Pink Floyd

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Anthony Stern sollte in diesem Jahr den Kontakt zwischen Syd und einem anderen aufstrebenden Künstler herstellen. Peter Whitehead, der gerade seinen Universitätsabschluss gemacht hatte, hatte in der Grange Road ein Atelier in Cambridge. Später würde er als Filmemacher die bekanntesten Aufnahmen von Pink Floyd der Syd-Ära drehen. Fürs Erste waren Barrett und seine Freunde aber einfach nur einen Gruppe ohne Namen, die im Raum neben seinem Atelier probte. „Ich glaube, dass Syd eine Affäre mit der Tochter der Hausbesitzer hatte“, sagt Peter heute. „Je lauter sie probten, desto lauter hörte ich meinen Bartók, meinen Janáček und meinen Wagner. Für Popmusik hatte ich nichts übrig. Als Syd herausfand, dass ich Maler war, kam er öfter mal vorbei, um sich mit mir zu unterhalten und sich zu erkundigen, was ich da für Musik horchte. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sich unsere Wege später erneut kreuzen sollten.“

Im Herbst zog Barrett schließlich nach London, um die Camberwell zu besuchen. Dort erinnerte man sich später an ihn als enthusiastischen, zielstrebigen Studenten, der das Lehrpersonal und seine Kommilitonen verblüffte, indem er für alle seine Gemälde denselben Pinsel verwendete. Unter seinen Bildern, die er im Sommer 1964 anfertigte, befand sich auch ein Porträt der Popsängerin Sandie Shaw, welches er an ihre Plattenfirma schickte, ohne jemals eine Antwort zu erhalten.

London zeigte sich ihm von seiner aufregenden Seite, doch bei Syds Besuchen in der Heimat kam er wieder in Kontakt mit seinen alten Mitstreitern. In Cambridge hatte Andrew Rawlinson damit begonnen, sich bei „Happenings“, die in der Round Church stattfanden, zu engagieren. Die Beteiligung aller Gäste war bei diesen Events von integraler Bedeutung. Rawlinson kaufte etwa eine große Weltkarte, übertrug die Umrisse von 50 Staaten auf Papierbögen, die er dann an Gleichgesinnte schickte. Er forderte sie auf: „Tobt euch aus und schickt mir dann die Bögen wieder zurück.“ Syd wurde Russland zugesandt. Er malte es pflichtbewusst blau aus und ließ sein Werk daraufhin wieder dem Absender zukommen. Später schickte er Rawlinson ein Buch, das er selbst gestaltet hatte und welches den Titel Fart Enjoy trug und aus sieben Seiten Karton bestand. Es umfasste Kurzgedichte, Skizzen, Bilder aus Magazinen sowie eine als Brief getarnte Parodie mit dem Titel „Dear Roge“. Neben dem Foto eines barbusigen Modells waren die Wörter „Fuk, Suk and Lik“ gekritzelt. Rawlinson beschrieb dieses Machwerk als „eine Mischung aus grenzwertig Abstraktem und lodernder Launenhaftigkeit“.

Egal, wie sehr Syd sich seiner Kunst verschrieben hatte: Er kehrte dennoch regelmäßig an seine alten musikalischen Betätigungsstätten in Cambridge zurück. Während der Sommerferien, als er sich gerade in Cambridge aufhielt, stieg er bei The Hollerin’ Blues (manchmal auch als Barney and The Hollerin’ Blues unterwegs) als Gitarrist ein. So kam er in Kontakt mit dem 16-jährigen Matthew Scurfield, dem Halbbruder von Ponji Robinson und Schulfreund des Mundharmonika-Spielers von The Hollerin’ Blues, Pete Glass. Scurfield sollte später als Schauspieler im Theater, im Film und im Fernsehen auftreten. „Meinen Vater hätte man einen ‚romantischen Sozialisten‘ nennen können. Er schickte mich in eine sehr strenge Secondary Modern School in Cambridge“, sagt er heute. „Ich scheiterte bei meinem 11-plus und stieg danach beinahe überhaupt aus. Meine Tante war eine regional sehr bekannte Psychiaterin und ich vertickte im Criterion Medikamente, die ich aus ihrem Arzneischrank geklaut hatte.“ Durch diesen – wie er es selbst nennt – „illegalen Handel mit medizinischer Schmuggelware“ lernte er Pip und Emo kennen. Diese wiederum stellten ihm eines Abends Syd vor. „Wir verstanden uns sofort blendend, weil wir uns beide fürs Theater interessierten. Syd und ich fanden heraus, dass sowohl er als auch ich kleine Modell-Theater gebaut hatten. Ponji und ich freundeten uns gut mit ihm an. Ich wusste nicht einmal, dass er Musiker war, bis ich mir an einem Ort wie vielleicht dem Dorothy Ballroom The Hollerin’ Blues ansah. Plötzlich stand Syd mit einer Gitarre vor mir. Er war zwar nicht der beste Gitarrist der Welt, doch ihm haftete definitiv eine gewisse Aura an.“

Anfang 1965 hatte sich die Band schließlich in Those Without umbenannt – und Syd verstärkte die Gruppe an der Gitarre, wann immer er während seiner Ferien in der Stadt war. „Wir absolvierten ein paar unserer besten Auftritte mit Syd und zwar im Cellars und im Victoria Ballroom“, erinnert sich Drummer Stephen Pyle. „Er war auf Besuch aus London da und hatte sich eine neue Fender und einen großen Vox-Amp zugelegt. Inzwischen war auch die Kinks-Single ‚You Really Got Me‘ erschienen und Syd fuhr total darauf ab. Während der Probe spielte er den Song immer und immer wieder.“

Inzwischen schmiedete David Gilmour seine eigenen Pläne. Falls er seine A-Level-Prüfungen bestünde, könnte er die Uni besuchen, womit er sich von der lokalen Musikszene verabschieden müsste. Gilmour beschloss jedoch auf halbem Weg durch die Examen, die Schule zu verlassen. Mittlerweile waren seine Eltern endgültig aus den USA zurückgekehrt und er lebte alleine in einer Wohnung in der Mill Road. Außerdem hatte er eine neue Band namens Jokers Wild, die sich um ihn, John Gordon und Clive Welham herum formiert hatte.

Während es Syd nach London verschlug, zog es Gilmour also vor, zu bleiben. Die Stärke von Jokers Wild bestand in ihren fünfstimmigen Harmonien. „Wir taten uns zusammen, weil wir alle singen konnten“, sagte Welham. Ihr Set legte den Schwerpunkt auf Songs von den Four Seasons, Sam and Dave und den Beach Boys und sie traten in jedem Club, bei jeder Party und auf jedem Luftwaffenstützpunkt auf, wo man sie haben wollte. Zusätzlich spielten sie auch noch jeden Mittwoch im Les Jeux Interdits, einem Club im Victoria Ballroom, der bei ausländischen Studenten von benachbarten Colleges sehr beliebt war. „Ich glaube, dass wir irgendwann sogar alle ausländische Freundinnen hatten“, wusste Clive zu berichten.

Die Originalbesetzung umfasste Gordon, Welham sowie den Keyboarder und Saxofonisten Tony Dave Altham und den Bassisten Tony Sainty, der später sowohl von Rick Wills als auch Davids Bruder Peter abgelöst wurde. Gilmour mag vielleicht schüchtern und bescheiden gewirkt haben, doch seine Erscheinung machte es schwer, ihn zu übersehen. „Dave war immer ein wenig properer zurechtgemacht als Syd“, erinnert sich John Gordon. „Er sah studentisch aus, etwas amerikanisch vielleicht inklusive weißer Levi’s. Richtig adrett. Das kam bei Frauen gut an.“

„Alle Mädchen verzehrten sich nach ihm“, sagt Christine Smith (ehemals Bull), die der Band zum ersten Mal im Alter von 17 in Cambridge begegnete. „Wir nannten ihn damals Adonis.“ Als Gilmours Eltern in den USA weilten, lud Christines Familie David und Peter gerne zu sich nachhause ein, so etwa auch einmal zu Weihnachten. „Sie brachten ihre Gitarren mit und wir unterhielten uns stundenlang“, erinnert sich Christine.

Eine Anzeige, die Anfang der Sechzigerjahre in der Pop-Zeitschrift Rave erschien, gibt Aufschluss über die Beliebtheit, der sich David Gilmour damals erfreute. Libby Gausdens Schulfreundin Vivien Brans (auch bekannt unter ihren Spitznamen Twig und Twiggy) hatte sie in Auftrag gegeben: „Letzten Juni habe ich einen Jungen namens David Gilmour in Cambridge kennengelernt. Er spielte in einer Gruppe mit Namen Jokers Wild. Er meinte, er wolle nach London ziehen, und trug immer Bluejeans mit Aufnähern. Wenn jemand weiß, wo er ist, soll er oder sie ihm bitte ausrichten, dass er dem Mädchen mit den langen blonden Haaren schreiben soll, das ihm dabei geholfen hat, seinen Van auf der Guest Road anzuschieben, damit er anspringt. Sagt ihm, dass Vivien sich freuen würde, von ihm zu hören, wenn er sich noch an sie erinnert.“ 1964 sollte Vivien schließlich Gilmours langjährige Freundin werden.

Die zunehmende Popularität des Sängers veranlasste sogar Beatles-Manager Brian Epstein, einen Talent-Scout in den Victoria Ballroom zu entsenden. Epstein entschied sich schlussendlich dagegen, ihn unter Vertrag zu nehmen, doch da ihm sein Ruf bereits vorauseilte, war nun auch das Interesse anderer Szenemusiker an Gilmour geweckt worden. Hugh Fielder, der inzwischen Musikkritiker ist, aber damals bei der lokalen Formation The Ramblin’ Blues sang, heuerte Gilmour an, als der Gitarrist seiner Band 1965 unmittelbar vor einem Gig an einer Mädchenschule den Rücken kehrte. „Mädchen hatten bei unseren Konzerten auch schon zuvor gekreischt“, erinnert sich Fielder, „und wir wollten, dass das auch so bliebe. Gilmour war fantastisch.“ Es gab nur ein Problem: „Leider wollte er von uns so viel Kohle, wie wir für den ganzen Auftritt bekommen sollten.“

Den Beatles und den Rolling Stones war es gelungen, Roger Waters’ unterkühlte Einstellung dem Rock’n’Roll gegenüber aufzutauen. Eines Abends waren er und Barrett nach London gereist, um ein geballtes Rock’n’Roll-Paket bestehend aus den Stones, Helen Shapiro und Gene Vincent im Gaumont State Cinema in Kilburn zu bestaunen. Dem mürrischen, in Leder gewandeten Gene Vincent fehlte der Charme des hübschen Jungen, wie ihn etwa auch Elvis ausstrahlte. Vielmehr war er ein Alkoholiker, der sich bei einem Motorradunfall das linke Bein schwer beschädigt hatte und nun stark hinkte. Es kursierten Storys, dass Vincent von seinem Bodyguard in einen Teppich eingewickelt und auf die Bühne getragen hätte werden müssen, da er sich geweigert hätte, seinen Auftritt abzuspulen. Vielleicht hinterließ Vincents Outsider-Image und sein angeschlagenes Auftreten ja einen bleibenden Eindruck auf Barrett und Waters. Was auch immer es war, während der Zugfahrt zurück nach Cambridge begannen die beiden, Gitarrenverstärker zu skizzieren, wie sie das Duo für ihre gemeinsame Rock’n’Roll-Band haben wollten.

Als aber Syd schließlich in London landete, spielte Roger bereits in einer Band. Ohne Barrett und Gilmour beziehungsweise deren Gespür für Kunst und Musik war Waters bei der Suche nach Möglichkeiten, die County hinter sich zu lassen, so ziemlich auf sich allein gestellt. Als er Syd mit den Mottoes sah, erklärte er, dass er gerne ein wenig mehr in die Mitte der Gesellschaft streben wollte. Nachdem er seinen Plan aufgegeben hatte, an der Uni von Manchester Maschinenbau zu studieren, unterzog er sich einer Reihe von Eignungstests, die am National Institute of Industrial Psychology ausgewertet wurden. Schließlich teilte man ihm mit, dass er wie geschaffen dafür sei, Architektur zu studieren.

 

Als Vorgeschmack darauf arbeitete Waters mehrere Monate in einem Architekturbüro im benachbarten Swavesy, bevor er sich am Londoner Regent Street Polytechnic in der Titchfield Street nahe dem Oxford Circus einschrieb. Mitsamt seiner Gitarre kam er in ein paar heruntergekommenen Studentenbuden unter, dazu gehörte auch ein Squat ohne warmes Wasser nahe der King’s Road. Wie einer seiner späteren Bandkollegen erörtern sollte: „Roger wollte sich selbst befreien, wusste aber nicht, wie er das anstellen sollte.“ Ab dem Frühjahr 1963 fand er sich jedoch in einem Zirkel gleichgesinnter Studenten wieder, der unter anderem auch einen Schlagzeuger, nämlich einen gewissen Nick Mason, sowie einen Keyboarder, Richard Wright, umfasste.

Nicholas Berkeley Mason war am 27. Januar 1944 in Edgbaston am Rande Birminghams geboren worden. Sein Vater Bill war Mitglied der kommunistischen Partei und ein ehemaliger Arbeitnehmervertreter der Association of Cinematographic Technicians. Nachdem er einen Job als Dokumentarfilmer angenommen hatte, zog er mit seiner Frau Sally und ihrem gemeinsamen zweijährigen Sohn Nick nach Downshire Hill im Nordlondoner Vorort Hampstead Garden. Drei Töchter – Sarah, Melanie und Serena – sollten später das Familienglück noch vervollkommnen.

Bill sammelte alte Autos und war Motorsportfan, der selbst Amateur-Rennen bestritt. Passenderweise war eine seiner frühen Arbeiten Le Mans eine Dokumentation über das französische 24-Stunden-Rennen aus dem Jahr 1955. Die Autosammlung der Masons war nicht der einzige Hinweis auf ihren Wohlstand. So wie auch seine anderen zukünftigen Bandkollegen wuchs Nick relativ betucht auf. Vermutlich kann man sogar sagen, dass es ein bisschen mehr als nur das war. Pink Floyds erster Manager sollte sich später erinnern: „Ich weiß noch, dass ich enorm beeindruckt davon war, dass Nicks Eltern einen Pool hatten.“

Auch Nicks musikalischer Werdegang begann mit Bill Haley, Elvis Presley sowie dem regelmäßigen Genuss von Radio Luxemburg. Er lernte, Geige und Klavier zu spielen, trat aber an keinem der beiden Instrumente als außerordentlicher Könner in Erscheinung. Später erhielt er ein Schlagzeug und wurde Mitglied einer spontan entstandenen Band namens The Hot Rods, deren Repertoire kaum mehr als das unermüdliche Wiederholen der Titelmelodie der Fernsehserie Peter Gunn umfasste.

Im Alter von elf Jahren besuchte Mason die Frensham Heights, ein gemischtes Internat, das sich damit rühmte, dass es dort weder Uniformen noch Wettbewerb gab und die Lehrer und Schüler sich gegenseitig mit Vornamen ansprachen. Im Vergleich mit den Erfahrungen, die etwa Waters an der zugeknüpften County hatte machen müssen, gestaltete sich Masons Zeit an der Frensham Heights doch um einiges entspannter. „Ich genoss meine Zeit an der Frensham“, schrieb er 2004. „Es war einigermaßen traditionell, zumindest in Bezug auf die Blazer und die Examen, aber der Bildungsansatz war schon sehr liberal.“ Mason vertiefte sich nicht ganz so fest in seine akademische Ausbildung, wie es vielleicht von ihm erwartet worden wäre. Stattdessen wurde sein musikalisches Interesse zuerst von Modern-Jazz- und später Bebop-Schallplatten, die im Gemeinschaftsraum liefen, angefeuert. Im Alter von 14 setzte er sich wieder hinters Schlagzeug, doch dieses Mal unter seinen eigenen Bedingungen. „Ich hatte nie irgendeinen offiziellen Unterricht“, erklärte er später. „Ich halte das für einen großen Fehler. Die einfachste Art und Weise, etwas zu erlernen, ist, wenn es einem ordentlich beigebracht wird.“

Nachdem er die Schule beendet hatte, wandte sich Nick ab 1962 für fünf Jahre dem Architekturstudium am Regent Street Polytechnic zu. Vielleicht hatte das ja auch damit zu tun, dass Frank Rutter, der Vater seiner damaligen Freundin und zukünftigen Ehefrau, ein angesehener Architekt war. Sogar damals schon und obwohl er wieder Schlagzeug spielte, zeigte er nicht denselben brennenden Ehrgeiz, Musiker zu werden, wie ihn etwa ein David Gilmour an den Tag legte. Mason ließ einen Interviewer Jahre später wissen: „Ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass Dinge auch dann gut laufen können, wenn man sie nicht wirklich versucht – indem man einfach nur Glück hat.“

Nicks größte Leidenschaft – noch vor Musik oder Architektur – waren aber die Autos. Er fuhr etwa in einem Austin Chummy von 1930 zum Polytechnic. Mason schrieb 2004 in seinem Buch, dass dieses Auto der Grund dafür gewesen sei, dass Roger Waters sich dazu herabgelassen habe, mit ihm zu sprechen. Waters habe sich den Wagen sogar ausborgen wollen, doch Mason habe ihm diesen Wunsch verweigert und behauptet, dass das Vehikel vorübergehend nicht fahrtauglich sei. Kurz darauf habe Roger Nick erspäht, wie dieser hinter dem Steuer des Wagens gesessen habe. Trotzdem entwickelte sich eine Freundschaft, nachdem die beiden für ein gemeinsames Projekt zusammengespannt worden waren.

Im September 1963 hatten die Poly-Studenten Keith Noble und Clive Metcalfe ihre Fühler nach gleichgesinnten Studenten ausgestreckt und eine Nachricht ans schwarze Brett der Schule gepinnt. „Da stand geschrieben: ‚Wer hat Lust, eine Band zu gründen?‘“, erinnert sich Clive Metcalfe. Zu jener Zeit hatten Noble und Metcalfe schon einiges mehr an Erfahrung als ihre zukünftige Rhythmussektion. „Keith und ich sangen zusammen in einer Bar in der Albemarle Street in Picadilly. Wir sangen alles von den Beatles bis hin zu Peter, Paul and Mary, R&B oder zwölftaktigem Blues. Ich besuchte ja eigentlich die Chelsea School of Art, aber damals wurde gerade das Gebäude renoviert, weshalb unser Unterricht am Regent Street Poly stattfand.“

Da sie das Duo erweitern wollten, fingen Noble und Metcalfe an, im Gemeinschaftsraum mit den Leuten zu proben, die auf den Aushang reagierten. Darunter befanden sich auch Mason und Waters (damals spielte er mehr schlecht als recht Gitarre) sowie Keith Nobles Schwester Sheilagh. „Sheilagh sang mit Keith, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie instrumental viel beigesteuert hätte“, sagt Metcalfe. „Roger war als Musiker noch nicht sehr weit, weshalb ich, nachdem ich zuerst noch Lead- und Rhythmusgitarre gespielt hatte, an die Bassgitarre wechselte, weil mir auffiel, dass wir einen Bassisten brauchten.“

Die Band entschied sich für den Namen The Sigma 6, nachdem die Band um einen weiteren Poly-Studenten, nämlich den Keyboarder Richard William Wright, ergänzt worden war und von nun an als Sextett am Start war.

Wright war am 28. Juli 1943 als Sohn des Biochemikers Robert, der bei Unigate Dairies beschäftigt war, und seiner Frau Daisy zur Welt gekommen. Die Wrights lebten in Hatch End, Pinner, im Norden Londons. Pinner war auch die Heimat von Reg Dwight, der einmal als Elton John bekannt werden würde, sowie viel später auch von Simon Le Bon, dem Leadsänger von Duran Duran.

Nach der privaten Grundschule St. John’s wurde Richard an der gebührenpflichtigen Grammar School Haberdasher Aske’s eingeschrieben, die sich damals in Hampstead befand und mittlerweile nach Elstree verlegt wurde. Als Richard schließlich das Teenager-Alter erreichte, erlernte er Posaune, Saxofon, Gitarre und Klavier und besuchte regelmäßig traditionelle Jazz-Konzerte in der Railway Tavern im nahegelegenen Harrow and Wealdstone, wo bald schon die Karriere von The Who ihren Ausgang nehmen sollte. „Ich stand eigentlich überhaupt nicht auf Pop“, bekannte er später. „Ich hörte Jazz. Die Musik, die mich anregte, selbst Musiker werden zu wollen, stammte von Coltrane, Miles Davis und Eric Dolphy.“

Es begann ein kurzes Engagement als Botenjunge für die ortsansässige Kodak-Fabrik in Harrow Wealdstone, doch da er sich nicht sicher war, was er mit seinem Leben anfangen sollte, folgte Richard blindlings dem Vorschlag seines Berufsberaters und schrieb sich als Architekturstudent am Regent Street Poly ein. Jahre später sollte er eingestehen, dass er sich nie wirklich dafür begeistern hatte können, Architekt zu werden.

Da er damals kein eigenes Keyboard besaß, hing Wrights Rolle jeweils davon ab, ob die Location, in der die Band auftreten sollte, über ein eigenes Klavier verfügte. In der Regel fanden ihre Auftritte im Rahmen von Geburtstagspartys oder anderer privater Anlässe statt. Nachdem Sheilagh Noble die Band verlassen hatte, stieg Wrights Freundin Juliette Gale, die damals ebenso am Poly studierte, als gelegentliche Sängerin ein. „Juliette war nett und sang hervorragend“, erinnert sich Clive Metcalfe. „Sie war eine gute Blues-Sängerin und sang Sachen wie etwa ‚Summertime‘. Rick Wright war ein unglaublich stiller Typ. Ich denke nicht, dass wir ihn je wirklich kennenlernten.“

Noch bevor das Jahr vorüber war, heuerte die Band einen Manager und gelegentlichen Songwriter an. Es handelte sich dabei um ihren Mitstudenten Ken Chapman, der der Band seine Eigenkompositionen aufdrängte, damit sie sie in ihr Repertoire aus R&B-Nummern einbaute. Waters erinnert sich daran, dass einer seiner Songs der Melodie von Beet­hovens Für Elise folgte. Chapman verschaffte der Band darüber hinaus auch ein Vorspielen bei Gerry Bron, der damals als Musikverleger tätig war und später Bronze Records aus der Taufe heben sollte. „Er hielt die Songs für ziemlich gut, meinte aber, dass wir die Band vergessen sollten“, erinnert sich Nick Mason. „Wenn wir damals auf irgendwen gehört hätten, der über ein bisschen Musikgeschmack verfügte, hätten wir auf der Stelle das Handtuch werfen müssen. Allerdings waren wir so auf uns bezogen, dass wir einfach weitermachten.“

Im Verlauf des folgenden Jahres gab es etliche Namensänderungen. Angeblich trug die Formation Namen wie The Megadeaths und The Screaming Abdabs (später zu The Abdabs verkürzt). Für ein Interview, das The Abdabs einer Studentenzeitschrift gaben, wurde die Band fotografiert, wie sie linkisch neben einem Laternenpfosten in der Great Titchfield Street posierte. Waters, der Rock als „Beat ohne Ausdruck“ verunglimpfte, trug seine schwarze Lederjacke, die an Dylan erinnerte, sowie einen verächtlichen Gesichtsausdruck.

„Es war nicht einfach für mich mit Roger“, gesteht Clive Metcalfe. „Nick Mason war sehr umgänglich, aber Roger war irgendwie übel drauf und ich stellte für ihn ein leichtes Ziel dar. Ich war am Land aufgewachsen und entstammte einem eher behüteten Umfeld. Roger war Dummköpfen gegenüber nicht sehr tolerant und ich fürchte, dass es nicht schwierig für ihn war, mich wie einen Dummkopf wirken zu lassen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir bewusst war, dass ich so bedrohlich wirkte“, erklärte Waters später. „Obwohl ich mir vorstellen kann, dass ich aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus versucht haben könnte, dieses Image zu kultivieren. Als junger Mann hatte ich so große Angst vor allem, dass ich ein wenig aggressiv wurde.“

Parallel zu seinem Architekturstudium nahm Wright Privatstunden in Musiktheorie und Komposition an der Eric Gilder School of Music. Als er begriff, dass die Architektur nicht seine Berufung war, ging er am Ende des ersten Studienjahrs von Bord (manche berichten, er wäre über die Planke geschickt worden). „Ich schmiss vor lauter Langeweile das Handtuch“, erörterte er später einmal. „Also reiste ich zum Beispiel nach Griechenland. Im Anschluss daran begab ich mich wieder nachhause, um mir ein wenig Kohle als Innenarchitekt und privater Dekorateur zu verdienen. Aber ich war sehr unglücklich damit, weshalb ich mich für ein Musikstudium entschied.“ Wright schrieb sich irgendwann tatsächlich am Royal College of Music in London ein. Währenddessen versuchten Waters und Mason, sich in ihrem Studium zurechtzufinden. Vor allem Waters war nicht weniger frustriert von seinen Lehrern am Poly, als er es schon an der County gewesen war, wobei er in erster Linie Probleme mit dem Dozenten für Architekturgeschichte hatte. „Es muss schrecklich gewesen sein, mich zu unterrichten“, gab er später zu. „Ich war sehr aufsässig. Es war wieder wie zu Schulzeiten und ich hatte gehofft, das alles hinter mir gelassen zu haben.“

Und doch gab es auch zwei Dozenten, denen Waters keine Verachtung entgegenbrachte. Der eine – sein Jahrgangsstufenleiter – ermutigte ihn, seine Gitarre in den Unterricht mitzubringen, und erlaubte ihm, sie in der Klasse zu spielen. Der andere war der Architekt Mike Leonard, der Teilzeit am Polytechnic und am Hornsey College of Art unterrichtete. Er war ein fähiger Pianist und interessierte sich – obwohl 15 Jahre älter als seine Studenten – für die avantgardistischeren Bereiche der Musik. Außerdem weckte es Waters’ Neugier, dass Leonard mit Beleuchtungseffekten experimentierte: Nicht nur entwarf und baute er Vorrichtungen aus Glas und Akrylglas, sondern brachte außerdem auch mit Öl beschmierte Dias zum Einsatz.

 

Leonards Haus, Stanhope Gardens 39, in Highgate, war groß genug, um einen Proberaum beherbergen zu können. Außerdem brauchte er Untermieter, um die Hypothek abstottern zu können. Mason und Waters waren schließlich die ersten, die einzogen.

Die Ankunft von Gitarrist Bob Klose – David Gilmours Freund aus Kindertagen – kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Klose hatte regelmäßig in einer Band in Cambridge– Blues Anonymous – gespielt und sich zu einem hochgeschätzten Gitarristen entwickelt. Jedoch führte sein Auftauchen auch dazu, dass Clive Metcalfe und Keith Noble wieder damit begannen, als Duo zu arbeiten. „Bob war einer jener Gitarristen, die meiner Meinung nach ein wenig zu vorwitzig wurden“, erklärt Metcalfe. „Mit mir und Keith in der Band funktionierte der Sound der Band einfach nicht.“ Im selben Jahr schrieben Metcalfe und Noble „A Summer Song“, das in den USA zu einem Top-40-Hit für Chad and Jeremy werden sollte. Klose zog in Leonards Haus und stieg als Gitarrist ein, was dazu führte, dass Waters an den Bass wechselte.

Bob Klose war natürlich nicht der einzige, den es von Cambridge in die britische Hauptstadt verschlug. Nachdem er sich an der Camberwell School of Art eingeschrieben hatte, zog auch Syd in Michael Leonards Haus, wo er sich ein Schlafzimmer mit seinem alten Schulfreund Roger Waters teilte. Richard Wright und Juliette Gale sollten bald folgen, während Nick Mason zurück in das Haus seiner Eltern in Hampstead – mitsamt dem Swimmingpool – zog. Für seine Bandkollegen aus Cambridge war der erste Besuch im Domizil ihres Schlagzeugers eine mittlere Überraschung. „Die Band hatte ja kaum genug Geld, um sich das Benzin für die Fahrt zu ihm leisten zu können“, erinnert sich Libby Gausden. „Als wir bei Nick ankamen, wurden wir herzlich willkommen geheißen – und zwar von der Art Leute, von der man sich das gar nicht erwarten würde. Da standen wir in unseren schwarzen Klamotten und hielten uns für Beatniks. Ich weiß noch, dass Nick ein sehr gutes Schlagzeug besaß und Geld für Verstärker hatte. Seine Eltern freuten sich für ihn, dass er in einer Band spielen konnte. Auf uns aus Cambridge wirkte es so, als hätten Londoner einfach nur Geld.“ Mike Leonards Haus war voller exotischer Musikinstrumente, Ritterrüstungen, Beatnik-Bücher und Jazz-Platten. Außerdem lebten da auch noch seine beiden Katzen Tunji und McGhee. Dieses Ambiente entsprach Syds Vorliebe für Bizarres. Während Leonard im ersten Stock wohnte und arbeitete, probten Barrett, Mason, Waters und Klose im Erdgeschoss. „Der Lärm war phänomenal“, sollte Leonard 1991 berichten. „Die Nachbarn schickten uns die Polizei und Vertreter der Stadt vorbei. Dann erhielten wir einen Brief, in dem stand, dass jemandes Gesundheit unter der Belästigung gelitten hätte.“

Unbeirrt setzte die Band, die sich mittlerweile The Spectrum Five nannte, ihr Treiben fort, während Barrett und Waters Leonard fasziniert mit den Prototypen seiner Beleuchtungsapparate halfen. Die Band steuerte auch die Musik für Mikes Experimente im Rahmen des Sound and Light Workshops am Hornsey College of Art bei. Mike beteiligte sich wiederum gelegentlich an den Proben und sprang als Organist ein. Doch abgesehen von ein paar Auftritten mit der Band in einem örtlichen Pub hatte er kein Bedürfnis, ein Popstar zu werden. „Ich war ein wenig zu alt und hatte nicht das richtige Image“, meinte er. Stattdessen beschränkte er sich darauf, die Band zu ermutigen, während er über Barretts Streiche staunte und mehr schlecht als recht versuchte, ein sonntägliches Mittagessen zuzubereiten: „Da landete schon mal ein ungekochter Kohlkopf auf deinem Teller.“ Die Band nannte sich zu Ehren ihres Vermieters sogar kurzfristig Leonard’s Lodgers. In der Zwischenzeit war es Barrett zu viel geworden, sich ein Zimmer mit Waters zu teilen, weshalb er mit einem Freund aus Cambridge, David Gale, ein möbliertes Zimmer in der Tottenham Street 12 bezog. In derselben Straße wohnte mit Seamus O’Connell noch ein weiterer Freund von früher mit seiner Mutter Ella.

„Das war so ein heruntergekommener Häuserblock unweit der Tottenham Court Road“, sagt Seamus heute. „Ich war bis zu den O-Level-Examen ein guter Schüler an der County, doch danach ließ ich aufgrund familiärer Probleme doch etwas nach. Meine Mutter beschloss, nach London zu ziehen, und ich ging mit ihr. Ich lebte also in dieser Wohnung und bereitete mich auf die A-Level-Prüfungen vor, als David und Syd in unserer Nähe einzogen.“

Während Barrett sich jeden Morgen zur Camberwell begab, studierte Gale am Royal College of Art Film und arbeitete nebenher bei Better Books, einem Laden in der Charing Cross Road und zu jener Zeit die erste Anlaufstelle für Beat-Literatur und -Magazine. Nachts trafen sich die beiden wieder in ihrem „dreckigen, kleinen Zimmer“, wie Gale es zu nennen pflegte. Ein Besucher erinnert sich: „Obwohl keine der Wohnungen, in denen wir damals hausten, irgendeine Art von häuslichem Komfort vorzuweisen hatte, war ihre die einzige, in der es tatsächlich Kakerlaken gab.“

Inzwischen war auch Richard Wright, der sich eine kurze Auszeit gegönnt hatte, um sich auf sein Studium zu konzentrieren, wieder zurück als Keyboarder der Leonard’s Lodgers. Außerdem feierte er seinen eigenen musikalischen Durchbruch, nachdem er einen seiner Songs, „You’re the Reason Why“, an das Liverpooler Gesangstrio Adam, Mike and Tim für eine stattliche Summe von 75 Pfund hatte verkaufen können.

Doch war der Posten des Leadsängers nach wie vor vakant. Juliette Gale hatte inzwischen das Poly verlassen, um an die Universität in Brighton zu wechseln. Barrett und Klose teilten sich den Gesang, doch bald schon wurde ihnen klar, dass sie einen ordentlichen Frontmann für sich gewinnen mussten, weshalb Syd sich an Geoff Mottlow wandte, der aber gerade erst selbst einen Hit mit den Boston Crabs gehabt hatte und ihnen absagte. Klose schlug vor, sich an einen anderen Cambridger zu wenden. Chris Dennis hatte in lokalen Bands wie den Redcaps gesungen und arbeitete nun als Techniker bei der Royal Air Force. Außerdem konnte er von sich behaupten, in der ersten elektrisch verstärkten Band Maltas, den Zodiacs, gespielt zu haben, während er auf der Mittelmeerinsel stationiert gewesen war. Er war ein wenig älter als seine mittellosen Bandkollegen aus dem Studentenmilieu und besaß außerdem eine PA-Anlage von Vox. „Es war offenkundig, dass ich es war, der sich ihnen anschloss“, sagt Dennis heute.

„Sie wollten sich strikt auf Blues beschränken – Slim Harpo, Lightnin’ Hopkins, Howlin’ Wolf. Das war ein Sound, der damals in Großbritannien de facto unbekannt war. Ich stand aber, nachdem ich die Rolling Stones im Rex Ballroom in Cambridge gesehen hatte, viel mehr auf Rhythm and Blues. Das war viel eher mein Ding.“