Peter Grant - Ein Leben für Led Zeppelin

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Carson glaubt, dass der Kampf sich kurz vor seiner Einschulung am St. Josephʼs im Sommer 1955 ereignete, doch Grant hatte die Ingram Road bereits fünf Jahre zuvor hinter sich gelassen. „Ich weiß noch, dass Peter mir sagte, er wäre dort gewesen“, erzählt Carson. „Und ich möchte mich nicht ganz von dieser Vorstellung lösen, weil es nun einmal so eine tolle Geschichte ist.“

Es ist auf jeden Fall eine Anekdote, die perfekt illustriert, inwiefern er in der Lage war, den brancheninternen Tratsch zur Förderung seiner Reputation auszunutzen. Allein die Vorstellung, wie ein junger Grant gegen drei Jahre ältere Schüler einer rivalisierenden Bildungseinrichtung in den Kampf zieht, passte jedenfalls gut zum späteren Peter Grant, der sich in The Song Remains the Same einen Gebäudeverwalter lautstark zur Brust nimmt. Die Realität war hingegen komplizierter.

Grants Ansatz zum Thema Bildung verbesserte sich auch weiterhin nicht und bewegte den Schuldirektor Wheeler zu einem harschen Urteil. „Dieser Mann wird es im Leben nie zu etwas bringen. Er ist nutzlos – ein hoffnungsloser Fall!“, berichtet Helen. „So dachte er sich: ‚Leck mich doch, ich werde sehr wohl etwas erreichen.‘“

Jahrzehnte später klang Grant immer noch wie ein Mann, der es seinen Kritikern so richtig zeigen wollte. „Ich weiß schon, dass ein paar dieser hohen Tiere aus den Chefetagen der Plattenfirmen erschaudern, wenn sie mit mir zusammentreffen“, erzählte er 1974. „Das müssen sie, wegen dem, was du repräsentierst. Und das ist großartig.“

„Ich glaube nicht, dass Geld Peters Antrieb war“, sagte Malcolm McLaren. „Sein Antrieb war sein Streben nach Respekt.“

Peter Grant verließ die Ingram Road am 4. April 1950, einen Tag vor seinem 15. Geburtstag. Die Schulakten vermerken als Grund für seinen Schulabbruch eine Anstellung und keinen Rauswurf. Ohne auch nur eine einzige Qualifikation ging er ab und verbrachte die nächsten acht Jahre in der Armee und mit Billiglohn-Jobs, bis er langsam Kurs auf die Unterhaltungsindustrie nahm.

Je mehr Erfolg Led Zeppelin später hatten, desto weniger wollte er über sein Leben vor dem Musikbusiness sprechen. Allerdings gab er sich diesbezüglich überraschend offen, als er 1970 für die Frauenzeitschrift She interviewt wurde. „Als ich 13 Jahre alt war, fing ich als Bühnenarbeiter im Croydon Empire an“, sagte er da. „Ich versuchte es auch mit einem Job in einer Konservenfabrik, aber nach fünf Wochen wusste ich, dass das nichts für mich war.“

„Peter wollte Fahrräder bauen“, sagt Mark Long. „Dorothy nahm ihn zur Fabrik des britischen Fahrradherstellers Claud Butler in Clapham Junction mit.“ Dann fand er aber heraus, wie wenig ein Lehrling verdiente und überlegte es sich rasch anders.

Stattdessen landete er bei Viscoʼs Engineering in Waddon, Croydon. Grant arbeitete dort als „Dolly-Boy“ und musste in riesige Stahlfässer klettern und die Stahlbolzen festhalten, während ein Mitarbeiter sie von oben anbohrte. Das ging gerade mal fünf Wochen lang gut.

Großbritannien war im Wiederaufbau begriffen und es gab jede Menge Jobs. Als nächstes kellnerte Grant in einem schicken italienischen Restaurant namens Frascatiʼs, das eine einstündige Busfahrt von South Norwood entfernt in der Oxford Street lag. Im Anschluss daran folgte ein kurzes Intermezzo als Botenjunge bei der Nachrichtenagentur Reuters. Solange Kohle bei einem Job heraussprang, war es ihm egal, was er dabei tun musste.

Der vermutlich wichtigste von all diesen Jobs war jedoch jener, von dem Grant behauptete, dass es sein erster gewesen sei, als Bühnenarbeiter im Croydon Empire, wo er weniger als ein Pfund pro Woche verdiente.

Das Empire Theatre of Varieties hatte seine Türen im Jahr 1906 im North End, Croydon, geöffnet. In den nächsten fünfzig Jahren sollten in diesem stattlichen Saal mit seiner mit Samt bezogenen Ausstattung und seinem Dachfenster aus bemaltem Glas die Crème de la Crème der britischen Musik- und Varieté-Szene auftreten.

„Ich war fasziniert von dem Theater“, erzählte Grant McLaren. „Da gab es Tellerjongleure und einen Typen, der mit einem Motorrad durch einen riesigen Stahlkäfig kurvte. Das wirkte alles ziemlich glamourös und besser als die Stahlfabrik.“

Varieté war die britische Version des amerikanischen Vaudeville: schnelllebiges, billiges Entertainment, das auf provinziellen Bühnen von Sängern, Comedians und Tänzern dargeboten wurde – von so gut wie jedem, der in der Lage war, das Publikum zum Lachen oder Weinen zu bringen, oder dessen Aufmerksamkeit zumindest für die Dauer des jeweiligen Auftritts aufrecht zu erhalten.

Als Peter Grant dort die Böden wischte und den Bühnenvorhang auf- und zuzog, war der Glanz des Empires bereits am Verblassen. Das Varieté starb schon seit dem Aufkommen des Tonfilms einen langsamen Tod. 1950 waren die größten Stars der Welt Filmschauspieler wie der typisch amerikanische Held John Wayne oder die scharfzüngigen Entertainer Bob Hope und Bing Crosby.

Im selben Jahr gastierten die Piccadilly Nudes im Croydon Empire. Sie traten zweimal täglich, sechs Tage in der Woche auf. Die Revue war aus dem Londoner Soho geholt worden, um etwas gewagten Glamour nach Croydon zu bringen und somit die Kartenverkäufe ein wenig anzukurbeln.

Bei den Piccadilly Nudes handelte es sich um ein Ensemble weiblicher Nackedeis, die sorgfältig in statischen Posen angeordnet wurden, denn die aus dem viktorianischen Zeitalter stammenden Zensurgesetze untersagten es einer nackten Frau, sich auf einer Bühne zu bewegen. Diese „lebenden Bilder“ dürften dem Publikum rund um die Jahrhundertwende wohlige Wonnen bereitet haben, doch 1950 wirkte so etwas eher traurig und aus der Zeit gefallen.

Peter Grant sollte die besten Jahre seines Arbeitslebens neben den Bühnen der ganzen Welt verbringen, von wo aus er mitansah, wie andere einem erwartungsfrohen Publikum Sex und Glamour boten – und all dies nahm seinen Ausgang in einem Südlondoner Theater.

1975 absolvierten Led Zeppelin eine Reihe von Konzerten im Londoner Earls Court unter dem Motto „An Evening With Led Zeppelin“, die mit einem Plakat beworben wurden, das sich auch gut im Croydon Empire gemacht hätte. „Peter lernte, wie man eine Show aufzog“, sagte Mickie Most. „Wie man ein Publikum erreichte, wie man sich ein wenig zurücknahm und dann noch eine vernünftige Zugabe ablieferte.“

Im April 1953 hatte der 18-jährige Grant das Showbiz kurzfristig an den Nagel gehängt und verdingte sich nun als Koch-Azubi in einem Hotel. Dann wurde ihm sein Einberufungsbefehl zugestellt. Alle tauglichen britischen Männer zwischen 17 und 21 mussten damals zwei Jahre lang zum obligatorischen Dienst an der Waffe einrücken.

Der Beatle Ringo Starr hat einmal gesagt, dass die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht in Großbritannien 1960 ein Segen für die dortige Popmusik war: „Wir waren die erste Generation, die nicht zur Armee gehen musste und sich stattdessen der Musik zuwenden durfte.“

Bis dahin wurden junge Gefreite von ihren Zivilberufen und ihren Familien und Freunden weggeholt und in Militärgarnisonen über das ganze Land verteilt stationiert. Ihnen wurde beigebracht, wie man marschierte und mit einer Waffe zielte. Ihnen wurde befohlen, wann sie zu essen, zu schlafen und zu scheißen hatten.

Grant wurde dem Royal Army Ordance Corp zugewiesen, einer Division, die für Reparaturarbeiten und Versorgung mit Wehrmaterial zuständig war, und mit der Verantwortung für die Barackenkantine in Kettering, Northamptonshire, betraut. Auch setzte er seine Theaterkarriere fort: „Alle zwei Monate fanden auf dem Militärstützpunkt Shows statt. Als sie dort herausfanden, dass ich als Bühnenarbeiter tätig gewesen war, half ich mit, sie zu veranstalten.“

Grant unterstützte die Navy, Army and Air Force Institutes (NAAFI) bei ihren Bühneninszenierungen, indem er sich darum kümmerte, dass sie dieselbe Beleuchtung und dieselben Vorhänge benutzten wie das Croydon Empire.

Grant war hocherfreut, als der Nachkriegs-Comedian und Schlagzeuger Max Bacon für eine Show gebucht wurde, und stellte sicher, dass er die bestmögliche Bühnenproduktion vorfand. Im Sommer 1955 wurde Grant vom einfachen Soldaten zum Obergefreiten befördert und beendete seinen Wehrdienst im darauffolgenden April.

Er hatte seine Pflicht getan, aber nun musste sich der 21-Jährige zuhause wieder nach Arbeit umsehen. Grant kehrte ins Hotelgeschäft zurück. So trat er nach einem Urlaub auf der Insel Jersey seinen Dienst als Entertainment-Beauftragter im selben Hotel an, in dem er dort untergebracht gewesen war. Schon bald buchte Grant ein paar derselben Gesangs- und Tanz-Acts, die ein Jahrzehnt zuvor das Empire beehrt hatten. Doch die Unterhaltungsbranche entwickelte sich langsam weiter.

In jenen Tagen dominierten Tanzbands und heimische Schnulzensänger wie Dickie Valentine oder ihre geschmeidigen amerikanischen Entsprechungen Al Martino und Dean Martin die britische Popmusik.

Im August 1955 erschütterte der amerikanische Export Bill Haley and His Comets mit „Rock Around the Clock“ diesen sanftmütigen Status quo. Haley und seine Mannen verdingten sich hauptsächlich als Jazz- und Swing-Musiker, die auf schlaue Art und Weise schwarzen Rhythm and Blues für ein junges weißes Publikum umfunktionierten. Es zahlte sich aus. Bandleader und Schnulzensänger waren angewidert und hofften, dass diese Musik nur ein vorübergehender Trend wäre.

Doch dann erschien Elvis Presley auf der Bildfläche: zwanzig Jahre alt, zuckende Hüften, Pomade im Haar und mit jeder Menge Testosteron ausgestattet. „Dieser Mann ist gefährlich“, verkündete die britische Filmzeitschrift Picturegoer. „Seine kräftige Stimme erhebt sich über den Krawall wie ein Balzruf im Dschungel.“ In Europa fand Elvis’ Musik umgehend ein Zuhause bei Radio Luxemburg, dem kommerziellen Rivalen der staatlichen BBC um die Gunst der britischen Hörer. So wie alle anderen Jugendlichen oder Leute in ihren frühen Zwanzigern hörte auch Grant den Sender.

 

Elvis’ Effekt auf eine Generation britischer Teenager war unmittelbar und tiefschürfend. Seine britischen Hits aus dem Jahr 1956 wie „Heartbreak Hotel“ oder „Blue Suede Shoes“ machten ihn zu einem Elternschreck, Sex-Symbol und Aushängeschild für eine glamouröse neue Welt ohne Bombenkrater und Bezugsscheinhefte.

Andere Rock’nʼRoll-Stars wie Jerry Lee Lewis, Chuck Berry, Gene Vincent und Little Richard folgten schon bald nach. „Beim Rock’n’Roll ging es um Sex und darum, reichlich davon abzubekommen – quasi als echter Hound Dog mit seinem Pudel zur Sache zu kommen!“, erklärte Malcolm McLaren. „Schon die Wörter ‚rock‘ und ‚roll‘ standen für einen sexuellen Akt.“

In einem Schlafzimmer im verschlafenen Surrey war ein zwölfjähriger Junge namens Jimmy Page, einst der Anführer von Led Zeppelin, ebenfalls äußerst angetan. „Es war alles so urtümlich“, sagte er. „Junge Leute fühlten sich davon angezogen. Da war ich keine Ausnahme.“

Auch Grant ließ sich verführen. Barrie Keeffe, der erste Drehbuchautor, den McLaren für den Film über Grants Leben engagierte, interviewte Peter noch in den Achtzigerjahren. Grant zeigte ihm ein signiertes Foto von Elvis und sagte: „Ich habe alles dafür getan.“

Elvis sollte Grants Leben auf eine Art beeinflussen, die 1956 noch ganz undenkbar erschien. Später sollte er den King persönlich treffen, sich mit dessen Manager Colonel Tom Parker anfreunden und versuchen, Presley erstmals für eine Tour durch Großbritannien zu gewinnen.

„Eines der größten Highlights meines Lebens war, zu einem Auftritt von Elvis nach Los Angeles zu reisen“, sagte er. „Seine Band war komplett aus dem Takt geraten und er unterbrach sie. Er wandte sich ans Publikum und erklärte: ‚Wir haben heute Led Zeppelin hier und werden jetzt noch mal von vorne loslegen, damit wir so aussehen, als würden wir wissen, was wir da tun.‘“

Sein nächster Job brachte Grant 1957 wieder einen kleinen Schritt näher zur Welt eines Elvis Presleys. Das Café 2iʼs in der Old Compton Street 59 war nach seinen beiden Gründern, den Brüdern Freddie und Sammy Irani, benannt. Nach der Einführung der Espresso-Maschine von Gaggia bemühten sich Gaststätten wie das 2iʼs, etwas kosmopolitische Farbe und Abwechslung in die Hauptstadt zu bringen. „Soho verwandelt sich ins Espresso-Land“, erklärte etwa Sunday People, eine der ältesten britischen Sonntagszeitungen, „mithilfe farbiger Neonbeleuchtungen.“

Im Frühling 1956 wurde das 2iʼs von zwei aufstrebenden Unternehmern übernommen, Ray Hunter und Paul Lincoln. Beide waren erst unlängst aus ihrem Heimatland Australien eingetroffen, wo sie als Freistilringer gearbeitet hatten. Lincoln spielte eine entscheidende Rolle bei Grants nächstem Kar­riereschritt.

Es war Lincolns Idee, Sänger und Bands im winzigen Keller des Lokals auftreten zu lassen, dessen Bühne aus Milchkästen und ein paar Holzbrettern bestand. Kurze Zeit später trat dort schon Tommy Hicks auf, ein 21-jähriger Seemann aus Bermondsey im Süden Londons. Hicks unterzeichnete einen Plattenvertrag und änderte seinen Namen zu Tommy Steele. Seine erste Single „Rock With the Caveman“ versuchte mit aller Gewalt, amerikanischen Rock’nʼRoll zu imitieren, wobei er nicht an die Vorlage herankam, was aber nicht weiter wichtig war. Der Song wurde im Sommer 1956 zum Hit und weitere sollten folgen.

Die Teenager fühlten sich inspiriert. Viele träumten zwar davon, der nächste Elvis zu werden, tendierten aber dazu, sich einem realistischeren Ziel zu widmen. Im Großbritannien der Fünfzigerjahre existierte das Skiffle-Phänomen eine kurze Zeit lang parallel zum Rock’n’Roll-Boom. Skiffle hatte seine Wurzeln in den amerikanischen Musikrichtungen Blues und Country und wurde auf billigen akustischen Instrumenten gespielt. Ein altes Waschbrett und eine einzelne Saite, die zwischen einen Umzugskarton und das Ende eines Besenstiels gespannt wurde, lieferten oftmals den Rhythmus. Skiffle war roh und primitiv und jeder konnte ihn spielen.

1955 führte Skiffle die britischen Charts an, wofür dessen neuer König, der Jazzmusiker und nun auch Sänger Lonnie Donegan, verantwortlich war. Sein Debüt-Hit „Rock Island Line“ inspirierte auch spätere Mitglieder der Beatles, von The Who und Led Zeppelin. 1957 trat der Teenager Jimmy Page zum ersten Mal im britischen Fernsehen der BBC auf, wo er mit seiner JG Skiffle Group auf der Akustikgitarre schrammelte und sang.

Nun strömten Nacht für Nacht Jugendliche ins 2iʼs, um entweder der großen Wurlitzer-Jukebox im Erdgeschoss oder den Skiffle-Gruppen und Rock’n’Rollern im Keller zu lauschen.

Mit dieser neuesten Ausprägung des Showgeschäfts ließ sich sogar Geld verdienen. So verlangte Paul Lincoln einen Schilling Eintritt. Obwohl offiziell nur für sechzig Besucher vorgesehen, zwängten sich an einem Samstagabend über 150 ins 2iʼs. Talentsucher der Plattenfirmen frequentierten das Lokal auf der Suche nach dem nächsten Lonnie Donegan – oder gar einem englischen Elvis.

Lincoln managte schon bald zwei heimische Sänger. Weder Terry Dene noch Wee Willie Harris konnten Elvis in puncto Star-Qualitäten das Wasser reichen, doch eine Zeit lang fabrizierten beide Hits.

Dene war vielleicht das erste Opfer, dass der Rock’n’Roll forderte. Er erlitt während seines Wehrdiensts einen Nervenzusammenbruch und ließ das Musikbusiness für immer hinter sich. Harris, der gerade einmal einen Meter siebenundfünfzig groß war, machte seine mangelnde Körpergröße mit frenetischen Auftritten und grell gefärbten Haaren wett.

Es gab keine Gebrauchsanleitung dafür, wie man sich in dieser neuen Musik­szene eine Karriere basteln konnte. Jedem war klar, dass morgen schon alles vorbei sein konnte und man wieder in der Fabrik würde arbeiten müssen. „Eigentlich managte niemand hier irgendwen“, sagt der damalige Stammgast im 2i’s, Derek Berman, der Grant 1960 kennenlernte. „Paul Lincoln war ein Geschäftsmann, der sich dachte: ‚Da ist ein Typ, der singen kann. Ich werde ihn managen.‘ Dann beschlossen seine Freunde, es ihm nachzumachen.“

Wo auch immer Teenager zusammentrafen, entstand ein Bedarf an Sicherheitskräften. Das 2iʼs und andere Cafés rekrutierten daraufhin Türsteher, um ihre Gäste im Zaum und Sohos weniger begehrenswerte Elemente draußen zu halten. Auch Paul Lincoln heuerte deshalb ein paar imposante Typen an.

Da war zum Beispiel der 140-Kilo-Mann „Big“ Roy Heath, der einschritt, als ein mit Äxten und einer Schrotflinte bewaffneter East-End-Mob nach einem im 2iʼs auftretenden Skiffle-Musiker fahndete. Es folgten Männer mit Spitznamen wie „2iʼs Norman“, „Lofty“ und „Henry Henroid“, bei dem es sich um einen Wrestler handelte, der später für die Beatles und Peter Grants frühem Arbeitgeber Don Arden arbeitete.

„Im 2iʼs stolzierten einige ziemlich taffe Kerls herum“, erzählte der Sänger und Songwriter Tony Sheridan. „All diese Figuren in italienischen Anzügen und spitzen Schuhen.“

1958 ernannte Lincoln einen Kollegen aus der Welt des Wrestlings, Tom Littlewood, zum Manager des 2iʼs, während er mit seinen Acts auf Tour ging. Lincolns erste Beschäftigung in England war als Leibwächter, während sich Littlewood als professioneller Judo-Trainer verdingte. Ihr gemeinsamer Background war kein Nachteil im wilden Londoner West End.

Wo Bargeld floss, da gab es auch immer wen, der etwas abhaben wollte. Schutzgelderpressungen und Einschüchterung standen auf der Tagesordnung. Als Lincoln ein weiteres Café eröffnete, das New iʼs, versuchte eine Band, Geld von ihm zu erpressen. Einer seiner Türsteher trug nach einem Beilhieb eine bleibende Narbe davon. Die Popularität des Rock’n’Roll und der Aufstieg des Teddy-Boy-Phänomens gingen Hand in Hand. Die „Teddyboys“ erhielten ihren Namen aufgrund ihrer Vorliebe für fast knielange Anzugjacken, die an die Edwardianische Ära angelehnt waren – und „Ted“ war nun einmal eine Kurzform von Edward. Ihren Look komplettierten sie durch enge Hosen und Schuhe mit hohen Crêpe-Sohlen, sogenannte Creepers, sowie lange Haare, die zu einer übertriebenen Tolle à la Elvis modelliert wurden.

Als der erste Rock’n’Roll-Film, Die Saat der Gewalt, 1956 anlief, waren einige Teddyboys dermaßen von Bill Haleys Soundtrack verzückt, dass sie gar nicht anders konnten, als die Kinositze aufzuschlitzen, woraufhin sie wegen Vandalismus festgenommen wurden. Nachdem sie Großbritannien vor Nazi-Deutschland gerettet hatten, sorgten sich Eltern und Großeltern nun, dass Elvis und seine Verbündeten vollenden würden, was Hitler begonnen hatte.

Peter Grant trat seinen Dienst als Türsteher im 2iʼs 1957 an. Verköstigung und ein Gehalt waren von oberster Bedeutung für ihn. „Es sprang eine Mahlzeit und ein Pfund pro Abend raus“, sagte er. Für viele, die ihn damals kannten, war Grant einfach der nächste in einer langen Reihe von 2iʼs-Türstehern. „Als Grant dort arbeitete, war seine Job-Beschreibung etwas realistischer ausgelegt: Er war schlichtweg ein Rausschmeißer“, sagte der Sixties-Experte Barry Miles.

Der inzwischen verstorbene Agent Peter Harrison buchte 1967 Grants Klienten von den Yardbirds für einen Auftritt im Londoner Last Chance Saloon. „Ihr Roadmanager war ein Bär von einem Mann mit scharfsinnigen Augen“, sagte er. „Er schnaufte und keuchte, als er die Ausrüstung in den halb im Keller befindlichen Club hievte.“ Nach ein paar Minuten erkannte Harrison ihn als den ehemaligen Rausschmeißer aus dem 2iʼs.

Als Teenager hatte Harrison für eine Jukebox-Firma aus Soho gearbeitet, die die Wurlitzer des Cafés mit Schallplatten bestückte: „Ich traf oft auf die bedrohliche Figur, die Peter Grant nun einmal ist. Wir kamen gut miteinander aus, aber keiner von uns hätte unsere Zukunft voraussehen können.“

Im 2iʼs knüpfte Grant eine Freundschaft, die zu einer seiner ersten Geschäftspartnerschaften führen sollte. In den Sechzigerjahren produzierte Mickie Most Hits für Hermanʼs Hermits, Donovan und die Animals. In den Siebzigerjahren war Most als Juror der TV-Talentshow New Faces in aller Munde, weil ihn seine geharnischten Kommentare zu einem Bösewicht des Reality-TV machte, lange bevor Simon Cowell und X-Factor auf der Bildfläche erschienen.

Mitte der Fünfzigerjahre kannte man Mickie Most jedoch noch unter seinem bürgerlichen Namen Michael Hayes – ein Westlondoner Teenager, der sich wie sein Idol kleidete, wie der launische Jugendliche, den James Dean in … denn sie wissen nicht, was sie tun verkörpert hatte. So wie Peter Grant hatte Hayes die Secondary Modern School mit 15 abgebrochen und sich – ebenfalls wie Grant – als Dolly-Boy in einem örtlichen Stahlwerk verdingt. Doch dann kam der Unfall.

Hayes half dabei, einen großen Metallbottich zu bewegen, als der ihm auf den Fuß fiel und mehrere seiner Zehen abtrennte. „Von diesem Tag an war ich praktisch zu zehn Prozent behindert“, sagte er. „So blieb mir der Wehrdienst erspart, worüber ich mich doch ziemlich freute.“

Noch vor dieser Verletzung hatte sich Hayes immer wieder um die Arbeit gedrückt und sich stattdessen in den Instrumentengeschäften in Soho herumgetrieben, wo er Gitarren ausprobierte, die er sich nicht leisten konnte, und im 2iʼs stundenlang an einer einzigen Tasse Kaffee genippt.

Ehe er sich versah, arbeitete er selbst im Club, servierte Coca-Cola und bediente die Espresso-Maschine. „Mickie schenkte den Kaffee ein und ich verkaufte ganz oben am Treppenaufgang Eintrittskarten“, erinnerte sich Grant.

Hayes war mit Terry Dene befreundet und sah voller Eifersucht zu, wie der ein Popstar wurde. Obwohl er angeheuert worden war, um Getränke auszuschenken, eilte Mickie oft vom Tresen in den Keller, um selbst zu singen – bis Paul Lincoln ihn anwies, den Schnabel zu halten und sich zurück an seinen Arbeitsplatz zu begeben.

Hayes’ war so vom hippen neuen Slang, den er in amerikanischen Filmen und Songs hörte, fasziniert, dass er Platten, Filme und Girls, die ihm zusagten, als „the most“ bezeichnete. Das blieb hängen und ab 1957 kannte man ihn bereits als Mickie Most. Kurze Zeit später gründeten Hayes und ein weiterer Stammgast im 2iʼs, Alex Wharton, seines Zeichens zukünftiger Produzent und Manager der Moody Blues, ein Gesangsduo namens The Most Brothers und nervten Lincoln so lange, bis er ihr Manager wurde.

Was den Barmann und den Türsteher des 2iʼs verband, war ihre Bereitschaft, jede Gelegenheit, Geld zu machen, beim Schopf zu ergreifen. „Das Musikbusiness hatte weder auf Peter Grant noch auf mich gewartet“, sagte Most. „Wir mussten uns mit anderen Dingen beschäftigen.“

Paul Lincoln hatte seiner früheren Karriere nicht den Rücken gekehrt. Schon bald nach seiner Ankunft in England begann er, wieder zu ringen. Als er dazu überging, eine schwarze Henkersmütze zu tragen und sich Doctor Death zu nennen, nahm seine Popularität stark zu und es dauerte nicht lange, bis er überall im Land als Top-Attraktion angekündigt wurde.

 

Niemand konnte vorhersagen, ob der Rock’n’Roll und Cafés nur vorübergehende Modeerscheinungen sein würden. So gründete Lincoln eine Wrestling-Veranstaltungsfirma und machte sich daran, dem farblosen Image dieses Sports eine Frischzellenkur zu verpassen. Lincoln verstand jedenfalls die Strahlkraft von guten Gimmicks und Showbiz-Glamour. So hatte er die Idee, Wee Willie Harris’ Haare pink zu färben, von einem amerikanischen Wrestler namens Gorgeous George abgekupfert.

Paul Lincoln Promotions zog schon bald die Menschenmengen an, was an exotischen Charakteren wie Mighty Chang, Jungle Boy und dem Wild Man of Borneo lag. Laut Mickie Most begann seine und Grants Karriere im Wrestling-Zirkus damit, dass sie dafür bezahlt wurden, den Ring in der Wembley Town Hall aufzubauen. Grant hingegen erzählte Malcolm McLaren und dessen Filmproduktionspartner Mike Figgis, dass er mit dem Wrestling begann, als er von Paul Lincoln damit beauftragt wurde, dessen Klienten zu ihren Engagements rund um London zu kutschieren. Zunächst kümmerte er sich bei den Kämpfen um die Zeitnehmung. Dann wurde er im Publikum platziert.

Einer von Lincolns Performern war ein ungarischer Zwerg, dessen Nummer unter anderem darin bestand, Metallstäbe um seinen Hals herum zu biegen und anzukündigen, die schwerste Person im Publikum zu stemmen. Grant gab an, sein Wrestling-Debüt im Streatham Legal im Süden Londons gegeben zu haben, wo er sich als simpler Zuschauer ausgab, der sich freiwillig meldete, von dem kleinwüchsigen Ungarn in die Luft gestemmt zu werden.

Grant war damals noch nicht so schwer wie später, doch sein Gewicht stellte dennoch eine Herausforderung dar. Er legte sich auf eine Holzplanke, um dessen Enden ein Seil gebunden war und das auf zwei Schemeln auflag, während der Ungar auf einem dritten Schemel stand und versuchte, das Seil mit seinen Zähnen emporzuheben. „Für diese Einlage bekam ich für gewöhnlich zwei Pfund“, sagte Peter.

Als eines Tages einer der Wrestler nicht auftauchte, nahm Grant dessen Platz ein. Led Zeppelins zukünftiger Manager kletterte in den Ring, während Mickie Most, der spätere Plattenproduzent, der selbst aufgrund seiner fehlenden Zehen vom Kämpfen befreit war, ihn von der Ringecke aus anfeuerte.

Grants Wrestling-Karriere kam ans Licht, als er im Oktober 1970 vom Daily Mirror interviewt wurde. Bis dahin hatte er diese Phase seines Lebens vor den Medien verbergen können. „Ich war gut 18 Monate lang ein Wrestler, um ein wenig Kohle zu machen“, enthüllte er. Von nun an begleitete das Attribut „Ex-Wrestler“ so ziemlich jede Erwähnung Grants in einer Musikzeitschrift. „Es handelt sich dabei um eine historische Tatsache, die er nur allzu gerne in Vergessenheit geraten ließe“, vermutete der Melody Maker 1974.

So wie schon die sagenumwobene Schlacht von Streatham Common entwickelte auch Grants Laufbahn als Wrestler ein Eigenleben. Der Musikmogul Ahmet Ertegun von Atlantic Records trug seinen Anteil zum Mythos bei, indem er behauptete: „Peter kämpfte auf Jahrmärkten, wo er es mit jedem aus dem Publikum aufnahm.“

Auch Malcolm McLaren berichtete, dass Grant in den Fünfzigerjahren auf Jahrmärkten abhing, „wo sich alle Zigeuner und Gesetzlosen herumtrieben … dort war der Umgang locker und frei.“

Die Vorstellung von Led Zeppelins Manager, der sich allen Herausforderern entgegenstellt, wie ein unerbittlicher Raufbold aus der viktorianischen Epoche, ist einfach unwiderstehlich. Die Realität war aber nicht annähernd so glamourös.

Paul Lincoln veranstaltete viele seiner Events in Granada-Kinos und provinziellen Bingo-Sälen. Weniger als zehn Jahre zuvor hatten diese schmucklosen Örtlichkeiten mit ihrem cremefarbenen und flaschengrünen Dekor den Varieté-Acts eine Bühne geboten. Und seit damals hatte sich nur sehr wenig geändert.

Grant vertraute seinem Freund Ed Bicknell, dem Manager der Dire Straits, an, dass er unter dem Ringnamen His Royal Highness Count Bruno Alessio of Milan firmiert hätte. Tony Palmer vom Observer erzählte er, er hätte als Mario Alessio gekämpft. Andere wollen sich an den Namen Count Massimo erinnern. Es gibt viele Variationen.

Als Wrestler perfektionierte Grant viele jener Tricks, die er später bei jenen anwandte, die ihn über den Tisch zu ziehen versuchten. So etwa auch sein Markenzeichen-Manöver, den Vier-Finger-Stoß, den er unterhalb des Brustkorbs platzierte.

Doch in Wirklichkeit ging es in erster Linie darum, eine Show abzuziehen. Es war einfach kein guter Wrestling-Abend, bevor nicht zumindest eine ältere Dame sich von ihrem Sitzplatz erhob, sich die Seele aus dem Leib brüllte und mit ihrem Regenschirm gegen die Stoffauflage des Rings schlug.

Wenn das Spektakel vorüber war, zog sich His Royal Highness Count Bruno in einer kalten, schmuddeligen Garderobe um und half anschließend den Ring abzubauen, was ihm ein wenig zusätzlichen Sold einbrachte. Auch der Schlagzeuger Mick Underwood, mit dem Grant in den Sechzigerjahren zusammenarbeitete, kann sich an Peters Wrestling-Zeiten erinnern. „Mein Schwiegervater liebte Wrestling und glaubte, er hätte Peter unter einem seiner Namen kämpfen gesehen“, erzählt Mick heute. „Er meinte, er wäre großartig gewesen.“

„Ich fragte Peter einmal, welche Moves er so draufgehabt hatte“, erinnert sich Ed Bicknell. „Er antwortete: ‚Ich habe sie umgestoßen und mich auf sie drauf geworfen. Ich habe nie einen Kampf verloren.‘“

Der Crew-Chef von Bad Company, Phil Carlo, erinnert sich an einen Vorfall auf Tour in Amerika. „Wir hielten uns im Backstage-Bereich auf und über eine Lautsprecheranlage lief ganz schreckliche Musik“, erzählt er. Ohne jegliche Vorwarnung holte Peter aus und schlug das Gerät mit der flachen Hand von der Wand. „Das ganze Ding zerbrach und verteilte sich wie Konfetti über den Fußboden. Ich fragte ihn: ‚Was zum Teufel war das denn bitte?‘ Er meinte: ‚Das war der Schlag eines Wrestlers, Phil.‘“

Zwischen 1957 und den frühen Sechzigerjahren verdiente Grant seinen Lebensunterhalt mit Wrestling, als Türsteher und mit Tätigkeiten, die ihm dabei halfen, über die Runden zu kommen. „Ich traf Peter zum ersten Mal, als er im Flamingo an der Tür arbeitete“, erzählt Keith Altham, seines Zeichens Musikkritiker und PR-Mann im Ruhestand. „Ich wusste nur, dass er für Paul Lincoln gerungen hatte und einer seiner Rausschmeißer war. Ich glaube kaum, dass einer von uns annahm, er würde den Weg machen, den er letztlich ging.“

Das Flamingo in der Wardour Street war ein Eldorado für Blues- und Jazz-Musiker und zog ein stylisch gekleidetes Publikum an, das man später als Mods bezeichnet hätte. Anfang der Sechzigerjahre veranstaltete der ehemalige Boxer Rik Gunnell dort an den Wochenenden Partys, die die ganze Nacht dauerten. Er schmierte die Polizei, um sicherzustellen, dass der Club bis 6 Uhr morgens geöffnet blieb. Auch verstand er sich gut mit den infamen Kray-Zwillingen, dem verbrecherischen Brüderpaar aus dem Osten Londons.

Gunnells im Wochentakt stattfindendes Drama, das daraus bestand, Acts zu buchen, Manager zu besänftigen, Bestechungsgelder zu verteilen und Kontakte zu knüpfen, stellten für Grant eine unverzichtbare Lektion dar. Er wurde dafür bezahlt, den Eingang des Flamingos zu bewachen, Eintrittskarten zu kontrollieren und gelegentlich den Schlag eines Wrestlers auszuteilen. Abgesehen davon beobachtete er und lernte.