweis: Andernfalls wäre der Inhalt durch eine Auslegung nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsinterpretation, Art. 31 und 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention, zu ermitteln gewesen.)

Die Immunität im Vollstreckungsverfahren könnte jedoch völkergewohnheitsrechtlich gelten. Die allgemeinen Grundsätze des Gewohnheitsrechts, zu denen die Regeln der Staatenimmunität zählen, sind gem. Art. 25 GG Teil des Bundesrechts (s. BVerfGE 46, 342). Es ist daher zu prüfen, ob die Nutzung des Archaischen Hauses der Wissenschaft und Kultur als hoheitliche Nutzung angesehen werden kann. Nach Ansicht von BGH, NJW 2010, 769 und KG, Rpfleger 2010, 658 kann dies auch bejaht werden, wenn eine derartige Einrichtung teilweise kommerziell betrieben wird.

Lern- und Wiederholungsfragen zu Teil 1 II.:


1. Erläutern und bewerten Sie den Unterschied zwischen Rechtssubjekten des Wirtschaftsvölkerrechts und den Akteuren der internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
2. Welche Rechtsquellen des Wirtschaftsvölkerrechts kennen Sie und wie entstehen diese?
3. Welches sind die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen eine völkerrechtliche Norm?
4. Wie finden völkerrechtliche Normen Eingang in die innerstaatliche Rechtsordnung?
5. Unter welchen Umständen können sich Individuen vor einem innerstaatlichen Gericht auf die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrags berufen?