Pink Floyd

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Die ungezügelte Kreativität der Beats, ihre nonkonformistische Haltung und ihre Abenteuerlust sprachen sowohl Barrett als auch Waters an. In Briefen an seine Freundin Libby Gausden schwärmte Barrett von Unterwegs. Er experimentierte mit seinem Outfit und entschied sich schließlich für schwarze Hosen und einen Fischer-Pullover, wie er bei Kunststudenten und Jazz-Fans angesagt war. Einige Zeit nach dem Tod seines Vaters begann er, sich gelegentlich „Syd, der Beat“ zu nennen. „Syd“ leitete sich von Sid Barrett ab, einem nicht mit ihm verwandten Jazz-Drummer, dem er im örtlichen CVJM sowie im Anchor-Pub begegnet war.

„Damals“, so erinnerte sich Waters Jahre später, „gab es diese Vorstellung, ostwärts zu reisen, um Abenteuer zu erleben.“ Andrew „Willa“ Rawlinson begleitete Waters und noch andere auf ihren zahlreichen Trips durch Europa. „Wir fuhren mit dem Auto von Rogers Mum über Frankreich, Italien und Griechenland nach Istanbul“, erinnert er sich. „Wir waren circa drei Monate unterwegs.“ Mit 19 fuhren Waters, Rawlinson und noch weitere in den Nahen Osten. „Wir fuhren in einem alten Rettungswagen, den wir Brutus getauft hatten“, berichtet Rawlinson. „Wir wussten nichts über Motoren, füllten keine Kühlerflüssigkeit nach, und schließlich verreckte unser Wagen in Beirut. Also trennten sich dort unsere Wege. Roger trampte alleine zurück nach England.“ Es war dieser Trip, der seinen Solo-Song von 2003, „Leaving Beirut“, inspirieren sollte. Die erste Textzeile lautete: „So we left Beirut, Willa and I …“

Spätestens ab 1962 hatte sich Syd Barretts Skepsis gegenüber Rock’n’Roll verflüchtigt. Seine musikalischen Vorlieben umfassten mittlerweile amerikanische Interpreten wie Chuck Berry und Bo Diddley, aber auch heimische Acts wie die Instrumental-Band The Shadows, die in den frühen Sechzigerjahren zu den maßgeblichen Einflüssen jedes ambitionierten Gitarristen zählten. Die Veröffentlichung der ersten Beatles-Single „Love Me Do“ im Jahr 1962 sowie das Erscheinen ihres Debüt-Albums Please Please Me im Jahr darauf verliehen der Musikszene von Cambridge einen weiteren Schub. Die Beatles waren Engländer, boten daher mehr Identifikationspotenzial und sogar der sonst stets skeptische Roger Waters meinte: „Die Songs auf ihrem ersten Album waren einfach so gut.“ Barrett wurde zu einem inbrünstigen Beatles-Jünger und fing nach dem Erwerb seiner ersten E-Gitarre sowie des Heiligen Grals unter den diesbezüglichen Lernmaterialien – Pete Seegers Platte und Buch – an, sich Gedanken über eine eigene Gruppe zu machen. Zwar hatte Syd schon gemeinsam mit John Gordon Gitarren-Sessions abgehalten, doch sein erster ernsthafter musikalischer Gehversuch war eine Gruppe mit dem Namen Geoff Mott and the Mottoes, die sich um den geselligen Geoff Mottlow formiert hatte. Geoff besuchte ebenfalls die County und war ein Rugby-Teamkamerad von Roger Waters. Der Band stand mit Syds Schlafzimmer der ideale Raum zur Verfügung, wo sie sich regelmäßig an Sonntagnachmittagen zum Proben einfand. Barrett und ein Junge namens Nobby Clarke spielten Gitarre, Mottlow gab den Leadsänger, während Clive Welham, der 2012 verstarb, hinterm Schlagzeug Platz nahm. „Es ist durchaus möglich, dass ich damals, als Syd und ich anfingen zusammen zu spielen, noch nicht einmal ein vernünftiges Schlagzeug besaß und stattdessen mit Messern auf ein paar Keksdosen trommelte“, verriet Clive. „Aber dann kaufte ich mir ein Schlagzeug, nahm Stunden und wurde sogar ganz gut. Ich weiß allerdings nicht einmal mehr, wer unser Bassist war.“ Welham meinte im Gegensatz zu dem, was in den meisten Büchern zu diesem Thema steht, dass es nicht Tony Sainty gewesen sei, dieser jedoch gemeinsam mit David Gilmour in Bands gespielt habe. „Ich spielte später mit Tony in Bands zusammen“, betonte Clive, „aber nicht in jener mit Syd. Es gab viele, die mal vorbeikamen. Roger Waters trieb sich immer bei Syd zuhause herum, aber das war noch bevor er selbst Musik machte.“

Das Repertoire der Mottoes umfasste Coverversionen von Buddy Holly, Chuck Berry, den Shadows und Eddie Cochran. Jahre später sollte Barrett der Musikpresse mitteilen, dass die Band oft bei privaten Partys aufgetreten sei. Vor zahlendem Publikum spielte sie jedoch nur ein einziges Mal und zwar bei einem Benefizkonzert für die Campaign for Nuclear Disarmament (CND), welches im lokalen Friends Meeting House stattfand. Das zugehörige Konzertplakat entwarf Roger Waters. Die Verbindung war sowohl politisch als auch musikalisch. Roger teilte das Interesse seiner Mutter für linksorientierte Politik und war inzwischen Spendensammler für den Morning Star sowie Vorsitzender der Jugendorganisation des ortsansässigen CND geworden. Später beteiligte er sich auch an Märschen des CND nach Aldermaston, einem Stützpunkt der Royal Air Force. „Wenn Roger Waters da war, rissen wir uns alle am Riemen“, lacht Libby Gausden. „Es war, als ob ein Lehrer den Raum betreten würde. Da er etwas älter war, kaufte man ihm diese Rolle auch ab. Er hatte schon ein Motorrad, bevor wir anderen überhaupt den Führerschein hatten. Und außerdem besaß er noch eine Lederjacke.“ Die Band sollte sich irgendwann zwar auflösen, doch hatte Mottlow 1965 mit seiner nächsten Gruppe, den Boston Crabs, mit „Down in Mexico“, einem zukünftigen Klassiker des Northern Souls, einen kleineren Hit, während Clive Welham sich zum festen Inventar der Szene in Cambridge entwickelte.

Als er 16 war, näherte sich Syds Zeit an der County ihrem Ende und er verkündete, zur Kunstschule gehen zu wollen. Seine Mutter arbeitete im Büro der Cambridge School of Art und um das Vorhaben ihres Sohnes zu fördern, arrangierte sie, dass er und John Gordon an einem außerplanmäßigen Kunstunterricht, der am Samstagmorgen stattfand, teilnehmen durften. Ihr Fleiß sollte sich schlussendlich auszahlen. Im Sommer 1962 schrieben sich beide Jungs an jener Schule ein, wo Syd zwei Jahre lang Kunst und Design studieren würde, wobei er sowohl bei den Lehrern als auch seinen Mitschülern einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollte. „Syd war eine große Persönlichkeit“, erinnert sich John Watkins, der mit ihm die Schule besuchte. „Aber er hatte eine ganz schön große Klappe. Ich meine das auf eine nette Art und Weise. John Gordon glaubt, dass das wahrscheinlich mit dem Tod seines Vaters zu tun hatte. Syd forderte es stets heraus, er ließ sich nichts gefallen und ließ auch niemanden im Unklaren darüber.“

Die Cambridge School of Art, die sich in der East Road befindet, war im 19. Jahrhundert gegründet worden. Zu den Absolventen zählten unter anderem der Karikaturist und Illustrator Ronald Searle, bekannt für seine St. Trinian’s-Buchreihe, sowie die Erfinder der Puppen von Spitting Image, Peter Fluck und Roger Law.

„Syd erinnerte mich an einen spanischen Zigeuner“, sagt Richard Jacobs, der zusammen mit Barrett den Zeichenkurs besuchte. „Später behauptete er gerne, dass seine Großmutter eine Zigeunerin gewesen sei. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir ihm das abkauften. Zum ersten Mal sah ich ihn im Sommer 1962. Er hatte eine Akustikgitarre und trug eine Levi’s. Ich war sehr beeindruckt. Zu jener Zeit kleideten wir anderen uns noch sehr proper. Im Keller des Schulgebäudes gab es einen Aufenthaltsraum, in dem Syd während der Pausen Hof hielt. Er saß stets auf einem Fensterbrett und spielte auf seiner Gitarre. Er sang diesen alten Music-Hall-Song, ‚just because my hair is curly, just because my teeth are pearly …‘.“ (Ein Jazz-Song von 1910, der später auch von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong aufgenommen wurde.)

Durch die Schule kam Barrett auch erneut in Kontakt mit David Gilmour. Gilmours Eltern waren für einen kurzen Besuch aus den USA heimgekehrt und er selbst studierte mittlerweile Neuphilologie am Cambridgeshire College of Arts and Technology, das sich gleich neben Barretts Schule befand. Laut John Watkins verbrachte er die meiste Zeit zwischen den einzelnen Vorlesungen in der Kunstschule. „Ein paar von uns spielten Gitarre. Ich allerdings eher schlecht als recht. Aber wir fingen an, uns zur Mittagszeit in der Kunstschule zu Sessions zu verabreden“, sagt Watkins. „David fing an, sich daran zu beteiligen, und verbrachte mehr und mehr Zeit mit uns. Vor Cambridge war ich in Ägypten und auf Zypern, weshalb ich nicht wusste, was in der englischen Musikszene so vor sich ging. Ich besaß eine Gitarre und fing an, mir Sachen von Syd abzuschauen. Er brachte mir ein paar Sachen bei und auch David bettelte ich stets um ein paar neue Akkorde an. Die Beatles standen noch ganz am Anfang und Syd hatte sich gerade Songs wie ‚Twist and Shout‘ beigebracht. David machte mich mit Bob Dylan vertraut.“ Gilmour hatte den amerikanischen Sänger und Songwriter für sich entdeckt, als seine Eltern ihm aus den USA ein Exemplar seines jüngsten Albums mitbrachten. In der ganzen Zeit, die ich ihn dort sah“, sagt Stephen Pyle, ein anderer Schüler, „sah ich ihn niemals ohne eine Gitarre. Er war schon damals sehr zielstrebig, was das anging.“

Zwar war Gilmour in Bezug auf neue Akkorde ein verlässlicherer Lehrer, aber Syd war empfänglicher für abgefahrenere Tricks. „Sein Ansatz war experimenteller“, erinnert sich ein anderer alter Kumpel aus Cambridge, David Gale. „Ich erinnere mich, dass Syd einmal in seinem Zimmer ein Zippo, das vermutlich einem amerikanischen Soldaten gehört hatte, auf dem Griffbrett rauf und runter schob. Außerdem enthielt dieses Zippo eine Art Spieldose und spuckte ein paar Töne aus. Er rutschte also mit dem Zippo auf den Saiten der elektrisch verstärkten Gitarre herum, wodurch sich dieser Bottleneck-Effekt ergab, und gleichzeitig noch diese Melodie aus dem Inneren des Feuerzeugs – das ähnelte den Dingen, die er bei Pink Floyd abzog.“ Syd war bekannt für seine Possen, die er während des Unterrichts zu reißen pflegte. Einmal störte er die Diavorführung eines Lehrers, indem er seine Kommilitonen durch das Fenster am hinteren Endes des Klassenzimmers nach draußen lotste, damit sie in weiterer Folge wieder bei der Türe hereinspazierten, was zu einem nicht abreißenden Fluss von wiederkehrenden Kursteilnehmern führte. Ein anderes Mal versteckte er seine Gitarre unter seinem Pult und schlug die Saiten mit seinen Füßen an, was den Lehrer zur Weißglut brachte, da er nicht ausmachen konnte, woher die Geräusche stammten. „Ich erinnere mich an Syd als jemanden, der sich gegenüber dem Lehrpersonal gerne stur und aufmüpfig verhielt“, sagt Richard Jacobs. „Es gefiel ihm, für Aufruhr zu sorgen. Er stürmte auch gerne mal aus dem Unterricht. Er mochte es einfach nicht, wenn man ihm sagte, was er zu tun hätte. Einmal wollten wir alle zusammen eine Studienfahrt unternehmen, doch er weigerte sich, in den Bus zu steigen. Keine Ahnung, was da los war. Er wollte es uns nicht verraten. Mitunter hatte er einfach diese Trotzanfälle. Es wirkte auf gewisse Weise recht weibisch.“

 

John Watkins fiel außerdem eine unkonventionelle Dynamik im Haus der Barretts auf: „Syd war nach dem Tod seines Vaters der Mann im Haus geworden. Er liebte seine Mum, verhielt sich ihr gegenüber aber recht komisch und sehr unwirsch. Ich glaube, er wollte sie aus der Reserve locken und herausfinden, wie weit er gehen konnte. Sein Schlafzimmer war sein Hoheitsgebiet und wenn ihm seine Mutter eine Tasse Tee brachte, schrie er sie an: ‚Raus aus meinem Zimmer, Frau!‘“

„Syds Mutter Win war eine herzliche, wunderbare Frau“, erinnert sich Libby Gausden. „Sie sah immer nur das Gute in den Menschen, weshalb Syd bei ihr mit allem durchkam. Sie war älter als die Mütter von uns anderen. Sie hatte Syds Brüder Don und Alan bekommen, als sie noch sehr jung gewesen war. Don war bei der Royal Air Force und Alan war Akademiker – und beide waren sie kahl mit 30! Ganz anders als Syd. Er unterschied sich von allen seinen Familienmitgliedern. Er war schon immer so, auch als sein Vater noch lebte. Syds Dad hielt sich ja stets nur in seinem Studienzimmer auf, weshalb Syd tun und lassen konnte, was er wollte.“

Abseits der mittäglichen Musik-Sessions war Syds Zugang zu seinem künstlerischen Schaffen zwar mitunter recht unbeständig, doch er führte oft auch zu Ergebnissen. Manche frustrierte es etwa, dass Syd oft lieber in seinem Garten als an der Kunstschule malte. Und stand ein Abgabetermin ins Haus, wartete er bis zum letztmöglichen Zeitpunkt, um mit einem Meisterwerk unterm Arm aufzutauchen.

„In der einen Minute waren seine Bilder figurativ, und in der nächsten dann eher abstrakt“, erinnert sich John Gordon. „Er experimentierte ständig und versuchte neue Stile aus. Irgendwo habe ich noch ein Schwarz-Weiß-Foto, das ich in seinem Garten geschossen habe. Darauf hält Syd eine Leinwand, die fast so groß wie er war. Es war ein abstraktes Gemälde in dunklen Ockerfarben. Auf die Leinwand hatte er ein Stück Stoff – vielleicht ein Shirt – geklatscht und das Ganze dann mit Farbe übermalt.“ Syds Verhalten wurde zu diesem Zeitpunkt bloß als leicht exzentrisch eingestuft, sein Drogenkonsum war alles andere als öffentlich bekannt. „Syd liebte sein Cannabis“, sagt Libby Gausden. „Das war zu einer Zeit, als man immer noch damit durchkam, etwa auf dem Oberdeck eines Busses zu rauchen, was er ja auch tat. Ich kiffte nie. Das tat damals keines der Mädchen in Cambridge, obwohl sich das vermutlich änderte, als ein paar von ihnen nach London gingen.“

„Ich sah Syd nie kiffen, aber wir wussten, dass er es tat“, sagt John Gordon. „Ich zog von zuhause aus, als ich zur Kunstschule ging, und obwohl ich selbst nie wirklich auf das Zeug abfuhr, wurde meine Wohnung in der Clarendon Street zu einer Art Treffpunkt, wo die Leute abhingen, um zu rauchen. Es war eine dieser Buden, in der man mitten in der Nacht aufwachte und Leute vorfand, die im Ofen Bananenschalen buken und anschließend versuchten, sie zu rauchen. Da gab es ein Grüppchen, das regelmäßig aufkreuzte. Zwei dieser Typen – Pip und Emo – sollten später für Pink Floyd arbeiten. Sie konnten zu jeder Tages- oder Nachtzeit bei mir auftauchen.“

Ian Carter, vulgo Pip, war in den Worten eines seiner Bekannten „ein wilder Junge aus dem Moor“. Er hatte einen markanten ostenglischen Akzent, weshalb er manchmal für Leute, die nicht zu seinem unmittelbaren Freundeskreis zählten, völlig unverständlich war. Wie auch andere in Pink Floyds Umfeld, schloss Carter sich ihrer Road-Crew an und arbeitete als ihr Beleuchtungstechniker. (Nick Mason sollte ihn später als „einen der absolut unfähigsten Roadies der Welt“ bezeichnen.)

Iain „Emo“ Moore wird von einem seiner Bekannten von damals als „grimassierender, gestikulierender Kauz, der kaum noch Zähne im Mund hatte“, beschrieben. Wie sein Freund Pip wurde auch er ein enger Vertrauter sowohl von Syd Barrett als auch von David Gilmour. Emo arbeitete und wohnte in den Siebzigern und frühen Achtzigern als Haushälter bei David und seiner ersten Frau Ginger. Der gelegentliche Schauspieler trat später in zahlreichen Pop-Videos auf und brachte es auch zu einem ultra-kurzen Gastauftritt im Pink-Floyd-Film The Wall, wo er den Trauzeugen jenes Charakters spielte, der von Bob Geldof dargestellt wurde.

Nun, da er nicht länger zu Gilmours innerem Kreis zählt, lebt er ein beschaulicheres Leben an der englischen Südküste. „Pip und Emo kümmerten sich um Syd und später dann um David“, erklärt einer ihrer Bekannten. „Sie gaben gut acht auf die beiden, aber kosteten auch die Vorzüge dieser Freundschaft aus. Vor allem in Bezug auf David Gilmour.“ In Pips Fall hieß das, dass der Floyd-Gitarrist für mehrere Drogenentzüge aufkam. Emo hingegen kam in den Genuss einer ausführlichen Behandlung bei Gilmours Zahnarzt. „Pip und Emo waren stadtbekannt“, lacht John Gordon. „Damals waren sie Mods, die ständig mit ihren Motorrollern durch die Gegend flitzten und vor Miller’s, einem Musikladen, abhingen. Wer den Film Quadrophenia gesehen hat: Sie waren beide wie der Typ, den Phil Daniels darstellte. Dave und Syd waren mehr wie Stings Rolle – der coole Typ eben.“

„Ich traf Syd, als er 16 war. Dave war 17, als ich ihn kennenlernte“, sagt Emo, der damals in einem Kohlelager arbeitete. „Ich ging gerne zu Syd rüber, um den ganzen Tag zu kiffen. Dave kannte alle diese Leute aus der Schule, allerdings keine Arbeiterklasse-Typen wie etwa mich. Ich besuchte eine schreckliche Schule und lernte dort genau gar nichts. Wir verstanden uns aber gut, weil ich gerne ein bisschen so wie Dave gewesen wäre. Und ich glaube auch, dass ein Teil von Dave ein bisschen so wie ich sein wollte. Seine Eltern trieben ihn ständig an und er wollte sich davon befreien. Ich hingegen wäre gerne angespornt worden und hätte gerne die Dinge gehabt, die ihm zuteilwurden.“

Ein anderer von Emos betuchten Bekannten hieß Nigel Lesmoir-Gordon, der die Privatschule Oundle besucht hatte, ein paar Jahre älter als Emo war und gemeinsam mit seiner geschiedenen Mutter in Cambridge wohnte. An der Schule hatte Lesmoir-Gordon Konzerte veranstaltet, zum Beispiel auch einen gut besuchten Auftritt des Jazz-Trompeters Humphrey Littleton. In Cambridge organisierte er eine Reihe von Dichterlesungen über dem lokalen Pub Horse and Groom. In den Worten eines Ortsansässigen war er „schrecklich hip“ und sah aus „wie Alain Delon“. Nigel war fasziniert von Syd Barrett. „Ich schaute bei einer dieser sonntäglichen Nachmittags-Sessions in Syds Haus vorbei“, erinnert er sich. „Syd war jünger als wir. Aber wir interessierten uns alle sehr für ihn, was an seinem außergewöhnlichen Äußeren und seinem eigenartigen Charisma lag.“

Zu Lesmoir-Gordon zählte auch eine Gang bestehend aus richtig hippen Jungs, die sich in erster Linie aus Schülern der County und der Perse zusammensetzte. Dazu gehörten unter anderem Andrew Rawlinson, Paul Charrier, David Gale, Seamus O’Connell, Dave Henderson, John Davies, John „Ponji“ Robinson, Anthony Stern, der spätere Pink-Floyd-Cover­designer Storm Thorgerson sowie der Schriftsteller Nick Sedgwick, dessen Roman von 1989, Light Blue with Bulges, einen Einblick in die Erfahrungen bietet, welche der Autor und seine Freunde zu jener Zeit in Cambridge machten. „Syd hielt Dave Gale immer für einen richtigen Kumpel und er verehrte Nigel Gordon“, erinnert sich Libby Gausden. „Ich glaube, diese Typen hielten uns für einen Haufen ‚Teenybopper‘, weil wir ein bisschen jünger als sie waren. Aber sie waren alle sehr von Syd angetan.“

Die Gruppe hing gerne im Musikladen Miller’s, den Cafés El Patio und Guild, dem Pub Criterion („das Cri“), dem Dorothy Ballroom und ausgesuchten Treffpunkten entlang des River Cams ab. Zwischen 1963 und 1965, so erinnert sich John Davies, „verwandelten wir uns von Schuljungen zu aufstrebenden Beatniks“, die ihre Uniformen gegen schwarze Rollkragenpullover und Lederjacken eintauschten, Miles Davis lauschten, Vespa fuhren und Dope rauchten, das sie amerikanischen GIs, die auf den Air-Force-Stützpunkten in Lakenheath und Mildenhall dienten, abkauften. „Das El Patio war eine der ersten Espresso-Bars“, erklärt Anthony Stern. „Ich verließ die Perse, um dort als Tellerwäscher zu arbeiten, weil ich rebellieren wollte. Erwachsen zu werden, war kein Thema. Also verbrachten wir viel Zeit damit, Dinge zu tun, die Eltern im Normalfall aufregen. So entwickelte sich auch unsere Vorliebe für den Blues. Uns sprach der rebellische Aspekt daran an. Ach, wie gut das war! Eine weitere Möglichkeit, seinen Eltern in den Rücken zu fallen.“

„1962 standen wir alle auf Jimmy Smith“, erklärt Storm Thorgerson. „1963 brachte dann Dope und Rockmusik. Syd war einer der ersten, die auf die Beatles und die Stones abfuhren. Er spielte mit seiner Gitarre auf Partys und ließ einen Hut herumgehen“, entsinnt sich David Gale. „Als ich 16 war, war Syd ein flüchtiger Bekannter. Wir nickten uns zu, wenn wir uns sahen. Das große Ding damals war, wie ein Bohemien auszusehen. Syd erfüllte diesen Anspruch sehr gut. Es gab zwei oder drei Cliquen, die sich während der Schulferien am Fluss trafen. Jede von ihnen hatte ihre bevorzugten Treffpunkte, aber es kam auch zum Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen. Wir saßen gerne auf der Grünfläche in der Nähe des Mill Ponds, gleich neben zwei Pubs, dem Mill und dem Anchor. Storms Leute trafen sich in der Regel bei den Badeumkleidekabinen der Männer am Shep’s Green, wo ein paar Sitzbänke und Trauerweiden standen. Es war ziemlich angesagt, sich am Verleih einen Kahn zu organisieren und damit bis runter zu den Grantchester Meadows zu fahren.“ Aubrey „Po“ Powell sollte später mit Storm Thorgerson die Design-Firma Hipgnosis gründen. Er hatte die King’s School im nahegelegenen Ely besucht und die Jungs von der Perse und der County zum ersten Mal bei Cricket- und Rugby-Matches zwischen den jeweiligen Schulen kennengelernt. „Später hatten wir außerdem einen gemeinsamen Freund in Cambridge – eine Drogendealer aus Liverpool namens Nod“, weiß Po zu berichten. „So traf ich diese Typen erneut.“ Nachdem er die Schule hinter sich gelassen hatte, nahm er sich ein kleines Zimmer in jenem Haus in der Clarendon Street, wo zuvor auch John Gordon gelebt hatte“, erinnert er sich noch gut. „Die Leute gingen dort ein und aus. In der Kellerwohnung lebte Sarah, die Schwester des Comedians Peter Cook, weshalb wir auch mit ihr abhingen. Das Haus von Storms Mutter war gleich ums Eck in der Earl Street. Es gab somit also noch diese kleine Enklave, wo wir uns einfinden konnten“, erzählt Po.

Storm Thorgersons Mutter Evangeline war Töpferin und Lehrerin an der Ely Grammar School for Girls und außerdem mit Mary Waters befreundet. Sie lebte getrennt von Storms Vater und so wie Syd genoss auch Storm die Freiheiten, die sich dadurch ergaben. Storm besuchte die äußerst liberale Summerhill Free School in Suffolk, die später von den Medien als „Tu, was du willst“-Schule bezeichnet wurde. „Das bedeutete, dass er für sein Alter immer sehr weit wirkte“, erinnert sich einer seiner Bekannten. „Storm drehte Filme, in denen er seine Freunde als Darsteller einsetzte“, berichtet Anthony Stern. „Einer von Storms Filmen hieß The Mealwhich, den er im Haus meiner Eltern drehte. Es war eine surreale Fantasie-Geschichte, in der Nick Sedgwick ‚gefressen‘ wurde. Nick lag halbnackt auf dem Tisch meiner Eltern, was meinem Vater nicht sonderlich behagte: ‚Anthony, um Himmels Willen, was macht ihr da bloß?‘“

Abgesehen davon, dass sie aus hochgebildeten Familien stammten, hatten viele Mitglieder noch ein weiteres Detail gemeinsam. Storms Vater lebte wie auch Nigels getrennt von seiner Mutter. Die Väter von Syd, Roger Waters und John „Ponji“ Robinson waren verstorben. John Davies erklärt: „Viele von uns hatten Väter, die entweder physisch oder emotional abwesend waren. Oder auch beides.“ Anthony Stern ergänzt: „Beinahe alle von uns hatten Eltern, die den Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt hatten. Mein Vater konnte überhaupt nicht über diese Erfahrung sprechen. Hinzu kam noch, dass man in Cambridge von enormem historischem Gewicht und jeder Menge brillanter Menschen umgeben war. Meine Eltern arbeiteten am St. John’s College. Als Kinder von Akademikern, so wie auch Syd eines war, wuchsen wir mit dem Gefühl auf, dass nichts, was wir jemals tun würden, als gut genug angesehen werden würde. Ich denke, dass viele von uns unter dem litten, was ich mittlerweile als ‚das Cambridge-Syndrom‘ bezeichne.“

 

Auf sich selbst gestellt, verwandelte Storm Thorgerson sein Zimmer in der Earl Street in etwas, was einer seiner Gäste als „Tankstelle“ für die jungen Beatniks bezeichnete. „Storm zu besuchen, war der Höhepunkt des Abends“, erklärt Emo. „In sein Schlafzimmer passten vielleicht zehn Leute. Wir saßen alle auf dem Boden, rauchten und versuchten, seine Mutter, die nebenan schlief, nicht aufzuwecken.“

„Storm hatte dieses unglaubliche Zimmer“, erinnert sich Po. „Die Wände waren bedeckt mit Graffiti und Montagen aus surrealen Bildern, die er aus Magazinen ausgeschnitten hatte. Das war für damals höchst außergewöhnlich. Aber auch Syds Zimmer war fantastisch. Es war voller Gemälde, kleinen Modellautos und -flugzeugen sowie allem möglichen Kram, den man mit typischen Kunstschülern assoziieren würde. Eines Tages kreuzte ich bei ihm auf und da war diese sechsseitige Doppelpyramide. Das Ding war ziemlich groß, ungefähr einen halben Meter im Durchmesser, und aus Balsaholz. Dann war da noch eins, das vielleicht halb so lang war, sowie ein noch kleineres. Diese drei Objekte hingen von der Zimmerdecke. Er hatte sie selbst gemacht. Absolut perfekte Modelle.“

Po war ebenso angetan von Syds Erscheinungsbild und Benehmen. „Ich werde mich immer daran erinnern, wie er barfuß durch sein Zimmer spazierte, aber eben auf seine eigentümliche Art – auf Zehenspitzen, fast schwebend. Seine Haare hingen ihm ins Gesicht und er hielt eine Zigarette in der Hand. Fast schon elfenhaft. Er hatte seinen eigenen Bekleidungsstil, der verdammt künstlerisch war. Er kreuzte im Pub mit einem blau-weißen Matrosen-Shirt auf und sah aus, als wäre er geradewegs dem Montparnasse der Zwanzigerjahre entsprungen.“

Barrett konnte sich seinen alten Schulfreunden gegenüber ebenso schwer fassbar verhalten wie gegenüber seinen neueren Kumpanen von der Kunstschule. „Er konnte mit einer Gruppe von Leuten unterwegs sein und schlagartig verschwinden“, erklärt Po. „Er teilte niemandem mit, wohin er ging. Dann war man später vielleicht mit ein paar anderen Leuten zusammen – und mit einem Schlag tauchte er wieder auf. Das tat er, so denke ich jedenfalls, nicht absichtlich. Ich glaube, er langweilte sich rasch, weshalb es ihm gefiel, einfach abzuhauen und sein eigenes Ding durchzuziehen. Er hatte einen tollen Sinn für Humor, konnte sich aber auch schlagartig von allem zurückziehen. In der einen Minute saß man noch zusammen in einem Zimmer, um high zu werden, und im nächsten Augenblick war er fort.“

Auch Libby Gausden erinnert sich an derartige Vorfälle: „Anstatt irgendwelchen Einladungen zu folgen, fuhr er weg und setzte sich in die Botanik. Sobald er sein erstes Auto hatte, nahm er mich mit auf Ausflüge zu allen möglichen Flüssen und Hügeln, was ich damals schrecklich öde fand. Aber Syd hatte die Natur eben schon gemocht, als sie den ganzen trendigen Leuten noch egal war.“

Ende 1962 hatte David Gilmour schon ein paar Gigs mit einer lokalen Gruppe namens The Ramblers absolviert, bei der außerdem noch John Gordon an der Rhythmusgitarre und der ehemalige Mottoes-Dummer Clive Welham mit von der Partie waren. „Wir waren sozusagen Halbprofis, spielten und verdienten ein bisschen was“, sagte Welham später. „Dave hatte sich immens verbessert. Als ich ihn ein Jahr zuvor spielen gesehen hatte, war er noch nicht sehr kompetent, doch man merkte, dass er seit damals viel Zeit in sein Spiel investiert hatte.“

„Dave und Syd waren beide Typen, denen man einfach über den Weg lief“, erinnert sich Rick Wills, der in einer von Gilmours späteren Bands Bass spielte. „Ich traf ihn regelmäßig im Musikladen von Ken Stevens, wo wir beide Gitarren ausprobierten und uns dabei zu absoluten Volldeppen machten. Dave hatte eine gewisse Ausstrahlung – mitunter irgendwie arrogant, so als würde er alles wissen. Syd hatte einen sehr individuellen Look. Um ehrlich zu sein, ich nahm ihn eigentlich nie ernst. Er war einer dieser Kunst-Fritzen, die mit einer LP von Bob Dylan unterm Arm durch die Gegend liefen. Ich hielt ihn nicht unbedingt für einen Vorzeige-Rock’n’Roller.“

Andere wiederum – darunter auch Mick Jagger – waren da anderer Ansicht. Libby Gausden begleitete Syd zu einem Stones-Gig in einer Veranstaltungshalle im nahegelegenen Whittlesey. „Mit diesem Auftritt kamen sie wohl einer alten vertraglichen Verpflichtung nach, die sie noch vor ihrem Durchbruch eingegangen waren“, meint Libby. „Nach der Show kam Mick Jagger schnurstracks auf uns zu. Ich weiß das noch, weil er so eine schreckliche, gekünstelte Stimme hatte. Da wir alle aus Cambridge stammten, sprachen wir alle ein schönes Englisch. Mick stellte mir Fragen zu meinen Klamotten. Syd faszinierte ihn jedoch ebenso. Er fand, dass Syd aussah wie ein sehr junger Bill Wyman – dieselben dunklen Haare und sehr dünn.“

Bei einem Konzert von Bob Dylan befand sich auch die Modedesignerin Mary Quant im Publikum. Auch sie sei, wie Libby es ausdrückt, „sehr angetan“ von Syd gewesen. Und auch in Cambridge begeisterten sich ältere Frauen, die sie bei Partys trafen, für Barrett und steckten ihm sogar ihre Telefonnummern zu. „Er rief sie tatsächlich an“, erklärt Libby, „aber wir wollten nur hören, was sie so sagten, um uns darüber lustig zu machen. Er verabredete sich mit ihnen, nur um sie dann zu versetzen.“

Nebenbei war Gilmour auch mit einer Band namens The Newcomers am Start, die zuerst noch als Chris Ian and The Newcomers gespielt hatte. „Dave hatte so eine beschissene alte Burns-Gitarre und einen abgefuckten Amp. Aber es war damals schon offensichtlich, dass er es draufhatte. Er war verdammt gut“, erinnerte sich ihr Sänger Waterson später einmal.

Da Syd Barrett kurz vor seinem Schulabschluss an der Cambridge School of Art stand, drehten sich seine Zukunftspläne nach wie vor eher um die Kunst als um seine Musik. „Ich war aber immer der Meinung gewesen, dass seine Kunst nur etwas war, mit dem er sich beschäftigte, solange er darauf wartete, dass er etwas mit der Musik machen könnte“, sagt Libby Gausden. Im Sommer 1963 reiste Syd nach London, um sich an der Camberwell School of Art zu bewerben, obwohl er dadurch einen Gig der Beatles verpasste. Dieses Opfer zahlte sich aus und er wurde angenommen. „Eigentlich wollte er unbedingt auf die Kunsthochschule in Chelsea, wurde aber abgelehnt“, enthüllt Libby. „Dann fand er aber heraus, dass Camberwell sogar noch angesagter war.“

In jenem Sommer stellte er mit Anthony Stern im Lion and Lamb, einem Pub im benachbarten Milton, Werke aus. Stern, der mittlerweile am St. John’s College studierte, wurde vom Kanzler des King’s Colleges ein Atelier zur Verfügung gestellt. „Er war mit meinen Eltern befreundet, weshalb ich enorm privilegiert war“, erzählt Stern. „Dieser Raum bot mir eine weitere Chance, meinen Eltern zu entkommen, und ermöglichte mir, mich dort mit Mädchen zu verabreden.“ Leider verlief die Ausstellung weniger erfolgreich. „Syds Gemälde waren höchst abstrakt oder Stillleben in Öl auf Leinwand. Meine waren hingegen recht hanebüchene Versuche im Bereich psychotischer Surrealismus. Wir verkauften jedenfalls nichts.“ Jedoch entwickelte sich Sterns improvisiertes Atelier auch für Barrett zu einer Art Refugium. „Syd und ich verbrachten Unmengen Zeit dort. Wir führten endlose Unterhaltungen über Film, Kunst und Musik. Es gab da diesen Typen am St. Catherine’s College namens Reg Gadney, der in seinem Zimmer Beleuchtungskästen anfertigte. Er zeigte uns diese Dinger. Sie waren wie große Fernsehbildschirme, hinter denen sich eine Reihe von mechanischen Gerätschaften und Lichtprojektionen verbargen. Die psychedelische Ära sollte später auf solche Konzepte zurückgreifen und Floyd bauten sie in ihre Bühnenbeleuchtung ein. Syd und ich waren jedenfalls ganz hin und weg.“ Syd hatte bereits mit seinem Freund von der Kunstschule, John Gordon, mit selbstgebastelten Lichtshows experimentiert. Als er in eine in der Clarendon Street gelegene Wohnung zog, machten sich die beiden einen Spaß daraus, Bilder auf ein gegenüber gelegenes Haus zu projizieren.