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Die Abenteuer Tom Sawyers

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„Glaub‘ kaum. Aber dann mußte deine Mutter es merken, wie die andern nach Haus kamen.“

Ein erschreckter Blick aus Beckys Augen brachte Tom zur Besinnung, und ihm fiel ein, daß er sich da einem traurigen Irrtum hingegeben hatte. Becky sollte zur Nacht ja gar nicht heimkommen! Die Kinder wurden still und nachdenklich. Dann belehrte ein neuer Anfall von Verzweiflung bei Becky Tom, daß sie denselben Gedanken hatte wie er – daß der Sonntagmorgen zur Hälfte vergehen konnte, bevor Frau Thatcher erfuhr, daß Becky nicht bei Harpers gewesen sei. Die Kinder hefteten die Augen auf das Kerzenrestchen und beobachteten, wie es erbarmungslos kleiner und immer kleiner wurde; sahen, wie schließlich nur noch ein halber Zoll Docht übrig war; sahen die Flamme flackern, auf und nieder, eine kleine Rauchsäule von dem Docht aufsteigen, und dann – dann herrschte der Schrecken vollkommener Finsternis.

Wie lange danach Becky allmählich zu dem Bewußtsein gelangte, daß sie weinend in Toms Armen lag, wußten beide nicht. Alles, was sie wußten, war, daß nach anscheinend sehr langer Zeit beide aus totenähnlichem Schlaf erwachten und sich ihres Elends wieder bewußt wurden. Tom meinte, es könne Sonntag sein, vielleicht auch Montag. Er versuchte, Becky zum Sprechen zu bringen, aber ihr Kummer war zu niederdrückend, sie hatte alle Hoffnung verloren. Tom tröstete sie mit der Bemerkung, sie müßten schon lange vermißt sein, und es sei kein Zweifel, daß die Suche schon begonnen habe. Er wollte schreien, vielleicht würde doch jemand kommen. Er versuchte es – aber in der Dunkelheit tönte das ferne Echo so gräßlich, daß er‘s nicht zum zweitenmal tun mochte.

Die Stunden flossen dahin, wieder stellte sich quälender Hunger ein. Ein Stück von Toms Kuchenhälfte war noch da; sie teilten und aßen sie. Aber sie schienen nur hungriger zu werden. Die armseligen Krümel erweckten nur das Verlangen nach mehr.

Plötzlich sagte Tom: „Pscht! Hörst du nichts?“

Beide hielten den Atem an und horchten. Es wurde etwas wie ein ganz entfernter Ruf hörbar. Sofort antwortete Tom, und, Becky an der Hand führend, lief er in der entsprechenden Richtung den Gang entlang. Dann horchte er wieder; wieder war der Ton hörbar, und, wie es schien, noch näher.

„Sie sind‘s!“ jubelte Tom. „Sie kommen! Komm mit! Becky – jetzt ist alles gut!“

Die Freude der Gefangenen war nahezu überwältigend. Das Vorwärtskommen war indessen schwer, weil es hier zahlreiche Spalten gab, man mußte daher äußerst vorsichtig sein. Bald kamen sie an eine und mußten halten. Sie konnte drei Fuß tief sein, aber auch hundert – es war kein Hinüberkommen. Tom legte sich platt nieder und reichte so tief es ihm möglich war. Kein Boden. Sie mußten bleiben und warten, bis die Retter kommen würden. Sie horchten; augenscheinlich klangen die Rufe immer entfernter. Ein bis zwei Minuten, dann waren sie ganz verklungen! Herzbrechende Verzweiflung! Tom brüllte, bis er heiser war, aber vergebens. Er sprach Becky hoffnungsvoll zu, aber eine Ewigkeit angstvollen Wartens verging, kein Ruf ertönte.

Die Kinder tasteten zur Quelle zurück. Endlos schleppte sich die Zeit hin. Sie schliefen wieder und erwachten hungrig und trostlos. Tom glaubte, es müsse jetzt schon Dienstag sein.

Jetzt kam ihm ein neuer Gedanke. Es gab dicht dabei ein paar Seitengänge. Es würde besser sein, einige von ihnen zu untersuchen, als die Last der Verzweiflung in Untätigkeit zu tragen. Er nahm eine Drachenleine aus der Tasche, befestigte sie an einer Felskante und er und Becky gingen, Tom voran, indem sich die Leine allmählich abwickelte, vorwärts. Nach zwanzig Schritt endete der Gang in einen abfallenden Platz. Tom warf sich auf die Knie, tastete herum und suchte mit der Hand um die Ecke des Felsens herumzukommen; er machte eine heftige Anstrengung, möglichst weit zu reichen, und sah, nicht zwanzig Meter entfernt, eine menschliche Hand, ein Licht haltend, um eine Ecke erscheinen! Tom stieß ein Triumphgeschrei aus, und plötzlich folgte der Hand der dazu gehörige Körper – der des Indianer-Joe! Tom erstarrte; er konnte kein Glied rühren. Dabei war er höchst überrascht, den „Spanier“ sich Hals über Kopf davonmachen zu sehen. Er wunderte sich, daß Joe seine Stimme nicht erkannt und ihm nicht für seine Aussage vor Gericht den Hals abgeschnitten habe. Das Echo mußte also wohl seine Stimme unkenntlich gemacht haben. Zweifellos war es so, dachte er. Der Schreck hatte jeden Muskel in ihm erschlafft. Er beschloß, wenn er noch Kraft genug habe, zur Quelle zurückzukehren, dort bleiben zu wollen, und nichts solle ihn wieder veranlassen können, sich der Gefahr eines Zusammentreffens mit dem Indianer-Joe auszusetzen. Er war besorgt, Becky von dem, was er gesehen habe, nichts merken zu lassen. Er sagte, er habe nur auf gut Glück nochmals gerufen.

Aber Hunger und Trostlosigkeit wurden immer schlimmer. Nochmals eine Zeit tödlichen Einerleis an der Quelle und nochmals ein langer Schlaf brachten ihn zu einem anderen Entschluß. Sie erwachten, von rasendem Hunger gequält. Tom glaubte, es müsse Mittwoch oder Donnerstag, vielleicht gar Freitag oder Samstag sein, und daß die Suche längst aufgegeben sei. Er schlug vor, einen anderen Gang zu untersuchen. Er war jetzt bereit, es mit Joe und allen Schrecken aufzunehmen. Aber Becky war sehr schwach. Sie war in tiefe Empfindungslosigkeit versunken und wollte nicht gestört sein. Sie erklärte, wo sie jetzt sei, warten zu wollen – und zu sterben; es werde ja nicht mehr lange dauern. Tom solle nur mit der Drachenleine weiter suchen; aber sie beschwor ihn, zuweilen wiederzukommen und mit ihr zu sprechen; und wenn die schreckliche Stunde gekommen sei, solle er bei ihr sein und ihre Hand halten – bis alles vorüber sein würde. Tom küßte sie mit erstickendem Gefühl in der Kehle und zeigte dabei nach Kräften Zuversicht, die Suchenden zu finden oder aber einen Ausweg aus der Höhle. Dann nahm er die Drachenleine und machte sich, auf Händen und Füßen kriechend, davon, von Hunger gequält und elend vor trüben Ahnungen des Kommenden.

Dreiunddreißigstes Kapitel

Dienstag-Nachmittag kam und wurde von der Dämmerung abgelöst. Das Dorf St. Petersburg lag wie im Totenschlaf. Die verlorenen Kinder waren nicht gefunden worden. Öffentliche Gebete waren für sie abgehalten worden; wieviel ungehörte Gebete mochten außerdem zum Himmel gestiegen sein! Aber noch immer kam keine hoffnungsvollere Nachricht aus der Höhle. Die meisten Suchenden hatten ihre Bemühungen aufgegeben und waren zu ihren täglichen Beschäftigungen zurückgekehrt, da nach ihrer Meinung die Kinder endgültig aufgegeben werden müßten. Frau Thatcher war sehr krank und lag meistens im Delirium. Man sagte, es sei herzbrechend, ihr Rufen nach ihrem Kinde zu hören, sie den Kopf heben und minutenlang horchen und sie dann unter Stöhnen sich mutlos wieder in die Kissen werfen zu sehen. Tante Polly war in vollkommene Schwermut versunken, ihr graues Haar war fast weiß geworden. Traurig und mutlos beschloß das Dorf den Dienstag-Abend.

Ungefähr um Mitternacht ertönte wildes Glockengeläut, im Augenblick waren die Straßen erfüllt von halbbekleideten, verschlafenen Menschen, die schrien: „Heraus, heraus – sie sind gefunden! Sie sind gefunden!“ Blechpfannen und Hörner vermehrten noch den Spektakel, das Volk bildete große Trupps, die dem Fluß zuliefen, um die Kinder in Empfang zu nehmen, welche in offenem Wagen, umgeben von schreienden Bürgern, herangezogen kamen; Hurra über Hurra brüllend, wälzte sich der Zug durch die Straßen.

Das Dorf wurde illuminiert, niemand ging wieder zu Bett, es war die größte Nacht, die das kleine Nest je erlebt hatte. Während der ersten halben Stunde zog eine wahre Prozession von Bürgern nach Richter Thatchers Haus, riß die Geretteten an sich, um sie zu küssen, drückte Frau Thatchers Hand, suchte vergebens nach Worten, und strömte wieder hinaus, alles mit Tränen überschwemmend.

Tante Pollys Seligkeit war vollkommen und Frau Thatchers beinahe. Vollkommen konnte sie erst sein, wenn ein Bote mit der Glücksnachricht bei ihrem noch immer in der Höhle herumirrenden Mann angelangt sein würde.

Tom lag auf dem Sofa, von begierigen Zuhörern umgeben und erzählte die Geschichte seiner großartigen Abenteuer, hie und da kleine Ausschmückungen anbringend; er schloß mit der Beschreibung, wie er Becky verließ, um einen neuen Streifzug zu machen; wie er zwei Gänge, so weit seine Leine reichte, verfolgte; wie er auch eine dritte untersuchte und eben im Begriff war, umzukehren, als er in weiter Ferne einen schwachen Lichtschimmer entdeckte, der wie Tageslicht erschien; wie er die Leine fortwarf und darauf zukroch, Kopf und Schultern durch eine enge Öffnung preßte und die Ufer des Mississippi vor sich sah. Und wäre es zufällig Nacht gewesen, hätte er den Lichtschimmer nicht gesehen und wäre umgekehrt, ohne den Gang weiter zu untersuchen! Er erzählte, wie er zu Becky zurückkehrte, ihr die Nachricht brachte, und sie ihn bat, sie nicht durch solchen Unsinn aufzuregen, denn sie sei müde, im Begriff zu sterben und wolle sterben; welche Mühe er sich gab, sie zu überzeugen, und wie es ihm endlich gelang, und wie sie dann fast starb vor Freude, als sie hingekrochen und den Tagesschein selbst gesehen habe; wie er zuerst durch das Loch gekrochen sei und dann auch ihr hindurchgeholfen habe; wie sie dasaßen und vor Entzücken weinten; wie ein paar Leute in einem Boot vorbeikamen, er sie anrief und ihnen ihre Lage und ihren verhungerten Zustand schilderte; wie die Leute die ganze Erzählung erst nicht glaubten, „denn,“ sagten sie, „ihr seid fünf Meilen stromabwärts vom Eingang der Höhle,“ sie dann zu sich nahmen, sie in ihr Haus brachten, sie essen und dann bis zwei oder drei Stunden nach Dunkelwerden ruhen ließen und sie dann schließlich hierher geleiteten.

Drei Tage und Nächte Aufregung und Hunger in der Höhle ließen sich nicht auf einmal abschütteln, wie Tom und Becky bald bemerkten. Mittwoch und Donnerstag mußten sie das Bett hüten und schienen dabei immer schwächer und schwächer zu werden. Donnerstag konnte Tom ein bißchen herumkriechen; am Freitag war er wieder auf den Beinen und am Samstag fast wie sonst. Becky aber konnte ihr Zimmer erst am Sonntag verlassen, und dann sah sie noch aus, als habe sie eben eine schwere Krankheit durchgemacht.

 

Tom hörte von Hucks Krankheit und ging am Freitag hin, um ihn zu sehen, wurde aber nicht zugelassen; ebensowenig Samstags und Sonntags. Danach durfte er täglich den Kranken besuchen, doch war ihm verboten, von seinen Abenteuern zu erzählen, um keine Aufregung bei dem Freund hervorzurufen. Die Witwe Douglas saß dabei und paßte auf, daß er gehorchte. Zu Hause erfuhr Tom das Cardiff Hill-Abenteuer; auch daß der Körper des einen Strolches, des „Fremden“, im Fluß nahe der Landungsstelle des Dampfbootes gefunden worden sei. Wahrscheinlich war er auf der Flucht angeschossen worden.

Ungefähr vierzehn Tage nach seiner Wiederherstellung ging Tom zu Huck, der inzwischen wieder so weit bei Kräften war, um aufregende Neuigkeiten vertragen zu können; und Tom wußte einige, die, dachte er, ihn wohl interessieren könnten. Richter Thatchers Haus lag an Toms Weg, und er ging hinein, nach Becky zu sehen. Der Richter und ein paar Freunde zogen Tom ins Gespräch, und jemand fragte ihn ironisch, ob er wohl Lust habe, nochmals in die Höhle zu gehen. Tom sagte, ja, er glaube wohl, daß er möchte.

Der Richter lachte: „‘s gibt wohl noch mehrere außer dir, Tom, daran zweifle ich nicht im geringsten. Aber dafür ist gesorgt. Niemand soll nochmals in der Höhle verloren gehen.“

„Wieso?“

„Weil ich schon vor zwei Wochen die Eichentür mit eisernen Bändern und ‘nem dreifachen Schloß habe versichern lassen; und die Schlüssel habe ich selbst in Verwahrung.“

Tom wurde weiß wie die Wand.

„Was ist‘s mit dem Jungen? Ho – lauf mal jemand nach ‘nem Glas Wasser!“

Das Wasser wurde gebracht und Tom ins Gesicht gespritzt.

„Aha – ‘s hilft schon! Na, was war denn Tom?“

„Gott, Herr Richter – in der Höhle drinnen war der Indianer-Joe!“

Vierunddreißigstes Kapitel

Wenige Minuten genügten, um die Neuigkeit bekannt zu machen, und ein Dutzend Bootsladungen Männer war unterwegs nach der Douglas-Höhle, denen bald das vollgestopfte Dampfboot folgte. Tom Sawyer befand sich im gleichen Boot mit dem Richter Thatcher. Als die Tür zur Höhle geöffnet wurde, bot sich in der ungewissen Dämmerung des Ortes ein trauriger Anblick. Der Indianer-Joe lag auf der Erde ausgestreckt, tot, das Gesicht fest an eine Lücke in der Tür gepresst, als wenn seine Augen bis zum letzten Augenblick an den Anblick der hellen, freien Welt dort draußen geheftet gewesen wären. Tom fühlte sich gerührt, denn aus eigener Erfahrung wußte er, was der Schuft gelitten haben mußte. Sein Mitleid war erregt, aber trotzdem empfand er ein überwältigendes Gefühl der Freiheit und Sicherheit, das ihm deutlich zeigte, was er bisher nur dunkel in sich getragen hatte; wie groß seine Furcht vor einem gewaltsamen Tode bei ihm gewesen sei, seit er vor Gericht gegen den Blutmenschen Zeugnis abgelegt hatte.

Joes Messer lag dicht bei ihm, die Klinge war abgebrochen; mit grenzenloser Ausdauer hatte er den eichenen, starken Grundbalken der Tür durchschnitten. Freilich war es vergebliche Ausdauer gewesen, denn der Felsen bildete eine natürliche Schwelle, und an der Härte dieses Hindernisses mußte sein Messer machtlos abgleiten; eine Wirkung zeigte sich auch nur an diesem selbst. Aber auch ohne diesen Steinwall würde alle Mühe umsonst gewesen sein, denn hätte der Indianer auch den Balken ganz entfernen können, so konnte er sich doch unmöglich durch diesen engen Spalt durchzwängen – und er wußte das. So hatte er denn die Arbeit nur verrichtet um etwas zu tun, um die fürchterliche Zeit totzuschlagen, um seinen Geist abzulenken. Gewöhnlich konnte man ein halbes Dutzend Kerzenreste in den Nischen des Eingangs finden, die von Besuchern dort zurückgelassen waren. Jetzt war nicht eine einzige da. Der Gefangene hatte sie zusammengesucht und sie gegessen. Auch hatte er ein paar Fledermäuse gefangen und sie verzehrt, nichts als die Flügel übrig lassend. Der arme, unglückliche Mensch war Hungers gestorben. In der Nähe hatte sich durch undenkliche Zeiten ein Tropfsteingebilde vom Boden herausgebildet – infolge beständigen Wassertropfens von der Decke. Er hatte die Spitze dieser Säule abgebrochen und einen etwas ausgehöhlten Stein darauf gelegt, worin er die von zwanzig zu zwanzig Minuten regelmäßig wie durch ein Uhrwerk herunterfallenden Tropfen auffing – einen Teelöffel voll in vierundzwanzig Stunden! Dieser Tropfen fiel schon, als die Pyramiden neu waren, als Troja sank, als Rom gegründet wurde, bei der Kreuzigung Christi, als der Eroberer nach England kam, als Columbus aussegelte, als das Blutbad von Lexington „neu“ war. Er fällt noch; er wird noch fallen, wenn all die jetzigen Dinge durch Vergangenheit Geschichte geworden, durch die Dämmerung der Sage in die Nacht der Vergessenheit versunken sein werden. Hat alles einen Zweck und eine Bestimmung? Mußte dieser Tropfen durch fünftausend Jahre fallen, weil er einmal für dieses menschliche Insekt nötig werden sollte, und hat er vielleicht in zehntausend Jahren noch einmal einen Zweck zu erfüllen? Aber genug. Es sind viele, viele Jahre vergangen, seitdem dieser hilflose Indianer den Stein aushöhlte, um ein paar unschätzbare Wassertropfen aufzufangen; aber bis zum heutigen Tage betrachtet jeder Reisende, der die Wunder der Douglas-Höhle kennen zu lernen kommt, am längsten von allem diesen merkwürdigen Stein und den langsam fallenden Tropfen. „Der Becher des Indianer-Joe“ steht unter den Sehenswürdigkeiten der Höhle an erster Stelle; selbst „Aladins Palast“ kann nicht mit ihm verglichen werden.

Der Indianer wurde nahe der Mündung der Höhle begraben. Das Volk strömte dahin aus dem Dorfe und aus allen Farmen und Niederlassungen sieben Meilen in der Runde zusammen; man schleppte die Kinder und eine Menge Lebensmittel heran und war schließlich von dem Begräbnis so befriedigt, als wäre Joe gehängt worden.

Die Beerdigung machte einer äußerst wichtigen Sache ein Ende – der Petition an den Gouverneur für des Indianer-Joes Begnadigung. Sie trug eine endlose Menge Namen; mehrere gerührte, redselige Versammlungen hatten getagt, ein Komitee weiser Frauen lag dem Gouverneur mit Murren und Klagen in den Ohren und bestürmte ihn, eine mächtige Eselei zu begehen und seine Pflicht mit Füßen zu treten. Der Indianer galt als Mörder von fünf Bürgern des Dorfes – aber was tat das? Wäre er der Teufel selbst gewesen, es hätte sich doch eine Anzahl Schwächlinge gefunden, die ihre Namen unter ein Begnadigungsgesuch gekritzelt und eine Träne aus ihren beständig übervollen Wasserwerken darauf fallen gelassen hätten.

Am Morgen nach dem Begräbnis zog Tom Huck zu einer wichtigen Unterredung an einen geheimen Ort. Huck hatte bereits durch den Walliser und die Witwe Douglas von Toms Abenteuern gehört, aber Tom meinte, es gäbe wohl noch etwas, wovon jene ihm nichts gesagt haben dürften; darüber eben wollten sie jetzt sprechen. Hucks Gesicht verfinsterte sich.

„Weiß schon, was es ist,“ sagte er. „Warst in Nummer Zwei und fandst nichts als Schnaps. ‘s hat mir zwar niemand gesagt, daß du‘s warst, aber ich wußte wohl, daß du‘s sein mußtest, sobald ich von dieser Schnaps-Geschichte hörte; und wußte, du hättst das Geld nicht erwischt, weil du sonst auf irgend ‘ne Weise zu mir gekommen wärst und mir‘s gesagt hättest, auch wenn du sonst gegen alle stumm gewesen wärst. Tom, ich glaub‘ fast, wir kriegen nie was von dem Schatz zu sehen.“

„Was, Huck, kein Wort red‘ ich von dem Schnapswirt. Du weißt doch, den Sonntag, als ich zum Picknick ging, war in seiner Schenke noch alles in Ordnung. Erinnerst du dich nicht, daß du in der Nacht wachen solltest?“

„O, sicher. Zwar, ‘s kommt mir vor, als wär‘s ein Jahr her. ‘s war dieselbe Nacht, wo ich dem Joe zur Witwe nachschlich.“

„Du schlichst ihm nach?“

„Freilich – aber reinen Mund halten! Denk‘ doch, der Joe hat Freunde hinterlassen. Möcht‘ sie doch nicht auf mich hetzen! Wär‘ ich nicht gewesen, säß‘ er jetzt in Sicherheit unten in Texas!“

Dann erzählte Huck Tom sein ganzes Abenteuer im Vertrauen, der bisher nur von des Wallisers Anteil an der Sache wußte.

„Aber,“ unterbrach er sich plötzlich, auf die Hauptfrage zurückkommend, „wer den Schnaps in Nummer Zwei entdeckt hat, hat auch‘s Geld in die Finger bekommen, denk‘ ich – auf jeden Fall ist‘s für uns verloren, Tom.“

„Huck – das Geld war gar nicht in Nummer Zwei.“

„Was!?“ Huck starrte seinen Kameraden verdutzt an. „Tom, hast du wieder ‘ne Spur von dem Geld?“

„Huck – ‘s ist in der Höhle!“

Hucks Augen leuchteten. „Sag‘s noch mal, Tom!“

„Das Geld ist in der Höhle!“

„Tom – Allmächtiger – jetzt – ist das Ernst oder Scherz?“

„Ernst, Huck, so ernst wie alles bei mir. Willst du mitgehn und ‘s rausholen?“

„Denk‘ doch, daß ich will! – Wenn‘s wo liegt, wo wir‘s leicht finden können – ohne den Weg zu verlieren – “

„Huck, wir können‘s ohne die geringste Gefahr von der Welt.“

„Ist mal was! Aber, warum denkst du, daß das Geld – “

„Huck, du mußt warten, bis wir drin sind. Wenn wir‘s nicht finden, geb‘ ich dir meine Trommel – und alles, was ich sonst noch hab‘; verlaß dich drauf!“

„‘s ist gut – ist ‘n Wort. Wann wolln wir?“

„Meinetwegen gleich, wenn du magst. Bist du stark genug?“

„Ist‘s weit in der Höhle? Bin zwar schon drei bis vier Tage wieder auf den Beinen, aber mehr als ‘ne Meile – Tom, ich glaub‘, mehr kann ich nicht.“

„‘s sind ungefähr fünf Meilen auf dem gewöhnlichen Weg, aber den wolln wir nicht gehn, Huck, sondern ‘nen ganz kurzen, den niemand kennt außer mir. Huck, ich werd‘ dich in ‘nem Boot hinfahren. Werd‘ das Boot da anlegen und ‘s wieder zurückrudern, alles ganz allein. Brauchst dich gar nicht drum zu kümmern.“

„Na, Tom, laß uns schnell hin!“

„Schon recht, aber wir brauchen Brot und Fleisch und unsere Pfeifen, und ‘nen kleinen Sack und zwei oder drei Drachenschnüre, und dann noch ‘n paar von den neuartigen Dingern, die sie Zündhölzer nennen. Sag‘ dir, ich hätt‘ welche davon brauchen können, wie ich neulich drin war.“

Kurz nach Mittag liehen sich die Jungen ein kleines Boot von einem Bürger, der gerade abwesend war und machten sich auf den Weg. Als sie ein paar Meilen unterhalb der Höhlenbucht waren, sagte Tom: „Sieh mal hier, dies schroffe Ufer da sieht genau so aus, wie sonst an ‘ner beliebigen Stelle – kein Haus, kein Garten, nichts als Gestrüpp. Aber siehst du die weiße Stelle, wo ein Erdrutsch mal gewesen sein mag? Na, das ist eins von meinen Kennzeichen. Wollen landen.“

Sie landeten. „Jetzt, Huck – wo wir jetzt stehn, kannst du das Loch berühren, aus dem ich neulich herausgekrochen bin. Schau mal, ob du‘s finden kannst.“

Huck suchte überall herum, fand aber nichts. Tom ging stolz auf ein dickes Gewirr von Sumachbüschen zu und sagte: „Hier ist‘s! Schau her, Huck. ‘s ist die verborgenste Höhle in diesem gesegneten Lande. Daß du aber den Mund hältst! Hab‘ ja schon immer Räuber sein wollen, aber ich wußt‘, daß ich erst so ‘n Ding haben müßt‘, wie das da, wohin man sich mal verstecken kann. Jetzt haben wir‘s und müssen‘s geheim halten; höchstens darf‘s der Joe Harper und Ben Rogers wissen, weil‘s doch ‘ne rechte Bande sein muß, oder ‘s hat gar keinen Schick. ‚Tom Sawyers Räuberbande‘, ‘s klingt mächtig großartig, Huck, was?“

„Na, das will ich wohl meinen, Tom! Und wen wollen wir berauben?“

„Na, so ziemlich alle Leute. Auf der Straße auflauern – das ist so die rechte Manier.“

„Und töten die Kerls.“

„Nein – nicht immer. Sperren sie in die Höhle, bis sie sich auslösen.“

„Aus – was ist ‚auslösen‘?“

„Na – Geld zahlen. Man zwingt sie, daß ihre Freunde für sie alles, was sie auftreiben können, zusammenscharren; und wenn man sie ‘n Jahr festgehalten hat, und das Geld ist noch nicht da – dann tötet man sie. ‘s ist allgemeine Sitte so. Bloß die Frauen tötet man nie. Man sperrt sie ein, aber man tötet sie nicht. Sie sind immer ganz verdammt schön und reich und schrecklich furchtsam. Man nimmt ihnen die Uhren weg und alles, was sie sonst haben, aber man nimmt bei ihnen immer den Hut ab und ist furchtbar höflich. Niemand ist so höflich wie Räuber – du kannst das in allen Büchern lesen. Und dann – dann verlieben sich die Weiber in uns, und wenn sie ein oder zwei Wochen in der Höhle gewesen sind, hören sie auf, zu heulen, und noch später kannst du sie gar nicht wieder los werden. Schmeißt man sie ‘raus, kehren sie sofort um und kommen zurück. ‘s ist in allen Büchern so.“

„Na, das ist aber unangenehm, Tom. Glaub‘ doch, Pirat sein ist noch besser.“

 

„Ja, ‘s ist besser in manchen Dingen, aber Räuber sind näher bei zu Hause, und dann haben sie ‘n Zirkus und all das andere.“

Inzwischen waren sie herangekommen und krochen in die Höhle, Tom voran.

Sie gingen bis ans andere Ende des Ganges, befestigten ihre Drachenschnüre und setzten den Weg fort. Wenige Schritte brachten sie an die Quelle, und Tom fühlte einen kalten Schauder. Er zeigte Huck den noch an der Wand klebenden Rest des Kerzendochtes und beschrieb, wie er und Becky das letzte Aufflackern und Erlöschen der Flamme beobachtet hatten.

Die Jungen verfielen jetzt unwillkürlich in Flüsterton, denn die Stille und Finsternis des Ortes lasteten schwer auf ihrem Geist. Sie gingen weiter und bogen dann plötzlich in Toms anderen Gang ein, den sie bis zu dem „Abgrund“ verfolgten, an dem Tom hatte Halt machen müssen. Die Lichter zeigten ihnen jetzt, daß es ein solcher eigentlich nicht sei, sondern nur ein steiler Lehmabhang, zwanzig oder dreißig Fuß tief.

Tom flüsterte: „Jetzt will ich dir was zeigen, Huck!“ Er hielt die Kerze in die Höhe und sagte: „Schau‘ so weit um den Felsvorsprung herum, wie du kannst. Siehst du? Da – auf dem großen Felsblock über dir – “

„Tom, ‘s ist ein Kreuz!“

„Na, und wo ist deine ‚Nummer Zwei‘? ‚Unter dem Kreuz‘, he? Gerade dort, wo ich den Indianer-Joe sein Licht hinhalten sah, Huck!“

Huck starrte eine Weile auf das geheimnisvolle Zeichen und sagte dann mit zitternder Stimme: „Tom, laß uns machen, daß wir von hier fortkommen!“

„Wa – a – as? Und den Schatz hier lassen?!“

„Ja – hier lassen! ‘s ist sicher, Joes Geist spukt hier herum!“

„Denkt nicht dran, Huck, denkt nicht dran! ‘s ist ja nicht der Platz, wo er gestorben ist – der ist weit von hier an der Mündung der Höhle – fünf Meilen von hier.“

„Nein, Tom, ‘s ist nicht so. Er geht um, wo ‘s Geld liegt. Ich weiß, wie‘s bei den Geistern ist, so machen sie‘s.“

Tom begann zu befürchten, Huck könne recht haben. Mißbehagen beschlich ihn. Aber plötzlich kam ihm eine Idee.

„Schau doch, Huck, was für Schafsköpfe wir wieder mal sind! Indianer-Joes Geist kann nirgends umgehn, wo ‘n Kreuz ist!“

Diese Beweisführung schlug durch. Es ließ sich nichts dagegen sagen.

Tom machte sich als erster daran, rohe Stufen in die Lehmwand zu hauen. Huck folgte. Vier Gänge öffneten sich von der kleinen Höhlung aus, in der sich der bewußte große Felsen befand. Die Jungen untersuchten drei ohne Erfolg. In dem der Basis des Felsens am nächsten befindlichen fanden sie eine kleine Nische, in der sich eine Anzahl Wolldecken, ein alter Gürtel, ein paar Schinkenschwarten und die sauber abgenagten Knochen von zwei bis drei Hühnern vorfanden. Aber keine Geldkiste.

Die Jungen durchsuchten alles wieder und immer wieder – aber vergebens.

Dann meinte Tom: „Er sagte, unter dem Kreuz! Na, dies ist beinahe unter dem Kreuz. Unterm Felsen selbst kann‘s nicht sein, denn der sitzt zu fest.“

Sie suchten immer wieder und wieder und setzten sich schließlich mutlos nieder. Huck wollte nichts einfallen. Aber Tom sagte plötzlich: „Schau mal her, Huck! Auf der einen Seite des Felsens sind ‘n paar Fußspuren und Kerzen-Spritzer, auf der anderen Seite sind keine! Was meinst du nun? Bitt‘ dich, das Geld ist unter dem Felsen! Werd‘ mal gleich im Lehm nachgraben.“

„Kein übler Gedanke, Tom,“ entgegnete Huck mit Bewunderung.

Toms „echtes Barlow-Messer“ war im Nu heraus, und er hatte noch nicht fünf Striche getan, als er auf Holz stieß.

„Hoho, Huck, hörst du das?“ Huck begann ebenfalls zu graben und zu wühlen. Ein paar Bretter waren bald ausgegraben und beiseite geworfen. Sie hatten eine natürliche Spalte verborgen, die unter den Felsen führte. Tom kroch hinein und leuchtete, so tief er konnte, vermochte das Ende der Spalte aber nicht zu sehen. Er schlug vor, noch weiter zu forschen, kroch hinein und geradeswegs hinunter. Er folgte allen Windungen des Spalts, erst nach rechts, dann nach links, Huck immer hinterdrein. Plötzlich machte Tom eine kurze Wendung und schrie:

„Bei Gott, Huck, schau her!“

Es war die Geldkiste in einem kleinen Loch, daneben ein Pulverbehälter, eine Menge Flinten in verschiedenen Hüllen, zwei Paar alte Mocassins, ein alter Gürtel und ein paar Kleinigkeiten, alles gründlich durchnäßt durch das heruntertropfende Wasser.

„Gott im Himmel!“ schrie Huck, mit den Händen im Gold wühlend, „sind wir jetzt aber reich, Tom!“

„Huck, ich hab‘ ja immer drauf gerechnet. ‘s ist aber fast zu schön, um dran zu glauben, aber wir haben‘s mal sicher – endlich! Wollen‘s nicht hier liegen lassen, sondern mitnehmen; laß mal sehen, ob ich die Kiste aufheben kann!“

Die wog aber über 50 Pfund, Tom konnte sie mit großer Anstrengung ein bißchen heben, an Fortschaffen aber war gar nicht zu denken.

„Dacht‘s mir,“ meinte er. „Damals im Gespensterhaus trugen sie, schien‘s, schwer genug daran – merkt‘s wohl. Denk‘, ‘s wird gut sein, die kleinen Beutel herzunehmen.“

Bald war das Geld verpackt, und sie schleppten‘s heraus.

„Nun laß uns noch Gewehre und sonst so ‘n Zeug mitnehmen.“ schlug Huck vor.

„Nein, Huck, da lassen! Sind gerad‘ Sachen, die wir brauchen, wenn wir erst Räuber sind. Nehmen‘s seiner Zeit zu unsern Orgien; ‘s ist ein verdammt feiner Platz für Orgien.“

„Was sind Orgien?“

„Weiß nicht. Aber Räuber halten immer Orgien. also müssen wir doch auch welche halten. Nun komm‘ aber, Huck, wir sind hier lang genug gewesen. ‘s ist schon spät, denk‘ ich. Bin außerdem mächtig hungrig. Im Boot wolln wir essen und rauchen.“

Sie schlüpften also hinaus ins Sumachgebüsch, lugten vorsichtig herum, fanden die Luft rein und waren bald im Boot in vollem Schmausen und Rauchen. Als die Sonne sank, stießen sie vom Ufer und machten sich auf den Weg. Tom huschte im Zwielicht an die Küste heran, und kurz darauf landeten sie in voller Dunkelheit.

„Jetzt, Huck,“ sagte Tom, „wollen wir ‘s Geld auf dem Boden des Holzschuppens der Witwe verstecken, morgen komm‘ ich dann, wir können‘s zählen und teilen, und dann suchen wir im Wald ‘nen Platz, wo wir‘s sicher vergraben können. Jetzt halt dich mal ganz still und bewach das Zeug, bis ich hinlauf‘ und Benny Taylors kleinen Schubkarren leih‘. Bin in ‘ner Minute wieder da.“

Er verschwand, kehrte sogleich mit dem Karren zurück, legte die zwei kleinen Säcke drauf, befestigte zwei Drachenleinen dran und zog an, seinen Schatz hinter sich. Als die Jungen das Haus des Wallisers erreichten, standen sie still, um auszuruhen. Gerade, als sie sich wieder auf den Weg machen wollten, kam der Walliser heraus und rief:

„Hallo, wer da?“

„Huck und Tom Sawyer.“

„‘s ist gut! Kommt nur mit, Jungens, werdet schon überall gesucht. Na – vorwärts, sputet euch mal! Will den Karren für euch ziehen. Alte Ziegelsteine drin oder altes Metall?“

„Altes Metall,“ stotterte Tom.

„Dacht‘ mir‘s; alle Jungen machen sich mehr Mühe und brauchen mehr Zeit, um für sechs Pence altes Eisen zusammenzuscharren, als sie brauchten, um doppelt so viel Geld durch ordentliche Arbeit zu verdienen. Aber ist mal die menschliche Natur so!“

Die Jungen hätten gern gewußt, wozu die große Eile sei.

„Weiß nicht; werdet‘s sehn, wenn wir zur Witwe Douglas kommen.“

Huck sagte ein wenig beunruhigt – denn er war längst daran gewöhnt, unschuldig angeklagt zu werden: „Mr. Jones, wir haben‘s gewiß nicht getan!“

Der Alte lachte. „Na, weiß doch nicht, Huck, mein Junge. Weiß doch nicht, seid ihr mit der Witwe gut Freund?“

„J – a! Wenigstens ist sie immer freundlich mit mir gewesen.“

„Na also! Warum dann Angst haben?“

Die Frage war noch nicht ganz von Huck beantwortet, als er sich mit Tom in der Witwe Besuchszimmer gestoßen fühlte. Mr. Jones ließ die Karre draußen und folgte.