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k-punk

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Warum K? 1

1. Warum ich das Blog begonnen habe? Weil es mir als ein Raum erschien – der einzige Raum –, in dem sich eine Art Diskussionskultur erhalten kann, die einst in Musikzeitschriften und Kunstschulen begann, die aber inzwischen so gut wie ausgestorben ist, was meines Erachtens nach schreckliche kulturelle und politische Folgen hat. Mein Interesse an Theorie entstand fast ausschließlich wegen Autoren wie Ian Penman und Simon Reynolds, deswegen gab es für mich schon immer eine enge Verbindung zwischen Theorie und Pop/Film. Ich will keine rührseligen Geschichten erzählen, aber für jemanden mit meinem Hintergrund konnte dieses Interesse kaum irgendwo anders herkommen.

2. Aus diesen Gründe hatte ich immer ein, ähm, schwieriges Verhältnis zur Universität. So wie ich Theorie verstanden habe – nämlich vor allem vor dem Hintergrund der Popkultur – wurde sie in der Universität eigentlich verabscheut. Fast immer, wenn ich mit der Akademie zu tun hatte, war das eine im wörtlichen – und klinischen – Sinne deprimierende Erfahrung.

3. Ccru hat sich unter schwierigen Bedingungen als eine Art Schnittstelle für Popkultur und Theorie gebildet. Die ganze Idee einer Pulp-Theorie bzw. von Theorie-Literatur war/ist eine Art und Weise, Theorie durch popkulturelle Formen hindurch, nicht »darüber«, zu betreiben. Nick Land war hier die entscheidende Figur, insofern als er einige Zeit lang eine Stellung »innerhalb« eines philosophischen Instituts besetzen konnte, während er sich intensiv den Verbindungen nach außen widmete. Kodwo Eshun ist jemand, der diese Verbindungen in die andere Richtung stiftete – aus der Popkultur IN abstruse Theorie hinein. Was wir jedoch alle teilten, war die Ansicht, dass beispielsweise eine Musik wie Jungle bereits in sich enorm theoretisch ist; es brauchte keine Akademiker, um sie zu beurteilen oder darüber zu dozieren – die Rolle des Theoretikers ist die des Verstärkers.

4. Der Begriff k-punk kam aus den Zusammenhängen von Ccru. »K« war der libidinös bevorzugte Ersatz für das in Kalifornien oder bei Wired so beliebte »cyber« (das Wort Kybernetik geht auf das griechische Wort kyber zurück). Ccru verstand Cyberpunk nicht als (früher einmal angesagtes) Literaturgenre, sondern als distributive kulturelle Tendenz, die durch neue Technologien ermöglicht wird. In ähnlicher Weise meint »Punk« keinen Musikstil, sondern ein Zusammentreffen jenseits legitimer bzw. legitimierter Räume: Fanzines waren wichtiger als die Musik, insofern als sie eine ganze Reihe anderer, ansteckender Aktivitäten hervorbrachten, die das Bedürfnis nach einer zentralisierten Kontrolle zerstörten.

5. Die Entwicklung billiger und leicht verfügbarer Musiksoftware, das Internet und Blogs, all das bedeutet, dass es eine nie dagewesene Punk-Infrastruktur gibt. Alles, was fehlt, ist der Wille und die Überzeugung, dass etwas, das in einem nicht autorisierten oder nicht legitimen Rahmen entsteht genauso wichtig – oder wichtiger sein kann, als was über offizielle Kanäle kommt.

6. Seit dem Punk der 1970er hat dieser Wille stark abgenommen. Die Verfügbarkeit bestimmter Produktionsmittel scheint sich parallel zu einer kompensatorischen Behauptung der spektakulären Macht entwickelt zu haben.

7. Bezüglich der Universität: Universitäten haben nicht nur alle, die mit Ccru in Verbindung standen, ausgeschlossen oder mindestens marginalisiert, sondern auch viele, die in Warwick angebunden waren. Steve »Hyperdub« Goodman und Luciana Parisi sind beide Ccru-Agenten, denen es, entgegen aller Erwartung, gelungen ist, an der Universität unterzukommen. Aber die meisten von uns wurden in Positionen außerhalb der Akademie gedrängt. Vielleicht aufgrund der Tatsache, dass sie nicht integriert (»gekauft«) wurden, haben viele Teile des Warwick-Rhizoms weiterhin enge Verbindungen und eine große Unabhängigkeit unterhalten. Ein großer Teil des theoretischen Rahmens von k-punk wurde in Zusammenarbeit mit Nina Power, Alberto Toscano und Ray Brassier entwickelt (Brassier war der Mitorganisator der NoiseTheoryNoise-Konferenz an der Middlesex University letztes Jahr[2004]). Die zunehmende Beliebtheit von Philosophen wie Žižek oder Badiou bedeutet, dass es nun eine unerwartete, wenn auch wilde und flüchtige Unterstützung innerhalb der Universität gibt.

8. Ich lehre Philosophie, Religionswissenschaft und kritisches Denken am Orpington College. Das College ist ein Weiterbildungsinstitut, was bedeutet, dass ein Großteil der Studenten zwischen 16 und 19 Jahren alt sind. Es ist eine schwere und herausfordernde Arbeit, im Großen und Ganzen sind die Studenten hervorragend und weit mehr daran interessiert zu diskutieren als an der Universität. Ich glaube also überhaupt nicht, dass eine solche Stelle weniger wert ist als ein »richtiger« Universitätsjob.

Teil 1

Bücher-Meme 2

1) Wie viele Bücher besitzt du?

Das kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall kann ich sie nicht mehr zählen und weiß nicht, wie ich es schätzen soll.

2) Was war das letzte Buch, das du gekauft hast?

The Sex-Appeal of the Inorganic von Mario Perniola.

3) Was war das letzte Buch, das du gelesen hast?

Zu Ende gelesen: Michael Bracewells England is Mine – es war enttäuschend und frustrierend. Hier und da gibt es kluge Einsichten, aber der ganze Aufbau des Buches ändert sich von Kapitel zu Kapitel; einmal ist das Narrativ historisch, ein anderes Mal regional. Man hat ständig das Gefühl, dass gleich etwas passiert oder dass man diesen Moment verpasst hat. Ich glaube, Bracewell hätte ein besser fokussiertes Thema gutgetan, weshalb ich mich trotzdem auf das noch in diesem Jahr [2001] erscheinende Buch über Roxy freue. (Englischer Literatur wird viel zu viel Bedeutung beigemessen: auf keinen Fall werde ich mich jemals zum Beispiel für Mr. D.H. Langeweile interessieren.)

Noch nicht zu Ende gelesen: Houellebecqs Elementarteilchen. Kein Wunder, dass Žižek das Buch gefällt. Gibt es eine schonungslosere Kritik des öden Hippie-Hedo­nis­mus und seines erbärmlichen Nachlebens im New-Age-Zen-Bullshit?

4) Fünf Bücher, die mir viel bedeuten.

Ich hasse diese Fragebögen, in denen es um den besten Film, das beste Buch oder die beste Platte geht und bei denen das neueste Ding jeweils ganz oben steht, weshalb ich mir erlaubt habe, Bücher auszuwählen, die mir schon seit mindestens zehn Jahren etwas bedeuten.

Kafka: Der Prozess , Das Schloss

Ist es möglich, später im Leben die Wirkung von Büchern, Platten und Filmen zu reproduzieren, die sie hatten, als man zwischen 14 und 17 war? Die schlimmsten Jahre meines Erwachsenenlebens waren diejenigen, in denen mir aus dem Blick geriet, was ich einst in den Seiten von Joyce, Dostojewski, Beckett oder Selby fand … jeden dieser Autoren hätte ich wählen können, aber ich habe mich für Kafka entschieden, weil er mein engster und beständigster Begleiter war.

Kafka habe ich das erste Mal über eine Anthologie bei Penguin namens The Novels of Franz Kafka kennengelernt, die mir meine Eltern, die sehr wenig über Literatur wussten, zu Weihnachten schenkten, weil sie dachten, dass es »irgendwie zu mir passen könnte«. Und das tat es.

Schwer zu sagen, wie ich damals den Text zuerst gelesen habe. Ich weiß nicht mehr, ob er mir gefallen oder mich frustriert hat. Immerhin ist Kafka kein Schriftsteller, der einen überfällt. Er nimmt langsam und subtil von dir Besitz. Ich kann mir vorstellen, dass ich damals einen direkteren Ausdruck existenzieller Entfremdung gesucht und erwartet habe. Aber davon gab es nicht viel bei Kafka. Seine Welt war keine des metaphysischen Auftrumpfens, sondern eine verwahrloste Höhle, in der nicht die heroische Entfremdung, sondern schleichende Scham re­giert. Physische Gewalt spielt fast keine Rolle bei Kafka – es ist die ständig drohende Möglichkeit gesellschaftlicher Scham, die seine verwickelten Nicht-Hand­lungen antreibt.

Man denke an die jämmerlichen Szenen in Der Prozess, als K. auf der Suche nach dem Gericht in einem Bürogebäude an jede einzelne Tür klopft, mit der erbärmlichen Ausrede, er sei ein »Zimmermaler«? Kafkas Genialität besteht darin, diese Absurdität zu banalisieren: Überraschenderweise und entgegen unserer Erwartung findet die Anhörung von K. tatsächlich in einem der Zimmer des Hauses statt. Natürlich. Und warum ist er zu spät? Je absurder K. die Dinge erscheinen, umso mehr schämt er sich, dass er die Abläufe des Gerichts oder des Schlosses nicht versteht. Die bürokratischen Verwicklungen erscheinen ihm lächerlich und frustrieren ihn, doch das liegt daran, dass er sie noch »nicht verstanden« hat. Oder die Komik der Anfangsszenen in Das Schloss, ein Roman, der weniger den Totalitarismus als die Wirklichkeit des Call Centers vorwegnimmt, wo K. erzählt wird, dass das Telefon »so etwa wie ein Musikautomat« funktioniert. Was für ein Idiot muss er sein, dass er bei einem Anruf an jemandes Schreibtisch erwartet, dass sie antworten? Ist er so naiv?

Kein Wunder, dass Alan Bennett, der Laureat der Scham, ein glühender Bewunderer von Franz Kafka ist. Sowohl Bennett als auch Kafka wissen, dass, egal wie absurd ihre Rituale, Verlautbarungen und Kleidung auch sein mögen, die herrschende Klasse nicht zu beschämen ist; und zwar nicht deswegen, weil es einen besonderen Code gibt, den nur sie versteht – es gibt gerade keinen Code –, sondern weil, was auch immer sie tun, in Ordnung ist, weil SIE es tun. Und umgekehrt, wenn man nicht Teil der Schickeria ist, dann wird nichts, was man tut, JEMALS genügen; man ist a priori schuldig.

 

Atwood: Katzenauge

Vor einer Weile fragte mich Luke, was ein Beispiel für »kalte rationalistische« Literatur wäre. Atwood, der der Ruf anhaftet, kalte Romane zu schreiben, wäre eine naheliegende Antwort, doch in Wahrheit ist so ziemlich jede Literatur kalt und rationalistisch. Warum? Weil sie uns erlaubt, uns selbst als Ketten von Ursache und Wirkung zu sehen und dadurch paradoxerweise den einzig verfügbaren Maßstab der Freiheit liefert. (Selbst Wordsworth, der Spinoza bewunderte, nennt als den Ursprung der Poesie ein »Gefühl, dessen man sich in Ruhe erinnert«, also gerade nicht rohe Emotion, die in irgendeiner dionysischen Ejakulation zum Ausdruck kommt.)

Katzenauge ist nicht mein Lieblingsbuch von Atwood – das wäre der schonungslose Roman Der lange Traum – aber es ist das Buch, das mir am meisten bedeutet. Ich kann mich nicht mal mehr an die ganze Handlung erinnern; aber was ich niemals vergessen werde, sind Atwoods schrecklich anschaulichen Schilderungen der Hobbes’schen Grausamkeit von »Freundschaften« unter Teenagern. Sie laufen hinter dir, damit sie über deine Schuhe lästern können und die Art wie du läufst … sie sind schlimmer als deine schlimmsten Feinde. Die langen Tage, der Frühstückstoast, der in deinem Mund zu Pappe wird, die Angespanntheit, die so stechend und konstant ist, dass man vergisst, dass sie da ist und sie nicht mal mehr bemerkt.

Sind die wichtigsten Jahre die der frühen Kindheit oder die der frühen Jugend? Als ich Katzenauge mit Anfang 20 las, war das wie eine Art Selbstanalyse, ein Ausweg aus der Geschichte der Misanthropie, der unterdrückten Wut und des kosmischen Gefühls der Unzulänglichkeit, die mich während meiner Teenagerzeit begleiteten. Atwoods eisige Analyse zeigt wunderbar, dass die Demütigungen jener Jahre ein struktureller Effekt der Beziehungen unter Teenagern waren und nichts, was nur mir selbst passierte.

Spinoza: Ethik

Mit Spinoza ändert sich alles, aber langsam. Es gibt kein »Damaskuserlebnis« bei der Konversion zu Spinoza, sondern einen stetigen und unerbittlichen Abbau früherer Annahmen. Wie bei jeder guten Philosophie ist die Lektüre Spinozas wie das Videoband in dem Film Videodrome: man denkt, man spielt es ab, aber eigentlich spielt es dich ab und sorgt für eine langsam Veränderung deines Denkens und deiner Wahrnehmung.

Auf Spinoza wurde ich während meines Studiums aufmerksam, aber richtig gelesen habe ich ihn erst in Warwick, unter dem Eindruck von Deleuze. In einem Lesekreis quälten wir uns über ein Jahr mit der Ethik. Hier war eine abschreckend abstrakte und doch unmittelbar praktische Philosophie, die sowohl auf kosmische Größe wie auf das kleinste Detail der Psyche abgestimmt war. War es die »unmögliche« Vereinigung von Strukturanalyse und Existenzialismus?

Ballard: Die Schreckensgalerie

Während Spinoza und Kafka ihre Wirkung langsam entfalteten, war der Eindruck, den Ballard auf mich machte, plötzlich. Sofort verband er sich mit einem von Mediensignalen gesättigten Unbewussten.

Im Grunde lag das daran, dass ich Ballard schon kannte, lange bevor ich etwas von ihm las: nämlich durch Joy Division (wenngleich eher in Hannetts Sound als in den Texten; das Lied »The Atrocity Exhibition«, mit seinem qualvollen Flehen, könnte nicht weiter von Ballards leidenschaftsloser Nüchternheit entfernt sein), bei Foxx und Ultravox, bei Cabaret Voltaire und Magazine.

Paradiese der Sonne ist sein bester Katastrophenroman, ein überflutetes London, das als eine literarisierte, surrealistische Landschaft von einem Conrad der letzten Tage kühl beobachtet wird; aber es ist Die Schreckensgalerie, das unverzichtbar ist. Mehr als das bekanntere Werk Crash bietet Die Schreckensgalerie das begriffliche und methodische Werkzeug, um sich dem aus seinen eigenen Materialien zusammengestellten 20. Jahrhundert zu nähern. Der Roman ist streng modernistisch, macht keine Zugeständnisse in der Handlung oder bei den Figuren und wirkt eher wie eine fiktive Skulptur statt wie eine Geschichte, eine zwanghaft wiederholte Reihe von Mustern.

Ja, Ballard wurde inzwischen in die Literaturkritik aufgenommen und ist zu einem Elder Statesman geworden, aber vergessen wir nicht, wie sehr sich sein Hintergrund von dem eines klassischen Ox-Bridge-Gelehrten unterscheidet. Ballard hat England aus den Fesseln seines eigenen Kanons befreit, gerettet vor den »ehrwürdigen« humanistischen Gewissheiten und der Schläfrigkeit der Sonntagsbeilage.

Greil Marcus: Lipstick Traces

Ich habe bereits darüber geschrieben, wie wichtig das Buch für mich ist. Ich las es, als ich gerade mit dem Studium fertig war, ich hatte keinen Plan und die Zukunft stürzte gerade in einem – zum Scheitern verurteilten – Versuch, sich in das ökonomische Realitätsprinzip Thatchers einzufügen, zusammen. Marcus’ dichtes Netz an Verbindungen bot einen Ausweg. Es war die Beschreibung eines transhistorischen Ereignisses, ein Ausbruch von Anabaptisten, Situationisten, Dadaisten, Surrealisten und Punks. Ein solches Ereignis war genau das Gegenteil des großen Spektakels der 1980er Jahre, den arrangierten und organisierten Nicht-Ereignissen, die sich im globalen Fernsehen abspielten, mit Live Aid im Epizentrum. Was Marcus beschrieb, war flüchtig und geheim, auch wenn es – notwendigerweise – von einer beachtlichen Kollektivität gekennzeichnet war. Lipstick Traces war sich sicher, dass Pop nur dann Bedeutung haben kann, wenn er aufhört »nur Musik« zu sein, wenn Politik in ihm nachhallt, die nichts mit kapitalistischem Parlamentarismus zu tun hat und mit Philosophie jenseits der Universität.

Am besten liest man Lipstick Traces selbst als Teil eines textuellen Rhizoms, das nach mehr als einem Jahrzehnt die Wirkung von Punk auszuloten versucht. Ähnliches gilt auch für das Vague-Magazin (wenn man nach einer der wichtigsten Quellen für die Cyberpunk-Theorie im Stile des CCRU-Kollektivs sucht, sollte man Mark Downhams Artikel in Vague lesen) und Jon Savages England’s Dreaming. (Bis Richard Wisemans Rip it up erscheint, ist diese Liste natürlich unvollständig.)

Warum ich Ronald Reagan ficken möchte 3

Auf dem Parteitag der Republikaner 1980 in San Francisco kopierte und verteilte eine Gruppe Prankster einen Auszug aus Die Schreckensgalerie mit dem Titel Warum ich Ronald Reagan ficken möchte4, ohne eine Quellenangabe und dafür mit dem Emblem der Republikanischen Partei. »Man hat mir erzählt«, berichtet Ballard, »dass man es als das akzeptierte, was es zu sein schien, nämlich ein psychologisches Positionspapier zur unterschwelligen Anziehungskraft des Kandidaten, die irgendein Think Tank in Auftrag gegeben hat.«5

Was sagt uns dieser neo-dadaistische Akt der Möchtegern-Subversion? In gewissem Sinne handelt es sich wirklich um eine perfekte Aktion. Aber in anderer Hinsicht zeigt der Streich auch, dass Subversion heute un­mög­lich ist. Das Schicksal einer ganzen Tradition der spielerischen Intervention – von den Dadaisten über die Surrealisten und Situationisten – scheint sich in der Schwebe zu befinden. Wo einst die Dadaisten und ihre Erben davon träumen konnten, die Bühne zu stürmen und das, was der offenkundig sehr zu dieser Tradition gehörende Burroughs das »Realitätsstudio« nennt, mit Logikbomben zu stören, da gibt es heute keine Bühne mehr – keine Kulisse, wie Baudrillard sagen würde. Und das aus zwei Gründen: Erstens, weil das Irrationale und Unlogische im Grenzgebiet des Hyperkapitals weniger unterdrückt, als vielmehr absorbiert wird, und zweitens, weil der Unterschied zwischen Bühne und Wirklichkeit von einer gelassen-inklusiven Fiktionsschleife abgelöst wurde. Reagans Karriere übertrifft jeden Versuch ihrer Karikierung und zeigt die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen zwischen dem Realen und seinen Simulationen. Für Baudrillard sind es gerade die Angriffe auf die »Wirklichkeit« durch Gruppen wie die Surrealisten, die das Reale am Leben erhalten (indem sie ihm eine fabelhafte Traumwelt liefern, die vermeintlich absolut anders ist, aber letztlich mit der Alltagswelt des Realen unter einer Decke steckt). »Der Surrealismus ist noch solidarisch mit dem Realismus, den er verachtet, doch er verdoppelt schon durch sein Eindringen in das Imaginäre.«6 Wo sich die Simulakra zur dritten (und vierten) Ordnung aufschwingen, verströmt die schwindelerregende Hyperrealität eine banalisierende, kühl-halluzinogene Atmosphäre, die alle Wirklichkeit in der Simulation absorbiert. Fiktion ist überall – und wird dadurch gewissermaßen als besondere Kategorie ausgelöscht. Während Reagans Rolle als »Schauspieler-Präsident« früher einmal tatsächlich »neu« war, hat seine anschließende Karriere, in der Momente der Filmgeschichte mit Reagans Rollen in bestimmten Filmen zusammenmontiert wurden – und zwar durch seine eigene lückenhafte Erinnerung sowie durch Medienberichte – das Spielerische lächerlich gemacht.

Dass die republikanischen Delegierten den Text Warum ich Ronald Reagan ficken möchte offenkundig als echt akzeptierten, ist zugleich schockierend und eigentümlich vorhersagbar, und tatsächlich zeugen beide Reaktionen von der Kraft Ballardscher Literatur, die aber ebenso wenig in seiner Fähigkeit gründet, die bestehende Wirklichkeit mimetisch zu reflektieren, wie darin, sie phantasievoll zu transzendieren. Vielmehr kreiert Ballard, in den Worten Iain Hamilton-Grants einen »Realismus der Hyperrealität«, eine homöopathische Teilnahme an der medieninduzierten Kybernetisierung der Wirklichkeit im Spätkapitalismus. Der Schock entsteht, wenn wir uns die (scheinbar) radikale Abweichung von Ballards Text vor Augen führen. Warum ich Ronald Reagan ficken möchte ist, wie vieles in Die Schreckensgalerie, vor allem gegen Ende des Romans, der Bericht eines Zuschauerexperiments über die Resonanz auf Medieneindrücke.

»Ronald Reagan und das konzeptuale Autounglück. An paretischen Patienten wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, in denen Ronald Reagan in einer Reihe von simulierten Autounfällen erschien – z.B. Massenkarambolagen, Frontalzusammenstößen usw. Dabei zeigten die Patienten ein starkes Interesse an imaginären Anschlägen auf das Leben des Präsidenten und eine deutlich polymorphe Fixierung auf Windschutzscheiben und rückwärtige Wagenpartien. Das Image des Präsidentschaftskandidaten löste starke erotische Phantasien von anal-sadistischem Charakter aus.«7

Doch diesem Schock steht ein Gefühl der Vorhersagbarkeit entgegen, das durch die coole Eleganz von Ballards Simulationen entsteht. Der technische Stil seiner Sprache – die Unpersönlichkeit und der Mangel an Emotionalität – neutralisiert oder normalisiert das vermeintlich unzumutbare Material. Handelt es sich bei dieser Simulation der Operationen von Hyperkontrollagenturen um Satire oder machen ihre Aktivitäten – und das ganze kulturelle Feld, zu dem sie gehören – Satire überhaupt unmöglich? Was ist eigentlich das Verhältnis zwischen Simulation und Satire? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir Ballards Text mit anderen, wirklich »satirischen« Texten vergleichen. Doch zuvor sollten wir uns kurz Jamesons Kommentar zur Ablösung der Parodie durch den Pastiche in Erinnerung rufen.

Dies ist nicht der Ort, um sich eingehend den Unterschieden von Parodie und Satire zu widmen; wir gehen von der Annahme aus, dass, worin auch immer diese Unterschiede bestehen, es genügend Gemeinsamkeiten gibt, um in Jamesons Analyse behandelt zu werden. Die Parodie hängt, so Jameson, von einer ganzen Reihe modernistischer Quellen ab, die allerdings alle versiegt sind: das individuelle Subjekt, dessen »persönlicher«, idiosynkratischen Stil, wie Jameson ironisch bemerkt, seine Imi­tation überhaupt erst möglich machte; ein starkes histo­ri­sches Bewusstsein, das als sein notwendiges Gegenstück das Vertrauen in wirklich zeitgenössische Formen des Ausdrucks besitzt; und eine Verpflichtung auf ein kollektives Projekt, die das Schreiben motiviert und ihm ein politisches Ziel gibt. Mit deren Verschwinden, so legt Jameson nahe, verschwindet auch der Raum der Parodie. Der individuelle Stil macht einem »Spielfeld einer stilistischen und diskursiven Heterogenität ohne Norm« Platz, so wie auch der Glauben an den Fortschritt und an die Möglichkeit, neue Zeiten in neuen Begriffen zu beschreiben verfällt, um durch die »Imitation toter Stile« ersetzt zu werden, »der Rede durch all die Masken und Stimmen, die im imaginären Museum einer neuen weltweiten Kultur lagern«. Der »neue Analphabetismus« des Spätkapitalismus verweist wiederum auf »Abwesenheit eines großen, kollektiven Ziels.« Das Ergebnis einer solchen tiefenlosen Erfahrung ist, laut Jameson, die Gegenwart der Vergangenheit überall zur selben Zeit und ein Schwinden des historischen Bewusstseins; wir leben in einer »geschichtslosen Welt« die zugleich unfähig ist, irgendetwas anderes als eine neu aufgewärmte Version der Vergangenheit darzustellen. Der Pastiche tritt an die Stelle der Parodie:

 

»In dieser Situation findet die Parodie, verstanden als parodistischer Umgang mit einem Original, kein Betätigungsfeld mehr. Sie hat sich überlebt, und die seltsam neue Erscheinung des Pastiche, die Imitationskunst, nimmt langsam ihren Platz ein. Pastiche und Parodie sind Imitationen einer eigentümlichen Maske, Sprechen in einer toten Sprache.«8

Entgegen Jamesons eigener Aussagen über Ballard9, besteht ein wichtiger Unterschied zwischen Ballards Text und dem Pastiche in der Abwesenheit jeglicher »Nostalgie« oder eines »nostalgischen Modus« – die in anderen postmodernen Texten ständig präsent sind, wie Jameson zeigt. Tatsächlich machen die textlichen Innovationen Ballards – wie man im Seitenlayout von Die Schreckensgalerie sieht – zu einer Art Anomalie in Jamesons Analyse; in diesem Sinne scheint Ballard eher zum Modernismus, wie Jameson ihn versteht, zu gehören. In anderer Hinsicht jedoch – besonders bezüglich des Verfalls von individueller Subjektivität und dem Scheitern kollektiven politischen Handelns – ist Ballard emblematisch für Jamesons Postmoderne. Anders als der Pastiche imitiert Ballard jedoch keinen »persönlichen oder einzigartig idiosynkratischen Stil«. Der Stil, den Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte imitiert – ein Stil, der dem gesamten Roman eigen ist – besteht gerade im Fehlen jeder Einzigartigkeit: Wenn es irgendwelche Idiosynkrasien gibt, dann gehören sie zum Register der (pseudo-)wissenschaftlichen Reportage, nicht zur Persönlichkeit eines individuellen Subjekts. Die Tatsache, dass der Text von einer politischen Führungspersönlichkeit handelt, weist auf die Abwesenheit einer expliziten – und wenn es um Satire oder Parodie geht, impliziten – politischen Teleologie in Ballards Schriften hin. In diesem Sinn ist Warum ich Ronald Reagan ficken möchte anders als Jamesons Pastiche, »frei von den Hintergedanken der Paro­die«.

Darin unterscheidet sich Ballards Text von einem klassischen Stück Satire wie Jonathan Swifts Ein bescheidener Vorschlag. Ein bescheidener Vorschlag ist ein paradigmatischer Fall dessen, was Joyce »kinetische« Kunst genannt hat, eine Kunst, die unter spezifischen politischen und kulturellen Umständen entstanden ist und ein bestimmtes Ziel im Blick hat, nämlich das Publikum zum Handeln zu bringen. Swifts politische Motive – seine vernichtende Kritik an einigen grausamen englischen Reaktionen auf die Hungersnot in Irland – zeichnen sich durch einen bestimmten stilistischen und thematischen Exzess aus (ein Exzess, der einigen Lesern von Swifts Text vollkommen entgangen ist, die ihn vielmehr für bare Münzen nahmen). Ballards Text hingegen, der auch unter spezifischen soziokulturellen Umständen entstanden ist, ist gekennzeichnet von Flachheit. Darin geht er (sogar) einen Schritt über Burroughs hinaus. Denn trotz ihres sprachlichen Einfallsreichtums bleiben Burroughs’ humorvolle »Routinen« wie die vom »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner«10 durch ihre Übertreibung und ihre klare politische Agenda vollständig in der klassischen Tradition der Satire: Indem Burroughs eine Reihe exzessive Tropen verwendet, verspottet er die amoralische Haltung der amerikanischen Technologiewelt. Im Gegensatz dazu »fehlt« Ballards Texten ein Plan für die Leser oder den von Jameson beschriebenen »Hin­tergedanken«; der parodierende Text beruhte immer auf der Wichtigkeit des Parodisten dahinter, dessen implizit angezeigten Haltungen und Meinungen, Warum ich Ronald Reagan ficken möchte hingegen ist so kalt und anonym wie der Text, den er imitiert. Während wir Burroughs über den »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner« und den absurden Exzess der Wissenschaftler lachen hören können, ist die Reaktion Ballards auf die Wissenschaftler, die er imitiert, unlesbar. Was möchte »Ballard«, das der Leser fühlt: Abscheu? Amüsement? Es bleibt unklar und ist auch, wie Baudrillard mit Blick auf Crash11 gesagt hat, irgendwie unaufrichtig von Ballard, dass er seine Texte – durch einleitende Bemerkungen – übercodiert und mit all dem traditionellen Ballast der »Warnung« versieht, dem sie sich selbst offenkundig entziehen. Die Haltung, die Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte annimmt, ist nicht die der (satirischen) Übertreibung, sondern eine Art (simulierte) Extrapolation. Schon allein das Genre der Umfrage oder der Untersuchung macht, wie Baudrillard zeigt, die Frage unbeantwortbar und unentscheidbar.

Entgegen Ballards eigener Aussage (siehe oben) geht es weniger um die (mögliche) Ähnlichkeit von Warum ich Ronald Reagan ficken möchte mit (möglichen) Untersuchungen, sondern vielmehr um die Zirkulation der Simulation, zu der solche Untersuchungen beitragen. Im Zusammenhang mit dem Pastiche kommt Jameson auf den Begriff der Simulation zu sprechen, den er – zumindest hier – jedoch auf Platon bezieht, statt auf Baudrillards Neufassung zu verweisen. Jamesons Intuition bezüglich des Verhältnisses von Pastiche und Simulation ist jedoch wichtig. Vielleicht können wir eine Korrelation zwischen Baudrillards Simulakra der dritten Ordnung und Jamesons Pastiche auf der einen Seite, und Ballards Text auf der anderen Seite konstatieren. Im Simulakrum der dritten Ordnung bei Baudrillard geht es, wie wir bereits mehrfach betont haben, um das Schwinden der Distanz zwischen Simulation und Simuliertem. Klassische Satire würde demgegenüber eher in das »Simulakrum der ersten Ordnung« gehören – eine Simulation, die dem Original ähnelt, aber mit einigen verräterischen Unterschieden. Ballard simuliert die Simulation (die Umfrage, die Untersuchung).