Peter Grant - Ein Leben für Led Zeppelin

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1962 existierten die Berufsbezeichnungen „Roadie“ und „Tourmanager“ noch nicht. „Don oder Colin Berlin steckten mir eine Reiseroute zu“, erzählte Grant. „Ich holte dann den Act am Flughafen ab, buchte das Hotel, brachte sie dazu, ihren Kram aufzubauen, kutschierte sie zu ihren Gigs und achtete darauf, dass sie bezahlt wurden.“

Grant musste sich jedoch auch um die Probleme kümmern, wenn etwa ein Clubbetreiber die tatsächliche Anzahl der verkauften Eintrittskarten manipulierte, wenn ein Sänger zu besoffen war, um aufzutreten, oder ein liebestrunkener weiblicher Fan mit dem Hauptact geschlafen hatte und nicht wahrhaben wollte, dass der betreffende Star nicht beabsichtigte, sie zu ehelichen. Außerdem gab es skrupellose Veranstalter, die Gruppen zunächst an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden buchten. Sie zahlten pünktlich und lullten deren Agenten mit einem falschen Gefühl der Sicherheit ein. Anschließend buchten sie denselben Act in einem riesigen Konzertsaal, verkauften mehr Eintrittskarten als je zuvor und versprachen die Gage per Scheck auszuzahlen. Der Scheck kam jedoch nie an und der Veranstalter tauchte ab. Diejenigen, die ihre Schuld leugneten, fanden in Don Arden einen zähen Kontrahenten. Wie Peter Rachman war auch Arden dafür bekannt, Geldeintreiber zu beschäftigen, die eine hundertprozentige Erfolgsquote aufwiesen.

Manchmal uferten Streitereien wegen Geldes und Rivalitäten zwischen Veranstaltern auch in Handgreiflichkeiten aus. Eines Abends trafen Grant und Mickie Most in einem Club in Hitchin ein, wo gerade eine Gang den Rausschmeißern mit Macheten drohte – ein Racheakt für irgendein Fehlverhalten des dortigen Veranstalters.

Mitunter waren die Auseinandersetzungen aber eher komischer als bedrohlicher Natur. Als sich Arden und Rik Gunnell verkrachten, entsandten die beiden Promoter jeweils einen Schlägertrupp in das Büro des anderen. Grant erinnerte sich, wie sich die beiden Gangs in der Curzon Street 35 begegneten: Ardens Männer kamen gerade die Treppe herunter, als Gunnells Vollstrecker hinaufstiegen. Als sie realisierten, dass sie alle schon im Voraus bezahlt worden waren, machten sie sich zusammen auf den Weg ins nächste Pub, um sich dort volllaufen zu lassen.

Für die Unterhaltungskünstler selbst unterschied sich die neu entstehende Welt der Popmusik nicht besonders stark von der sterbenden Welt des Varietés. Alle jagten nach wie vor dem Geld, dem Sex und der Aufmerksamkeit hinterher – und alle versuchten, der Eintönigkeit der Fahrten zwischen den einzelnen Gigs entgegenzuwirken. „Es war die gleiche Art Irrsinn, derselbe Blödsinn eben“, plauderte Grant aus dem Nähkästchen. Grant hatte einmal zugesehen, als ein gelangweilter Tubby Hayes, ein umjubelter Jazz-Saxofonist, seine Fürze in einer Garderobe in Brand steckte.

Später, als Amerikas neuester Pop-Teenieschwarm Brian Hyland durch Großbritannien tourte, musste Grant ihn aus dem Odeon in Guildford schmuggeln, nachdem sich ein paar Mädchen gewaltsam Zutritt zu seiner Garderobe verschafft und ihn dabei mit Glasscherben übersät hatten.

Mit jeder Woche, die verging, wurde Grant Zeuge von schwindligen Aktionen oder Betrügereien. Bei einer seiner letzten Ausfahrten chauffierte er 1962 B. Bumble and the Stingers auf einer einmonatigen Tour durch die Provinz. Die amerikanische Gruppe hatte gerade mit einer aufgepimpten Version von Tschaikowskis „Marsch der Zinnsoldaten“ mit dem Titel „Nut Rocker“ einen Hit gefeiert. Als Grant sie vom Flughafen abholen sollte, fand er eine Gruppe unglamouröser Session-Musiker vor und keine Popstars. „Nut Rocker“ war offenbar das Werk eines Produzenten und einiger angeheuerter Helfer. Als die Platte zum Hit avancierte, stellte das Label eine Mogelpackung zusammen, die die Nummer als Band promoten sollte. Vier Jahre später lieferte Grant selbst eine ähnliche Aktion mit der New Vaudeville Band und ihrem Hit „Winchester Cathedral“.

B. Bumble and the Stingers mochten zwar nicht ganz authentisch gewesen sein, doch von Gene Vincent konnte man das nicht behaupten. Und weder Tubby Hayes’ Flatulenzen noch Brian Hylands wilde weibliche Fanbase konnten Grant auf das Leben mit Vincent einstimmen.

1955 hatte sich der als Eugene Vincent Craddock in Norfolk, Virginia, geborene Sänger gerade freiwillig zur Navy gemeldet. Dann passierte jener Motorradunfall, der seinem linken Bein einen dauerhaften Schaden zufügte und seine Militärlaufbahn jäh beendete. Ein Jahr später hatte Craddock seinen Namen in Gene Vincent geändert und einen Plattenvertrag in der Tasche. Die erste Single von Gene Vincent and His Blue Caps, „Be-Bop-A-Lula“, mitsamt ihrem stotternden, gedehnten Gesang war eine ihrer großartigen Rock’n’Roll-Nummern und verkaufte sich innerhalb eines Jahres ganze zwei Millionen Mal.

Es sollten noch weitere Hits folgen. Vincents Auftritt in der britischen Musikshow Boy Meets Girl sowie seine darauffolgende Tour im Dezember 1959 verhalfen ihm zu einem Karrierehoch in Großbritannien, als er sich in seiner Heimat Amerika gerade im Sinkflug befand. Der üblicherweise in Schwarz gekleidete und über seinen Mikroständer gebeugte Vincent war der Prototyp für jeden mürrischen, in Leder gehüllten Rockstar, der nach ihm kommen sollte. Doch sein Verhalten abseits der Bühne war in der Regel noch düsterer.

Gene hatte sich den Empfehlungen seiner Ärzte widersetzt, sein arg ramponiertes Bein amputieren zu lassen und litt nun unter chronischen Schmerzen. Auch hatte er sich mit Osteomyelitis angesteckt, einer infektiösen Knochenmarkentzündung, was zur Folge hatte, dass das Bein verfaulte. Er kombinierte daraufhin Schmerzmittel mit Alkohol. Eine riskante Mischung. Nur wenige, die ihn im Tooting Granada sahen, wussten, dass er den Mikroständer benötigte, um sich abzustützen. Wenn das Adrenalin und die Pillen nicht länger wirkten, benutzte er Krücken zum Gehen.

1963 hatte Vincent seinen Lebensmittelpunkt bereits nach Großbritannien verlegt und wurde von Don Arden gemanagt. Er war regelmäßig zu Gast in der Angell Road und brachte Sharon Osbourne später sogar das Schwimmen bei. „Sein seltsames, deformiertes Bein trieb im Wasser“, erinnert sie sich. In England befand sich der Sänger außerhalb der Reichweite seiner beiden Exfrauen und des amerikanischen Finanzamts. Dort lernte er auch seine nächste Ehefrau kennen, eine englische Tänzerin und früheres Showgirl im Murrayʼs namens Margie Russell. Binnen kurzer Zeit waren Arden und Peter Grant für jeden beruflichen und privaten Aspekt im Leben des Sängers verantwortlich.

Als Peter das Ruder übernahm, gab ihm Don eine simple Anweisung mit auf den Weg: „Pass auf, dass der Scheißer in einem Stück zu den Konzerten kommt und sich vom Whisky fernhält.“ Grant war bereits zuvor Zeuge von Vincents explosivem Verhalten geworden. Im Mai 1962 war Gene zusammen mit dem karibischen Sänger Emile Ford getourt und hatte seine Garderobentüre mit Ku-Klux-Klan-Symbolen versehen.

Die meisten Tage begannen mit einer kleinen Stärkung in Form eines Shots Scotch oder Wodka. Das ging dann so weiter, bis ihm der Schnaps ausging oder Grant ihn konfiszierte. Sobald er aus seiner Wohnung oder seinem Hotelzimmer gescheucht worden war, ließ er sich ungelenk auf dem Beifahrersitz neben Peter nieder. Irgendwo am Körper hatte er immer ein alkoholisches Getränk bei sich. Wenn ihm Peter nicht schnell genug fuhr, dann half er nach, indem er mit einer Krücke das Gaspedal durchtrat.

„Eines Tages, so sagte mir Peter, hatte er sämtlichen Alkohol entsorgt, aber Gene ließ sich immer noch volllaufen“, erinnert sich Barrie Keefe. „Peter hatte keine Ahnung, woher der Alk kam. Dann schnappte er sich Genes Krücken und ihm fiel auf, dass die eine leicht und die andere schwer war. Die schwerere Krücke war gefüllt mit Mini-Flaschen Martini.“

Der Musikjournalist Keith Altham wurde Zeuge einer weiteren großartigen Peter-Grant-Anekdote, als er zwei von Vincents Konzerten in einem Saal in Aylesbury verfolgte. Während Grant nach der ersten Show die Gage kassierte, kam es im Bus zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Gene und Margie. „Gene zog seine Frau an den Haaren und schlug ihren Kopf gegen das Fenster“, berichtet Altham. „Peter sprang in den Bus und trennte die beiden. Er war fuchsteufelswild und schrie: ‚Ich versuche hier die verdammte Kohle einzutreiben.‘“ Als er wieder ausgestiegen war, ging der eheliche Disput in die nächste Runde. „Nur dieses Mal donnerte seine Ehefrau Genes Schädel gegen die Scheibe.“ Grant ging erneut dazwischen.

In der Stunde bis zum nächsten Auftritt konsumierte Vincent den Großteil einer Flasche Wodka, kippte um und verkeilte sein gutes Bein zwischen seinem Sitz und einer senkrechten Stange. Grant musste eingreifen und die Stange verbiegen, um das angeschwollene Bein zu befreien.

Da Arden sich Genes Benehmens bewusst war, inkludierte er eine Klausel in dessen Vertrag, dass er nur auf der Bühne erscheinen müsse, um bezahlt zu werden. Grant stellte den Star auf seine Beine und obwohl dieser nun gleich zwei schadhafte Beine hatte, manövrierte er ihn rechtzeitig, als der Vorhang sich hob, auf die Bühne. Grant hatte eine kuriose Methode gefunden, um ihn aufrecht zu halten. „Er stopfte den Mikroständer hinten durch Genes Jacke“, erzählt Keeffe. „Das reichte gerade so aus, um ihn zu stabilisieren.“ Offenbar krächzte Vincent nur ein paar Zeilen der ersten Nummer, bevor er das Bewusstsein verlor. Grant sammelte ihn ein, trug ihn von der Bühne „wie ein Schwein am Spieß“ und holte dann die Gage ab.

Während einer von Vincents frühen Tourneen durch Großbritannien kursierte das Gerücht, dass in Schottland statt ihm ein Imitator auftreten würde. Aufgebrachte Teddyboys stürmten die Garderobe der Hawick Drill Hall, wo ihnen der echte Gene Vincent mit einer geladenen Schusswaffe entgegentrat. Gene war auf makabre Weise von Waffen fasziniert. So trug er oft einen Revolver, ein Messer und später auch mal eine Peitsche bei sich, die er ohne Rücksicht auf alle, die sich in seiner Schlagdistanz aufhielten, knallen ließ. An seinem ersten Weihnachten in London präsentierte er sich besonders schießwütig. So wie Don Arden die Geschichte erzählte, rief ihn Genes neue Frau Margie in Panik an und behauptete, dass ihr Mann sie mit einer Knarre bedrohe. Gene war gerade von einer Tour heimgekehrt und beschuldigte sie der Untreue.

 

Arden und Grant eilten zur Wohnung des Paares. Gene war inzwischen zur Erkenntnis gekommen, dass seine Frau eine Affäre mit dem Nachbarn hätte, und war losgezogen, um diesen damit zu konfrontieren. „Gene schob den Lauf der Waffe durch den Briefschlitz und feuerte munter drauflos“, berichtete Arden. „Er gab drei oder vier Schüsse ab, bis Peter ihn zu Boden gerungen hatte.“

Angeblich verschaffte sich Grant gewaltsam Zutritt zur Wohnung, um nachzusehen, ob Vincent jemanden getroffen hatte. Zum Glück war der Mieter über Weihnachten verreist. Als er zurückkehrte, kam Arden für den Schaden auf.

Offenbar musste Peter Gene Vincent noch öfter entwaffnen. Im Büro von Swan Song Records wurde erzählt, dass Grant Vincent eine Startpistole abnahm, nachdem dieser in einem Hotel in Brighton damit auf Leute geschossen hatte. Die Polizei versuchte, ihn zur Aufgabe zu ermuntern. „Peter drängte an den Bullen vorbei und rief ‚Gene, du dämliche Fotze!‘ und konfiszierte das Schießeisen“, berichtet jemand, dem die Geschichte erzählt worden war.

Auch kam es vor, dass sich Vincent gegen seinen Aufpasser wandte – und vice versa. Eines Nachts steuerte Gene Peters Wagen über einen Kinoparkplatz und versuchte, ihn zu überfahren. In Italien, so behauptete Don Arden, seien die beiden aneinandergeraten, woraufhin Peter versehentlich auf Genes Bein landete, was sein bereits versehrtes Bein weiter in Mitleidenschaft zog. „Das hätte Gene fast das Leben gekostet“, so Arden. „Er wurde bis zur Hüfte eingegipst und musste nach London zurückgeflogen werden.“

Für Grant gehörten all diese Vorfälle zu einer lebenswichtigen Erfahrung. „Wenn ich nicht mit Gene Vincent und den anderen auf Tour gewesen wäre, hätte ich wohl nicht gewusst, wie ich mit den Ereignissen der letzten vier oder fünf Jahre hätte umgehen sollen“, erzählte er dem Melody Maker, als Led Zeppelin in voller Blüte standen.

Grant verdankte Vincent auch sein erstes demoliertes Hotelzimmer. Dieses befand sich im Cumberland am Londoner Denkmal Marble Arch und war noch nicht einmal Vincents eigenes Zimmer, sondern das seines Co-Stars Eddie Cochran. Nach einem Anruf des besorgten Hotelmanagers traf Grant ein und fand die ausgehängte Zimmertür im Flur. Nachdem sich Eddie geweigert hatte, Gene Vincent einzulassen, hatte der die Tür aus den Angeln gerissen. „In meinen Augen waren das verdammte Irre“, sagte Grant. „Ich begab mich also zum Manager und handelte eine Lösung mit ihm aus. Später erklärte ich den beiden, dass wir uns in England nicht so aufführten. Es ging bei der Sache um ein Mädchen.“

Die Arbeit mit Vincent offenbarte Grant außerdem Ardens heißgeliebtes Konzept rund um die „Macht der Angst“. „Peter gab vor, eine Pistole bei sich tragen“, erzählt Ed Bicknell. „Gene Vincent und all diese Acts hatten das Problem, dass sich die Jungs im Publikum darüber ärgerten, welchen Effekt sie auf ihre Freundinnen hatten. Peter erzählte, dass sie mitunter von Typen angemacht wurden, also versuchte er sie einzuschüchtern, indem er auf seine Jackentasche klopfte und vortäuschte, bewaffnet zu sein. Das funktionierte jedes Mal.“

Grant behauptete hingegen, tatsächlich gelegentlich eine Pistole getragen zu haben, da Vincent darauf bestanden hätte. Vor einem Gig in Rotherham Baths fand sich Grant in seinem 57er Chevy von „einer Gruppe ortsansässiger Rabauken“ umzingelt, die den Popstar in die Mangel nehmen wollten. „Ich sagte ihnen, dass sie mir scheißegal wären, öffnete meine Jacke und zeigte ihnen das Holster. Da suchten sie schnell das Weite.“

So manchem, der sich an Grant aus diesen Tagen erinnert, fällt es schwer, diesen Mann von damals mit dem furchteinflößenden Manager von Led Zeppelin in Einklang zu bringen. Der spätere „Peter Grant“ befand sich noch in Arbeit.

Im Sommer 1963 tourte die britische Instrumental-Gruppe The Outlaws als Begleitband von Gene Vincent und Jerry Lee Lewis durch Großbritannien und Deutschland. Grant war als Tourmanager mit an Bord. Die Outlaws bestanden aus Chas Hodges (später beim Pub-Rock-Duo Chas ’n’ Dave), dem zukünftigen Deep-Purple-Gitarristen Ritchie Blackmore sowie dem Drummer Mick Underwood, der später auch mit Ian Gillan von Deep Purple spielen sollte. Grant schlüpfte umgehend in die Rolle als Boss, älterer Bruder und Mitverschwörer.

„Peter war zum Schießen“, sagt Mick Underwood heute. „Man wusste, dass man ihn besser nicht verarschte, aber manchmal machte ihm der ganze Irrsinn ebenso viel Spaß wie uns.“ Die Band fand rasch heraus, dass Grant die meisten Leute mit Spitznamen bedachte. „Peter nannte Gene Vincent ‚Finger‘, aber ich habe keine Ahnung weshalb“, so Underwood. Auch gehörten Cockney-Reime zu seiner Spezialität. Als einer aus der Reisegesellschaft sich in ihrem Hamburger Hotel mit einem Mädchen unterhalten wollte, warf ihm Grant einen fragenden Blick zu: „Aber hoffentlich nicht die mit den haarigen Schotten?“ Die Schotten leiteten sich von „scotch eggs“ – schottischen Eiern – ab, die im Cockney-Reim-Slang für „legs“, also Beine, standen.

„Ich wurde Zeuge, wie Peter schon mal ausfällig wurde“, räumt Underwood ein. „Aber das spielte sich auf rein verbaler Ebene ab. Er mochte Gene Vincent, behandelte ihn aber so, wie er das tun musste. Man konnte Gene seine Faxen nicht durchgehen lassen. Das war gefährlich. Aber Peter war achtsam, was Don Arden betraf. Eine seiner Redensarten lautete: ‚Don wird die verdammte Wand hochgehen.‘ Das bekamen wir oft zu hören, wenn etwas nicht nach Plan lief.“

Allerdings kam es auch schon mal vor, dass Grant selbst der Schalk im Nacken saß. Bei einem Auftritt in einem tristen Gemeindesaal entdeckten die Outlaws, dass nach ihnen die kugelrunde Pub-Pianistin Mrs. Mills auftrat. Als Grant die Gage eintreiben wollte, passierte er ihre leere Garderobe und erspähte im Vorbeigehen ein Outfit auf einem Kleiderbügel. Wenige Minuten später erschien er wieder in der Garderobe der Outlaws – in Mills’ Kleid gehüllt! Über seinem großen Hinterteil und an den Armen spannte der feine Zwirn ein wenig. Die Gruppe brach in schallendes Gelächter aus, während Grant sie mit ernster Miene ansprach: „Was haltet ihr davon, Jungs?“

Im Juli 1963 brachte Gloria ihre Tochter Helen zur Welt. „Ich weiß nicht, ob ich geplant war oder nicht“, sagt sie. „Mum wollte Sängerin sein und sich im Musikbusiness bewegen – und ich setzte diesen Plänen ein Ende. Mum war sehr ambitioniert und ich glaube, dass sie sich ziemlich dagegen gesträubt hat, alles aufzugeben.“

Peters Reisepass von 1963 dokumentiert seine zahllosen Trips kreuz und quer über das europäische Festland. „Meine Mum war noch jung und wollte ihre Freunde und ihre Familie im Norden in Hull besuchen. Also verbrachte ich viel Zeit mit meiner Großmutter in der Norhyrst Avenue. In einem ihrer Tagebücher las ich: ‚Die arme kleine Helen ist bei mir geblieben … Gloria ist wieder einmal fort.‘ So sah ihr Leben aus.“

Grant erzählte Malcolm McLaren, dass er glaubte, Gloria hätte ihm seinen Erfolg geneidet. Später besorgte er seiner Frau einen Job als Background-Sängerin von Duane Eddy bei Auftritten in Großbritannien. Als Arden ihn einmal zum Glasgower Flughafen entsandte, um die amerikanische Gesangsgruppe The Shirelles abzuholen, „weil sie keine Arbeitsgenehmigung hatten“, gerieten Gloria und er in Streit. „Sie machte einen Aufstand, als ich aufbrach“, erzählte er McLaren. „Sie konnte nicht damit umgehen. Dass die Shirelles drei umwerfend aussehende Mädels waren, half dabei nicht wirklich weiter.“

„Mum ließ sich keinen Bullshit gefallen und war außerdem eine ziemlich eifersüchtige Person“, erklärt Helen. „Zurecht bei dem Geschäft. Da wäre ich vermutlich nicht anders.“

Mick Underwood erinnert sich, dass sich Peter kurz nach der Geburt seiner Tochter von der Tour verabschiedete. Grant bat ihn, sich in seiner Abwesenheit um Gene zu kümmern. Die Outlaws waren zwar Fans, doch ihre Zeit als Begleitband von Vincent stellte ihre Bewunderung ernsthaft auf die Probe. „Gene war schon ziemlich anstrengend, das erfuhr ich am eigenen Leib“, sagt Underwood. „Als Peter mich um Hilfe bat, fragte ich mich, warum er nicht jemand anderen damit beauftragen konnte. Ich war schließlich der Jüngste, weshalb Granty sich vermutlich dachte, dass er mir nichts zusätzlich zu zahlen bräuchte.“

Vincent und die Band sollten am Wochenende in Belfast auftreten. Grant vertraute Underwood das Reiseticket des Stars an und wies ihn strikt an, ihm das bloß nicht auszuhändigen. Als sie in Nordirland eintrafen, zeigte sich Gene von seiner übelgelaunten Seite. Er hatte sich gerade erst im Krankenhaus untersuchen lassen und die Sache war nicht wirklich gut verlaufen. „Keiner von uns wusste, was mit seinem Bein los war“, gesteht Underwood. „Er trug einen Gips, an dem am unteren Ende ein Lederblock angebracht war, in der Art eines Schuhs mit zusätzlichem Absatz.“ Dieses Lederteil war aber zu groß und verstärkte Genes Hinken noch. „Er sagte immer wieder, dass es zu hoch wäre, und fragte, ob man nicht etwas davon abschneiden könnte“, berichtet Underwood. „Das erwies sich als Schwerarbeit.“

Es waren bereits einige Minuten vergangen und Underwood war noch nicht einmal halb durch den Absatz, als ein anderer für diesen Abend engagierter Act, der Sänger und Komiker Kenny Lynch, in die Garderobe spazierte: „Ich fragte ihn, ob er uns nicht mal schnell helfen könnte. Und Kenny, Gott schütze ihn, nahm von hieran die Sache in die Hand.“

Nach der Show humpelte Vincent auf Underwood zu und forderte, wovor sich dieser schon gefürchtet hatte: „Er sagte, dass er sein Ticket haben wolle.“ Am nächsten Abend stand ihnen eigentlich noch ein Gig bevor, doch Gene hatte entschieden, dass er abreisen wollte. Underwood versuchte, ihm ins Gewissen zu reden, doch letztlich konnte er sich ihm nicht widersetzen. „Er war ja schließlich ein Held von mir. Was hätte ich da tun sollen? Also gab ich ihm letzten Endes doch sein Ticket.“

Underwood lag am Sonntagmorgen bei seinen Eltern zuhause in seinem Bett, als das Telefon läutete. Es war Grant. „Er fuhr mich an: ‚Was hast du bloß getan?‘ Er war total außer sich, fluchte und belegte mich mit jedem erdenklichen Schimpfnamen. Ich sagte ihm, dass ich ihn auf keinen Fall aufhalten konnte … Er wollte nun einmal sein Ticket.“ Plötzlich verrauchte Grants Ärger und er begann zu lachen. „So war Peter eben. Er konnte schon mal wütend auf dich sein, aber dann musste er lachen. Er sagte: ‚Mick, du wirst es nicht fassen, wenn du heimkommst. Der Finger sitzt im Knast!‘“

Nach seiner Rückkehr nach London hatte Vincent Margie erneut vorgeworfen, untreu zu sein, und ihr eine geladene deutsche Luger an den Kopf gehalten. Nur wandte sich Margie dieses Mal nicht an Don Arden, sondern an die Polizei. „Der Finger“ wurde festgenommen, zu einer Geldstrafe von 20 Pfund für unerlaubten Besitz einer Feuerwaffe verdonnert und mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr entlassen.

Don Arden hielt Vincent die Stange und veranstaltete auch weiterhin seine Tourneen, obwohl die Einnahmen stetig abnahmen. Vincent unternahm noch etliche Comeback-Versuche, erreichte jedoch nie mehr seine alte Popularität. Jedes Jahr gab es eine neue Begleitband und neue Versionen seiner alten Geschichten. So erzählte Vincent Musikern, dass sein so stark lädiertes Bein das Resultat einer militärischen Geheimoperation während des Koreakriegs wäre. Er starb schließlich im Oktober 1971. Todesursache war ein geplatztes Magengeschwür. Zu diesem Zeitpunkt war sein vormaliger Betreuer und Fahrer bereits Manager der größten Rockband des Planeten.

Die Outlaws bestanden noch bis 1965. In den späten Siebzigerjahren schloss sich Mick Underwood Ian Gillans Band an und trommelte auf zahlreichen Hit-Singles und -Alben.

Doch bevor es dazu kam, sollten er und Peter Grant sich noch auf Tour wiedersehen. 1968 lief sich das Duo in einem Londoner Club über den Weg, wo Mick ein Konzert spielte. „Peter sagte: ‚Es mag sich zwar komisch anhören, aber ich mache gerade etwas mit Jimmy Page. Er stellt die Yardbirds neu zusammen und wir haben schon ein paar Auftritte in Skandinavien gebucht. Wir haben aber noch keinen festen Drummer. Bist du interessiert?‘“

Underwood sagte zwar zu, wurde aber am nächsten Tag gefragt, ob er sich einer anderen Gruppe anschließen wollte. Er rief Grant an, um ihm mitzuteilen, dass er seine Meinung geändert hätte. „Peter nahm das ganz gelassen. Ich sagte aber nicht Led Zeppelin ab“, formuliert er es vorsichtig. „Schließlich existierten die ja noch gar nicht. Außerdem hätte das nie funktioniert, da John Bonham der perfekte Schlagzeuger für sie war.“

 

Mickie Most, der singende Kellner aus dem 2iʼs, kehrte 1963 in Peters Leben zurück. Mickie hatte England Weihnachten 1958 den Rücken gekehrt. Im Sommer zuvor hatte er seine zukünftige Frau Christina kennengelernt, die in London Urlaub machte. Nach einer turbulenten Romanze zog er zu ihr und ihrer Familie nach Südafrika, wo sie den Großteil der nächsten vier Jahre verbrachten.

Die Most Brothers hatten einen Plattenvertrag bei Polydor unterschrieben. „Wir tourten anderthalb Jahre lang und machten ein paar schauerliche Platten“, so Mickie selbst. Doch in Südafrika lechzte man nach Rock’n’Roll. So formierte Mickie die Gruppe Mickie Most and His Playboys und feierte gleich elf Nummer-eins-Hits, in der Regel mit Coverversionen amerikanischer Songs. Als er realisierte, dass südafrikanische Studiotechniker noch nie Rock’n’Roll-Platten aufgenommen hatten, fing er an, sie selbst zu produzieren.

Mickie und seine Band traten vor Gene Vincent auf, als der 1961 in Südafrika auf Tournee ging. Im Rahmen dieser Tour trafen sie auch auf Don Arden. „Don war ein sympathischer Halunke“, erinnert sich Mickies Witwe, Chris Hayes. Zwei Jahre später – Mickie war es leid, in den immer gleichen Tanzsälen aufzutreten – zogen sie zurück nach England.

„Mickie rief mich an, weil er arbeitslos war“, sagte Grant. „Also engagierte ich ihn als Vorgruppe und gelegentlichen Ansager für unsere Tourneen, als ich noch für Don arbeitete.“

Eine Existenz als Popstar blieb Most zuhause in London jedoch verwehrt. Ihm gelangen zwar ein paar bescheidene Hits, doch seine Karriere erlitt endgültig Schiffbruch, als seine Version von Frankie Fords „Sea Cruise“ von der BBC indiziert wurde, nachdem der griechische Luxus-Kreuzer Lakonia vor der Küste von Madeira gesunken war und dabei 128 Passagiere und Crewmitglieder das Leben verloren hatten.

Egal, wie abfällig Don Arden später über Peter Grant sprechen sollte, im Frühling 1963 engagierte er ihn als Agenten und beorderte ihn in die Curzon Street. Grant und der Co-Agent Mark Wildey hatten einen Deal mit Arden, der ihnen zehn Prozent Provision für jeden Act garantierte, den sie an Land zögen, was sie dann unter sich aufteilen würden: „Allerdings bezahlte uns Don nur selten.“ Ungefähr zu dieser Zeit fing Grant an, die Instrumental-Gruppe Flintstones zu managen, deren Gitarrist Terry Slater später einmal die Achtzigerjahre-Popgruppe A-ha betreuen sollte. Zwischenzeitlich begann Chris Hayes, sich als Veranstalterin zu betätigen. „Don hatte eine Menge Bands und verwies mich an Peter“, sagt sie. „Ich hörte Radio und suchte nach Songs mit Hit-Potenzial. Dann buchte ich die betreffenden Gruppen für sehr wenig Geld. Man musste sich beeilen, weil ihr Preis stieg, sobald sie die Charts enterten.“

Grant hatte sich viel bei Arden abgeschaut. „Er versuchte mich ein paar Mal übers Ohr zu hauen“, lacht Chris. „Er sagte, eine Band wäre bereits in den Charts, weshalb er den Preis anheben müsste. Ich glaubte ihm aber nicht.“

Veränderungen standen bevor. Die Beatles – eine englische Gruppe, inspiriert von Elvis und Gene Vincent – hatten einen neuen Sound und ein frisches Image etabliert und schickten sich nun an, die USA zu erobern. Don Arden hatte die Beatles ursprünglich nicht ernst genommen, was ihm nun teuer zu stehen kam. „Sie töteten einfach alles“, sagte er später. „Leute, die ihr ganzes Leben lang Stars gewesen waren, mussten nun auf Milchmann umsatteln.“

Arden hatte bereits vergeblich versucht, Elvis nach Großbritannien zu lotsen. Doch hatte er noch ein Ass im Ärmel. Chuck Berry war der einzig wahre Gitarrengott des Rock’n’Roll und hatte den britischen Nachkriegskindern einen verführerischen Einblick in die amerikanische Kultur ermöglicht. „Er sang von Hamburgern, die Tag und Nacht brutzelten“, sagte etwa Jimmy Page. „Wir hatten aber keine Hamburger in England und wussten nicht einmal, was das war.“

Arden machte sich nun daran, Chuck Berry nach Großbritannien zu holen. Die Sache hatte nur einen Haken: Berry saß gerade im Gefängnis, weil er eine minderjährige amerikanische Ureinwohnerin über die Grenze eines Bundesstaats transportiert hatte. Allerdings blieb Ardens Angebot einer UK-Tour so lange bestehen, bis Berry auf freien Fuß gesetzt wurde. Laut Grant war er es, der in Chucks Heimatstadt St. Louis, Missouri, und anschließend nach Chicago, Illinois, flog, um den Deal zu besiegeln. „Don sagte: ‚Ich will, dass du den Deal unter Dach und Fach bringst.‘ Er gab mir dafür noch einen Briefumschlag mit Geld“, enthüllte er, bevor er mithilfe einer Anekdote die Rassentrennung in Amerika in jenen Tagen sowie die komplizierte Beziehung zwischen Manager und Künstler illustrierte.

Grant war jedenfalls schockiert, als Berry ihn persönlich am Flughafen abholte und ins Hotel brachte. Als Peter ihm einen Drink ausgeben wollte, schlug Chuck das Angebot aus. „Das war mein erster Besuch in Amerika. Ich realisierte zunächst nicht, dass das daran lag, dass er schwarz war.“

Am folgenden Tag fuhren sie zu Berrys Plattenfirma Chess Records, um sich mit dem Chef des Labels, Leonard Chess, zu treffen. „Der Schuppen ähnelte einer Flüsterkneipe“, sagte Grant. „Leonard trug Hosenträger, rauchte Zigarre und sagte: ‚Ach, du bist sicher der Engländer.‘“

Grant schloss den Deal mit Chess und Berrys Anwalt ab und überreichte Ardens Umschlag mit dem Bargeld. Berrys Beteiligung war minimal. „Chuck sagte: ‚Das Einzige, was du für mich tun musst, ist, mir einen richtig guten Klavierspieler zu besorgen.“

Anschließend forderte Leonard Chess Berry zu Grants neuerlichem Erstaunen dazu auf, ihn wieder zum Flughafen zu bringen. „Wir verließen Chess Records durch den Hintereingang. Dort sah es aus wie auf dem Stellplatz eines Gebrauchtwagenverkäufers. Alles voll mit Cadillacs“, sagte Grant. „Chuck suchte sich einen aus und wir fuhren los.“ Unterwegs erklärte Berry ihm, dass der Cadillac zu viel Benzin schluckte und er ihn nicht ganz bis ans Ziel chauffieren könnte. Stattdessen ließ er ihn beim innerstädtischen Busbahnhof aussteigen.

Auf dem Weg zum Flughafen hatte Grant eine Menge zu grübeln. Er hatte Berry gefragt, wie viele Platten er insgesamt verkauft hätte. Chuck konnte das nicht beantworten. Sein Manager hatte ihn ja nie eingeweiht: „Ich fand das schrecklich.“

Die Chuck-Berry-Tour war gebucht, obwohl sie erst im nächsten Jahr stattfinden sollte. Inzwischen holte Arden die singenden Geschwister von den Everly Brothers sowie den R&B-Gitarristen Bo Diddley aus Mississippi nach Großbritannien, um auf diese Weise den Beatles vielleicht doch noch das Wasser abzugraben. Diddley konnte es sich nicht leisten, eine ganze Band mitzubringen und tauchte nur in Begleitung seiner in einen Overall aus Lamé gehüllten Gitarristin Norma-Jean Wofford alias The Duchess sowie seines Maracas-Spielers Jerome Green auf. Mit Green freundete sich Peter sofort an. „Jerome trug immer ein Radio bei sich, das aber nicht zu funktionieren schien“, sagte Grant. „Eines Tages fragte ich ihn, was es damit auf sich hatte. Er nahm die rückseitige Abdeckung ab. Darin befand sich nichts außer einer halb ausgetrunkenen Flasche Scotch. Er flüsterte: ‚Sag bloß nichts zu Bo.‘“