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Die Abenteuer Tom Sawyers

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Sechzehntes Kapitel

Nach dem Mittagessen machte sich die ganze Bande auf nach der Sandbank, um dort Schildkröteneier zu suchen. Sie stießen Löcher in den Sand, und wenn sie eine hohle Stelle fanden, warfen sie sich auf die Knie und gruben mit den Händen. Manchmal erwischten sie fünfzig bis sechzig Eier auf einem Haufen. Es waren vollkommen runde, weiche Dinger, ein bißchen kleiner wie ‘ne englische Walnuß. So hatten sie ein köstliches Eigericht für den Abend, und ebenso am Freitag morgen. Nach dem Frühstück liefen sie mit Hurra und Purzelbäumen zum Strand, jagten sich einander herum, warfen die Kleider ab und waren ganz nackt; und dann setzten sie ihr lustiges Treiben im seichten Wasser fort, gegen die Strömung anlaufend, welche ihnen um die Beine spülte und den Spaß noch mehr erhöhte. Zuweilen standen sie zusammen und spritzten sich mit der flachen Hand gegenseitig Wasser ins Gesicht, indem sie sich, einander den Rücken zukehrend, heranschlichen, um den Spritzern zu entgehen, und sich dann plötzlich packten und so lange kämpften, bis der Stärkste seinen Gegner geduckt hatte – und dann verwandelten sie sich alle drei in ein Gewirr von weißen Armen und Beinen, und tauchten zugleich wieder auf, schnaufend, lachend, spuckend und atemlos.

Nachdem sie sich so ordentlich ausgetobt hatten, stiegen sie heraus, warfen sich in den trockenen, heißen Sand, lagen da und bedeckten sich ordentlich damit, und dann liefen sie wieder zum Wasser, und das Spiel begann von neuem. Schließlich fiel ihnen ein, daß ihr nackter Zustand mit fleischfarbigen Trikots große Ähnlichkeit habe. So zogen sie einen Kreis in den Sand und hatten einen Zirkus – mit drei Clowns darin, denn niemand wollte diesen stolzesten Posten einem anderen überlassen. Darauf suchten sie ihre Murmeln hervor und spielten, bis auch dies Vergnügen langweilig wurde.

Huck und Joe schwammen hierauf abermals; Tom wollte nicht mitmachen, denn er fand, daß er beim Anziehen seine Klapperschlangenschnur von den Knöcheln verloren hatte, und er wunderte sich, wie er ohne den Schutz dieses geheimnisvollen Schutzmittels so lange vor einem Krampf bewahrt worden sei. Er wagte sich nicht wieder ins Wasser, bis er sie wiedergefunden hatte, und inzwischen waren die anderen müde und im Begriff, sich auszuruhen. Herumschlendernd, trennten sie sich allmählich, verfielen in Trübsinn und fingen an, über die breite Wasserfläche hinüberzuschauen, wo das Dorf schläfrig in der Sonne lag. Tom ertappte sich dabei, wie er mit der Zehe „Becky“ in den Sand schrieb; er wischte es aus, ärgerlich über seine Schwäche. Aber er schrieb es nochmals – trotzdem; er konnte nichts dafür. Er wischte es nochmals aus und zog sich aus aller Versuchung, indem er die anderen Jungen zusammentrieb und sie gegeneinander schubste.

Aber Joes Geist war allmählich gänzlich niedergedrückt. Er hatte solches Heimweh, daß er sein Elend kaum noch tragen konnte. Die Tränen waren bei ihm dem Überlaufen nahe. Sogar Huck war melancholisch. Toms Herz war schwer, doch er gab sich Mühe, es nicht zu zeigen. Er hatte ein Geheimnis, das er noch nicht preisgeben wollte, wenn aber diese Depression nicht bald gehoben werden konnte, mußte er es verraten. Er sagte mit möglichst sichtbarer Heiterkeit: „Ich glaube, ‘s sind schon vor uns Piraten auf der Insel gewesen. Wollen wir doch mal nachsehen! Vielleicht haben sie hier Schätze vergraben. Würd‘s euch nicht gefallen, irgendwo auf ‘ne alte verrostete Kiste voll Gold oder Silber zu stoßen, he?“

Es erhob sich aber nur ein schwacher Begeisterungssturm, der bald verflogen war. Tom versuchte noch eine oder zwei Kriegslisten; aber auch diese schlugen fehl. Es war recht entmutigend. Joe saß da, mit einem Stock im Sande stochernd und schaute sehr trübselig drein.

Schließlich sagte er: „Ach, Jungens, laßt‘s uns aufgeben. Ich möcht‘ heim. ‘s ist so einsam hier.“

„Ach was, Joe, das wird schon nach und nach besser werden,“ entgegnete Tom. „Allein schon die famose Gelegenheit zum Fischen.“

„Mag nichts wissen vom Fischen. Ich will heim!“

„Aber, Joe, nirgends kann man so gut schwimmen wie hier.“

„Schwimmen ist nichts. Ich hab‘ gar keine Lust zum Schwimmen, wenn nicht wer da ist, der mir sagt, ich soll‘s nicht tun. Ich will nach Haus!“

„Ach, Feigling! Wickelkind! Du möchtst bloß zu deiner Alten – schätz‘ ich.“

„Ja – ich will zu meiner Mutter! Und du wolltst auch, wenn du eine hättst. Ich bin nicht mehr Wickelkind als du!“ Und Joe schluchzte ein wenig.

„Na, ‘s ist gut, wollen wir das heulende Muttersöhnchen nach Haus lassen, nicht, Huck? Armes Ding – wenn‘s halt Sehnsucht hat, seine Mutter wiederzusehen? Soll‘s halt. Du bleibst hier, nicht, Huck? Wir wollen bleiben?“

„J – a,“ sagte Huck, ohne viel Überzeugung.

„So lang‘ ich lebe, sprech ich nicht mehr mit dir,“ sagte Joe aufsehend. „Das hast du davon.“ Trübselig stand er auf und begann sich anzukleiden.

„Mach mir auch was draus,“ warf Tom hin. „‘s braucht dich niemand. Mach, dass du heimkommst und laß dich auslachen. Bist ‘n schöner Pirat! Huck und ich, wir sind keine Schreibabies. Wir wollen bleiben, nicht, Huck? Laß ihn gehen, wenn er durchaus will. Denke doch, zur Not werden wir fertig ohne ihn.“

Aber trotzdem war Tom nicht recht wohl zumute, es beunruhigte ihn doch, zu sehen, wie Joe trotzig fortfuhr, sich anzuziehen. Und dann war‘s unangenehm, wie Huck mit den Augen den Vorbereitungen Joes folgte, so aufmerksam und mit so unheimlichem Schweigen. Plötzlich begann Joe, ohne ein Wort des Abschieds, auf das Illinoisufer zu waten. Tom begann das Herz zu sinken. Er schielte nach Huck. Huck konnte den Blick nicht ertragen und senkte die Augen. Dann sagte er: „Du – Tom – ich will auch gehen. ‘s war schon bis jetzt so einsam, jetzt wird‘s noch schlimmer werden. Gehen wir auch, Tom?“

„Ich geh‘ nicht! Du kannst ja gehen, wenn du willst. Ich bleib‘!“

„Tom – ich will lieber gehen.“

„Na, ‘s ist gut, so geh‘ doch! Wer hindert dich denn?“

Huck fing an, seine zerstreuten Kleider aufzusammeln.

„Tom,“ sagte er, „wollt‘, du gingst mit. Denk mal drüber nach. Wir wollen drüben am Ufer auf dich warten.“

„Da, da könnt ihr ‘ne hübsch‘ lange Zeit warten, sag‘ ich dir.“

Huck schlich kummervoll davon, und Tom schaute ihm nach, während ein heftiges Verlangen, seinem Stolz zum Trotz hinterher zu laufen, an seinem Herzen riß. Er hoffte, sie würden stehen bleiben, aber sie wateten langsam weiter.

Plötzlich überkam Tom das Bewußtsein, wie einsam und still es dann sein würde. Er kämpfte einen letzten Kampf mit seinem Stolz und dann rannte er seinen Kameraden nach, brüllend: „Wartet, wartet doch! Will euch was sagen!“

Sie blieben sofort stehen und drehten sich um. Als er bei ihnen angelangt war, begann er, sein Geheimnis auszukramen, und sie hörten mürrisch zu, bis sie zuletzt begriffen, was die Pointe bei der Sache sei, und in ein wahres Kriegsgeheul von Beifall ausbrachen und sagten, ‘s wäre großartig, und wenn er ihnen das früher gesagt hätte, würden sie nicht fortgegangen sein. Tom brachte eine plausible Entschuldigung vor; in Wahrheit aber hatte er gefürchtet, daß nicht einmal sein Geheimnis sie veranlassen würde, noch länger bei ihm zu bleiben, und darum hatte er es als letztes Auskunftsmittel zurückgehalten.

Die Ausreißer kehrten vergnügt zurück und nahmen mit Feuereifer ihre Spiele wieder auf, fortwährend mit staunender Bewunderung über Toms fabelhaften Plan und seine Genialität sich unterhaltend.

Nach einem opulenten Eier- und Fischschmaus erklärte Tom, er wolle rauchen lernen. Joe gefiel die Idee, und er sagte, er wolle es auch lernen. So machte Huck Pfeifen und füllte sie. Die beiden Neulinge hatten bisher noch nie etwas anderes geraucht als Schokoladezigarren, und die haben niemals als männlich gegolten.

Nun streckten sie sich aus, stützten sich auf die Ellbogen und begannen zögernd zu paffen und mit wenig Vertrauen. Der Rauch hatte einen unangenehmen Geschmack, und sie räusperten sich ein wenig, aber Tom sagte:

„Pah! ‘s ist ja so leicht! Hätt‘ ich gewußt, daß das alles sei, hätt ich‘s schon längst gelernt!“

„Ich auch,“ meinte Joe. „‘s ist ja gar nichts.“

„Gott, wie oft hab‘ ich ‘nen Mann rauchen gesehen, und gedacht: wollt‘, ich könnt‘s auch. Aber ich hab‘ nie gedacht, ich könnt‘s. So geht‘s mir immer, nicht, Huck? Du hast‘s mich oft sagen hören, nicht, Huck? Huck weiß, daß ich‘s gesagt hab‘.“

„Ja, oft genug,“ sagte Huck.

„Na, ich hab‘s auch,“ fing Tom nochmals an. „Hundertmal. Mal da unten beim Schlachthaus. Erinnerst du dich nicht, Huck? Bob Tanner war da und Johnny Miller und Jeff Thatcher, damals, als ich‘s sagte. Erinnerst du dich nicht, Huck, daß ich‘s gesagt hab‘?“

„Ja, ‘s ist an dem,“ entgegnete Huck. „‘s war den Tag, als ich ‘ne weiße Murmel verloren hatte – nee, ‘s war den Tag vorher.“

„Da sagt‘ ich‘s dir,“ bestätigte Tom. „Huck erinnert‘s.“

„Glaub‘, ich könnt‘ die Pfeife rauchen – alle Tage,“ sagte Joe. „Fühl‘ mich gar nicht schlecht.“

„Na, ich auch nicht. Ich könnt‘ alle Tage rauchen, aber ich wette, Jeff Thatcher könnt‘s nicht.“

„Jeff Thatcher! Lieber Gott – keine zwei Züge könnt‘ der vertragen! Laß ‘s ihn nur einmal versuchen – er soll schon sehen.“

„Ich wollt‘, er tät‘s, und Johnny Miller – wollt‘, ich könnt‘ Johnny Miller ‘s versuchen sehen.“

„Meinst du, ich nicht? Na, der Johnny Miller würd‘s grad so wenig können wie sonst was! Bloß ‘n bissel Rauch würd‘ den schon umschmeißen!“

„Natürlich würd‘s das, Joe! Du, ich wollt‘, die Jungens könnten uns jetzt mal sehen.“

„Na, das mein‘ ich auch!“

„Wißt ihr was! Sagt nichts davon, und wenn sie dann mal dabei sind, geh‘ ich auf dich zu und sag‘: ‚Joe, hast du ‘ne Pfeife? Möcht‘ mal rauchen!‘ Und du sagst, so ganz beiläufig, als wenn‘s nichts wär‘, du sagst: ‚Ja, ich hab‘ meine alte Pfeife, und dann noch eine, aber mein Tabak ist nicht sehr gut.‘ Und ich sag‘: ‚O, ‘s ist schon recht, wenn er uns stark genug ist.‘ Und dann du raus mit den Pfeifen und wir ordentlich drauf los, und dann die Augen, die die machen werden!“

 

„Verdammt, das ist famos, Tom! Wollt, ‘s wär‘ jetzt!“

So plauderten sie noch ‘ne Weile; aber plötzlich begann das Gespräch zu stocken, und dann hörte es ganz auf. Das Stillschweigen wurde drückend; das Ausspucken nahm wunderbar zu. Jede Pore im Innern des Mundes schien bei den beiden sich in einen spuckenden Springbrunnen zu verwandeln. Kaum konnten sie die Behälter unter der Zunge oft genug entleeren, um eine Überschwemmung zu vermeiden; trotz aller Anstrengungen aber gelangten kleine Ergüsse den Hals hinunter – und jedesmal folgte plötzliches Aufschlucken darauf. Beide sahen blaß und elend aus. Joes Pfeife fiel aus seinen kraftlosen Händen. Toms folgte. Beider Springbrunnen waren in voller Tätigkeit, und beider Pumpen arbeiteten fieberhaft.

Joe sagte mit schwacher Stimme: „Hab‘ mein Messer verloren. Denke, ‘s wird gut sein, hinzugehen und zu suchen.“

Tom, mit zitternden Lippen und ebenso schwacher Stimme sagte: „Ich helf dir. Du gehst nach der Seite, und ich will nach der andern gehen – zur Quelle. – Nein – du brauchst – nicht zu – kommen – Huck, – wir – wir finden‘s – schon – “

So setzte sich Huck nieder und wartete ‘ne Stunde. Dann fand er, es sei sehr einsam und ging, seine Kameraden zu suchen. Sie waren weit weg im Walde, beide sehr blaß, beide schliefen fest. Aber etwas belehrte ihn, daß, hatten sie irgend welche Beschwerden gehabt, sie sich davon befreit hatten.

Beim Nachtessen waren sie eben nicht redselig; sie hatten einen hohlen Blick. Und als Huck nach der Mahlzeit seine Pfeife wieder stopfte und ihnen die ihrigen geben wollte, sagten sie: nein, sie fühlten sich nicht recht wohl – irgend etwas beim Mittagessen sei ihnen nicht gut bekommen.

Siebzehntes Kapitel

Ungefähr um Mitternacht erwachte Joe und rief die Jungen an. Drückende Schwüle lag in der Luft, das hatte etwas zu bedeuten. Die Jungen drückten sich aneinander und suchten die freundliche Gesellschaft des Feuers, obwohl die matte, tote Hitze der reglosen Atmosphäre erstickend war. Sie saßen still, horchend und wartend. Jenseits des Lichtschimmers ging alles in der Schwärze der Finsternis auf. Plötzlich fuhr ein zitternder Blitzstrahl herunter, der auf einen Augenblick die Umgebung erleuchtete und dann wieder schwand. Nach kurzer Zeit kam wieder einer, etwas schwächer. Dann noch einer. Darauf ging ein leises Zittern durch die Bäume des Waldes, und die Knaben empfanden eine kurze Kühlung im Gesicht und zitterten bei dem Gedanken, daß der Geist der Nacht an ihnen vorübergegangen sei. Dann eine Pause. Und dann verwandelte ein zauberhafter Blitzstrahl die Nacht in den Tag und zeigte jeden einzelnen Grashalm, der um ihre Füße herum wuchs. Und außerdem zeigte er drei weiße entsetzte Gesichter. Ein schwerer Donnerschlag kam rollend und polternd vom Himmel herunter und verlor sich in der Ferne in dumpfem Grollen. Ein kühler Lufthauch machte sich fühlbar, in den Blättern raschelnd und die aufgehäufte Asche über den Feuerherd wirbelnd. Ein neuer blendender Schein erhellte den Wald, und ein Krach folgte, der die Baumwipfel über den Häuptern der Kinder zu zerreißen schien. Sie fuhren erschreckt zusammen bei der vollkommenen Finsternis, die darauf folgte. Ein paar schwere Regentropfen fielen klatschend auf die Blätter.

„Schnell, Jungens, zum Zelt,“ schrie Tom.

Sie rannten davon, über Wurzeln stolpernd und sich in Schlinggewächse verwickelnd – nicht zwei von ihnen in gleicher Richtung. Ein furchtbarer Windstoß fuhr durch die Wipfel, jeden Laut verschlingend. Ein blendender Blitz folgte dem anderen, ein krachender Donnerschlag dem anderen. Und jetzt prasselte durchnässender Regen nieder, und der tobende Orkan fegte ihn in Bündeln über die Erde hin.

Die Jungen schrien einander zu, aber der heulende Wind und die dröhnenden Donnerschläge verschlangen ihre Stimmen völlig. Indessen drangen sie doch nacheinander durch und suchten Schutz unter dem Zelt, kalt, zitternd und triefend von Wasser. Gesellschaft im Unglück zu haben, schien ihnen alles erträglicher zu machen.

Sie konnten nicht sprechen, das alte Segel schlug zu wahnsinnig, selbst wenn die anderen Stimmen es ihnen erlaubt hätten. Der Sturm stieg höher und höher, und plötzlich flog das Segel, aus seinen Klammern losgerissen, auf den Flügeln des Windes davon. Die Knaben faßten sich an den Händen und flohen, stolpernd und sich wund stoßend, in den Schutz einer großen Eiche, die am Flußufer stand. Jetzt war der Kampf auf seinem Höhepunkt angelangt. Bei dem unaufhörlichen Leuchten, das den Himmel in Flammen setzte, trat alles rund umher in grelles, schattenloses Licht; die sich beugenden Bäume, der wogende, von Schaum weißgefärbte Strom, das treibende Flußwasser. Die steilen Felsenufer auf der anderen Seite schauten zuweilen durch die Regenwolken. Alle Augenblicke erlag ein Baumriese der Gewalt und brach krachend durch das Unterholz. Und die furchtbaren Donnerschläge folgten sich in ohrenzerreißendem, explosionsähnlichem Schmettern, scharf und krachend und unbeschreiblich ängstigend. Der Sturm erhöhte sich zu beispielloser Wut, die die ganze Insel in Stücke reißen, sie zu verbrennen, bis zu den Baumwipfeln versenken und jedes Lebewesen auf ihr vernichten zu wollen schien, alles gleichzeitig und in einem Augenblick. Es war eine schreckliche Nacht für heimatlose junge Herzen.

Aber endlich hatte der Kampf ausgetobt, die Naturkräfte ruhten, schwächer und schwächer tönend und brummend – Friede herrschte. Die Jungen schlichen zum Lager zurück – nicht wenig eingeschüchtert. Und doch fanden sie dort, daß sie alle Ursache hatten, dankbar zu sein, denn die große Sykomore, die Beschützerin ihres Lagers, war jetzt eine Ruine, vom Blitz zerschmettert – und sie waren während der Katastrophe nicht darunter gewesen.

Alles im Lager war durchnäßt, das Feuer erloschen; denn sie waren leichtsinnige Herumtreiber, wie alle ihresgleichen, und hatten keine Vorsichtsmaßregeln gegen den Regen getroffen. Das war sehr ärgerlich, denn sie waren durchweicht und verfroren. Sie fingen an, über ihr Mißgeschick zu jammern; aber plötzlich entdeckten sie, daß das Feuer sich an dem Baum, unter dem es gebrannt hatte, so weit hinauf fortgepflanzt hatte, daß eine Handbreit oder so erhalten geblieben war und noch schwach glimmte. Sie belebten es geduldig mit Zweigen und Rinde des umgestürzten Baumes, bis sie es wieder ordentlich entfacht hatten. Sie trockneten ihren gekochten Schinken und hielten eine Mahlzeit ab, und dann saßen sie am Feuer und verbreiteten sich über ihre nächtlichen Abenteuer und schmückten sie aus bis zum Morgen, denn es gab kein trockenes Plätzchen in der ganzen Umgebung, wo sie hätten ruhen können.

Als die Sonne auf die Knaben zu scheinen begann, überwältigte sie die Müdigkeit, und sie gingen zur Sandbank und legten sich zum Schlaf nieder. Allmählich wurden sie von der Sonne geröstet und machten sich daher in trüber Stimmung ans Frühstück. Sie fühlten sich übellaunig und steif in allen Gliedern und hatten Heimweh, mehr als je. Tom erkannte die Anzeichen davon und versuchte, die Piraten, so gut er es vermochte, aufzuheitern. Aber sie kümmerten sich den Teufel um Murmeln, Zirkus, Schwimmen oder sonst was. Er erinnerte sie an das großartige Geheimnis und erzielte einen Schimmer von Frohsinn. So lange der anhielt, suchte er sie für ein neues Spiel zu interessieren. Es war, für eine Weile das Piratenspielen aufzugeben und zur Abwechselung mal Indianer zu sein. Sie waren von der Idee begeistert; und so dauerte es nicht lange, da waren sie tätowiert, tätowiert von Kopf bis zu Fuß mit schwarzem Schmutz, gleich den Zebras, alle natürlich Häuptlinge, und dann rannten sie heulend durch die Wälder, um englische Niederlassungen anzugreifen.

Dann trennten sie sich in drei feindliche Stämme und stürzten aus Hinterhalten mit schrecklichem Kriegsgeschrei aufeinander los und töteten einander tausendweise. Es war ein blutiger Tag. Darum war es ein befriedigender.

Zur Mittagszeit versammelten sie sich wieder im Lager, hungrig und glücklich. Aber jetzt zeigte sich ein Hindernis – feindliche Indianer konnten das Friedensbrot nicht miteinander brechen, ohne erst Frieden zu machen, und das war einfach unmöglich, ohne eine Friedenspfeife zu rauchen. Es gab keinen anderen Weg, von dem sie je gehört hätten. Zwei von den Wilden wünschten jetzt, immer Piraten geblieben zu sein. Indessen – es war nichts zu machen, so forderten sie denn mit so viel Unbefangenheit, als sie auftreiben konnten, die Pfeifen, und taten, wie es sich gehört, einen Zug daraus.

Und wie glücklich waren sie dann, daß sie Wilde geworden waren; denn sie hatten dadurch etwas gewonnen. Sie merkten, daß sie jetzt ein bißchen rauchen konnten, ohne fortgehen und ein verlorenes Messer suchen zu müssen. Es wurde ihnen nicht mehr so schlecht, daß es ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hätte. Sie hatten aber keine Lust, diese stolze Errungenschaft aus Mangel an Übung wieder zu verlieren: o nein, sie übten sie nach dem Essen mit recht schönem Erfolg, und so verbrachten sie einen herrlichen Abend.

Sie waren mit ihrer neuen Kunst stolzer und glücklicher, als wenn sie sechs Indianerstämme skalpiert und hingeschlachtet hätten. Lassen wir sie schmauchen, plaudern und prahlen – denn wir haben im Augenblick nichts mehr mit ihnen zu schaffen.

Achtzehntes Kapitel

Im Dorfe herrschte indessen an jenem friedlichen Samstag nachmittag durchaus nicht besondere Heiterkeit. Harpers und Tante Pollys Familie waren in Trauer und Kummer und vielen Tränen.

Ungewöhnliche Ruhe lag über dem Ort, obwohl es auch sonst still genug herzugehen pflegte. Mit zerstreuter Miene gingen die Einwohner ihren Geschäften nach und sprachen wenig; aber sie seufzten oft. Der freie Samstag erschien eine Last für die Kinder. Sie hatten kein Herz für ihre Spiele und gaben sie schließlich ganz auf.

Nachmittags begab sich Becky Thatcher in trüber Stimmung auf den verlassenen Schulhof und fühlte sich sehr einsam. Aber sie fand dort nichts, was sie hätte aufheitern können.

„O, wenn ich doch seinen alten Messingknopf wiederfinden könnte,“ seufzte sie halblaut. „Jetzt hab‘ ich gar nichts zur Erinnerung an ihn!“ Und sie schluckte ein paar Tränen hinunter.

Plötzlich blieb sie stehen und flüsterte: „Grad‘ hier war‘s. Ach Gott, wenn ich‘s nochmal tun sollte, ich würd‘s nicht sagen – ich würd‘s nicht sagen für die ganze Welt! Aber er ist jetzt fortgegangen – und ich werd‘ ihn nie – nie wiedersehen – “

Dieser Gedanke ließ sie zusammenbrechen, sie schlich fort, während die Tränen ihr über die Backen niederflossen.

Dann kam ein Haufe Buben und Mädel – Spielkameraden von Tom und Joe, – schauten über den Zaun und besprachen in halbem Ton, wie Tom dies und das tat in der letzten Zeit, wo sie ihn gesehen hatten, und wie Joe diesen und jenen nebensächlichen Ausspruch getan hatte (mit unheimlichem Voraussehen der Ereignisse, wie sie jetzt wußten!) – und jeder Sprecher bezeichnete ganz genau die Stelle, wo die vermißten Flüchtlinge damals gestanden hatten, und dann fügten sie hinzu: „und ich stand gerad so, gerad wie ich jetzt steh‘, und als wenn du er wärest, und ich hab‘ genau auf alles geachtet, und er lächelte – genau so – und dann überlief es mich ordentlich, ganz – schreck – lich, ihr wißt ja auch, und ich konnt‘ mir gar nicht denken, was es sein könne, aber jetzt weiß ich‘s.“

Darauf erhob sich ein Streit, wer die toten Jungen zuletzt gesehen habe, viele erhoben diesen traurigen Anspruch und boten Beweise, mehr oder weniger durch Zeugen erhärtet, an; und als endgültig festgestellt war, wer sie in der Tat zuletzt gesehen und die letzten Worte mit ihnen gewechselt hatte, bekamen die Betreffenden dadurch eine Art geheiligter Bedeutung und wurden von allen angestaunt und beneidet. Ein armer, kleiner Bursche, der niemals besonders beachtet worden war, sagte, mit ordentlich stolzem Ausdruck: „Na, mich hat Tom Sawyer mal geprügelt!“

Aber dieser Ruhm war sehr vergänglich. Die meisten der Jungen konnten das sagen, und das verringerte die Auszeichnung doch sehr. Die Gesellschaft trollte sich, mit halber Stimme noch weiter Erinnerungen an die verlorenen Helden austauschend.

Als am nächsten Tage die Sonntagsschule zu Ende war, begann die Glocke zu läuten, statt, wie sonst, zu klingeln. Es war ein sehr stiller Sonntag, und der traurige Ton schien sich mit der sinnenden Ruhe, die auf der Natur lag, zu vermischen. Die Dorfbewohner trafen nach und nach ein, in der Vorhalle einen Augenblick stehen bleibend und wispernd sich über das traurige Ereignis unterhaltend.

 

Aber im Gotteshause wurde nicht geflüstert. Nur das feierliche Rascheln der Kleider, indem sie sich auf ihre Plätze begaben, störte hier die Stille. Niemand wußte sich zu erinnern, daß die Kirche je so voll gewesen wäre.

Es war eine erwartungsvolle, dumpfe Stille, und dann trat Tante Polly, gefolgt von Sid und Mary und durch die Harpersche Familie, alle in tiefer Trauer, und die ganze Gemeinde sowie der Geistliche erhoben sich ehrfurchtsvoll und blieben stehen, bis die Leidtragenden auf der ersten Bank sich niedergelassen hatten.

Wieder trat allgemeines Schweigen ein, nur zuweilen durch unterdrücktes Schluchzen unterbrochen, und dann erhob der Geistliche die Hände und betete. Ein ergreifendes Lied wurde gesungen, worauf der Text folgte: Ich bin der Trost und das Leben.

Im Verlauf seiner Predigt gab der Geistliche solche Bilder von der Sanftmut, dem ehrenhaften Lebenswandel und den vielversprechenden Talenten der verlorenen Durchgänger, daß jedermann, sich einbildend, diese Porträts zu erkennen, Schmerz empfand bei dem Gedanken, daß er gegen all das bisher blind gewesen sei und an den armen Jungen beständig nichts als Fehler und Flecken gesehen hatte. Der Geistliche erzählte manch rührendes Ereignis aus dem Leben der Verschwundenen, das ihre sanften, edelmütigen Naturen zeigte, und das Volk konnte jetzt leicht sehen, wie edel und schön diese Vorkommnisse waren und sich mit Kummer daran erinnern, daß sie ihnen damals, als sie sich zutrugen, als arge Spitzbubenstreiche erschienen waren, die den Ochsenziemer verdienten. Die Gemeinde wurde mehr und mehr gerührt, je weiter die ergreifende Predigt fortschritt, bis schließlich alles geknickt war und seine tränenreichen Klagen zu einem Chorus selbstanklagenden Schluchzens vereinigte; sogar der Geistliche überließ sich seinen Gefühlen und weinte auf offener Kanzel.

Auf dem Chor entstand ein Rascheln, auf das aber niemand achtete; einen Augenblick später knarrte die Tür der Kirche. Der Geistliche hob die strömenden Augen vom Taschentuch und stand wie angedonnert. Eins um das andere Augenpaar folgte dem seinigen, und dann, wie von einem Impuls getrieben, erhob sich die Gemeinde und sah, wie die drei toten Jungen ganz gemütlich den Gang heraufgeschlendert kamen, Tom voran, dann Joe, zuletzt Huck, eine Ruine wandelnder Lumpen, mit schafsmäßig-verdutztem Gesicht. Sie waren in dem unbenutzten Chor versteckt gewesen und hatten ihrer eigenen Leichenrede zugehört.

Tante Polly, Mary und die Harpers warfen sich auf die Wiederauferstandenen, sie mit Küssen überschüttend und Danksagungen ausstoßend, während der arme Huck verwirrt und unbehaglich dabei stand, ohne im geringsten zu wissen, was er mit sich anfangen und wohin er sich vor all den Augen, von denen ihn keines bewillkommnete, wenden sollte.

Er stand einen Augenblick zögernd und machte einen schüchternen Versuch, sich wegzustehlen, aber Tom ergriff ihn und sagte:

„Tante Polly, ‘s ist nicht recht. ‘s muß sich jemand freuen, Huck wiederzusehen!“

„Und ‘s soll auch! Ich freue mich, ihn zu sehen, armes, verlassenes Kind!“

Und Tante Polly wandte ihre liebenswürdige Aufmerksamkeit jetzt ihm zu – was ihn nur noch unbehaglicher machte als vorher.

Plötzlich schrie der Geistliche aus vollem Halse: „Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren! – Singt – und legt euer Herz rein!“

Und sie taten‘s. Daß alte Lob- und Danklied drang mit triumphierender Inbrunst empor, und während es alles erzittern machte, schaute Tom Sawyer, der Seeräuber, um sich auf die neidische Jugend ringsum und bekannte in seinem Herzen, daß dies der stolzeste Moment in seinem Leben sei!

Als die Gemeinde hinausströmte, meinten alle, sie möchten sich wohl nochmal lächerlich machen um dies Danklied nochmal so singen zu hören.

Tom erhielt an diesem Tage mehr Püffe und Küsse – je nach Tante Pollys Stimmung, als vorher in einem Jahre; und er wußte jetzt ganz genau, was am meisten Dank gegen Gott und Liebe zu ihm ausdrückte.