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Die Abenteuer Tom Sawyers

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„Heißt, wenn ich‘s möcht‘.“

„Na, was wolltest du denn tun?“

„Das weiß ich nicht. Aber ich tät‘s nicht!“

„Na, Hucky, du mußt‘s! Wie wolltest du dich drum drücken?“

„Weil ich‘s halt einfach nicht täte. Ich lief fort – glaub‘ ich.“

„Lief fort! Na, du würdest ein schöner Kerl von ‘nem Einsiedler sein! ‘ne Schande!“

Der ‚Bluthändige‘ gab keine Antwort, er hatte Besseres zu tun. Eben hatte er einen Maiskolben fertig ausgehöhlt, tat jetzt Tabakblätter hinein, drückte eine glühende Kohle drauf, machte aus einem Binsenrohr einen Stiel und stieß dicke Rauchwolken hervor; er befand sich im Zustand ausschweifendsten Behagens.

Plötzlich sagte Huck: „Was haben Piraten zu tun?“

„O, die haben zuweilen lustige Zeiten,“ belehrte Tom, „nehmen Schiffe weg und verbrennen sie, vergraben alles Gold daraus an einer unheimlichen Stelle ihrer Insel, wo Geister und solche Dinger sie bewachen, und töten alle auf dem Schiff – lassen sie über ‘ne Planke springen.“

„Und sie schleppen die Frauen auf ihre Insel,“ sagte Joe, „die Frauen töten sie nicht.“

„Nein,“ stimmte Tom zu, „sie töten keine Frauen – dazu sind sie zu edel, Und dann sind die Frauen auch immer wunderschön, immer!“

„Und tragen die aller-allerschönsten Kleider. Lauter Gold und Diamanten,“ sagte Joe wieder mit Begeisterung.

„Wer?“ fragte Huck.

„Na – die Piraten.“

Huck beschaute kritisch seine eigenen Kleider. „Ich schätze, ich wäre für ‘nen Piraten zu schlecht gekleidet,“ sagte er mit traurigem Pathos, „aber ich hab‘ keine anderen als diese.“

Aber die anderen beiden trösteten ihn damit, daß die schönen Kleider früh genug kommen würden, wenn sie nur erst mal ihr Abenteuerleben begonnen haben würden; sie machten ihm begreiflich, daß seine Lumpen es für den Anfang schon täten, obwohl es für bessere Piraten sich schickte, in anständigerer Garderobe zu erscheinen.

Allmählich wurde die Unterhaltung einsilbig und Müdigkeit begann sich auf die Augenlider der kleinen Landstreicher zu senken. Die Pfeife entfiel den Fingern des ‚Bluthändigen‘, und er schlief den Schlaf des Gerechten und des Müden.

Der ‚Schrecken des Meeres‘ und der ‚schwarze Rächer des spanischen Meeres‘ kamen nicht so leicht zum Schlafen. Sie sagten ihr Abendgebet innerlich und legten sich nieder, da niemand hier war, dessen Autorität sie hätte zwingen können, niederzuknien und es laut zu sprechen. In Wahrheit hatten sie Lust, es überhaupt nicht zu sprechen, aber sie hatten doch Furcht, soweit vom Wege abzuirren, um nicht ein plötzliches, speziell für sie bestimmtes Donnerwetter vom Himmel herabzubeschwören. Dann endlich befanden sie sich ganz dicht am Rande des Schlafes – als noch einmal ein Störenfried auftrat, der sich nicht abweisen lassen wollte. Es war das Gewissen. Sie begannen die unbestimmte Empfindung zu haben, daß sie doch wohl unrecht getan hätten, fortzulaufen. Danach dachten sie an die gestohlenen Lebensmittel und damit begann erst die rechte Selbstquälerei für sie. Sie versuchten sie von sich abzuwenden, indem sie sich des gestohlenen Zuckerwerks und der Äpfel erinnerten, die sie auf dem Kerbholz hatten. Aber das Gewissen ließ sich durch solche mageren Einwände nicht beruhigen. Es schien ihnen schließlich doch unmöglich, um die unumstößliche Tatsache herumzukommen, daß Äpfelstehlen lediglich „stibitzen“ sei, während das Forttragen von Schinken, Speckseiten und solchen Wertgegenständen nur als vollgültiger, klarer Diebstahl bezeichnet werden könne – und dagegen gab es ein Verbot in der Bibel! Worauf sie innerlich beschlossen, daß, solange sie auch bei dem Geschäft bleiben würden, ihre Seeräubereien nicht wieder durch das Verbrechen des Diebstahls gebrandmarkt werden sollten. Ihr Gewissen schloß auf dieser Grundlage denn auch Waffenstillstand, und diese merkwürdig inkonsequenten Piraten fielen in tiefen Schlummer.

Vierzehntes Kapitel

Als Tom morgens erwachte, war er sehr erstaunt über seine Umgebung. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und schaute um sich; dann begriff er. Es herrschte kühle, graue Dämmerung und ein wundervoller Hauch von Ruhe und Frieden in der tiefen, alles durchdringenden Stille und Lautlosigkeit des Waldes. Nicht ein Blatt rührte sich, nicht ein Laut störte das große Nachdenken der Natur. Tautropfen lagen auf Blättern und Gräsern. Eine weiße Schicht Asche bedeckte die Feuerstelle, und ein dünner, blauer Streifen Rauch hob sich in die Luft empor. Joe und Huck schliefen noch. Jetzt plötzlich begann ein Vogel im Innern des Waldes zu singen; andere antworteten; dann machte sich das Hämmern eines Spechtes hörbar. Allmählich erhellte sich der kühl-trübe Grauton des Morgens, und ebenso allmählich vermehrten sich die Stimmen, und das Leben nahm zu. Alle Wunder der den Schlaf abschüttelnden und an die Arbeit gehenden Natur entfalteten sich vor dem staunenden Knaben. Ein kleines, grünes Kriechtier kam über ein von Tau bedecktes Blatt daher, zwei Drittel des Körpers von Zeit zu Zeit in die Luft erhebend, herumschnüffelnd, dann wieder weiterkriechend, „maßnehmend“, wie Tom bei sich sagte. Und als die Raupe sich ihm selbst näherte, saß er mäuschenstill und hoffte, je nachdem sie sich auf ihn zu bewegte oder eine andere Richtung einschlug; und als sie schließlich, nachdem sie einen Augenblick peinvoller Erwartung für Tom ihren gekrümmten Leib aufgerichtet gehalten hatte, entschieden auf Tom losmarschierte und eine Entdeckungsreise auf ihm antrat, war sein ganzes Herz voll Vergnügen, denn er hoffte daraufhin ganz zweifellos, einen neuen Anzug zu bekommen – eine herrliche Piratenuniform. Nun erschien eine Prozession Ameisen, Gott weiß, woher, um sich an ihre Arbeit zu machen; eine schleppte ganz mutig eine tote Spinne, die fünfmal so groß war wie sie selbst, und zerrte sie auf einen Baumstrunk. Ein braun geflecktes Käferchen kraxelte einen Grashalm in die Höhe, und Tom beugte sich zu ihm herab und sang:

 
„Käferchen, Käferchen, flieg nach Haus,
Kinder allein in dem brennenden Haus!“
 

worauf es die Flügel ausbreitete, um heimwärts zu fliegen und nach den allein gelassenen Kinderchen zu sehen, was Tom nicht weiter überraschte, denn er kannte längst die Leichtgläubigkeit und die Furcht dieses Tieres vor Feuer und hatte sie mehr als einmal ruchlos ausgenutzt.

Die ganze Natur war jetzt wach und in Bewegung, lange Nadeln von Sonnenlicht brachen durch das dichte Laub fern und nah, und kleine Schmetterlinge flatterten hin und her.

Tom weckte die anderen Piraten, und alle stürmten heulend davon, waren in zwei oder drei Minuten entkleidet und jagten sich und stießen sich herum in dem seichten, klaren Wasser der Sandbank. Sie empfanden nicht das geringste Verlangen nach dem kleinen Dorfe, das in der Ferne an der majestätischen Wasserwüste noch fest schlief. Eine zufällige Strömung oder eine schwache Welle hatte das Floß fortgetrieben. Indessen freuten sie sich eher darüber, denn durch sein Verschwinden war die Brücke zwischen ihnen und der Zivilisation gleichsam abgebrochen.

Sie kehrten wunderbar erfrischt zu ihrem Lagerplatz zurück, vergnügt und heißhungrig; bald hatten sie das Lagerfeuer wieder angezündet. Huck fand eine Quelle goldklaren Wassers in der Nähe, sie machten Becher aus Eichenrinde oder Blättern und konstatierten, daß Wasser, von solcher Wild-Wald-Romantik versüßt, ein sehr guter Ersatz für Kaffee sei.

Während Joe sich daran machte, Speck zum Frühstück zu rösten, baten Tom und Huck ihn, einen Augenblick zu warten; sie rannten nach einer vielversprechenden Stelle der Sandbank und warfen dort ihre Angeln aus; fast sofort hatten sie Erfolg. Joe hatte gar nicht Zeit gehabt, ungeduldig zu werden, als sie schon zurück waren mit ein paar Handvoll Forellen, einem riesigen Barsch und anderen Fischen, – Vorrat genug für eine ganze Familie. Sie brieten die Fische mit Speck und waren überrascht; denn kein Fisch war ihnen bisher so delikat erschienen. Sie wußten nicht, daß ein Fisch um so besser ist, je eher er übers Feuer kommt; auch überlegten sie sich kaum, welche Würze Schlaf und Bewegung im Freien, ein Bad und die Zutat eines tüchtigen Hungers ausmachten.

Nach dem Frühstück lagen sie im Schatten herum, während Huck ein Pfeifchen schmauchte, und dann machten sie sich zu einer Entdeckungsreise durch den Wald auf die Füße. Sie trollten lustig dahin über vermoderte Baumstämme, durch wirres Gestrüpp, zwischen schweigenden Königen des Waldes hindurch, die von oben bis unten mit allerhand Schlingpflanzen behangen waren. Ab und zu trafen sie auf verborgene, mit Gras bewachsene und mit Blumen geschmückte kleine Lichtungen.

Sie fanden eine Menge Dinge, die ihnen gefielen, aber nichts, was sie in Entzücken gesetzt hätte. Sie stellten fest, daß die Insel über drei Meilen lang und eine Viertelmeile breit und daß die Küste, wo sie ihr am nächsten war, nur durch einen schmalen Kanal, kaum zweihundert Meter breit, von ihr getrennt sei. Alle paar Stunden nahmen sie ein Bad, so war es hoher Nachmittag, als sie zum Lager zurückkehrten. Sie waren zu hungrig, um wieder Fische zu fangen, fielen daher tüchtig über ihren Schinken her, warfen sich dann im Schatten nieder und plauderten. Aber das Gespräch geriet bald ins Stocken und erstarb dann ganz. Die Stille und Einsamkeit, die über dem Walde lagen, und die Empfindung der Verlassenheit begannen auf die Gemüter zu wirken. Sie versanken in Nachdenken. Eine Art unbestimmter Sehnsucht ergriff sie und lastete immer schwerer auf ihnen – es war das Heimweh. Selbst Finn, der Bluthändige, träumte von seinen Treppenstufen und leeren Regentonnen. Aber sie schämten sich ihrer Schwäche, und niemand war tapfer genug, davon zu sprechen.

Jetzt plötzlich wurden die Jungen durch einen ganz besonderen Schall in der Ferne aufgeschreckt, wie es wohl durch das Ticken einer Wanduhr geschieht, das man schon lange gehört hat, ohne es zu bemerken. Indessen wurde der geheimnisvolle Ton bestimmter und drängte sich geradezu der Wahrnehmung auf. Die Jungen fuhren in die Höhe, schauten einander an, und dann verharrte jeder in lauschender Stellung. Es folgte langes Stillschweigen, tief und ungestört; dann kam ein tiefer, dumpfer Ton aus weiter Ferne herüber.

 

„Was ist das,“ schrie Joe atemlos.

„Möcht‘s auch wissen,“ entgegnete Tom flüsternd.

„‘s ist nicht Donner,“ schloß sich Huck in erschrecktem Ton an, „denn Donner – “

„Still!“ befahl Tom, „horcht – dann sprecht.“

Sie warteten eine Zeitlang, die ihnen eine Ewigkeit dünkte, und dann unterbrach derselbe dumpfe Ton die tiefe Stille.

„Wollen wir hingehen und nachsehen?“

Sie sprangen auf und rannten nach der dem Dorfe zugewandten Küste. Sie teilten die Büsche auf der Sandbank und spähten hindurch über die Wasserfläche. Das kleine, eiserne Dampfboot befand sich über eine Meile unterhalb des Dorfes, mit dem Strome treibend. Das Verdeck schien mit Menschen bedeckt. Eine Menge Boote trieben sich um den Dampfer herum oder ließen sich von der Strömung treiben, aber die Jungen konnten nicht herausbringen, was die Leute vorhatten. Plötzlich schoß eine große weiße Dampfwolke vom Dampfboot aus über den Fluß, und als sie sich ausbreitete und in kleinen Wölkchen in die Höhe stieg, tönte derselbe dumpfe Ton den Lauschenden in die gespitzten Ohren.

Jetzt weiß ich!“ schrie Tom, „‘s ist jemand ertrunken!“

„‘s ist an dem,“ bestätigte Huck. „Sie machten es letzten Sommer so, als Bill Turner unterging. Sie schossen ‘ne Kanone über dem Wasser ab und davon kam er wieder raus. Ja – und sie nahmen Laibe Brot, taten Quecksilber ‘rein und ließen sie dann schwimmen, und wo einer dann ertrunken ist, dahin schwimmen sie ganz richtig und bleiben da stehen.“

„Ja,“ sagte Joe, „das hab‘ ich auch gehört. Möchte aber wissen, was das Brot damit zu tun hat.“

„O, ich denke, ‘s Brot ist‘s wenigste,“ meinte Tom. „Ich meine, ‘s ist mehr, was sie drüber sprechen, ehe sie‘s aussetzen.“

„Aber sie sprechen ja gar nichts drüber,“ warf Huck ein. „Ich hab‘s gesehen, und sie taten‘s nicht!“

„Na, das ist sonderbar,“ kopfschüttelte Tom. „Aber sie sagen gewiß was zu sich selbst. Natürlich tun sie‘s. Jeder weiß das.“

Die anderen gaben zu, daß das, was Tom da sage, was für sich habe, denn ein lumpiges Stück Brot, nicht durch eine Besprechung mit besonderer Kraft ausgestattet, konnte sich nicht so klug und geschickt benehmen, wenn man es auf eine Unternehmung von solcher Wichtigkeit ausschickte.

„Teufel,“ sagte Joe, „ich wollt‘ ich wär‘ drüben!“

„Ich auch,“ bestätigte Huck. „Ich gäb ‘nen Haufen, um zu wissen, was das ist.“

Die Jungen horchten und warteten. Plötzlich durchfuhr ein erleuchteter Gedanke Toms Hirn, und er rief aus:

„Jungs, ich weiß, wen sie suchen dort drüben! Uns suchen sie!“

Sie fühlten sich sofort als Helden. Hier war ein glänzender Triumph. Sie wurden vermißt. Sie wurden beweint. Herzen brachen ihretwegen. Tränen wurden vergossen. Anklagende Erinnerung an unfreundliche Handlungen gegen diese armen Verlorenen stiegen auf, und nutzloses Bedauern und Gewissensbisse quälten die Herzen. Und das beste – die Vermißten wurden zum öffentlichen Gesprächsthema des ganzen Dorfes, und dann der Neid aller Buben, soweit diese glänzende Botschaft drang! Es war herrlich! Es gab dem Piratenspielen erst den rechten Wert.

Als die Dämmerung hereinbrach, kehrte das Dampfboot zu seinen gewöhnlichen Geschäften zurück, und die Boote verschwanden. Die Piraten kehrten in ihr Lager zurück. Sie waren noch ganz betäubt durch den Überschwang ihrer neuen Größe und das wunderbare Aufsehen, das sie erregten.

Sie fingen Fische, bereiteten ihr Abendessen, verzehrten es und legten sich dann nieder, um Vermutungen anzustellen, was das Dorf über sie denken und sprechen möchte. Und die Bilder, die sie sich von der allgemeinen Bestürzung, deren Ursache sie waren, machten, entzückten sie über alle Maßen. Aber als die Schatten der Nacht sie zu umhüllen begannen, hörten sie auf zu plaudern und saßen da, schauten ins Feuer, während ihr Geist augenscheinlich ganz wo anders weilte. Der Rausch war geschwunden, und Tom und Joe konnten an niemand zu Hause zurückdenken, der sich über ihre Heldentat so freuen mochte, wie sie es taten. Trübe Ahnungen stellten sich ein. Sie fühlten sich unbehaglich und unglücklich. Ein oder zwei Seufzer entschlüpften ihnen. Endlich wagte Joe einen Fühler auszustrecken, um zu sehen, wie die anderen über die Rückkehr zur Zivilisation denken mochten, – nicht jetzt natürlich – aber —

Tom wies ihn mit Verachtung zurück! Huck, bis jetzt noch ganz gleichmütig, stimmte Tom bei, und der Wankelmütige gab eine demütige „Erklärung“ ab und war froh, sich mit einem so geringen Odium schwachherzigen Heimwehs, als es sich nur immer machen ließ, aus der Affäre zu ziehen. Für den Augenblick war die Empörung also offenbar niedergeschlagen.

Als die Nacht dunkelte, begann Huck zu nicken und sogleich zu schnarchen. Joe war der nächste. Tom lag eine Zeitlang unbeweglich auf den Ellbogen, die beiden aufmerksam beobachtend. Schließlich erhob er sich vorsichtig auf die Knie und kroch durch das Gras und den flackernden Widerschein des Lagerfeuers. Er sammelte und untersuchte verschiedene große Stücke weißer Sykomorenrinde und wählte schließlich zwei, die ihm die besten schienen, aus. Dann kroch er wieder zum Feuer und kritzelte etwas mit Rotstift auf jedes von ihnen. Eins rollte er zusammen und schob es in seine Tasche, das andere tat er in Joes Hut und legte diesen in einiger Entfernung von seinem Eigentümer hin. In den Hut tat er dann noch gewisse Schulbuben-Kostbarkeiten von fast unschätzbarem Wert, darunter ein Stück Kreide, einen Klumpen Federharz, drei Angelhaken und eine jener Art Marbeln, die als „so gut wie Kristall“ bekannt sind. Dann schlich er auf den Zehen vorsichtig zwischen den Bäumen hindurch, bis er außer Hörweite zu sein glaubte, und dann setzte er sich in scharfen Trab in der Richtung nach der Sandbank zu.

Fünfzehntes Kapitel

Wenige Minuten später befand sich Tom im seichten Wasser der Sandbank, der Illinois-Küste zuwatend. Bevor ihm die Flut bis zur Hälfte des Körpers reichte, war er schon halb drüben. Die Strömung erlaubte jetzt kein Waten mehr; so machte er sich zuversichtlich daran, die letzten hundert Meter schwimmend zurückzulegen. Er schwamm querüber, aber bald wurde er stärker stromabwärts getrieben, als er gedacht hatte. Indessen, er erreichte die Küste schließlich, trieb an ihr entlang und fand eine niedrige Stelle, wo er hinauskletterte. Er legte die Hand auf die Tasche, fand, daß seine Baumrinde darin wohlgeborgen sei und schlug sich dann mit triefenden Kleidern durch den Wald, der Küste folgend. Kurz vor 10 Uhr kam er auf einen freien Platz dem Dorfe gegenüber und erblickte das Dampfboot im Schatten der Bäume und des hohen Ufers liegend. Alles war totenstill unter den funkelnden Sternen.

Er kroch unter einen Ufervorsprung, tauchte ins Wasser, tat schwimmend drei oder vier Stöße und kletterte in das Boot, welches, wie es sich gehörte, am Stern des Dampfbootes befestigt war. Er legte sich unter die Bank und wartete mit Herzklopfen. Plötzlich schlug die blecherne Glocke an, und eine Stimme gab Befehl, abzustoßen. Ein paar Minuten später wurde die Spitze des Bootes vom Dampfer stark angezogen, und die Reise hatte begonnen. Tom fühlte sich erhoben durch seinen Erfolg – er wußte, daß es die letzte Fahrt sei, die das Boot an diesem Abend machte.

Nach langen zwölf bis fünfzehn Minuten stoppte das Fahrzeug, und Tom glitt über Bord und schwamm im Dunkeln dem Ufer zu; er landete fünfzig Meter unterhalb – zur Sicherheit vor etwaigen herumstreichenden Bekannten. Er lief durch wenig belebte Straßen und befand sich bald am hinteren Zaun seiner Tante. Er kletterte hinüber, näherte sich behutsam dem Haus und spähte durch das Wohnzimmerfenster, da er dort Licht sah.

Da saßen Tante Polly, Sid, Mary und Joe Harpers Mutter, dicht zusammengedrängt, eifrig schwatzend. Sie saßen am Bett, und dieses stand zwischen ihnen und der Tür. Tom schlich vorsichtig zur Tür und begann vorsichtig den Drücker zu drücken. Dann drückte er kräftiger, und die Tür knarrte. Er setzte seine Tätigkeit fort und hielt jedesmal inne, sobald es knarrte, bis er glaubte, auf den Knien durchkriechen zu können. Und so steckte er den Kopf hinein, und versuchte es vorsichtig.

„Warum flackert das Licht so?“ sagte Tante Polly. Tom beeilte sich.

„Ich glaub gar, die Tür ist offen! Wahrhaftig, sie ist offen! Hören denn die Gespenstergeschichten heut gar nicht auf! Geh‘ hin und mach sie zu, Sid!“

Im selben Moment verschwand Tom unterm Bett. Er lag und verschnaufte ‘ne Zeitlang, und dann kroch er so weit vor, daß er Tante Pollys Füße fast berühren konnte.

„Aber, wie ich sagte,“ fing Tante Polly wieder an, „er war nicht schlecht, nur – wie soll ich sagen – gerissen! Nur ein bißchen unbesonnen, wissen Sie, und gedankenlos-flüchtig. Er dachte nie mehr nach als ein Füllen. Bös meint‘ er‘s nie, er war der gutherzigste Junge, der jemals dagewesen ist,“ und sie begann zu weinen.

„Grad‘ so war‘s mit meinem Joe – immer voll von Dummheiten und zu jedem Unfug aufgelegt; und so selbstlos und gutmütig, wie nur einer sein kann – und es schmerzt mich schrecklich, zu denken, daß ich hingehen konnte und ihm eine runterhauen, weil er die Milch genommen haben sollte, und nicht daran dachte, daß ich sie als sauer selbst fortgegossen hatte – und ich soll ihn nie wiedersehen in dieser Welt, nie, nie, nie – armer verlassener Junge!“ Mrs. Harper schluchzte, als solle ihr das Herz brechen.

„Ich hoffe, Tom ist besser dran, wo er ist,“ sagte Sid, „aber wenn er in manchen Dingen hier besser gewesen wäre – “

„Sid!“ Tom fühlte ordentlich den strengen Blick aus den Augen der alten Dame, obwohl er sie nicht sehen konnte. „Nicht ein Wort gegen meinen Tom, nun er fort ist! Gott wird sich seiner annehmen, sorg du nur für dich selbst, mein Lieber. O, Mrs. Harper, ich weiß nicht, wie ich‘s ohne ihn aushalten soll – ich weiß nicht, wie ich‘s ohne ihn aushalten soll! Er war so anhänglich an mich – obwohl er mein altes Herz zuweilen fast gebrochen hätte!“

„Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Aber ‘s ist so hart – o, ‘s ist so hart! Noch letzten Samstag ließ Joe einen Schwärmer mir unter der Nase platzen, und ich schlug ihn nieder. Damals wußt‘ ich freilich nicht, wie bald – o, wenn ich‘s noch mal erleben könnte, ich würd‘ ihn dafür umarmen und segnen.“

„Ja, ja, ich kann‘s mir denken, was Sie fühlen, Mrs. Harper, ganz genau weiß ich, was Sie fühlen! ‘s ist noch nicht länger als gestern abend, da nahm Tom die Katze und füllte sie voll ‚Schmerzenstöter‘, und ich dachte, das Tier würd‘ das Haus einreißen! Und – Gott verzeih‘ mir – ich gab ihm eins mit dem Fingerhut auf den Kopf – armer Junge, armer toter Junge! Aber er ist jetzt raus aus allen Schmerzen. Und die letzten Worte, die ich von ihm gehört habe, waren – “

Aber diese Erinnerung war zu viel für die alte Dame, und sie brach völlig zusammen. Tom schluchzte jetzt selbst – mehr aus Mitleid mit sich selbst als mit sonst jemand. Er konnte auch Mary weinen und von Zeit zu Zeit ein freundliches Wort über sich sprechen hören. Er fing an, eine bessere Meinung als bisher von sich selbst zu haben. Schließlich war er durch seiner Tante Kummer so tief ergriffen, daß er drauf und dran war, unter dem Bett hervorzukommen und sie mit seiner Wiederkunft freudig zu überraschen, und der Theatereffekt war ganz nach seinem Geschmack, aber er widerstand doch und verhielt sich still.

Er fuhr fort zu lauschen und setzte sich aus allerhand Andeutungen zusammen, daß man erst angenommen habe, die Burschen seien beim Schwimmen umgekommen; dann wurde das kleine Floß vermißt; dann verkündeten ein paar Jungen, die Ausreißer hätten versprochen, das Dorf solle bald „von ihnen hören“. Die weisen Häupter hatten dies und das zusammengereimt und erklärt, die Strolche seien auf diesem Floß davongefahren und würden bald in der nächsten Stadt unterwärts anlangen. Aber gegen Mittag war das Floß gefunden worden, ungefähr fünf oder sechs Meilen unterhalb des Dorfes an der Missouriküste, und da hatte man die Hoffnung aufgegeben; sie mußten ertrunken sein, denn sonst hätte der Hunger sie bei Einbruch der Nacht nach Haus getrieben – wenn nicht schon früher. Man glaubte, die Suche nach den Leichen sei darum erfolglos geblieben, weil sich das Unglück in der Mitte des Stromes zugetragen habe, denn die Jungen als gute Schwimmer würden sich sonst ans Ufer gerettet haben. Das war Mittwoch abend. Wenn sie bis Samstag noch nicht gefunden sein würden, müßte man alle Hoffnung aufgeben, und der Trauergottesdienst sollte dann am Sonntag morgen stattfinden. Tom schauderte.

 

Mrs. Harper wünschte mit weinerlicher Stimme „Gute Nacht“ und rüstete sich zum Abmarsch. Dann, mit plötzlichem Impuls, umarmten sich die beiden verwaisten Frauen, weinten sich nach Herzenslust aus und trennten sich. Tante Polly war doppelt zärtlich, indem sie Sid und Mary „Gute Nacht“ sagte. Sid schluchzte ein bißchen, Mary aber weinte aus Herzensgrund.

Tante Polly kniete nieder und betete für Tom so eindringlich, so leidenschaftlich und mit so grenzenloser Liebe in ihren Worten und ihrer alten, zitternden Stimme, daß er wieder, lange bevor sie zu Ende war, in Tränen zerfloß.

Er mußte noch lange, nachdem sie zu Bett gegangen war, warten, denn von Zeit zu Zeit stieß sie immer noch mal einen herzbrechenden Seufzer aus, warf sich unruhig hin und her und konnte nicht zur Ruhe gelangen. Aber schließlich war sie doch still und seufzte nur noch bisweilen im Schlaf.

Nun kroch der Junge hervor, richtete sich am Bett in die Höhe, beschattete das Licht mit der Hand und stand lange, sie betrachtend. Sein Herz war voll Mitleid mit ihr. Er zog seine Sykomorenrinde hervor und legte sie neben den Leuchter. Aber es fiel ihm etwas ein, und er überlegte. Auf seinem Gesicht lag der glückliche Widerschein seiner Gedanken. Schnell steckte er die Rinde wieder in die Tasche, dann beugte er sich herunter, küßte die welken Lippen und machte sich verstohlen davon, die Tür hinter sich schließend.

Er nahm seinen Weg wieder zum Dampfboot, fand niemand dort vor und begab sich kühn an Bord des Schiffes, welches, wie er wußte, verlassen war – bis auf einen Wächter, der sich darin einzuschließen und zu schlafen pflegte wie ein steinernes Bild. Er zog das kleine Boot heran, sprang hinein und schwamm bald wieder draußen auf dem Strom. Als er eine Meile vom Dorfe entfernt war, steuerte er querüber und legte sich tüchtig ins Zeug. Er erreichte genau die Landungsstelle an der anderen Seite – eine Kleinigkeit für ihn. Große Lust hatte er, das Boot zu kapern, denn er meinte, man müsse es doch als „Schiff“ betrachten und es sei somit legitime Beute für einen Seeräuber. Aber dann sagte er sich, daß genaue Nachforschungen danach angestellt werden würden, und das hätte mit einer Entdeckung enden können. So sprang er ans Ufer und drang in den Wald ein. Er setzte sich nieder und hielt lange Rast, sich quälend mit Anstrengungen, wach zu bleiben, und dann strebte er wieder seiner „Heimat“ zu. Die Nacht war fast zu Ende. Es war heller Morgen, bis er sich der Insel gegenüber befand. Er ruhte wieder, bis die Sonne ganz herauf war und den Fluß mit ihrem Glanz übergoß, und dann sprang er ins Wasser. Kurz darauf stand er triefend am Eingang des Lagers und hörte Joe sagen: „Nein, Tom ist treu, Huck, und er wird wiederkommen. Er wird nicht durchbrennen. Er weiß, daß es ‘ne Schande für ‘nen Seeräuber wär, und Tom ist zu stolz für so was. Er ist auf irgend was aus. Möcht‘ aber wohl wissen, was?“

„Na – die Sachen da gehören doch jetzt uns, nicht?“

„Beinahe, aber nicht ganz, Huck. Das Geschreibsel sagt, sie sind unser Eigentum, wenn er nicht bis zum Frühstück wieder da ist.“

„Was er ist,“ rief Tom in theatralischer Pose, großartig ins Lager tretend.

Ein prächtiges Frühstück, aus Schinken und Fisch bestehend, war bald zur Stelle, und während sich die Jungen darüber hermachten, berichtete Tom (mit vielen Ausschmückungen) seine Abenteuer. Sie waren eine edle, prahlerische Gesellschaft von Helden, als seine Erzählung beendet war. Dann machte Tom sich davon an einen schattigen Ort, um bis Mittag zu schlafen, die anderen Piraten brachen auf zu Fischzug und Entdeckungsreisen.