Wirtschaftsvölkerrecht

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Anmerkungen

[1]

Dazu unten Rn. 210 ff.

Teil 2 Welthandelsrecht › III. Entwicklung des Welthandelssystems › 5. Entwicklung der WTO seit 1995

5. Entwicklung der WTO seit 1995

193

Die Entwicklung des Welthandelsrechts ging nach der Gründung der WTO weiter. Zum einen fanden in einigen Dienstleistungssektoren (z.B. Finanzdienstleistungen und Telekommunikation) noch bis Ende 1997 Verhandlungen statt, die im Rahmen der Uruguay-Runde nicht abgeschlossen werden konnten. Zum anderen befinden sich die WTO-Mitglieder nach einem zunächst gescheiterten Versuch im Jahr 1999 nunmehr seit 2001 in einer neuen multilateralen Verhandlungsrunde (sog. Doha Development Agenda).

194

Die Weiterentwicklung des Welthandelssystems beruht auf verschiedenen Gründen: Zunächst bestehen auch nach Abschluss der Uruguay-Runde Handelshemmnisse, wie Zölle und Subventionen, an deren Abbau die WTO-Mitglieder interessiert sind. Außerdem verpflichten verschiedene WTO-Vorschriften die Mitglieder zu Verhandlungen über Aspekte, über die in der Uruguay-Runde keine Einigkeit erzielt wurde bzw. die nach den Vorstellungen der Verhandlungsführer der Uruguay-Runde weiterentwickelt werden sollten (sog. „built in“ agenda). Schließlich sind viele Handelsdiplomaten, Politiker und Wissenschaftler generell der Auffassung, dass das multilaterale Handelssystem durch weitere Handelsliberalisierungen ständig in Bewegung gehalten werden muss, damit es nicht zusammenbricht (sog. Fahrrad-Theorie).

a) Die WTO bis zur Ministerkonferenz von Seattle 1999

195

Die ersten Jahre der WTO standen im Zeichen der Etablierung und Konsolidierung des neuen Systems. Gleichzeitig wurden jedoch auch Themen aufgegriffen, mit denen das Mandat der WTO über die in der Uruguay-Runde verhandelten Themen hinaus ausgedehnt werden sollte.

196

So wurden auf der Ministerkonferenz von Singapur 1996 Themen auf die Tagesordnung der WTO gesetzt, an denen die Industrieländer ein besonderes Interesse hatten (Handel und Investitionen, Handel und Wettbewerb, Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen und Handelserleichterung, sog. „Singapore Issues“). Allerdings sollten zu diesen Themen keine Verhandlungen stattfinden, sondern lediglich erste Sondierungen im Rahmen von Arbeitsgruppen. Eine Befassung der WTO mit Sozialstandards im Welthandel wurde dagegen abgelehnt und auf die Zuständigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) für diese Frage verwiesen.

197

Keine wesentlichen inhaltlichen Entscheidungen wurden auf der Ministerkonferenz von Genf im Jahr 1998 getroffen. Abgesehen von einer Entscheidung zu elektronischem Handel (e-commerce) stand diese Konferenz ganz im Zeichen des 50-jährigen Jubiläums des Welthandelssystems. Parallel zur Ministerkonferenz fanden die ersten, noch sehr begrenzten, globalisierungskritischen Demonstrationen statt.

198

Für die dritte Ministerkonferenz in Seattle im Jahr 1999 war dagegen die Eröffnung einer neuen umfassenden multilateralen Handelsrunde geplant, die den programmatischen Namen Millenniumsrunde (Millennium Round) tragen sollte. Neben klassischen Themen wie Zollsenkungen und Marktzugang wollten einige WTO-Mitglieder, darunter die EG, im Rahmen der neuen Runde auch über neue Fragen wie Investitionen und Wettbewerb verhandeln.

199

Diese Erweiterung der Aufgaben der WTO ging vielen Entwicklungsländern jedoch zu weit. Die in Seattle geschlossener und mit deutlicheren Positionen auftretende Gruppe der Entwicklungsländer war insbesondere nicht bereit, über neue Fragen zu verhandeln, wenn in den Bereichen, die für sie von Interesse waren (Landwirtschaft), kein Fortschritt erzielt werden würde. In Seattle traten zudem die alten Interessensgegensätze zwischen den USA und der EG/EU in Landwirtschaftsfragen erneut zu Tage. Schließlich wurde die Ministerkonferenz von umfangreichen Demonstrationen und Protesten von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen und Gewerkschaften begleitet, die sich gegen das einseitig auf Handelsliberalisierung gerichtete Mandat der WTO und der neuen Runde wandten. Demonstranten und Polizeikräfte lieferten sich tagelange z.T. gewaltsame Auseinandersetzungen („Battle of Seattle“). Sowohl den internen Gegensätzen als auch den externen Protesten dürfte es geschuldet sein, dass die Ministerkonferenz von Seattle ergebnislos zu Ende ging. Das Scheitern der Millenniumsrunde und die in den globalisierungskritischen Protesten sichtbar gewordene weltweite Skepsis gegenüber weiteren Handelsliberalisierungen stürzten die WTO in eine Legitimationskrise.

b) Die Doha Development Agenda

200

Nach dem Misserfolg von Seattle wagten sich die WTO-Mitglieder erst Ende 2001 erneut an den Versuch, eine neue Handelsrunde zu eröffnen. Diese sollte zum einen ein gegenüber dem Programm der Millenniumsrunde deutlich reduzierten Umfang haben und zum anderen die Stellung der Entwicklungsländer verbessern. Auf der Ministerkonferenz von Doha (2001) einigten sich die Mitglieder auf eine neue Runde, der der programmatische Titel Doha Development Agenda (DDA) gegeben wurde. In Doha verabschiedeten die WTO-Mitglieder auch eine Erklärung zu TRIPS und öffentlichem Gesundheitswesen, mit der die inhaltliche Klärung einiger Bestimmungen des TRIPS angestrebt wurde, die den Zugang zu dringend von den Entwicklungsländern benötigten Medikamenten betraf.[1]

201

Die Verhandlungen der DDA umfassen eine Reihe von Themenbereichen, wobei jeweils die Interessen von Entwicklungsländern besonders beachtet werden sollten. Zu den wichtigsten Themen zählt der verbesserte Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte und nicht-landwirtschaftliche Produkte. Für landwirtschaftliche Produkte spielt dabei der Abbau von Exportsubventionen und inländischen Unterstützungsmaßnahmen eine zentrale Rolle, während im Bereich nicht-landwirtschaftlicher Produkte nach wie vor der Abbau von Zöllen, insbesondere der sog. Zolleskalation im Mittelpunkt steht. Unter Zolleskalation wird eine Staffelung der Zölle verstanden, bei der für unverarbeitete Produkte niedrigere Zölle gelten als für verarbeitete Produkte. Zolleskalation in Industrieländern behindert insbesondere in Entwicklungsländern die Weiterverarbeitung von Produkten für den Export.

202

Ein weiteres wichtiges Element sind die in der DDA integrierten Verhandlungen über die weitere Liberalisierung des Dienstleistungshandels.[2] Andere Verhandlungsthemen betreffen Technologietransfer, Maßnahmen zur Unterstützung der personellen Kapazitäten von Entwicklungsländern (capacity building) und Verschuldung. Daneben finden auch Verhandlungen über regionale Integrationsabkommen und die Reform des Streitbeilegungssystems statt. Die Verhandlungen der DDA werden als sog. „single undertaking approach“ geführt, d.h., sämtliche Verhandlungsergebnisse sollen Teil eines Gesamtergebnisses werden.

203

Einen Rückschlag erlitten die Verhandlungen der DDA nach dem Scheitern der Ministerkonferenz von Cancún im Jahr 2003. Neben einer Bewertung des bis dato erreichten Stands der Verhandlungen, sollte die in Doha vertagte Entscheidung über den Beginn von Verhandlungen über ein Investitionsabkommen in der WTO getroffen werden. Aufgrund fundamentaler Interessensgegensätze zwischen Industrie- und Entwicklungsländern fanden die WTO-Mitglieder jedoch keinen Konsens und gingen – wie schon in Seattle – erneut ohne Abschlusserklärung auseinander.

204

Der fehlende Konsens in Cancún führte auch dazu, dass in den Verhandlungen der DDA kaum Fortschritte erzielt wurden. Dies zwang die WTO-Mitglieder im Sommer 2004 und erneut auf der Ministerkonferenz von Hong Kong im Dezember 2005 dazu, den Fahrplan für die DDA zu überarbeiten. Trotz dieser Bemühungen bleiben zahlreiche Details offen. Die Hauptstreitpunkte waren zuletzt – wieder einmal – im Landwirtschaftssektor zu suchen. Die USA, die EU und einige große Entwicklungsländer konnten sich nicht auf einen erweiterten Marktzugang und den Abbau von Subventionen für landwirtschaftliche Produkte einigen. Da die Positionen der WTO-Mitglieder zu weit auseinanderlagen, wurden die Verhandlungen der DDA Ende Juli 2006 ausgesetzt.

205

Die formelle Wiederaufnahme der Verhandlungen im Februar 2007 führte zu keiner neuen Dynamik. Erst im Juli 2008 gelang den Verhandlungsführern unter erheblicher Beteiligung von WTO-Generaldirektor Pascal Lamy eine Annäherung in den kontroversen Fragen (sog. „July 2008 package“). Sowohl die EU als auch die USA waren zu deutlichen Reduzierungen ihrer landwirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen bereit. Allerdings konnte diese Kompromissbereitschaft nicht für eine endgültige Einigung genutzt werden.

206

Im Juli 2009 unternahmen die WTO-Mitglieder einen neuen Anlauf zur Fortsetzung der Verhandlungen. Der damalige WTO-Generaldirektor Pascal Lamy legte einen Plan vor, der intensive Verhandlungen im Herbst 2009 und einen Abschluss der DDA im Jahr 2010 vorsah. Hintergrund der erneuten Bemühungen war auch die Furcht vor einem erstarkenden Protektionismus in Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007. Gleichwohl gelang es nicht, die Verhandlungen abzuschließen. Auch die Ministerkonferenzen von Genf in den Jahren 2009 und 2011 änderten an dem kaum fortschreitenden Prozess nichts.

 

207

Ein gewisser Fortschritt wurde im Dezember 2013 auf der Ministerkonferenz von Bali erreicht (sog. „Bali package“). Die Ministerkonferenz beschloss Richtlinien für Ursprungsregeln[3] zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder und das Übereinkommen über Handelserleichterungen (Trade Facilitation Agreement), mit dem praktische Hindernisse bei der Einfuhr von Waren durch Bürokratieabbau beseitigt und verbesserte Warenabfertigungen erreicht werden sollen. Dieses Abkommen trat am 22. Februar 2017 in Kraft und ist damit die erste Erweiterung des Welthandelsrechts seit Gründung der WTO.

208

Der Erfolg des Trade Facilitation Agreement kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Doha-Runde seit knapp zwanzig Jahren vor allem durch nicht eingehaltene Fristen und wiederholte Zusammenbrüche der Verhandlungen auszeichnet. Inzwischen besteht die Runde nur noch formal. Inhaltliche Fortschritte sind nicht mehr zu verzeichnen. Auf den Ministerkonferenzen von Nairobi (2015) und Buenos Aires (2017) standen die Themen der Doha-Agenda nicht mehr im Mittelpunkt. Die Interessengegensätze der WTO-Mitglieder scheinen zu groß zu sein, um einen globalen Konsens herstellen zu können. Es stellt sich die Frage, ob eine Fortsetzung der Doha-Runde sinnvoll und möglich ist, oder ob die WTO zukünftig darauf beschränkt sein wird, den bestehenden Regelbestand zu verwalten und anzuwenden. Während der Doha-Runde hat auch die Bedeutung von bilateralen und regionalen Handelsabkommen zugenommen[4], da die Staaten – trotz anders lautender offizieller Erklärungen – gegenüber dem multilateralen Handelssystem zunehmend skeptisch geworden zu sein scheinen.

209

Insgesamt zeigt die Entwicklung der WTO seit 1999, dass sowohl unter ihren Mitgliedern, insbesondere zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, als auch in den Bevölkerungen der WTO-Mitglieder tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten bestehen. Diese beziehen sich sowohl auf die Vor- und Nachteile von Handelsliberalisierungen für Entwicklung, Umwelt und soziale Gerechtigkeit als auch auf die Struktur der internationalen Handelsbeziehungen, wie sie gegenwärtig durch die WTO geprägt werden. Zunehmend wird deutlich, dass das institutionelle System der WTO nur begrenzt zur Lösung grundlegender Fragen und Probleme, die sich in Folge der Globalisierung der Weltwirtschaft stellen, beitragen kann.

Lern- und Wiederholungsfragen zu Teil 2 III.:


1. Auf welche historischen Erfahrungen sollte mit der Gründung der Internationalen Handelsorganisation (ITO) und des GATT reagiert werden?
2. Was versteht man unter „GATT à la carte“ und auf welche Weise konnte dieser Zustand in der WTO beendet werden?
3. Welche Themenbereiche wurden durch die Uruguay-Runde neu in die Welthandelsordnung eingefügt?
4. Warum scheiterten die Ministerkonferenzen von Seattle (1999) und Cancún (2003) und welche Folgerungen kann man daraus für die Zukunft des Welthandelssystems ziehen?

Anmerkungen

[1]

Dazu unten Rn. 527.

[2]

Dazu unten Rn. 469.

[3]

Dazu unten Rn. 340.

[4]

Dazu Teil 7 Rn. 1000 ff.

Teil 2 Welthandelsrecht › IV. Allgemeines WTO-Recht

IV. Allgemeines WTO-Recht

Literatur:

Hilf/Oeter, WTO-Recht, 2. Aufl. 2010, §§ 5, 6, 7; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, § 11 u. 13; Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, 2. Aufl., 2007, §§ 7, 9, 10; Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003; Ohlhoff, Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003; Stoll/Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht, 2002, S. 11-27, 145-175; Heselhaus, Die Welthandelsorganisation, JA 1999, 76; Stoll, Die WTO: Neue Welthandelsorganisation, neue Welthandelsordnung, ZaöRV 1994, 241.

Teil 2 Welthandelsrecht › IV. Allgemeines WTO-Recht › 1. Das WTO-Übereinkommen im Überblick

1. Das WTO-Übereinkommen im Überblick

210

Das Übereinkommen von Marrakesch zur Gründung der WTO (WTO-Übereinkommen)[1] ist ein Rahmenübereinkommen mit institutionellen Vorschriften für das Welthandelssystem. Die materiell-rechtlichen Regeln des Welthandels und weitere institutionelle Regeln sind in Übereinkommen niedergelegt, die sich in den Anhängen zum WTO-Übereinkommen befinden und die daher integrale Bestandteile des WTO-Übereinkommens sind. Diese Übereinkommen umfassen zunächst die multilateralen Handelsübereinkommen der Anhänge 1, 2, und 3, die gem. Art. II:2 WTO-Übereinkommen für alle Mitglieder verbindlich sind. Hinzutreten zwei plurilaterale Handelsübereinkommen in Anhang 4, die gem. Art. II:3 WTO-Übereinkommen nur für diejenigen WTO-Mitglieder verbindlich sind, die sie angenommen haben.

211

Zu den multilateralen Handelsübereinkommen zählen zunächst die materiell-rechtlichen Vorschriften des Welthandelsrechts (Anhang 1). Diese unterteilen sich in die Übereinkommen über den Warenhandel in Anhang 1A, das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) in Anhang 1B[2] und das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) in Anhang 1C.[3]

212

Während sich in Anhang 1B und 1C jeweils nur ein Übereinkommen findet, enthält Anhang 1A mehrere Übereinkommen. Das wichtigste ist das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen 1994 (GATT), das sich aus dem GATT 1947[4], den Protokollen und Beschlüssen der VERTRAGSPARTEIEN des GATT 1947 (sog. „GATT acquis“) und sechs Vereinbarungen über die Auslegung verschiedener Artikel des GATT[5] zusammensetzt.

213

Neben dem GATT 1994 enthält Anhang 1A folgende zwölf weitere Übereinkommen über den Warenhandel:


Übereinkommen über die Landwirtschaft
Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung
Übereinkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIMs)
Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 (Zollwertbestimmung)
Übereinkommen über Vorversandkontrollen
Übereinkommen über Ursprungsregeln
Übereinkommen über Einfuhrlizenzverfahren

214

Ebenfalls zu den multilateralen Übereinkommen zählen die Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Dispute Settlement Understanding, DSU)[12] in Anhang 2 des WTO-Übereinkommens und der Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik (Trade Policy Review Mechanism, TPRM), in Anhang 3.

215

Zu den plurilateralen Handelsübereinkommen in Anhang 4 gehören das Übereinkommen über den Handel mit Zivilluftfahrzeugen und das Übereinkommen über das Öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA), das im Jahre 2012 revidiert wurde und dessen Änderungen im April 2014 nach Ratifikation von 2/3 der GPA-Vertragsparteien in Kraft getreten sind.

216

Das Streitbeilegungsübereinkommen DSU, der handelspolitische Überprüfungsmechanismus TPRM und die institutionellen Rahmenvorschriften des WTO-Übereinkommens gelten für alle materiell-rechtlichen Übereinkommen und können als gemeinsames Dach des materiell-rechtlichen Rechts verstanden werden.[13] Lässt man die plurilateralen Abkommen aufgrund ihrer geringen Mitgliedschaft außer Betracht, unterteilt sich das materiell-rechtliche Welthandelsrecht in die drei Bereiche Waren, Dienstleistungen und handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums. Bildlich lässt sich die Struktur des WTO-Übereinkommens dann mit folgendem Drei-Säulen-Modell darstellen:

Figur 2:

Drei-Säulen-Modell der WTO


[Bild vergrößern]

217

Nicht alle Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung sind von gleicher wirtschaftlicher und praktischer Bedeutung. Neben dem WTO-Übereinkommen selbst ist das Streitschlichtungsübereinkommen in institutioneller Hinsicht besonders wichtig. Der Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik, mit dem regelmäßig die Wirtschafts- und Handelspolitik eines WTO-Mitglieds durch die anderen Mitglieder begutachtet wird, ist dagegen weniger bedeutsam. In materiell-rechtlicher Hinsicht sind neben den drei Hauptabkommen GATT, GATS und TRIPS vor allem das TBT- und SPS-Übereinkommen, die Übereinkommen über handelspolitische Maßnahmen (Anti-Dumping-, Subventions- und Schutzmaßnahmen-Übereinkommen) sowie das Übereinkommen zur Landwirtschaft wichtig.

 

218

Das Verhältnis der einzelnen Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung zueinander ist wie folgt geregelt: Nach Art. XVI:3 des WTO-Übereinkommens hat das WTO-Übereinkommen bei einem Konfliktfall Vorrang gegenüber den multilateralen Handelsübereinkommen der Anhänge 1-3. Für die materiell-rechtlichen Übereinkommen besteht lediglich eine Regel für den Konfliktfall zwischen dem GATT und den anderen Übereinkommen über den Warenhandel. Nach der allgemeinen Auslegungsregel zu Anhang 1 A sind im Konfliktfall die Bestimmungen der anderen Übereinkommen maßgebend, d.h. den speziellen Übereinkommen über den Warenhandel ist ein Vorrang vor dem GATT einzuräumen. Eine Anwendung der allgemeinen Regeln (lex posterior, lex specialis[14]) auf die übrigen Konfliktfälle dürfte daran scheitern, dass alle WTO-Übereinkommen am gleichen Tag in Kraft getreten sind (1.1.1995) und auch größtenteils Materien betreffen, die sich nicht überschneiden. Konflikte sollten daher bereits durch eine entsprechende Interpretation der jeweiligen Übereinkommen vermieden werden.